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Sätze: | 163 | |
Wörter: | 1.728 | |
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Die Marc-Uwe-Offenbarung
Oder: Ich weiß, wem Bestseller-Autor*innen ihren Erfolg zu verdanken haben.
Prolog
Dunstige Morgennebel steigen langsam auf im alles überstrahlenden Sonnenlicht, frühe Vögel tummeln sich flügelschlagend im Geäst, auf den Wiesen karnickeln Hasen, am Waldesrand röhren brünstige Hirsche: Ein herrlicher Sommertag, zum Schnackseln schön. Nur ich kauere seit Tagen ungewaschen hinter heruntergezogenen Jalousien überm Laptop und versuche, gefällige Texte zu schreiben ...
PLING.
Moahhh, schon wieder! Nein, nicht mein Handy. Leider. Es ist wieder diese Erscheinung. Die sich Marc-Uwe nennt und mir weismachen will, meine Muse zu sein. Seine feixende Grinsekatzenfresse schwebt wie eine 3-D-Projektion an der gekachelten Wand entlang, rauf zur Zimmerdecke. Mein Gesichtsausdruck mäandert von irritiert zu empört.
„Marc-Uwe!“, schreie ich spitz. „Ich sitz' hier aufm Klo – schon mal was von Intimsphäre gehört?“
„Hello, again“, näselt seine Stimme aus dem Off. Die Erscheinung macht ein Peace-Zeichen und schwebt durch die geschlossene Badezimmertür hinaus in den Flur: „Ich warte draußen. Mach hinne, ich hab' nicht ewig Zeit!“
Langsam mache ich mir Sorgen: Ich bin so was nicht gewohnt. Und weiß nicht, ob ein Dialog mit einem Geist noch als Gebet durchgeht oder bereits als Psychose gilt. Ich bin sicher nicht die erste Autorin, die durchdreht - andere sehen Kängurus ...
„Gott ist schon mal 'ne schöne Anrede“, kommentiert von draußen Marc-Uwe meine Gedanken. „Haste was Verwertbares geschrieben, Schätzelein, während ich kurz abwesend war?“
„Aufgepasst“, sage ich drohend. „Ich arbeite hier an meinem künstlerischen Durchbruch: Gestern Abend habe ich was Bahnbrechendes im Internet gepostet …“
„Why not“, sagt Marc-Uwe und gähnt herzzerreißend. „Liest aber niemand, oder?“
„Die Resonanz hätte besser sein können“, murmele ich und lasse defätistisch meinen Kopf in Kutschbockhaltung über dem Badezimmer-Flokati hängen. „Und mit in Ruhe kacken wird` s heute wohl auch nichts“, knurre ich verdrossen.
„Was du brauchst, ist beinharte Kritik“, näselt Marc-Uwe durchs Schlüsselloch. „Ich könnte eine Schreib-Titanin aus dir machen - wenn du endlich auf mich hören würdest. Damit du mal Kohle verdienst. Ich hab' nämlich Hunger … “
„Ha, eine Erscheinung kann gar nicht hungrig sein!“, rufe ich triumphierend aus dem Bad.
„In der Tat: Machthungrig!“, säuselt Marc-Uwe vor der Tür. „Du hast eventuell Talent. Du brauchst jemand, der dich schreibtechnisch durch den Wolf dreht. Und dich hinterher ganz groß raus bringt: Schreib was Nettes, Darling. Und nicht immer diese hässlichen, provokativen Satiren über Männer!“
„Warum?“
„Weil Männer nicht gerne über sich nachdenken. Und schon gar nicht, wenn Frauen sich in ihren Satiren über sie lustig machen. Du weißt schon: Klickzahlen, Kommentare ...“
„Was nettes über Männer? Das wäre ja reine Effekthascherei! Dafür bin ich mir zu schade“, antworte ich im Brustton der Überzeugung.
„Nein, das ist Kunst. Zumindest Kleinkunst.“
„Du willst eine Muse sein?“, antworte ich verächtlich. „Inspiration ist doch deine Baustelle, nicht meine. Und woran hattest du dabei genau gedacht, du Honk?“
„Von mir aus schreib was über Randgruppen, Sex, Tabuverletzungen, Politik, Gewalt … an Frauen. Oder Kindern.“
„Also über Opfer. Bist du bescheuert? So was mach ich nicht. Ich schreib über die Täter – und wenn die mich hinterher steinigen ...“
„Völlig falsche Sichtweise, Kind. Du darfst hinterher nur nicht müde werden, allen zu erklären, dass es sich dabei nur um einen sehr schwulen, sehr unsozialen, sehr gewaltbereiten, sehr frauenfeindlichen, sehr rassistischen, sehr ekelhaften, sehr ungepflegten, sehr hässlichen, sehr politisch unkorrekten und sehr frei erfundenen Charakter handelt.“
„Dann schreibe ich lieber über was Humorvolles oder was Selbstreflektiertes“, trumpfe ich auf.
„Alles Quatsch. Nur Narzissten schreiben über sich selbst. Außerdem: Frauen und Humor, das ist allerhöchstens intellektuelle Auslegeware!“
Ich nicke stumm. Irgendwie hat er recht: Schreiben ist eine einsame Sache. Bis heute habe ich noch keinen Cent an meinem ersten Buch verdient.
„HEYNE will mich partout nicht verlegen“, greine ich. „Dabei habe ich die mehrfach aufgefordert …“
„ULLSTEIN auch?“
„Jap.“
„Hättste lieber vorneweg auf mich gehört: Schreib niemals Realsatiren, in denen Männer schlecht wegkommen. Männer haben eine Ironie- und Sarkasmusswäche. Ihr Frauen seid da viel zu … hintergründig. Da weiß ein Mann nie, ob er noch liebevoll gefoppt oder schon verarscht wird. Wenn du so weiterschreibst, wirst du bald sehr, sehr einsam sein ...“
„Was soll ich machen: Mir 'ne selbstgestrickte Wollmütze aufsetzen und mich als blutjunger Poetry-Slammer ausgeben, nur damit meine Satiren besser ankommen? Aporopos: Warum bist du eigentlich nicht bei dem Kling geblieben? Eure Zusammenarbeit war doch mega erfolgreich.“
„Ich wollte zur Abwechslung mal eine erfolglose Literatin verunsichern. Kling ist mir zu erfolgreich geworden. Es macht mir einfach mehr Spaß, Anfänger*innen zu maßregeln: Alles Mist! Da wird nichts erzählt … das hat kein Niveau, du beherrschst ja nicht mal Interpunktion und Grammatik! Glaubst du, das wird je was? Den Respekt des Lesers musst du dir erst hart erarbeiten! Kurzgeschichten: Liest kein Mensch! …“
„Hör auf!“, brülle ich und halte mir entnervt die Ohren zu.
„ … und außerdem musste ich bei Kling ständig als Känguru rumhoppeln, diese Kostümierung war dermaßen unwürdig …Glaub mir: Ich kann auch besser mit Verlagen als du. Ich hab` den pinken Verlegerinnen-Daumen. Mach mich zu deinem Agenten!“
„Was noch alles: Muse, Kritiker, Agent …?“
„Ich verstehe mich auch als großen Förderer postklimakterischer, feministischer Schreibkultur und radikal-feministischer Menstruationsprosa“, schmeichelt Marc-Uwe hinter der Tür.
„Sarkast!“
„Schreib lieber was Verwertbares, Liebelein: Wir haben bald keine Kohle mehr.“
„Wir?“, brülle ich erschrocken durch die geschlossene Tür. „Kümmerst du dich jetzt auch noch um meine Finanzen oder was?“
„Ab jetzt bist du bei mir im betreuten Schreiben. Sieh mich einfach als dein Alter Ego.“
„Ein ganz schön aufgeblasenes Ego, Alter!“
„Ich meine es bereits hinreichend überzeugend dargestellt zu haben: Du brauchst mich. Du bist unsicher. Du bewegst dich auf unbekanntem Terrain. Du glaubst nicht an dich und an das, was du kannst. Bis einer kommt, der dir sagt, wo `s langgeht - und das bin ICH!“
„Das hier ist mein Leben und mein verdammtes Buch – und darin bin ich verdammt gut!“, kreische ich mit angeschwollener Halsschlagader, völlig aus der Fassung.
„Das wäre ja noch schöner – als Künstlerin brauchst du eine Muse. Und einen Kritiker. Also komm' da jetzt endlich raus, schreib' alles um und biete dein Zeug Verlagen an. Ich will mit dir auf Lese-Tour gehen, durchs Sauerland … Wir werden Auslagen haben. Allein die überteuerte Beerenauslese, die du abends immer brauchst, um überhaupt brauchbares in die Tasten zu hauen …“
„Du, du … kommst nicht mit! Auf gar keinen Fall kommst du mit ins Hotel, wenn ich auf Lesereise gehe!“, krächze ich mit versagender Stimme.
„Ich kann einfach nicht umhin, indirekt meine Vorzüglichkeit zu inszenieren. Größe zwingt zu Toleranz. Muss sich ein Porsche mit einem Golf messen? Kann er machen, muss er aber nicht.“
„Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass mir deine Häme den Sack geht? Ich will nicht dein Projekt sein. Ich bin doch kein Dorf, das einen Brunnen braucht!“
„Locker bleiben!“, grinst Marc-Uwe hämisch. „Du kannst ja nicht mal vernünftig Texte redigieren …“
„Ha“, triumphiere ich und zerre entnervt eine dreißig Jahre alte Duden-Ausgabe aus einem Stapel Zeitschriften neben dem Klo. „Hier, kuck: Ich verfüge über ein gerütteltes Maß an Bildung, du Spacken!“
„Typisch“, sagt Marc-Uwe. „Nicht mal` n anständiges Schreibprogramm auf der Festplatte, sich aber über ihre Muse mokieren.“
„Ich brauche keine Muse!“, flüstere ich heiser und lehne erschöpft meine heiße Stirn gegen die Wandfliesen. „Erst recht keine, die mich auf dem Klo heimsucht. Ich halte jetzt einfach so lange die Luft an, bis du dich aufgelöst hast. Lass mich einfach in Frieden, ja?“
„Wie süß“, säuselt er hinter der Tür. „Bist du wirklich so naiv zu glauben, du könntest es im Alleingang schaffen? Was seid Ihr Schreiberlinge doch für ein eingebildetes Pack: ICH habe dich auserwählt, o Schreibaffine – und jetzt zier` dich nicht so wegen der Küsserei …“
„Hast du den Kling etwa auch geküsst?“
„Ich bin da nicht genderspezifisch festgelegt“, unterbricht mich Marc-Uwe. „Was tut man nicht alles für die Kunst. Genie muss unabhängig sein von schnöder Wirklichkeit.“
„Ich will aber nicht geküsst werden ...“, antworte ich trotzig. Und vervollständige leise murmelnd den Satz: „… von einer Muse, die Marc-Uwe heißt und vor mir schon den Kling abgesabbert hat!“
„Na gut, dann muss ich deutlicher werden. Ich zitiere den Pschyrembel: „Ego und Alter Ego sind zwei miteinander in Widerspruch stehende Seiten einer gespaltenen Persönlichkeit …“
„Wer verfolgt mich denn hier mit aggressiver Arroganz und drängt mir permanent sinnfreie Gespräche auf? Du bist doch hier das hochgradig neurotische Phänomen!“
„Ah ja?“, fragt die Erscheinung, die sich Kai-Uwe nennt. „Und wer von uns beiden ist mittlerweile so sozial depriviert, dass sie sogar einen Schreib-Blog unterhält, um mal Kontakte zu haben, die sie nicht aus ihrer Selbsthilfegruppe kennt?“
„Du hast mein Blog gelesen?“ Ich kichere hysterisch und lasse alarmiert die Klorolle aus der Hand fallen.
„Während du gestern Abend rotweinselig über deinem Läppi eingeschnarcht bist …“, sagt Marc-Uwe und rülpst undezent ein wenig Luft auf,"... hatte ich Bock, dein Geschreibsel zu kommentieren …“
„DU warst das also! Ich fühle mich von dir so … benutzt“, wispere ich mit zitternder Unterlippe, bevor mir die Stimme ganz wegbricht.
„Darling, du wirst kaum einen Therapeuten finden, der dir das abnimmt: Von einer Erscheinung gestalkt. Die werden dich höchstens fragen, mit wem du sonst noch so sprichst: Mit Jesus oder deinem Freund Gott … ICH bin dein HERR, dein MEISTER, Amen!“, tönt es pastoral jenseits der Badezimmertür.
Ich wette, Marc-Uwe hat sich gerade bekreuzigt. Apropos Kreuz …
„Marc-Uwe“, flöte ich „Ich bräuchte dringend ein Laxans - damit es hier schneller geht. Würdest du bitte so lieb sein und mir was aus der Küche holen?“
„Was? Wo?“, Marc-Uwe klingt genervt.
„Im braunen Tontopf, über der Spüle!“, rufe ich aus dem Bad.
Eine Weile ist es still. Dann der erlösende, spitze Schrei …
Ich war mir nicht sicher, ob die halb vertrocknete Knoblauchknolle ausreichen würde - scheint aber geklappt zu haben.
So. Wo war ich stehengeblieben?
„… nur ich kauere seit Tagen ungewaschen hinter heruntergezogenen Jalousien über meinem Laptop und versuche, gefällige Texte zu schreiben …“
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