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Jakob liest vor

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14.12.23 19:40
18 Ab 18 Jahren
Heterosexualität
Fertiggestellt

Autorennotiz

Mein besonderer Dank gilt meiner Tochter Doris. Sie hat sich mit großer Geduld neben ihrer Berufstätigkeit der Korrektur dieser Schrift gewidmet und diese vorzeigbar gemacht.

Was aus Liebe getan wird, geschieht
immer jenseits von Gut und Böse.
Friedrich Nietzsche

Das Original der Geschichte findet Ihr hier:

erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=jakob_liest_vor.pdf

Es war nur ein leichtes Geräusch, das der weiße Ball am Ende ihres weißen Langstocks beim Gleiten auf dem weichen Waldweg erzeugte. Andere würden behaupten, der Ball glitte lautlos über den weichen Weg hin und her, wenn sie den Stock, immer von rechts nach links und wieder zurückschwingend, vor sich her führte. Sie aber konnte sich auf ihr gutes Gehör verlassen und nahm das Ratsch-Ratsch des Balles wahr. Dass sie das hören konnte, gab ihr beim Gehen zusätzliche Sicherheit. Zwar orientierte sie sich weitgehend an den Erschütterungen, die der Ball über den Stock auf ihre Hand übertrug, aber die Veränderungen des schabenden Geräuschs gaben die Möglichkeit, die Beschaffenheit des Weges zu erkennen. So wusste sie schon aus über einem Meter Entfernung, wenn der Zustand des Weges sich änderte. Auf bekanntem Terrain fühlte sie sich so vollkommen sicher, obwohl ihre Augen völlig tot waren. Sie erinnerte sich noch an die Zeit zurück, als sie hell und dunkel unterscheiden konnte, aber das war lange her und wirkliche Vorteile hatte sie dadurch auch nicht gehabt. Sie ging oft durch den Wald, da sie dort nicht weiter auf den Verkehr achten brauchte. (Entlang der Straßen zu gehen verlangte mehr Aufmerksamkeit, besonders dann, wenn eine Straße überquert werden musste.) Ihre Mutter hatte ihr mehrmals geraten, sich einen Blindenhund anzuschaffen. Das kam für sie aber nicht infrage. Ein Hund brauchte ihrer Meinung nach einen strukturierten Tag und das war nicht zu vereinbaren mit dem Leben, das sie selbst bevorzugte. So hatte ihre Mutter schließlich Ruhe gegeben und ihr dann sogar dabei geholfen, sich im Wald allein zu Recht zu finden.

Bei ihren häufigen Waldrunden hatte sie sich drei verschiedene Strecken eingeprägt, die sie auch noch unterschiedlich kombinieren konnte. Meist entschied sie sich für die mittellange Variante, für die sie etwa eineinhalb Stunden benötigte. Mit der Zeit lernte sie die häufigen Waldbesucher an ihren Schritten, ihren Stimmen oder an den Geräuschen, die ihre Kleidung beim Gehen oder Laufen verursachte, zu erkennen. Es gab dort ein Paar, das sie nach den Themen ihrer ständigen Unterhaltungen und ihren Stimmlagen für hochbetagt hielt. Dagegen sprach jedoch, dass sich die beiden schnell und dynamisch vorwärts bewegten. Sie kreuzte häufig eine Frau, die ihre beiden Hunde immer zur selben Zeit durch den Wald führte. Viele Jogger trainierten hier. Diese ließen sich an ihren sehr unterschiedlichen Laufstilen leicht wiedererkennen. Einer fiel ihr besonders auf, er lief ziemlich schnell und hörte sich dabei sehr leichtfüßig an. Sie hörte ihn immer erst dann, wenn er ihr schon relativ nahe war. War sie in Gedanken versunken, erschrak sie sogar, wenn er unerwartet an ihr vorüberlief. Da er meist mehrmals die gleiche Runde drehte, meinte sie sich ein genaues Bild von ihm machen zu können. Der Richtung nach, aus der seine Atemgeräusche zu ihr drangen, musste er etwas größer als sie selbst oder etwa gleich groß wie sie sein. Ihrer Vermutung nach war er schlank und durchtrainiert. Da sie am Wochenende regelmäßig am Vormittag ihre Runde drehte und während der Woche immer dann in den Wald ging, wenn sie früh genug von der Arbeit nachhause kam, traf sie immer wieder auf diesen ihrer Meinung nach jungen, schlanken und durchtrainierten Jogger.

Eine ganze Weile ging das schon so, dass sie so oft wie irgend möglich in den Wald ging. Sie ließ sich dabei wenig vom Wetter beeinflussen. Intensiv nahm sie die je nach Jahreszeit und Wetter unterschiedlichen Gerüche und Geräusche des Waldes wahr. Den intensiven Duft des Kiefernharzes an warmen Sommertagen, das Rauschen der Blätter im Wind, den modrigen Geruch verfaulenden Laubs nach einer Regenperiode im Herbst, das Knirschen des gefrorenen Bodens unter ihren Schuhen im Winter, den Gesang der Vögel im Frühling, den sie durch ihr geschultes Gehör eher als Lärmbelästigung empfand. Eines Tages nahm sie wahr, dass der junge, schlanke, durchtrainierte Jogger seine Schritte verlangsamte, als er mit ihr auf gleicher Höhe war. Zu ihrer Überraschung hörte sie ihn freundlich Guten Tag sagen, mehr geschah nicht, bevor sich seine Schritte wieder beschleunigten. Sie kam kaum noch dazu den Gruß zu erwidern, da verhallten seine Schritte bereits. Es war eine junge Stimme, die gegrüßt hatte; eine junge, sympathische Stimme. Sie traf an diesem Tag noch einmal auf den Jogger, als dieser seine zweite Runde drehte. Er rief ihr ein freundliches Hallo zu, mehr geschah nicht. So ging es mehrere Wochen lang, wenn er erstmals am Tag auf sie traf, sagte er Guten Tag und verlangsamte dabei seinen Lauf. Bei allen weiteren Zusammentreffen rief er nur Hallo. Der Samstag einer weiteren Woche, die grüßend vergangen war, war ein warmer Frühsommertag. Sie frühstückte bei offenem Fenster in ihrer kleinen Küche und beeilte sich anschließend die letzten Wochenendeinkäufe zu erledigen. Die Einkäufe hatte sie schnell erledigt und rasch räumte sie die gekauften Vorräte weg, damit sie schnellstmöglich in den Wald gehen konnte. Sie nahm sich vor, die größte Waldrunde zu gehen – das warme Wetter musste und wollte sie nutzen.

Sie war schon ein ganzes Stück durch den Wald gegangen und befand sich noch auf dem breiten Fahrweg, der vom Forsthaus aus in den Wald führte, als sie die Schritte des Joggers sich näherten. Seine Schritte verlangsamten sich, er rief ihr seinen fröhlichen Guten Tag zu. Doch dann lief er nicht wie gewohnt weiter, sondern passte sich ihrem Schritt an und ging neben ihr her. Es wollte wohl irgendetwas sagen, aber er wusste nicht, wie er anfangen sollte, dachte sie. Sie tat so, als fände sie es ganz normal, dass er neben ihr ging und sie empfand seine Anwesenheit als durchaus angenehm. Sie gingen nebeneinander und näherten sich der Stelle, an der der Fahrweg in ein leichtes Gefälle überging, um die viel befahrene Eisenbahnstrecke zu unterqueren. An dieser Stelle ging der Schotterweg in ein kurzes Stück asphaltierter Straße über. Genau an dieser Stelle blieb sie abrupt stehen, da sie bemerkte, dass ein kleines Schlagloch, das sich an der Nahtstelle zwischen Schotter und Asphalt befand, offensichtlich zugeschüttet worden war. Sie suchte mit ihrem Langstock nach dem Schlagloch, aber es war wirklich nicht mehr vorhanden. Daraufhin wandte sie sich ihrem schweigsamen Begleiter zu.
     „Ich finde es ja ganz nett, wenn sie mit mir zusammen gehen, aber eigentlich hatte ich gedacht, dass sie mir etwas sagen wollten. Oder liege ich da falsch?“
     „Nein, nein, mir fallen nur nicht die richtigen Worte ein.“
     „Wie wäre es gewesen, wenn sie sich einfach vorgestellt hätten? Ich heiße zum Beispiel Rachel“, sagte sie lachend.
     Er errötete und war froh, dass sie das nicht sehen konnte. „Und ich heiße Jakob.“
     Sie lachte laut. „Dann haben wir schon einmal eine Gemeinsamkeit – wir haben beide einen biblischen Vornamen. Und da wir schon bei den Vornamen angekommen sind, können wir auch direkt das lästige Sie weglassen, oder besser gesagt, wir brauchen gar nicht erst damit anfangen.“
     Jakob nickte, dann fiel ihm ein, dass er bei einer Blinden sprechen musste. „Wenn dir das du nichts ausmacht, mich würde es freuen, wenn wir uns auf Vornamen und du einigen.“ Seine Stimme klang belegt und die letzten Worte gingen im Kreischen der Bremsen eines haltenden Güterzugs unter. Als der Lärm verebbt war und nur noch der unangenehme Geruch vom Abrieb der Bremsbeläge wahrzunehmen war, setzte Rachel ein freundliches Lächeln auf. „Hör zu Jakob, wie wäre es, wenn wir zusammen bis zum Dreiecksweiher gehen, da setze ich mich auf die Bank am Aussichtspunkt für die Vogelbeobachtung und du kannst deine zweite Runde laufen. Danach haben wir reichlich Zeit um uns zu unterhalten und zusammen zurück nach Haselholt zu gehen. Passt dir diese Richtung?“
     „Ja, ich wohne in Reißholtz.“
     „Gut, ich warte am Dreiecksweiher auf dich. Ich warte eine gute halbe Stunde. Du kannst es dir also noch überlegen, ob du zurückkommst.“
     „Du kannst sicher sein. Ich komme!“
Dieses Mal nickte Rachel und ging sofort los in Richtung Unterführung. Jakob ging wortlos neben ihr. Ein weiterer Güterzug fuhr donnernd kreischend über ihnen in Richtung Süden. Als es wieder ruhig wurde, setzte Jakob zum Sprechen an.
     „Ich will dich nicht anmachen Rachel. Aber wir begegnen uns so oft, da dachte ich, dass wir uns bekannt machen könnten.“
     „Du brauchst mir nichts zu erklären. Wenn mich deine Anwesenheit stören würde, hättest du das längst bemerkt.“
     Inzwischen waren sie am Dreiecksweiher angekommen. Rachel lehnte sich am Aussichtspunkt an die Palisaden, die den Platz vom Weiher trennten, und sog den Duft des Wassers und des warmen Sommertages ein. „Sag mir bitte, was du siehst, Jakob. Brüten die Reiher?“
     „Ja und es scheinen sogar mehr zu sein, als in den vergangenen Jahren. Ein paar Kormorane sind auch da.“
     „Gut und nun renn los, ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“
     „Ok, ok, ich bin schon weg!“ Rief Jakob und rannte unmittelbar los.

Rachel drehte sich um, ertastete die Lehne der Bank und setzte sich. Tief sog sie die sie umgebenden Düfte ein. Ab und zu rauschte eine S-Bahn vorbei, dann und wann ratterte donnernd ein Güterzug vorbei. Ein paar Radfahrer hörte sie auf dem Weg hinter sich vorbeifahren und auch das sich ständig unterhaltende Paar ging vorbei. Heute sprachen sie über ihre Erinnerungen an die Zeiten direkt nach dem großen Krieg – sie lag also mit ihrer Einschätzung, die Leute seien hochbetagt, richtig. Rachel hatte jetzt Zeit, sie schätzte, dass Jakob nicht unter einer halben Stunde zurück sein könnte. Die Gedanken drehten sich in ihrem Kopf. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich nicht zu weit vorgewagt hatte, aber Jakobs Art gefiel ihr und außerdem meinte sie, ihn schon lange zu kennen. Ein weiterer Güterzug fuhr vorüber. Sie hörte am hohlen Klang, dass die Waggons des Zuges leere Kesselwagen waren, nur am Ende des Zuges waren zwei Schüttgutwaggons angehängt. Kaum war das Rattern verhallt, hörte sie Jakobs Schritte bereits ganz in ihrer Nähe. An seinem Atem merkte sie, dass er sehr schnell gelaufen war.
     „Du scheinst es aber eilig gehabt zu haben“, sagte Rachel spöttisch. „Ich habe doch gesagt, dass ich eine halbe Stunde warte.“
     „Schon gut Rachel. Aber das musste jetzt sein.“ Er setzte sich neben sie auf die Bank, sie nahm wahr, dass er stark verschwitzt war. „Bleiben wir hier und unterhalten uns? Mir wäre es lieber, wir würden uns unterhalten und dabei weiter gehen.“
     „Ich bin einverstanden. Ich glaube es ist besser du bleibst in Bewegung, so durchgeschwitzt wie du jetzt bist. Und wenn es dir nicht zu weit ist, würde ich gerne die Runde bis zum Tierasyl ausdehnen.“
     „Ja, lass uns gehen. Bis zum Tierasyl geht in Ordnung.“

Schweigend gingen sie los und nachdem sie eine weitere Unterführung der Bahnstrecke durchquert hatten, kamen sie auf einen sonnigen Abschnitt, der parallel zum Bahndamm verlief. Schon nach einigen hundert Metern brach beiden der Schweiß aus. So beeilten sie sich dieses Wegstück hinter sich zu bringen, um so bald wie möglich wieder in den Schatten des Waldes einzutauchen. Sobald sie den Waldrand erreichten, verlangsamten sich ihre Schritte und sie gingen weiter hinein in den Schatten, den mächtige Laubbäume in diesem Bereich des Waldes spendeten. Sie gingen betont langsam, da ihnen bewusst war, dass beim derzeitigen Stand der Sonne, ein weiterer sonniger Weg entlang des Hoxbachs vor ihnen lag.
     „Wir hätten nicht entlang des Bahndamms gehen sollten. Wenn die Sonne hochsteht, ist es an warmen Tagen dort ziemlich unerträglich. Parallel im Schatten des Waldrandes verläuft der Neanderlandsteig. Da wären wir nicht so ins Schwitzen gekommen.“
     „Den Neanderlandsteig gehe ich nicht gerne. Es ist ja mehr ein Trampelpfad und da verhakt sich oft mein Langstock an herumliegenden Zweigen; oder der Weg ist einfach zu schmal, um den Stock schwingen zu lassen.“
     „Schon verstanden! Wenn wir öfter zusammen wandern, muss ich wohl noch einiges lernen.“
     „Wie kommst du denn darauf, dass wir zusammen wandern?“
     „Oh, ich habe den Eindruck, du magst meine Begleitung.“
     „Sag mal Jakob, eingebildet bist du gar nicht?“
     „Nee, ich finde nicht, dass ich eingebildet bin. Ich meine nur, wir sollten so oft wie möglich zusammen wandern. In meiner Begleitung kannst du auch in anderen Gegenden wandern, als immer nur auf den dir vertrauten Wegen.“
     „Und wenn ich dir sage, dass ich weder mit dir zusammen wandern will, noch Interesse daran habe in anderen Gegenden zu wandern?“
     „Ach mach mir nichts vor. Du freust dich, dass du Begleitung hast.“
     „Gut, nehmen wir an, ich will mit dir gemeinsam durch den Wald laufen. Nehmen weiterhin wir an, ich möchte mich dir anvertrauen, um fremde Wege zu gehen. Dann bleibt bei mir immer noch eine Frage offen. Hast du weiteres Interesse an mir, oder ist das alles, was du von mir willst? Es kommt doch nicht von ungefähr, dass du Kontakt zu mir aufnimmst.“
     „Ich habe weitergehendes Interesse an dir, aber das hast du dir sicher bereits gedacht.“
     „Es ist eigentlich nicht zu übersehen. Erst fängst du an mich zu grüßen, dann legst du deine Joggingstrecke so, dass du mehrmals täglich auf mich triffst. Das fällt doch jedem Blinden auf.“
     „Oh, ich dachte, du bist blind.“
     Rachel lachte schallend. „Das war wohl eine etwas sonderbare Wortwahl von mir“, antwortete sie, nachdem sie sich beruhigt hatte.

Sie erreichten das Tierheim und wechselten auf den Fußweg entlang des Hoxbachs. Je weiter sie sich vom Tierasyl entfernten, umso sonniger wurde der Weg. Obwohl es auch hier ziemlich heiß war, ließ es sich entlang des Bachs weitaus einfacher ertragen als auf dem Weg entlang des Bahndamms. Jakob beobachtete Rachel unauffällig, während sie nebeneinander den stillen Weg entlang gingen. Irgendwann ging ihm die Widersinnigkeit seines Tuns auf, neben ihm ging eine Frau, die seine Blicke nicht bemerkten konnte. Er nahm sich deshalb ausgiebig Zeit, sie zu betrachten. Sie war schlanker, als er gedacht hatte und soweit er es unter ihrer Bluse erkennen konnte, hatte sie kleine, wohlgeformte Brüste. Ihr Nacken war schön geschwungen und harmonierte fein mit ihren halblangen, offensichtlich naturblonden Haaren. Sie hatte ein jugendliches, wohlgeformtes, leicht ovales Gesicht. Die dunkle Brille vor ihren Augen störte das Gesamtbild. Er war sich sicher, er würde genug Gelegenheit finden, ihr Gesicht ohne Brille zu betrachten. Da sie eine dreiviertellange Hose trug, konnte sich Jakob über ihre Beine kein genaues Bild machen, aber da sie gut zu den Proportionen ihrer Figur passten, ging er davon aus, dass sie wohlgeformt und muskulös waren. Sie verließen den Weg entlang des Baches und tauchten wieder in den Schatten des Waldes ein. Hier war der Wald ziemlich licht und so wechselten Sonne und Schatten einander ab. Rachel drehte sich abrupt zu Jakob um. Es sieht aus, als würde sie mir genau ins Gesicht sehen, dachte er.
     „Nun Jakob, ich glaube, du hast meine Formen lange genug taxiert. Wenn dir nichts anderes einfällt, als mich begierig anzustarren, sollten wir uns jetzt und hier trennen! Wir vergessen den Tag einfach.“
     Jakob war total verdattert und fand keine Worte zu seiner Verteidigung.
     „Habe ich Recht? Oder gibt es einen anderen Grund für deine Schweigsamkeit? Pass auf, was du antwortest, sonst ist das das letzte Mal, dass ich mich mit dir unterhalten habe.“
     „Aber Rachel…“ Jakob geriet ins Stottern.
     „Mein Gott, Jakob! Ich mag nicht angestarrt werden. Und du bist im Irrtum, wenn du meinst, nur weil ich blind bin, bemerke ich das nicht. Ich kann dich gut leiden und es ist schön, mit jemandem gemeinsam zu wandern, mit dem ich mich beim Gehen unterhalten kann. Aber wenn du mich auf meinen Körper reduzieren willst, dann ist es besser, du gehst jetzt, und zwar sofort. Ich weiß, dass ich nicht hässlich bin. Aber das sollte für dich uninteressant sein. Vorerst zumindest!“
     Rachel ging einfach los und ließ ihn stehen. So war Jakob gezwungen sich zu beeilen, damit er wieder zu ihr aufschließen konnte.
     „Es war doch nicht böse gemeint, Rachel! Und du bist nicht nur nicht hässlich, du bist eine Schönheit.“
     „Und was soll das nun wieder bedeuten? Du bist ein Meister darin, das Falsche zu sagen. Dass du mich eine Schönheit nennst, zeigt doch nur, dass du total verknallt bist. Das Verknallen scheint deiner Sehschärfe geschadet haben. Meine Nase ist zu spitz, meine Lippen sind zu schmal, meine Brüste sind zu klein, mein Hintern sieht aus wie eine Kugel und meine Beine sind zu stämmig für meine Figur. Reicht das?“ Ihre Wut war eigentlich schon wieder verraucht und so fügte sie hinzu, „ich kann nur über sprechen oder berühren mit dir kommunizieren. Berühren ist noch zu früh, also bleibt nur sprechen.“
     „Und du kannst beurteilen, wie du aussiehst?“
     „Natürlich kann ich das beurteilen!“
     „Mir ist unklar, wie du zu diesen Erkenntnissen kommst, aber du täuschst dich, nach dir gucken sich die Männer um.“
     „Du redest Stuss!“
     „Es tut mir leid, Rachel. Ich wollte dich nicht verärgern, aber ich finde dich schon reizvoll, ja, du bist sogar sehr schön und weggucken ist doch auch Quatsch. Ich möchte vor allem, dass wir häufiger zusammen gehen können. Und mein Angebot gilt, ich möchte mit dir auch in anderer Umgebung wandern. Irgendwo, wohin wir mit dem Auto fahren.“
     „Du hast ein Auto?“
     „Ja.“
     „Was für ein Auto?“
     „Einen etwas älteren Opel, aber noch gut in Schuss.“
     „Quatsch keinen Unsinn! Ich meine welche Farbe.“
     „Metallic-grün.“
     „Gut, die Farbe passt zu meinen Haaren. Wann machen wir einen Ausflug? Und du weißt schon, wo ich mich nicht auskenne, musst du mich führen. Aber mit mir Hand in Hand zu gehen, dürfte dir eh nicht unangenehm sein. Und du musst mir ständig erklären, was du siehst, sonst macht es für mich keinen Sinn, irgendwo anders zu gehen, als hier.“
     „Ich werde mir das alles merken. Wie wäre es mit morgen?“
     „Wenn das Wetter mitspielt, gerne. Ich glaube, du solltest jetzt aber erst einmal üben, wie du mich führen musst, damit der Ausflug ein Erfolg wird. Du nimmst mich bei der Hand und führst mich nach Haselholt. Denk dir aus, welchen Weg du gehen willst. Sag mir aber nicht welchen Weg wir gehen. Du kannst einfach gehen, nur musst du aufpassen, dass du mich nicht in den Graben lenkst. Und wenn ein Hindernis vor uns auftaucht, sag mir Bescheid. Und erzähl mir etwas von dir, oder frag mich, was du von mir wissen möchtest.“
     Rachel hielt Jakob ihre Hand hin. Er nahm ihre Hand und ging los. Rachel benutzte ihren Langstock nicht mehr und versuchte sich an Jakobs Schritte anzupassen.
     „Klappt doch ganz gut mit dem Führen“, sagte Rachel, nachdem Jakob sie einige Zeit geführt hatte. Mehrmals hatte er sie weisungsgemäß auf Bodenunebenheiten und Schlaglöcher aufmerksam gemacht.
     „Wohnst du allein, Rachel?“
     „Ja natürlich, ich bin doch nicht behindert.“
     „So habe ich das nicht gemeint. Ich meinte, ob du mit jemand zusammen lebst.“
     „Ich habe längere Zeit mit einem Freund zusammen gelebt. Aber irgendwann ging das nicht mehr. Er hat mich einfach zu sehr vereinnahmt und eigentlich hatte ich schon einige Zeit den Eindruck, er bliebe nur bei mir, weil ich blind bin. Ich bin dann ausgezogen und seitdem wohne ich in Haselholt.“
     „Zeigst du mir deine Wohnung?“
     „Nicht heute, vielleicht morgen. Du kannst aber nur im Hellen kommen, denn in der Wohnung fehlt etwas, das du brauchst.“
     „Was denn?“
     „Du bist naiv. Kannst du dir das nicht vorstellen?“
     „Nee, sag schon.“
     „Mein Gott, ich bin blind, ich brauche keine Lampen. Die habe ich mir bisher gespart.“
     „Du hast gar keine Lampen?“
     „Doch eine im Bad, da hängt ein Spiegelschrank mit Beleuchtung und in der Küche ist eine Lampe in der Dunstabzugshaube. Und wie wohnst du?“
     „Ich wohne in Reißholtz in einem Haus mit meinen Eltern. Ich habe da ein Appartement im Souterrain mit eigenem Eingang. Und du führst den Haushalt allein. Mit kochen und so?“
     „Ja natürlich. Ich bin sogar eine ganz passable Köchin. Nur einmal in der Woche kommt meine Putzfrau vorbei. Ich sehe ja nicht, was schmutzig ist. Den Rest der Woche reinige ich die Wohnung auf Verdacht.“
     „Und wovon lebst du?“
     „Von meinem Gehalt natürlich, was hast du denn gedacht?“
     „Weiß nicht, ich bin gar nicht darauf gekommen, dass du arbeiten gehst. Und als was arbeitest du?“
     „Ich werte Tonmaterial aus.“
     „Wie, was? Tonmaterial?“
     „Du weißt schon, Stimmenrecorder und ähnliches, Mitschnitte von Telefongesprächen.“
     „Ist das denn legal?“
     „Schon, wenn es ein Richter genehmigt hat. Schließlich arbeite ich beim LKA.“
     „Du arbeitest beim Landeskriminalamt? Du bist Polizistin?“
     „Theoretisch bin ich Polizistin, aber eher kannst du das mit wissenschaftlicher Mitarbeiterin umschreiben. Am Steuer eines Streifenwagens wäre ich wohl eine Fehlbesetzung.“
     „Und welche Qualifikation ist zu deiner Arbeit erforderlich?“
     „Ich habe Phonetik studiert. Jetzt bin ich aber wieder mit Fragen an der Reihe. Kochst du auch selbst und hältst du deine Wohnung in Ordnung?“
     „Kochen ist nicht so mein Ding, obwohl alle, die ich schon einmal bekocht habe, sagen, ich könne gut kochen“, lachte Jakob. „Aber die Wohnung halte ich schon sauber. Ehrlich gesagt, ab und zu guckt meine Mutter nach dem Rechten. Wo wohnst du denn in Haselholt?“
     „Erlenweg 33; und du darfst mich bis zur Tür bringen. Aber nur bis zur Tür!“

Inzwischen waren sie in Haselholt angekommen und Jakob führte Rachel weiter an der Hand, warnte sie an den Bordsteinen und er fühlte sich sichtlich wohl dabei, mit Rachel Hand in Hand zu gehen. Dabei zerbrach er sich den Kopf darüber, mit welcher Ausrede er das Zusammensein verlängern könnte. Ihm fiel aber nichts ein und zu allem Überfluss steuerte Rachel nun zielstrebig ihrem Zuhause zu. Innerlich ärgerte er sich darüber, dass sie sich so gut im Stadtteil auskannte. Vor Rachels Tür angekommen, bat er sie um ihre Telefonnummer, die sie ihm auch ohne Umschweife diktierte. Da er zwar einen Kugelschreiber, aber kein Papier dabei hatte, schrieb er die Nummer auf seinen Arm. Er nannte ihr auch seine Telefonnummer, die sie sich umgehend einprägte. Dann verabredeten sie sich für den nächsten Vormittag. Jakob wollte schon um Zehn vor ihrer Tür warten, Rachel bestand aber auf elf Uhr und ließ sich auch nicht umstimmen. Zum Schluss verabschiedete sie sich für Jakob völlig überraschend mit einem nur dahin gehauchten Kuss und ließ ihn dann völlig verdattert auf der Straße stehen.

Am frühen Abend klingelte Rachels Telefon. Es war ihre Mutter, die sich nach ihr erkundigte. Rachel wollte sich nicht anmerken lassen, dass sie im Begriff war sich zu verlieben und so blieb sie wortkarg und antwortete nur einsilbig auf die Fragen nach ihrem Befinden. Das machte ihre Mutter misstrauisch, aber schließlich gelang es Rachel, ihre Nachfragen abzuwehren, indem sie ihr erzählte, sie würde morgen einen Ausflug mit Bekannten machen. Kaum war das Gespräch beendet, klingelte wieder das Telefon.
     „Bei dir kann man sich ja dämlich wählen, dauernd besetzt“, schallte es fröhlich aus dem Hörer, nachdem Rachel sich gemeldet hatte.
     „Ach du bist es, Jakob. Wir haben ja schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. Gut, dass du dich meiner erinnerst.“
     „Rachel bitte verspotte mich nicht, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich verzehre mich vor Sehnsucht nach dir.“
     „Jakob, du übertreibst. Wir kennen uns seit ein paar Stunden und du verlierst schon deinen Verstand.“
     „Nein, ich verliere nicht meinen Verstand. Ich wollte nur noch einmal deine Stimme hören.“
     „Dann wirst du jetzt ja deine Ruhe haben und in dieser Nacht ruhig schlafen können. Du hast meine Stimme gehört und wenn wir jetzt nicht Schluss machen, dann verpasse ich die Tagesschau. Ich freue mich auf morgen und ich freue mich, dass du angerufen hast, ich freue mich auf dich.“
     „Ich glaube ich habe mich verliebt. Und du guckst Tagesschau?“
     „Gucken ist wohl der falsche Ausdruck – hören passt besser. Meine Gefühle für dich wage ich noch nicht einordnen, aber es könnte so etwas wie verliebt sein. Bis morgen, Jakob.“
     „Bis morgen Rachel und schlafe gut.“

Sonntag wachte Jakob ungewöhnlich früh auf. Vorfreude erfüllte ihn. Als er aus dem Fenster sah, wuselte sein Vater bereits im Garten, genauso, wie es dessen langjähriger Gewohnheit entsprach. Wenn es das Wetter zuließ und nichts anderes anstand, fand man Jakobs Vater eigentlich immer im Garten. Jakob hatte sich sehr zum Missfallen seines Vaters nie für diese Art Beschäftigung begeistern lassen, und so hatte er irgendwann aufgehört, Jakob die Gartenarbeit nahezubringen. Heute fand es Jakob praktisch, seinen Vater im Garten zu sehen. So konnte er sein Aussehen von seiner Mutter begutachten lassen, ohne dass sein Vater das kommentieren konnte. Als Jakob sich frisch gemacht hatte (auf die Rasur verwendete er an diesem Morgen besondere Sorgfalt, da er hoffte, Rachel würde ihn küssen), sorgte er sich um seine Kleidung, sportlich sollte sie sein, Joggingklamotten waren ausgeschlossen. Zu den Wanderschuhen musste die Kleidung passen und da der Tag warm zu werden schien, musste sie luftig sein. Nachdem er mit seinem Outfit zufrieden war, ging er nach draußen und schellte bei seinen Eltern, um sein Aussehen begutachten zu lassen. Als die Mutter die Tür öffnete, drückte ihr Blick Erstaunen aus.
     „Was sehen meine trüben Augen, mein Sohn ist heute nicht zum Joggen unterwegs? Welche deiner diversen Liebschaften steckt dahinter?“
     „Ich bin zum Wandern verabredet. Und ich hoffe, dahinter steckt mehr als eine Liebschaft. Rachel ist etwas ganz Besonderes. Wie findest du mein Aussehen?“
     „So, so, Rachel. Na ja, zu meiner Zeit haben sich die Galane vornehmer gekleidet. Aber wenn ihr wandern wollt, dazu bist du ordentlich genug gekleidet, Rachel wird zufrieden sein. Bist du schon in Eile? Ansonsten frühstücke doch mit uns.“
     „Ach, ich habe noch Zeit. Und keine Sorge, Rachel kann meine Kleidung nicht beurteilen, sie ist blind.“
     „Dann setze die Eier auf. Ich kümmere mich darum, dass sich mein Heinz von seinen Blümchen losreißt. Und du hast genug Mut, eine Frau zu lieben, die ein Handicap hat?“
     „Hab ich, Mama!“
     „Jakob, meine Bemerkung ist ernst gemeint, sehr ernst! Wenn du nur ein schnelles Vergnügen suchst, dann lass es. Eine Frau mit einer Behinderung darf nicht für ein kurzes Abenteuer herhalten. Wenn du das tust, dann nimm dich in Acht vor mir.“
     „Mama, ich verhehle es nicht, ich bin verrückt nach Rachel. Du glaubst nicht, wie sehr ich hoffe, dass sie bereit ist, ihr Leben mit mir zu teilen.“
     „Mano man, dich hat’s aber schwer erwischt, mein Sohn.“

Das Frühstück verlief harmonisch. Bei seinen Eltern fühlte sich Jakob geborgen, zumal sein Vater seine üblichen bissigen Bemerkungen zum Lebenswandel seines Sohnes unterließ. Als sich das Frühstück dem Ende zuneigte, wurde es für Jakob Zeit sich auf den Weg zu machen. Eigentlich hätte er gerne noch mit seinem Vater zusammen den Abwasch gemacht, um das Zusammensein zu verlängern, aber die Zeit reichte nicht. So entschuldigte er sich für seinen schnellen Aufbruch und küsste die Mutter zum Abschied auf die Wange.

Am Erlenweg angekommen bemerkte Jakob, dass er viel zu früh losgefahren war. Er parkte vor dem Haus, sodass er die Haustür im Blick hatte. Im Radio ließ er seine Lieblings-CD abspielen. Er hoffte, dass Rachel diese Musik zusagte. Rachel öffnete überpünktlich die Tür und blieb dann unentschlossen mit ihrem Langstock in der Hand stehen. Jakob war begeistert von der Schönheit, die im Sonnenlicht vor der Tür stand, sportlich, aber durchaus schick gekleidet. Etwas unsicher ging Jakob Rachel entgegen und als sie ihn kommen hörte, glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Jakob setzte sein strahlendstes Lächeln auf, bis ihm auffiel, dass sie das nicht sehen konnte. Da er aber hoffte, sie würde bemerken, wie sehr er sich über ihr Erscheinen freute, lächelte er weiter. Als sie sich gegenüber standen, versuchte Jakob ihr einen Kuss zu geben. Rachel wandte ihr Gesicht etwas zur Seite und hielt ihm eine Wange hin. Beim Küssen legte Jakob seine Hände um ihre Taille und zog sie näher zu sich heran. Rachel ließ sich das offensichtlich gerne gefallen.
     „Hallo Jakob, du scheinst gutes Wetter bestellt zu haben. Bin ich zu spät?“
     „Nein, wir sind beide zu früh! Willst du deinen Stock wirklich mitnehmen?“
     „Eigentlich hast du recht. Du sollst mich ja führen. Aber verzeih mir, ich fühle mich sicherer, wenn der Stock dabei ist.“
     „Dann kommt er mit, der Stock, aber sonst niemand, außer uns Zwei“, lachte Jakob und führte Rachel zum Auto.
Rachel hörte, wie Jakob mit der Fernsteuerung den Wagen öffnete. „Darf ich allein die Tür aufmachen und allein einsteigen? Es ist nur, da ich so selbstständig wie möglich leben möchte.“
     „Solange du nicht selbst steuern möchtest, ist mir alles recht.“
     „Wohin geht die Reise?“ Fragte Rachel, nachdem sie im Wagen saßen und Jakob den Motor gestartet hatte.
     „Wir fahren an die holländische Grenze, in die Nähe von Brüggen.“
     „Da war ich noch nie, aber ich weiß die Richtung. Bis Mönchengladbach kenne ich mich aus. Ich sage dir, wie du fahren musst.“
     „Willst du mich veräppeln? Du kannst doch gar nicht sehen.“
     „Du wirst sehen! Jetzt fahr los. Richtung Hülsen und dann links abbiegen auf die Autobahn.“

Jakob fuhr los, von der CD erklang Es ist an der Zeit von Hannes Wader. Nachdem Es ist an der Zeit, verklungen war, erschallte aus den Lautsprechern Erinnerung. Zu Jakobs Überraschung summte Rachel die Melodie mit. Als er weisungsgemäß auf die Autobahn abgebogen war, sagte Rachel, er solle sich am Autobahndreieck links halten und Richtung Neuss fahren. Jakob fuhr nach ihren Anweisungen. Nach dem Uni-Tunnel den Rhein überqueren, am Autobahnkreuz rechts die Richtung nach Krefeld nehmen, lauteten Rachels nächste Anweisungen. Jakob konnte sich keinen Reim auf Rachels Ortskenntnis machen und meinte nur zu ihr, sie könne gut als Navi arbeiten. Punktgenau auf Höhe der Ausfahrt Mönchengladbach-Nord sagte Rachel, dass ihre Ortskenntnisse an dieser Stelle zu Ende seien. Beim Weiterfahren erklärte Jakob, dass es ab jetzt erheblich ländlicher werde. Die Autobahn senkte sich in das Schwalmtal und Jakob sagte, dass sie jetzt die Schwalm überquerten und dann gleich abfahren würden. Gleich hinter der Ausfahrt zeigte die Ampel rot und Jakob hielt an.

„Jakob, ich bin hier noch nie gewesen. Bitte, sage mir ab jetzt, wohin wir fahren und was du siehst.“ „Es ist nicht mehr weit und wir biegen jetzt als Erstes links ab. Wir kommen dann auf eine stark befahrene Landstraße, die an Brüggen vorbei in die Niederlande führt. Hinter Brüggen nimmt der Verkehr schnell ab.“ Die Ampel schaltete auf Grün und Jakob bog links ab. „Geradeaus wären wir zum Hariksee gekommen. Auch da kann man gut spazieren gehen, aber es ist dort am Wochenende ziemlich überlaufen und im Führen einer Blinden bin ich ungeübt. Wir fahren jetzt auf der Landstraße. Links und rechts breiten sich Felder aus, ab und zu stehen ein paar Häuser neben der Straße. Wir kommen jetzt wieder in das Schwalmtal. Die Schwalm fließt hier durch eine Auenlandschaft und dann durch Brüggen in Richtung Niederlande. Wir verlassen jetzt das Schwalmtal, stoßen aber gleich, nachdem wir Brüggen umfahren haben, wieder auf den Bachlauf und dann sind wir angekommen. Die Gegend dort heißt Schwalmbruch und die Straße führt durch den Wald.“

Rachel nickte zufrieden, weil sie fand Jakob erklärte gut. Jakob bremste ab und bog nach links auf einen ziemlich holperigen Weg ein. Nach einigen wenigen Metern parkte Jakob den Wagen und sagte, dass sie angekommen seien. Als sie ausstiegen, bemerkten sie, dass die Klimaanlage zu niedrig eingestellt gewesen war – die Wärme des Sommertages traf sie wie ein Keulenschlag. Nachdem sie sich kurz an die Wärme gewöhnt hatten, zog Jakob einen leichten Rucksack über und sagte zu Rachel, dass er nur etwas zu trinken im Rucksack habe, denn in der Heide wäre es sonnig. Jakob nahm Rachel bei der Hand und führte sie über einen Steg, dann entlang eines Weihers, über einen weiteren Steg zum Venekotensee. Er erzählte von der sie umgebenden Landschaft, erklärte ihr, dass die Seenlandschaft durch Auskiesung entstanden sei und er zu Anfang der Wanderung den Weg durch die Heide gewählt habe, dann liefe der Rückweg entlang der Schwalm und dort am Wasser sei es schattig, so wären sie der Nachmittagshitze nicht so sehr ausgesetzt. Eigentlich hätte Jakob lieber geschwiegen und sich ganz von seinen Gefühlen zu Rachel leiten lassen.
     „Richte es genauso ein, wie du es für richtig hältst. Aber ich hätte meinen Langstock nicht im Wagen lassen sollen, wenn wir nicht so eng beieinander gingen, würde es uns nicht so warm.“
     „Das wäre schade, denn deine Nähe tut mir gut.“
     „Mir geht es auch so und deshalb sollten wir das mit dem Beschreiben der Umgebung auf ein anderes Mal verschieben. Lassen wir einfach unseren Gedanken freien Lauf. Wenn wir zurück in Haselholt sind, erzähle ich dir, was ich gesehen habe.“
Jakob fühlte sich erleichtert und war gespannt, was Rachel alles sah, sagte aber nur, „wie du es möchtest.“
     „Ich durchschaue dich. Du bist froh, dass du den Mund halten kannst. Das Gerede über die Landschaft ist dir lästig.“

Wortlos zog Jakob sie zu sich heran und gab ihr einen ziemlich leidenschaftlichen Kuss. Rachel ließ das widerstandslos geschehen und lehnte sich, bevor sie weitergingen, bei Jakob an. Dabei fuhr Rachel Jakob mit dem Zeigefinger über die Lippen, ganz so, als wolle sie die Form der Lippen erforschen. Rachel hatte den Eindruck, als hätte Jakob die Lippen zum Lächeln verzogen. Schweigend gingen sie weiter. Den Geräuschen nach zu urteilen gingen sie am Rand einer Siedlung entlang. Ein Stück weiter kamen sie auf einen schattigen Weg, auf dessen einer Seite Rachel das Rauschen eines Waldes im Sommerwind wahrnahm, während sie rechts vom Weg Wasser wahrnahm. Stehendes Wasser, es gab keine Geräusche fließenden Wassers. Ein Stück weiter hörte Rachel, dass Leute im Wasser waren.
     „Kann man hier baden? Schade, ich habe keinen Badeanzug dabei.“
     „Baden würde ich hier nicht. Das ist doch das reinste Hundescheißufer und verboten ist es auch – steht zumindest auf den Schildern, die an den Bäumen befestigt sind. Wir können doch mal zusammen bei uns ins Strandbad gehen.“
     „Ach, da gehe ich öfter hin. Da braucht man aber keinen Badeanzug.“
     „Du kannst schwimmen?“
     „Ja sicher! Ich bin Blind, nicht unsportlich!“
     „Und du schwimmst da allein?“
     „Nein, es muss jemand mitkommen. Ich brauche jemanden der vor mir her schwimmt.“
     „Oh, da komme ich gerne mit.“
     „Warum? Weil ich im FKK-Bereich bade?“
     „Vielleicht, aber ich weiß schon wie nackte Frauen aussehen.“

Rachel gab ihm einen freundlichen Stoß vor die Brust. Animiert durch ihren lockeren Umgang, legte Jakob Rachel einen Arm um die Schulter. Sie gingen langsam weiter, während Jakob weiter seinen Arm auf Rachels Schulter ruhen ließ. An der nächsten Weggabelung nahm Jakob den Arm von Rachels Schulter und nahm sie wieder bei der Hand, denn sie kamen jetzt auf einen etwas schwierigeren Abschnitt des Weges, wo er sie lieber an der Hand führte. Der Weg stieg jetzt leicht an und die Landschaft wandelte sich von einem alten Laubwald in eine offene Heide- und Moorlandschaft. Rachel sah weite Heideflächen und modrig riechende Tümpel im gleißenden Sonnenlicht. Trotz eines leichten Sommerwindes war es sehr heiß, dennoch hielten sie ein kräftiges Tempo bei. Nach einigen Kilometern hielt Jakob an.
     „Ich führe dich jetzt über einen interessanten Bohlenweg. Dort hat man einen guten Überblick über das Moor und kann die Frösche beobachten. Der Weg ist etwas schmal, wir können nicht nebeneinander gehen. Du musst dich ein wenig hinter mir halten.“
     „Ich verlasse mich ganz auf dich. Du machst das wirklich gut.“

Jakob führte Rachel nach links. Der Bohlenweg verlief zu Anfang durch einen dichten Schilfgürtel. Rachel konnte diese Landschaftsform nicht einordnen, da diese Geräusche und Gerüche nicht in ihrem Erfahrungsschatz vorhanden waren. Danach führte der Weg über offenes Sumpfgelände und ging hinaus auf einen moorig riechenden Tümpel. Die Frösche veranstalteten einen höllischen Lärm und ließen sich nicht im Mindesten von den beiden einsamen Wanderern stören. Nachdem sie wieder auf den Wanderweg zurückgekommen waren, führte Jakob Rachel zu einer im Halbschatten liegenden Bank. „Komm, setzen wir uns kurz und trinken Wasser“, sagte Jakob. Als sie nebeneinander auf der Bank saßen, öffnete Jakob seinen Rucksack und reichte Rachel eine Wasserflasche. Sie trank ein paar große Schlucke und gab dann die Flasche an Jakob zurück.

„Ich glaube, es war eine gute Idee, heute hier hinzufahren. Gefällt es dir?“
     „Sehr.“
     „Wenn wir gleich weitergehen, kommen wir an einen Aussichtsturm. Möchtest du ihn besteigen? Ich erkläre dir dann, was es zu sehen gibt. Danach gehen wir zurück zum Auto.“
     „Ja, den Aussichtsturm möchte ich besteigen. Möchtest du nachher gleich nach Hause fahren?“
     „Ich habe keine Lust, dich einfach zu Hause abzusetzen.“
     „Darüber verhandeln wir später!“

Sie beendeten ihr kurzes Gespräch und kamen nach einer knappen halben Stunde an den Aussichtsturm. Als sie ihn bestiegen hatten, nahm Jakob das Gespräch wieder auf.
     „Wir können noch Station in Brüggen machen. Es gibt dort angenehme Restaurants und ich kann dir die Burg und die Mühle zeigen.“
     „Ins Restaurant, so durchgeschwitzt wie wir sind? Ich finde das nicht prickelnd!“
     „Es gibt eine Fischräucherei in der Nähe, wir können dort im Garten einen Imbiss nehmen. Oder wir kaufen geräucherte Fische und essen zu Hause.“
     „Bei dir oder bei mir?“
     „Du kannst auswählen.“
     „Gut, wir gehen zu mir. Es ist nicht unangenehm von einem sportlichen, jungen Verehrer nach Hause begleitet zu werden. Du wirst automatisch gehen, wenn es dunkel wird. Du weißt, ich habe keine Lampen.“
     „Gut, ich gehe, wenn es dunkel wird. Nur mit dem Jung, da sage ich dir gleich, das ist relativ. Ich bin ungefähr zehn oder zwölf Jahre älter als du.“
     „Ach mit dem Alter sehe ich das nicht so eng, mit Ende dreißig ist man auch noch jung. Ich meinte das mit dem Gehen nicht ganz ernst. Wenn ich den Fernsehapparat anmache, hast du Licht genug. Aber nicht, dass du meinst, es wäre bereits ausgemacht, dass wir miteinander schlafen. Dazu brauche ich Zeit. Das kann schnell oder langsam gehen.“
     „Du bist lieb und ob wir miteinander schlafen, ist hier auf dem Aussichtsturm nicht wichtig. Ich zeige dir jetzt, was du von hier aus siehst.“
     „Dann fang an.“
     „Also in dieser Richtung siehst du nach Holland. Der Blick geht über eine weite Heidefläche, hinter der ein Wald beginnt. Durch den Wald verläuft die Grenze und hinter dem Wald liegt der Ort Swalmen. Von hier aus gesehen schaut man rechts auf einen jungen Birkenwald, es wirkt fast, als wären wir in der Taiga.“
     „Du Spinner warst doch noch nie in der Taiga. Da kannst du mir viel erzählen.“
     „Oh, ich bin ein Freund von Reiseberichten, und im Fernsehen habe ich schon Bilder aus der Taiga gesehen. Aber weiter, drehe dich um neunzig Grad. Der Blick geht jetzt über die Schwalm, die hier vom Wald verborgen wird, in hügeliges Gelände, dort befindet sich ein alter Nato-Schießplatz, der in einen Naturpark umgewandelt wurde. Beim nächsten Mal können wir dort wandern.“
     „Wenn es ein nächstes Mal gibt.“
     „Darauf hoffe ich. Deine Anwesenheit tut mir gut. Also weiter, noch einmal neunzig Grad drehen und wir blicken auf Heide und Wald und noch einmal neunzig Grad, die Heide endet dort an der Alten Zollstraße. Schließlich wurde hier vor den Zeiten der EU kräftig geschmuggelt. Kaffee und Zigaretten und auch Butter waren in den Niederlanden erheblich billiger als bei uns. Zufrieden mit meinen Beschreibungen?“
     „Ja Jakob. Wenn wir jetzt weiter gehen, dann sprechen wir nicht mehr. Sonst hast du mir beim nächsten Mal nichts mehr zu erzählen.“
     „Mir fällt noch viel ein, was ich die zeigen kann. Aber wenn du deinen Gedanken nachhängen möchtest, schweige ich. Ich schlage vor, wir gehen zur Zollstraße und halten uns dann links in Richtung Venekotensee. Das ist der schattigste Weg zum Auto. Möchtest du noch einmal trinken?“
Jakob reichte Rachel die Wasserflasche bevor sie vom Turm herab stiegen und sich in Richtung Auto begaben. Der Weg war größtenteils angenehm schattig und da es meist leicht bergab ging, kamen sie gut voran. Das letzte Wegstück parallel zur Schwalm fühlte sich kühler an, aber trotzdem hatten beide den Eindruck, sie dampften, als sie das Auto erreicht. Jakob steuerte den Wagen über die stille Landstraße zur Räucherei und sie erstanden dort zwei noch warme, frisch geräucherte Saiblinge. Rachel schwieg noch längere Zeit. Jakob konnte ihre Verschlossenheit nicht einschätzen, der Grund dafür war im nicht klar. Kurz bevor sie die Autobahn erreichten, fand Jakob, sie hätten genug geschwiegen.
     „Wir sind gleich an der Autobahn, möchtest du Musik hören?“
     „Nein. Ich kann ja wieder Navi spielen.“
     „Lass nur, ich kenne den Weg gut. Was bedrückt dich, Rachel?“
     „Eigentlich geht es mich nichts an, aber ich habe dir viel über meine Lebensumstände erzählt und von dir weiß ich nur, dass du im Haus deiner Eltern wohnst. Du könntest dort mit Frau und Kind wohnen, oder mit einer Freundin und ich bin nichts weiter als ein Abenteuer zwischendurch.“
     „Um Gottes willen, Rachel! Mir kann man viel vorwerfen und ich sage dir ehrlich, meine Eltern nennen meine bisherigen Freundinnen, meine Liebschaften. Das liegt nicht daran, dass ich besonders viele Freundinnen hatte, aber es war bisher nie etwas, was die ersten Wochen überdauert hätte. Und wenn du mir nicht traust, fahren wir doch kurz bei mir vorbei – zur Kontrolle, ob ich allein wohne.“
     „Du redest Stuss! Dein Wort genügt mir. Was du vorher gemacht hast, soll deine Sache sein. Ich möchte nur sicherstellen, dass dein Versuch mir näherzukommen, nicht nur ein Abenteuer ist. Ob wir es länger miteinander aushalten, kann sowieso nur die Zukunft zeigen.“
     „Ich meine es ernst und ich sage dir, ich bin froh darüber, dass wir zu dir gehen. Ich will nicht, dass du in den Augen meiner Eltern eine weitere Liebschaft bist. Ich setze dich zu Hause ab, fahre kurz nach Hause zum Duschen und komme danach gleich zu dir.“
     „Den Weg kannst du dir sparen. Du kannst bei mir duschen – du darfst sogar als erster unter die Dusche. Du weißt ja, wer zuletzt duscht, der muss die Kabine reinigen.“
     „Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich bei dir unter die Dusche springe, mir ist es recht. Dann müssen wir nur noch klären, was wir zum Fisch essen. Nach der kräftigen Wanderung wäre mir Brot zu wenig.“
     „Ich hätte Kartoffeln anzubieten, passen doch dazu? Braten oder kochen wir sie?“
     „Bratkartoffeln wären nicht schlecht. Obwohl bei der Wärme?“
     „Gut, ich schäle die Kartoffeln, während du dich duschst. Und du brätst sie während ich unter die Dusche gehe.“

Danach schwiegen die beiden wieder, bis sie am Erlenweg ankamen. Rachel nahm ihren Langstock und ging voraus zur Haustür, während Jakob mit den säuberlich verpackten Fischen nachkam. Rachels Wohnung lag im ersten Stock. Sie stieg vor Jakob die Treppe hinauf, schloss die Wohnungstür auf und bat Jakob einzutreten. Jakob schaute sich in der Wohnung um und fand sie geschmackvoll eingerichtet. Rachel erklärte im, er möge bitte weder an Stühlen, noch am Tisch rücken, oder den Sessel verstellen, da sie sich die Standorte all dieser Dinge eingeprägt hätte. Dann zeigte sie Jakob die Dusche. Es sei ein bisschen eng im Bad, meinte Rachel, aber er brauche sich nicht zu genieren. Sie könne ja nicht sehen, wenn er nackt durch die Wohnung ginge. Jakob errötete, fand ihren Vorschlag aber durchaus vernünftig, da das Bad wirklich winzig war. Zieh dich ruhig im Schlafzimmer aus, werfe deine Klamotten auf das Bett und ein Badetuch findest du im Regal neben dem Bett, rief Rachel Jakob zu, bevor sie in der Küche verschwand. Als Jakob aus der Dusche kam, fand er Rachel in der Küche beim Kartoffelschälen. Auch sie hatte ihre durchschwitzte Kleidung abgelegt und war mit einem leichten Morgenmantel bekleidet. Sie lächelte ihn an und zu seiner Freude hatte sie ihre dunkle Brille abgelegt. Ihr Gesicht wirkte ohne die Brille noch hübscher und sie hatte herrliche blaue Augen, deren einzige Besonderheit war, dass sie aussahen, als würden sie ziellos durch den Raum in eine nicht auszumachende Ferne schauen.

„Deine Anziehsachen habe ich zum Lüften auf den Balkon gebracht. Binde dir das Badetuch um die Hüften. Das reicht als Kleidung, solange wir hier zusammen sind. Wenn du dich jetzt wieder anziehen würdest, wäre das Duschen sinnlos gewesen.“
     „Pingelig bist du wohl nicht? Du lässt einen nackten Mann in deine Wohnung und hängst auch noch seine stinkenden Klamotten auf den Balkon.“
     „Verdammt, ich lasse keine nackten Männer in meine Wohnung. Du warst schließlich angezogen, als ich dich hereingebeten habe. Und wie wir beide miteinander umgehen, ist ausschließlich unsere Sache. Ich habe die Kartoffeln geschält und gewaschen. Ich beeile mich mit dem Duschen, denn ich habe einen Mordshunger. Salz und Gewürze findest du im Hängeschrank, eine Pfanne im Schrank neben der Spüle. Die Küchengeräte hängen vor dir. Im Kühlschrank findest du eine Flasche Wein, wenn du mit mir etwas trinken möchtest. Aber denke daran, du bist mit dem Auto da.“
     „Den kurzen Weg nach Reißholtz packe ich leicht zu Fuß, wenn es sein muss.“

Rachel verschwand in der Dusche, während Jakob sich mit den Kartoffeln beschäftigte. Als Rachel die Badezimmertür hinter sich zuzog, fand sie es unangenehm stickig im Raum und ließ daher die Tür auf, während sie duschte. Danach reinigte sie methodisch die Duschkabine und ließ dabei ihre Haut an der Luft trocknen. Als Jakob die Bratkartoffeln fertig hatte, guckte er um die Ecke, ob Rachel bald käme. Er war überrascht sie völlig unbekleidet im offenen Bad stehen zu sehen. Rachels märchenhafte Schönheit überwältigte Jakob.
     „Du hast wohl vergessen, dass ein sehender Mann in deiner Wohnung ist, oder“?

     „Nun glotz nicht so Jakob. Du hast mir doch erklärt, du wüstest wie nackte Frauen aussehen. Reibe mir lieber etwas Lotion auf den Rücken. Aber nur auf den Rücken, betatschen mag ich nicht.“
     „Mach ich auch nicht. Ich bin ein lieber Junge.“
     „Jetzt mach schon hin. Wir hätten die beiden Fische filetieren sollen, dann hätten wir es gemütlicher beim Essen.“
     „Ich kann ja die Kartoffeln warm halten, bis wir die Fische fertig haben.“
     „Gut, aber jetzt reibe mir den Rücken ein. Ich will hier nicht Wurzeln schlagen.“

Nachdem Jakob Rachel den Rücken eingerieben hatte, schickte Rachel ihn in die Küche, damit er die Fische filetierte. Sie richtete ihre Frisur etwas her, zog sich ihren Morgenmantel wieder über und deckte den Tisch. Als sie zusammen alles auf dem Tisch aufgebaut hatten, goss Jakob den Wein in die beiden bereitgestellten Gläser. Rachel tastete nach der Bratpfanne, bat Jakob seinen Teller nah an die Pfanne zu halten und platzierte geschickt eine Portion Kartoffeln auf Jakobs Teller. Danach bediente sich Rachel selbst und bedeutete Jakob, er möge die Fische verteilen. Jakob war erstaunt, mit welcher Geschicklichkeit sie am Tisch hantierte. Sie tranken jeder einen Schluck Wein, der Jakob etwas zu süß war, aber sonst hervorragend schmeckte. Als sie gegessen hatten, räumte Rachel den Tisch ab. Jakob stand vom Tisch auf und während Rachel das Geschirr wusch, trocknete Jakob ab.

„Wir könnten uns mit dem Rest unseres Weins auf den Balkon setzten, aber in diesem Aufzug kämen die Nachbarn auf dumme Gedanken. Warten wir damit lieber bis es dunkel ist.“
     „Meine Sachen sind sicher bereits genug gelüftet, wenn du sie hereinholst, ziehe ich mich an.“
     „Nein Jakob, lassen wir es so wie es ist. Ich möchte nicht, dass wir uns jetzt anziehen.“
     „Du verwirrst mich. Wenn wir wirklich miteinander schlafen sollten, nur rein theoretisch, dann möchte ich wissen, ob du verhütest.“
     „Rein theoretisch, mein Gott! Noch geschwollener geht es wohl nicht! Wir reden um den heißen Brei herum, seit wir uns kennen. Ja, ich verhüte, aber das spielt im Moment eine untergeordnete Rolle. Du glaubst doch nicht im Ernst, du kannst jetzt mit mir schlafen, ohne dass du ein Kondom benutzt. Dazu kennen wir uns noch nicht gut genug. Der Schutz des Kondoms wirkt in beide Richtungen, das solltest du wissen. Hast du Kondome dabei?“
     „Nein, ich habe nicht damit gerechnet, dass ich sie brauchen könnte. Soll ich nach Hause fahren und Kondome holen?“
     „Gut, dass Frau vorsorgt. Kondome findest du in meiner Nachttischschublade. Aber das hat noch Zeit und ich weiß nicht, ob wir heute wirklich so weit kommen. Es ist eben etwas umständlicher mit einer Blinden. Bevor ich mit dir schlafe, muss ich dich sehen. Also beherrsche dich. Auch wenn dir das überflüssig erscheinen mag, ich kann nicht mit dir schlafen, bevor ich dich gesehen habe. Ich weiß, wir möchten uns lieben, aber du musst mir die Zeit geben, die ich benötige. Es ist ja auch nur beim ersten Mal so. Ich weiß auch, dass es durch dieses Vorspiel zum Schluss nur einen schnellen Fick geben wird, aber wie gesagt, es ist nur beim ersten Mal so, danach sind wir gleichberechtigte Partner.“
     „Gut, gut. Ich verstehe, aber darf ich dich während deiner Erkundungen berühren?“
     „Schon, aber sei vorsichtig. Es wäre doch schade, wenn du deinen Höhepunkt bereits hinter dir hättest, wenn ich so weit bin.“

Als Rachel das Geschirr eingeräumt hatte, nahm Jakob sie in den Arm. Langsam bewegten sie sich in Richtung der zweisitzigen Couch, die dem Fernsehgerät gegenüber stand. Sie setzten sich so, dass ihre Oberkörper einander zugewandt waren. Rachel begann sofort mit ihren Fingern Jakobs Gesicht zu erforschen. Sie fing genau, wie sie es in der Heide getan hatte, bei seinen Lippen an. Rachel folgte der Form von Jakobs Lippen, wanderte dann mit den Fingern entlang der Nase zu den Augenbrauen, befühlte seinen Haaransatz, streichelte die Haare und glitt dann mit beiden Händen entlang seines Nackens. Jakob, der sich bis dahin zurückgehalten hatte, stöhnte leise und öffnete den Gürtel ihres Bademantels. Rachel unterbrach einen Moment ihre Erkundungen und ließ den Bademantel von ihren Schultern herunterrutschen. Jakob berührte mit einer Hand ihre kleinen, festen Brüste und ließ die andere Hand auf Rachels Oberschenkel ruhen. Dabei verhielt er sich möglichst ruhig, einerseits um seine Begierde in Zaum zu halten, andererseits, um Rachel Gelegenheit zu geben, ihn zu sehen. Rachel setzte ihre Forschungsreise fort. Ihre Hände glitten entlang Jakobs Brust, umkreisten die Brustwarzen, glitten entlang der Arme zum Rücken. Von den Schulterblättern aus glitten Rachels Finger entlang Jakobs Wirbelsäule und trafen auf das immer noch um Jakobs Hüften gewickelte Badetuch. Sie löste das Badetuch und erhob sich, Jakob an der Hand haltend. Sie standen sich jetzt gegenüber, eng aneinander gepresst. Rachel führe ihre Finger dabei über Jakobs Pobacken und hielt dann ganz still. Jakob löste sich aus der Umklammerung, er trug Rachel auf den Armen zum Bett. Vorsichtshalber öffnete Jakob die Nachttischlade und bereitete ein Kondom vor. Dann wandte sich Jakob Rachel zu und begann sie intensiv zu streicheln. Als er eine Hand zwischen ihre Schenkel legte, merkte er, dass sie sehr feucht war. Geschickt drehte sich Rachel so, dass sie mit dem Oberkörper zwischen Jakobs Beinen zu liegen kam. Jakob fühlte ihre Brüste auf seinem Bauch und spürte ihre Lippen auf seiner Brust. Er merkte, dass es bei ihm kein Halten mehr gab, auch Rachel fiel das auf. So richtete sie sich auf, griff nach dem Kondom und streifte es geschickt über seinen erigierten Penis. Sie rollte sich neben ihn und Jakob begann gefühlvoll in sie einzudringen. Es war so, wie Rachel es vorher gesagt hatte, kaum war er in sie eingedrungen, war es auch schon vorbei. Jakob blieb still auf ihr liegen. Rachel streichelte sanft Jakobs Rücken. Die Dämmerung trat ein. Noch erhoben sie sich nicht, es war, als wollten sie den Zauber festhalten.
     „Für einen schnellen Fick, um deine Worte zu gebrauchen, war es ganz schön heftig.“
     „Ich weiß Jakob. Du hast lange durchgehalten. Zeitweise hatte ich schon den Eindruck, ich würde dich mit meinem Sehen überfordern. Aber wenn du weiter interessiert sein solltest, es wird nicht anders, als bei anderen Paaren auch. Wenn du nicht weiter interessiert bist, Jakob, dann geh bitte jetzt, sofort!“
     „Jetzt ist es an mir zu sagen, du redest Stuss! Es ist jetzt dunkel, wir können uns auf den Balkon setzen. Möchtest du?“
     „Ja, ich schütte den Rest Wein ein und vielleicht sollten wir mit dem Anziehen noch warten. Der Abend ist noch lang.“

So wickelte Jakob sich wieder in das Badetuch und Rachel zog den Morgenmantel wieder an. Auf dem Balkon saßen sie Hand in Hand, tranken am Rest des Weines, ab und zu flog ein landendes Flugzeug mit eingeschalteten Landescheinwerfern an ihnen vorbei und aus der Ferne hörten sie das Rauschen der Autobahn. Sie wechselten kaum ein Wort und als sich die Gläser leerten, zog Jakob Rachel sanft, aber bestimmt in Richtung Schlafzimmer. Sie setzte seinem Verlangen keinerlei Widerstand entgegen und diesmal wurde es ein langer Liebesakt, bei dessen Vorspiel es Rachel Jakob sogar erlaubte, sie kurz oral zu befriedigen. Bei dieser Art des Liebesspiels wurde Rachel von der Angst überrumpelt, Jakob könnte im Nachhinein Zweifel an ihren moralischen Werten bekommen. Geschickt verstand Rachel es, sich mit einer Drehung Jakobs Liebkosungen zu entziehen und ihn durch ihre eigenen Aktivitäten begierig zu machen. Jakob war zu diesem Zeitpunkt schon so weit erregt, dass für ihn Rachels Stellungswechsel keinerlei Bedeutung mehr hatte. Nach dem Liebesakt lagen beide noch lange nebeneinander auf Rachels Bett. Von ferne hörten sie eine Glocke elf Uhr schlagen.

„Du musst sagen, wenn ich gehen soll.“
     „Du kannst bleiben, ich habe eine Woche frei. Ich kann ausschlafen.“
     „Aber ich muss raus, wenn ich bleibe, musst du den Wecker stellen. Dann ist nichts mit dem Ausschlafen.“
     „Wann musst du fort?“
     „Um sieben muss ich spätestens weg. Ich muss mich ja noch umziehen, bevor ich zur Arbeit fahre.“
     „Dann stelle ich den Wecker auf sechs. Reicht das?“
     „Ja, aber dann sollten wir jetzt schlafen.“

Sie schliefen bald darauf ein. Der Nachtwind wehte durch die offene Balkontür und nahm etwas von der Hitze des Tages. Als um sechs der Wecker rasselte, merkte Jakob, dass er allein im Bett lag. Er brauchte einige Zeit, bis er begriff, wo er war. Dann hörte er Rachel in der Küche rumoren. Er stand auf und ging in die Küche. Rachel lächelte ihn an, sie hatte ihm eine Tasse Kaffee ein geschüttet und ein Brot geschmiert.
     „Du solltest dich anziehen, bevor du das Haus verlässt. Deine Sachen liegen im Wohnzimmer. Ich hoffe, es ist hell genug, damit du dich zu Recht findest. Wenn nicht, bleibt nur noch die Lampe im Bad.“
     „Es geht schon“, Jakob biss vom Brot ab und trank einen Schluck Kaffee.
     „Als was arbeitest du eigentlich? Dir muss ich wohl alles aus der Nase ziehen.“
     „Ich bin Ingenieur und kümmere mich um die Abwasserkanäle.“
     „Ach du Scheiße. Du beschäftigst dich mit Scheiße.“ Rachel brach in schallendes Gelächter aus, in das Jakob einstimmte.
     „Was treibst du heute, bis ich zurückkomme?“
     „Wer sagt denn, dass du zurückkommen darfst? Ich gehe nachher in den Wald. Am Mittag treffe ich mich mit einer Freundin, die zeigt mir ihr neuestes Kind. Eine kleine Hannah. Wir essen dann zusammen.“
     „Und wo bleibe ich?“
     „Das kann ich dir sagen. Jetzt wo ich einen Begleiter habe, gehe ich zum Schwimmen an den See. Kannst du spätestens um sechs hier sein?“
     „Ich kann nicht! Aber ich bin um sechs vor deiner Tür – ohne Badehose.“

Als Jakob ging, begleitete Rachel ihn zur Tür. Sie küssten sich noch einmal und der Abschied endete in einer leidenschaftlichen Umarmung. Liebevoll, aber bestimmt löste sich Jakob aus der Umarmung. Jakob ging die Treppe herunter und als er sich umblickte, sah er Rachel, noch immer nackt, auf dem Treppenabsatz stehen. Ein Anblick, der sich für immer in Jakobs Gedächtnis einbrannte.

Rachel nahm sich Zeit an diesem Vormittag. Eine gewisse Unruhe, ob es richtig war, so schnell mit Jakob zu schlafen, machte sich in ihr breit. Immer noch zweifelte Rachel, ob sie Jakob nicht entschlossen hätte abwehren müssen, als dieser seine Lippen auf ihre Scham drückte. Aber Rachel beschloss, sich deswegen keinen Kopf zu machen. Sollte es ein Fehler gewesen sein, dann war das jetzt sowieso nicht mehr zu ändern. Wenn Jakob ihren freien Umgang mit ihm falsch verstanden haben sollte, dann solle er sich einfach zum Teufel scheren, schade, aber das wäre in diesem Fall unumgänglich. Sie hatte Zeit, so widmete sich ohne viel Enthusiasmus der Wohnungspflege. Da ihre Putzhilfe erst am Donnerstag kam, wollte sie die Wohnung so ordentlich, wie irgend möglich herrichten, damit Jakob es gemütlich hatte, wenn er nach dem Besuch des Strandbads noch Lust verspürte, mit ihr heraufzukommen. Leise nannte sie sich selbst eine dumme Kuh. Als hätte ein verliebter Gockel Interesse an ihrer Wohnung. Der interessierte sich doch sowieso nur für ihre Wäsche und das, was es darunter zu entdecken gab. Rachel sah die Unsinnigkeit ihrer Beschäftigung ein und machte sich auf in den Wald. Sie ging nur die kleine Runde und machte sich danach fertig, um ihre Freundin Susanne zu treffen. Sie überlegte, ob sie mit dem Bus fahren solle, entschied sich dann aber die paar Kilometer zur Fußgängerzone von Benrode zu Fuß zu gehen. Als Rachel in der Fußgängerzone ankam, schlug es gerade zwölf. Da sie noch etwas Zeit hatte, bummelte sie einmal die Fußgängerzone herauf und wieder hinunter. Ihr kam die Idee etwas für den Abend zu kaufen, nur für den Fall, dass Jakob zum Essen blieb. So kaufte sie auf dem Wochenmarkt einen Kopf Salat und beim Metzger zwei Koteletts. Rachel wurde bewusst, dass es sehr warm war, so bat sie die Verkäuferin, die Koteletts später abholen zu dürfen. Als sie aus der Metzgerei kam, lief Rachel Susanne direkt in die Arme. Da sie sich recht häufig trafen, hielten sie sich nicht lange mit Formalitäten auf und einigten sich darauf, beim Italiener eine Kleinigkeit zu essen. Es waren nur wenige Schritte bis zum Restaurant. Susanne las Rachel die Speisekarte vor, Rachel entschied sich für Lasagne und Susanne wählte Pizza Salami. Während sie auf das Essen wartenden, bat Rachel die kleine Hannah auf den Arm nehmen zu dürfen. Susanne hob das Kind aus dem Kinderwagen und legte es Rachel in den Arm. Das Kind im Arm haltend, tastete sie mit der freien Hand das Gesicht von Hannah vorsichtig ab. Das kleine Wesen in ihrem Arm schlief ruhig weiter und Rachel überkam die Sehnsucht nach einer eigenen Familie.
     „Ich fühle mich von biblischen Namen umzingelt. Wenn ich mich jetzt besser in der Religion auskennen würde, wüsste ich, ob Rachel Hannah jemals im Arm gehalten hat.“
     „Ich kenne mich da auch nicht aus. Es war Jochens Wunsch, das Kind Hannah zu nennen.“
     „Ich finde den Namen schön. Wenn ich jemals eigene Kinder haben sollte, orientiere ich mich vielleicht auch an der Bibel.“
     Der Kellner servierte das Essen und Susanne legte die Kleine zurück in den Kinderwagen. „Zum Glück schläft sie. Wenn sie es drauf hat, kann sie ein ganzes Stadtviertel zusammen brüllen.“
     „Und sonst kommst du gut zurecht?“
     „Jetzt, wo Hannah durchschläft, ist das Leben wieder angenehmer. Die erste Zeit war ganz schön nervig.“
     „Wenn ich das so höre, verzichte ich doch vielleicht lieber auf eigene Kinder.“
     „Wie wäre es der Reihe nach vorzugehen? Erst ein Mann und dann ein Kind.“
     „Weiß nicht, vielleicht ist ein Mann nur lästig, wenn man sich um ein Kind kümmert.“
     „Ganz Unrecht hast du da nicht! Ich habe oft den Eindruck, dass Jochen sich an den Rand gedrängt fühlt. Obwohl er eigentlich keinen Grund dazu hat, ich mag seine Nähe sehr.“
     „Sobald Hannah nicht mehr so viel Aufmerksamkeit benötigt, ändert sich das sicher wieder.“
     „Hoffentlich! Aber sag, du wirkst seit unserem letzten Treffen verändert. Du machst den Eindruck, als seist du glücklich.“
     „Dazu ist es noch zu früh. Ich habe einen Mann kennengelernt – am Samstag.“
     „Wie, so ganz plötzlich? Oder über ein Internetportal?“
     „Nein, durch Zufall. Er hat mich im Wald angesprochen.“
     „Im Wald angesprochen. So ein Zufall aber auch!“
     „Nein, kein Zufall. Wir sind uns schon des Öfteren begegnet. Er joggt oft und ausdauernd.“
     „Das passt ja gut. Du wanderst, er joggt. Und sonst habt ihr keine Gemeinsamkeiten?“
     „Doch! Wir haben gestern einen Ausflug gemacht und sind gemeinsam gewandert. Er kann wundervoll erklären, was es unterwegs zu sehen gibt und er hat den gleichen Musikgeschmack wie ich.“
     „Du lässt es hoffentlich langsam angehen. Ich weiß noch, wie enttäuscht du warst, als deine letzte Liebe zerbrach.“
     „Dazu ist es bereits zu spät. Er hat bei mir übernachtet.“
     „Das nenne ich dann Liebe auf der Überholspur.“
     „Ob es richtig oder falsch war, wird die Zukunft zeigen. Du brauchst es ja nicht gleich hinaus zu posaunen, dass ich einen Mann kennengelernt habe. Vor allem, kein Wort gegenüber meinen Eltern, bitte!“
     „Ich behalte es für mich. Nicht einmal Jochen wird davon erfahren. Der verplappert sich sonst noch, wenn er deine Eltern trifft.“

Der Rest des Essens verlief einsilbig und nach dem Essen hatte es Rachel plötzlich eilig, sie wollte allein sein und hätte dabei fast vergessen, die Koteletts beim Metzger abzuholen. Rachel nahm den Bus, um nach Hause zu kommen. Als sie zu Hause ankam, war es noch nicht einmal drei Uhr. Sie nahm den MP3-Player und setzte sich auf den Balkon. Die Zeit verging nur langsam. Bereits um vier legte sie die Strandmatten und zwei Frotteetücher bereit. Danach wartete sie auf Jakob. Die Zeit zog sich bleiern dahin. Mehrmals stand Rachel auf und hörte nach unten, aber auf der Straße tat sich natürlich nichts. Rachel ging noch einmal zum Briefkasten, obwohl sie bei ihrer Rückkehr festgestellt hatte, dass ihr Briefkasten leer war. Kurz nach fünf klingelte unerwartet die Türglocke. Rachel betätigte die Gegensprechanlage und hörte aus dem Lautsprecher zu ihrer völligen Überraschung die Frage, ob er vielleicht nicht willkommen wäre. Hocherfreut betätigte Rachel den Türöffner und als Jakob den Treppenabsatz erreicht hatte, merkte sie, dass sie vor Erregung zitterte. Die Umarmung fiel leidenschaftlich aus. Erst nach geraumer Zeit ließen die beiden voneinander ab. Jakob folgte Rachel ins Wohnzimmer. Rachel drehte sich zu Jakob um und kuschelte sich an seine Brust.
     „Ich habe dich noch gar nicht erwartet. Es ist doch gerade erst fünf Uhr vorbei.“
     „Soll ich vielleicht wieder gehen und später wiederkommen?“
     „Ich warne dich! Wenn du jetzt gehst, brauchst du dich nie wieder bei mir sehen lassen!“
     „Nein, nein, freiwillig gehe ich bestimmt nicht. Kann ich ein Glas Wasser haben? Danach können wir von mir aus losgehen.“
     „Komm mit in die Küche.“ Rachel schüttete ein Glas Wasser ein. „Ich habe schon alles bereitgelegt, damit wir gleich loskönnen. Soll ich eine Flasche Wasser mitnehmen?“
     „Ja, mach das, ich bin tierisch durstig. Hast du eine Sporttasche? Dann haben wir nicht so viel einzelne Teile.“
     „Oben auf dem Dielenschrank liegt meine Sporttasche, darin kannst du die paar Teile leicht unterbringen. Gehen wir gleich los!“

Jakob griff nach der Tasche und packte Frotteetücher und Wasserflasche ein. Die Strohmatten passten nicht ganz hinein, Jakob ließ sie auf einer Seite aus der Tasche ragen. Sein Portmonee legte er mit seinen Ausweispapieren auf den Wohnzimmertisch, nachdem er das nötige Kleingeld entnommen hatte. Rachel nahm ihren Langstock und drängte Jakob aus der Wohnung. Auf der Straße legten sie einen flotten Schritt vor und erreichten noch vor sechs Uhr das Strandbad. „Wir haben jetzt zwei Stunden Zeit bis das Bad schließt, beeilen wir uns, dass wir ins Wasser kommen“, rief Rachel Jakob zu. Zielstrebig fand sie den Weg zum FKK-Bereich. Obwohl es unter der Woche war, war das Bad gut besucht. Rachel bat Jakob nach einem geeigneten Liegeplatz Ausschau zu halten. Als er einen geeigneten Platz ausgemacht hatte, führte er Rachel dorthin. Er breitete die Strohmatten aus und rollte die beiden Frotteetücher zu Kopfstützen zusammen. Rachel zog sich derweil aus und Jakob dachte, dass er gerade jetzt lieber allein mit ihr wäre, behielt das aber für sich. Als er sich selbst ausgezogen hatte, ließ er sich auf der Matte nieder. Rachel kramte derweil in den Seitenfächern der Tasche und zog eine Flasche Sonnenmilch heraus. Jakob cremte ihr hingebungsvoll den Rücken ein. Als er damit fertig war, ließ er sich von Rachel den Rücken eincremen. Sie verteilte danach Sonnenmilch auf ihrem Körper, während ihr dabei Jakob mit lustvollen Blicken zusah. Trotz ihrer Blindheit schaffte sie es, die Flasche zielsicher Jakob zuzuwerfen. Der fing die Flasche überrascht auf und verteilte anschließend Sonnenmilch auf Brust, Armen und Beinen, während Rachel es sich auf der Matte bequem machte. Als Jakob fertig war, legte er sich neben sie.
     „Mach es dir nicht zu bequem, wir sind zum Schwimmen hierhergekommen, nicht zum Faulenzen.“
     „Ich trinke nur etwas Wasser, dann gehen wir schwimmen.“
     „Du führst mich bitte zum Wasser. In dem Gewusel von Menschen komme ich allein nicht zurecht. Sobald wir so tief im Wasser sind, dass wir schwimmen können, schwimmst du los – aber nicht zu schnell. Wenn du zu langsam schwimmst, melde ich mich. Und schwimme nicht zu elegant, das macht zu wenig Geräusch, denn an deinen Schwimmgeräuschen orientiere ich mich. Wir schwimmen erst einmal zu den Außenbalken und dann können wir entlang der Außenbalken ein paar Längen hin und her schwimmen.“

Jakob führte Rachel im Zickzack um die überall ausgebreiteten Badelaken und –liegen. Er hielt kurz inne, damit Rachel den Übergang zwischen Liegewiese und dem tieferliegenden Sandstrand ertasten konnte, wo Kinder spielten. Auch um diese führte er sie herum. Am Ufer blieb Jakob wieder kurz stehen, aber Rachel zog ihn weiter. Im Wasser half er ihr über die Abgrenzung zwischen Nichtschwimmer- und Schwimmerbereich. Sie mussten noch einige Meter weiter gehen, bis das Wasser tief genug zum Schwimmen war. Jakob war verärgert darüber, wie einige der Sonnenden Rachel unverschämt angeglotzt hatten, als er sie durch das Gewimmel führte. Er behielt das aber für sich, der Zauber, den Rachels Anwesenheit auf ihn ausübte, überwog alle negativen Gefühle und vielleicht täuschte er sich auch und das Geglotzte bezog sich auf ihre herausragende Schönheit. Rachel ließ Jakobs Hand los und bedeutete ihm, er solle schwimmen. Jakob planschte extra laut beim Schwimmen, damit Rachel ihm folgen konnte. Anfangs schwamm er auf dem Rücken, drehte sich aber in die Brustlage, als er bemerkte, dass Rachel eine sichere Schwimmerin war. Das Wasser war angenehm warm, sodass sie fast eine Stunde im Wasser blieben. Zwischendurch legten sie an den Außenbalken kleine Pausen ein, die sie zu ausgiebigen Liebkosungen nutzten. Zurück an Land ließen sie sich ermattet auf der Matte nieder und hielten sich bei den Händen. Langsam leerte sich das Bad und so genossen beide, dass es ruhiger wurde.
     „Hast du heute Abend etwas vor, Rachel?“
     „Ja.“
     „Schade, ich dachte, wir verbringen den Abend miteinander.“
     „Habe ich denn etwas davon gesagt, dass ich den Abend ohne dich verbringen möchte?“
     „Nein, aber ich hatte gefragt, ob du etwas vorhättest.“
     „Ja, habe ich auch. Ich möchte dich bekochen und du darfst dabei helfen.“
     „Was gibt es denn zu essen?“
     „Koteletts und Salat.“
     „Einverstanden, wenn du Brot im Haus hast.“
     „Hab ich nicht! Aber was hindert uns daran, im Supermarkt Brot zu kaufen?“
     „Schaffst du den Umweg über den Supermarkt noch?“
     „Warten wir ab, wer von uns beiden ausdauernder ist!“

Nachdem Rachel und Jakob gemeinsam das Abendessen zubereitet hatten, saßen sie am Küchentisch und aßen mit gutem Appetit die Koteletts und den Salat. Rachel reichte das, um satt zu werden. Jakob aß noch eine Scheibe Brot dazu.
     „Rachel, ich habe eine Überraschung.“
     „Ich mag keine Überraschungen, die verunsichern mich.“
     „Und wenn dir sage, dass ich mir für den Rest der Woche Urlaub genommen habe?“
     „Das ist etwas anderes. Ist das wahr?“
     „Ja!“
     „Und wir werden die Woche zusammen verbringen? Oder hast du noch andere Freundinnen in petto? Das Wort Liebschaft nehme ich lieber nicht in den Mund.“
     „Mach mich nicht ärgerlich, Rachel. Ich bin nicht so, wie du es gerade andeutest. Ich bin eine treue Seele. Und im Moment kann ich sowieso nur an dich denken.“
     „Das will ich dir auch raten. Wenn ich deine Aussage jetzt in die Kurzfassung bringe, heißt das, wir werden die Woche gemeinsam verbringen, oder?“
     „Genau das meine ich mit Überraschung. Am liebsten wäre es mir, wenn wir Tag und Nacht zusammen wären.“
     „Vermissen dich deine Eltern nicht?“
     „Denen habe ich, bevor ich vorhin zu dir kam, erzählt, ich würde für den Rest der Woche verreisen.“
     „Eine wahrhaft weite Reise – von Reißholtz nach Haselholt. Du musst wissen, Jakob, in der Ausdrucksweise meiner Vorfahren ist das, was ich mit dir treibe, der Vorgang, den man mit Sie erkannte ihn als ihren Mann umschreibt. Mir ist es ernst mit uns beiden. Ich weiß zwar noch nicht, ob aus der Beziehung etwas Dauerhaftes wird, aber ich habe den festen Willen, es zu versuchen. Bitte spiele nicht mit mir.“
     „Jetzt liegt es bei mir, ach du Scheiße zu sagen. Ich habe mich in eine Frau verknallt, deren Volk von der Generation meiner Großeltern ausrotten werden sollte. Nein Rachel, wenn du den Verdacht hast, ich würde mit dir spielen, dann schick mich lieber gleich weg, dann ist es weniger schmerzhaft.“
     „Ist ja gut Jakob, wer spricht denn hier von wegschicken? Ich möchte, dass wir es miteinander versuchen. Ich kann nicht sagen, dass ich dich liebe. Das braucht Zeit. Aber ich bin verliebt in dich, da kannst du dir sicher sein. Liebe ist eine andere Ebene. Es wäre schön, wenn es dazu käme. Es ist aber nicht so, dass ich zu einem andern Volk gehöre. Ich bin Deutsche genauso wie meine Eltern, wenn wir zusätzlich auch einen israelischen Pass haben. Ich lebe nicht nach den Gesetzten der Religion, ich esse Schweinefleisch, das hast du eben gesehen und ich bin nicht Mitglied der Kultusgemeinde.“
     „Schon immer?“
     „Meine Eltern leben relativ streng nach den Gesetzen und Regeln der Thora. Sie gehen zwar nur an hohen Feiertagen zur Synagoge, aber was das Essen betrifft – streng koscher. Ich habe mich das letzte Mal zum Gang in die Synagoge überreden lassen, als ich sechzehn war.“
Jakob erhob sich vom Tisch und stellte sich an das Fenster. „Ich möchte dir trotzdem meine Einstellung zum Holocaust darlegen. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt das Recht habe, dich zu lieben.“
     „Jakob hör auf, du hast jedes recht mich zu lieben! Es ist unnötig mir deine Einstellung zu erklären. Du bist genauso wenig für die Shoah verantwortlich, wie ich. Wenn du mir jetzt nicht erklärst, dass du einer rechten Partei angehörst oder gar Antisemit bist, gibt es zwischen uns nichts zu erklären. Für meine Großeltern war ha Shoah – die Katastrophe – eine ständige Bedrohung. Für mich zählt nur, ob wir uns der Verantwortung stellen oder nicht. Wir tragen keine Schuld an diesen Verbrechen, aber unser Wissen weiterzugeben, das ist unsere verdammte Pflicht.“ Rachel stellte sich neben Jakob ans Fenster. Sie suchte seine Nähe und streichelte ihn sanft. „Aber eins ist klar, ob ich religiös bin oder nicht, alle Kinder, die du mir machst, sind Juden, ganz automatisch.“
     „Wieso das?“
     „Jeder Mensch, der von einer jüdischen Mutter geboren wird, ist Jude. So ist das Gesetz.“
     „Du meinst die Gesetze der Religion. Aus dem Bürgerlichem Gesetzbuch stammt das sicher nicht.“
     „Natürlich ist die Religion gemeint. Ist doch klug gedacht, denn von wem ein Kind ist, kann mit letzter Sicherheit nur die Frau sagen. DNA-Tests gab es bei der Festlegung der Gesetze noch nicht. Da kann man leicht behaupten der Vater sei ein Jude. Nun komm, lass uns kuscheln.“
     „Erst die Pflicht, dann die Kür.“
     „Pflicht?“
     „Ja natürlich. Erst der Abwasch, dann geht es in die Heia.“
     „Mein Gott, bist du immer so konsequent?“
     „Ich glaube schon. Zumindest dann, wenn ich in einer Wohnung ohne Beleuchtung hantieren muss.“

Nach dem Abwasch war Jakob sehr nachdenklich und versuchte mit seinen Gedanken ins Reine zu kommen, er setzte sich in den einzigen Sessel des Wohnzimmers. Rachel stellte sich hinter ihn und legte ihre Hände auf seine Schultern. Jakob griff nach ihren Händen und hielt sie fest.
     Rachel hatte Jakobs veränderte Stimmung bemerkt. „Ist etwas nicht in Ordnung? Habe ich etwas Falsches gesagt?“
     „Doch, alles ist in Ordnung“, Jakobs Stimme klang belegt.
     „Nun sag schon, wo der Schuh drückt.“
     „Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hattest du vor unserer ersten Nacht, schon länger keinen Sex mehr. Und ich bin auch schon einige Monate solo.“
     „Ja und was sagt uns das?“
     „Dass wir noch in dieser Woche zum HIV-Test gehen sollten.“
     „Mein Gott, Jakob. Sag doch gleich, um was es geht. Möchtest du einen anonymen Test? Dazu müssen wir zum Gesundheitsamt. Ich kann aber auch versuchen, für übermorgen einen Termin für uns zur Blutabnahme bei meinem Hausarzt zu bekommen. Ich habe einen guten Draht dorthin.“
     „Wie lange dauert es, bis das Ergebnis feststeht?“
     „Vier Tage? Glaube ich zumindest.“
     „Das wäre Anfang kommender Woche. Dann ruf morgen sofort bei deinem Arzt an.“
     „Jakob, ich glaube, dich hat es schwer erwischt!“
     Ganz plötzlich erhob sich Jakob und zog Rachel in seine Arme. „So etwas wie mit dir habe ich noch nie erlebt.“ Da es dunkelte, konnte Jakob Rachels Gesicht nicht so genau erkennen, meinte aber, ihr Gesichtsausdruck sei spöttisch.
     „Verdammt, quatsch nicht rum, sag einfach, dass du mich ficken willst.“
     „Du weißt schon, dass du eine sehr drastische Sprache hast, Rachel?“
     Rachel zog Jakob ins Schlafzimmer, wo sie sich auf ihr Bett legte. „Ich habe vielleicht eine drastische Sprache, aber nur wenn wir unter uns sind. Ich mag kein Drumherumgerede. Wenn wir vögeln wollen, brauchen wir keine blöden Begriffe wie Beischlaf. Und sollten wir uns länger lieben, dann Jakob, werden wir unsere eigenen Worte dafür finden und du wirst diese Worte nie wieder von mir hören. Wenn du mich wirklich willst, dann fang endlich an.“

Jakob streichelte sie zwischen den Oberschenkeln und öffnete ihr die Hose. Je mehr beim Entkleiden Rachels nackte Haut freigelegt wurde, umso intensiver nahm Jakob den Duft wahr, den er wahrgenommen hatte, während Rachels nasse Haut nach dem Schwimmen trocknete. Er hörte mit dem Entkleiden auf, als er die Knöpfe von Rachels Bluse geöffnet hatte. Jakob beeilte sich selbst aus den Kleidern zu kommen, bevor er sich zu Rachel legte. Er griff unter Rachels geöffnete Bluse, froh, dass bei ihren kleinen Brüsten der BH ein überflüssiges Kleidungsstück war. Die leichte Massage der Brüste animierte Rachel. Sie drehte sich leicht auf die Seite, legte eine Hand auf Jakobs Schamhaare und legte die andere Hand um seine Hoden. Jakob hatte den Eindruck, als hätte Rachel ihre Hand zu einem Nest geformt und seine Eier darin geborgen. Leise stöhnend erhob er sich, um sich neben sie zu hocken. Er küsste sie auf den Bauch und als seine Lippen sich ihren Schamhaaren näherten, begann Rachel ihm seinen Rücken zu streicheln. Rachel spürte seine Zunge nahe ihrer Klitoris, sie öffnete ihre Schenkel und Jakob stimulierte ihre Klitoris mit seiner Zunge. Nach einem Kon­domtütchen fingernd, sagte Rachel. „Wir hätten die Tüte vorher öffnen sollen, dann brauchten wir den Zauber jetzt nicht zu unterbrechen.“ „Ich küsse dich weiter, während du das Gummi vorbereitest.“ Rachel mühte sich mit dem Tütchen ab, während Jakob seine Lippen auf Rachels Vulva presste. Als Rachel es geschafft hatte, Jakob das Kondom überzuziehen, lagen sie lange ineinander verschlungen zusammen. Sie drehten sich ein paarmal um sich selbst, aber das fiel ihnen im Eifer kaum auf. Später lagen sie nebeneinander auf dem Bett, hielten sich bei den Händen und küssten sich ab und zu. Der Abend war schon weit fortgeschritten, als Rachel Lust darauf verspürte, den Rest des warmen Tages auf dem Balkon zu verbringen. Jakob war einverstanden und da es in der Wohnung stockdunkel war, musste Rachel ihn auf den Balkon führen. Auch dort war es so dunkel, dass Jakob Rachel nur schemenhaft wahrnahm. So konnte er Rachel die Sorge nehmen, ein neugieriger Nachbar könne bemerken, dass sie nackt waren. Rachel ging nach einiger Zeit in die Küche und kam mit einer Flasche Bier zurück. „Das ist außer Leitungswasser das einzige Getränk, das noch im Haus ist. Möchtest du ein Glas dazu oder können wir direkt aus der Flasche trinken?“ Jakob meinte, es ginge ohne Glas und so tranken sie abwechselnd aus der Flasche.

Als Jakob am Morgen erwachte, fiel es ihm wiederum schwer sich zu orientieren. Erst als er die um das Bett herum verstreuten Kleidungsstücke bemerkte, wurde ihm klar, wo er sich befand. Er hörte, dass Rachel duschte. Obwohl die Kabine mehr als eng war, zwängte er sich zu Rachel unter die Dusche. Sie drehte das Wasser ab und seifte Jakob ein. Sofort überkam Jakob wieder die Leidenschaft und er versuchte in Rachel einzudringen. In der Enge der Kabine war das eine sinnlose Bemühung. Rachel beendete das Spiel, indem sie beherzt das kalte Wasser aufdrehte – nicht ohne ein Kondom, dachte sie. Sie entwand sich Jakobs Umarmung, schlüpfte aus der Duschkabine und versetzte ihm einen Klaps auf den Po. „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort - große nach neun Monaten“, sagte sie, während sie sich in ihr Badetuch wickelte und in Richtung Küche entschwand. Sie rief ihm zu, er solle sich beeilen, das Frühstück wäre bald fertig. Kurz bevor Jakob aus dem Bad kam, hörte er Rachel telefonieren. Der Duft von Kaffee und geröstetem Toastbrot stieg ihm in die Nase. Als er in die Küche kam, schenkte sie den Kaffee ein. Sie setzten sich an den Tisch und Jakob trank ganz vorsichtig einen Schluck vom heißen Kaffee und widmete sich dann seinem gekochten Ei.

„Du hast schon telefoniert?“
     „Ja, ich habe für uns beide einen Termin gemacht. Morgen früh um acht. Früh aufstehen heißt das. Vielleicht gehst du besser heute Abend zu dir nachhause, da schläfst du besser.“
     „Nein, das geht auch hier ausgezeichnet.“
     „Ich meinte schlafen, nicht beischlafen“, lachte Rachel.
     „Rachel, ich liebe dich sehr.“
     „Papperlapapp, du verwechselt da etwas. Du bist geil auf mich, das ist etwas anderes als Liebe. Das mit dem Geil gilt übrigens auch für mich.“
     „Doch ich liebe dich“, beharrte Jakob.
     Rachel schüttelte den Kopf. „Jakob, wenn ich das wenige, was ich von dir weiß, richtig interpretiere, ist es doch so. Deine Beziehungen enden immer dann, wenn der Alltag einkehrt. Zu Anfang, so wie jetzt bei uns, ist es der Reiz des Neuen. Unser ganzes Denken und Wollen besteht darin, wie man schnellstmöglich dem Anderen die Kleider vom Leib reißen kann. Ob eine Beziehung eine Chance auf Dauerhaftigkeit hat, entscheidet sich dann, wenn diese Phase vorüber ist.“
     „Du magst recht haben, wenn du von meinen bisherigen Beziehungen sprichst, aber mit dir ist es etwas anderes“, widersprach Jakob recht heftig.
     „Jakob, es besteht kein Grund zur Aufregung. Ich spüre, dass du es ehrlich mit mir meinst. Aber alles, was nach der Geilheit kommt, muss wachsen.“ Rachel legte eine kurze Pause ein, trank einen Schluck Kaffee und als Jakob etwas einwenden wollte, bedeutete sie ihm mit einer energischen Geste, er möge schweigen. „Du hast doch sicher beim Joggen schon einmal dieses alte Paar bemerkt, dass fast täglich im Wald spazieren geht und sich dabei fast immer dabei unterhält. Du bist natürlich zu schnell an dem Paar vorbei, um mitzubekommen, worüber sie reden. Ich jedoch bekomme Teile der Gespräche mit, zumindest wenn ich in die gleiche Richtung gehe. So weiß ich inzwischen, dass die beiden Leute schon über fünfzig Jahre ein Paar sind. Und wenn sie sich über gemeinsame Erlebnisse austauschen, spielt sich das Ganze oft in den sechziger Jahren ab. Mensch überleg mal, da waren wir beide noch flüssig. Ich würde davon ausgehen, dass es sich in diesem Fall um Liebe handelt, vielleicht ist auch noch Leidenschaft dabei im Spiel, aber bestimmt hat das nichts mehr mit Geilheit zu tun.“
     „Uff, das war jetzt eine lange Rede, Rachel. Und wenn ich jetzt sage, ich bin bereit, den Versuch zu unternehmen, zu erfahren, was nach der Geilheit kommt?“
     „Dann, mein lieber Jakob, lassen wir es doch gemeinsam versuchen.“

Beide schwiegen einige Zeit und konzentrierten sich auf das Frühstück. Jakob war tief beeindruckt von Rachels Feststellungen. Noch nie hatte eine seiner Freundinnen so zu ihm gesprochen. Ihm ging auf, was seine Eltern mit Liebschaften meinten. Ihm war so viel daran gelegen, Rachel nahe zu sein. Im Moment hatte Jakob den Eindruck, als könne er ohne Rachel nicht weiterleben. Tief bewegt streckte er eine Hand nach Rachel aus. Rachel lächelte ihn an.
     Jakob holte tief Luft und setzte an, „Rachel, ich möchte noch einmal auf, ach wie hieß das Wort noch, dass du für Holocaust benutzt hast?“
     „Shoah – ha Shoah!“
     „Genau! Du sagtest, dass deine Großeltern Überlebende der Shoah seien.“
     „Ja. Die Eltern meines Vaters und die Mutter meiner Mutter.“
     „Und haben sie dir davon erzählt?“
     „Wenig – zu wenig. Sie hätten mich nicht so im Doofen lassen sollen. Aber das beklagen auch meine Eltern. All mein Wissen über ha Shoah, habe ich mir selbst angeeignet. Dabei ist doch meine Familie Teil dieser Geschichte.“
     „Und wie ist der Vater deiner Mutter dem Geschehen entgangen?“
     „Er war kein Deutscher. Er war ein sephardischer Jude aus Bayonne.“
     „Und was ist ein sephardischer Jude?“
     „Die Sephardim sind Juden, die ursprünglich in Spanien beheimatet waren, wo sie im Mittelalter vertrieben wurden. Wie genau, weiß ich nicht, aber irgendwie sind wohl seine Vorfahren im Baskenland hängen geblieben. Unseren Zweig des Judentums nennt man übrigens Aschkenasim oder aschkenasische Juden.“
„Und hat er dir erzählt, wie es ihm ergangen ist?“
     „Und ob. Der war gar nicht zu bremsen. Als die Deutschen Frankreich besetzten, hat er sich nach Spanien abgesetzt. Das war wohl kein Problem für ihn, da er neben Französisch auch Spanisch und Baskisch sprach. Später hat er sich dann der Résistance angeschlossen.“
     „Du hast eine interessante Familiengeschichte, muss ich sagen.“
     „Ja, nach und nach wirst du mehr darüber erfahren. Aber auch du wirst mir die Geschichte deiner Familie erläutern müssen. Jetzt widmen wir uns lieber näherliegenden Problemen. Wir müssen für diese Woche einkaufen gehen. Die einfache Frage lautet, erst einkaufen oder erst laufen?“
     „Ich schlage vor, wir setzen uns ins Auto und besorgen Vorräte für den Rest der Woche. Danach geht’s in den Wald. Ich möchte gerne joggen und du gehst wie gewohnt deine Runde. Dabei treffen wir immer wieder aufeinander“, Jakob schaute Rachel aufmunternd an. Er war wieder darauf hereingefallen, dass er vergessen hatte, dass er einer Blinden gegenüber saß. „Rachel, jetzt habe ich wieder den Fehler gemacht, ich schaue dich an, um deine Meinung zu erfahren und du kannst das gar nicht sehen.“
     Rachel antwortete lachend. „Das wächst sich aus, Jakob. Das sind Anfängerfehler. Aber ich bin einverstanden. Wir fahren zum Einkauf.“
     „Findest du allein den Weg zu Peters Biergarten? Wir könnten uns dort nach Wandern und Joggen treffen. Dadurch hätte ich die Möglichkeit, einmal um den See zu joggen.“
     „Ich finde zum Biergarten, aber wir treffen uns vor dem Eingang. Im Innenbereich bin ich allein unsicher. Nun mach hin, erst spülen, dann einkaufen. Hast du denn deine Joggingklamotten dabei? Das Täschchen, das du gestern hier eingeschmuggelt hast, kann doch höchstens Unterwäsche enthalten.“
     „Du hast das mit der Tasche bemerkt? Es ist wohl nicht so einfach dich hinters Licht zu führen?“
     „Nee, da musst du geschickter sein.“ Wieder lachte Rachel.
     „Meine Joggingsachen habe ich im Auto gelassen. Es sollte ja nicht gleich so aussehen, als wolle ich hier einziehen.“

Als sie vom Einkaufen zurück waren, war es bereits ziemlich warm. Trotzdem machten sie sich auf den Weg. Rachel in leichter Kleidung, Wanderschuhen und mit Langstock, Jakob hatte sich in die Joggingausrüstung geworfen. Rachel bat ihn schon einmal loszulaufen, während sie noch den Müll nach unten brachte. An der Haustür traf Rachel auf die Bewohnerin des Erdgeschosses. „Ach Frau Cohen. Sie haben jetzt einen Hausgenossen?“ fragte diese süffisant. „Davon weiß ich nichts, Frau Müller. Ich habe Besuch, wenn sie das meinen.“ Rachels Stimme klang eisig. „Ich meinte ja auch nur, dass sie die Wohnung als Single gekauft haben.“ „Habe ich und wenn sich meine Familie vergrößert, dann, aber erst dann, Frau Müller, werden sie es als erste erfahren.“ Rachel drehte sich um und ließ die Nachbarin wortlos an der Haustür stehen. Wutentbrannt lief sie los. Rachel war so wütend, dass sie am liebsten um sich geschlagen hätte. Hausgenosse! Diese blöde, fette, alte Büffelkuh erklärt mir dreimal in der Woche, was im Haus erlaubt und verboten ist und jetzt kontrolliert sie auch noch mein Sexualleben. Sie entschied sich den Tag nicht durch das blöde Gerede verderben zu lassen und vor allen Jakob nichts davon merken zu lassen. Das flotte Gehen im Wald brachte sie wieder zur Ruhe und als sie noch auf die beiden Alten traf, war der Tag für sie gerettet. Heute unterhielten sich die beiden über die Zustände in der Nachkriegszeit. Durch die positiven Ereignisse der letzten Tage beflügelt, beschloss Rachel die Beiden anzusprechen. Als Rachel die Alten erreichte, verlangsamte sie ihren Schritt.
     „Guten Tag, ein schöner warmer Tag.“
     „Das finden wir auch“, antwortete die Frau bereitwillig. „Sie sind eine fleißige Geherin.“
     „Oh ja, ich brauche das.“
     „Wir auch!“ Antwortete diesmal der Mann.
     „Wir haben bemerkt, sie haben sich mit dem freundlichen Jogger angefreundet“, sagte die Frau.
     „Sie sind ein schönes Paar“, vervollständigte der Mann.
     „Finden sie? Ich kann das leider nicht sehen, aber ich fühle mich wohl in seiner Nähe.“
     Obwohl es dem Mann offensichtlich schwerfiel, seiner Frau beim Sprechen zuvorzukommen, sagte er schnell, „oh ja, sie sind ein schönes Paar.“
     Inzwischen kam Jakob angetrabt und hielt an. „Ich dachte, du wolltest wandern und jetzt finde ich dich beim Tratschen“, bemerkte er lachend.
     „Nimm dich zusammen, Jakob! Immerhin sprechen hier Wanderexperten miteinander.“
     „Oh, dann will ich nicht stören.“ Jakob lachte und trabte wieder los.
     „Darf ich fragen wie alt sie sind?“
     „Wir sind gleich alt und zusammen sind wir hundertfünfzig Jahre alt.“
     „Oh, da dachte ich immer, meine Eltern sind schon sehr alt. Ich möchte sie nicht beleidigen, aber aus meiner Richtung gesehen sind Menschen jenseits der Fünfzig aus der Zeit gefallen.“
     Der Mann hatte diesmal keine Chance zu Wort zu kommen. „Das macht uns nichts aus, der Mensch ist so alt, wie er sich bewegt und wie er denkt.“
     „Danke, dass sie mir meine flapsige Bemerkung nicht krumm nehmen.“
     „Ich glaube, zwischen ihnen und dem jungen Mann kann sich eine Liebe entwickeln. Sie sehen ja, bei uns klappt das Zusammenleben immer noch. Der Gesprächsstoff geht uns auf jeden Fall nicht aus. Wir wünschen ihnen viel Glück.“
     „Danke, ich glaube, es hat schon eingeschlagen bei uns. Aber jetzt muss ich weiter, sonst kriege ich nachher noch einmal einen Rüffel. Auf Wiedersehen.“
     „Auf Wiedersehen“, antworteten die beiden Alten fast synchron.

Rachel legte einen schnellen Schritt vor und ging erst wieder etwas langsamer, als sie die Abzweigung zum Biergarten hinter sich hatte. Da sie sich auf diesem Weg nicht sehr gut auskannte, ging sie auf dem diesem Teil der Strecke lieber etwas vorsichtiger. Gut aus kannte sie sich hier nicht, aber sie wusste, dass der Weg ging immer geradeaus ging. Der Biergarten befand sich einige hundert Meter hinter einer Autobahnunterführung auf der linken Seite des Weges. Der Weg war zwar bis kurz vor dem Biergarten identisch mit dem Weg zum Strandbad, aber da sie dahin nie allein gegangen war, fühlte sie sich unsicher. Sie war froh, als sie hörte, dass Jakob ihr entgegenkam. Dankbar nahm sie wahr, dass Jakob ihr die Hand reichte. Im Biergarten führte Jakob Rachel an einen im Schatten liegenden Tisch. „Darf ich bestellen?“ „Gerne. Das vereinfacht die Sache.“ „Süß oder salzig, liebes?“ „Kuchen wäre schön.“ Als die Bedienung kam, bestellte Jakob eine große Flasche Wasser, zwei Stücke Apfelkuchen mit Sahne und zwei Tassen Kaffee. Die Beiden saßen schweigend nebeneinander, bis serviert wurde. Dabei hielten sie sich an den Händen, Jakob schaute Rachel verliebt an. Vorsichtig, damit Rachel es nicht bemerkte.

„Kanntest du deinen aus Bayonne stammenden Großvater gut? Ich frage das, weil ich schon mehrmals in Bayonne war.“
     „Er ist zwar bereits vor fünfzehn Jahren gestorben, aber ich kann mich gut an ihn erinnern. Er war ein Unikum. Der konnte schimpfen, wie ein Rohrspatz und wurde gerügt, da er in meinem Beisein ungeniert mit Schimpfworten um sich warf. Deshalb schimpfte er im Zweifel auf Französisch. So lernte ich mein erstes Wort Französisch – merde. Da Opa es benutzte, verwendete ich es auch gerne und häufig. Oma und auch meine Eltern waren entsetzt und versuchten mir das auszutreiben.“
     „Weißt du, was ihn ins Rheinland verschlagen hat?“
     „Da habe ich keinen Schimmer. Da er immer da war, war seine Anwesenheit für mich so selbstverständlich, dass ich mir über seine Herkunft keine Gedanken gemacht habe. Wir können aber meine Eltern danach fragen.“
     „Würde es dir gefallen, einmal nach Bayonne zu fahren?“
     „Ja, warum nicht. Meine Möglichkeiten zu Reisen sind ja eher begrenzt. Es muss immer eine Begleitung dabei sein.“
     „Du hast jetzt eine Begleitung.“ Jakob zog Rachel zu sich heran.
     „Nicht so hastig. Noch ist unsere Beziehung nicht gefestigt. Wir lassen es auf uns zukommen. Morgen gehen wir zum Test, das ist schon einmal ein gutes Zeichen. Was auf keinen Fall sein darf, Jakob – ich will nicht, dass sich noch einmal so etwas wiederholt, wie das, was ich dir von meiner letzten Beziehung erzählt habe.“
     „Ich will dich glücklich machen, Rachel. Und ich werde alles dafür tun, damit du es wirst.“
     „Jakob, warte doch einfach ab, wie es sich entwickelt. Ich glaube dir deine ganzen guten Absichten. Mach es doch nicht komplizierter, als es ist. Wir tun im Moment alles, uns eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Und genau deshalb gehen wir morgen zum Test.“
     Jakob griff nach Rachels Händen. „Du bist so furchtbar nüchtern.“
     „Wenn du meinst, unsere letzte Woche sei von Nüchternheit geprägt gewesen, dann erklär mir doch jetzt einmal, was Leidenschaft ist.“ Rachel lachte und so gut sie es konnte, tat sie, als würde sie verliebt gucken.

Nach dem HIV-Test waren Jakob und Rachel noch einmal zur Fischräucherei gefahren. Jakob hatte zwei frische Saiblinge erstanden und am Abend zubereitet. Da das Wetter angenehm warm war, aßen sie auf dem Balkon. Rachel war begeistert von Jakobs Kochkünsten. Er hatte wohl stark untertrieben, als er ihr erzählt hatte, er könne ganz passabel kochen. Nach dem Essen bestand sie darauf, den Abwasch allein zu machen. Sie saßen noch bis lang in die Nacht auf dem Balkon und unterhielten sich dabei leise und intensiv. Nachdem sie zu Bett gegangen waren, taten sie das, was sie in den vorherigen Nächten getan hatten, sie liebten sich leidenschaftlich. „Ich erkenne dich als meinen Mann“, flüsterte Rachel in Jakobs Ohr, nachdem ihre Leidenschaft befriedigt war.

Der Rest der Woche verlief in geordneten Bahnen, sie lebten zusammen, sie schliefen zusammen und genossen die Zeit. Dann kam der Sonntag. Jakob wurde früh wach und hielt ganz still, während er Rachels ruhigem Atem zuhörte. Verlustangst stieg in ihm auf. Sie hatten vereinbart, dass Jakob am Abend nach Hause fuhr. Das war vernünftig, das wusste er. Er brauchte frische Wäsche, beide mussten zeitig zur Arbeit und Rachel hatte noch hinzugefügt, sie brauche Zeit, um ihre Gefühle zu ordnen. Trotz des, sich andeutenden Trennungsschmerzes versprach der Tag harmonisch zu verlaufen und als Rachel erwachte, war Jakobs Gefühl der Missstimmung sofort wieder verschwunden. Sogar als ihm einfiel, dass Rachel am Montag keine Zeit hatte, stellte sich bei ihm kein schlechtes Gefühl ein. Sie hatten am vergangenen Abend bereits besprochen, am Dienstag nach der Arbeit gemeinsam das Testergebnis abzuholen und egal, wie es ausfiel, Abend und Nacht miteinander zu verbringen.

Nach dem Frühstück zeigte Rachel keine große Lust etwas zu unternehmen. Begründen konnte sie das nicht. Aber sie kuschelte sich leidenschaftlich an Jakob und führte ihre Finger unter Jakobs T-Shirt an seinem Rücken entlang. Obwohl sie jetzt bereits eine Woche lang täglich miteinander geschlafen hatten, stieg auch in Jakob Leidenschaft auf. Als Rachel sich nach langem Vorspiel intensiv mit seinem Penis beschäftigte und sogar Lippen und Zunge zur Stimulation einsetzte, war Jakob nicht mehr zu halten. Sie liebten sich ohne weitere Umschweife direkt im Wohnzimmer auf dem Teppich. Sogar ein Kondom hatte Rachel bei sich gehabt. Im Laufe des Tages taten die Beiden fast nichts anderes, als ich immer wieder zu lieben. Als der Nachmittag zu Ende ging und die Zeit der Trennung näher rückte, gingen beide noch einmal gemeinsam unter die Dusche. Jakob schmiss sich in seine Joggingsachen, Rachel wollte sich auch anziehen, um Jakob zum Auto zu begleiten. „Bitte bleib nackt, Rachel. Damit ich dich so in Erinnerung halte.“ Rachel nickte lächelnd und zog ihren Slip umgehend wieder aus. Bereits an der geöffneten Wohnungstür stehend schloss Jakob Rachel noch einmal leidenschaftlich in die Arme. Sie flüsterte ihm zu, „das wollen wir uns jetzt aber nicht zur Gewohnheit werden lassen.“ An der Haustür angekommen drehte sich Jakob um, er sah Rachel mit einem strahlenden Gesicht auf dem Treppenabsatz stehen. Er winkte ihr zu, bemerkte seinen Fehler sofort und rief stattdessen, „noch einen schönen Abend, Liebste!“

Rachel ging in die Wohnung zurück, zog sich an und gab sich dringender Aufräum- und Putzarbeiten hin. Du willst doch nicht, dass dein Neuer dich für eine Schlampe hält, redete sie sich ein, damit sie nicht zu schnell die Lust an der öden Arbeit verlor. Fast wäre sie in lautes Lachen ausgebrochen, als ihr aufging, dass Jakob, zumindest im derzeitigen Zustand, kaum einen Blick für den Zustand ihrer Wohnung hatte. Rachel biss sich auf die Lippen, um den nötigen Ernst für die bevorstehenden Arbeiten aufzubringen. Zum Glück hat meine Putze am Donnerstag das Treppenhaus geputzt, sonst wäre sicher wieder ein Anschiss von der Müller fällig. Dieser Gedanke brachte Rachel in Wut und umso verbissener widmete sie sich ihrer Wohnung. Sie holte kurz Luft – Rachel, nun mach keinen Quatsch, gehe methodisch vor, sonst weißt du nach kurzer Zeit schon nicht mehr, wo du schon gereinigt hast. Als Rachel einmal rund durch alle Zimmer geputzt und gewienert hatte, bezog sie das Bett neu und füllte die Waschmaschine. Da der Abend schon etwas fortgeschritten war, verschob Rachel das Waschen auf Montag. Kurz vor der Tagesschau brachte Rachel den Müll nach unten. Sie hörte Frau Müller an der Haustür rumoren und stieg, unwillig zu hören, was die Müller zu sagen hatte, die Treppe herunter. Sie versuchte ihr freundlichstes Lächeln aufzusetzen, was nicht ganz gelang.
     „Guten Abend Frau Müller“, brachte Rachel, so freundlich es ging, über die Lippen.
     „Guten Abend Frau Cohen. Ist ihr Besuch abgereist?“
     „Ja, warum?“
     „Ach, ich dachte nur, wo er doch ein hiesiges Autokennzeichen hat, warum er so lange bei ihnen bleibt.“
     „Können sie sich das denn nicht denken? So alt sind sie doch noch nicht, dass sie das vergessen haben.“ Rachel hielt sich zurück und dachte nur – die blöde Kuh.
     „Es interessiert mich ja nicht, wer sie besucht, Frau Cohen, aber wenn sie tagelang Besuch haben, steigt der Wasserverbrauch und der wird bei uns nun einmal pro Person umgelegt.“
     „Frau Müller, ich sage doch auch nichts, wenn sie dreimal am Tag die Waschmaschine laufen lassen. Oder funktioniert ihre Waschmaschine ohne Wasser?“ Rachel merkte, dass sie kurz davor war auszuflippen.
     „Das gehört doch zum normalen Leben, Frau Cohen! Und wenn ihr Besucher öfter übernachtet, sollten sie der Hausverwaltung melden, dass sie für eine Person mehr Wassergeld zahlen möchten. Ich meine ja nur…“
     „Meinen sie was sie wollen. Was mein Besucher und ich machen, gehört übrigens auch zum normalen Leben, wenn sie verstehen. Nur einmal angenommen – nehmen wir einfach einmal an, dass mein Besucher bei mir einzieht, dann und genau dann, zahle ich für zwei Personen Wassergeld. Bis dahin müssen sie sich leider gedulden.“
     „Wenn sie das so sehen“, bemerkte Frau Müller pikiert.
     „Ja, ich sehe das so, Frau Müller.“ Rachel wollte Frau Müller einfach stehen lassen und den Müll nach draußen bringen.
     „Noch einen Moment, Frau Cohen. Sagen sie bitte ihrer Putzhilfe, dass sie in der nächsten Woche mit der Kellertreppe dran sind.“
     „Sie werden es kaum glauben, meine Putzhilfe weiß das, Frau Müller! Und jetzt wünsche ich ihnen einen angenehmen Abend.“

Eigentlich kochte Rachel vor Wut, als sie die wenigen Meter zur Mülltonne ging. Dann dachte sie aber, was für ein Gesicht die dicke Büffelkuh wohl gemacht hätte, wenn sie mitbekommen hätte, dass sie nackt auf dem Treppenabsatz gestanden hatte, um Jakob zu verabschieden. Wahrscheinlich hätte sie dann bei der Sitte angerufen. Beinahe wäre Rachel bei diesem Gedanken in lautes Lachen ausgebrochen, nur mühsam konnte sie sich beherrschen. Wieder in der Wohnung, war es Zeit für die Tagesschau, danach lief ein Tatort und kaum hatte dieser angefangen, rief Jakob an. Rachel war froh über die Ablenkung. Es wurde ein langes Gespräch. Als Rachel nach einer Stunde und mehreren Verabschiedungen den Hörer auflegte, war ihr warm ums Herz. Rachel fragte sich, was sie nur immer mit Jakob zu bequatschen hatte? Der Tatort war fast zu Ende und Rachel schaltete das Fernsehgerät ab. Sie stellte sich auf den Balkon und dachte an Jakob. Als sie ein Auto hörte, glaubte sie, Jakob sei zurückgekommen. Das Auto fuhr aber weiter und bog in die Schillstraße ein. Kurz entschlossen ging sie zurück ins Wohnzimmer und wählte Jakobs Nummer.
     „Du hast wohl noch nicht genug von mir“, schallte es aus dem Hörer.
     „Woher weißt du…?“
     „Rachel, ich bin modern ausgerüstet. Auf dem Display erscheint „Rachel ruft an“. So etwas gibt es doch bestimmt auch für Blinde.“
     „Kann sein, wir machen uns zusammen schlau, wenn wir Zeit haben. Ich rufe dich aber an, um dir zu sagen, dass ich dich am Dienstag bei dir abhole. Erkläre mir, wie ich gehen muss.“
     „Wir können uns aber auch gerne bei dir treffen.“
     „Nein, ich will dich abholen.“
     „Gut Rachel. Du kennst den Weg zur S-Bahn?“
     „Ja, den gehe ich oft.“
     „Also, beim Bahnhof nicht über die Straße gehen. Bleibe auf der linken Seite und gehe durch die Unterführung. Du kommst dann zu einer Tankstelle. Direkt vor der Tankstelle befindet sich ein Fußweg, der nach links führt. Wirst du den finden?“
     „Ja, natürlich.“
     „Du gehst über den Fußweg und kommst auf eine Straße, die heißt Buchenstraße. Kennst du die?“
     „Gehört habe ich den Namen schon, aber sonst sagt mir das nichts.“
„Der Fußweg endet an einem Wendehammer. Halte dich rechts auf dem Bürgersteig und folge diesem, bis zur nächsten Kreuzung. Dort biegst du rechts ab und gehst geradeaus weiter. Ich erwarte dich vor meiner Tür. Wenn der Weg zu schwierig für dich ist, hole ich dich am Wendehammer ab.“
     „Rede keinen Unsinn, Jakob! Mich begleitet sonst auch niemand.“
     „Ich dachte ja nur.“
     „Ich weiß das zu schätzen, Jakob! Aber es hilft mir nicht, wenn du mir alle Steine aus dem Weg räumst. Ich habe schließlich mein Handy dabei; und sollte wirklich etwas schiefgehen, rufe ich dich sofort an. Du wirst sehen, ich bin pünktlich um halb fünf bei dir.“
     „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Schlafe gut mein Engel.“
     „Engel? Ich denke, so engelhaft war unsere Woche nicht – schlafe auch du gut, Liebster.“

Am Montag nach der Arbeit fuhr Rachel zu ihren Eltern. Als sie ankam, war ihr Vater noch nicht von der Arbeit zurück. Als die Mutter öffnete, hatten sich die beiden Frauen herzlich umarmt und waren in die Küche gegangen, wo die Mutter mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt war. Rachel fragte, ob sie helfen könne, was ihre Mutter verneinte.
     „Was gibt es denn zu essen, Ima?“
     „Geschmorten Fisch, den magst du doch gerne.“
     „Ja, den mag ich. Fleisch aus der koscheren Küche brauche ich nicht. Dann lieber gleich vegetarisch.“
     „Du solltest aber wirklich wieder anfangen, zumindest koscher zu essen, Rachel, wenn du dich schon nicht um die Gesetze scherst.“
     „Du weißt doch, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ima, es geht mir nicht in den Kopf, weshalb ich mich an all die Gesetze halten soll. Jojakim erledigt das eigentlich für die ganze Familie mit.“
     „Rachel, auch er übertreibt – genau wie du, nur in die andere Richtung.“
     „Sei doch gut, Ima. Es reicht doch, dass wir uns lieben.“
     „Ich sag ja gar nichts! Aber Jaakovs Einstellung zu den Gesetzen ist doch leicht zu leben.“
     „Ja Ima. Aber Jaakov hat eine Einstellung zur Religion, die weitgehend der euren entspricht. Da ist es normal so zu leben. Ich glaube nicht an Gott und mit Religion habe ich schon einmal gar nichts am Hut. Du weißt, wenn wir bei diesem Thema sind, drehen wir uns im Kreis. Bitte lass mich so leben, wie ich möchte. Ich rede euch nicht rein und ihr mir nicht, dann ist alles gut.“
     „Es ist nur so, man wünscht sich, dass die Kinder so werden, wie man selbst. Das geht nicht. Das weiß ich auch, aber du hast deinen Weg gewählt und du sollst ihn auch gehen. Deshalb gibt es geschmorten Fisch!“
     Aus der Diele kam Rachels Vater in die Küche. „Oh, meine Lieblingstochter! Und ihr seid wieder bei eurem Lieblingsthema – Koscher!“
     „Aber Aba! Du weißt doch, dass wir uns da vollkommen einig sind. Das müssen wir uns nur immer wieder einmal bestätigen.“
     Der Vater lachte und nahm Rachel in die Arme. „Ach Rachel, wenn du doch nur öfter bei uns vorbei kämst. Dann würdest du automatisch mehr nach dem Gesetz leben. Schließlich zelebrieren wir absolut koscheres Essen. Oder komme zumindest zum Kiddusch, dann hast du meinen Segen.“
     „Aba, du kriegst mich nicht rum. Denn dann geht es weiter: Am Sabbat darf man keinen Sex haben und da ist es dann endgültig vorbei mit meiner Gesetzestreue, mit der Halacha kann ich nichts anfangen.“
     „Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Sex am Sabbat ist erwünscht.“
     „Aber nur für Verheiratete“, lachte Rachel.
     „Ach, Bat, was soll das, Hauptsache du bist da und dir geht es gut. Grund deines Besuchs ist doch sicher nicht, dass du Sorge um Ima und mich hast. Oder solltest du tatsächlich einfach nur so vorbeigekommen sein?“
     „Nein Aba, ich komme nicht einfach so vorbei. Dann gäbe es ja keinen Fisch zum Essen. Ich habe mein Kommen am Morgen bei Ima angemeldet.“
     Rachels Mutter rief die beiden zu Tisch, ihr Vater sprach einen Segensspruch und als die Teller gefüllt waren, nahm Rachel das Gespräch wieder auf.
     „Ihr wisst, wie sehr ich an meiner Wohnung hänge. Mein letztes Zuhause war ja eher dadurch bedingt, dass ich mit Ben zusammengezogen bin. Aber jetzt habe ich meine Wohnung, weil ich unabhängig sein will, auch von euch.“
     „Und worauf willst du jetzt hinaus, Rachel?“ Fragte ihr Vater.
     „Aba, ich glaube es war ein Fehler, in ein Haus mit nur wenigen Parteien zu ziehen. Die Müller findet jeden Tag etwas, an mir auszusetzen.“
     „Schade Tochter, wir waren der Meinung, du hättest eine gute Wahl getroffen. Und es ist doch auch ein Eingang innerhalb einer größeren Wohnanlage. Es gibt doch weitere Nachbarn. Und denke daran, dass du fast deine gesamten Ersparnisse dafür investiert.“
     „Es ist auch eine gute Wahl, Ima. Ideal gelegen! Nur wenige Meter bis zum Bus und trotzdem absolut ruhig gelegen, den Wald kann ich fast riechen. Was will ich eigentlich noch mehr? Aber Tatsache ist auch, dass diese fette Büffelkuh an allem etwas findet. Die Mülltrennung ist nicht ordentlich, meine Putze putzt die Kellertreppe nicht ordentlich, mein Langstock stört, wenn er im Treppenhaus steht und jetzt hat sie etwas Neues – mein Besuch erhöht den Wasserverbrauch.“
     „Dein Besuch?“
     „Ja Aba. Ich wollte euch vorerst noch gar nichts davon sagen, sondern erst einmal abwarten, ob es mehr als ein Strohfeuer ist.“
     „Du hast also wieder einen Freund?“, fragte die Mutter.
     „Ja, habe ich, eigentlich ist es mehr. Zumindest sieht es im Moment so aus.“
     „Töchterchen, ist es so, dass wir den Freund zum Essen einladen sollten?“
     „Es ist so Ima, aber mit dem Einladen warten wir bitte noch bis ich mir ganz sicher bin.“
     „Wenn du ihn liebst, solltest du das Genörgel der Müller am besten ignorieren. Oder beabsichtigst du zu ihm zu ziehen?“
     „Nein! Jakob wohnt in einer eigenen Wohnung im Haus seiner Eltern. Da würde ich mich eingeengt fühlen.“
     „Jakob? Ein Angehöriger unseres Volkes?“
   „Nein Ima, er ist ein Goj.“
     „Du weißt, das ist uns gleich.“
     „Nein Ima, es ist euch nicht gleich. Aber da ihr meine Entscheidungen respektiert, kann ich gut mit euren Vorbehalten leben.“
     „Hast du Jakob gesagt, dass du Jüdin bist?“
     „Nein Aba. Ich wollte es ihm natürlich sagen, aber noch bevor es dazu kam, hat er es selbst herausgefunden. Schon am dritten oder vierten Tag, nachdem wir uns kennengelernt hatten.“
     „Wie hat er es aufgenommen?“
     „Er war entsetzt!“
     „Entsetzt!?“
     „Entsetzt ist nicht der richtige Ausdruck Ima, mir fällt nur kein besseres Wort ein. Betroffenheit passt besser. Jakob fühlt sich verantwortlich für das, was während der Shoah geschehen ist, er leidet richtig darunter. Er glaubte von daher, er hätte kein Recht mich zu lieben. Ich konnte ihm das zum Glück ausreden – ich glaube, er ist ein zu guter Mensch.“

Nach dem Essen half Rachel ihrer Mutter beim Abräumen, während ihr Vater die Spülmaschine einräumte. Bleib noch auf eine Tasse Kaffee, meinte er und füllte Kaffeemehl in den Kaffeefilter. Als er die Kaffeemaschine in Gang gesetzt hatte, stellte er Kaffeetassen auf den Wohnzimmertisch und ließ sich auf die Couch sinken. Seine Frau setzte sich neben ihn. Rachel ging in die Küche, als die Kaffeemaschine durchgelaufen war, holte die Kaffeekanne und schüttete den Kaffee ein. Ihre Mutter versuchte ihr dabei zu helfen, ihr Vater hielt sie jedoch auf der Couch zurück.

„Um noch einmal auf deine Wohnung zurückzukommen“, begann Rachels Vater, „wenn du mit Jakob zusammenziehen solltest, löst sich das Problem von selbst. Denn zu zweit ist die Wohnung arg eng. Ich glaube, von der Größe her könnt ihr sicherlich nur für eine Übergangszeit darin wohnen.“
     „Ich weiß Aba, aber so weit ist es noch nicht. Es ist eigentlich nur, dass ich dringend mit jemand darüber sprechen musste, wie sehr mir die Alte zusetzt.“
     „Sollen wir einmal mit Frau Müller sprechen?“
     „Nein Aba. Jetzt, wo wir darüber gesprochen haben, geht es mir wieder besser.“
     „Ist es mit Jakob sehr ernst?“, fragte Rachels Mutter.
     „Ich habe ihn erkannt, wenn es das ist, du das ist, was du wissen möchtest, Ima.“
     „So genau wollte ich es nicht wissen. Aber ich weiß, du pflegst eine klare Sprache. Wenn dem so ist, dann versuche durchzuhalten. Solltest du wirklich mit Jakob zusammenziehen, löst sich das Problem von selbst. Die Müller ist nicht die Person, die sich deinem Mann entgegenstellen wird, dazu ist sie zu feige. Solltet ihr euch eine andere Wohnung suchen, löst sich das Problem sowieso in nichts auf.“
     „Und wenn du Hilfe brauchst, du kannst dich auf uns verlassen, auch finanziell“, fügte ihr Vater hinzu.

Danach verebbte das Gespräch, da alle der Meinung waren, dass es dazu nichts mehr zu sagen gab. Rachel erkundigte sich pflichtgemäß nach ihren Brüdern und deren Familien. Sie freute sich aufrichtig, als sie erfuhr, dass es Jaakov und Rivka gut ging und Rivkas Schwangerschaft bisher problemlos verlaufen war. Rachels Vater erzählte vom religiösen Getue Jojakims. Obwohl Rachels Eltern gesetzestreu lebten, hatten sie für seine ultraorthodoxe Einstellung wenig übrig. Rachel sah das locker, solange sie Jojakim nicht nahe war, denn dann konnte es unangenehm werden. Ständig versuchte er sie auf seine Linie zu bringen, was fast jedes Mal zu Zwistigkeiten führte. Und da es zu solchen Zusammentreffen immer im Familienkreis kam, versuchte Rachel, sich bei diesen Gelegenheiten immer von ihrem Bruder fernzuhalten. Da Jojakim mit Familie in einem Kibbuz im Westjordanland lebte, kam es glücklicherweise nur selten zu solchen Begegnungen. Eigentlich hatte Rachel inzwischen jeden Kontakt zum Bruder einschlafen lassen. Das letzte Zusammentreffen war der sechzigste Geburtstag ihres Vaters. Das dumme Gerede Jojakims hatte allen die Laune verdorben. Vorsichtig fragte Rachel, ob Jojakim zu Imas sechzigstem Geburtstag erwartet würde. Die Eltern verneinten das, wobei Rachel ein Stein vom Herzen fiel, sie gab aber keinen Kommentar dazu ab, obwohl sie am liebsten baruch ha shem gerufen hätte. Ihr Vater brachte Rachel zur Tür. „Ich habe gesehen, was du sagen wolltest, als du erfuhrst, dass wir deinen Bruder nicht erwarten.“ „Ja Aba, er hat uns an deinem Geburtstag die Laune verdorben und ich möchte nicht, dass er das an Imas Geburtstag wiederholt.“ „Genau das habe ich ihm am Telefon gesagt. Deine Ima und ich haben danach einen schlimmen Streit gehabt. Sie hat sich erst mit dem Versprechen besänftigen lassen, mit ihr ins Westjordanland zu fahren und Jojakim zu besuchen.“ Rachel drückte ihren Vater, sie wusste wie sehr er Jojakim liebte und welche Qualen ihm diese Absage bereitete. Ihr Vater streichelte ihr den Rücken, „wird schon werden, Bat.“ „Du wirst deinen Prinzipien untreu, Aba. Du hast geschworen, niemals in die besetzten Gebiete zu reisen.“ „Verbuche es unter Milde eines alten Mannes, Rachel. Aber es ändert nichts an meiner Einstellung. Frieden wird unser Volk nur finden, wenn die Ungerechtigkeit der Besetzung endet.“ Rachel drückte ihren Vater noch einmal und machte sich auf den Heimweg.

Der Montag verlief für Jakob quälend langsam. Seine Arbeit, der er sich normalerweise mit Liebe und Akribie widmete, zog sich stundenlang bleiern dahin. Nach Feierabend machte das Joggen keinen Spaß und er brach schon nach fünf Kilometern ab. Zu Hause duschte er, seine Gedanken kreisten dabei ununterbrochen um Rachel. Nach dem Duschen versuchte Jakob zu lesen, später schaltete er das Fernsehen ein. Aber auch daran fand er kein Interesse, so beschloss er, auf ein Glas Bier in eine Kneipe zu gehen. Er ging fast nie auf ein Bier aus, aber er hatte trotzdem so etwas wie eine Stammkneipe. Jakob stellte sich dort an den Tresen und bestellte ein Bier. „Wie geht’s, Jakob?“, fragte der Wirt, als er Jakob das gefüllte Glas hinstellte. „Gut, Johann, und bei dir?“ „Alles fit, Kinder gesund, Frau arbeitet“, grinste der Wirt Jakob an. Jakob hatte kaum von seinem Bier getrunken, als ein weiterer Gast sich an den Tresen stellte, der offensichtlich schon etwas getrunken hatte. Er bestellte sich ein Bier und einen Samtkragen.
     „Hat dich die blinde Fotze schon in ihr Bett gezerrt?“, hörte Jakob ihn sagen. Der Mann sprach leise, sodass nur Jakob ihn hören konnte.
     „Ich weiß nicht, wovon sie sprechen.“
     „Stell dich nicht doof, ich habe gefragt, ob du die blinde Fotze schon gefickt hast.“ Der Mann sprach jetzt lauter.
     Jakob schaute ihn jetzt zum ersten Mal genauer an. Er war in seinem Alter, untersetzt und hatte einen ziemlichen Bauchansatz. „Vielleicht sollten sie keinen weiteren Alkohol trinken und sich erst einmal ausschlafen.“
     „Ausschlafen“, höhnte der Mann. „Meinst du beischlafen?“
     „Jetzt habe ich die Faxen dicke. Ich weiß nicht, wovon sie sprechen!“
     „Ich spreche von deiner Judenhure.“
     „Ihr Ton gefällt mir nicht und ich weiß immer noch nicht, wovon sie sprechen.“
     „Nun hab dich mal nicht so, du bist doch schließlich mein Lochschwager.“
     Inzwischen war der Mann so laut geworden, dass andere Gäste und der Wirt auf ihn aufmerksam wurden. „Seien Sie still, oder ich setzte sie vor die Tür“, sagte der Wirt zu dem unangenehmen Gast.
     „Ich soll still sein! Der Knabe hier fickt meine Frau und spielt den feinen Pinkel! Dabei wollte ich ihn nur warnen! Die jüdische Schlampe geht doch mit allem ins Bett, nur einen Schwanz muss es haben. Und pass bloß auf, dass dir nicht der Schwanz abfällt. Man weiß ja nie, was diese Juden für Zaubereien drauf haben!“ Jakob hob die Hand und holte zum Schlag aus, plötzlich stand der Wirt neben ihm und hielt seinen Arm fest. „Mach dir die Hände an dem Kerl nicht schmutzig, Jakob.“ Dann drehte er sich um. „Und sie verlassen sofort mein Lokal und lassen sich nie wieder bei mir sehen, sonst rufe ich die Polizei! Die Zeche geht aufs Haus, raus jetzt!“ Schimpfend verließ der Angetrunkene das Lokal. In der Tür drehte sich der Kerl noch einmal um. „Und grüß die Judenfotze von mir!“

Jakob hatte keine Lust mehr auf sein Bier, obwohl er erst ein paar kleine Schlucke getrunken hatte. Er legte dem Wirt das Geld hin und verabschiedete sich „Mach dir nichts draus, Jakob. Bekloppte gibt es überall.“ Jakob nickte und als er vor die Tür trat, traf ihn ein wuchtiger Schlag unter dem rechten Auge. Er schwankte und fand erst an der Mauer der Kneipe wieder Halt. Der wuchtige Schlag hatte auch den angetrunkenen Angreifer ins Taumeln gebracht, sodass Jakob einen Moment Zeit hatte, wieder zu sich zu kommen. Dem nächsten Schlag wich er geschickt aus und so gelangte Jakob hinter den Angreifer, um diesen in den Schwitzkasten zu nehmen. Der Kerl wehrte sich heftig, indem er versuchte, Jakob zu treten. Glücklicherweise waren zufällige Passanten da und auch der Wirt war auf den Vorfall aufmerksam geworden. So gelang es ihnen gemeinsam, den wild um sich tretenden Mann ruhig zu stellen. Die Polizei ist unterwegs, sagte der Wirt. Der Typ braucht wohl einige Zeit Ruhe in der Ausnüchterungszelle, rief einer der Passanten. Die Polizisten erschienen kurze Zeit später mit zwei Einsatzwagen. „Judenhure, Judenfotze“, kreischte der Mann, während er sich weiter zu befreien versuchte. Er wurde aber in einem der Wagen abtransportiert, während von Jakob, dem Wirt und den Zeugen die Personalien aufgenommen wurden.

„Ich rate ihnen einen Arzt aufzusuchen“, sagte der Polizist zu Jakob.
     „Ich glaube, es ist weiter nichts.“
     „Sei nicht blöd, Jakob, geh zum Arzt“, warf der Wirt ein.
     Der Polizist erhob seine Stimme. „Wir bringen sie in die Ambulanz. Wir brauchen doch eine Bestätigung, wie schwer ihre Verletzung ist, zur Beweissicherung und zu ihrer eigenen Sicherheit.“
     „Ich wollte aber eigentlich deswegen kein Fass aufmachen.“
     „Nach Lage der Dinge erstatten wir auf jeden Fall Anzeige gegen den Angreifer. Das liegt jetzt nicht an Ihrer Entscheidung.“
     „Nun gut, sie haben gewonnen. Es schmerzt auch ziemlich.“

In der Ambulanz wurde Jakob geröntgt und anschließend konnte der Arzt ihn beruhigen, es war nichts gebrochen und das Auge war unverletzt. Der Polizist machte sich Notizen, der Arzt übergab Jakob ein Schmerzmittel für die Nacht und so versorgt, wurde er nach Hause gefahren. Das Erscheinen des Streifenwagens in der stillen Straße erregte Aufsehen, was Jakob unangenehm war. Er bedankte sich bei den Polizisten und ging in seine Wohnung. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Als Jakob öffnete, stand seine Mutter vor der Tür. Er ließ sie ein und bugsierte sie ins Wohnzimmer auf die Couch.
     „Was ist passiert, Jakob?“
     „Sieht man doch, ich bin vor eine Pumpe gerannt“, versuchte Jakob zu scherzen.
     „Rede keinen Unsinn, mein Sohn.“
     „Man hat mir einen Faustschlag versetzt. Das ist wohl kaum zu leugnen.“
     „Weshalb?“
     „Ein Angetrunkener war eifersüchtig, da ich mit seiner Ex zusammen bin. Vermute ich zumindest.“
     „Du bist mit dieser Rachel zusammen?“
     „Ja Mama, es ist keine Liebschaft. Bitte nenne sie ist nicht diese Rachel – sie ist Rachel.“
     „Oh, völlig neue Töne meines Sohnes.“
     „Häme hatte ich heute genug, Mama.“
     „Es ist keine Häme, Jakob. Aber dein Umgang mit Frauen stimmt uns bedenklich.“
     „Das ist Schnee von gestern. Rachel ist mehr für mich, ob es für immer sein wird, muss die Zeit ergeben.“
     „Und er hat dich einfach so geschlagen?“
     „Nein, vorher hat er Rachel auf das Übelste beleidigt. Ich weiß nicht einmal, woher er mich kennt, geschweige denn, woher er weiß, dass wir zusammen sind.“
     „Sohn, wenn du dein Leben geordnet kriegst, dann tu das als Episode ab.“
     „Morgen kommt Rachel mich abholen. Ich treffe sie auf der Straße vor der Tür. Es gibt also keine Chance, dass ihr sie morgen kennenlernt. Aber ihr werdet sie kennenlernen, sobald die Zeit dazu gekommen ist. Du kannst ja unauffällig aus dem Fenster gucken.“
     „Jakob, ich spioniere nie hinter dir her.“
     „Guck unauffällig, du wirst sehen, sie ist ein nettes Mädchen.“

Am späteren Abend kam Jakobs Vater vorbei. Nachdem er eingehend dessen Gesicht begutachtet hatte, waren sich die beiden Männer schnell einig, dass der Kerl wohl zu tief ins Glas geschaut hatte. Jakob holte aus dem Kühlschrank eine Flasche Bier, die er sich brüderlich mit seinem Vater teilte.

Auch der Dienstag verlief für Jakob quälend langsam. Zu Mittag aß er mit einigen Kollegen lustlos in der Kantine. Ihren ironischen Bemerkungen über sein Aussehen entgegnete er mit einem Lächeln, ohne zu erklären, was geschehen war. Am Nachmittag hatte er einen Außentermin in den Abwasserkanälen der Stadt. Eigentlich eine Tätigkeit, die er um ein Vielfaches interessanter fand als die übliche Büroarbeit. Aber heute lief er unmotiviert durch eins der großen unterirdischen Regenrückhaltebecken, das er begutachten sollte. Ab und zu sprach er dabei in sein Diktiergerät oder machte sich ein paar Notizen. Sein eigentliches Denken drehte sich um Rachel und als er wieder an die Oberfläche kam, stellte er erfreut fest, dass es sich nicht mehr lohnte noch ins Büro zu fahren. Er verstaute Gummistiefel und Schutzkleidung im Kofferraum seines Wagens, verabschiedete sich eilig von seinen beiden Kollegen, von denen der eine ihn in die Unterwelt begleitet hatte und der andere am Einstieg gewacht hatte, und fuhr nach Hause. Es war jetzt höchste Zeit sich zu duschen und herzurichten, landfein machen, dachte er. Danach ging er kurz bei seiner Mutter vorbei und naschte an dem Topf Gulasch, den diese gerade zubereitete. Bereits kurz nach vier Uhr stand Jakob vor seiner Tür und hielt nach Rachel Ausschau. Fast auf die Minute pünktlich bog Rachel in die Straße ein. Jakob konnte sehen, dass sich die Gardine am Küchenfenster seiner Eltern leicht bewegte. Da wird Mama aber gucken, wenn sie Rachel mit ihrem Langstock kommen sieht, lachte Jakob in sich hinein. Er ging Rachel ein paar Meter entgegen, um sie in seine Arme zu schließen. „Bekomme ich einen Kuss, oder küsst der Herr auf der Straße nicht?“, scherzte Rachel. Statt zu antworten, küsste Jakob Rachel leidenschaftlich auf den Mund. Vor Schreck ließ Rachel ihren Stock fallen und beide brachen in herzhaftes Lachen aus. Jakob war in diesem Moment froh, dass Rachel blind war und sein lädiertes Gesicht nicht sehen konnte.

„Du bist bereit, Jakob? Du hast frische Sachen für morgen früh dabei? Oder möchtest du lieber allein sein?“
     „Willst du mich provozieren? Ich habe alles, was ich benötige, im Auto. Zahnbürste und Deo habe ich bei dir im Bad versteckt, oder hast du die Sachen gefunden?“
     „Du bist ein Schuft, Jakob. Ich sollte dich nicht mehr in meine Wohnung lassen. Wer weiß, was du noch alles anschleppst. Komm, lass uns fahren, sonst kommen wir zu spät.“

Jakob führte Rachel zum Auto. Als er den Wagen auf die Hauptstraße steuerte, fiel ihm ein, wie verunstaltet er aussah. Bis jetzt waren sie noch keinem Menschen begegnet, das würde sich aber spätestens in der Arztpraxis ändern. Er überlegte, ob er Rachel von seinem Aussehen erzählen sollte, empfand das aber während der Fahrt als unpassend. Die Frau an der Rezeption in der Praxis machte zum Glück keine Bemerkung über Jakobs Gesicht, sondern bat die Beiden im Wartezimmer Platz zunehmen. Dort saß nur ein alter Mann, der intensiv in einer Illustrierten blätterte und kaum auf den Gruß reagierte. Jakob überkam jetzt Panik, ihm war bewusst, dass spätestens der Arzt nach seiner Verletzung fragen würde. „Rachel, ich muss dir etwas sagen! Es ist etwas passiert. Bitte reg dich nicht auf…“ In diesem Moment wurden beide in das Sprechzimmer gebeten. Der Arzt blicke kurz auf und begrüßte dann Rachel, über deren Kommen er sich sichtlich freute. Dann wandte er sich an Jakob, um auch diesen zu begrüßen. Er stutzte.
     „Junger Mann, sie hatten einen Unfall?“
     „Ja, gestern. Aber es ist nichts Schlimmes. Ich wurde geröntgt, es ist nichts gebrochen und das Auge ist unverletzt.“
     „Du hattest einen Unfall, Jakob?“
     „Ja Liebes, ich wollte dir doch gerade davon berichten, als wir aufgerufen wurden. Bitte, wir besprechen das später.“
     „In Ordnung, Jakob.“
     „Nun, da wir diese Aufregung hinter uns haben, können wir zum wirklichen Grund ihres Besuchs kommen. Bitte setzen sie sich.“
     Als Rachel und Jakob sich gesetzt hatten, eröffnete der Arzt ihnen die Untersuchungsergebnisse. „Ich kann es kurz machen. Ihre Blutwerte sind völlig unauffällig. Es liegt keine HIV-Infektion vor. Der einzige Unsicherheitsfaktor ist, dass sie sich beim Zurückliegen ihrer letzten Sexualkontakte geirrt haben könnten. Da sie aber beide versichert haben, im letzten Vierteljahr keine sexuellen Kontakte gehabt zu haben, gehe ich davon aus, dass sie beide nicht infiziert sind.“

Als sie sich vom Arzt verabschiedet hatten, wollte Jakob Rachel zum Auto zu führen. Rachel reagierte unwillig, was Jakob sofort daran merkte, dass sie nur widerwillig seine Hand nahm. Kaum im Auto brach es aus Rachel heraus.
     „Jakob! Ich kann das jetzt nur als Anfängerfehler entschuldigen und auch nur von daher verzeihen. Dein Benehmen ist schier unmöglich! Etwas, was andere sehen, musst du mir sofort mitteilen – auf der Stelle!“
     „Ich wollte es dir doch gerade sagen, als wir aufgerufen wurden.“
     „Falsch Jakob! Du hast mich missverstanden. Sofort als wir uns vorhin auf der Straße getroffen haben, hättest du es mir sagen müssen. Besser noch, du hättest mich gestern Abend angerufen.“
     „Bitte Liebes, ich wollte dich nicht verletzen. Die Angelegenheit ist delikat, können wir das nicht bei dir besprechen?“
     „Nein, jetzt!“
     „Das delikate ist doch nicht sichtbar. Taste jetzt einfach mein Gesicht ab und ich erkläre dir, was du siehst.“
     „Na gut“, meinte Rachel daraufhin, führte ihre Finger über Jakobs Gesicht und spürte deutlich eine Schwellung auf der Wange unterhalb des rechten Auges.
     „Dort, wo du die Schwellung fühlst, ist die Haut verfärbt, in allen Farben des Regenbogens.“
     „Was hat das verursacht?“
     „Ich erhielt einen Schlag ins Gesicht.“
     „Wer hat da geschlagen?“
     „Bitte, wir hatten doch vereinbart, das bei dir zu besprechen.“
     „Ja doch, dann fahr los!“

Zu Hause angekommen, ließ sich Rachel auf keinerlei Vorgeplänkel ein. „Ich will jetzt endlich wissen, was vorgefallen ist!“
     „Rachel, bitte beruhige dich!“
     „Ich will mich nicht beruhigen! Ich will wissen, was los ist!“
     „Ich vermute, der Angreifer war dein Verflossener.“
     „Ben?“
     „Ich weiß nicht, wie er heißt, auch nicht, woher er mich kennt und woher er weiß, dass wir ein Paar sind. Es war ein untersetzter Typ mit deutlichem Bauchansatz. Er hatte ein ziemlich rundes Gesicht und dunkelblonde Haare.“
     „Du hast wahrscheinlich recht, deine Beschreibung passt auf Ben. Und jetzt berichte bitte von Anfang an.“
     „Wie du willst. Darf ich die Beleidigungen weglassen? Solche Worte sind echt peinlich!“
     „Nein, ich will und muss alles wissen. Ich habe ein Recht darauf.“
     „Gestern nach dem Joggen, da hatte ich solche Sehnsucht nach dir, dass ich beschloss, um mich abzulenken, noch auf ein Glas Bier auszugehen.“ Jakob sprach stockend. „In der Kneipe stand plötzlich dieser Kerl neben mir. Es fing damit an, dass er mich fragte, ob mich die blinde Fotze schon in ihr Bett gezerrt hätte. Und so ging das weiter und zum Schluss nannte er dich Judenhure. Ich versuchte ihn zu beruhigen und loszuwerden. Er meinte aber, ich solle mich nicht so haben, ich sei doch schließlich sein Lochschwager. Ich weiß nicht, ob er noch mehr gesagt hat, aber der Wirt hat ihn dann vor die Tür gesetzt. Als ich ging, hat er mir draußen aufgelauert und mir einen Fausthieb versetzt.“
     „Mein Gott, Jakob!“
     „Es ist mir dann gelungen, den Kerl kurz in den Schwitzkasten zu nehmen. Zum Glück kam in diesem Moment Hilfe. Der hat so getobt, allein hätte ich ihn nicht halten können.“
     „Oh Jakob, und das ist dir alles meinetwegen passiert!“
     „Nein Rachel, es ist nicht deinetwegen passiert. Es passierte, weil wir uns lieben und jemanden das stört.“
     „Wird sich das wiederholen?“
     „Ich glaube nicht. Ich vermute, eine Nacht in der Ausnüchterungszelle wirkt beruhigend. Die Polizei hat übrigens Anzeige erstattet, obwohl ich das nicht wollte.“
     Nachdem Jakob geendet hatte, war Rachel sehr nachdenklich. „Bitte sei in Zukunft vorsichtig, ich will nicht, dass du meinetwegen verletzt wirst“, sagte sie.
     „Rachel, lass es uns vergessen. Lassen wir doch bitte das positive des Tages genießen, wir haben einen Grund zu feiern.“ Rachel nickte.
     „Noch ist es früh genug, wir können ein Festessen zubereiten, wenn wir gleich Einkaufen fahren und wir brauchen nicht einmal an Pariser zu denken.“
     Rachel erhob sich umgehend, „dann komm.“

Als sie vom Einkauf zurückkamen, baute Jakob ihre Beute auf dem Tisch auf. „Wir haben zwei Doraden, eine Tüte Reis, eine Knoblauchzwiebel, je ein Bund Rosmarin und Thymian, eine Tüte Salzchips, eine Packung Bratfolie, eine Flasche Champagner und eine Flasche trockenen Sherry erbeutet“, zählte Jakob auf. „Pariser haben wir vergessen“, fügte Rachel lachend hinzu. „Quatschkopp“, antwortete er und bereitete in der Küche die Fische vor. Rachel fragte, was sie tun könne. Jakob bedeutete ihr, sie könne den Reis waschen, bis das Wasser im Topf klar bleibe. Ich sage dir, wann das Wasser klar ist, bemerkte er noch, dann widmete er sich den Doraden. Gewürzt und in der Bauchhöhle mit den Kräutern gefüllt, schob er die Fische in die Bratfolie. Er sah kurz nach dem Reis und stellte fest, dass das Waschwasser inzwischen klar war. „Fülle jetzt so viel Wasser in den Topf, dass es einen Zentimeter über dem Reis steht. Dann noch salzen und auf der Kochplatte kochen lassen, bis kein Wasser mehr zu sehen ist, den Deckel auf den Topf legen und die Kochplatte ausschalten. Nach einer halben Stunde ziehen ist der Reis gar. Ich sage dir Bescheid, wenn das Wasser verkocht ist. Zu diesem Zeitpunkt schiebe ich die Doraden in den Backofen. So haben wir Zeit für einen Aperitif.“ Jakob streichelte Rachel über die Haare. Als das Wasser verkocht was, schob Jakob die Doraden ins Rohr, zog Rachel ins Wohnzimmer auf die Couch, füllte zwei Gläser mit Sherry.
     „Rachel komm, trinken wir ein Glas und freuen uns, dass wir zusammen sind.“
     „LeChaim, Jakob.“
     „Auf unser Leben, Rachel.“
     Jakob filetierte die Doraden, nachdem er sie aus dem Ofen genommen hatte. „Füllst du bitte den Reis in eine Schüssel um, möglichst mit Deckel. Dann tun wir ein paar Butterflöckchen darauf und stellen die Schüssel vor dem Servieren noch einmal kurz in die Mikrowelle“, rief er dabei in Richtung Wohnzimmer.
     „Mach ich, mach ich“, antwortete Rachel, während sie in die Küche kam.
     Jakob schob die filetierten Fische noch einmal kurz in den Backofen und stellte die Mikrowelle an. „Champagner zum Essen?“
     „Nein, lieber nach dem Essen“, antwortete Rachel.

Als das Essen aufgetragen war und beide sich gesetzt hatten, fragte Rachel, „du hast keine Schmerzen?“ „Es geht, sie lassen sich mit dem Schmerzmittel leicht beherrschen.“ Während des Essens waren sie schweigsam. In Rachel arbeitete es. Dass Ben sich so benommen hatte, machte ihr mehr zu schaffen, als sie es sich anmerken ließ. Jedoch wollte sie über das Vorgefallene auch nicht mehr sprechen. Es erzeugte in ihr ein Gefühl der Hilflosigkeit. Als sie fertig waren, lobte Rachel Jakobs Kochkunst und meinte, sie müsse noch viel lernen, um Jakob gut bekochen zu können. Sie brauche das nicht, gab er zurück, er koche gern mit ihr zusammen und sie solle ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, bisher hätte es ihm immer noch geschmeckt. Sie räumten den Tisch ab und machten den Abwasch gemeinsam. „Ich bringe noch den Müll nach unten, sonst stinkt es morgen in der Küche. Hoffentlich treffe ich nicht wieder auf die Müller, dauernd lauert sie mir auf und erklärt mir die Müllentsorgung.“ „Dann gehe ich zum Müll, mich wird sie schon nicht anmachen.“ Jakob schnappte sich die Mülltüte. „Mach es dir schon einmal mit den Chips auf der Couch bequem. Ich öffne den Champagner, wenn ich zurück bin.“ Jakob nahm auch noch den Beutel für die gelbe Tonne und machte sich auf den Weg. Vor dem Haus traf er tatsächlich auf Rachels Nachbarin.

Jakob ergriff gleich die Initiative. „Guten Abend, schön, dass ich sie treffe, dann kann ich mich gleich bekannt machen. Mein Name ist Jakob Hausmann und ich besuche Frau Cohen.“
     „Oh, angenehm, ich bin Frau Müller. Wie ich sehe, machen sie sich nützlich. Frau Cohen hat leider mit der Mülltrennung ein paar Schwierigkeiten. Nun ja, sie kann ja nicht sehen.“
     „Das wird sich jetzt ändern, Frau Müller. Das Sehen für Frau Cohen übernehme ich gern.“
     „Das beruhigt mich ungemein, denn konsequente Mülltrennung senkt das Wohngeld.“
     „Richtig! Deshalb achte ich sehr darauf. Gehört zur Wohnanlage auch ein Papiercontainer?“ Jakob kam sich als ziemlicher Schleimer vor.
     „Ja, neben der Garageneinfahrt. Wissen sie, wo das ist?“
     „Nein, Frau Cohen hat natürlich kein Auto. Aber ich werde es schon hinfinden.“
     „Ja, ich weiß, Frau Cohen hat ihren Garagenplatz vermietet.“
     „Wenn ich etwas nicht weiß, kann ich mich sicher an sie wenden, Frau Müller?“ Schleimte Jakob.
     „Ja natürlich, Herr Hausmann.“
     „Ich mach mich dann mal auf die Socken, Frau Müller. Sonst meint Frau Cohen noch, ich hätte mich davon gemacht. Ich wünsche ihnen einen schönen Abend.“
     „Gleichfalls. Es freut mich, dass wir uns kennengelernt haben, Herr Hausmann.“

Jakob ging zum Müllcontainer und konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen. Den Abend empfand Jakob als fast unerträglich schwül. Als er zurückkam, war Frau Müller verschwunden. Oben hatte Rachel es sich auf der Couch bequem gemacht. Sie war nur noch mit ihrem leichten Morgenmantel bekleidet. „Du bist unter die Müller gekommen?“ „Ja, ich habe geschleimt, bis der Boden klebrig war.“ „Die Büffelkuh geht mir echt auf den Senkel.“ Jakob setzte sich zu Rachel auf die Couch und streichelte sie. Dann stand er wieder auf, ging in die Küche, um den Champagner zu holen. Da es inzwischen dämmerte, ging Jakob ins Bad, um Licht beim Öffnen der Flasche zu haben. Zurück im Wohnzimmer nahm Rachel ihm die Flasche ab und bestand darauf, die Gläser selbst zu füllen. Nachdem beide getrunken hatten, lehnte Rachel sich an Jakobs Schulter. Ganz zart, sodass er es kaum spürte, untersuchte sie seine geschwollene Wange. „He, das kitzelt.“ Rachels Hand glitt daraufhin in Richtung Halsansatz. Rachels nur locker mit dem Gürtel verschlossener Morgenmantel verrutschte. Jakob bemerkte, dass sie darunter nackt war und fuhr mit seiner Hand vorsichtig, suchend zwischen ihre Oberschenkel. Rachel öffnete sich für ihn und ließ den Morgenmantel von ihren Schultern gleiten. Sie fing an, Jakobs Hemd aufzuknöpfen. Er griff jedoch nach ihr und zog sie so zu sich hin, dass sie auf dem Bauch liegend auf seinen Beinen ruhte. Während er Rachel mit der einen Hand am Aufstehen hinderte, führte er die Finger seiner anderen Hand kreisförmig über ihre Pobacken. Rachel röchelte vor Vergnügen. Als das Röcheln heftiger wurde, ließ Jakob Rachel los, die daraufhin auf den Teppich sank. Eilends entledigte Jakob sich seiner Kleidung und hockte sich neben Rachel, griff nach den beiden Gläsern und sie tranken nackt auf dem Teppich sitzend ihren Champagner. Jakob brachte die geleerten Gläser in Sicherheit und stand danach vor Rachel. Rachel massierte sein Geschlecht, woraufhin er sich neben sie legte und leicht ihre Klitoris massierte. „Ich habe die Gummis in den Müll geschmissen, ich bin bereit“, stöhnte Rachel. Leidenschaftlich hockte sie sich über Jakob und nahm eine Hand zu Hilfe, um den Penis in die Vagina einzuführen. Rhythmisch bewegte sie sich auf und ab, während Jakob beide Hände auf ihren Hüften ruhen ließ. Als Jakob den Eindruck hatte, Rachels Kräfte ließen nach, drehte er sich so, dass er auf Rachel zu liegen kam. Unter seinem rhythmischen Auf und Ab begann sie leicht zu zittern. Genau in diesem Augenblick kam auch er zum Höhepunkt. Danach lagen sie lange fast regungslos aufeinander. Nach einiger Zeit kitzelte Jakob Rachel leicht an den Brüsten. „Schläfst du?“ „Mhm, ich glaube schon.“ Erst jetzt merkten beide, wie sehr sie in der schwülen Luft ins Schwitzen gekommen waren. Sie beschlossen unter die Dusche zu gehen. Danach ließen sie sich wieder auf der Couch nieder. Dicke Regentropfen trommelten auf das Velux-Fenster des Schlafzimmers. Aus der Ferne hörten sie Donnergrollen. In nur kurzer Zeit erreichte ein heftiges Gewitter Haselholt. Rachel reagierte ängstlich. Das grelle Leuchten der Blitze füllte die Wohnung mit über taghellen Lichterscheinungen. Jakob umarmte Rachel, die sich an ihn klammerte. Unter seiner Umarmung beruhigte sie sich schnell. Zusammen gingen sie ins Schlafzimmer. Eng aneinander geschmiegt standen sie unter dem Velux-Fenster, das unter dem trommelnden Regen zu zittern schien. Sie legten sich auf das Bett und liebten sich, während ein gewaltiger Gewittersturm über sie hinweg zog. Als das Wetter sich beruhigte, tranken sie den Rest ihres Champagners und schliefen danach Hand in Hand ein.

Als morgens der Wecker klingelte, fanden Jakob und Rachel sich in Löffelchenstellung liegend auf dem Bett wieder. Jakob küsste Rachel leicht auf die Schulter. „Ich muss schnell weg, Süße. Ich muss noch kurz zu Hause vorbei.“ Rachel nickte, stand auf, wusch sich nur nachlässig, setzte Kaffee an und schmierte ein Brot für Jakob. Der war baff, als er aus dem Bad kam. „Du nimmst das Verhalten einer Ehefrau an“, scherzte er, bevor er stehend eine Tasse Kaffee trank und das Brot mit großem Appetit aß. „Wenn du mein Verhalten mit dem einer Ehefrau vergleichst, bringe ich dich nicht mehr zur Tür.“ „Oh“, kam es von Jakob. „Ich muss jetzt fort, treffen wir uns am Abend hier?“ „Nein, im Wald – wir müssen fit bleiben.“ „Und lass dich nicht von der Büffelkuh provozieren.“ Rachel schüttelte den Kopf. Jakob verabschiedete sich mit einem intensiven Kuss, dann eilte er über die Treppe nach unten. An der Haustür drehte er sich um, eine nackte Rachel winkte vom Treppenabsatz. Jakob fuhr nach Hause und lief dort prompt seiner Mutter über den Weg.
     „Jakob, mein Sohn! Du kommst schon nach Hause?“ Sie gaben sich einen Kuss.
     „Ja, ich hatte auswärts zu tun.“
     „So, so.“
     „Ach Mama, fürchtest du dich vor dem Tratsch der Nachbarn?“
     „Nein Jakob, ich wundere mich über dich.“
     „Es ist doch nichts zum Wundern, wenn ein lediger Mann bei seiner Freundin übernachtet.“
     „Ich wundere mich über deine Wahl. Die haut mich um!“
     „Du kennst Rachel doch noch gar nicht, du hast Vorurteile.“
     „Vorurteile? Nein, Jakob, ich bewundere deinen Mut – vielleicht auch Rachels Mut, einen Mann wie dich überhaupt in ihre Wohnung zu lassen.“
     „Ich drücke mich dir gegenüber ja nicht ordinär aus, du weißt das, Mama. Aber in diesem Fall habe ich nur eine Antwort – zum Vögeln bedarf es keines Muts.“ Jakob errötete, solche Formulierungen gebrauchte er gegenüber seinen Eltern im Normalfall nicht. „Und du hast ein falsches Bild von mir, ich sehne mich nach einer Partnerschaft!“
     „Jakob, du willst mich falsch verstehen. Ich bewundere deinen Mut, eine so schwierige Beziehung einzugehen. Das ist mutig. Eine solche Frau, wie du es nennst, zu vögeln, das kann jeder. Zu versuchen, mit einer so besonderen Frau eine dauerhafte Beziehung einzugehen, verlangt Mut. Und von deinem Verlangen nach Partnerschaft? Nun, zumindest wir haben bisher nichts davon gemerkt.“
     „In einem gebe ich dir recht – Rachel ist eine besondere Frau. Eine ganz besondere Frau. Und glaube mir, ich habe Angst davor, die Beziehung könne zerbrechen.“
     „Gibt es Hinweise darauf?“
     „Nein, absolut nicht.“
     „Dann mach dir auch keinen Kopf deswegen.“

Jakob nickte, gab seiner Mutter einen Kuss, ging in seine Wohnung, suchte seine Unterlagen zusammen und fuhr weiter zu einem Außentermin. Rachel hatte sich derweil auch hergerichtet. Sie war noch früh dran, beschloss aber sich nicht weiter zu Hause zu beschäftigen, sondern, mit der S-Bahn zur Arbeit zu fahren. Üblicherweise nahm sie Bus und Straßenbahn zum LKA, aber heute meinte sie frische Luft täte gut. Vor der Tür traf sie wieder auf Frau Müller. Sofort klingelten alle Alarmglocken bei ihr.
     „Guten Morgen, Frau Cohen.“
     „Guten Morgen, Frau Müller“, antwortete Rachel frostig.
     „Frau Cohen, sie haben aber einen wirklich netten Freund. Herr Hausmann ist wirklich ganz reizend. Ich hoffe, er kommt öfter vorbei. Er tut ihnen gut, glaube ich. Und er wäre eine echte Bereicherung für die Hausgemeinschaft.“
     Rachel blieb misstrauisch, sie wartete auf den Pferdefuß. „Es freut mich, dass sie meinen Freund mögen.“
     „Es ist ja sicher noch zu früh. Sie kennen sich ja noch nicht so lange, aber ich finde, sie geben ein schönes Paar ab.“
     „Gut, gut, Frau Müller, aber jetzt muss ich zur Arbeit.“
     „Ich wünsche ihnen einen schönen Tag, Frau Cohen.“
     „Den wünsche ich ihnen auch, Frau Müller.“

Rachel wandte sich ab und beeilte sich, damit sie es noch zu Fuß zur S-Bahn schaffte. Sie hätte laut loslachen können – mein Gott, wie Jakob schleimen kann. Dann fiel ihr ein, dass sie seit über zwei Wochen mit Jakob intim war und nicht einmal seinen Nachnamen gekannt hatte. „Ich erfahre Jakobs Namen durch die Büffelkuh“, Rachel konnte das Lachen kaum noch unterdrücken, verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall. Nach Feierabend machte sich Rachel sofort auf den Weg in den Wald. Schon nach kurzer Zeit hörte sie Jakob heran traben. Er umarmte Rachel liebevoll. Rachel knuffte ihn in die Seite.
     „Du bist ein gottverdammter Schleimer!“
     „Oh, du hast dich heute nicht mit der Büffelkuh angelegt?“
     „Nein, sie gab mir keine Chance dazu und durch sie habe ich deinen Nachnamen erfahren. Das ist doch zum Totlachen. Wir schlafen fast täglich miteinander und ich weiß nur, dass du Jakob heißt. Verrückt! Und jetzt lauf los. Ich gehe heute die große Runde.“
     „Ich würde lieber abkürzen, dann haben wir mehr Zeit für einander. Ich finde es nicht ungewöhnlich, dass wir miteinander schlafen, ohne uns mit so Dingen wie Namen aufzuhalten. Wäre doch doof, wenn du mich beim Liebesspiel Herr Hausmann genannt hättest.“
     Rachel pustete vor Lachen. „Das wäre aber sicher lustig gewesen. Aber nix da! Jakob Hausmann, ich will keinen schlaffen Mann! Laufen hält fit. Große Runde, basta!“
     Jakob streichelte Rachels Nacken. „Ich dachte nur, es sieht nach Regen aus.“
     „Du bist doch nicht aus Zucker? Beweg dich!“

Jakob tat enttäuscht, lief aber los. Rachel fand, dass er heute besonders schnell lief und als er sie das dritte Mal überholte, hielt sie ihn an. „Hier nimm meinen Schlüssel. Du kannst schon einmal duschen, aber lass mich ja herein, sonst renne ich die Tür ein.“ Jakob nahm dankend Rachels Schlüssel und machte sich auf den Weg. Rachel ließ sich Zeit und kurz vor dem Ende ihrer Runde spürte sie die ersten Regentropfen auf ihrer Haut. Zu Hause angekommen, schellte sie und hörte sofort darauf den Türsummer. Sie hatte den Eindruck, als hätte Jakob nur darauf gewartet, dass die Klingel ging. „Gib mir bitte den Schlüssel, ich habe noch gar nicht nachgesehen, ob ich Post habe.“ Jakob kam ihr mit dem Schlüssel in der Hand entgegen. Rachel fiel sofort auf, dass er ihren Morgenmantel anhatte. Was für ein blöder Kerl, dachte sie. Im Briefkasten fand sie einen Brief. Sie war froh, Jakob zum Lesen dazuhaben, so konnte sie es sich ersparen, ihre Eltern um Hilfe zu bitte. Rachel reichte den Brief an Jakob. „Dein Garagenmieter kündigt zum Ende des Monats.“ „Gut, dann kannst du dein Auto in Zukunft in der Tiefgarage abstellen.“ Rachel zog sich aus und verschwand unter die Dusche. Als sie aus der Dusche kam, hielt Jakob Rachel ihr ihren Morgenmantel hin. „Haben der Herr vor, jetzt nackt herumzulaufen?“ „Nein, ich ziehe mich an und dann gestalten wir den Rest des Tages.“ Bevor Rachel den Morgenmantel anzog, bat sie Jakob, Lotion auf ihrem Rücken zu verteilen. Er tat das mit Hingabe und verteilte überschüssige Lotion auf ihren Pobacken. Rachel neckte ihn und meinte, ob er schon bei der Gestaltung des Abends sei. „Nein, ich lade dich zum Essen ein.“ „Überraschung, und wohin gehen wir essen?“ „Chinesisch, griechisch, italienisch, wie du möchtest.“ „Dann griechisch! Aber doch wohl nicht in deinen Joggingklamotten?“ Jakob lachte und meine, er würde sich umziehen und sie müssten dazu in seine Wohnung gehen.

Später im Restaurant saßen sie in einer stillen Nische. Während sie auf das Essen warteten, nippten sie ab und zu am Ouzo, der ihnen als Willkommenstrunk serviert worden war. Sie hielten sich dabei an den Händen. Rachel hatte den Eindruck, Jakob wäre an diesem Abend besonders ausgeglichen. Sie schob das auf das intensive Joggen. Die Vorspeise wurde serviert, Jakob füllte die Gläser mit dem bestellten Retsina und sie begannen wortlos zu essen. Danach reichte Rachel wieder eine Hand über den Tisch, die Jakob dankbar in seine Hand legte. Sie dachte an Jakobs Wohnung, die sie heute das erste Mal betreten hatte. Er hatte sie aufgefordert, sich in der Wohnung umzusehen, während er sich umzog. Da ihr die Umgebung fremd war, hatte sie sich nur vorsichtig bewegt, um nichts umzustoßen. Es gab einige vollgestellte Bücherregale, die ihr den Eindruck vermittelten, das ganze Zimmer zu beherrschen. Im Schlafzimmer fand sie ein weiteres Regal, direkt neben einem bequemen Bett. Auf dem Nachttisch lag ein Buch. Auf ihre Nachfrage, was er gerade lese, antwortete Jakob – Wem die Stunde schlägt. Den Film kannte sie, es schien ein interessantes Buch zu sein.

„Wie geht es deiner Wange?“, fragte Rachel unvermittelt.
     „Ganz gut, man sieht aber immer noch deutlich, dass ich mich geprügelt habe.“
     „Ein Mann, der sich für mich prügelt, ist mir auch noch nicht untergekommen.“
     „Du übersiehst, dass der Gegner auch einmal dein Mann war.“
     „Vergessen wir Ben. Das ergibt keinen Sinn. Du bist derzeit der Mann in meinem Leben. Nicht der Wunschkandidat meiner Eltern, da ein Goj, aber sie müssen ja nicht mit dir auskommen.“
     „Was zum Teufel, ist ein Goj?“
     „Ein Nichtjude. Um bei der Formulierung meiner Mutter zu bleiben, du gehörst nicht zu unserem Volk. Den Begriff Volk mag ich in diesem Zusammenhang gar nicht. Eine Religionsgemeinschaft ist kein Volk.“
     „Du meinst, deine Eltern würden mich ablehnen?“
     „Nein, keine Spur, sie sind nicht verbohrt; und selbst wenn, an unserem Verhältnis würde sich dadurch nichts ändern. Wissen deine Eltern, dass ich Jüdin bin?“
     „Nein, ich habe noch nichts über deine Familie verlauten lassen.“
     „Wie werden deine Eltern reagieren, wenn ihr Sohn mit einer blinden Jüdin ankommt?“
     „Dass du blind bist, habe ich meiner Mutter schon erzählt. Sie hat dich gestern wohl auch gesehen, als du mich abgeholt hast. Und dass du Jüdin bist, das wird meine Eltern überhaupt nicht interessieren.“ Jakobs Stimme klang belegt, als er weitersprach. „Rachel, würdest du mit mir zusammenziehen?“
     „Vielleicht, aber jetzt noch nicht.“
     „Warum?“
     „Es gibt einige Gründe, Jakob. Nach meinem Zusammenleben mit Ben bin ich noch nicht bereit dazu. Wichtiger ist aber, dass wir darüber entscheiden, wenn der erste Rausch vorüber ist. Wir haben uns noch nicht einmal gestritten. Nach dem ersten Streit wissen wir, ob wir genug für einander empfinden.“
     „Wir werden uns nicht streiten.“
     „Du bist ein Träumer. Wir werden uns streiten und unser sexuelles Verlangen wird nachlassen. Das ist so sicher, wie das Amen am Ende eines Gebets.“
     „Und davon bist du felsenfest überzeugt?“
     „Ja, natürlich, sonst würde ich es nicht sagen. Ich will dich Jakob und ich vertraue dir. Wenn du mich nach Hause bringst, gebe ich dir den Schlüssel zu meiner Wohnung. Du kannst dann kommen und gehen, wann du möchtest und du darfst ganz bei mir bleiben, wenn das dein Wunsch ist. Um es dir einfacher zu machen, bring morgen noch ein paar Anziehsachen mit. Aber lass uns, mit dem richtig zusammenwohnen noch warten.“
     „Wo Rachel, ist jetzt der Unterschied zum Zusammenziehen?“
     „Sollten wir zu der Überzeugung kommen, dass es ein Irrtum war, gibst du mir den Schlüssel zurück, packst deinen Koffer und gehst zurück in deine Wohnung.“
     „Rachel, du bist kompliziert.“
     „Wer hat denn gesagt, ich wäre einfach?“
     „Niemand, aber bevor du es dir anders überlegst, sage ich – lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.“
     Rachel lachte. „Du betrachtest mich also als einen Spatzen?“
     „Nein, eher als eine Mischung aus Spatz und Taube, wobei mir der Spatz besonders sympathisch ist. Darf ich denn einen Internetanschluss bei dir haben?“
     „Habe ich, hast du den Router noch nicht gesehen?“
     „Ich glaube, ich sehe nur dich, wenn ich bei dir bin. Du hast doch gar keinen Computer.“
     „Oh doch, mein Notebook habe ich aber zurzeit auf der Arbeit. Ich bediene es durch Sprachsteuerung und die Inhalte von Webseiten oder Dokumenten liest es mir vor. Ich bringe es am Wochenende mit, dann kannst du das Wunderding begutachten. Und wenn ich längere Texte schreibe, dann schließe ich die Braille-Tastatur an.“
     „Ich bringe dann mein Notebook auch mit. Ich habe noch einen Drucker, den ich bei dir lassen könnte, dann sind wir datentechnisch unabhängig. Und was ist eine Braille-Tastatur?“
     „Braille ist eine Blindenschrift. Jakob, ich sehe, du musst noch viel lernen. Du redest übrigens, als seien Computer das wichtigste für dich. Dabei sind die wirklichen Probleme viel profaner.“
     „Nämlich!“
     „Bevor du, wenn auch nur vorübergehend bei mir unterkommst, brauchen wir Lampen.“
     „So wichtig sind Lampen nun auch wieder nicht.“
     „Doch, ich habe es doch bereits gesagt, der Rausch, dass wir unsere Zeit weitgehend mit der Erkundung unserer Körper verbringen, geht vorüber. Ich wünsche mir, dass du mir abends vorliest.“
     „Du möchtest, dass ich dir vorlese?“
     „Ja, immerzu. Und anfangen sollst du mit Arc de Triomphe.“

     „Du kennst Remarque?“
     „Ja natürlich, ich bin blind, nicht ungebildet.“ Ungewollt hatte sich ein scharfer Ton in Rachels Antwort eingeschlichen. „Entschuldige, Jakob. Ich wollte dir auf keinen Fall unterstellen, dass du mich für ungebildet hältst. Aber ich reagiere allergisch, wenn ich auch nur den Ansatz des Gefühls habe, jemand hielte mich aufgrund meiner Blindheit für ungebildet.“
     Jakob kraulte leicht Rachels Handrücken. „Ist schon gut, es war auch unbedacht von mir, eine solche Frage zu stellen. Nur ist dieser der Schriftsteller ist bei der jüngeren Generation nicht so bekannt.“
     „Ich habe das Buch sogar gelesen. Es gibt es auch in Blindenschrift. Aber so lange ich mit dir zusammen bin, möchte ich lieber, dass du mir vorliest.“
     „Gut, mach ich, aber ich bin vorlesen nicht gewohnt.“
     „Noch hast du Zeit zu üben. Lese einfach laut, wenn du abends im Bett liest.“

In diesem Moment wurde das Hauptgericht aufgetragen und sie sprachen nur wenig, während sie aßen. Danach tranken beide noch eine Tasse Espresso. „Ich packe in meinen Koffer zusätzlich ein paar Bücher, wenn dir das Recht ist.“ Rachel nickte und trank an ihrem Kaffee. „Für den Anfang reichen vielleicht eine Stehlampe im Wohnzimmer, eine Nachttischlampe und eine Lampe in der Küche, damit du dich zu Recht findest. Wann besorgen wir die?“ „Freitag nach der Arbeit. Dann kann ich die Lampe in der Küche am Samstag aufhängen.“

Am Freitag hatte Jakob bereits kurz nach Mittag Feierabend. Zu Hause angekommen packte er das Nötigste in einen Koffer. Er ging die Bücherregale durch und nahm einige Bücher heraus, von denen er hoffte, sie würden Rachel zusagen. Vom Nachttisch holte er noch den Hemingway und legte ihn mit den anderen Büchern in den Koffer. Bevor er zu Rachel fuhr, schellte er, bereits mit dem Koffer in der Hand, bei seinen Eltern. Für Jakob unerwartet, öffnete sein Vater. Jakob hatte mit seiner Mutter gerechnet, da er seinen Vater im Garten vermutet hatte.
     „Komm herein. Ich sehe, du verreist!“
     Jakob stellte den Koffer in den Flur und folgte seinem Vater in die Küche. Seine Mutter goss gerade Kaffee ein, nahm eine weitere Tasse aus dem Schrank und goss auch in diese Kaffee. „Unser Sohn verreist, Ilse.“
     „Nein Vater, ich ziehe zu Rachel.“
     „Und hast du dir das gut überlegt?“, fragte seine Mutter.
     „Ich glaube schon, es ist auch noch nicht für endgültig. Rachel meinte, nur zur Probe. Ich habe auch nur einen kleinen Koffer gepackt.“
     „Wir hoffen, es ist wohlüberlegt. Wann stellst du uns Rachel vor?“
     „Sobald ihr uns zum Essen einladet.“ Jakob grinste breit, während er am Kaffee trank.
     Jakobs Vater guckte Jakob schief an. „Kann dein Schwarm nicht kochen oder warum willst du sonst so schnell wieder an unseren Tisch zurück?“
     „Papa!“
     „Heinz, du bist und bleibst ein Schwätzer! Jakob besprich das mit Rachel und sagt uns Bescheid, wann es euch beiden passt. Was soll ich kochen?“
     „Wir essen alles. Rachel ist ebenso unkompliziert, wie ich.“
     „Wenn ihr am nächsten Dienstag kommen wollt, dann mache ich Leber mit Kartoffelbrei.“
     „Perfekt, wir kommen Dienstag nach der Arbeit.“
     „Gibt es, außer Rachels Blindheit, noch etwas zu beachten?“
     „Sie ist Jüdin!“
     „Gläubige Jüdin?“
     „Nein, nicht gläubig, aber sie fühlt sich als Jüdin.“
     „Ist denn Leber koscher?“ Fragte Jakobs Vater.
     „Ich glaube nicht, nicht einmal Rinderleber. In diesem Punkt brauchen wir uns aber keine Sorgen zu machen. Rachel behauptet, die Vorschriften und Gesetze wären ihr gleichgültig.“
     „Na dann, deine Mutter hätte bestimmt Schwierigkeiten koscher zu kochen. Der Kompromiss heißt Rinder- statt Schweineleber.“

Jakob verabschiedete sich von seinen Eltern, legte den Koffer in den Kofferraum seines Autos und fuhr zur Stadtbücherei, suchte und fand dort Arc de Triomphe. Er lieh das Buch aus und fuhr dann die kurze Strecke bis zum Erlenweg. Dort angekommen, fand er es doof, dass die Garage noch vermietet war. So sah er sich gezwungen, seinen Koffer für alle Nachbarn sichtbar ins Haus zu tragen. Solange es Rachel gleichgültig war, wollte Jakob sich aber darüber den Kopf nicht zerbrechen. Da Rachel nach dem Klingeln nicht öffnete, nahm er an, sie sei noch nicht zu Hause und so schloss er die Tür auf. Da er zum ersten Mal seinen Schlüssel benutzte, kam ihm der Vorgang ausgesprochen feierlich vor. In der Wohnung stellte er den Koffer in der Diele ab, da er es Rachel überlassen wollte, zu entscheiden, wohin er seine Sachen legen solle. Jakob setzte Kaffee an, stellte zwei Tassen auf den Tisch und wartete dann auf Rachel. Nur kurze Zeit später kam Rachel nach Hause, sog den Duft des frisch gebrühten Kaffees ein und meinte, „gar nicht so schlecht einen Hausgenossen zu haben.“ Sie nahmen sich in die Arme. Nach einiger Zeit stieß Rachel Jakob vor die Brust – wir haben noch etwas zu erledigen, stellte sie klar. Nachdem sie ihren Kaffee getrunken hatten, fuhren sie zu einem nahe gelegenen Möbelgeschäft. In der Lampenabteilung fand Jakob schnell, was ihm an Beleuchtung vorschwebte.

Wieder zurück, montierte Jakob den Deckenfluter, den er für das Wohnzimmer gewählt hatte und platzierte ihn so, dass er für die Couch genug Licht zum Lesen abgab. Er führte Rachel zur Lampe, die sie ausgiebig abtastete und sich deren Position im Zimmer einprägte. Die Nachttischlampe stellte er auf den Nachttisch und Rachel wiederholte den Vorgang des Abtastens und Einprägen des Standortes. Sie beschlossen noch für eine Runde in den Wald zu gehen. Jakob verzichtete auf das Joggen und so gingen sie Hand in Hand ihre Runde.

„Du musst mir noch sagen, wo ich meine Sachen unterbringen kann, noch ist alles im Koffer.“
     „Ich mache nachher ein Fach für deine Sachen im Kleiderschrank frei. Was auf den Bügel muss, passt leicht in den Dielenschrank. Was hast du deinen Eltern gesagt? Du bist doch wohl nicht einfach verschwunden?“
     „Natürlich nicht! Ich habe ihnen gesagt, wie es ist – vorerst nur vorläufig. Wir sind für Dienstag zum Essen eingeladen.“
     „Oh, da muss ich wohl einen guten Eindruck machen.“
     „Du machst immer einen guten Eindruck. Ich habe ihnen schon gesagt, dass du Jüdin bist.“
     „Und?“
     „Nichts und. Es interessierte nur, ob koscher gekocht werden muss. Das konnte ich leicht verneinen. Stellst du mich bald deinen Eltern vor?“
     „Eigentlich wollte ich damit noch warten. Da wir jetzt aber eigentlich schon zusammen leben, ist das wohl unumgänglich.“
     „Wir könnten sie zum Essen einladen.“
     „Und du wirst koscher kochen? Dazu ist unsere Küche nicht geeignet und du weißt sowieso nicht, wie man koscher kocht. Wir lassen uns besser von meinen Eltern einladen. Dann kannst du gleich sehen, wie eine Küche aussehen muss, damit man überhaupt koschere Gerichte darin zubereiten kann.“
     „Versuche schnell einen Termin bei deinen Eltern zu bekommen. Denn einerseits möchte ich deine Eltern gerne kennenlernen und zum anderen, danach haben wir dann die familiären Pflichten erst einmal abgehakt.“

Wieder zurück, entschlossen sie sich nur belegte Brote zu Abend zu essen. Während sich Rachel damit beschäftigte, räumte Jakob den Koffer aus. Die Bücher legte er im Wohnzimmer in ein Regal. Als es dunkelte, kam der Augenblick, an dem Jakob das erste Mal das Licht einschaltete. Es fiel ihm direkt auf, dass das so nicht praktikabel war.
     „Rachel, wir haben etwas Wichtiges übersehen!“
     „Was denn, Liebster?“
     „Du hast nur eine dünne Gardine vor dem Fenster, hier und auch in der Küche.“
     „Ja und?“
     „Mit der Gardine warst du unsichtbar, tagsüber schützte sie dich, während abends und nachts durch die Dunkelheit niemand in deine Wohnung gucken konnte. Und das ist jetzt anders. Wenn ich das Licht anmache, sitzen wir für die Nachbarn wie auf dem Präsentierteller.“
     „Oh, wenn es uns dann überkommt, nehmen wir Eintritt.“
     „Du bist ein Goldstück. Aber wir treiben es dann doch weiterhin lieber im Dunkeln, bis wir blickdichte Vorhänge oder Rollos haben.“
     „Es scheint ganz schön kompliziert zu sein, mit mir blindem Huhn zusammenzuziehen. Was schlägst du vor, Vorhänge oder Rollos?“
     „Rollos, meine ich. Ich messe morgen die Fenster aus und wir können die Rollos danach direkt bestellen.“
     „Ich bestehe darauf, dass ich die Rollos bezahle, nachdem du vorhin die Lampen bezahlt hast.“
     „Ich protestiere, du brauchst das alles nicht, also zahle ich.“
     „Blödmann, die Lampen kannst du problemlos mitnehmen, wenn du gehen solltest. Für die Rollos wirst du wohl keine Verwendung finden. Und jetzt lese bitte vor. Wenn es uns überkommt, machen wir das Licht aus.“

Jakob nahm Arc de Triomphe zur Hand und begann zu lesen. Dabei versuchte er, so gut es ging, deutlich und betont zu sprechen. Die Frau kam schräg auf Ravic zu. Sie ging schnell, aber sonderbar taumelig…. Nachdem Rachel eine halbe Stunde, mit angezogenen Knien auf dem Teppich sitzend, konzentriert zugehört hatte, schmuste sie sich an Jakobs muskulösen Beine an. „Mach das Licht aus, Liebster, dann kommt es über uns“, sagte sie dabei. Jakob klappte das Buch zu und schaltete den Deckenstrahler aus. Nachdem Jakob sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah er im Zwielicht der Straßenlaterne, dass Rachel sich bereits auf den Teppich gelegt hatte. Er legte sich vorsichtig neben sie und entkleidete sie unter ständigem Streicheln. Rachel stöhnte leicht, während sie in Fahrt kam. Sie nestelte an Jakobs Kleidung herum, bis es ihr endlich gelang, Jakob das Hemd abzustreifen. Es wurde eine lange Nacht auf dem Teppich. Als sie sich zu Bett begaben, graute bereits der Morgen. Jakob wachte trotzdem recht zeitig auf. Er versuchte Rachel durch leichtes Kitzeln an Bauch und Brüsten zu wecken. „Was ist los“; knurrte sie schließlich. „Wir wollten Rollos bestellen.“ „Dann mach hin. Steh auf, ich brauche viel Kaffee.“ Rachel stellte sich sofort wieder schlafend, während Jakob in der Küche verschwand. Nachdem sie gefrühstückt hatten, maß Jakob die Fenster ab. Sie gingen bei einem Dekorationsgeschäft auf der Haselholtstraße vorbei, bestellten die Rollos und erledigten anschließend ihre Einkäufe für das Wochenende. Auf dem Rückweg sagte Rachel, für Jakob völlig überraschend, „ich lade uns für kommenden Freitag bei meinen Eltern ein.“ „Wieso Freitag?“ „Es ist der Sabbatabend, da kriegst du gleich einen Einblick in die jüdische Kultur.“ „Mir ist es recht, du erklärst mir aber schon vorher, wie ich mich verhalten muss.“ „Vor allen Dingen locker! Ein paar Sachen erkläre ich dir noch.“

Am Dienstag kam Rachel später als gewöhnlich von der Arbeit. Jakob erwartete sie bereits, um mit ihr zu seinen Eltern zu gehen. Rachel beeilte sich mit dem Umziehen und da sie einen guten Eindruck machen wollte, bat sie Jakob um Rat, was sie anziehen solle. Jakob nahm das nicht so wichtig, was Rachel wütend machte.
     „Jakob, mach mich nicht wütend! Ich bin auf deinen Rat angewiesen, sonst habe ich nachher eine lila Bluse und eine grüne Hose an.“
     „Wir gehen doch nur zu meinen Eltern. Das ist etwas anderes, als wären wir bei der Königin von Irgendwo eingeladen.“
     „Hör auf zu quatschen, ich will einen guten Eindruck machen. Ich dachte an meine blaue Hose und dazu eine passende Bluse.“
     „Ja, zieh deine blaue Hose an und eine weiße Bluse dazu, mehr brauchst du nicht. Für den Abend, falls es kühler wird, da können wir eine leichte Jacke für dich mitnehmen.“
     Rachel zog die blaue Hose an und da sie keine Zeit vergeuden wollte, bat sie Jakob, eine weiße Bluse aus dem Schrank zu nehmen. Sie drehte sich einmal um sich selbst. „Bin ich so vorzeigbar?“
     „Ja schon, aber ohne Schuhe?“
     „Das weiß ich selbst.“ Rachel wählte ein Paar bequeme Slipper aus und warf Jakob eine Jacke zu, die sie mitnehmen wollte. „Wir gehen beim Blumengeschäft vorbei und du stellst einen schönen Strauß Blumen für deine Mutter zusammen. Einen handlichen, bitte.“
     „Muss das sein?“
     „Muss das sein?“ Äffte Rachel Jakob nach. „Natürlich, das muss sein!“
     Rachel nahm ihren Langstock. „Den brauchst du nicht. Ich führe dich.“
     „Jakob, ich lasse mich gerne führen, das weißt du. Aber in diesem Fall bestehe ich darauf, dass deine Eltern nicht den Eindruck haben, ich sei hilfsbedürftig. Ich gehe mit dem Stock, basta!“

Als sie sich der Buchenstraße näherten, fühlte sich Rachel ziemlich mulmig. Es war einer der wenigen Augenblicke, in denen sie sich gewünscht hätte sehen zu können. Obwohl sie liebend gerne Jakobs Hand genommen hätte, ließ sie das bleiben und suchte mit dem Langstock ihren Weg. Am Haus seiner Eltern blieb Jakob stehen. „Wir sind da“, sagte er. „Bitte geh vorsichtig vor mir her und ich folge dir zur Tür“, entgegnete Rachel. Ihre Stimme klang unsicher. „Nein, das tu ich nicht. Du bist meine Rachel und ich gehe nur mit dir gemeinsam zur Tür oder wir drehen sofort um. Gib mir bitte deinen Stock, nimm den Blumenstrauß und gib mir deine Hand.“ Jakob sprach ungewohnt bestimmt, Rachel reichte ihm ihren Langstock und nahm stattdessen den Blumenstrauß. „Lass uns lieber fliehen, bevor es zu spät ist“, flüsterte Rachel in Jakobs Ohr. Jakob streichelte Rachel über die Haare, nahm ihre Hand, drücke sie fest in seine Hand und führte sie zur Haustür. Jakobs Mutter öffnete fast unmittelbar nach dem Klingeln. „Da seid ihr ja!“ Jakob küsste seine Mutter zur Begrüßung. „Das ist Rachel“, sagte er danach. „Guten Tag, Frau Hausmann.“ Rachels Stimme klang unsicher. „Guten Tag, Rachel. Ach was Frau Hausmann, bitte, sag Ilse zu mir. Und nun kommt endlich ins Haus.“ In der Diele überreichte Rachel den Blumenstrauß. Ilse freute sich ungemein. „Danke Rachel, ein wirklich schöner Strauß.“ „Ich muss sie enttäuschen. Jakob nimmt mir solche Arbeiten ab. Sie wissen schon.“ „Das war ungeschickt von mir. Aber bitte Rachel, lass das sie weg. Und wenn du auf Heinz triffst, versuch es bitte gar nicht erst mit sie.“ „Wo ist Papa denn?“ „Geht in den Garten und holt ihn zum Essen.“ „Komm Rachel, ich zeige dir den Garten.“ Jakob nahm Rachel an die Hand und führte sie über die Terrasse in den Garten. Jakobs Vater wuselte ganz hinten im Garten am Komposthaufen. Er führte sie vorsichtig um zwei Sträucher herum und Rachel fühlte das weiche Polster des Rasens unter den Füßen. „Hallo Papa, das ist Rachel.“ Jakobs Vater nickte erfreut. „Papa, du musst sprechen. Nicken kann Rachel nicht sehen.“ „Oh Entschuldigung. Ich freue mich dich kennenzulernen, Rachel.“ „Guten Tag! Ilse hat gesagt, ich soll es gar nicht erst mit Herr Hausmann und sie versuchen. Darf ich Heinz sagen?“ „Natürlich Rachel. Das entkrampft unser Verhältnis ungemein. Geht schon einmal vor. Ich wasche mich noch und ziehe mich etwas um.“ Wieder im Haus angekommen, war Ilse in der Küche dabei, die Leber zu braten. „Es ist Rinderleber. Ich vermute, du isst kein Schwein“, rief sie ins Wohnzimmer. „Doch Ilse. Ich halte die Speisevorschriften für puren Unsinn. Sehr zum Kummer meiner Eltern. Aber ich danke dir trotzdem, dass du daran gedacht hast.“

Das Essen verlief harmonisch. Heinz erzählte von seinem Garten und davon, dass sich Jakob gar nicht dafür begeistern könne. Ilse gab zum Besten, wie schüchtern Heinz als junger Mann gewesen sei und wie sie immer krampfhaft versucht hatte, ihn in ein Gespräch zu ziehen. Rachel und Jakob erzählten, wie sie zueinander gefunden hatten. Was Heinz damit kommentierte, dass Jakob wohl die Schüchternheit nicht von ihm geerbt habe. Als Ilse den Tisch abräumte, bot sich Rachel an, ihr in der Küche zu helfen, was Ilse mit dem Kommentar ablehnte, sie habe eine Spülmaschine und die hieße Heinz. Sie kam auch sofort aus der Küche zurück und stellte Kaffeetassen auf den Tisch. „Ihr bleibt doch noch auf einen Kaffee? Danach könnt ihr dann abziehen. Ihr habt sicher Besseres zu tun, als den ganzen Abend bei uns zu sitzen“, sagte sie dazu, verschwand kurz wieder in der Küche und kam mit der Kaffeekanne zurück.

„Rachel, du bist Deutsche?“, begann Heinz das Gespräch, nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte.
     „Ja, ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Eltern haben deutsche und israelische Pässe und so habe auch ich automatisch einen israelischen Pass. Ich habe schon oft überlegt, ihn zurückzugeben.“
     „Das wäre unlogisch für dich, keinen Pass Israels zu haben.“
     „Für mich nicht. Ich spreche nur gebrochen Iwrit und der jüdischen Kultusgemeinde gehöre ich auch nicht an. Und nicht zu vergessen, ich bin Deutsche aus Überzeugung.“
     „Aber zwischen deiner Herkunft und uns steht eine Vergangenheit.“
     „Ich habe bereits versucht es Jakob deutlich zu machen. Weder ihr, noch wir tragen Schuld an der Shoah. Woran wir zu tragen haben, ist die Verantwortung für das Erinnern.“
     „Du sprichst mir aus der Seele.“
     „Du musst wissen, Rachel, mein Vater kämpft für Frieden und Aussöhnung.“
     „Du verdrehst die Tatsachen, Jakob. Ich bin für den Frieden. Im Falle des Holocausts kann ich als Nachkomme der Täter nicht nach Aussöhnung verlangen. Ich kann nur hoffen, dass die Opfer und deren Nachkommen bereit sind, sich mit uns auszusöhnen.“
     „Ich habe mich nur ungeschickt ausgedrückt, Papa. Du meinst das Gleiche wie ich.“
     „Für mich ist das eine schwierige Gratwanderung. Während Ilses Eltern eher unverdächtig sind, habe ich nicht einmal die Möglichkeit gehabt, mit meinem Vater über seine Taten im Krieg zu sprechen. Und meine Mutter tat immer so, als beträfe sie das Ganze nicht.“
     Ilse, die bisher geschwiegen hatte, mischte sich ein. „Ich weiß Heinz, deine Situation ist schwierig. Da habe ich es einfacher. Aber wenn ich eins weiß, meine Mutter war eine Antisemitin. Unverdächtig ist nur mein Vater.“
     „Mein Vater war im Polenfeldzug, dann heiratete er meine Mutter. Dann ging es in den Frankreichfeldzug. Danach wurde ich gezeugt, dann der Überfall auf die Sowjetunion und vorbei war sein Leben. Und heute, wohl wissend, was während des Einmarschs über das Baltikum passiert ist, sitze ich da, ohne eine Antwort.“
     „Papa, du kannst dir den Kopf darüber zerbrechen, aber du wirst keine Antwort auf deine Fragen bekommen. Ich kann das nachvollziehen, da ich die gleichen Vorfahren habe. Ich finde, wir sollten uns Rachels Einstellungen verinnerlichen, die Erinnerung am Leben zu erhalten. Du kannst so wenig für die Taten deiner Eltern, wie Mama für den Antisemitismus ihrer Mutter.“

Heinz reichte seinem Sohn die Hand. „Recht so Jakob. Und jetzt macht euch auf die Socken, wir Altertümer brauchen unsere Ruhe.“ Zum Abschied sagte Rachel noch, dass sie sich über einen Gegenbesuch freuen würde und sie konnte es sich auch nicht verkneifen, dabei Jakobs Kochkünste zu loben. Ilse wirkte über diese Neuigkeit erstaunt. Als Rachel und Jakob gegangen waren, fragte Ilse, ob Heinz gewusst hätte, dass Jakob koche. Heinz entgegnete mit einem lakonischen, nein. Gemeinsam gingen sie in die Küche und machten den Abwasch. Heinz hing seinen Gedanken nach, während er hingebungsvoll einen Teller mit dem Feudel bearbeitete. Ilse ließ das Trockentuch sinken und schaute Heinz auffordernd an.
     „Wie findest du Rachel?“
     „Ja…“
     „Was ja? Ich finde, sie wäre eine echte Bereicherung für Jakob.“
     „Wäre? Du tust gerade so, als wäre sie bereits wieder auf dem Abflug.“
     „Das ist jetzt aber keine Antwort auf meine Frage.“
     „Ich sage es einmal so, Ilse. Rachel als Schwiegertochter wäre mir sehr willkommen. Wenn ich an all die Tussen denke, die Jakob sich bisher angelacht hat, ist sie der erste Lichtblick, den ich in diesem Zusammenhang erlebe. Erinnerst du dich noch an das nackte Mädchen, dass nachts im Bad stand, als ich pinkeln wollte?“
     „Nur zu gut; und wie die sich morgens beim Frühstück benommen hat. Nicht einmal gegrüßt hat sie, aber den Bauch hat sie sich voll gehauen.“
     „Ich sag’s ja, ein Lichtblick.“
     „Obwohl blind, wollte sie mir in der Küche helfen. Sie scheint gut mit ihrer Behinderung klarzukommen.“
     „Nicht nur das, sie scheint insgesamt ziemlich selbstsicher zu sein. Und ich glaube, die beiden sind ziemlich ineinander verliebt.“

Jakob versuchte auf dem Rückweg seinen Arm um Rachels Hüfte zu legen, was zwar die Nähe erzeugte, die beide so mochten, aber das Gehen für Rachel schwierig machte. So nahm Jakob Rachel bereits nach einigen Metern wieder bei der Hand. Der Abend war kühler als die vorhergehenden Abende, so war Rachel froh, ihre Jacke überziehen zu können. Zu Hause angekommen war Rachel ziemlich aufgekratzt und machte es sich sofort auf der Couch bequem. Auf Jakobs Frage, was sie am Abend tun würden, antwortete Rachel, er müsse vorlesen und sie würde eine Flasche Sekt spendieren.
     „Was ist los mit dir? Du tust so, als hätten wir morgen frei. Eine Flasche Sekt verträgt sich nicht mit früh aufstehen.“
     „Nach der Anspannung vor dem Besuch bei deinen Eltern bin ich jetzt ausgeglichen und da darf es schon eine kleine Sünde sein.“
     „Ich dachte, die kleine Sünde würden wir im Bett begehen.“
     „Das ist eine große Sünde und darüber entscheiden wir spontan. Jetzt ziehe ich mich aus, hole den Sekt und du konzentrierst dich auf das Vorlesen.“
     „Denk dran, zum Vorlesen muss ich das Licht einschalten und wir haben noch keine Rollos.“
     „Ja, ich ziehe mir etwas Bequemes über. Das hat den Vorteil, dass du nicht auf dumme Gedanken kommst.“
     „Wenn du deinen verführerischen Morgenmantel anziehst, komme ich auf jeden Fall auf dumme Gedanken.“
     „Trink Sekt und dann lies vor. Das vertreibt dumme Gedanken.“
     „Erst sagst du mir, wie dir der Besuch bei meinen Eltern gefallen hat.“
     „Jakob, bist du doof oder tust du nur so? Ich sagte doch, ich bin entspannt.“
     „Komische Antwort!“
     „Puh und du behauptest, ich sei kompliziert, ich sage es dir dann im Klartext. Deine Eltern haben keine Vorurteile, sie stören sich weder an meinem Blindsein, noch an meiner Herkunft und ich empfinde sie als sehr sympathisch. Reicht das?“
     Jakob trank von seinem Sekt, schlug das Buch auf und las vor. Rachel kauerte sich auf die Couch und hörte zu. Nach einiger Zeit klappte Jakob das Buch zu. „Wie sieht es denn in eurer Religion mit dem Sex aus? Ich frage, weil du von einer großen Sünde sprachst.“
     „Sex vor der Ehe ist verboten. Aber das ist doch bei euch auch nicht anders, zumindest bei den Katholiken.“
     „Ich bin nicht katholisch, das trifft für mich nicht zu. Aber wie sehen die Gesetze die Sexualität?“
     „Wie ich sagte, vor der Ehe nicht. In der Ehe ist alles erlaubt, was beiden Seiten Befriedigung bringt. Das bedeutet, der Mann darf die Frau zu nichts zwingen. Nur freiwillige Handlungen sind erlaubt. Und eine Einschränkung gibt es, der Mann darf seinen Samen nicht vergeuden. Deshalb ist masturbieren für Männer verboten. Oraler Sex ist erwünscht, er steigert das Vergnügen, darf aber nicht zum Samenerguss führen, um den Samen nicht zu vergeuden.“
     „In den Gesetzen ist wohl an alles gedacht?“
     „Und ob, mach das Licht aus, wir gehen zu Bett. Und dazu brauchen wir keine Zuschauer.“

Im Bett lagen sie nebeneinander und hielten sich an den Händen. Rachel dachte über das Geschehen des Tages nach. In sich spürte sie tiefe Zuneigung zu Jakob, sie drückte sich fester an Jakobs Seite, als dieser zu sprechen begann.
     „Rachel, glaubst du inzwischen, dass es Liebe ist, was ich für dich empfinde?“
     „Ja, inzwischen sehe ich uns als Liebende. Aber noch sind nicht alle Klippen umschifft.“
     „In Ordnung, du denkst daran, dass wir noch nicht gestritten haben. Ich glaube, wir werden uns irgendwann streiten, aber ich habe nicht die Sorge, wir könnten uns deshalb trennen.“
     „Eigentlich habe ich diese Sorge auch nicht, aber man hat schon Pferde kotzen sehen und das direkt vor der Apotheke.“
     „Du hast vielleicht Sprüche drauf.“
     „Ich war, nachdem ich mich von Ben getrennt hatte, fest davon überzeugt, dass ich vorerst allein leben werde. Und dann lerne ich dich kennen und ich gehe sofort mit dir ins Bett – nicht nur das, ich erlaube dir, die ganze Nacht zu bleiben. Und was am verrücktesten ist, ist mir erst viel später aufgegangen. Wir lebten schon fast zusammen, ohne dass ich deinen Nachnamen kannte. Den habe ich erst erfahren, nachdem du dich bei der Büffelkuh eingeschleimt hast.“
     „Das hat wohl alles etwas damit zu tun, dass Umwege nicht dein Ding sind.“
     „Du redest Unsinn, Jakob.“
     „Nein, das ist kein Unsinn! Deine Entscheidungen sind schnörkellos.“
     „Meinst du nicht, dass wir beide einfach nur geil waren?“
     „Kann sein. Das ist aber im Nachhinein unerheblich. Wir sind auf jeden Fall fleißig dabei unsere gemeinsame Zukunft zu planen. Und wenn das kein gutes Zeichen ist, dann weiß ich es nicht. Hast du mit deinen Eltern wegen Freitag gesprochen?“
     „Morgen rufe ich sie an. Aber ich schätze, sie werden erfreut sein, wenn wir zum Sabbatabend kommen wollen, denn eigentlich erwarten sie von mir, dass ich jede Woche zu diesem Termin erscheine. Nur, ich finde fast immer eine Ausrede. Jetzt dreh dich um, wir wollen schlafen“, Rachel küsste Jakob auf den Mund.

Am Morgen erwachte Jakob lange bevor der Wecker rasselte. Im Zwielicht des frühen Morgens sah er, dass Rachel ihre Decke beiseitegeschoben hatte. Unter ihrem leichten Nachthemd zeichneten sich die sanften Rundungen ihres Körpers ab. Jakob war tief beeindruckt von dem Frieden, den Rachel im Schlaf ausstrahlte. Er hätte gerne ihr Gesicht berührt, das im Dämmer wie aus Porzellan wirkte. Da er aber den Zauber nicht zerstören wollte, hielt er still und betrachtete sie nur. Rachel hatte ihre rechte Hand locker auf ihrem Leib liegen und atmete ruhig. Ab und zu bewegte sie sich leicht. Jakob hob Rachels Bettdecke an und deckte sie so vorsichtig wie möglich zu. Die Antwort darauf war ein leichtes Knurren, aber Rachel schlief ruhig weiter.

Rachel kam am Nachmittag zeitig von der Arbeit. Sie hatte Salat und Mettenden auf dem Heimweg gekauft. Sie meinte, das reiche zum Abend, da sie davon ausging, dass Jakob bereits in der Kantine gegessen hatte. Eine ausgedehnte Wanderung durch den Wald wäre jetzt genau das Richtige, kam Rachel in den Sinn. Da sie nicht auf Jakob warten wollte, überlegte sie, wie sie ihm eine Nachricht zukommen lassen könne. Sie nahm ihr Handy, wählte ihre eigene Festnetznummer und als der Anrufbeantworter ansprang, hinterließ sie die Mitteilung, sie sei im Wald. Sie hatte die Hoffnung, dass Jakob die Nachricht abhören würde, wenn er nach Hause kam. Dann kam Rachel eine andere Idee. Wer seinen Namen blind auf Papier schreiben kann, könne auch den Satz – BIN IM WALD – zu Papier bringen. Sie fand diese Idee so bestechend, dass sie sie sofort in die Tat umsetzte. Einen Bogen Papier fand sie in einer Schreibtischschublade und nach einigem Suchen ertastete sie auch einen Kugelschreiber. Mühsam malte Rachel Buchstabe für Buchstabe auf das Papier. Zum Schluss versuchte Rachel noch ein Herz auf das Papier zu malen. Sie zog sich um, nahm ihren Langstock und ging los. Sie dachte kurz darüber nach, welche ihrer Runden sie einschlagen solle – sie entschied sich für die große Runde, da es noch früh war. Fast eine Stunde war Rachel bereits unterwegs, als sie Jakob kommen hörte. Jakob hielt an und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
     „Du hast meine Nachricht gefunden?“
     „Beide Nachrichten, ich wusste gar nicht, dass du schreiben kannst.“
     „Schreiben ist zu viel gesagt, malen ist wohl eher der richtige Ausdruck. War es denn gut zu lesen?“
     „Ja sicher, nur am Ende war ein Kringel, von dem ich nicht weiß, was er bedeuten sollte.“
     „Das sollte ein Herz sein.“
     „Nun, ich glaube, das üben wir noch einmal.“
     „Sei nicht so frech, Jakob Hausmann! Und jetzt lauf weiter. Ich habe noch eine knappe Stunde zu gehen.“
     „Nicht sofort. Ich bekomme noch einen Kuss.“
     „Die Belohnung gibt es nach dem Joggen. Wenn ich dich jetzt küsse, hast du wieder keine Lust weiterzulaufen. Und du weißt ja, ich will keinen schlaffen Mann.“
     „Dann küsse ich dich jetzt. Du kannst dich ja wehren, wenn du willst. Oder ruf laut Überfall.“ Jakob zog Rachel zu sich und küsste sie auf den Mund.
     „Das war nicht abgesprochen – verschwinde!“
     „Ja doch, Chefin. Ich bin schon weg.“

Als Jakob genug vom Joggen hatte, versuchte er möglichst schnell Rachel zu treffen. Er lief ein Stück in die Richtung, aus der er Rachel erwartete und schon nach wenigen Metern kam ihm Rachel entgegen. „Bist du schon fertig mit Joggen?“ Rief Rachel, sobald sie Jakob hörte.
     „Ja sicher, zehn Kilometer sind genug.“
     „Ich will es heute einmal durchgehen lassen, erwarte aber Steigerung“, antwortete Rachel lachend.
     „Du bist gut, wanderst acht oder neun Kilometer und ich soll mich steigern. Hast du bei deinen Eltern etwas erreicht?“
     „Ja, sie freuen sich auf unser Kommen.“
     „Fein. Um wie viel Uhr erwarten sie uns?“
     „Zu Sonnenuntergang. Der ist so um halb neun. Die Feier beginnt, wenn ein blauer Wollfaden nicht mehr von einem grauen zu unterscheiden ist.“
     „Ich verstehe Bahnhof.“
     „Zu diesem Zeitpunkt spricht mein Vater den Kiddusch.“
     „Rachel, du sprichst in Rätseln.“
     „Hast du keine Fantasie? Kiddusch ist der Sabbatsegen, den das Familienoberhaupt am Sabbatabend spricht. Mein Vater hebt den mit Wein gefüllten Kidduschbecher und beginnt mit den Worten - Ve’jihi erev ve’jihi boker…
     „Muss ich dabei etwas Besonderes beachten?“
     „Nein, sei aufmerksam und tue das Gleiche, wie ich.“
     „Das klingt beruhigend.“
     „Und wenn du etwas verkehrt macht, nimmt dir das niemand übel. Du bist schließlich ein Goj.“
     „Ich werde mich bemühen.“
     „Nur Mut! Du bist mein Mann und stehst unter meinem Schutz.“
     „Echt beruhigend. Ich habe übrigens heute einen Anruf erhalten. Die Rollos kann ich morgen abholen. Ich fahre nach der Arbeit vorbei und bringe die Rollos mit.“
     „Prima, dann brauchst du nicht mehr darauf zu achten, dass ich nicht nackt vor dem Fenster posiere, wenn das Licht an ist.“

Sie hatten inzwischen den Erlenweg erreicht und gingen nach oben. Jakob und Rachel duschten nacheinander. Als Rachel aus der Dusche kam, hatte Jakob bereits den Salat geputzt und war dabei, die Salatsauce anzurühren. Rachel setze einen Topf mit den Mettenden auf den Herd. Als alles hergerichtet war, setzten sie sich an den Küchentisch. Rachel bat Jakob um ein Glas Bier. Jakob schüttete für Rachel und sich selbst Bier ein. Beide aßen die Mettenden mit dem Salat. Rachel nahm sich einen extra großen Löffel Senf zu ihrer Mettwurst, während Jakob sich noch eine Scheibe Brot gönnte. Sie blieben nach dem Essen noch lange am Tisch sitzen. Jakob hielt dabei Rachels Hand.
     „Über meine Vorlieben beim Essen sprechen wir besser nicht, wenn meine Eltern dabei sind.“
     „Wissen sie nichts davon?“
     „Doch, du sagst ja selbst, dass ich sehr direkt bin.“
     „Und wo ist dann das Problem?“
     „Wenn darüber gesprochen wird, habe ich immer den Eindruck, sie würden sich dafür schämen, mich nicht richtig erzogen zu haben.“
     „Dann ist es unser Geheimnis, dass du dich nicht gebessert hast. Ich kann mich ja bei deinen Eltern einschleimen und erklären, ich würde auf dein Essen achten.“
     „Wage dich, dann würge ich dich!“
     „Gut, du hast mich überzeugt und von dir gewürgt zu werden, ist nicht das, was ich mir von dir wünsche.“
     „Was du dir wünschst, ist bekannt!“
     „Oh, dann brauche ich das nicht zu erklären.“
     Rachel trat Jakob vor das Schienbein, schwieg aber.
     „Ich kann mich doch so gut beherrschen.“
     „Ach ja. Ich merke doch, wie du mir mit deinen Blicken die Kleider vom Leibe reißen möchtest, sobald du mich siehst.“
     „Nein, so bin ich nicht. Heute Morgen war ich früh wach und hatte große Lust dich zu vernaschen, aber ich habe es nicht getan und dich stattdessen vorsichtig zugedeckt.“
     „Was für eine Leistung.“
     „Ich bin eben ein sehr beherrschter Mensch.“
     Rachel lachte Jakob frech ins Gesicht. „Wann ist denn diese Wandlung in dir vorgegangen?“
     „Weiß ich nicht, aber ich fühle mich sehr wohl in meiner neuen Rolle.“
     „Du Spinner, du wartest doch nur darauf, dich mit mir zu vereinigen.“
     „Du hast recht!“

Rachel erhob sich und ging ins Wohnzimmer. Sie stellte sich ans Fenster und für Jakob sah es so aus, als würde sie auf die Straße schauen. Er trat hinter sie und legte seine Arme um sie. Rachel gab seinem Drängen gerne nach und ließ sich ohne weitere Umschweife von Jakob zum Bett führen. Nachdem sie ihr Verlangen befriedigt hatten, setzten sie sich im Wohnzimmer nebeneinander auf die Couch. Rachel schaltete den Fernseher ein, weil die Tagesschau anfing. Danach wurde ein Tatort gesendet, dessen Handlung Rachel interessiert folgte, während sich Jakob angelegentlich mit Rachels Füßen beschäftigte, die diese auf seinen Schoß gelegt hatte. Nach dem Tatort bat Rachel Jakob ihr wieder vorzulesen. Jakob schaltete das Licht an, nahm Arc de Triomphe vom Tisch und las vor. Es wurde ein langer Vorleseabend, den beide zutiefst genossen. Jakob löschte das Licht, stand aber noch nicht auf. Auch Rachel blieb noch sitzen. Jakob massierte wieder Rachels Füße, die immer noch auf seinem Schoß ruhten.
     „Rachel, was ist dir das Wichtigste im Leben? Ich meine nicht, dass du jetzt sagen sollst, ich sei das Wichtigste in deinem Leben.“
     „Ich sage es aber. Zurzeit kann ich mir nichts Wichtigeres in meinem Leben vorstellen.“
     „Und sonst?“
     „Es gibt zwei Dinge, die in meinem Leben über allem stehen – Frieden und Freiheit. Beide Begriffe gehören zueinander. Weder ist Frieden ohne Freiheit vorstellbar, noch Freiheit ohne Frieden. Sie verhalten sich wie siamesische Zwillinge, sie sind untrennbar.“
     „Kannst du das näher erklären?“
     „Es ist für mich so, Jakob: Wenn ein friedliches Zusammenleben gewährleistet sein soll, brauchen die Menschen eine freiheitliche Ordnung, so wie wir sie haben. Zumindest, wenn der Friede dauerhaft sein soll.“
     „Ich glaube, so einfach funktioniert die Welt nicht, Rachel.“
     „Natürlich ist es komplizierter. Dazu kommen noch Gerechtigkeit, wirtschaftliche Sicherheit und eine intakte Umwelt, um nur einiges zu nennen.“
     „Und trotzdem verkürzt du die Welt auf Frieden und Freiheit.“
     „Ja, denn der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Und was ist dir wichtig?“
     „Ich habe noch nicht weiter darüber nachgedacht. Aber wenn ich es spontan formulieren soll – Liebe und Zuneigung. Und da ich dich jetzt liebe und da ich Rheinländer bin – Liebe, Lust und Leidenschaft.“
     „Nachdem wir das geklärt haben, sollten wir jetzt zu Bett gehen. Komm!“

Der Freitagmorgen gestaltete sich regnerisch. Schon während des Morgenkaffees prasselte Regen gegen das Küchenfenster. Jakob bot Rachel an, sie beim LKA abzusetzen. Rachel nahm das Angebot gerne an, da sie es bei prasselndem Regen nicht prickelnd fand, zum Bus zu gehen. So hatte sie noch etwas Zeit, sich die passende Kleidung für den Abend zu Recht zu legen. Als sie mit der Auswahl zufrieden war, zeigte sie Jakob, was sie für den Abend gewählt hatte. „Für deine Vorlieben echt festlich.“ „Ja, Sabbatabend ist ein Fest. Tu mir den Gefallen und passe dich an, bitte Jakob.“ Jakob streichelte Rachel über die Wange. „Dann muss ich am Nachmittag zuerst bei meiner Wohnung vorbei.“ „Bitte tu das, wir haben reichlich Zeit bis halb neun. Wenn das Wetter mitspielt, können wir noch vorher in den Wald.“ Danach war es Zeit sich auf den Weg zu machen. Im Treppenhaus trafen sie auf die unvermeidliche Frau Müller. „Ich habe der Hausverwaltung den neuen Mitbewohner bereits gemeldet, Frau Müller“, sagte Rachel, wobei sie ihr bezauberndstes Lächeln aufsetzte. „Ich habe immer gespürt, dass sie eine verantwortungsvolle Frau sind, die auf gute Nachbarschaft wert legt, Frau Cohen. Ich wünsche ihnen beiden einen schönen Tag.“ Rachel und Jakob erwiderten den Gruß. Jakob öffnete einen Regenschirm, als sie vor die Tür traten und führte sie zum Auto. Als sie im Auto saßen, konnte Rachel sich nicht mehr zurückhalten, verantwortungsvolle Frau, pustete sie. Jakob fuhr los – Büffelkuh, sagte er dabei.

„Du musst wissen, meine Eltern stehen politisch sehr weit links und kritisieren die Politik der israelischen Regierung scharf. Mein Vater wird es kaum schaffen, einen Abend nicht über Politik zu sprechen. Er wird versuchen, dir seine Einstellung zur Besatzungspolitik, insbesondere im Westjordanland, zu erklären“; sagte Rachel nach einiger Zeit.
     „Oh Gott, davon habe ich überhaupt keine Ahnung.“
     „Er erklärt es dir, wie ich gerade sagte. Da ich vermute, du bist kein Verfechter der Besatzungspolitik, wird es auch keine Probleme zwischen euch geben.“
     „Und was bedeutet jetzt deine Vorankündigung für mich?“
     „Meine Eltern sind nicht nur Linke, sondern auch Israelis. Eine Kritik an Israel im Allgemeinen käme nicht gut an.“
     „Wie käme ich dazu! Ich habe nichts gegen den Judenstaat und, nein, ich bin Israel freundlich gesonnen.“
     „Ok, ok, Jakob.“ Rachel schwieg, aber nur bis zur nächsten Ecke. „Machen dich Dessous an?“
     „Was hat das jetzt mit Israel zu tun?“
     „Quatschkopp, das Thema war bereits beendet.“
     „Aha!“
     „Also, machen dich Dessous an?“
     „Nee, wieso?“
     „Ach, ich habe ganz tolle Sachen im Schrank. Ben ist total darauf abgefahren. Und ich dumme Kuh habe die Dinger nur gekauft, um ihm eine Freude zu machen.“
     „Für mich nicht. Wenn du sie anhast, deine Sache. Mich machen nackte Frauen an. Und dann noch Klamotten - Dinger, die du für Ben getragen hast. Danke.“
     „Gut, dann schmeiße ich das Zeugs einfach weg.“
     „Lass sie doch einfach im Schrank liegen. Vielleicht für einen neuen Mann.“
     „Nein, ich will Ben aus meinem Leben entfernen.“
     „Wenn dem so ist, bleibt immer noch ein neuer Mann.“
     „Willst du mich etwa verlassen?“
     „Nein, ich verlasse dich nicht.“
     „Gut, dann verlasse ich dich auch nicht. Die Dessous kommen in den Kleidercontainer.“
     „Hast du keine Freundin, der du sie schenken kannst?“
     „Ich würde mich schämen, weil ich so etwas getragen habe. Das geht wirklich nicht.“
     „Ab in den Container…“

Sie kamen beim LKA an und da der Regen nachgelassen hatte, verzichtete Rachel auf den Regenschirm, sie verabschiedete sich mit einem Kuss und stieg aus. Am Nachmittag fuhr Jakob zu seiner Wohnung, er schellte zuerst bei seinen Eltern, die aber nicht zu Hause waren, was ihm zu diesem Zeitpunkt ganz recht war. Er durchforstete seinen Kleiderschrank und suchte etwas Passendes zu der von Rachel ausgewählten Garderobe. Seine fast neue Kombination fand er am passendsten, legte sie auf sein Bett und versuchte es mit verschiedenen Hemden, bis er ein farblich passendes Hemd gefunden hatte. Er fand sogar ein Paar zur Hose passende Socken. Entsprechende Schuhe hatte er bereits an, er legte noch eine Krawatte dazu, beschloss aber, diese nur dann anzuziehen, wenn Rachel darauf bestand. Auf der Fahrt zu Rachel hielt Jakob noch bei einem Blumengeschäft an und kaufte für Rachels Mutter einen Blumenstrauß. Als er in seinem neuen zu Hause ankam, warf er sich schon einmal in seine Joggingsachen und setzte Kaffee an, während er auf Rachel wartete. Sowie er Rachel auf dem Gehweg herankommen sah, ging er nach unten, um sie schneller in die Arme schließen zu können. Als Rachel ihn kommen hörte, stutzte sie. „Du scheinst es sehr eilig zu haben“, sagte Rachel verdutzt. Jakob antwortete nicht, sondern zog Rachel in seine Arme. Hinter Rachel kam ein Mann die Straße entlang. Jakob erstarrte, es war Ben, der wieder einen angetrunkenen Eindruck machte.
     „Da hat die Judenschlampe aber einen treuen Freund“, legte es los.
     „Ben, was soll das?“
     „Halt dein Maul, Schlampe!“
     „Lassen sie uns doch einfach in Ruhe. Am besten gehen sie heim und schlafen ihren Rausch aus.“
     „Gar nichts werde ich tun. Ich will nur, dass alle wissen, mit wem es die Hure treibt.“
     „Verschwinden sie endlich! Oder ich rufe die Polizei!“
     Aggressiv kam Ben näher – Jakob stellte sich so, dass er zwischen Rachel und Ben stand. „Rachel geh ins Haus und rufe die Polizei.“
     „Du Feigling, du kannst wohl die Wahrheit nicht vertragen. Rufst du immer die Polizei, wenn du nicht mehr weißt, wie es weiter geht?“
     Jakob wurde es jetzt ziemlich mulmig, zumal er merkte, dass Rachel sich demonstrativ neben ihn stellte. „Bitte Rachel, geh ins Haus.“
     „Hast wohl Angst, dass ich deiner Fotze was antue. Die würde ich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen.“
     „Bitte Ben, lass doch den Quatsch. Wir waren doch beide der Meinung, wir würden uns besser trennen.“
     „Mit dir spreche ich doch gar nicht, du Schlampe. Das ist ein Gespräch unter Männern. Also halt dein Maul, Nutte.“
     „Nein, das ist kein Gespräch unter Männern. Ich möchte, dass sie jetzt gehen und uns einfach in Ruhe lassen.“
     „Kennst du Judenbock das? Ich bin im Dorf das größte Schwein, ich lass mich nur mit Judenfotzen ein.“
     Inzwischen waren durch den Streit etliche Nachbarn aufmerksam geworden. Als Jakob Frau Müller herauskommen sah, rief er, „Frau Müller, bitte rufen sie die Polizei.“ Frau Müller ging sofort zurück ins Haus.
     „Nicht nötig, nicht nötig, du Hurenbock. Ich gehe schon, aber ich komme wieder. Hätten sie doch nur alle vergast!“

Ben zog schwankend ab. Jakob legte einen Arm um Rachel und führte sie ins Haus. Dort trafen sie auf Frau Müller. „Ich habe die Polizei gerufen“, sagte diese. Jakob nickte und stieg mit Rachel die Treppe hinauf. In der Wohnung angekommen, brach Rachel in Tränen aus. Er fühlte sich absolut hilflos und versuchte sie zu trösten. Tränen aus Rachels toten Augen, das verwundete Jakobs Seele. Nach einiger Zeit schellte es und zwei Polizisten standen vor der Tür. Den einen davon kannte Jakob schon von seinem letzten Zusammentreffen mit Ben.
     „Mein Name ist Riedel und das ist mein Kollege Hauptkommissar Jansen“, stellten sich die beiden vor.
     „Kommen sie bitte herein“, antwortete Rachel unter Tränen.
     „Wie wir sehen, gab es wieder Ärger mit Herrn Weiland. Kollegen haben ihn festgenommen. Machen sie uns bitte mit der Dame bekannt, Herr Hausmann“, sagte Riedel, als sie in der Wohnung waren.
     „Das ist meine Lebensgefährtin, Frau Cohen.“
     „Gut Herr Hausmann, wir müssen sie und Frau Cohen natürlich vernehmen. Das eilt aber nicht. Es wäre aber wichtig, dass sie Anzeige erstatten. Nach Aussage der Nachbarn hat Herr Weiland sie beide auf das übelste beleidigt. Sie hätten bereits beim letzten Vorfall Anzeige erstatten sollen, Herr Hausmann. Überlegen sie sich das bitte, sie können die Anzeige immer noch nachholen. Wir erstatten auf jeden Fall Anzeige wegen Landfriedensbruch und Volksverhetzung. Das ist beim letzten Vorfall auch geschehen.“
     Rachel hatte sich inzwischen beruhigt. „Bevor ich mich entscheide, ob ich Anzeige erstatte, möchte ich mich auf jeden Fall vorher mit Jakob und mit meinen Eltern besprechen. Geht das?“
     „Sicher, Frau Cohen. Wir laden sie zur Vernehmung vor. Das klingt leider jetzt sehr bestimmend, ich meine eher, wir laden sie ein. Und sie, Herr Hausmann?“
     „Ich bin mir auch in diesem Fall unsicher. Ich bespreche das mit Rachel und ihren Eltern.“
     „In Ordnung. Machen sie das. Wir melden uns Anfang der Woche, wegen der Vernehmung.“

Die beiden Polizisten gingen, Jakob und Rachel standen schweigend am Fenster und Jakob sah die Polizisten abfahren. Als Jakob sich gefangen hatte, holte er eine Werkzeugkiste aus dem Auto und brachte die Rollos an. Die Lust zum Wandern und Joggen war ihnen vergangen. Danach schüttete Jakob für Rachel und für sich den Kaffee ein, den er durch den Vorfall fast vergessen hatte. Beide saßen gedankenverloren am Tisch, während sie ihren Kaffee tranken.
     „Möchtest du jetzt darüber sprechen?“
     „Nein, jetzt nicht Jakob.“
     Rachel lehnte sich an Jakobs Schulter. „Möchtest du bei deinen Eltern absagen?“
     Rachel schüttelte den Kopf. „Nein, Jakob. Sie freuen sich so auf unseren Besuch.“
     Als es Zeit wurde sich auf den Weg zu machen, machten sich beide ausgehfertig. Sowie sie umgezogen waren, stellten sie sich vor den Dielenspiegel. „Wie sehen wir aus, Jakob?“
     „Sehr schick und vornehm. Wenn du bei deinen Eltern die Brille ausziehen möchtest, müsstest du aber noch etwas für deine Augen tun. Man sieht, dass du geweint hast. Soll ich eine Krawatte anziehen?“
     „Auf gar keinen Fall. Das ist bei Israelis unüblich. Was dir fehlt, ist eine Kippa. Du brauchst sie aber nicht zwingend, schließlich bist du ein Goj. Ich kann Aba bitten dir eine Kippa zu leihen – aber nur wenn es dir recht ist. Wir nehmen den Bus um halb acht.“
     „Wenn du es für wichtig hältst, bitte deinen Vater um eine Kippa für mich, ich habe kein Problem damit. Nehmen wir nicht das Auto?“
     „Sabbatabendfeiern verlaufen feuchtfröhlich. Da wäre das Auto unpassend.“
     „Ich dachte, wir gehen auf so eine Art Andacht. Da trinkt bei uns immer nur der Pope.“
     „Quatschkopp, wir gehen zu einer Feier im Kreis der Familie. Der Kiddusch ist nur die Einleitung.“

Rachel ging ins Bad und wusch sich die Augen aus. Nachdem sie sich trocken getupft hatte, schaute sie fragend Jakob an. Er tätschelte ihre Wange. „Ist gut so, mein Schatz. Komm, lass uns gehen.“

Als sie bei Rachels Eltern ankamen und Rachel schellte, war die Dämmerung angebrochen. Jakob überreichte, nachdem Rachel ihn vorgestellt hatte, Rachels Mutter so formvollendet, wie es ihm möglich war, den mitgebrachten Blumenstrauß, was dank seiner mangelnden Übung reichlich unbeholfen wirkte. Er hatte im Moment den Eindruck, dass es bei Rachels Eltern viel zurückhaltender zuging, als er es von seinem Elternhaus her gewöhnt war. Trotzdem fand er sie durchaus sympathisch. Sobald die Dunkelheit weit genug fortgeschritten war, wurde zu Tisch gebeten. Rachel flüsterte, während sie gemeinsam zu Tisch gingen, Jakob zu, „es gibt Fisch. Meine Eltern wissen, dass mir koscher zubereitetes Fleisch zuwider ist.“ Abgesehen vom Sabbatritual war es für Jakob ein gewöhnlicher Abend, wie in vielen anderen Familien und es entwickelte sich ein munterer Dialog zwischen Rachel und ihren Eltern.
     „Jaakov bedauert es außerordentlich, dass er und Rivka nicht kommen konnten. Rivka fühlt sich nicht wohl.“
     „Das finde ich schade, Aba. Jakob und Jaakov würden sich bestimmt viel zu erzählen haben, denn sie sind beide exzessive Jogger. Und ich hätte Rivka gerne wieder einmal gesehen.“
     „Du kannst doch die Beiden besuchen. So weit ist die Fahrt nicht.“
     „Einfacher wäre es, Jaakov und Rivka kämen mich einmal besuchen. Schließlich sind sie motorisiert, Ima.“
     „Du bist doch jetzt auch motorisiert. Ich bin dein Chauffeur.“
     „Danke Jakob. Ich werde darüber nachdenken.“
     „Wir freuen uns, dass sie Rachel zur Sabbatfeier begleitet haben, Herr Hausmann.“
     „Bitte nennen sie mich Jakob, Frau Cohen.“
     „Nun, meine Frau ist zu zurückhaltend, warum lassen wir es nicht gleich bei den Vornamen. Wir heißen Hannah und Chajm. Schließlich bist du, so Rachels Aussage, ihr Mann.“ Chajm trank einen Schluck Wasser, bevor er weiter sprach. „Unseren Sohn Jojakim und seine Familie wirst du leider so schnell nicht kennenlernen. Er lebt in Israel. Im Westjordanland.“ Der Ton, in dem Chajm den Begriff Westjordanland aussprach, machte Jakob stutzig. Er enthielt sich aber jeden Kommentars.
     „Rachel und ich können ihn doch dort besuchen.“ Hannah schaute erfreut auf.
     „Nein, das werden wir nicht tun.“ Rachels Stimme klang ausgesprochen hart.
     „Warum denn nicht?“
     „Ima, das weißt du ganz genau. Wir brauchen das jetzt bitte nicht zu diskutieren.“
     Rachels Vater legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Kein Grund zur Aufregung, Rachel. Du weißt, dass ich deine Bedenken teile.“
     „Ist schon gut, Aba. Ich möchte das Thema wirklich nicht weiter vertiefen. Jakob und ich, wir haben wichtigeres mit euch zu besprechen.“
     „Dann legt los. Bist du schwanger?“
     „Quatsch, Aba! Wir hatten heute eine unangenehme Begegnung.“
     „Mit wem?“
     „Mit Ben. Leider war es für Jakob bereits das zweite Zusammentreffen mit Ben.“
     „Und?“
     „Ben hat vor vierzehn Tagen und heute erneut Jakob auf das Übelste beleidigt.“
     „Bleib bei der Wahrheit, Rachel. Die Beleidigungen galten dir.“
     „Was hat er gesagt?“
     „Das möchte ich nicht wiederholen, Hannah.“
     „Ist es so schlimm?“
     „Schlimmer Hannah!“
     „Ima, Jakob will sagen, dass Ben schlimmste antisemitische Ausdrücke benutzt hat. Er hat mich unter anderem J…“
     „Stopp, bitte Rachel, es ist schlimm genug, dass wir uns das anhören mussten.“
     „Wir haben ein Recht darauf, es zu erfahren“, warf Chajm ein.
     „Nein, Aba. Jakob hat recht. Der Grund, warum wir mit euch darüber sprechen wollen, ist ein anderer.“
     „Und welcher?“
     „Die Polizei hat uns dringend aufgefordert, Anzeige zu erstatten; und dazu möchten wir eure Meinung hören. Was noch wichtig ist, auch ohne unsere Anzeige hat die Polizei Anzeige wegen Landfriedensbruch und Volksverhetzung erstattet – in beiden Fällen und im ersten Fall auch noch wegen Körperverletzung.“
     „Wieso Körperverletzung, Bat?“
     „Vor vierzehn Tagen hat Ben Jakob mit einem Faustschlag unter dem Auge verletzt.“
     „Liebste, das war doch nicht der Rede wert.“
     „Ich habe mir die Verletzung von Ilse beschreiben lassen. Du brauchst die Verletzung also nicht kleinreden, Jakob.“ Jakob legte Rachel besänftigend einen Arm auf die Schulter.
     Hannah und Chajm schwiegen eine Zeit lang, während Rachel und Jakob auf ihre Antwort warteten. Schließlich ergriff Hannah das Wort. „Wir sind mit Ben nie richtig warm geworden, aber das spielt ja jetzt auch keine Rolle mehr. Antisemitismus ist eine schlimme Sache und deshalb meine ich, ihr solltet ihn anzeigen. Für Antisemitismus gibt es keine Entschuldigung, wir dürfen da nicht drüber hinweggehen. Was meinen denn deine Eltern, Jakob?“
     „Ich habe sie noch nicht gefragt, aber ich vermute, sie teilen deine Ansicht.“
     „Dürften wir auch deine Meinung hören, Aba?“
     „Antisemitismus geistert seit Jahrhunderten durch die europäische Geschichte. Unser Volk hat das lange Zeit widerspruchslos ertragen. Jetzt, nach der Shoah, ist es unsere Pflicht uns zu wehren. Ich finde, ihr solltet Ben anzeigen.“

Ohne sich weiter abzusprechen waren alle der Meinung, das Thema sei ausreichend behandelt. Chajm stand auf, stellte Weingläser auf den Tisch und schüttete jedem ein Glas Wein ein. Er hob sein Glas. „LeChaim, willkommen in unserer Runde, Jakob.“ Der Abend verlief trotz der Vorkommnisse des Tages harmonisch. Während die Frauen sich über Rivkas Schwangerschaft austauschten und sich dabei für das Füllen des Geschirrspülers in die Küche zurückzogen, erklärte Chajm Jakob seine Sicht der Dinge, was die israelische Politik, insbesondere die Besatzungspolitik, betraf. Was er sagte, entsprach dem, was Rachel angedeutet hatte und Jakob fand Chajms Ansichten hochinteressant und bedenkenswert. Das Westjordanland erwähnte Chajm dabei erst, als er wieder auf Jojakim zu sprechen kam. Es war ihm anzumerken, dass er nur wenig Verständnis für die Lebensweise seines Sohnes übrig hatte und tat es als Frömmelei ab. Später erzählte er Jakob noch, dass er trotz aller Vorbehalte, sich bereit erklärt hätte, während der nächsten Israelreise Jojakim zu besuchen, nur um sich ein Bild zu machen, wie er gleich wieder einschränkte. Auf dem Heimweg fragte Rachel Jakob nach seinen Eindrücken. Er antwortete, er sei tief beeindruckt und legte dabei einen Arm um Rachels Taille. Diese kam dabei ins Straucheln, doch Jakob fing sie auf. Zu Hause angelangt, zog Jakob die Rollos herunter, nachdem er das Licht im Wohnzimmer angemacht hatte. Rachel zog sich aus und kam kurz darauf mit einem leichten Nachthemd bekleidet aus dem Schlafzimmer. Es war ein hellblaues Nachthemd mit aufgedruckten Blüten und Blättern, das an der Brust mit einer Schleife zusammengehalten wurde. „Süß siehst du aus.“ „Mach es dir bequem, Jakob, und dann darfst du vorlesen.“ Rachel machte sich auf der Couch lang, während Jakob sich auszog und Rachels Bademantel anzog. „Findest du es normal, meine Sachen anzuziehen?“ „Ja, zumindest dann, wenn ich dir vorlese.“ Jakob war wie immer erstaunt, wieso Rachel mitbekam, wenn er etwas Ungewöhnliches tat. Er setzte sich zu Rachel auf die Couch. „Darf man am Sabbat lesen?“ „Keine Ahnung. Ich glaube ja, aber nur die heilige Thora oder den Talmud. Frag Jojakim, der kennt sich aus.“ „Danke, kein Bedarf.“ Jakob las vor, während sich Rachel auf der Couch rekelte. Nach einiger Zeit legte Jakob das Buch beiseite. Vorsichtig glitten seine Finger an Rachels Beinen empor und Jakobs Arm schob dabei das Nachthemd nach oben. Als Jakobs Finger die Schambehaarung ertastet hatten, spreizte er ihre Beine und beugte sich über sie. Seine Zunge über ihren Leib nach unten führend erreichte er Rachels Vulva und stimulierte diese mit seiner Zunge. Stöhnend versuchte Rachel Jakob den Bademantel zu öffnen. Als es ihr endlich gelang, massierte sie seinen Penis, schließlich öffnete sie ihren Mund und umschloss mit ihren Lippen die Eichel. Wie schon des Öfteren glitten sie von der Couch auf den Teppich, wo sie sich in inniger Vereinigung umarmten.

Nach einer verregneten zweiten Augusthälfte und einer stürmisch daher kommenden ersten Septemberwoche kündigte sich schönes Herbstwetter an. Rachel und Jakob freuten sich auf ihren ersten gemeinsamen Urlaub. Ende August hatte Jakob Rachel mit einem neuen Auto überrascht. Da Rachel keinerlei Ahnung von Autos hatte, fragte sie nur nach der Farbe des Wagens. Als Jakob sagte, der Wagen sei metallic-blau, meinte Rachel, blau ist gut, blau passt zu mir. Jakob führte Rachel zum Auto, wo Rachel es sich auf dem Beifahrersitz bequem machte. Der Geruch eines neuen Autos stieg Rachel in die Nase. Ein paar Mal rutschte Rachel auf dem Sitz hin und her und erklärte dann, sie sitze nun bequemer als im alten Wagen. „Du sollst auch bequem sitzen, es ist eine lange Fahrt bis Bayonne.“ „Wir fahren nach Bayonne? Das ist mir neu.“ „Ich habe es dir versprochen und so dachte ich, wir haben ja bald Urlaub.“ „So, so.“ Rachel begann mit ihren Fingern das nähere Umfeld des Beifahrersitzes zu erforschen. Vor ihr ertastete sie ein geräumiges Handschuhfach. Auf der Mittelkonsole gab es zwei Halterungen für Getränke, rechts neben ihr in der Tür fand Rachel eine weitere Getränkehalterung. Von Jakob ließ sich Rachel erklären, wie sie den Sitz für ihre Bedürfnisse passend einstellen konnte.

„Gut, ich bin zufrieden.“ Schließlich fragte Rachel doch noch. „Welche Marke ist das?“
     „Ein Citroën Cactus.“
     „Und hat er genug Platz für mein Gepäck?“
     „Ich denke schon, mein Schatz. Möchtest du eine Probefahrt?“
     Rachel nickte. „Was hast du denn gedacht? Meinst du nicht, dass ich den Fahrkomfort deiner Neuerwerbung begutachten muss?“
     „Bitte, sag unserer Neuerwerbung Rachel!“
     „Gut, dann eben unserer Neuerwerbung!“ Rachel formte einen Kussmund.

Jakob schloss die Beifahrertür, ging um den Wagen, stieg ein und fuhr mit Rachel aus Haselholt hinaus auf die Autobahn. Nach einigen Kilometern verließ er die Autobahn und fuhr durch die Rheinauen zurück. Wieder auf dem Erlenweg angekommen fuhr Jakob in die Garage. Rachel bemerkte leichthin – du darfst mich nach Bayonne fahren. Jakob gab ihr einen Kuss. „Jetzt heißt es aber Wandern und du joggst dreimal um den Wald. Schlaffe Männer mag ich nicht.“ „In Ordnung, Chefin!“ In der Wohnung zogen sie sich um und machten sich auf den Weg in den Wald. Als sie im Wald ankamen, trennten sie sich umgehend und jedes Mal, wenn Jakob Rachel überholte, machte er eine kurze Pause. Sie wechselten dann einige Worte, Rachel schickte Jakob jedoch immer schnell weiter, sie wollte beim strammen Wandern mit ihren Gedanken ins Reine kommen. Vor einigen Tagen hatte der Polizist Riedel bei ihnen vorbeigeschaut und ihnen mitgeteilt, dass es gegen Ben nicht zu einer Gerichtsverhandlung käme. Er würde einen Strafbefehl erhalten, nur wenn Ben Widerspruch einlegte, käme es zu einer öffentlichen Verhandlung. Sie fanden es äußerst aufmerksam von Riedel, dass er ihnen das mitgeteilt hatte, aber Rachel fühlte sich seitdem unruhig. Zu tief saß der Schmerz darüber, dass sie einmal einen Mann geliebt hatte, der sie und ihr Volk mehr als verachtete. Ärger stieg in ihr hoch, wie konnte sie nur so verblendet gewesen sein. Sie hatte geglaubt, Ben zu lieben, es war aber wohl eher so, dass ihr jedes Mittel recht gewesen war, sich von ihrem Elternhaus zu lösen. Ihre Eltern hatten sie ausdrücklich vor der Verbindung mit Ben gewarnt, aber Rachel wollte nur noch fort. Sie fand die Reaktion ihrer Eltern auf das Unausweichliche bewundernswert. Nachdem Rachel sich entschieden hatte, hatte sie nie mehr ein gegen Ben gerichtetes Wort von ihnen gehört. Es war ein schwerer Fehler mit Ben zu leben. Seine Leidenschaft zu ihr war schneller verrauscht, als seine Werbung um Rachel gedauert hatte. In der Endphase der Beziehung hatte Ben zu trinken angefangen. Wahrscheinlich hatte er schon vorher getrunken und Rachel hatte das nicht mitbekommen. In der letzten Zeit hatten sie nur noch nebeneinander her gelebt. In der gleichen Wohnung zwar, aber als Fremde im Bett. Die Trennung war unausweichlich und verlief auch völlig undramatisch. Sie hatten die wenigen Möbel aufgeteilt, Ben hatte darauf bestanden, den neu erworbenen Fernsehapparat zu behalten. Ihren Teil der Möbel hatte Rachel eingelagert und war, bis sie zum Erlenweg ziehen konnte, in ihr altes Kinderzimmer zurückgekehrt. Auf den Ausbruch, lange Monate nach der Trennung, konnte Rachel sich keinen Reim machen. Sie machte sich auch eigentlich keine großen Gedanken darüber, nur manchmal, wenn sie an Bens Ausdrücke dachte, kam ihr das Würgen. Dass Jakob da hineingezogen worden war, störte Rachel ungemein. Sie hoffte einfach, dass sie Ben so bald wie möglich aus ihrem Gedächtnis löschen könne. Als Jakob ein weiteres Mal bei ihr anhielt, hatte sie alle Gedanken an Ben verdrängt, sie wusste aber, Ben war noch immer in ihr und die bösen Gedanken konnten jeder Zeit zurückkommen. Diesmal schickte sie Jakob nicht weg, sondern hielt ihn zurück.
     „Wir haben noch nicht eingekauft, darf ich dich heute einmal zum Essen ausführen?“
     „Ungern, ich bin in dieser Sache äußerst konservativ.“
     „Dann ist es Zeit, dass du umdenkst, und zwar dringend.“
     „Bitte sei nicht so streng mit mir. Ich sag doch nur, wie es ist.“
     „Also ich führe dich aus und du bestimmst, welches Restaurant wir besuchen.“
     „Kannst du dir das Alte Fischerhaus leisten?“
     „Ja sicher, wir haben schließlich was zu feiern.“
     „Was denn?“
     „Unser neues Auto. Darf ich dir etwas Geld dazu geben?“
     „Nein, auf gar keinen Fall. Das möchte ich nicht. Zumindest bisher zahlst du schließlich allein für unsere Wohnung. Ich weiß nicht einmal, wie viel du jeden Monat dafür aufbringen musst, an Darlehnsraten und Hausgeld.“
     „Ich komme schon klar, wir sprechen darüber, wenn wir entschieden haben, ob wir zusammen bleiben.“
     „Ich hoffe doch, das haben wir bereits entschieden.“
     „Das hoffe ich auch. Aber lassen wir uns bitte noch etwas Zeit.“
     „Wie lange?“
     „Bis wir aus Bayonne zurück sind. Jetzt aber ab nach Hause. Wir gehen zu Fuß zu Alten Fischerhaus und vorher müssen wir noch duschen.“

Rachel ließ Jakob den Vortritt beim Duschen, zog sich aber schon aus, während sich Jakob noch einseifte. Sie verspürte große Lust sich zu Jakob in die enge Kabine zu zwängen, verschob das aber auf ein anderes Mal, da ihr bewusst wurde, dass sie dann erst sehr spät zum Essen kämen. Sobald Jakob die Duschkabine verließ, stellte sich Rachel unter die Dusche. Sie war zufrieden, als sie bemerkte, dass Jakob sich gleich nach dem Abtrocknen anzog. Als Rachel geduscht hatte, trocknete sie sich nicht gleich ab, sondern reinigte, wie sie es gewohnt war, gründlich die Duschkabine. Jakob sah ihr von der Diele aus dabei zu. Wie immer erstaunte es ihn, wie methodisch Rachel dabei vorging und wie ihre geschmeidigen Bewegungen die Schönheit ihres Körpers unterstrichen. Als Rachel mit der Reinigung fertig war, hüllte Jakob sie in ein Duschtuch, wobei er sie auf ihren feuchten Nacken küsste. Rachel zog sich an und trieb danach Jakob zur Eile. Auf die Frage, warum diese Hast nötig sei, antwortete sie lachend, sie habe großen Hunger. Rachel ließ bewusst ihren Langstock zu Hause und so gingen beide Hand in Hand durch stille Straßen und den Schlosspark von Benrode zum Rheinufer. Auf der Uferstraße herrschte zu dieser Zeit einiger Autoverkehr und so beeilten sie sich, die letzten Meter zum Restaurant möglichst schnell hinter sich zu bringen. Sie fanden einen Tisch mit Ausblick auf den Strom. Das Restaurant war zu dieser Tageszeit noch wenig frequentiert und so genossen sie die Ruhe der frühen Abendstunde. Nachdem ein Kellner die Speisekarten gebracht hatte, fragte Jakob, ob Rachel eine Vorspeise haben möchte, was diese mit freundlichem Nicken beantwortete. Jakob las Rachel die Karte vor und als sie sich entschieden hatten, winkte Jakob den Kellner heran. Sie bestellten Aperitif, Vorspeise und Hauptgericht, einen offenen Wein, sowie eine Flasche Mineralwasser. Während sie auf den Aperitif warteten, griff Jakob nach Rachels Hand. Rachel lächelte glücklich und zufrieden. Einige Tankschiffe, ein Schubverband mit Schüttgut und ein Flusskreuzfahrtschiff fuhren vorüber. Wie immer, wenn es etwas zu sehen gab, erklärte Jakob, was vor seinen Augen vorging.

„Da du jetzt eigenmächtig entschieden hast, wohin wir im Urlaub fahren, wirst du mir sicher gestatten, dich nach Einzelheiten der Reise zu fragen.“ Sagte Rachel nach einiger Zeit in einem aufgesetzt strengen Tonfall.
     „Wie lange bleiben wir weg.“
     „Da wir beide vier Wochen Urlaub haben, dachte ich vier Wochen.“
     „Und was machen wir vier Wochen in Bayonne?“
     „Ich möchte ein Haus auf dem Land mieten, möglichst nicht zu weit vom Ozean entfernt. So kannst du in den ausgedehnten Wäldern wandern oder wir spazieren gemeinsam am Strand. Nach Bayonne oder zu anderen Orten fahren wir mit dem Auto, wenn es uns danach ist.“
     „Gut. Ist es eine lange Fahrt bis Bayonne?“
     „Ja, wir werden über dreizehn Stunden benötigen.“
     „Da kriegt man ja Schwielen am Hintern.“ In diesem Moment wurde der Aperitif serviert.
     Jakob lachte über Rachels Formulierung. Sie schwiegen, während sie an ihrem Aperitif tranken. „Wir können mit einer Zwischenübernachtung fahren, wenn du möchtest.“
     „Würdest du etwa ohne Übernachtung fahren?“
     „Ja schon, aber es ist wirklich eine sehr lange Fahrt.“
     „Ich möchte, dass wir übernachten.“
     „Gut Rachel, ich werde mich darum kümmern.“
     „Gibt es denn gute Übernachtungsmöglichkeiten unterwegs?“
     „Ich glaube ja. Ich meine reichlich und in jeder Preisklasse.“
     „Ich verlasse mich ganz auf dich. Das ist nun einmal eine der Sachen, bei denen sich Blinde schwertun. Ich habe eine Bitte, Jakob. Ich möchte mit dir joggen.“
     „Oh, traust du dir das zu?“
     „Ich stelle es mir ähnlich vor, wie beim Schwimmen. Ich nutze dich als Führer. Ich kenne blinde Freizeitsportler, die sogar Marathon laufen. Und bei den Paralympics machen auch Blinde mit.“
     „Du solltest natürlich mit kurzen Strecken anfangen. Der Strand am Atlantik wäre bei Ebbe gut dazu geeignet.“
     Die Vorspeise wurde serviert und die Liebenden unterbrachen ihr Gespräch, um sich der Vorspeise zu widmen. Rachel war überrascht von der Qualität. „Wusstest du Schuft, wie gut man hier isst?“
     „Ich habe es vermutet. Ein ehemaliger Schulfreund ist hier der Küchenchef. Er hat einen Michelin-Stern.“
     „Donnerwetter, das genaue Gegenteil von deiner Berufswahl.“
     „Wie, was?“
     „Er sorgt sich um das, was rein soll, und du sorgst dich um das Gegenteil.“
     „Du hast vielleicht Ideen. Aber lenke nicht ab. Was hältst du von meinem Vorschlag bezüglich joggen?“
     „Mhm, die Vorspeise ist wirklich hervorragend. Warum am Strand joggen?“
     „Der Strand ist wunderbar flach und bei Ebbe weder zu weich noch hart zum Joggen. Etliche joggen dort barfuß. Das solltest du als Anfängerin aber besser sein lassen.“
     Während das Hauptgericht aufgetragen wurde, erschien ein Koch am Tresen im Hintergrund des Restaurants. Jakob erkannte, obwohl viele Jahre vergangen waren, Jörg sofort wieder. Auch Jörg erkannte ihn, während er einen Blick auf die wenigen Gäste des frühen Abends warf. Er kam zu den Beiden an den Tisch. „Jakob? Du bist doch Jakob?“
     „Ja, ich habe dich auch sofort erkannt.“
     „Wie ist es dir ergangen und wie hast du eine so fantastische Frau ergattert?“
     „Das sind zwei Fragen auf einmal. Die fantastische Frau heißt Rachel und ist meine Lebensgefährtin, sie ist mir zugelaufen. Von Beruf bin ich Tiefbau-Ingenieur.“
     „Und der Herr Ingenieur beschäftigt sich mit dem Gegenteil von Essen.“
     „Rachel hat einen trockenen Humor, wie du gerade mitbekommst. Aber sonst ist sie ganz umgänglich, fast schon zahm.“ Jakob erhielt unter dem Tisch einen Tritt vor das Knie.
     „Ich muss wieder in die Küche. Esst nicht zu viel, denn das Dessert geht aufs Haus, ich schlage eine Spezialität aus Aquitanien vor. Du schwärmst doch immer noch für Südwestfrankreich, oder?“
     „Das weißt du noch!? Wir verlassen uns auf dich bei der Wahl des Desserts.“
     Jörg verabschiedete sich und ging zurück zur Küche.
     Jakob trank zuerst vom Wein und dann am Wasser. „Wenn du mit Joggen anfangen willst, müssen wir, bevor wir fahren, noch Schuhe für dich kaufen.“
     „Ja, da musst du mir aber helfen, Jakob. Wenn du mich noch einmal zahm nennst, kriegst du wieder einen Tritt.“ Das Strahlen auf Rachels Gesicht strafte ihre Worte Lügen.
     „Das mach ich gerne, das weißt du doch. Wir fahren in den nächsten Tagen in die Stadt und besorgen dir Joggingschuhe. Übrigens, ich dachte, der Tritt bezieht sich auf das Zugelaufen.“
     „Ach was! Eigentlich bist du mir zwar zugelaufen, aber was macht das schon. Wo in der Stadt kaufen wir die Schuhe?“
     „Wir sollten im Kaufhof anfangen. Wenn es da nichts Passendes für dich gibt, erreichen wir zu Fuß weitere Sportgeschäfte.“
     „Gut, wir treffen uns morgen nach der Arbeit im Kaufhof! In der Sportabteilung!“
     „Du willst allein zum Kaufhof fahren?“
     „Ja sicher! Ich bin erwachsen. Und schließlich mache ich das nicht zum ersten Mal.“
     „Ich dachte nur…“
     „Jakob, ich hatte auch vor dir schon ein Leben. Ich bin es gewohnt selbstständig zu leben.“
     „Ich mache mir eben Sorgen.“
     „Das ist lieb, aber unnötig. Glaube mir einfach.“
     „Ich glaube dir ja. Aber es ist schwer, sich daran zu gewöhnen.“
     „Da musst du durch, Jakob. Sonst werden wir keine gemeinsame Zukunft haben.“
     „Nicht aufregen, Rachel. Der Umgang mit Behinderten will gelernt sein.“
     „Bitte gib dir Mühe. Ich bemühe mich auch nicht über zu reagieren, wenn ich deine Besorgnis spüre.“
     „Mit der Zeit werde ich mich daran gewöhnen, dass du als Blinde, selbstständiger bist als manch eine andere Frau. Alles, was ich dir zu bieten habe, ist meine Liebe.“
     Rachels Antwort wurde dadurch unterbrochen, dass das Dessert serviert wurde. „Was war denn die Empfehlung deines Schulfreunds?“
     „Oh Rachel, das musst du probieren. Es ist Truffine. Ziemlich kalorienreich und sehr schokoladig. Eine Art Schokoladenkuchen.“
     Sie aßen einen Moment lang schweigend und Rachel war begeistert über die neue Geschmackserfahrung. „Um beim Thema zu bleiben, Jakob. Unsere Liebe überdeckt im Moment vieles. Was aber wird, wenn die Dopamin-Produktion nachlässt?“
     „Dopa…. was?“
     „Ja, Dopamin, das Glückshormon.“
     „Und wann lässt die Produktion nach?“
     „Wenn sich die Liebenden länger kennen. Statistisch nach vierundzwanzig Monaten. Und danach entscheidet sich, was von der Partnerschaft bleibt. Bei uns habe ich den Eindruck, es würde sich etwas entwickeln, das zu einer Partnerschaft ohne Dopamin führen kann.“
     „Wir dürfen also hoffen?“
     Rachel nickte und spießte ein letztes Stück Truffine auf ihre Kuchengabel. „Oben auf den Kuchen war Kakaopulver gestreut. Wunderbar!“
     Jakob war wiederum verblüfft, sagte aber nur, „Ja, Rachel.“
     Rachel bat Jakob nach dem Kellner zu schauen, damit sie noch einen Espresso trinken konnten. Rachel bestellte zwei Espresso, bat um die Rechnung und nahm das Gespräch wieder auf. „Ich hoffe ja auch Jakob. Und mir ist es ernst, sogar sehr ernst, wenn ich sage, dass wir nach dem Urlaub entscheiden, ob wir den Versuch wagen endgültig zusammenzuziehen. Vier Wochen Tag und Nacht zusammen, ohne sich aus dem Weg gehen zu können, ist eine gute Übung.“
     „Hast du Bedenken, dass wir uns nicht ertragen können?“
     „Nein, Jakob.“

Der Kaffee wurde serviert und der Kellner ließ die Rechnung zurück. Sie tranken ihren Espresso, Jakob kontrollierte die Rechnung und nannte Rachel die Summe. Sie bezahlte mit ihrer Kreditkarte und gab ein angemessenes Trinkgeld. Der Kellner verabschiedete sich und wünschte beiden einen guten Abend. Jakob schaute noch einmal in Richtung Küche, sah, dass Jörg gut zu tun hatte und keine Möglichkeit bestand, noch einmal mit ihm zu sprechen. Er hielt den Kellner kurz an und bat ihn, Jörg ihren Dank für das Dessert zu übermitteln.

Die Zeit bis zur Abreise verging wie im Fluge. Schon am Wochenende vor der Reise packte Rachel an ihrem Koffer herum. Sie bat Jakob immer wieder, die ausgewählte Kleidung zu begutachten. Jakob tat das geduldig und fand, sie habe gut gewählt – trotzdem packte sie immer wieder um. Mit den Schuhen machte sie sich nicht viele Umstände. Sie wollte nur ihre Wanderschuhe und die brandneuen Joggingschuhe mitnehmen, sowie ein Paar bequeme Schuhe für die Stadt und noch bequemere Slipper für Hin- und Rückfahrt. Am Sonntag schliefen sie lange und da der Tag zwar wolkenverhangen, aber angenehm warm war, beschlossen sie nach dem Frühstück zum Wandern in die Rheinauen zu fahren. Jakob schlug Rachel vor, die neuen Joggingschuhe anzuziehen, damit diese zumindest ein wenig eingelaufen wären, wenn sie mit dem Joggen anfing. Da das Wetter trüb war, waren erwartungsgemäß nur wenige Leute in den Auen unterwegs, was den Liebenden mehr als recht war. Rachel hatte auf ihren Langstock bestanden, was Jakob zwar störte, da er Rachel lieber an der Hand geführt hätte, aber sie ließ sich nicht erweichen. So wanderten sie nebeneinander mit flottem Wanderschritt vom Parkplatz aus in Richtung Rhein, um dort auf dem alten Treidelpfad parallel zum Strom zu wandern. Der Treidelpfad war eng und buckelig. Da der Platz für zwei nicht ausreichte, bat Rachel Jakob darum vorauszugehen. Da sie sich auf diesem Gelände mit dem Stock nichts anfangen konnte, wollte sie sich an seinen Schrittgeräuschen orientieren. Nach einigen Kilometern mündete der Treidelpfad auf den Sommerdeich, wo sie wieder nebeneinander gehen konnte. Rachels Gedanken kreisten um die Reise, sie empfand eine Autofahrt in ein fremdes Land als abenteuerlich. Ihr Gedankenspiel endete, als Jakob sie ansprach.
     „Rachel, immer wenn wir auf uns zu sprechen kommen, wirkst du auf mich furchtbar nüchtern, fast geschäftsmäßig. Du sprichst zum Beispiel von Dopamin, während ich vor Sehnsucht zergehe. Empfindest du denn gar keine Romantik, wenn wir über uns sprechen?“
     „Doch Jakob. Romantik ist doch reichlich in mir und zwischen uns, kuscheln tun wir doch wohl genug. Und es gibt für mich kaum etwas Schöneres, als wenn ich mich an deine Brust lehnen darf oder wenn du mir vorliest. Ich kann nicht mit dir romantisch den Sonnenuntergang genießen oder bei Vollmond Hand in Hand durch den Park gehend romantische Gefühle entwickeln. Beides sehe ich nicht, mir fehlt der Sinn dafür. Und mit meiner Ausdrucksweise, da kannst du doch sicher leben?“ Rachel wartete nicht auf Jakobs Antwort, sondern schlang ihre Arme um ihn. „Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich liebe!“
     Jakob streichelte sanft Rachels Rücken, während sie auf dem Sommerdeich standen und sich umarmten. Der Zauber des Augenblicks endete, als ein Trupp Fahrradfahrer klingelnd Platz für die Weiterfahrt forderte. „Genug Romantik, Jakob?“
     „Nee, wir können noch lange hier knutschen.“
     „Nichts da, es geht weiter.“
     „Gut, dann komm. Übrigens hast du an Badesachen gedacht?“
     „Du meinst Badetücher und so? Einen Bikini brauche ich doch wohl nicht?“
     „Am Strand eher nicht. Aber wenn es warm ist, wäre im Garten ein Mindestmaß an Kleidung hilfreich und es gibt stille Süßwasserseen zum Baden.“
     „Gut, der Bikini kommt mit.“
     Sie erreichten das Ende des Sommerdeichs und kamen auf einen asphaltierten Weg, der zurück zum Parkplatz führte. „Der Weg ist eben. Wollen wir es einmal mit etwas Joggen versuchen, Rachel? Der Weg bleibt bis zum Auto glatt und eben.“
     „Warum nicht, wir sind zwar nicht passend gekleidet, aber nimm bitte meinen Stock, dann trabe ich hinter dir her. Fang bitte langsam an, damit ich den passenden Abstand zu dir finden kann. Ich sage wenn du schneller laufen sollst.“

Jakob trabte langsam los und Rachel versuchte sich nach Gehör an seine Geschwindigkeit anzupassen. Ab und zu schaute sich Jakob um und war zufrieden. Nach einiger Zeit rief ihm Rachel zu, er möge schneller laufen. Jakob beschleunigte und achtete darauf, dass Rachel folgte. Nachdem sie sich auf den Rhythmus von seinen Schritten eingestellt hatte, bat Rachel ihn nochmals schneller zu laufen. Kurz bevor sie den Parkplatz erreichten, rief Jakob, er würde anhalten. Rachel schloss zu ihm auf und rempelte ihn absichtlich. Geht doch ganz gut, meinte sie, als sie zum Auto gingen. Beide waren ziemlich verschwitzt. Zu Hause angekommen schickte Rachel Jakob, wie sie es eigentlich immer tat, als ersten unter die Dusche. Sie selbst zog sich auch sofort aus und quetschte sich zu Jakob in die enge Kabine. Sie duschten gerne gemeinsam, eigentlich war es aber fast immer Jakob, der zu Rachel in die Kabine kam. Manchmal, ganz selten, versuchte Jakob dabei in Rachel einzudringen. Das waren, ob der Enge, stets sinnlose Übungen und Rachel flüsterte ihm dann zu – warte bis wir draußen sind. Rachel seifte Jakob ein, was ihm wohlige Gefühle bescherte und ihn dazu verführte, dass er anschließend Rachel einseifte. Beim Abspülen ließen sie sich Zeit und standen eine ganze Weile eng aneinander gepresst unter dem auf sie hernieder prasselndem Wasser. Danach trockneten sie sich gegenseitig ab. Rachel hockte sich dabei vor Jakob hin und trocknete seinen Penis, den sie dabei liebevoll streichelte. In aufwallender Leidenschaft umschloss sie Jakobs Penis mit ihren Lippen und ließ ihre Zunge um die Eichel kreisen. Jakob stützte sich stöhnend an der kühlen Fliesenwand ab, an der er langsam herunterglitt. In diesem Moment ließ Rachel von ihm ab und legte sich auf die Badematte. Sie liebten sich direkt auf dem Boden des Badezimmers, leidenschaftlich und ausdauernd. Als sie befriedigt waren, trug Jakob Rachel ins Schlafzimmer und legte sie auf das Bett. Er setzte sich zu ihr und hielt ihre Hand.
     „Wir müssen uns noch von meinen Eltern verabschieden. Ich habe bereits abgebogen, dass wir am Sabbatabend dorthin gehen.“
     „Das ist gut, dann können wir Samstag beizeiten fahren. Ich hoffe, meinen Eltern reicht unser Besuch heute Abend.“
     „Auf deine Eltern freue ich mich, bei Ilse und Heinz geht es immer so locker zu.“
     „Das bedeutet aber nicht, dass wir in dieser Woche noch einmal einen Abend dort verbringen müssen.“
     „Natürlich nicht, aber du könntest gegen Ende der Woche auf dem Heimweg noch einmal schnell bei deinen Eltern vorbeischauen. Liegt doch auf dem Weg, Jakob.“
     „Wir werden sehen.“

Jakob spürte, wie ihn die Lust erneut überkam und er legte sich zu Rachel auf das Bett. Rachel, die auch Lust verspürte, legte sich auf ihn. Zuerst umfasste Jakob Rachel an der Taille und begann damit Rachel an den Pobacken zu kitzeln. Rachel reagierte ausgesprochen kitzlig darauf und rutschte zwischen Jakobs Beinen tiefer, sodass sie mit ihren Brüsten auf seinem Bauch zu liegen kam. Daraufhin beschäftigte sich Jakob ausgiebig mit ihren Haaren, während sie sich leicht drehte, sodass sie eine Hand um Jakobs Hodensack legen konnte. Sie legte sich schließlich wieder neben Jakob und massierte leicht dessen Geschlecht. Dabei kroch sie höher hinauf, bis sie Jakob auf Mund und Gesicht küssen konnte. Jakob führte eine Hand über Rachels Schamhaare zwischen ihre Beine. Nach einem kurzen Streicheln der Innenseite von Rachels Oberschenkeln spürte Jakob die Feuchtigkeit, die ihm ein leichtes Eindringen in ihren Körper versprach. Als die Beiden nach dem Liebesspiel voneinander abließen, lagen sie noch länger ermattet nebeneinander auf dem Bett. Irgendwann wurde es Rachel zu kühl und sie kroch unter die Decke. Jakob tat ihr gleich und Rachel kuschelte sich an ihn. Sie hätte Jakob gerne gestreichelt, merkte aber, dass er eingeschlafen war. So hielt sie ganz still und freute sich über die Wärme, die sein Körper verströmte. Am späten Nachmittag stand Jakob auf und setzte die Kaffeemaschine in Gang. Er deckte im Wohnzimmer den Tisch und als er den Kaffee eingoss, kam Rachel, vom Kaffeeduft angelockt, nur notdürftig in den Morgenmantel gehüllt aus dem Schlafzimmer. Jakob suchte und fand im Küchenschrank einige Schokoladenkekse. Mit Plätzchen und Kaffee versorgt setzte er sich neben Rachel auf den Boden vor der Couch. Verliebt legte er seinen Kopf an Rachels Bein, beide knabberten an den Keksen, während sie ab und zu am heißen Kaffee tranken.

Der Abend bei Ilse und Heinz verlief angenehm. Besonders Rachel war es anzumerken, wie wohl sie sich in dieser Gesellschaft fühlte. Da sie sich inzwischen in der Wohnung auskannte, hatte sie vor einiger Zeit durchgesetzt, dass sie Ilse beim Tischdecken und Abräumen zur Hand ging. Nach dem Essen waren Vater und Sohn in ein Gespräch vertieft. Rachel schlug Ilse vor, gemeinsam den Abwasch zu machen, da sie die Männer nicht stören wollte. Ilse willigte ein, obwohl sie meinte, sie könne später mit Heinz spülen. Anderseits gefiel ihr der Gedanke, während des Spülens mit Rachel in Ruhe allein reden zu können. Während Rachel noch mit dem Abräumen beschäftigt war, ließ Ilse Wasser in die Spüle laufen und beobachtete sie. Vorgewarnt durch Jakobs Erfahrungen im Umgang mit Rachel tat sie das nur vorsichtig und schaute auch nach einigen Augenblicken wieder weg. Für Ilse war Rachel einfach ein Phänomen, geschmeidig, wie sie sich durch die Wohnung bewegte, konnte kein Mensch auf die Idee kommen, dass Rachel blind sei. Da Rachel inzwischen bei Ilse und Heinz ihre dunkle Brille ablegte, konnte man ihre herrlichen blauen Augen sehen. Ilse stimmte mit Jakob überein, es sah immer aus, als würde Rachel in einer nicht zu bestimmenden Ferne etwas sehen. Eben etwas ganz Besonderes, diese Frau, ganz so, wie Jakob es ausdrückte.
     „Rachel, ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber ich habe Angst davor, eure Beziehung könnte zerbrechen.“
     „Hast du denn Hinweise darauf, dass das passieren könne?“
     „Nein, absolut nicht. Ich fürchte nur, Jakob könne in diesem Fall in sein altes Leben zurückfallen.“
     „Es ist so. Ilse, ich habe keine Furcht, dass Jakob und ich uns verlieren könnten. Aber das habe ich auch geglaubt, als ich anfangs mit Ben zusammen war.“
     „Wie bist du denn an diesen fürchterlichen Menschen geraten?“
     „Eigentlich wollte ich mich nur von meinen Eltern lösen und da kam Ben gerade recht.“
     „Hast du denn nicht überlegt, ob ihr zueinander passt?“
     „Ach du weißt doch wie das ist, ich war verliebt. Da wird man von seinen Hormonen gesteuert.“
     „Ja, ja, die Hormone.“ Antwortete Ilse lachend.
     „Anfangs war es auch alles gut. Aber Ben verlor schnell sein Interesse an mir und wir lebten nur noch nebeneinander her. Bei Ben hatte ich zum Schluss den Eindruck, er bliebe nur aus Mitleid bei mir. Ich habe es ab dem Zeitpunkt nicht mehr ausgehalten, als Ben regelmäßig angetrunken nach Hause kam. Nacht für Nacht das Bett mit einem Angetrunkenen zu teilen, ist echt nicht berauschend.“
     „War eure Trennung dramatisch?“
     „Nein, ich habe ihm eines Morgens erklärt, ich würde ihn verlassen. Er hatte wohl schon den gleichen Gedanken gehabt. Ich habe ihn dann gebeten, am Abend nüchtern heim zu kommen, was er auch tat. Wir haben unsere Habseligkeiten aufgeteilt und ich bin noch am selben Abend ausgezogen. Meine Sachen habe ich am nächsten Tag mithilfe meines Vaters abgeholt, meine wenigen Möbel habe ich einlagern lassen und den Schlüssel in den Briefkasten geworfen, genau, wie ich es mit Ben besprochen hatte.“
     „Und kannst du dir die späteren Vorkommnisse erklären?“
     „Absolut nicht, Ilse. Als ich mit Ben zusammen war, war er nie gewalttätig und auch solche Ausdrücke hat er nie benutzt. Zumindest nicht in meinem Beisein.“
     „Habt ihr noch einmal etwas von ihm gehört, Rachel?“
     „Nein, seit ihn die Polizei mitgenommen hat, herrscht Ruhe.“
     „Ich klopfe auf Holz, dass es so bleibt.“
     „Ich mache mir schwere Vorwürfe, dass Jakob durch meine Schuld mit dieser Geschichte konfrontiert wurde.“
     „Ach was. Dich trifft keine Schuld. Idioten laufen überall herum.“
     „Ja, aber das ist doch alles nur passiert, weil ich Jüdin bin.“
     „Papperlapapp, du bist Jüdin und das ist gut so, basta. Du kannst nichts dafür, dass es Antisemiten gibt. Das sind Idioten und oder Verbrecher – je nach ihren Taten.“
     „Theoretisch weiß ich das. Aber hätte ich Jakob nicht heiß gemacht, wäre ihm diese Erfahrung erspart geblieben.“
     „Ach Rachel, ich glaube nicht, dass du Jakob heiß gemacht hast. So etwas beruht auf Gegenseitigkeit. Wenn ihr euch nicht gefunden hättet, wären wir wahrscheinlich immer noch in Sorge, weil Jakob hier mit Frauen antanzt, die er, ganz salopp ausgedrückt, besser nicht angeschaut hätte. Du siehst, jede Medaille hat zwei Seiten.“
     „Jakob ist für jede Frau ein Gewinn.“
     „Zieh die rosarote Brille aus und du siehst, die Lust auf Sex treibt manchmal die sonderbarsten Blüten.“
     „Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass ich mit Jakob zusammen bin. Und er war ehrlich zu mir – er hat mir direkt am ersten Tag von seinen Liebschaften erzählt.“
     „Ja, ehrlich ist er. Und je länger ihr euch liebt, desto mehr schwindet meine Sorge, ich müsse wieder Liebschaften in unserem Haus begrüßen.“
     „Ich bin so froh, dass er trotz der Vorfälle zu mir hält und mich nicht gleich wieder verlassen hat. Hätte ich doch diesem Typen niemals vertraut….“
     Ilse war sehr ernst geworden. „Hätte, hätte, Fahrradkette. Rachel, deine Selbstvorwürfe grenzen an Selbstzerfleischung. Tu dir und Jakob einen Gefallen, hör auf damit. Alle Menschen machen Fehler und alle Menschen tun manchmal Dinge, die sie später bereuen. Du hast Kraft und aus dieser Erfahrung wirst du weitere Kraft gewinnen, wenn du nur mit diesen Selbstvorwürfen aufhörst. Niemand sonst wirft dir etwas vor. Du weißt doch, dass die Zukunft gerade jetzt beginnt. Und diese Zukunft heißt zu unserer Freude, zumindest im Moment, Jakob.“ Spontan zog Ilse Rachel zu sich heran und umarmte sie. Rachel traten Tränen in die Augen.

Nach dem Abwasch gesellten sich die beiden Frauen wieder zu den Männern ins Wohnzimmer. Rachel und Ilse warteten darauf, dass Vater und Sohn ihr Gespräch beendeten, da sie aber merkten, dass die beiden tiefschürfende Probleme wälzten, unterhielten sie sich selbst über dies und das, bis Heinz aufsah.
     „Rachel hat wohl meinen Job gemacht, oder täusche ich mich?“
     „Nein, wenn ich nicht wüsste, dass Jakob dagegen wäre, würde ich Rachel als Spülmaschine einstellen.“
     „Du willst mich wohl loswerden.“
     „Nein, aber eine neue Spülmaschine spült eben besser als eine alte und braucht auch weniger Energie. Du isst doppelt so viel wie Rachel, ohne besser zu spülen als sie.“
     „Du zweifelst an meinen Fähigkeiten, das hätte ich nicht von dir gedacht.“
     „Blödmann, Rachel gehört zu Jakob und du bleibst bei mir.“
     „Du stehst wohl nicht auf Frauen. Da kann ich hoffen, dass ich meinen Job nicht verliere.“
     „Mein Gott, Mann, wozu brauchen wir Frauen eigentlich Männer? Wir kommen auch ganz gut ohne euch klar.“
     „Zum Kinder machen braucht ihr uns aber schon noch.“
     „Auch dazu wird die Evolution im Lauf der Zeit noch eine Lösung finden. Da befruchten wir uns vielleicht selbst.“
     „Und wo bleibt dann der Spaß?“
     „Spaß hin, Spaß her. Wenn wir keine Männer mehr benötigen, werden wir auch dieses Problem lösen.“
     „Mama, ich habe aber den Eindruck, meine Frau legt schon Wert auf mich.“
     „Ich spreche von einer fernen Zukunft. Die werden wir alle nicht mehr erleben.“
     „Die Zukunft stelle ich mir aber öde vor, worüber wollt ihr Frauen denn meckern, wenn nicht über Männer?“
     „Das wird sich alles finden. Wir können uns ja auch einmal über Fortuna echauffieren, oder über die DEG. Natürlich gibt es dann nur noch Frauenmannschaften.“
     „Habt ihr denn Ahnung davon?“
     „Natürlich, die haben wir jetzt schon. Wir haben ja jahrzehntelang zugehört, wenn Berti Vogt oder Beckenbauer indisponiert waren. Und die Bälle, die Manuell Neuer nicht hält, würdet ihr alle leicht halten.“
     „Die haben aber nie bei Fortuna gespielt, Mama.“
     „Gut, mein Sohn“, mischte sich Heinz wieder in das Gespräch ein.
     „Ihr macht den Fernseher an und seit sauer, wenn gerade kein Sport läuft und ihr meint, ihr hättet die Probleme der Welt verstanden. In Wirklichkeit guckt ihr den Leuten bei ihrer Berufstätigkeit zu. Das ist ungefähr so, als wenn die Leute Beifall klatschen, wenn Jakob aus einem Kanal steigt.“
     „Ja, Ilse, und Frauen gucken abends Pilcher und meinen, sie sehen die Wirklichkeit“, lachte Heinz.
     Alle stimmten in das Lachen von Heinz ein und fanden einen anregenden Abend miteinander verbracht zu haben.

Rachel war richtig aufgekratzt nach dem Besuch, auf dem Heimweg schwärmte sie Jakob vor, wie angenehm sie sich mit Ilse in der Küche unterhalten hätte. Jakob fragte, ob auch von den Liebschaften gesprochen worden wäre. Rachel antwortete, dass auch die Liebschaften ein Thema gewesen wären. Der Rest ginge ihn aber nichts an. Jakob nahm sie in den Arm. „So lange du mich liebst, kann keine Liebschaft bei mir ankommen, da besteht keine Gefahr.“ Rachel knuffte ihn in die Seite, löste sich aus seinem Arm, nahm Jakobs Gesicht in ihre Hände und küsste ihn. Dabei fiel ihr Langstock auf den Boden. Jakob hob den Stock auf, reichte Rachel die Hand und führte sie nach Hause.

Als Rachel am Dienstag von der Arbeit kam, fand sie einen Brief im Briefkasten. Da sie keine Post erwartete und es weder der Zeitpunkt für die Telefonrechnung, noch für die Abrechnung der Stadtwerke oder der Hausverwaltung war, wartete sie ungeduldig auf Jakob. Als Jakob kam, küsste Rachel ihn nur ganz kurz und bat ihn dann, den Brief vorzulesen.

„Der Brief ist von deinem Bruder Jojakim, das entnehme ich der Absenderangabe.“
     „Bitte lese ihn vor, Jakob“, Rachel regierte ungeduldig auf Jakobs einleitende Bemerkung.
     „Ich kann ihn nicht vorlesen. Der Brief ist in einer Sprache verfasst, die ich nicht lesen kann. Ich vermute, es ist Hebräisch.“
     „Hebräisch? Was bildet sich Jojakim ein! Er weiß genau, dass ich nur gebrochen Iwrit spreche. Und zum Vorlesen brauche ich jemand, der diese Sprache beherrscht.“
     „Wir fahren doch nachher zu deinen Eltern. Wo ist das Problem?“
     „Ich will nicht, dass Ima und Aba mein Post lesen.“
     „Dann wird es schwierig. Hast du jemanden im Bekanntenkreis, der den Brief lesen kann? Ich bin wohl leider nicht in der Lage, dir zu helfen.“
     „Nein, da ich nicht in der Gemeinde verkehre, fielen mir nur Jaakov und Rivka ein. Die wohnen aber für heute zu weit weg.“
     „Ruf doch an. Rivka ist sicher zu Hause und wenn wir gleich losfahren, kommen wir immer noch früh genug zu Chajm und Hannah.“
     „Ich wollte doch noch in den Wald und du solltest auch noch joggen.“
     „Wir machen das einander mal.“
     „Nein, ich beiße einfach in den sauren Apfel. Wir gucken jetzt, dass wir in den Wald kommen, ich gehe die mittlere Runde und du joggst die große Runde – zweimal! Den Brief nehmen wir heute Abend mit. Aba kann ihn übersetzen und dir die Übersetzung per Mail zukommen lassen.“
     „Gut, dann machen wir es so.“
     „Ja und zur Strafe antworte ich in Brailleschrift. Dann kann der Blödmann gucken, wer ihm das vorliest.“

Im Wald traf Rachel auf den alten Mann, sie erkannte ihn am Takt seiner Schritte. „Heute allein?“, fragte Rachel.
     „Ja, meine Frau fühlt sich heute nicht wohl, da habe ich sie auf ihren Lieblingssessel im Wohnzimmer gepackt, damit sie Ruhe hält, Frau Cohen.“
     „Woher wissen Sie, wie ich heiße?“
     „Ach Frau Cohen, Haselholt ist doch fast ein Dorf und ein Aufsehen erregender Vorfall spricht sich wie ein Lauffeuer herum. Freunde von uns wohnen auf dem Erlenweg, die haben sich furchtbar empört, wie sie von diesem Idioten beschimpft worden sind.“
     „Oh, das ist mir jetzt peinlich, dass man über mich spricht und jeder weiß, wer ich bin.“
     „Braucht es aber nicht, die Nachbarn halten zu ihnen. Und haben sie es mitgekriegt? Der feine Herr engagiert sich jetzt in einer Bürgerbewegung gegen das Flüchtlingsheim auf der Stargarder Straße.“
     „Wieso, die Leute tun doch keinem was.“
     „Sie wissen das, wir wissen das und viele andere auch. Aber es gibt überall Idioten.“
     „Ich bin mir leider nicht sicher, ob das Idioten oder Kriminelle sind.“
     „Das bleibt abzuwarten, Frau Cohen. Es gibt Leute, die Angst vor allem Fremden haben. Und statt sich der neuen Situation zu stellen, errichten sie Mauern und Zäune. Meine Hoffnung ist, dass die Angst schwindet, wenn die Leute merken, dass Fremde ganz normale Menschen sind.“
     „Ich bin leider etwas in Eile. Aber bevor ich weitergehe, sagen sie mir bitte ihren Namen.“
     „Entschuldigung Frau Cohen, ich vergaß mich vorzustellen. Hassels ist mein Name.“
     „Dann, Herr Hassels, bis zum nächsten Mal und bestellen sie bitte ihrer Frau, dass ich ihr gute Besserung wünsche. Für den Fall, dass sie uns vermissen, wir fahren Samstag für vier Wochen nach Frankreich.“
     „Ich wünsche ihnen eine schöne Zeit.“

Am Abend bei Chajm und Hannah hatte sich Rachel wieder beruhigt. Sie hatte lange keinen Kontakt mehr zu Jojakim gehabt und konnte sich nicht vorstellen, was er von ihr wollte. Dass er ihr nicht auf Deutsch schrieb, hatte sie als Unverschämtheit empfunden. Sie rückte auch erst dann mit dem Brief heraus, als sie nach dem Essen zu viert im Wohnzimmer saßen. Vorher hatte sie ihrer Mutter beim Auftragen und Abräumen geholfen. Zusammen hatten beide die Spülmaschine eingeräumt. Mutter und Tochter hatten nur wenig dabei gesprochen, beiden genügte die Nähe der Anderen. Erst als die Spülmaschine eingeräumt war, hatte sich Hannah erkundigt, ob auf dem Erlenweg alles in Ordnung wäre. Rachel hatte Hannah erzählt, dass Frau Müller sehr freundlich sei, seit Jakob zu ihr gezogen war. Sie fügte noch hinzu, dass sie sich mit Jakob an ihrer Seite sehr wohlfühle. Erst in diesem Zusammenhang war ihr der Brief wieder in den Sinn gekommen.
     „Aba, ich habe heute einen Brief von Jojakim erhalten. Er ist auf Hebräisch. Kannst du ihn bitte übersetzen und morgen die Übersetzung per Mail an Jakob senden?“
     Chajm nahm den Brief und las ihn. „Rachel, willst du wirklich wissen was, dein Bruder schreibt?“
     „Ja natürlich. Wie dem auch sei, Jojakim ist mein Bruder.“
     „Dann muss ich dir sagen, dass ich den Brief nicht übersetzen möchte.“
     „Was ist mit dem Brief, Chajm?“
     Chajm reichte den Brief an Hannah. „Lies selbst!“
     Nachdem Hannah den Brief überflogen hatte, wurde sie blass. „Das verstehe ich nicht.“
     „Was ist mit dem Brief, Ima?“
     „Dein Bruder fordert dich auf, auf den Pfad der Tugend zurückzufinden.“
     „Und das ist nur die Kurzform, Bat“, fügte Chajm hinzu.
     „Gerade dann muss ich den Inhalt kennen. Schließlich will ich darauf antworten. Was meinst du, Jakob?“
     „Ich glaube, Rachel ist im Recht. Der Brief ist an sie gerichtet und sie wird antworten.“
     „Jakob, bitte. Versteh uns, auch Jojakim ist unser Kind und der Inhalt ist für Rachel und auch für dich beleidigend. Mehr als beleidigend!“
     „Mich beleidigt das auch, Chajm“, fügte Hannah hinzu.
     „Ja, mich auch, Hannah.“
     „Wie wäre es, wenn ich den Brief beantworte?“, fragte Jakob. „Ich würde es tun, wenn Rachel und ich beleidigt worden sind.“
     „Das ist nobel. Aber es ist eine Familienangelegenheit.“
     „Du zählst Jakob also nicht zur Familie, Aba?“
     „Oh, das habe ich jetzt blöd ausgedrückt, Rachel. Du bist Rachels Mann, du bist Familie, Jakob! Tut mir leid.“
     „Chajm wollte damit sagen, ihr beide seid unsere Kinder, genau wie Jojakim und Tikvah auch. Und deshalb ist es unsere Aufgabe, euch vor diesen Beleidigungen zu schützen.“
     „Ima, Aba! Egal was Jojakim schreibt, der Brief ist an mich gerichtet und ich werde ihn beantworten. Und wenn Jakob auch darin beleidigt wird, darf und soll er seinen Senf dazugeben.“
     Chajm schüttelte den Kopf. „Ich bestehe darauf, dass Hannah und ich auf den Brief antworten.“
     „Aba“, im Eifer benutze Jakob Rachels vertrauliche Anrede. „Können wir uns nicht darauf einigen, dass ihr zwei und wir beide je einen Brief schreiben? Bekommen wir dann die Übersetzung?“
     „Ungern Jakob, aber wenn ich euch den Brief nicht übersetzte, fahrt ihr damit zu Jaakov oder Rivka, und das wäre mir mehr als peinlich. Ja, wenn du meinst, dann machen wir das so.“
     „Danke, Aba“, sagte Rachel.
     „Ich werde den Brief aber nicht per Mail senden. Holst du ihn bitte morgen nach der Arbeit bei uns ab, Jakob?“
     „Ja, das mach ich, Chajm.“
     „Du darfst gerne bei Aba bleiben. Wenn du Chajm zu mir sagst, habe ich immer den Eindruck, du bekommst einen Knoten in der Zunge. Und ich vermute auch Hannah hat nichts dagegen, wenn du Ima zu ihr sagst.“
     „Danke Aba, danke Ima.“
     „Du wolltest dich doch morgen Abend mit Kollegen in der Altstadt treffen, Jakob. Hast du das vergessen?“
     „Nein, natürlich nicht, Rachel. Aber ich wollte sowieso zuerst das Auto in der Garage abstellen und dann mit dem Bus in die Altstadt fahren. Ich hole den Brief auf dem Heimweg ab und dann hast du ihn, bevor ich in die Altstadt fahre.“
     „Lasst uns das Thema beenden, euer Besuch ist uns zu wichtig, als dass wir uns über Jojakim ärgern.“
     „Ima, Rachel hat mir erzählt, sie wäre einmal als kleines Kind mit dir in Bayonne gewesen und ihr hättet irgendwelche Verwandten besucht. Sie kann sich aber an nichts Genaues mehr erinnern.“
     „Ja, das ist lange her, Jakob. Wir besuchten meine Tante, eine Schwester meines Vaters. Sie ist aber schon lange tot und war unverheiratet.“
     „Weißt du noch, wo sie gewohnt hat?“
     „Oh ja, in der Nähe der Synagoge. 22, Boulevard Jean d'Amou. Sie lebte in ihrem Elternhaus.“
     „Ich kenne mich ganz gut aus in Bayonne, habe aber keine Ahnung wo sich die Synagoge befindet.“
     „Die findest du leicht, Jakob. Sie steht direkt neben dem Bahnhof.“

Der Rest des Abends verlief harmonisch. Chajm öffnete eine gute Flasche Wein, nur Jakob blieb bei Wasser, da er fahren musste.

Als Jakob mit dem übersetzten Brief zu Rachel in die Wohnung kam, fand er diese ausgehfertig für ihre Waldrunde vor. Jakob wollte gleich wieder weg, aber Rachel bat ihn darum, ihr zuerst den Brief vorzulesen. Jakob hätte das lieber vermieden, da ihm der Inhalt des Briefes bereits bekannt war. Aber Rachel meinte, sie wolle auf gar keinen Fall bis zum späten Abend warten. Nur widerwillig ließ sich Jakob darauf ein und las vor.

Liebe Rachel,

ich schreibe Dir, weil ich und Tikvah in tiefer Sorge um Dich sind. Zu unserer tiefsten Verwunderung gibst Du Dich wiederum einem Mann hin, der nicht von unserem Volke ist. Wir waren nach Deiner letzten Erfahrung der Meinung, dass Du zurück auf den Pfad der Tugend finden würdest. Dem ist leider nicht so!

Deine Art zu leben, missbilligen wir. Denke doch einmal daran, dass Du ein Vorbild für Deine Nichten sein solltest. Unsere Religion verbietet das Zusammenleben Unverheirateter. Wir hier im Land unserer Väter nennen das, was Du tust, Hurerei. Wir bekommen natürlich mit, dass Du auch sonst nicht nach den Gesetzen lebst. Du isst Schweinefleisch und verweigerst den Besuch der Synagoge. Das und Dein unsittlicher Lebenswandel beunruhigen uns sehr. Obwohl Ima und Aba Deine Lebensweise tolerieren, ändert das nichts daran, dass Du Dein eigenes Glück und das unserer Familie Deinen Leidenschaften opferst.

Dein Gefährte ist natürlich mitschuldig an Deiner widerrechtlichen Lebensweise. Er sollte sich schämen, statt Ima und Aba mit seinem Getue für sich einzunehmen. Auch Jaakov und Rivka hat er wohl schon auf seine Seite gezogen. Er weiß doch sicher, dass auch in der christlichen Welt die Hurerei eine Sünde ist. Wir erwarten, dass Du Dich umgehend von diesem Mann trennst. Mir fällt es nicht schwer, ihn so zu nennen, wie ich und Tikvah es empfinden – Hurenbock. Die Kinder, die er Dir zeugen würde, wären der ewigen Verderbnis geweiht. Und als Vorbild für seine Neffen ist ein solcher Mann absolut ungeeignet. Das wirst Du sicher einsehen. Löse Dich umgehend aus dieser widerrechtlichen Beziehung und trenne Dich von diesem Mann, das ist der Wille Gottes. Ich bin überzeugt, dass das insgeheim auch dem Willen unserer Eltern entspricht.

Am besten für Dich wäre es, Du würdest Dich entschließen, zu uns überzusiedeln. Hier im Land Deiner Ahnen bist Du vor solchen Versuchungen geschützt. Wir würden uns freuen, Dich bei uns zu begrüßen und könnten Deinen bisherigen Lebenswandel aus unserem Gedächtnis streichen.

In tiefer Sorge, Jojakim.

Als Jakob geendet hatte und zu Rachel sah, sah er, dass diese blass geworden war. Sie erhob sich von der Couch, nahm ihren Langstock und wollte ohne ein Wort zu verlieren, die Wohnung verlassen. Jakob hielt sie zurück.
     „Rachel, ich lass dich jetzt nicht allein zurück. Bitte vergiss den Brief. Ich werde Ima und Aba sagen, sie hätten recht. Wir beide können diesen Brief nicht beantworten.“
     „Und ob ich dieses Pamphlet beantworte! Ich will nie, nie wieder etwas mit Jojakim zu tun haben. Und du fährst jetzt in die Stadt, Jakob. Deine Kollegen warten auf dich. Ich laufe durch den Wald, bis ich mich beruhigt habe.“
     „Bitte Rachel, lass mich bei dir bleiben.“
     „Nein! Wir können zusammen bis zum Bus gehen. Du fährst in die Altstadt und ich gehe in den Wald. Widerrechtlich, der Kerl ist wohl komplett übergeschnappt!“

Jakob sah ein, dass sich Rachel nicht umstimmen ließ. Nur widerwillig ging er zusammen mit ihr zur Bushaltestelle. Dort angekommen drückte Rachel Jakob an sich, küsste ihn auf die Wange und verschwand in Richtung Wald. Durch strammes Gehen hoffte sie ihr seelisches Gleichgewicht wieder ins Lot bringen zu können. Sie merkte aber bald, dass das nicht so einfach war. Sie lief die große Runde und noch zusätzlich einen Teil der kleinen Runde, bis sie merkte, dass ihre Verbitterung sich so weit gelegt hatte, dass sie wieder klar denken konnte. Dass sie nach den Beleidigungen, die Ben von sich gegeben hatte, jetzt von ihrem eigenen Bruder das Gleiche zu hören bekam, war für sie nur schwer zu ertragen. Und schon wieder war Jakob um ihretwillen beleidigt worden. Als sie auf einem stillen Seitenweg weit und breit keinen weiteren Spaziergänger wahrnahm, rief sie mehrmals laut Scheiße, du Arschloch. Danach ging es ihr etwas besser. Die Stimmungsaufhellung hielt leider nur bis zu Hause an. Als Jakob zurückkam, sah er sofort, dass Rachel geweint hatte. Er nahm sie erst einmal in den Arm und sie saßen lange Zeit still auf der Couch. Ab und zu schluchzte Rachel kurz, sodass Jakob sie fester in den Arm nahm.
     „Du kommst früh zurück. Ich habe dich noch nicht erwartet.“
     „Ich habe es nicht mehr ausgehalten und als Ausrede gesagt, es ginge dir nicht gut. Was ja nicht einmal gelogen war.“
     „Du hattest dich doch auf den Abend gefreut.“
     „Du bist mir aber wichtiger, als ein Abend in der Altstadt.“
     „Wir müssen den Brief beantworten, morgen.“
     „Müssen wir nicht, Rachel. Aba würde sich freuen, wenn wir ihm das überlassen.“
     „Das werden wir auf keinen Fall tun! Er nennt meinen Mann einen Hurenbock, das geht zu weit. Da habe ich ja noch Glück, dass er mich nur als Hure und nicht als Judenhure beschimpft hat. Bitte hilf mir morgen nach der Arbeit beim Schreiben. Sonst mache ich es allein.“
     „Ich helfe dir, Rachel. Komm jetzt, lass uns schlafen gehen, ich werde dich in meinen Armen schützen.“

Am Abend darauf, als Jakob nach Hause kam, hatte sich Rachels Zorn noch immer nicht gelegt. Nach der Arbeit hatte sie sich daran gemacht, für sich und Jakob einen Bohneneintopf zuzubereiten. Nach Kochen und Abschmecken fand Rachel, der Eintopf sei ihr gut gelungen. Sie füllte die Bohnen in eine feuerfeste Form um, um das Essen nach Jakobs Heimkehr im Backofen zu erwärmen. Jakob kam etwas später als erwartet, was er damit erklärte, dass er noch kurz bei seinen Eltern vorbeigeschaut hatte. Rachel war froh darüber, denn sie hatte befürchtet, Jakob würde durch den Ärger des vergangenen Tages nicht mehr daran denken, noch einmal die Eltern zu besuchen. Sie bat Jakob zwei Gläser Wein zum Essen bereitzustellen, sie wollte einfach so viel Normalität, wie möglich herstellen. Nach dem Essen bat sie ihn, sich an den Laptop zusetzen. Sie diktierte eine erste Fassung der Antwort an Jojakim.

Jojakim!

Dein Brief strotzt nur so von Unverschämtheiten. Du meinst den Willen Gottes zu kennen. Nein! Auch Du kennst ihn nicht, wer meint … „nein, schreibe bitte …“ wer behauptet den Willen Gottes zu kennen, ist zutiefst bigott. Selbst Stammvater Avraham hat sich nicht angemaßt, den Willen Gottes zu kennen, aber Du meinst, Du kannst den Willen Gottes verkünden! Tatsächlich benutzt Du Gott als einen Vorwand, um uns zu beleidigen. Du schreibst mir auf Hebräisch, wohl wissend, dass ich mit diesem Brief zu Ima und Aba gehen muss, um den Inhalt des Pamphlets zu erfahren. All das könnte ich Dir vielleicht eines Tages verzeihen. Aber du nennst den, den ich als meinen Mann erkannt habe, einen Hurenbock. Jeder Mensch hat eine Schwelle, die nicht überschritten werden darf. Du hast sie überschritten! Mein Mann mag vieles sein, aber er ist kein Hurenbock! Und selbst wenn, Dich geht das gar nichts an!

Ich will nie wieder von Dir hören. Solltest Du mir schreiben, werde ich den Brief ungelesen zerreißen. Kommst Du zu mir, wird meine Tür für Dich verschlossen bleiben. Besuchst Du Ima und Aba, werde ich fern bleiben.

Rachel und Jakob

„Willst du das wirklich so schreiben, Rachel?“
   „Ja, das will ich.“
     „Dieser Brief bedeutet den endgültigen Bruch mit deinem Bruder, deiner Schwägerin und ihren Kindern. Willst du das?“
     „Nein, aber das ist unvermeidlich. Jakob, was Jojakim schreibt, ist unverzeihlich. Ich will nie wieder an ihn erinnert werden.“
     „Liebste, in Deinem eigenen Interesse, der Brief ist wie das endgültige Abreißen aller Brücken.“
     „Ich weiß, das soll er auch sein.“
     „Hast du an Ima und Aba gedacht?“
     „Ja und das tut mir auch weh, aber sie werden es verstehen.“
     „Du bist doch sehr vertraut mit Aba. Bitte bespreche dich mit ihm, bevor wir den Brief absenden.“
     „Nein!“
     „Dann schwäche doch zumindest die letzten Sätze ab. Bitte Rachel, um unserer Liebe willen.“
     „Jakob, du bist ein zu guter Mensch.“ Rachel stellte sich hinter Jakob und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Ich ändere den letzten Satz! Lösche ihn bitte. Er soll jetzt so lauten: ‚Besuchst Du Ima und Aba, kann ich ein Wiedersehen mit Dir wahrscheinlich nicht vermeiden. Ich werde aber dann nicht mit dir sprechen‘. Besser?“
     „Nein, nicht wirklich. ‚Wenn Du Ima und Aba besuchst und während Deines Aufenthalts meine Lebensart akzeptierst, werde ich in Anwesenheit von unseren Eltern ganz normal mit Dir umgehen, so wie es sich für Geschwister gehört‘. Ist das für dich akzeptabel?“
     „Ja, aber nur, weil ich der Meinung bin, es sollte unsere gemeinsame Antwort sein.“
     „Du bist zu keinem weiteren Kompromiss bereit?“
     „Jakob, bitte, drucke den Brief, kuvertiere ihn und wir bringen ihn gleich zum Briefkasten, bevor wir in den Wald gehen. Sonst überlege ich es mir noch und bleibe bei der ersten Fassung.“

Schweren Herzens druckte Jakob den Brief und las ihn noch einmal durch. Er hatte Sorge, dass Rachel irgendwann den letzten Absatz bereuen würde. Aber wohl wissend, dass sie tief im Innern ihrer Seele verletzt worden war, wusste er, dass ihr Entschluss unumstößlich war. So faltete Jakob den Brief, steckte ihn in einen Umschlag und schrieb vom Couvert, in dem Jojakims Brief befördert worden war, den Absender ab. Anschließend klebte er eine Briefmarke auf den Umschlag und schrieb Rachels und seinen eigenen Namen als Absender auf die Rückseite des Umschlags.

„Ich habe unsere beiden Namen als Absender auf das Couvert geschrieben. In Ordnung, Rachel?“
     „Ja natürlich. Das entspricht unserer widerrechtlichen Lebensform! Und nun komm, wir brauchen Bewegung. Das beruhigt unser Gemüt und macht den Kopf frei!“
     „Können wir denn heute zusammen bleiben? Bitte Rachel.“
     „Ausnahmsweise! Wir haben offensichtlich beide einen verstärkten Bedarf nach Nähe.“

Der Samstag versprach ein schöner Herbsttag zu werden. Rachel und Jakob waren kurz vor Sonnenaufgang zu ihrer langen Fahrt aufgebrochen. Bereits kurz bevor sie die Grenze zu Belgien bei Aachen überquerten, fuhren sie unter einem fast wolkenlosen blauen Himmel in Richtung Frankreich. Jakob versuchte, sofern es die Verkehrslage zuließ, Rachel zu erklären, wo sie gerade waren und was es zu sehen gab. Sie kamen gut voran und bereits kurz vor Mittag überquerten sie die französische Grenze. Auf einem der großen Rastplätze fand Jakob einen sonnigen Picknickplatz. Sie aßen mit großem Appetit die mitgebrachten Brote und tranken Kaffee aus der Thermoskanne. Danach steuerte Jakob den Wagen auf die Umgehung von Paris, wo sich der unvermeidliche Stau glücklicherweise in Grenzen hielt. Am späten Nachmittag erreichten sie Niort, wo Jakob eine Zwischenübernachtung gebucht hatte. Er hatte es bisher vor Rachel verheimlichen können, dass es ein Hotel der gehobenen Klasse war. Das Hotel hatte nach Jakobs Meinung einen unschätzbaren Vorteil – es lag nahe zum Stadtzentrum, wo Jakob sie am Abend zum Essen ausführte. Er suchte und fand ein lauschiges Restaurant, in dem sie vorzüglich zu Abend aßen.
     „Jakob, können wir uns das alles leisten?“
     „Das Essen ist teurer als zu Hause, aber erschwinglich.“
     „Und das Hotel? Sei ehrlich, ich habe schon bemerkt, dass es ein besseres Hotel ist.“
     „Ja, es ist sehr teuer. Aber da wir vereinbart haben, die Kosten für den Urlaub zu teilen, sind wir gut betucht.“
     „Du musst aber immer ehrlich sein, Jakob. Ich kann ja nicht kontrollieren, was du wirklich bezahlst. Bitte Jakob.“
     „Ich verspreche es!“ Jakob legte Rachel liebevoll eine Hand auf den Arm.
     „Erzählst du mir, wie Niort so aussieht?“
     „Niort ist für diese Gegend eine verhältnismäßig große Stadt, wenn es auch größere im weiten Umland gibt. Sie gleicht vielen französischen Städten. Außen herum ein ziemlich ausgefranster Gewerbegürtel, dann ein Ring von oft leicht heruntergekommenen Vororten und in der Mitte ein überschaubares Stadtzentrum. Es gibt ein kleines Zentrum mit so etwas wie einem Kneipenviertel, da sitzen wir gerade beim Essen, und dann noch eine Burg und eine Markthalle. Wenn wir einmal in die Markthalle möchten, brauchen wir mehr als eine Übernachtung, die ist nur am Vormittag geöffnet. Markthallen sind interessant, aber keine Sorge, in Bayonne gibt es auch eine.“
     „Du erklärst gut. Ich bin froh, dass es dich gibt. Aber jetzt lass uns ins Hotel gehen. Du bist bestimmt müde nach der langen Fahrt.“
     „Ja, wir machen uns auf dem Bett lang und lassen auf dem Laptop die Aufzeichnung der Tagesschau laufen.“

Auf dem Zimmer überraschte Jakob Rachel mit zwei Weingläsern und einer Flasche Wein. „Damit beschließen wir den Abend“, flachste Jakob, bevor sie sich zu Bett legten. Sie tranken langsam am Wein und schauten dabei die Tagesschau. Danach räumte Jakob sorgfältig das Zimmer auf, um alle Fallen für Rachel zu beseitigen. Zusammen im Bett liegend kämpften sie spaßig um die ungewohnte gemeinsame Bettdecke, bevor sie sich wieder um ihren Wein kümmerten. Obwohl er sehr müde war, schob Jakob Rachels Nachthemd nach oben und legte eine Hand zwischen Rachels Schenkel. Als er das Ziel seines Begehrens ertastete, knurrte Rachel wollüstig. Sie schmiegte sich an Jakob und tat ihrerseits alles, um sein Begehren zu steigern. Sie vereinigten sich, als die Lust am Größten war und schliefen anschließend, bis der Weckdienst sie um sechs Uhr in der Früh weckte. Der Rest der Reise verlief entspannt bei nur wenig Verkehr und so kamen sie bereits mittags bei ihrem Ferienhaus an. Jakob erklärte Rachel, wie das Haus gelegen war und führte sie dann durch das Gebäude, damit sie sich darin zu Recht fand. Rachel bat Jakob, die Koffer im Schlafzimmer auf das Bett zu legen und räumte, als dies geschehen war, die Wäsche in den Kleiderschrank und die Nachttische. Jakob war wie immer erstaunt darüber, wie schnell sich Rachel auch in fremder Umgebung sicher bewegte. Er ging Rachel zur Hand, was aber eigentlich überflüssig war. Rachel bat ihn nach einiger Zeit, die mitgebrachten Vorräte in der Küche aufzubauen, damit sie diese später in die Schränke einräumen könne. Als er vorschlug, die Vorräte selbst einzuräumen, erhielt er einen Schlag vor die Brust. Freundschaftlich zwar, aber bestimmt. Er hatte wieder einmal vergessen, dass Rachel anders war und nur durch ihre eigene Ordnung in der Lage war, die Dinge auch später wiederzufinden. Als sie sich im Haus eingerichtet hatten, machte sie selbstständig einen Orientierungsgang durch alle Räume, brachte die leeren Koffer in das nicht benutze zweite Schlafzimmer, probierte im Wohnzimmer Couch und Sessel, schaute im Waschraum nach der Waschmaschine und freute sich, dass sogar ein Wäschetrockner vorhanden war. In der Küche suchte und fand sie Kühlschrank, Gefrierschrank, Mikrowelle, sowie eine Geschirrspülmaschine. Beim Herd stutzte sie.
     „Was ist das für ein Gerät, Jakob?“
     Jakob war ihr durch das Haus gefolgt und antwortete: „Das ist ein Gasherd. Ich glaube, da werde ich das Kochen übernehmen. Auf offener Flamme kochen ist zu gefährlich für dich.“
     „Wir werden sehen, Jakob Hausmann! Ich vermisse eine Kaffeemaschine.“
     „Die steht auf dem Schrank neben der Spüle.“
     „Gut Jakob. Für meine Begriffe hast du gut gewählt. Das Haus ist komfortabel eingerichtet. Wir werden es hier aushalten.“
     „Ich wusste, dass es dir hier gefallen wird.“ Sie nahmen sich in die Arme.
     „Jakob bitte, teilst du wirklich die Kosten genau zwischen uns auf?“
     „Ja doch, den Preis des Hauses kennst du und du hast mir genau die Hälfte der Miete überwiesen.“
     „Bitte nicht schummeln.“
     „Jetzt ist es aber gut, Rachel. Du kannst mir vertrauen.“
     „Ich vertraue dir, aber wenn es um die finanziellen Belange geht, habe ich immer das Gefühl, du bist sehr großzügig beim Festlegen der Hälfte.“
     „Rachel, wenn unser Plan wahr wird und wir uns entschließen endgültig zusammenzuleben, dann richten wir ein gemeinsames Konto ein, in das jeder nach seinen Möglichkeiten einzahlt. Bis es so weit ist, mache dir keine Gedanken. Ich teile auf den Cent genau. Bitte habe auch in diesem Punkt Vertrauen zu mir.“
     „Ich werde dich nie wieder darauf ansprechen und jetzt sage, wie wir den Nachmittag verbringen und was wir zu Abend essen.“
     „Um etwas Bewegung zu haben, sollten wir in den Wald gehen. Am besten jetzt gleich, es ist Ende September und es dunkelt bereits früh. Am Abend gönnen wir uns ein Essen im Nachbarort. Da gibt es eine Pizzeria, die aber auch gute französische Küche anbietet. Früher zumindest war das so. Ab morgen verpflegen wir uns dann selbst.“
     „Nun gut, dunkel macht nur dir etwas aus. Ich bin da unempfindlich, wie du weißt.“
     „Ich kann dich aber im dunklen Wald nicht führen. Und du findest allein nicht aus dem Wald heraus.“
     „Wohl kaum. Dann komm, meine unruhigen Beine brauchen Bewegung.“
     „Nimm deinen Stock mit, du möchtest ja sicher so bald wie möglich selbstständig durch den Wald gehen.“
     „Natürlich, was hast du denn gedacht!“
     „Oh, das kann ich dir sagen – wir beide gehen immer gemeinsam und eng umschlungen durch den Wald.“
     „Das kannst du dir abschminken. Sobald ich die Wege kenne, joggst du während ich wandere, damit du in Form bleibst – und jetzt gehen wir.“

Am Morgen wurde Rachel zeitig wach, sie brauchte einen Moment, um zu wissen, wo sie sich befand. Als sie sich orientiert hatte, versetzte sie Jakob einen leichten Tritt. „Aufstehen Herr Hausmann, die Freuden der Nacht sind vorbei.“ Auch Jakob zeigte sich einen Moment desorientiert. Dann sprang er auf und nahm Rachel in den Schwitzkasten. Rachel wehrte sich nach Kräften und als Jakob den Griff lockerte, fielen beide lachend auf das Bett zurück. „Arbeit oder Vergnügen“, stichelte Rachel. Da er natürlich für Vergnügen war, schickte sie ihn in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten, während sie ins Bad ging. Auf sein Murren, was den gewesen wäre, wenn er Arbeit ausgewählt hätte, entgegnete sie: „Das hätte nichts geändert, du machst das Frühstück, ich dusche!“ Jakob brauchte einige Zeit, bis er in der fremden Umgebung alles parat hatte. Kaum hatte er alles bereitgestellt, kam Rachel bereits aus dem Bad. Sie übernahm es, den Tisch zu decken, während Jakob sich, so wie er es gerne nannte, gesellschaftsfähig herrichtete. Der Morgen war noch kühl, es schien aber ein warmer Tag zu werden. Noch vor dem Frühstück klappte Jakob das Notebook auf, um sie über den Verlauf der Gezeiten zu informieren. Er schlug Rachel vor, direkt nach dem Frühstück an den Stand zu fahren.
     „Joggen wir dort?“
     „Ich schlage vor, wir nutzen das ablaufende Wasser, damit du dich mit dem Strand vertraut machen kannst. Der Tag ist warm genug, sodass wir barfuß gehen können. Dann brauchen wir nicht so sehr auf die Brandung zu achten. Wenn das Wasser entsprechend warm ist, können wir uns ausziehen, dann brauchen wir gar nicht auf die Wellen zu achten.“
     „Fahren wir mit dem Auto bis zum Strand?“
     „Nein, wir parken an den Dünen und gehen dann zu Fuß. Es ist ein angenehm zu gehender Bohlenweg. Nur der Abstieg ist schwierig für dich – je nachdem, wie der Zustand des Weges außerhalb der Saison ist. Ich werde dich dort auf jeden Fall führen.“
     „Gut Jakob. Brauchen wir Sonnenschutz?“
     „Oh ja, der Tag wird voraussichtlich wolkenlos sein.“
     „Du darfst mir den Rücken einreiben – ausnahmsweise.“
     „Immer zu Diensten, gnädige Frau. Und am besten, du ziehst nur Badelatschen oder Sandalen an, die kommen in meinen Rucksack, sobald wir im Sand sind.“

Als Jakob und Rachel hoch oben auf der Düne standen, erklärte er, was es zu sehen gab. Er bat sie, die Sandalen auszuziehen, sobald er mit seinen Erklärungen geendet hatte. Als beide barfuß waren, führte er Rachel um die Sandberge, die ein früher Herbststurm auf dem Weg abwärts aufgehäuft hatte, hinunter zum Strand. Nahe am Wasser, dort wo der Sand von der vorangegangenen Flut noch feucht und fest war, zogen sich beide aus. Jakob verstaute alles im Rucksack und prüfte die Windrichtung. „Wir gehen nach Norden gegen den Wind“, schlug er vor. So gingen sie Hand in Hand nach Norden immer entlang des Flutsaums. Wenn eine höhere Woge auf den Strand klatschte, reichte ihnen das Wasser teilweise bis über die Kniekehlen. Rachel zuckte dann jedes Mal zusammen, da das Wasser für sie völlig überraschend kam. Nach einiger Zeit hatte sie es bereits gelernt, anhand des Donnerns der Brandung zu erkennen, wie weit das Wasser stieg. Sie wanderten fast eine Stunde gegen Norden, als Rachel fragte, ob sie nicht baden könnten. Jakob schaute sich etwas um, sie gingen ein Stück weiter, bis er einen sicheren Badeplatz fand. Er zog Rachel ein Stück den Strand hinauf, bis sie den trockenen Sand erreichten. Dort legte Jakob den Rucksack ab, nahm Rachel bei der Hand und gemeinsam liefen sie hinunter in das Wasser des Ozeans. Als sie bis über die Hüften in das recht kühle Wasser eingetaucht waren, gab Rachel Jakob einen Schubs, worauf hin dieser stolperte und den Halt verlor. Er tauchte unter, richtete sich auf, umschlang mit seinen Armen Rachel, hob sie hoch und beide fielen gemeinsam in die Fluten. Rachel, die noch nie im Meer gebadet hatte, konnte vom salzigen Wasser nicht genug bekommen. Die Spielereien im Wasser erregten Jakob und Rachel spürte seinen hart werdenden Penis. „Wir sollten zurück zum Haus“, meinte Rachel und knuffte Jakob in die Seite. Im Haus überwältigte beide ihre Leidenschaft. Bereits auf dem Weg zum Schlafzimmer rissen sie sich gegenseitig die Kleidung vom Leib. Auf dem Bett liegend, spielten sie miteinander, wie junge Katzen. Nachdem sie befriedigt waren, schlief Rachel in Jakobs Armen ein. Jakob lag ganz still und schaute durch das Fenster in den Garten. Er versuchte jede Bewegung zu vermeiden, um den Schlaf seiner Liebe nicht zu stören.

Es kam den Beiden so vor, die erste Woche würde wie im Flug vergehen. Rachel und Jakob joggten häufig am Strand. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatten sie schnell einen gemeinsamen Rhythmus gefunden. Wenn Brandung und Gezeitenstrom es zuließen, badeten sie im Ozean. Danach hatte Jakob meist keine Lust mehr weiter zu joggen, und so wanderten sie dann Hand in Hand den Strand entlang, was Rachel einmal zu der bissigen Bemerkung verführte, sie verhielten sich, wie ein altes Ehepaar. Jakob hatte Rachel daraufhin einen Stoß versetzt und geantwortet, alte Ehepaare gingen nicht Hand in Hand, sondern getrennte Wege. Rachel meinte dazu nur, er sei ein Quatschkopp. Waren die beiden nicht am Strand, wanderten sie im Wald. Anfangs gemeinsam und als Rachel die Wege kannte, wanderte sie wie in Haselholt allein, während Jakob sie joggend mehrfach überholte. Waren sie weder am Strand noch im Wald, gaben sie sich oft und mit Leidenschaft ihrer Liebe hin. Jakob hoffte eigentlich auf einen Regentag, damit er mehr Zeit mit Rachel im Bett verbringen konnte, wurde aber enttäuscht, Tag für Tag stand bereits morgens die Sonne am Himmel und verkündete einen weiteren warmen Herbsttag. Endlich, Freitag war es morgens diesig und Jakob hoffte auf einen Tag im Bett. Als sie beim Frühstück saßen, fühlte er vorsichtig bei Rachel vor.
     „So, so Jakob, du willst dich im Bett rekeln, nur weil der Tag diesig beginnt. Ich habe aber eben gerade deshalb andere Ideen. Wie wäre es, wenn du heute damit anfängst, mir etwas von der Gegend zu zeigen? Ich bin doch nicht mit dir durch halb Europa gefahren, nur damit wir gemeinsam das Bett hüten und ich würde dich natürlich reich belohnen.“
     „Warum nicht andersherum? Erst die Belohnung, dann die Gegend zeigen.“
     „Nichts da, Belohnungen gibt es immer nachher. Ich kann ja erst danach entscheiden, wie viel Belohnung du verdienst. Also, was schlägst du vor?“
     Jakob ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. „Ein Ausflug nach Capbreton würde dir sicher Freude machen. Wir kaufen dort fangfrischen Fisch, den wir uns am Abend zubereiten. Wir halten auf der Rückfahrt in Soustons beim Supermarkt und füllen unsere Vorräte auf.“
     „Gut, wann fahren wir?“
     „Am besten gleich nach dem Frühstück, damit wir vor der Mittagszeit in Capbreton ankommen. Sonst müssen wir mit dem Fischkauf bis zum Nachmittag warten.“
     „Abgemacht, ich spüle und du bringst die Wohnung auf Vordermann.“
    „Mach ich alles, aber nur wegen der Belohnung.“

Als beide reisefertig waren, packte Jakob Kühlelemente in die Kühlbox, platzierte diese im Kofferraum und sie fuhren los. Es herrschte nur wenig Verkehr an diesem trüben Morgen, sodass er Rachel ausführlich erklären konnte, was es zu sehen gab, und wo sie sich gerade befanden. In Capbreton fand er einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Fischmarktes. Zuerst zeigte er ihr den Hafen und beschrieb ihn so plastisch, dass Rachel ihn zum Dank auf die Wange küsste. Danach führte er sie über den Fischmarkt. An jedem Stand erzählte er Rachel, welche Fische im Angebot waren. Bei etlichen kannte er den deutschen Namen nicht. Bei diesen nannte er nur den französischen Namen. An einem Stand entdeckte er einen schönen Maigre, den mochte er gerne, fand ihn aber zu groß für zwei Personen. Der vorletzte Stand erweckte Jakobs Interesse. Er erklärte es gäbe Bonite – Weißen Thunfisch, Bar – Wolfsbarsch und Dorade Royal. Jakob wollte sie auswählen lassen, da sie aber aus eigener Erfahrung nur Dorade kannte, überließ sie die Entscheidung Jakob. Er nahm schließlich einen Bar. Er ließ die Verkäuferin einen Fisch für zwei Personen auswählen und bat sie, den zu schuppen und auszunehmen. Rachel war erstaunt, wie selbstverständlich Jakob Französisch sprach. Sie selbst verstand zwar einiges, hatte aber keine Ahnung, worüber Jakob und die Verkäuferin sprachen. Sie bewunderte sein Können, sie war in diesem Moment richtig stolz auf ihren Mann. Nachdem der Fisch im Kofferraum in der Kühlbox verstaut war, führte Jakob Rachel entlang des Hafenkanals zum Stadtstrand. Der Tag, der so diesig begonnen hatte, war inzwischen hell und sommerlich warm geworden. So setzten sich beide auf die Terrasse einer kleinen Bar, genossen die Sonne und tranken Kaffee. Später auf der Rückfahrt hielten sie in Soustons bei einem der großen Supermärkte und füllten dort ihre Vorräte auf. Jakob suchte und fand nach einiger Zeit eine Packung Bratschlauch, um den Barsch darin zu garen. Als sie weiter fuhren, verspürte Rachel ein leichtes Ziehen im Unterleib, ihr fiel ein, dass sie sich in der wirkstofffreien Zeit der Pilleneinnahme befand. Sie machte sich nun Gedanken darüber, wie sie damit umgehen sollte. Wieder im Haus angekommen, räumten sie das Auto aus und lagerten den Fisch im Kühlschrank. Jakob stellte sich hinter Rachel und küsste sie auf den Nacken.
     „Jakob, ich nehme es mit den Gesetzen und Vorschriften meines Volkes nicht genau, das weißt du. Es gibt jedoch eine Vorschrift, die ich bisher immer beachtet habe.“
     „Und welche ist das?“
     „Ich darf als Jüdin während meiner Periode nicht mit einem Mann schlafen und nun habe ich meine Tage.“
     „Oh, und wo bleibt meine Belohnung?“
     Rachel streichelte Jakob. „Ich werde diese Vorschrift jetzt und heute missachten. Keine Sorge, eine Frau, die die Pille nimmt, blutet nur ganz wenig. Ich werde mich duschen und sorgfältig reinigen. Danach bin ich bereit für dich. Es sei denn, dir ist das unangenehm, dann verschieben wir unsere Liebe ein paar Tage.“
     „Mir ist nichts unangenehm, was mit deinem Körper zusammenhängt.“
     „Gut, ich gehe ins Bad und diesmal kommst du bitte nicht mit unter die Dusche. Ich brauche die Zeit für mich. Du darfst mir aber die Lotion auf dem Rücken verteilen.“

Rachel kam mit einer Flasche Lotion aus der Dusche. Die kreisenden Bewegungen, die Jakobs Hände auf ihrem Körper ausführten, stachelten Rachel dazu an, sich ihm zuzuwenden und ihrerseits Jakob zu streicheln und zu küssen. Dann rannte sie in Richtung Bett, Jakob folgte ihr, sich die Kleidung vom Leibe reißend.

Das warme Herbstwetter hielt an, der diesige Freitagvormittag schien eine Ausnahme zu bleiben. Rachel und Jakob lebten in den Tag hinein, genossen die abgelegene Lage des Hauses, die einsamen Wanderungen oder das Joggen am Strand, die Spaziergänge im schier endlosen Küstenwald und immer wieder die Liebe. Sonntagvormittag schlug Jakob einen Ausflug zum Bergmassiv La Rhune vor. Als sie dort ankamen, hatte sich an der Talstation der Bergbahn eine fast hundert Meter lange Warteschlange gebildet. Jakob und Rachel einigten sich darauf, dass sie das nicht brauchten und wichen in das baskische Dorf Espelette aus. Rachel wunderte sich, dass im Dorf etliche Geschäfte geöffnet waren. Jakob erklärte ihr, dass der Ort in der Sommersaison von Touristen überlaufen wäre und die Geschäfte wohl deshalb auch Sonntagnachmittag geöffnet wären. Beim Rundgang durch den Ort erklärte Jakob das pittoreske Aussehen der typisch baskischen Häuser, in Weiß und Rot gehalten, und dass an fast allen Häusern Chilischoten, an Bändern befestigt, zum Trocknen aufgehängt seien. Rachel fragte nach dem Sinn dieser Übung. Über diese Formulierung musste Jakob herzhaft lachen, erklärte aber, dass aus den Chilischoten Gewürze hergestellt würden. Unter anderem Piment d’Espelette und ein Gelee, das zum Käse gegessen wird. In der Dorfkirche erzählte Jakob von den umlaufenden Emporen im Innern, von wo aus an hohen Feiertagen der baskische Männerchor singen würde. In einer Metzgerei erstanden sie einige Scheiben eines gut abgehangenen Schinken und ein Glas Piment d’Espelette. Da sie sich an diesem Tag nicht groß bewegt hatten, aßen sie am Abend nur von dem mitgebrachten Schinken. Jakob hatte zum ersten Mal, seit sie angekommen waren, während des Essens die Tagesschau eingeschaltet. Die Neuigkeiten, die Rachel und Jakob dabei erfuhren, erfreuten sie nicht. Von Tag zu Tag strömten mehr Flüchtlinge nach Europa und in einigen Gegenden Deutschlands herrschte Pogromstimmung. Vor allem Rachel zeigte sich tief betroffen. Da Pogrome zur Geschichte ihres Volkes gehörten, fühlte sie sich durch Vorfälle dieser Art immer persönlich angegriffen. Jakob nahm sie in den Arm und schlug vor eine gute Flasche Wein zu trinken, die sie extra für diesen Abend besorgt hatten. Aber was die Beiden auch an diesem Abend zur Ablenkung versuchten, der Zauber des Tages war zerstört. Erst später, als beide sich in ihrer Leidenschaft näher kamen, verschwammen die Gedanken an die Vorgänge in der Heimat.

Dienstags fuhren sie das erste Mal nach Bayonne. Jakob parkte den Wagen am Rand der Altstadt im Parkhaus Paulmy. Vom Parkhaus aus waren es nur wenige hundert Meter bis zu Kathedrale. Jakob führte Rachel daran vorbei in Richtung Markthalle. Dort herrschte ein Stimmengewirr, das Rachel anfangs irritierte. Sie vertraute aber Jakobs sicherer Führung, der ihr bei jedem Marktstand erklärte, was Besonderes angeboten wurde. An einem Stand kaufte er ein Stück Lomo und ein Stück alten Schafskäse. Auf einer Terrasse an der Nive tranken sie einen Kaffee. Jakob fragte, während sie langsam an ihren Minitässchen tranken, ob Rachel Lust hätte, am Samstag zum Markttag wieder nach Bayonne zu fahren. Rachel nickte zustimmend, denn das quirlige Treiben um sie herum gefiel ihr. Er gab noch zu bedenken, dass an den Markttagen immer ziemliches Gedränge herrsche. Rachel entgegnete daraufhin, sie verlasse sich wie immer auf seine sichere Führung. Als sie den Kaffee getrunken hatten, erwähnte er, sie könnten mit der kostenlosen Navette zurück zum Parkhaus fahren. Sie wisse zwar nicht, was eine Navette sei, aber im Moment wolle sie noch nicht zurück. Sie schlug vor, durch die Gassen zu bummeln und die Kathedrale zu besichtigen. Jakob führte Rachel bergauf durch einige Gassen entlang des Kreuzgangs zur Kathedrale. Als er sie in das Innere führte, war diese, noch bevor Jakob mit seinen Erklärungen begann, überwältigt. Sie spürte körperlich die riesigen Ausmaße der gotischen Halle, die sie betreten hatten. Besonders die Höhe der Halle fand Rachel beeindruckend. Jakob führte sie, wie immer, wenn es etwas zu entdecken gab, erklärend durch das Kirchenschiff. Mehrere Male stellte Rachel Rückfragen, was für Jakob ungewohnt war. Nachdem sie die Kirche verlassen hatten, bat Rachel darum, öfter solche Orte zu besuchen. Es täte ihr einfach gut, fügte sie noch hinzu. Da auch noch tags darauf die Gezeiten so lagen, dass an Strandwandern nicht zu denken war, fuhren sie nach Dax, der für sie nächstgelegenen größeren Stadt. Jakob erzählte Rachel unterwegs etwas von der Geschichte des Heilbades. In der Stadt führte er Rachel zu den heißen Quellen und zum Denkmal für den sagenhaften Entdecker der heilenden Wirkung der Quellen. Auch hier zeigte Jakob Rachel das Innere der Kathedrale, der neuen Kathedrale, wie er erklärte. Insbesondere das Tor der Apostel, ein letzter Rest des alten Kirchengebäudes, im nördlichen Querschiff der Kirche, erregte Rachels Interesse. „Und wo ist die alte Kathedrale geblieben?“ „Die ist eingestürzt, mein Schatz.“ Rachel schmiegte sich an Jakob meinte, da hätten sie ja Glück, denn eine neue Kathedrale würde wohl nicht einstürzen.

Wenn Jakob Rachel einen Ausflug vorschlug, war sie Feuer und Flamme, noch nie vorher hatte sie die Möglichkeit gehabt, so gut geführt fremde Gegenden zu erkunden. Rachels Wissensdurst erschien Jakob unersättlich. Dabei spielte es für Rachel keine Rolle, ob er sie durch einen der meist öden Küstenorte, durch ein Dorf im Baskenland oder ein Museum führte. Größtenteils lauschte Rachel konzentriert Jakobs ausführlichen Erklärungen und Erläuterungen, ohne sich selbst zu äußern. Nur in sakralen Räumen oder Museen stellte Rachel häufig Rückfragen oder bat um zusätzliche Erläuterungen. Im Ecomusee de Marquèze verbrachten sie einige Stunden. Rachel ließ sich haarfein erklären, welche Geschichte zu jedem Haus des Museumsdorfes gehörte. Am späten Mittag packte Jakob an einer schattigen Stelle zwischen Wassermühle und Wohnhaus des Müllers, das mitgebrachte Picknick aus seinem Rucksack. Rachel war überrascht. „Schuft, du hast das alles heimlich in deinen Rucksack gepackt“, maulte sie und gab Jakob einen Stoß, sodass er fast das Gleichgewicht verlor. Jakob nahm sie darauf hin spielerisch in den Schwitzkasten, so wie er es gerne tat, wenn sie besonders ausgelassen waren. Nach dem Picknick saßen beide noch lange nebeneinander und hielten sich bei den Händen. Wenn Jakob Rachel verschiedene Vorschläge für einen Ausflug machte oder Rachel fragte, wohin sie fahren könnten, kam eigentlich immer die spontane Antwort – Bayonne. Er hatte den Eindruck, diese Stadt habe es ihr besonders angetan. Bei einer ihrer Bayonne-Fahrten besuchten sie den Boulevard Jean d'Amou, der sich als öde Vorstadtstraße entpuppte. Das Haus Nummer 22 machte einen leicht heruntergekommenen Eindruck und Jakob schoss ein paar Fotos davon, um diese später Hannah zu zeigen. Bei ihrem letzten Ausflug nach Bayonne kauften sie noch einmal ausgiebig in der Markthalle ein. Vor allem haltbare Sachen, die sie mit nach Hause nehmen wollten.

In der letzten Woche ihres Aufenthalts ging in Rachel eine Veränderung vor. Jakob meinte zunächst, er bilde sich das nur ein. Aber wenn sie auf der Couch saß und mit ihren toten Augen verträumt in eine nicht auszumachende Ferne blickte, hatte Jakob den Eindruck, Rachel ruhe in sich selbst, so als hätte sie ihre Mitte gefunden. Während sie sonst gerne abends dem Fernsehprogramm lauschte, bat sie jetzt meist Jakob sofort nach Abendessen und Abwasch darum, ihr aus Arc de Triomphe vorzulesen. Sie konnte dann den ganzen Abend auf dem Boden neben Jakobs Knien sitzen und der ruhigen Vorlesestimme Jakobs lauschen. Am Strand joggte sie nicht mehr so gerne und wenn, dann nur eine kurze Strecke, um dann wieder Hand in Hand mit Jakob entlang des Flutsaumes zu gehen. Sie schliefen weiterhin gerne und häufig miteinander. Dabei legte Rachel jetzt großen Wert darauf, es ruhig angehen zu lassen und nach dem Akt genoss sie es, ausgiebig Jakobs Nähe zu suchen. Nur im Wald, da war Rachel ganz die Alte. Sie bestand darauf allein zu wandern und animierte Jakob zu joggen. Wie immer argumentierte sie, sie wolle keinen schlaffen Mann. Mitte der Woche fuhren sie noch einmal nach Capbreton, kauften zwei Doraden und im Supermarkt eine Flasche Crémant de Bordeaux und Salat. Den frühen Abend verbrachten sie mit den Essensvorbereitungen. Rachel war sehr still dabei und antwortete, wenn Jakob sie ansprach, nur einsilbig. Da der Abend für die späte Jahreszeit ungewöhnlich warm war, wollten sie auf der Terrasse des Hauses essen. Nachdem sie gespült hatten, war es immer noch warm genug, um auf der Terrasse zu sitzen. Jakob hatte die Gläser mit Crémant gefüllt und sie tranken andächtig vom Schaumwein.
     „Jakob, ich habe mich entschieden.“ Rachels Stimme klang unsicher und belegt.
     „Wozu hast du dich entschieden, Liebste?“
     „Ich habe mich entschieden und möchte dich fragen, ob wir versuchen wollen unser Leben gemeinsam zu verbringen?“
     „Das ist ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Aber du überraschst mich. Es war doch dein Plan, mit der Entscheidung zu warten, bis wir wieder zu Hause sind.“
     „Ich möchte aber nicht mehr warten.“
     „Rachel, ich will mit dir leben und dich lieben.“
     Rachel legte eine Hand auf Jakobs Knie. „Jakob, reicht uns die Wohnung auf dem Erlenweg? Oder müssen wir uns etwas anderes suchen?“
     „Ach, ich denke, die Wohnung ist vorerst groß genug. Ich hätte jetzt eher gedacht, du wolltest über die Form unseres Zusammenlebens sprechen. Es ist schließlich etwas anderes, ob wir versuchsweise zusammen leben, oder ob wir daraus einen Dauerzustand machen wollen.“
     „Verstehe ich nicht. Was meinst du damit?“
     „Ich meine, ob wir unsere Verbindung legalisieren.“
     „Unsere Verbindung ist legal – wir lieben uns.“
     „Würdest du mich denn heiraten? Das meine ich mit legal.“
     „Ja, Jakob, würde ich. Aber im Moment sehe ich keinen Grund dazu. Wenn wir uns Kinder wünschen, das wäre der richtige Zeitpunkt. Wünschst du dir ein Kind?“
     „Im Moment nicht. Und mit der Heirat, das können wir auch sein lassen. Wir brauchen aber einen Vertrag.“
     „Einen Vertrag? Was meinst du damit?“
     „Es klingt jetzt furchtbar geschäftsmäßig, so ist es aber nicht, Rachel, wirklich. Ich will zum Beispiel, dass du für mich entscheidest, wenn ich es aus welchen Gründen auch immer, nicht selbst kann. Du sollst entscheiden und nicht meine Eltern. Wären wir verheiratet, wäre das einfacher. Da wir nicht verheiratet sind, müssen wir all die Dinge, die eine Ehe regelt, vertraglich regeln.“
     Rachel dachte kurz nach. „Oder sollen wir doch besser heiraten?“
     „Nein Rachel, nur wenn du es möchtest. Wir werden die Dinge regeln.“
     „Nun Jakob, etwas regeln wir ganz schnell.“
     „Und das wäre?“
     „Da du bei mir einziehst, bedarf es einer Rechtsgrundlage, für den Fall, dass mir etwas passiert. Ansonsten, ständest du auf der Straße.“
     „Wir klären das alles, sobald wir zurück sind, Rachel. Im Prinzip sind wir uns ja einig.“
     „Dann versuchen wir einmal den praktischen Teil anzugehen, Jakob. Was möchtest du von deinen Möbeln mitbringen?“
     „Nicht viel. Kriegen wir meinen Kleiderschrank noch im Schlafzimmer unter? Sonst müssen wir uns einen größeren kaufen, denn dein Schrank reicht auf Dauer nun wirklich nicht für uns beide.“
     „Ob dein Kleiderschrank passt, müssen wir ausmessen. Die Frage ist, ob dir das Zimmer noch gefällt, wenn dort ein zweiter Kleiderschrank steht.“
     „Du hast recht. Wir kaufen uns einen neuen Kleiderschrank. Dann bleibt nicht viel, was ich von meinen Möbeln mitbringen möchte. Meinen Garderobenschrank in der Diele möchte ich gegen deinen austauschen, weil er besser in Schuss und größer ist. Dann habe ich den besseren Fernsehapparat und wenn es vom Platz her hinhaut, mein gemütlicher Sessel fehlt mir ab und an am Abend. Und dann sind da noch meine Bücher. Wenn nicht alle in der Wohnung Platz haben, bewahren wir den Rest im Keller auf.“
     „Du bist recht anspruchslos, Jakob Hausmann. Ich hatte befürchtet, du würdest all deine Möbel mitbringen.“
     „Eigentlich, einmal abgesehen vom Dielenschrank, ist mit meiner Einrichtung kein Staat zu machen. Ich habe noch einen fast neuen Blue-ray Recorder. Auf der Festplatte befinden sich meine Lieblingsfilme und dann habe ich noch ein Kästchen voller DVD-Filme.“
     „Nachdem wir nun die Grundlage unserer illegalen Verbindung geklärt haben, was müssen wir sonst noch regeln, Jakob?“
     „Wir brauchen ein gemeinsames Konto, von dem aus wir unsere monatlichen Kosten decken können. Du wirst alle Zahlungen, die unsere Wohnung betreffen, über dieses Konto erledigen. Ich werde sämtliche Kosten, die unser Auto verursacht, von diesem Konto entnehmen, außer natürlich den Kosten, die die Fahrten zur Arbeit verursachen. Ich bin weiterhin dafür, alle Ausgaben, die die Lebenshaltung – ich meine Lebensmittel – betreffen, von diesem Konto entnommen werden.“
     „Jakob, das ist nicht praktikabel. Wie willst du Kosten für unser Auto auseinander halten? Willst du etwa ausrechnen, wie viel Prozent der Haftpflicht auf unser Privatleben entfallen? Wir regeln es genau so, als wenn wir verheiratet wären. Alles, was unser Zusammenleben irgendwie betrifft, zahlen wir von diesem Konto, alles andere wäre Heckmeck. Wir müssen nur noch ermitteln, wie viel jeder von uns auf das Konto einzahlt.“
     „Das müssen wir einmal ernsthaft zusammenrechnen. Sollen wir unsere Freizeit auch darüber finanzieren? Dann müssten wir die Beiträge höher ansetzen, Rachel.“
     „Fangen wir einfach an und finanzieren unsere Freizeit vorerst von Fall zu Fall. Bist du einverstanden?“
     „Ja, du Dotz!“
     „Dotz? Was ist ein Dotz?“
     „Eine Murmel.“
     „Du bist vielleicht ein Typ! Erst behauptest du wahrheitswidrig, ich sei eine Schönheit und jetzt vergleichst du mich mit einer Kugel. Ich kann mich nicht entsinnen gewichtsmäßig zugelegt zu haben, seit wir uns kennen.“ Ein breites Grinsen stand in Rachels Gesicht.
     „Hast du auch nicht, nur finde ich dich jetzt sehr viel niedlicher. Sieh es einfach als Kompliment.“
     „Du bist und bleibst ein Quatschkopp! Nun füll endlich die Gläser, dann stoßen wir an. Sozusagen um unsere Abmachung zu begießen.“

Die beiden saßen an diesem Abend noch lange auf der Terrasse. Irgendwann lehnte sich Rachel an Jakobs Schulter. Nach einiger Zeit wurde Rachels Atem ganz ruhig und Jakob merkte, dass sie eingeschlafen war. Er saß so still wie nur irgend möglich, schaute auf den Wald, der in seiner Blickrichtung das Grundstück begrenzte. Die Pinien wirkten in der Dunkelheit wie eine undurchdringliche Wand. Rachels ruhiger Atem übertrug sich auf Jakobs Stimmung, er träumte mit offenen Augen von einem langen Leben mit Rachel – ein klein wenig machte sich auch in ihm das Gefühl breit, er habe seine Mitte gefunden. Nach einiger Zeit erwachte Rachel, sie bat um ein Glas Wein und ein Glas Wasser. Jakob holte eine angebrochene Weinflasche, eine Flasche Mineralwasser und die Gläser. Rachel schüttete sich selbst Wasser ein, während Jakob für Rachel und sich den Wein in die Gläser füllte. „Eigentlich hatte ich gedacht, wir hätten genug für heute“, bemerkte er dabei. Rachel lachte, „nicht heute Jakob, wir feiern.“ Sie gingen zu Bett, als der Abend kühler wurde.

Am Samstag zur Heimreise erwartete sie ein feiner Nieselregen und so fuhren sie ohne großen Abschiedsschmerz in Richtung Bordeaux. Aber bereits weit vor der Stadt verschwanden die Regenwolken und die Sonne verkündete einen weiteren angenehmen Herbsttag. Als sie auf den Autobahnring um die Stadt einbogen, folgte Jakob nicht den Anweisungen des Navis, sondern bog in der Gegenrichtung auf den Autobahnring. Rachel bekam das sofort mit und setzte ein fragendes Gesicht auf. Jakob erklärte ihr, er wolle ihr den Pont d’Aquitaine zeigen. Als sie sich der Brücke näherten, herrschte dichter Verkehr, der sich aber kurz vor der Brücke auflöste. Rachel merkte, dass es einigermaßen steil bergauf ging und fragte, ob sie einen Berg hinauf führen. Jakob fing umgehend wieder mit seinen Erklärungen an und erzählte, sie befänden sich auf der Auffahrt der Brücke, unter der selbst Hochseeschiffe über die Garonne bis in das Zentrum von Bordeaux fahren könnten. Auf der Autobahn Richtung Norden gab es nur wenig Verkehr und Jakob erklärte, wie gewohnt, was rechts und links der Straße zu sehen war. Rachel sprach kaum. Seit sie in Frankreich angekommen waren, hatte Rachel kaum noch ihre dunkle Brille getragen und so saß sie jetzt neben Jakob und ihre Augen schauten wie immer in eine Ferne, die sie nicht wahrnehmen konnten. Wenn Jakob zu ihr hinübersah, hatte er immer wieder den Eindruck, als umspielte ein Lächeln Rachels Mund. Sie waren bereits hinter Paris, als Jakob fragte, wie sie sich fühle. „Ich bin angekommen, mögen die Unsterblichen uns wohlgesonnen sein“, war ihre Antwort. Das Lächeln umspielte weiter ihren Mund und ihr Gesicht drückte vollkommene Ruhe aus. Jetzt lächelte auch Jakob, „dein Glaube verbietet dir, die Unsterblichen um Hilfe zu bitten. Bitte ha shem uns zu beschützen“. „Du hast dich heimlich mit meinem Volk beschäftigt, du Schuft“, kam die prompte Antwort vom Beifahrersitz.

Nördlich von Paris hatte Jakob ein Hotel für die Nacht gebucht, dessen Zimmer zwar weniger komfortabel waren, von dem Jakob aber wusste, dass es dort eine hervorragende Küche gab. Das hatte Jakob aber vor Rachel geheim gehalten und nur erzählt, dass er für die Rückfahrt ein preiswertes Hotel auf dem Land gebucht hätte. Rachel hatte das lobenswert gefunden und Jakob damit geneckt, sie hätte schon den Eindruck gehabt, sie müsse die Verwaltung der Finanzen übernehmen. Jakob hatte geantwortet, er habe sowieso inzwischen den Eindruck gewonnen, er sei mit einer Sparkommissarin liiert. Die Antwort war ein heftiger Knuff und die Bemerkung, Paare mit soliden Finanzen hätten schon einmal einen Streitpunkt weniger, als Paare in prekärer Finanzlage. Und Streit wäre doch sicher nicht das, was Jakob anstrebe. Im Hotel angekommen, stellte Jakob erfreut fest, dass das Zimmer weitaus komfortabler war, als der Preis es vermuten ließ. „Wenn wir uns eingerichtet haben, können wir noch etwas spazieren gehen, Essen gibt es ab sieben“, meinte Jakob. Rachel willigte gerne ein, da sie glaubte, nach der langen Fahrt täte ein wenig Bewegung gut. „Gut, ich habe sowieso schon Schwielen am Hintern“, rief Rachel, bevor sie in der Dusche verschwand. Als sie an Jakob vorbeiging, nahm dieser sie in den Schwitzkasten und kitzelte Rachel einmal komplett durch. Nachdem beide sich frisch gemacht hatten, spazierten sie Hand in Hand durch den stillen Ort. Jakob war gerade dabei, ihr von der pittoresken Kirche im Dorfzentrum zu berichten, als sie in einer Anwandlung von Dankbarkeit Jakob in ihre Arme schloss. „Danke für die schöne Zeit“, flüsterte sie in Jakobs Ohr. Jakob war gerührt über diesen plötzlichen Gefühlsausbruch und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Pünktlich zur Essenszeit waren sie vom Spaziergang zurückgekommen. Rachel erklärte, sie hätte einen Mordshunger und Jakob als schwer arbeitender Chauffeur brauche eine kräftige Ernährung.

„Rachel, möchtest du ein Dreigangmenü?“ Fragte Jakob beim Studieren der Speisekarte.
     „Ja, ich sagte doch, ich habe einen Mordshunger.“
     „Möchtest du selbst auswählen? Oder darf ich für dich wählen?“
     „Du darfst, mein Mann! Aber das wird nicht zur Gewohnheit. Du hast eine anstrengende Fahrt hinter dir, da darfst du es dir einfach machen.“
     „Ich werde mir Mühe geben, deinen Geschmack zu treffen.“
     „Sag nicht, was es zu essen gibt. Ich lasse mich überraschen.“

Während sie auf das Essen warteten und an ihrem Aperitif tranken, schwiegen beide. Für Jakob strömte Rachels Gesichtsausdruck tiefste Zufriedenheit aus. Er bemühte sich, Rachel nicht zu intensiv zu betrachten, da er den Zauber dieser Stunde auf keinen Fall zerstören wollte. Rachel aß die Vorspeise mit großem Genuss und fragte erst als sie fertig war, was sie denn da tolles gegessen habe. Als er antwortete, es sei eine Entenleberterrine gewesen, lächelte sie und meinte nur, Foie Gras wäre nicht im Sinne des Tierschutzes. Damit Jakob nicht auf den Gedanken kommen könne, sie meine das ernst, lächelte sie verschmitzt, nachdem sie das gesagt hatte. Zum Hauptgang hatte Jakob Lammschulter im Teigmantel, dazu Erbsenpüree und Curry-Kroketten gewählt. Auch hier erkundigte sich Rachel eher beiläufig, was genau sie auf dem Teller hatte. Als es zum Dessert ein Eis-Soufflé gab, nahm Rachel Jakobs Hand und sagte, „du bist nicht nur ein guter Chauffeur, sondern auch ein hervorragender Berater bei der Auswahl des Essens.“ Jakob beugte sich etwas vor und drückte Rachel einen Kuss auf den Handrücken.

Zurück in Haselholt machten sich Rachel und Jakob fast umgehend daran, ihre Pläne für ihr zukünftiges Leben in die Tat umzusetzen. Bereits Montag nach ihrem ersten Arbeitstag eröffneten sie ein gemeinsames Konto bei der Sparkassenfiliale in Haselholt. Rachel machte Jakob darauf aufmerksam, dass er umgehend seine Eltern über die neue Entwicklung unterrichten müsse. Jakob sah das nicht ganz ein und fand es vor allem nicht so dringend. Das verleitete Rachel zu der spöttisch gemeinten Bemerkung, ob es wohl der richtige Zeitpunkt sei, wenn er den Möbelwagen vor seiner Tür stehen hätte. Es entspannte sich ein heftiges Wortgefecht zwischen ihnen, was dazu führte, dass Jakob nachgab unter der Bedingung, dass Rachel ihn zu den Eltern begleite. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist ein weiser Mann“, meinte sie, konnte sich dabei aber das Grinsen nicht verkneifen. Er kniff Rachel leicht in den Po, was diese mit gespielter Empörung quittierte. Auffordernd hielt sie ihm das Telefon hin, damit Jakob sich für den Abend des nächsten Tages mit seinen Eltern verabreden konnte. Ilse fragte, ob sie etwas zu Abend kochen könne, was Jakob damit beantwortete, dass er schon lange keinen Auflauf mehr gegessen hätte. Rachel war erfreut darüber, dass das Gespräch, das sie heikel fand, so schnell wie möglich geführt werden konnte.

Jakob holte Rachel am darauf folgenden Tag von der Arbeit ab. Da sie noch zu früh dran waren, machten sie Station bei einem Möbelhaus, wo sie nach einem Kleiderschrank suchten. Jakob hatte an allen ausgestellten Schränken etwas auszusetzen. Mal war ihm ein Schrank zu protzig, den nächsten fand er etwas zu groß, ein anderer gefiel in der Farbe nicht. Rachel fand das ganze Getue erheiternd. Sie machte sich selbstständig auf die Suche und fand nach einiger Suche das, was sie suchten – einen Schrank mit Schwebetüren, der ausreichend Stauraum für zwei Personen bot. Rachel rief nach Jakob, um ihm ihre Eroberung zu zeigen. Dieser zeigte sich überrascht. Wie konnte sie nur so zielsicher das finden, was sie suchten?
     „Zu teuer, Liebster?“
     „Nein, er ist zwar ein bisschen teuer, aber ansonsten perfekt.“
     „Mhm, dann müssen wir uns einschränken. Aber wir haben jetzt einen Grund sofort unser Konto aufzufüllen.“
     „Weißt du Rachel, ich bestehe nicht darauf, dass wir das Geld auf das Konto eins zu eins einzahlen. Du hast ja schließlich schon dein Geld in unsere Wohnung investiert.“
     „Ich will nicht ausgehalten werden, Jakob.“
     „Ich halte dich nicht aus. Wir sind gleichberechtigte Partner. Jeder nach seinen Möglichkeiten, so wie wir es vereinbart haben.“
     „Ist ja gut. Ich bin in dem Punkt empfindlich, das weiß ich.“
     „Dann können wir den Schrank bestellen?“
     „Ja!“

Zu ihrer Enttäuschung erfuhren sie, dass der Schrank eine Lieferzeit von gut vier Wochen hatte. Rachel nahm das leicht und meinte, dann müsse Jakob eben für den Übergang seinen alten Kleiderschrank mitbringen. Aufgekratzt verließen sie das Geschäft. Rachel hakte sich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit bei Jakob ein. Sie würden so einen sehr seriösen Eindruck machen, fand Rachel, was bei Jakob ein Lachen auslöste. Auf dem Weg zur Buchenstraße bat Rachel Jakob noch einmal anzuhalten.
     „Wie werden Heinz und Ilse die neue Entwicklung aufnehmen?“
     „Ich habe echt keine Ahnung, Liebes. Ich bin noch nie von zu Hause ausgezogen. Ich vermute aber, meine Eltern tragen es mit Fassung.“
     „Ich habe Angst, sie könnten mir das übel nehmen.“
     „Wieso dir? Wenn, dann höchstens mir.“
     „Verstehe ich jetzt nicht, Liebster.“
     „Ist doch logisch. Du bist meine Frau und ich will mit dir zusammenleben. Also muss ich ausziehen.“
     „Wir könnten in deine Wohnung ziehen.“
     „Auf gar keinen Fall, Rachel. Ich will mit dir leben. Allein! Nicht mit dir und meinen Eltern.“
     „Ist ja gut, Jakob. Ich will auch mit dir allein leben.“
     „Dann ist es abgemacht. Egal wie unsere Eltern oder sonst jemand reagieren, wir wollen nach unseren Vorstellungen leben und das allein!“
     „Gut Liebster, wir versuchen unser Leben zu meistern, nach unserer Fasson und unserem Gutdünken.“
     „Welchen Weg wir auch gehen, wir versuchen uns von unserer Liebe leiten zu lassen. Denn ohne Liebe wäre unser Unterfangen sinnlos.“
     „Liebe ist ein großes Wort. Ich hoffe, die unsere ist stark genug, die Zeiten zu überdauern.“
     „Lass uns diese Hoffnung leben. Wenn wir es nicht versuchen, werden wir nie erfahren, ob wir es hätten schaffen können.“
     „Dann mein lieber Mann, fahren wir los, warten bringt uns nicht weiter.“

Als Jakob und Rachel auf der Buchenstraße ankamen, wurden sie bereits von Ilse erwartet. Jakob umarmte seine Mutter und als er sie losließ, wandte sich Ilse Rachel zu. Sie nahm Rachel in den Arm und küsste sie auf die Wange. Dann nahm sie Rachels Hand. „Ich muss dich heute führen. Wir haben neue Couchen und du findest dich im Wohnzimmer nicht mehr zurecht.“ Rachel war gerührt von Ilses Fürsorge und ließ sich bereitwillig führen. Ilse zeigte ihr die beiden neuen Möbel und Rachel betastete diese eingehend. Danach gab sie zu verstehen, dass ihr das Zimmer so gut gefallen würde und dass sie nun genügend vertraut war mit der neuen Einrichtung, um sich wieder ohne Hilfe bewegen zu können. Nachdem Heinz seinen Sohn per Handschlag begrüßt hatte, knötterte er etwas von einer zu teuren und unnötigen Anschaffung, was aber niemand ernst nahm. Im Gegensatz zu formellen Begrüßung, die er Jakob hatte zukommen lassen, begrüßte er Rachel herzlich mit einer angedeuteten Umarmung. Danach verzogen sich Ilse und Rachel und deckten den Tisch, während sich Heinz und Jakob über die Geschehnisse der letzten Wochen austauschten. Als sie bei Tisch saßen und aßen, wurde nur wenig gesprochen. Jakob widmete sich ausgiebig dem Auflauf, während sich Ilse und Rachel ab und an über ihre Kocherfahrungen austauschten. Heinz rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her, was im Allgemeinen andeutete, dass ihm etwas auf der Seele brannte.
     „Was verschafft uns die unerwartete Ehre eures Besuchs? Ist eure Leidenschaft erloschen und wir sollen euch die Langeweile vertreiben?“
     „Heinz, was soll das. Die Beiden waren vier Wochen verreist, da ist es doch normal, dass sie sich zurückmelden.“
     „Ach was. Du bist eine Romantikerin. Braucht ihr Geld?“
     „Papa, wie kommst du auf solche Ideen. Du weißt doch, dass wir beide arbeiten und ganz ordentlich verdienen.“
     „Junge Leute wie ihr leben heute meist über ihre Verhältnisse. Konto überziehen ist zum Volkssport geworden.“
     „Rachel wacht über unsere Finanzen wie ein Schießhund. Beruhigt dich das?“
     „Ja, schon. Aber was ist der Grund für euren Besuch?“
     „Heinz, es gibt natürlich einen Grund für unseren Besuch. Jakob und ich, wir wollen zusammen ziehen – für immer.“
     „Ihr wollt heiraten?“
     „Nein, wir wollen miteinander leben.“
     „Zu unserer Zeit hätte es das nicht gegeben.“
     „Zu unserer Zeit wäre alles besser gewesen, wenn die Menschen weniger verklemmt gewesen wären.“
     „Eine Heiratsurkunde ist etwas, das bindet.“
     „Aber keine Garantie! Weder für Treue, noch dafür, dass die Zuneigung hält. Und Scheidungen sind teuer. Das weißt du genauso gut wie ich, mein lieber Ehemann.“
     „Gut, kommen wir zum Praktischen. Wo wollt ihr wohnen?“
     „Ich ziehe zu Rachel. Geht das für euch in Ordnung?“
     „Ja sicher, wir hatten zwar die vage Hoffnung, du würdest weiter hier bei uns wohnen, aber es ist eure Entscheidung; und das ist auch gut so. Ich denke, Ilse sieht das genauso.“
     „Ja, ich hatte schon vermutet, dass ihr nicht hier zusammen wohnen wollt. Soweit ich das beurteilen kann, ist Jakobs Wohnung auch noch kleiner als die von Rachel, da ist es nur vernünftig, dass ihr auf dem Erlenweg wohnen wollt.“
     Heinz hatte noch etwas zu sagen, rückte damit aber nicht heraus. Seine Frau merkte das und wurde ungeduldig. „Heinz, verdammt noch mal, wenn du noch etwas hinzufügen möchtest, dann spuck es aus.“
     „Ich wollte nur fragen, ob ihr Unterstützung braucht?“
     „Unterstützung? Wobei?“, fragte Ilse ungeduldig.
     „Weiß ich doch nicht! Die beiden brauchen doch sicher noch Möbel, oder meinst du, Jakob nimmt seinen Sperrmüll mit?“
     „Papa, wir haben uns einen neuen Kleiderschrank bestellt. Von hier nehme ich nur den Dielenschrank und meinen Sessel mit. Und den Inhalt der Schränke natürlich. Den Fernseher auch noch.“
     „Gut Kinder, dann bezahlen wir den Kleiderschrank. Sozusagen als Mitgift.“ Heinz bekam fast einen Lachanfall dabei.
     Rachel war baff. „Wir danken euch sehr. Das habe ich nicht erwartet.“
     „Ach Rachel, mach kein Theater darum, wir wollen doch nur, dass ihr einen guten Start habt. Ihr werdet schnell merken, dass ihr doch noch das eine oder andere braucht. Da werdet ihr das Geld, das ihr jetzt spart, gut und gerne brauchen können. Und wenn ihr euch einmal trennen solltet – der Schrank gehört euch beiden gemeinsam. In diesem Fall müsst ihr ihn halbieren. Ich leihe euch dazu meine Kettensäge.“

Später, als sie auf dem Erlenweg zurück waren, brüteten Rachel und Jakob über ihren Kontoauszügen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie vorerst jeder tausend Euro monatlich auf das gemeinsame Konto überweisen wollten. Jakob machte es sich an Rachels Schulter gemütlich und schaltete den Fernseher ein. Rachel fühlte sich entspannt nach den Ereignissen des Nachmittags und des Abends.

„Heinz war echt großzügig. Ist dein Vater immer so?“ Fragte Rachel nach einiger Zeit.
     „Nein, aber er ist richtig verschossen in dich. Er würde alles für dich tun, da er dich für einen echten Gewinn für unsere Familie hält.“
     „Übertreibt er, oder übertreibst du?“
     „Nein, das ist keine Übertreibung. Mein Papa glaubt, du hättest mich von den Liebschaften geheilt. So eine Art Engel, der vom Himmel herabgeschwebt ist. Vielleicht habe ich aber in dir auch meinen Schutzengel erkannt.“
     „Oh, wir treiben es aber keineswegs engelhaft.“
     „Das will ich hoffen. Haben wir für heute genug getan, oder besprechen wir noch unser Vertragswerk?“
     „Nein, verschieben wir das auf das Wochenende. Jetzt sollten wir feiern, und duschen möchte ich auch noch.“

An diesem Abend erwachte zuerst bei Rachel und dann auch bei Jakob die Leidenschaft. Es begann damit, dass Rachel die Badezimmertür offen ließ und sich ausgiebig am ganzen Körper einschäumte. Jakob, der ihr zusah, war, wie eigentlich immer, angetan von Rachels fließenden Rundungen. Er ging näher heran und klopfte an die Tür der Duschkabine. Rachel rief, sie kaufe nichts an der Tür. Woraufhin Jakob die Tür öffnete und sich, ohne sich auszuziehen, in die Kabine zwängte. „Hey, das ist die Dusche, nicht die Waschmaschine“, frotzelte Rachel und begann Jakob zu entkleiden. In der Enge der Kabine wollte das nicht so richtig gelingen. Erst als Rachel Jakob durch Kitzeln aus der Kabine getrieben hatte und ihm eingeschäumt, wie sie war, nach draußen folgte, kam sie ihrem Ziel näher. Als er endlich entkleidet vor ihr stand, war es ihr kalt geworden. So zog sie Jakob schnell wieder in die Duschkabine und stellte das warme Wasser an. Beide standen ganz still unter dem prasselnden Wasser. Als es Rachel wieder warm wurde, stellte sie das Wasser ab und Jakob seifte sie, nur die Fingerspitzen benutzend, erneut ein. Rachel reagierte darauf kitzlig und verteilte daraufhin Seife auf Jakobs Körper, wobei sie sich auf die Stellen konzentrierte, von denen sie wusste, dass Jakob dort besonders kitzlig war. Um weiterem Kitzeln zu entgehen, stellte Jakob kurz entschlossen das Wasser wieder an. Es half aber nichts, obwohl Jakob Rachel fest an sich heranzog, fand diese weiterhin Wege, um ihn zu kitzeln. Als es ihr gelang, mit einer Hand Jakob an den Schamhaaren zu kraulen, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er stellte das Wasser ab, öffnete die Kabinentür und griff nach dem Badetuch. Noch in der Kabine begann er damit Rachels Haare zu trocknen. Diese entzog sich ihm geschickt, schnappte sich ein Handtuch und lief sich notdürftig abtrocknend zum Bett. Als Jakob ihr folgen wollte, rutschte er auf dem feuchten Boden des Badezimmers aus. Er konnte sich gerade noch abstützen, so erreichte er das Bett erst, als Rachel sich bereits unter ihrer Bettdecke eingekuschelt hatte. Es entspann sich ein neckischer Kampf um die Decke, bei dem Jakob dadurch den Sieg davon trug, dass er sich auf seine Partnerin hockte und sie ausgiebig kitzelte. Rachel überließ ihm die Decke und beide vereinigten sich zu einer leidenschaftlichen Nacht.

Am Samstagnachmittag saßen Rachel und Jakob gemeinsam am Küchentisch und versuchten sich an verschiedenen Vertragsentwürfen. Nach der Arbeit hatte Jakob tags zuvor seinen Fernseher, den Recorder und seine Filmsammlung mitgebracht und aufgebaut. Rachel hatte entschieden, ihren Fernsehapparat zu verschenken. Am Samstagvormittag hatten Jakob und Heinz in einem geliehenen Lieferwagen den zerlegten Kleiderschrank, den Dielenschrank und den Sessel von der Buchenstraße zum Erlenweg gebracht. Als alles aufgestellt war, hatte Rachel Kaffee gekocht, den sie zu dritt im Wohnzimmer tranken.
     „Rachel, was passiert mit deinem Dielenschrank?“
     „Viel Staat ist nicht mehr mit ihm zu machen. Ich melde Sperrmüll an, Heinz.“
     „Das kann ich euch abnehmen. Wir laden den Schrank ins Auto und stellen ihn in Jakobs alter Wohnung ab. Dann melde ich Sperrmüll an, denn die restlichen Möbel sind eigentlich auch Sperrmüll. Jakob braucht mir dann nur noch helfen, die Sachen abends auf den Bürgersteig zu stellen.“
     „Danke, Heinz. Kennst du jemanden, dem mein Fernseher Freude machen würde?“
     „Ich glaube ja. Er ist ja nicht sehr groß, da frage ich am Montag im Seniorenheim nach. Ich sage euch dann Bescheid.“
     „Prima, Papa. Wir sind im Moment ziemlich mit uns selbst beschäftigt. Da sind wir froh, wenn uns solche Sachen abgenommen werden.“
     „Ist das mit uns selbst beschäftigt ein gutes oder schlechtes Zeichen?“
     „Weder noch, Jakob meint damit, dass wir noch etliches klären und räumen müssen, bis wir uns endgültig eingerichtet haben.“
     „Uff, ich hatte schon die Krise.“
     „Mensch Papa, du siehst doch, wie wir miteinander umgehen. Entspann dich einfach.“
     „Tu ich ja, ihr braucht noch neue Schilder für die Schelle und den Briefkasten.“
     „Die bestelle ich am Montag nach der Arbeit, wenn Rachel damit einverstanden ist.“
     „Natürlich bin ich einverstanden. Schließlich wohnen wir jetzt gemeinsam hier.“

Am Abend direkt nach dem Sabbatende rief Chajm an. Jakob, der den Hörer abnahm, zeigte sich erfreut, Chajm am Telefon zu haben. Chajm erzählte ihm von diesem und jenem, hinterließ aber den Eindruck, dass er mit dem eigentlichen Problem nicht herausrücken wollte. Jakob fragte, ob er den Hörer an Rachel weitergeben solle, was Chajm verneinte. Hannah forderte aus dem Hintergrund dazu auf, es endlich auf den Punkt zu bringen. So erfuhr Jakob, dass Hannah und Chajm einen Brief von Jojakim erhalten hatten, über den sie gerne zu viert reden wollten. Jakob sah darin kein Problem, und die beiden Männer einigten sich darauf, sich noch an diesem Abend auf dem Erlenweg zu treffen. Als Jakob dies Rachel mitteilte, zeigte sich diese wenig begeistert und meinte, sie hätte keinen Bock darauf, über ihren verqueren Bruder zu sprechen. Jakob entgegnete, sie könnten sich doch erst einmal anhören, was die Beiden zu sagen hätten. Nach einem Wortgefecht einigten sie sich darauf, dass sie sich über den Besuch der Eltern freuten. Rachel freute sich sogar aufrichtig, dass ihre Eltern unerwartet zu Besuch kamen, wenn auch der Grund dafür offensichtlich eher unangenehm war. Das Thema Jojakim hätte sie am liebsten für den Rest ihres Lebens aus ihrem Gedächtnis gestrichen und wollte eigentlich auch nie wieder darüber sprechen. Jakob meinte aber, sie könne Jojakim nicht ewig aus dem Weg gehen und schließlich müsse er ihn ja auch kennenlernen. Daraufhin nahm Rachel seinen Kopf in die ihre Hände und flüsterte ihm ins Ohr, dass er ein Quatschkopf sei. Obwohl es schon einigermaßen spät war, kamen Hannah und Chajm mit dem Bus, denn Rachels Vater hatte zwei Flaschen Wein mitgebracht und anscheinend eingeplant, am Ende des Abends nicht mehr fahrtüchtig zu sein. Rachel war die Freude, unerwartet ihre Eltern begrüßen zu dürfen, anzusehen. Jakob machte sich Sorgen, dass Rachel wieder wie immer hart reagieren könne, sobald von ihrem Bruder die Rede war. Er half Hannah aus dem Mantel und folgte dann mit ihr Rachel und Chajm ins Wohnzimmer.

„Wir fahren mit dem Taxi nach Hause. So brauchen wir uns nicht zurückhalten beim Weintrinken. Schütt schon mal ein, Jakob. Wir sollten erst einmal einen Schluck trinken, bevor wir zum geschäftlichen Teil des Abends kommen.“ Chajms Stimme klang belegt.
Jakob füllte vier Gläser Wein, jeder nahm einen Schluck, nur Chajm trank sein Glas auf Anhieb fast leer.
     „Chajm trink nicht so schnell, du solltest einen klaren Kopf behalten.“
     „Ja doch, Frau General.“
     „Wir haben einen Brief von Jojakim und Tikvah erhalten. Genau genommen zwei Briefe.“
     „Und was schreiben sie, Aba?“
     „Ich lese den Brief gleich vor. Der zweite Brief ist für dich Rachel. Er befindet sich in einem verschlossenen Umschlag.“
     „Nimm ihn bitte wieder mit, Aba.“
     „Rachel, der Brief ist verschlossen und er bleibt verschlossen, wenn du das möchtest. Aber höre dir doch bitte erst einmal an, was in dem anderen Brief steht.“
     „Ist gut. Ima, du weißt, wie sehr ich euch liebe. Aber Jojakim hat immer wieder versucht mich zu bevormunden. Ich hatte daher schon lange keinen Draht mehr zu ihm und seit dem beleidigenden Brief vom Sommer, will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben.“
     „Komm Rachel, warte mit deiner Entscheidung, bis Aba den Brief vorgelesen hat. Nun lies schon, Chajm.“

Chajm setzte umständlich seine Lesebrille auf, zog den Brief aus der Tasche, faltete ihn auf und strich das Papier auf dem Tisch glatt, obwohl das eigentlich überflüssig war. Er zeigte Jakob das Schreiben, denn der Brief war auf Deutsch geschrieben. Dann trank er sein Glas leer und begann er zu lesen.

Liebe Ima, lieber Aba,

ich bin untröstlich, dass Euch mein Brief an Rachel so sehr verletzt hat. Ich habe ihr geschrieben, da ich der Meinung war, sie würde mit ihrer Lebensweise nicht nur mich und Tikvah beleidigen, sondern auch Euch. Dass ich den Brief an Rachel auf Hebräisch verfasst habe, war unbedacht. Ich hatte nicht überlegt, dass aus diesem Grund der Brief auf jeden Fall bei Euch landen würde. Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass sein Inhalt ein Fehler war. Das aber werde ich versuchen, mit Rachel persönlich zu bereinigen. Soviel zu dieser unerfreulichen Sache, die ich ausgelöst habe.

Ich bitte Euch, liebe Eltern, mir zu verzeihen. Und damit Euer berechtigter Zorn sich nicht auch noch gegen Tikvah richtet, bekenne ich, dass sie in mein Handeln überhaupt nicht involviert war. Sie hat von meinem Brief an Rachel erst erfahren, als Eure und Rachels Antwort bei uns ankamen. Tikvah war entsetzt, als sie von meinem Schreiben erfahren hat und sich sofort davon distanziert. Ich habe sie offensichtlich genauso verletzt wie Euch und Rachel. Tikvah meint, jeder Mensch muss nach seinem Weg suchen und wenn Rachel ihre Wahl getroffen hätte, ginge mich das einen feuchten Kehricht an (das hat sie wörtlich gesagt). Weiterhin ist sie der Meinung, dass ein Mensch, den Rachel als ihren Mann erkannt hat, nicht schlecht sein könne, und schon gar nicht die Schimpfwörter, mit denen ich Jakob bedacht habe, verdiene. Sie zitierte zum Schluss einen Spruch aus dem sogenannten Neuen Testament der Christen: Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge.

Liebe Eltern, ihr seht, Tikvah hat mir ordentlich den Kopf gewaschen und inzwischen sehe ich ein, dass sie recht hat. Deshalb lege ich diesem Brief ein Schreiben an Rachel bei. Ich habe ihn in einen verschlossenen Umschlag gelegt, nicht, weil ich den Inhalt vor Euch geheim halten will, sondern weil ich möchte, dass Rachel sich den Brief von ihrem Mann vorlesen lässt. Ohne ihn zu kennen, bitte ich Jakob um Vergebung. Der Brief ist auch an ihn gerichtet, daher sollte er ihn persönlich meiner Schwester zur Kenntnis bringen. Das aber liegt nicht in meinen Händen, ob die Beiden den Brief lesen wollen, können nur sie entscheiden.

Wir lieben und umarmen Euch
Tikvah und Jojakim

Nachdem Chajm geendet hatte, lag ein bedrückendes Schweigen im Raum. Chajm bat Jakob nach einigen Minuten, ihm ein weiteres Glas Wein einzuschütten. Hannah, der der Inhalt des Briefes schon vorher bekannt gewesen war, beobachtete unauffällig ihre Tochter, der die Tränen aus den Augen liefen. Rachel hatte sich aber bald wieder gefasst und wirkte danach nachdenklich.
     „Nun, Rachel, darf ich dir den Brief aushändigen?“
     „Gib ihn bitte Jakob. Ich weiß noch nicht, ob ich seinen Inhalt erfahren möchte. Du musst das verstehen, Aba.“
     „Ich verstehe dich, Bat.“
     „Aber bitte, Rachel, überlege gut. Jojakim hat das Band zwischen euch zertrennt. Er kann es nicht mehr zusammenführen. Das kannst nur du. Ich bitte dich um den Frieden der Familie Willen, überlege gut.“
     „Du weißt, Ima, Jojakim und ich standen uns nie nahe. Mit Tikvah ist es anders, wenn sie einmal in Deutschland war, sind wir stets wie gute Freundinnen miteinander umgegangen.“
     Jakob mischte sich ein. „Rachel, bedenke, der Brief ist auch an mich gerichtet.“
     „Du darfst und sollst ihn lesen. Das hat nichts mit meiner Entscheidung zu tun.“
     „Da der Brief uns beiden gilt, möchte ich ihn nur mit dir zusammen lesen.“
     „Kinder, wir wissen doch, wie sehr ihr beleidigt worden seid und erwarten nicht, dass ihr euch jetzt und hier entscheidet. Es reicht im Moment schon, dass ihr bereit seid, den Brief anzunehmen.“
     „Ja, Aba, wie gesagt, gib Jakob den Brief. Ich kann das jetzt nicht auf der Stelle entscheiden. Schließlich habe ich mich in meiner Antwort klar genug ausgedrückt. Und irgendwie empfinde ich Jojakims Brief als Anbiederung. Er hat meinen Mann beleidigt und das nehme ich persönlich. Und egal was in dem Brief steht und wie wir uns entscheiden, wer jemanden ohne ihn zu kennen beurteilt oder verurteilt, benimmt sich unmöglich.“
     Hannah griff nach Rachels Hand. „Lassen wir es für heute gut sein. Wir wissen, ihr werdet euch verantwortungsvoll entscheiden. Ich meine, wir sollten den geschäftlichen Teil des Abends beenden.“

Chajm faltete seinen Brief wieder zusammen und steckte ihn ein. Er reichte Jakob das verschlossene Kuvert, welches dieser auf den Schreibtisch legte. Rachel hatte sich wieder im Griff und nahm das erste Mal, seit Chajm mit dem Vorlesen begonnen hatte, wieder einen Schluck Wein. Sie brachte nur ein gequältes LeChaim über ihre Lippen. Chajm, der nahe bei ihr saß, nahm sie in die Arme und tätschelte ihr den Rücken. Nach einiger Zeit atmete sie tief durch, sagte, es gehe schon und gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. Langsam entspannte sich die Stimmung und es entwickelte sich eine lockere Plauderei, bei der vor allem Chajm und Jakob dem Wein zusprachen. Chajm nahm, wie eigentlich immer, die Gelegenheit wahr, Jakob seine Ideen zum Frieden in Palästina nahezubringen. Jakob diskutierte gerne mit ihm über dieses Thema und die beiden Männer verhakten sich, eigentlich auch wie immer, wenn sie beisammen waren, so im Thema, dass die beiden Frauen in die Küche gingen und dort ein munteres Mutter-Tochter-Gespräch führten. Rachel machte Hannah im Laufe des Gesprächs mit der neuesten Entwicklung ihrer Beziehung zu Jakob vertraut. Ihre Mutter war froh über die Entscheidung für eine dauerhafte Partnerschaft. Sie nahm ihre Tochter in den Arm und wünschte ihr und Jakob alles Glück der Erde. Spät in der Nacht bat Hannah Chajm darum, zu Ende zu kommen. Chajm lachte verschmitzt, wies auf die Wichtigkeit des Themas hin, trank aber sein Glas leer und ließ Jakob ein Taxi rufen.

Am Morgen wurde Rachel zeitig wach und schlich sich zum Schreibtisch. Sie ertastete das immer noch verschlossene Kuvert und öffnete es. Zu Rachels Überraschung fand sie zwei Blätter Papier darin. Diese legte sie nebeneinander auf den Tisch. Danach ging sie ins Bad, zur Morgentoilette. Als sie fertig war, schlief Jakob immer noch. Sie bereitete das Frühstück vor und schepperte, als sie fast fertig war, so laut mit dem Geschirr, dass Jakob wach davon wurde. Er erhob sich und als er sich im Spiegel betrachtete, fand er, dass er ziemlich zerknittert aussah. „Die Freuden der Nacht sind vorüber, das Frühstück wartet“, rief Rachel aus der Küche. Jakob beeilte sich mit der Morgentoilette, legte dabei aber Wert darauf, sich so zurechtzumachen, dass er vorzeigbar war. Er machte das aus purer Gewohnheit, wohl wissend, dass Rachel den Unterschied, außer an der Rasur, nicht feststellen konnte. Der Duft des Kaffees drang bis ins Bad, als er sich das Deo unter die Achselhöhlen sprühte. Als er in die Küche kam, hatte Rachel den Frühstückstisch perfekt gedeckt. Jakob war immer noch nicht klar, wie sie das ohne Augenlicht schaffte. Sie begrüßten sich mit einem Kuss und einer ausgiebigen Umarmung. Wonach Rachel sich von ihm löste und sie sich beide gegenüber an den Tisch setzten.

„Hast du gut geschlafen, Liebste?“, fragte Jakob, nachdem er sein Ei geköpft hatte.
     „Ach, nicht so gut. Zuerst ging mir der Brief nicht aus dem Kopf, danach hast du geschnarcht. Du hattest wohl ein wenig zu viel getrunken.“
     „Das tut mir leid. Aber das Gespräch mit Chajm war hochinteressant und da auch dein Vater kräftig zugelangt hat, habe ich mitgemacht. Mir schmerzt der Kopf etwas.“
     „Schon vergessen. Der Kopfschmerz ist die Strafe. Du joggst nachher – das macht den Kopf wieder frei.“
     „Kommst du mit, oder wanderst du.“
     „Nein, ich komme mit.“

Es entstand eine längere Pause, während sich beide mit ihrem Frühstück beschäftigten. Rachel aß mit gutem Appetit, während Jakob mit einem flauen Gefühl im Magen kämpfte. Nachdem er sein Ei und eine halbe Scheibe Brot verzehrt hatte, belegte er sich eine weitere Scheibe mit Käse, an der er lustlos herumknabberte. Rachel trank ihre Tasse Kaffee aus und bat Jakob, ihr nachzugießen.
     „Bevor wir joggen gehen, liest du mir bitte vor, was Jojakim geschrieben hat. Dann haben wir es hinter uns. Ich habe das Kuvert bereits geöffnet, es scheint ein längerer Brief zu sein.“
     „Ich lese den Brief vor, sobald wir mit dem Frühstück fertig sind. Dir scheint es ja heute besonders gut zu schmecken.“
     „Nur kein Neid, mein Schatz. Ich habe mich beim Wein zurückgehalten, im Gegensatz zu dir.“
     „Ja, ja! Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“
     „Oder, wer den Schaden hat, der spottet jeder Beschreibung.“ Rachel verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln.
     „Ich sollte dich zur Strafe tot kitzeln.“
     „Dann flüchte ich ins Frauenhaus.“
     „Die nehmen keine toten Frauen auf.“ Beide lachten und beendeten das Frühstück.

Jakob ging zum Schreibtisch und überflog die beiden Blätter, die Rachel nebeneinander gelegt hatte. Er sah, dass es sich um zwei Briefe handelte. Der eine war von Jojakim, der andere von seiner Frau geschrieben und ausschließlich an Rachel gerichtet.
     „Rachel, es handelt sich um zwei Briefe. Einer davon ist von Tikvah und ist ausschließlich für dich bestimmt. Willst du dir diesen Brief nicht lieber von Hannah oder Chajm vorlesen lassen?“
     „Quatsch, du bist mein Vorleser. Ich habe zwar gerne ein paar Geheimnisse vor dir, aber da niemand mir so nahe ist wie du, möchte ich, dass du und niemand anders mir meine Post vorliest.“
     „Du hast Geheimnisse vor mir?“
     „Ja, sicher, jeder Mensch hat seine Geheimnisse.“
     „Auch zwei Liebende?“
     „Gerade die. Jeder will doch von seiner Liebe positiv gesehen werden. Da wird geflunkert.“
     „Nun, und wie gehst du vor, wenn ich einmal etwas nicht erfahren soll?“
     „Ich bitte um eine Mail. Die lasse ich mir dann auf der Arbeit von meinem Laptop vorlesen.“
     „Da musst du vorsichtig sein, Rachel. Andere könnten mithören, oder du vergisst dich abzumelden, wenn du das Notebook mit nach Hause bringst.“
     „Ich vertraue dir, Jakob. Ich gehe davon aus, dass du meine Privatsphäre achtest. Und ich kann auch telefonieren, um meine Geheimnisse zu wahren.“
     „Ach, komm. Wir tun so, als wären wir an dem Punkt, wo wir einander ausspionieren.“
     „Wenn das geklärt ist, dann lies vor. Zuerst den Brief von Jojakim.“

Liebe Rachel, lieber Jakob,

ich gehe davon aus, dass ihr den Inhalt des Briefs, den ich Ima und Aba geschrieben habe, kennt. Trotzdem weiß ich nicht, wie ich jetzt beginnen soll. Nur eins weiß ich mit Sicherheit. Tikvah hat es mir klargemacht, ich bin ein Riesenidiot!

Ich habe Euch beschimpft und beleidigt – ich war der Meinung, das meinem Glauben schuldig zu sein. Ich hatte das wichtigste übersehen – jeder Mensch ist nur für sich selbst verantwortlich. Wer meint, seine eigenen Ansichten wären allgemeingültig, liegt schief. Genau diese Meinung war es aber, die mich dazu brachte, Rachel den bösen Brief zu schreiben. Dass ich dann mich auch noch dazu verleiten ließ, den Brief auf Hebräisch zu verfassen, verstehe ich heute selbst nicht mehr.

Liebe Rachel, wir waren uns schon lange nicht mehr besonders nahe. Die Schuld daran liegt ausschließlich bei mir. Als großer Bruder hätte ich mich zu Dir hin wenden müssen. Ich hätte Dir zeigen müssen, dass ich Dich schätze und achte, dass ich dich lieb habe. Das habe ich nicht gemacht. Obwohl Du viel jünger bist als ich, bist Du viel reifer. Immer hast Du meine Überzeugungen respektiert, obwohl Du anderer Meinung bist. Die Worte, mit denen ich Dich bedacht habe, sind unverzeihlich. Ich bitte Dich aber trotzdem um Entschuldigung.

Lieber Jakob, ich habe Dich bisher nicht kennengelernt und trotzdem habe ich Dich mit Worten belegt, von denen Tikvah sagt, sie strotzen jeder Beschreibung. Sie hat recht. Ich kann Dir versichern, es wird nie wieder vorkommen, wenn Dich das überhaupt noch interessieren sollte und ich es könnte verstehen, wenn Dir meine Zeilen gleichgültig sind. Ich bitte Dich aber um Versöhnung und um eine Chance, Deine Bekanntschaft zu machen.

Mehr kann ich zu meiner Verteidigung nicht vortragen. Das, was jetzt zwischen uns passiert, liegt bei Euch. Ich warte ganz einfach ab, ob ich eine Antwort von Euch erhalte. Wenn Ihr Euch nicht meldet, kann ich das verstehen und muss es ertragen. Wenn Ihr mir verzeiht, würdet Ihr eine schwere Last von mir nehmen. Wie Ihr Euch auch entscheidet, ich werde Euch in meine Gebete einschließen.

Liebe Grüße und Schalom
Jojakim

Als Jakob den Brief sinken ließ, waren beide erst einmal sprachlos. Sie hatten zwar mit einem Inhalt dieser Art gerechnet, nachdem Chajm ihnen am Vorabend seinen Brief vorgelesen hatte, aber sie hatten nicht daran geglaubt, dass Jojakim so eindringlich um Vergebung bitten würde. Schließlich holte Rachel tief Luft, schnaubte, der will für uns beten, Quatsch! Dann aber sagte sie, sie wolle erst einmal über den Inhalt nachdenken und Jakob möge Tikvahs Brief vorlesen. Jakob vergewisserte sich noch einmal, dass es ihr ernst damit war. Rachel nickte.

Schalom, liebe Rachel,

ich falle gleich mit der Tür ins Haus, ich will nicht drum herumreden. Was Jojakim an Euch geschrieben hat, ist mir völlig unverständlich und steht außerhalb aller Form des Umgangs miteinander. Wie konnte er so etwas schreiben? Er kennt Jakob nicht einmal und nennt ihn – entschuldige, dass ich das Wort wiederhole – Hurenbock.

Du bist Jojakims Schwester, Du hast einen Mann zu Deinem erwählt. Das ist Deine Entscheidung und niemandem steht es zu, das zu kritisieren. Im Übrigen darf niemand Deine Lebensweise kritisieren. Dass wir religiös sind, ist unsere Sache, dass Du es nicht bist, ist Deine Wahl. Ob Du nach den Gesetzen lebst oder nicht, geht uns nichts an. Und Deine Verbindung mit Jakob widerrechtlich zu nennen? Das kann doch nur ein Besoffener so von sich geben.

Du weißt, ich bin gläubige und orthodoxe Jüdin, aber da Du meine Art zu leben immer respektiert hast, akzeptiere ich auch Deine Lebensweise.

Ich weiß nicht, ob die große Kraft, die Dir innewohnt, reicht, Jojakim zu verzeihen. Ich bitte Dich aber trotzdem, ihm zu vergeben, schon aus Liebe zu Euren Eltern.

Ich weiß, dass Du Deine Entscheidung mit Verantwortung treffen wirst. Da ich Jakob aus Beschreibungen von Ima und Aba kenne, weiß ich, dass er ein ernsthafter Mensch ist, der Dich über alles liebt. So bin ich sicher, dass auch er seine Wahl nicht leichtfertig treffen wird. Handelt nach bestem Wissen und Gewissen – ich vertraue Euch voll und ganz. Im Übrigen hoffe ich, dass unser beider Verhältnis so freundschaftlich wie bisher bleibt.

In Liebe, Tikvah.

Rachel war nach diesen Zeilen verunsichert und gerührt. Sie bat Jakob, die Briefe beiseite zu legen und mit ihr joggen zu gehen, um den Kopf freizubekommen. So zogen sie sich um und gingen Hand in Hand in den Wald. Dort angekommen, küsste Jakob Rachel auf die Stirn. „Trab los, ich folge dir“, sagte Rachel. Als er loslief, folgte sie ihm, genau auf den Rhythmus seiner Schritte achtend. Als sie sich entsprechend angepasst hatte, rief Rachel Jakob zu, er möge etwas schneller laufen. So liefen sie eine Stunde am Stück und beendeten ihren Lauf kurz vor der Autobahnüberführung.

Wieder zu Haus, schickte Rachel Jakob als ersten unter die Dusche. Sie selbst ging in die Küche und setzte frischen Kaffee an. Sie holte die beiden Briefe und setzte sich an den Küchentisch. Während sie darauf wartete, dass der Kaffee durchlief, legte sie ihre Hände auf die Briefe, so, als könne sie mit ihren Händen den Geist erkennen, den die Briefe ausströmten. Als Jakob sich abtrocknete, war er verwundert, dass Rachel weder zu ihm unter die Dusche gekommen war, noch dass sie sich jetzt vorbereitete, alleine zu duschen. Er zog seinen Bademantel über und schaute, wo Rachel blieb. Jakob fand sie in der Küche vor einer Tasse Kaffee sitzend. Auch für ihn hatte Rachel eine Tasse mit Kaffee gefüllt. Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und legte seine Hände um die Kaffeetasse. Da Rachel schwieg, sagte auch Jakob nichts. Irgendwann legte Rachel eine Hand auf Jakobs Arm.

Nach einiger Zeit zog Rachel ihren Arm zurück und trank ihren Kaffee aus. Sie stand auf und schüttete sich eine weitere Tasse Kaffee ein. Danach setzte sie sich wieder an den Tisch, Jakob bemerkte, dass es in Rachel arbeitete und sie etwas sagen wollte, aber noch um die Worte rang.
     „Jakob, wir müssen die Briefe beantworten. Genau genommen, muss ich den Brief an Tikvah alleine beantworten, und wir beide müssen auf das Schreiben von Jojakim reagieren.“
     „Das sehe ich auch so, wo ist das Problem?“
     „Mir ist unklar, was wir Jojakim schreiben.“
     „Liebes, dann fang doch mit dem anderen Brief an. Der ist doch nun wirklich nur freundschaftlich.“
     „Darum geht es nicht. Ich möchte den Inhalt nur mit Tikvah teilen.“
     „Wenn du ihn nicht mir diktieren möchtest, diktiere den Brief doch deinem Notebook.“
     „Ich möchte dich bitten – Jakob versteh mich nicht falsch, ich möchte, dass du spazieren gehst, wenn ich den Brief schreibe.“
     „So geheim?“
     „Ja!“
     „Du kannst den Brief doch über deine Braille-Tastatur schreiben.“
     „Ja, aber gehst du trotzdem spazieren? Ich muss ihn mir ja schließlich vom Notebook vorlesen lassen.“
     „Ja, ich verstehe dich und es soll so geschehen, wie du es wünschst.“
     Rachel erhob sich und drückte sich an Jakob. „Ich liebe dich, Jakob Hausmann.“
     „Ich liebe dich auch.“ Jakob streichelte Rachels Po.
     „Dann, mein Liebster, gehe ich jetzt duschen und du erwartest mich danach im Bett.“

Als Rachel sich zu Jakob ins Bett kuschelte, bemerkte dieser, wie angespannt sie war. Insgeheim verfluchte Jakob die ganze Verwandtschaft, er war begierig, mit Rachel zu spielen, aber dazu musste sie entspannt sein. Nach einiger Zeit schien sich Rachel etwas zu beruhigen. Jakob massierte daraufhin vorsichtig ihren Rücken, worauf hin Rachel sich endlich entspannte und ihrerseits mit einer Hand in Jakobs Schamhaaren spielte, während sie ihre andere Hand leicht über die Innenseiten seiner Oberschenkel gleiten ließ. So animiert hielt es Jakob nicht mehr unter der Decke aus. Er setzte sich auf und kitzelte Rachel ausgiebig. Sie jammerte zwar etwas, das sich wie „aufhören“ anhörte, versuchte aber ihrerseits Jakobs kitzlige Stellen zu erreichen. Das Ganze wuchs zu einem wilden Gerangel aus, welches dadurch beendet wurde, dass beiden die Puste ausging. Jakob beugte sich über Rachel und schob ihr eine Hand zwischen die Schenkel, massierte mit dem Zeigefinger ihre Klitoris und als er spürte, dass sich Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen ausbreitete, zwängte er sich zwischen Rachels Schenkel. Lange lagen sie danach noch eng beieinander, wobei Rachel mit beiden Händen einen kräftigen Druck auf Jakobs Pobacken ausübte. Jakob, der diesen Griff besonders liebte, hielt ganz still und küsste dabei ab und zu Rachels Hals. Später am Tag, bat Rachel Jakob ihr vorzulesen. Während Jakob diesem Wunsch auf der Couch sitzend nachkam, hockte Rachel neben ihm auf dem Teppich. Sie hatte sich nur locker ihren Morgenmantel übergezogen und jedes Mal, wenn Jakob beim Umblättern der Seiten kurz aufblickte, fiel sein Blick auf Rachel unbedeckte Scham. Jakob las an die zehn Seiten vor, stand dann auf und kam mit zwei Gläsern und einer Wasserflasche zurück.
     „Sollten wir uns nicht unseren Brief vornehmen?“
     „Bitte nicht heute, Jakob. Der Tag ist zu schön. Wir schreiben im Laufe der Woche.“
     „Unangenehmes sollte man lieber sofort erledigen, Schatz.“
     „Ich weiß. Aber ich brauche noch etwas Zeit, um über Inhalt und Formulierung nachzudenken.“
     „Ich sehe das so weit ein, aber es ist auch mein Brief und ich will es hinter mich bringen.“
     „Bitte, Jakob, hör auf. Lies weiter vor, sonst bringen wir Arc de Triomphe nie zu Ende.“
     „Du hast mich ja schon überredet, Liebste.“
     „Und wenn wir genug vom Lesen haben, dürfen wir uns zur Belohnung noch einmal kitzeln.“

So nahm Jakob wieder auf der Couch Platz. Diesmal setzte sich Rachel neben ihn, zog die Beine an und lehnte sich an seine Schulter, während Jakob jedes Wort betonend weiter aus dem Buch vorlas. Ab und zu machte er eine kurze Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken. Während einer dieser Unterbrechungen fragte Rachel, was Jakob an ihr am meisten mochte. Seine Antwort, er möge vor allem ihre Augen, verwirrte Rachel. Als er ihren fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er erklärend hinzu, sie habe herrlich blaue Augen und oft sähe es aus, als würden sie in einer unendlich weiten Ferne etwas erkennen. Aus Rachels Augen rannen Tränen. Jakob erschrak und versuchte, sie zu trösten. Rachel schüttelte den Kopf: „Es sind Freudentränen, du hast so etwas Schönes gesagt, dass ich weinen muss.“ Daraufhin rutschte Rachel wieder von der Couch und lehnte sich an Jakobs Knie. Während er weiter vorlas, schloss sie die Augen. Sie stellte sich vor, was sich ändern würde, wenn sie sehend wäre. Sie kam zu dem Schluss, dass zwar ihr Leben einfacher wäre, aber sie war der Überzeugung, weitgehend bliebe alles beim Alten. Nur Autofahren, das würde sie sofort erlernen, da war sie sich sicher. Als Jakob an eine Stelle im Buch kam, bei der zwei Liebende kräftig dem Calvados zusprachen, stoppte sie Jakobs Redefluss.
     „Wir sollten uns mit Calvados eindecken. Das Getränk scheint die Leidenschaft zu beflügeln.“
     „Da, meine Liebste, glaube ich, sind bei dem guten Remarque die Pferde der Fantasie durchgegangen.“
     „Echt?“
     „Ja sicher. Alkohol im Blut mag zwar Lust und Leidenschaft beflügeln. Aber mit Sicherheit beflügelt er nicht die Fähigkeit, diese Gefühle auch auszuleben.“
     „Das hat sicher auch etwas mit der Menge Alkohol zu tun, den die Liebenden zu sich nehmen. Oder?“
     „Ich glaube schon. Aber bei den Mengen, die die Beiden von dem durchaus hochprozentigen Gesöff zu sich nehmen, da wird im wirklichen Leben im Bett tote Hose sein.“
     „Da können wir ja froh sein, dass wir beide so solide leben.“
     „Aber wenn wir das nächste Mal in Benrode sind, können wir eine kleine Flasche Calvados kaufen. Es gibt dort ein Geschäft, das hervorragenden Calvados verkauft. Er wird dort in Fläschchen abgefüllt. Sozusagen als Arzneimittel. Du wirst sehen, Rachel, der Geschmack von Calvados ist unbeschreiblich.“

Rachel erhob sich und zog sich, während sie in Richtung Schlafzimmer lief, bereits den Morgenmantel aus und ließ sich im Schlafzimmer auf das Bett fallen. Jakob, von Rachels plötzlichem Entschluss überrascht, folgte ihr unverzüglich und setzte sich neben sie auf die Bettkante. Sie fing sofort an, an seiner Kleidung zu fingern. Jakob half ihr gerne bei der Entkleidungszeremonie. Als er nackt auf der Bettkante saß, war Rachels Lust bereits voll entfacht, aber Jakob war noch nicht so weit. Als sich ihre Hände mit seinem Penis beschäftigten, merkte sie, dass ihre Nachhilfe gefordert war. Sie kniete sich vor ihm auf den Boden und bearbeitete sein Geschlechtsteil mit ihren Lippen. Sofort merkte sie, wie das Blut die Schwellkörper füllte. Jakob ließ sich auf das Bett sinken und zog Rachel zu sich heran. Auf ihm hockend, führte Rachel seinen Penis in die Scheide ein. Leise stöhnend legte Jakob seine Hände auf Rachels Hüften. Das rhythmische Heben ihres Beckens bewirkte, dass ihr Gesicht ekstatische Züge annahm. Als er merkte, dass er den Höhepunkt erreichte, führte er seine Hände zu Rachels Brüsten und presste diese fest zusammen. Rachel stieß einen spitzen Schrei aus und ließ sich auf Jakobs Brust sinken. Längere Zeit lag sie reglos auf ihm. „Jakob, die Erde hat gezittert und es war, als würde ich zerfließen“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Jakob legte seine Arme um Rachel und drückte sie an sich. Beide befanden sich nach diesem Akt in einem Zustand lustvoller Erschöpfung. Langsam, ganz langsam ließ die Erschöpfung nach und die Lust gewann wieder die Oberhand. Jakob begann mit seinen Fingerspitzen ganz sanft Rachels Körperformen nachzuzeichnen. Sie reagierte wie so oft kitzlig darauf und versuchte Jakob zu entkommen. Als sie es geschafft hatte, landete sie etwas unsanft neben dem Bett auf dem Fußboden. Jakob erschrak und setzte sich auf, um zu kontrollieren, ob Rachel sich wehgetan hätte. Sie hatte sich aber schon wieder erhoben und setzte sich ihm gegenüber auf das Bett. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über Jakobs Körperkonturen – sie tat das, was sie Sehen nannte. Jakob spielte derweil hingebungsvoll an Rachels kleinen, mädchenhaften Brüsten, deren dunkle Knospen er ab und zu küsste. Als sie mehr Körpernähe suchte, spreizte sie ihre Beine und schlang diese um ihren Liebsten. Sie spürte nach kurzer Zeit an ihrer Scham, dass Jakob zu einer weiteren Vereinigung bereit war. Willig ließ sich Rachel von Jakob auf das Bett drücken und öffnete ihre Schenkel.

Spät am Abend saßen sie im Wohnzimmer und Rachel drückte sich eng an Jakob, der einen seiner DVD-Filme laufen ließ. Sie hörte aufmerksam den Dialogen des Films zu und Jakob erzählte ihr ab und zu, was es gerade auf dem Bildschirm zu sehen gab. Als sie endlich doch noch den Weg ins Bett fanden, kuschelte sich Rachel an Jakobs Rücken und schlief fast umgehend ein, während es Jakob noch einige Zeit genoss, ihren Körper zu fühlen und ihrem ruhigen Atem zuzuhören. Dann fiel auch er in einen traumlosen Schlaf.

Am Mittwoch nach der Arbeit war Rachel so weit, dass sie Jojakim antworten konnte. Da es jahreszeitbedingt bereits zu dunkel war, konnte Jakob nach der Arbeit nicht mehr joggen. Rachel nahm ihn im Allgemeinen mit auf ihre Wanderung durch den Wald. An diesem Abend beschloss sie die Wanderung ausfallen zu lassen und stattdessen eine Tortilla zum Abendessen vorzubereiten. Sie schälte die Kartoffeln und schnitt Zwiebelringe. Als Rachel die Eier schaumig schlug, hörte sie bereits Jakob kommen. Dieser war erstaunt, Rachel in der Küche zu hören und wie immer war er verwirrt, dass es in der Wohnung total dunkel war, obwohl er hörte, dass Rachel irgendwelche Arbeiten verrichtete. „Keine Wanderung?“, fragte er irritiert. „Nein“, antwortete Rachel, „wir schreiben heute den Brief an Jojakim.“ Jakob war erfreut über diese Aussage, drückte Rachel an sich und half ihr bei der Küchenarbeit. Rachel bestand darauf, die Kartoffeln selbst zu braten und schlug Jakob vor, sich derweil frisch zu machen. Nach dem Duschen dufteten die Kartoffeln verführerisch und Rachel hatte bereits die Zwiebelringe hinzugefügt. Sie bat Jakob, die Eiermasse in der Pfanne zu verteilen. Als diese gestockt waren, griff Rachel nach ihrem Tortilla-Deckel. Jakob, der dieses Küchengerät nicht kannte, guckte interessiert zu. Auf seine Nachfrage antwortete sie, den Deckel hätten ihr ihre Eltern aus dem Baskenland mitgebracht und er würde das Wenden des Eierkuchens ungemein erleichtern. Wie immer war Jakob überrascht, wie geschickt Rachel am Herd hantierte. Jakob klatschte Beifall, als sie den Kuchen wendete. Als die Tortilla fertig war, halbierte Rachel diese und Jakob verteilte die Hälften auf die Teller. Nach dem Essen lehnte Jakob sich auf seinem Stuhl zurück.
     „Das war aber lecker, Liebste. Das darfst du öfter machen.“
     „Ich freue mich immer, wenn es dir schmeckt, mein Mann.“
     „Am Wochenende koche ich wieder für dich. Wir waren schon lange nicht mehr in Brüggen. Eine schöne Regenbogenforelle oder zwei Saiblinge könnten uns gut schmecken, oder Rachel?“
     „Gerne, mein Liebster.“
     „Hast du eine Vorstellung, was wir Jojakim schreiben?“
     „Ja, und du?“
     „Ehrlich gesagt, nein. Ich kenne doch deinen Bruder nicht einmal. Und was soll ich dazu sagen, wenn uns jemand Hurerei vorwirft? Das ist doch einfach nur absurd.“
     „Aber beleidigt hat er dich und dazu sollte dir doch etwas einfallen.“
     „Wenn er mit dieser Beleidigung meinte, dass ich sehr glücklich in deiner Nähe bin, dann kann ich ihm verzeihen.“
     „Pass auf Jakob. Ich schreibe den Brief, oder lieber, ich diktiere ihn dir. Und du, bitte Jakob, schreibst ein paar eigene Zeilen dazu. Ich bin der Meinung, du solltest den Brief handschriftlich verfassen, dann sieht Jojakim, dass wir uns damit intensiv beschäftigt haben.“
     „Ich habe keine schöne Handschrift.“
     „Darauf kommt es nicht an. Leserlich musst du aber schreiben.“
     „Ich werde mir Mühe geben. Aber den Entwurf diktierst du mir in den Computer.“
     „Ja sicher – nur das Endprodukt bedarf der Handschrift.“
     „Weißt du mein Schatz, es ist immer wieder überraschend, was mich erwartet, wenn ich nach Hause komme.“
     „Ich will ja, dass es dir nicht langweilig wird, sonst verlässt du mich vielleicht oder vergnügst dich auf der Briedestraße.“
     „Briedestraße? Was gibt es da, mein Schatz?“
     „Stell dich nicht dümmer, als du bist! Ich meine den Puff.“
     „Saunaklub, Rachel.“
     „Papperlapapp, Puff! Oder willst du behaupten, die Männer gingen dorthin, um sich einmal gründlich zu waschen? Ich nenne die Dinge beim Namen – Mann geht in den Puff, um sich Befriedigung zu kaufen.“
     „Ich bezahle nicht für das, was ich einfacher bekommen kann.“
     „Und wie?“
     „Oh, ein romantisches Abendessen, nur zum Beispiel.“
     „Mach es, wie du willst, aber lass dich nicht von mir dabei erwischen. Ich bin furchtbar eifersüchtig.“
     „Ich weiß deinen Rat zu schätzen. Ich könnte ja auch ein romantisches Abendessen mit dir gemeint haben.“
     „Wage dich, mit einer anderen Frau zu Abend zu essen, und du wirst deines Lebens nicht mehr froh, Jakob Hausmann.“
     „Ich liebe dich so sehr, Rachel. Ich könnte nichts tun, was dir weh tut.“
     „Wir kommen vom Thema ab. An die Arbeit, Jakob!“
     „Lass uns zuerst spülen. Dann können wir uns besser auf den Brief konzentrieren.“
     „In Ordnung.“

Nach dem Abwasch ging Rachel zum Schreibtisch und Jakob folgte ihr. Er setzte sich vor seinen Laptop, Rachel zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. Als er den Computer hochgefahren hatte, begann Rachel zu diktieren.

Lieber Jojakim,

dein Sinneswandel irritiert uns, trotzdem möchten wir über Deine Zeilen nachdenken. Du hast den Menschen, den ich als meinen Mann erkannt habe, mit einem Wort belegt, das zutiefst verletzend ist. Ich glaube, Jakob ist darüber nicht so betroffen wie ich als Deine Schwester. Wie konntest Du das tun? Ich werde jetzt nicht weiter auf das eingehen, was Du noch alles geschrieben hast. Aber eins sollst Du wissen, ich nehme es Dir besonders übel, dass Du so getan hast, als sei Tikvah Deiner Meinung. Das gehört sich einfach nicht, Jojakim!

Ich habe seit langer Zeit den Eindruck, dass Du der Meinung bist, dass ich mich von Dir entfernt hätte. So ist das aber nicht! Immer und immer wieder versuchst Du mich zu Deiner Auffassung vom Judentum zu bekehren. Was soll ich da anderes tun, als mich von Dir fernzuhalten? Dein Brief ist doch eigentlich nur ein weiterer Bekehrungsversuch – nur leider hast Du Dich dabei auch noch im Ton vergriffen. Wenn Du wirklich eingesehen haben solltest, dass jeder nach seiner Fasson selig werden muss, dann, und nur dann haben wir die Chance uns wieder als Geschwister zu begegnen und zu lieben. Du warst lange Zeit mein großer Bruder. Zu Dir habe ich aufgeschaut und Dich bewundert. Deinen Rat habe ich immer geschätzt und das, bis zu dem Tag, als sich Deine Ratschläge in Bevormundung verwandelt haben. Lebe Dein Leben, aber lass mich einfach nach meiner Fasson leben. Ist das denn so schwer?

Ich bin bereit und ich glaube, es ist auch in Jakobs Sinn, einen Neuanfang mit Dir zu wagen. Ob das gelingt, liegt jetzt in Deiner Hand. Nur eins will ich Dir noch sagen. Tu bitte nie mehr etwas, was meiner freundschaftlichen Beziehungen zu Tikvah Schaden zufügen könnte.

Ich habe jetzt nichts mehr hinzuzufügen. Ich grüße Euch alle von Herzen.
Rachel

„In Ordnung so, Jakob?“
     „Ja! Ich glaube zu mehr an Freundlichkeit, kann und brauche ich dich nicht überreden.“
     „Nein, der Satz ist ehrlich – ich habe nichts mehr hinzuzufügen.“
     „Dann lassen wir es dabei, mein Schatz.“
     „Würdest du bitte noch ein paar eigene Sätze hinzufügen?“
     „Gut, ich formuliere erst einmal für mich und lese dir das Ergebnis vor.“

Jakob wandte sich wieder der Tastatur zu, während es sich Rachel auf der Couch bequem machte. Nach längerem Schreiben und wieder Löschen war Jakob mit dem Ergebnis zufrieden und las Rachel vor.

Liebe Tikvah, lieber Jojakim,

Ihr kennt mich noch nicht persönlich, deshalb will ich mich erst einmal vorstellen. Dass ich Rachels Mann bin, wisst Ihr ja bereits. Ich schreibe absichtlich Mann – statt Freund, da es weder für Rachel noch für mich einer Urkunde bedarf, um sich zu lieben und zu ehren. Rachel hat sich ja mit der bei Eurem Volk gebräuchlichen Formel dafür klar genug ausgedrückt, und darüber bin ich sehr glücklich.

Ich heiße Jakob Hausmann und arbeite bei Wasserentsorgung. Ich will jetzt nicht schreiben, wie Rachel das kommentiert hat, als sie davon erfuhr. Ihre manchmal drastische Sprache kennt Ihr. Rachel hat mein Alter falsch eingeschätzt, das liegt wohl daran, dass ich intensiv jogge. Sie meinte auf einen gleichaltrigen zu treffen, aber ich bin gut ein Jahrzehnt älter als sie. Ich glaube, ich habe fürs Erste genug von mir erzählt. Mehr über mich werdet Ihr erfahren, wenn wir uns persönlich kennenlernen.

Obwohl ihr mich nicht kennt, hat Jojakim uns mitgeteilt, was er von mir denkt. Nun, ich habe einen breiten Rücken, heißt, ich kann das vergessen. Schwieriger sind die Worte, mit denen Jojakim meine Frau bedacht hat. Alles kann ich hinnehmen, aber niemand darf meine Frau beleidigen. Was hast Du getan, Jojakim? Nicht einmal ein Straßenmädchen darf man nach meiner Überzeugung beleidigen und Du beleidigst Deine Schwester und unterstellst ihr, sie würde Hurerei betreiben. Du hast da eine Grenze überschritten, das ist nicht mehr rückgängig zu machen. Ich bin aber der Meinung, wenn Rachel Jojakim vergeben kann, gibt es keinen Grund, dass ich es nicht auch kann.

Liebe Grüße
Jakob

Nachdem Jakob geendet hatte, fragte er Rachel, ob sie einverstanden wäre. Rachel meinte, sie hätte gehofft, Jakob würde Jojakim wüst beschimpfen. Ihr Gesichtsausdruck passte aber nicht zu dieser Aussage. Schließlich sagte sie, Jakobs Aussage zu Mann und Frau fände sie zum Verlieben. Sie stand auf und warf sich an Jakobs Brust. Jakob streichelte Rachel über den Kopf und schrieb noch an diesem Abend die handschriftliche Fassung des Briefes nieder. Als das Schriftstück fertig war, legte Jakob das Blatt vor Rachel hin, drückte ihr den Kugelschreiber in die Hand und führte sie an die Stelle, an der sie unterschreiben sollte. Danach kuvertierte er den Brief und war froh, die Arbeit erledigt zu haben. „Du erwartest jetzt aber nicht, dass ich jetzt noch spazieren gehe“, wandte er sich an Rachel. Diese lachte und erklärte, sie würde ihren Brief an Tikvah am folgenden Tag direkt nach der Arbeit schreiben und bis er von der Arbeit komme, wäre sie lange fertig damit. Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie noch hinzu, sie hätte dann aber leider keine Zeit das Essen zuzubereiten. Jakob nahm Rachel in den Arm, „wir gehen morgen Abend zum Essen aus, mein Schatz.“

Der 14. November war ein Samstag, an dem Rachel und Jakob zuerst ausschliefen und sich im Laufe des Vormittags leidenschaftlich liebten. So erfuhren sie erst am Mittag aus dem Radio von den Anschlägen, die am Vorabend in Paris verübt worden waren. Besonders Rachel zeigte sich erschüttert. Bereits das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar hatte Rachels festen Glauben an das Gute im Menschen stark erschüttert. Sie hatte sich aber schnell an einen Satz aus dem Tagebuch Anne Franks erinnert, an dem sie sich aufrichtete – und dennoch glaube ich, dass der Mensch im tiefsten Innern seines Herzens gut ist. Diesen Satz hatte Rachel sich verinnerlicht, trotz des Wissens um die Opfer ihres Volkes während der Schreckensherrschaft der Nazis. Dieser neue Anschlag mit über hundert Toten erschütterte ihre Überzeugung erneut. Aus ihren toten Augen flossen Tränen, ein Anblick, den Jakob kaum ertragen konnte. Er nahm Rachel in die Arme und versuchte sie zu trösten, aber der Tränenfluss ließ sich kaum stoppen. Er wartete, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte, führte sie zu seinem Sessel und drückte sie hinein. Dann holte er ihr ein Glas Wasser, das Rachel hastig austrank.
     „Ich lasse mir meine Überzeugung nicht von solchen Menschen stehlen. Ich glaube an das Gute im Menschen. Das ist neben dem Glauben an unsere Liebe die einzige Überzeugung, die ich habe.“
     Jakob streichelte Rachel über das Haar. „Dein Glaube an das Gute mag jetzt erschüttert sein, aber am Ende wirst du Recht behalten. So sehr mich die Opfer schmerzen, wir müssen fest in unseren Überzeugungen bleiben, sonst haben die Feinde des friedlichen Zusammenlebens und der Freiheit schon heute gewonnen. Sie werden nicht durchkommen.“
     „Danke Jakob. Es geht mir schon wieder besser. Ich wasche mir schnell das Gesicht, dann fahren wir zum Einkauf.“

Obwohl Rachel sich Mühe gab, konnte sie ihre Betroffenheit vor Jakob nicht ganz verbergen. Dieser gab sich seinerseits Mühe, besonders liebevoll mit ihr umzugehen. Nach dem Einkauf schlug Jakob vor, wandern zu gehen. Rachel schüttelte den Kopf, sie wollte joggen, da sie hoffte, durch körperliche Anstrengung ihren Kopf freizubekommen. Während des Laufens bat Rachel Jakob mehrfach, das Tempo zu erhöhen, sodass sie bereits am Dreiecksweiher außer Atem war. Jakob war es ganz Recht, dass Rachel sich verausgabt hatte. Er hatte sich gewünscht, mit Rachel Hand in Hand durch den Wald zu gehen, was sie jetzt auch taten. Da Jakob einen langsamen Schritt vorlegte, lehnte sich Rachel ab und zu an Jakobs Arm. Einige Male blieb Jakob stehen, nahm Rachel in den Arm und küsste sie auf die Stirn. Ziemlich am Ende der Wanderung hatte Rachel sich endgültig gefangen. Jakob erhielt einen Knuff in die Seite. Warte, wenn wir nach Hause kommen, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Nach dem ersten Adventssonntag erhielt Jakob die Nachricht, dass der Kleiderschrank geliefert werden könne. Am Abend besprachen Jakob und Rachel, was mit den alten Kleiderschränken geschehen solle. Jakob war der Meinung sein Schrank sei reif für den Sperrmüll, denn er hätte schon große Schwierigkeiten gehabt diesen nach seinem Umzug wieder zusammenzusetzen. Rachel meinte, dann könne doch ihr Kleiderschrank gleich mit zum Sperrmüll. Aber Jakob widersprach und erklärte, es widerstrebe ihm, einen gut erhaltenen und fast neuwertigen Schrank zum Sperrmüll zu geben.
     „Wir bauen ihn trotzdem ab, denn der Platz wird für den neuen Schrank gebraucht“, entschied Rachel.
     „Und dann?“
     „Wir hören uns um, wer einen Schrank gebrauchen kann. Solange lagern wir ihn im Keller.“
     „Das wird eng, denn mein Schrank muss auch dort gelagert werden, bis wir einen Sperrmülltermin haben. Du wirst dich während dieser Zeit nicht mehr im Keller zurechtfinden.“
     „Ich habe ja immer noch dich, wenn ich etwas aus dem Keller benötige. Für den Übergang wird das schon gehen. Und wenn ich am Wochenende die Hassels im Wald treffe, frage ich sie, ob sie eine Verwendung für den Schrank hätten. In Ordnung, Jakob?“
     „Ich glaube, so alte Leute haben genug eigene Möbel, Schatz.“
     „Pah, die beiden sind in der Flüchtlingsbetreuung aktiv. Daran habe ich gedacht.“
     „Nun, dann ist das eine gute Idee. Wir versuchen, die Leute zu erreichen. Wenn ich noch heute zurückrufe, wird der Schrank am Freitag geliefert. Ist dir das recht? Ich könnte mir Freitag freinehmen.“
     „Oh ja, das wäre gut. Wir müssen aber noch die Schränke leerräumen und dann abbauen. Schaffen wir das?“
     „Ich glaube, das schaffen wir leicht, Rachel. Morgen kaufe ich im Baumarkt einige Umzugskartons, dann räumen wir zuerst meinen Schrank aus und bauen ihn ab. Übermorgen machen wir das Gleiche mit deinem Schrank.“
     „Gut Liebster und jetzt habe ich Hunger, oder willst du mich verhungern lassen?“
     „Auf gar keinen Fall. Ich mag Mädchen mit gutem Appetit. Aus welchem Film kommt das denn?“
     „Aus Vom Winde verweht, das solltest du wissen. Aber ich bin kein Mädchen, ich bin eine Frau. Wenn ich ein Mädchen wäre, dürftest du nicht mit mir bumsen.“

Rachel fand, dass genug geredet war und ging in die Küche. Jakob machte sich etwas frisch und folgte in die Küche, wo er sich im Dunkeln wiederfand. „Ich gebe mir ja Mühe, daran zu denken, dass ich das Licht anmachen muss, wenn du zu Hause bist, aber ich vergesse es immer wieder“, bemerkte Rachel, während sie das Essen umrührte, ohne sich umzuschauen. Jakob betätigte den Lichtschalter, stellte sich hinter Rachel und küsste sie auf ihren schön geschwungenen Nacken.

Tags darauf brachte Jakob einen Stapel Umzugskartons mit. Beide machten sich nach dem Abendessen daran, Jakobs Kleiderschrank zu leeren. Jakob räumte die Fächer aus und Rachel verstaute die Sachen in den Kartons. Danach holte Jakob Werkzeug aus dem Auto und gemeinsam nahmen sie den Schrank auseinander. Wieder war Jakob erstaunt, wie geschickt Rachel sich dabei anstellte. Wenn er sie so arbeiten sah, fiel ihm gar nicht auf, dass sie blind war. Nachdem Jakob alle Teile des Schranks in den Keller gebracht hatte, fand er Rachel bereits bequem auf der Couch sitzend vor. Vor ihr standen zwei gefüllte Gläser Wein. Arc de Triomphe lag aufgeschlagen vor ihr. Er setzte sich zu ihr auf die Couch, ohne eine Bemerkung zu dem, was er auf dem Wohnzimmertisch vorfand, zu machen. Sie schaltete den Fernseher ein und gemeinsam schauten sie die Nachrichten. An Jakobs Schulter gelehnt, hörte Rachel interessiert zu und richtete ab und zu eine Frage an Jakob, die das Geschehen am Bildschirm betraf. Nach dem Wetterbericht schaltete Rachel den Fernsehapparat aus. Jakob war verwundert darüber, denn es folgte ein Krimi und solche Filme sah Rachel gerne.
     „Was ist los, Rachel, kein Tatort heute?“
     „Wir haben etwas zu feiern, mein Mann.“
     „Davon ist mir nichts bekannt, Frau Cohen“, frotzelte Jakob.
     Jakob erhielt einen Knuff. „Oh doch. Wir haben schon so viel gemeinsam gemacht, aber heute haben wir gemeinsam richtig gearbeitet. Handwerken ist mir nur mit einem Sehenden an meiner Seite möglich und das feiern wir jetzt.“
     „Ein wenig verrückt bist du schon?“
     „Ach, Jakob. Würdest du mich sonst lieben?“
     „Bleib, wie du bist. Ob verrückt oder nicht. Auf jeden Fall machst du oft Sachen, die mich verwirren oder die ich dir gar nicht erst zugetraut hätte. Du bist eben ein Dotz!“
     „Jakob! Du machst den gleichen Fehler, den die meisten Sehenden machen. Du meinst, Blinde müssten betreut werden, sie seien behindert. Dabei braucht es nur ein bisschen Hilfestellung bei den Sachen, die man nur mit den Augen erledigen kann. Wir Blinden haben unsere verbliebenen Sinne besser geschult als Sehende. Wir tasten, riechen, hören und schmecken intensiver. Mit leichter Hilfestellung von dir kann ich mir ein genaues Bild machen von dem, was auf dem Fernseher abläuft. Wenn wir mit dem Auto unterwegs sind, kann ich mir anhand deiner Beschreibungen ein plastisches Bild von den Landschaften machen. Du hast doch schon gemerkt, dass ich auf Strecken, auf denen ich schon einmal gefahren bin, durchaus das Navi ersetzen kann. Und wer will meine Arbeit im Amt besser erledigen, als ein Blinder? Was ich traurig finde ist, dass ich nicht einfach in die Bücherei oder den Buchhandel gehen kann, um mir ein Buch zu besorgen. Hörbücher sind für mein Gefühl nur ein unzureichender Ersatz. Wenn ich dich nicht hätte, wäre ich in dieser Hinsicht ein armes Schwein. Und selbst wenn ich meine Lieblingsbücher in Brailleschrift erhalten könnte, bräuchten wir eine größere Wohnung. Ich glaube, du kannst dir nicht vorstellen, wie groß und unhandlich diese Bücher sind. Deshalb liegt das Buch auf dem Tisch. Ich bin blind und brauche einen Vorleser. Auch ohne Augenlicht kann ich mein Leben allein und selbstständig gestalten… Ich brauche dich und deine Nähe, weil ich dich liebe und auch, weil mein Leben viel angenehmer ist, wenn ich einen Vorleser habe.“
     „Das einfachste ist natürlich, wenn du mich bremst, wenn ich zu viel des Guten tue.“
     „Ich bin der Meinung, das tue ich! Oder?“
     „Oh ja, du kannst ganz schön heftig sein, Rachel. Aber wenn das jetzt geklärt ist, dann widmen wir uns einfach den schönen Dingen.“
     „Ich bin zu allem bereit.“

Ohne weitere Zeit zu verlieren, reichte Rachel Jakob eins der Gläser. Beide tranken vom Wein, woraufhin Rachel zum Buch griff und es Jakob zum Vorlesen in die Hand drückte. Ab und zu tranken sie beide vom Wein. Als die Gläser leer waren, ging Rachel zum Kühlschrank und füllte noch einmal auf. Jakob las weiter vor und je später der Abend wurde, umso mehr kuschelte sich Rachel an Jakob. Nach einer Weile legte Jakob das Buch auf den Tisch und zeichnete mit einem Finger die Konturen von Rachels Gesicht nach, danach führte er eine Hand zu Rachels Nacken und zeichnete dort den Haaransatz nach. Sie drückte sich so fest sie konnte an ihn. Nachdem sie bemerkt hatte, wie die Lust bei ihr stieg, fragte sie leichthin, ob Jakob sich im Sehen übe. Er reagierte auf diesen Einwurf damit, dass er Rachels Bluse aufknöpfte und mit dem Finger die Form der Brüste begutachtete. Rachel, davon angemacht, öffnete ihre Hose und führte Jakobs Hände zwischen ihre Schenkel. Als er mit zwei Fingern leicht Rachels Klitoris fasste, entrang sich ihrer Kehle ein leichtes Stöhnen. Selbst schon hochgradig erregt, kniete sich Jakob vor Rachel auf den Boden und zog ihr Hose und Slip aus. Rachel nutze diesen Moment und entwischte ihm ins Schlafzimmer. Sich bereits auf dem Weg dorthin entkleidend, folgte Jakob Rachel umgehend. In der Eile vergaß Jakob die Nachttischlampe einzuschalten und so führten beide das aus, was Rachel sehen nannte. Als ihre Lust befriedigt war, lagen beide noch lange beieinander. Irgendwann gähnte Rachel. Jakob beugte sich über sie, gab ihr einen Wangenkuss und flüsterte – einen schönen Begriff hat dein Volk für das gefunden, was wir hier tun. Rachel streichelte ihn und schlief dann, wie eigentlich jeden Abend, umgehend ein. Jakob lag noch einige Zeit ruhig neben ihr. Erst wollte er das Licht einschalten und noch etwas lesen. Dann aber besann er sich anders und lauschte Rachels ruhigem Atem.

Als Rachel am Freitag von der Arbeit kam, fand sie Jakob beim Gemüseputzen in der Küche. Er legte sofort alles beiseite, umarmte Rachel und führte sie ins Schlafzimmer. Vor dem neuen Kleiderschrank blieben sie stehen und Jakob legte Rachels Hände an den Schrank. Diese begann sofort damit den Schrank eingehend zu begutachten, schob die Schwebetüren auf und zu, begutachtete die Wäschefächer, die Kleiderstangen und zuletzt die drei Schubladen unterhalb der Wäschefächer. Dann nickte sie.
     „Ich glaube, da haben wir gut gewählt. Ich rufe gleich bei Ilse und Heinz an und bedanke mich.“
     „Langsam, junge Frau. Erst klären wir, wer von uns welche Schrankseite bekommt und wer welche Wäschefächer belegt. Und was wir in die Schubfächer packen. Wenn das geklärt ist, wird gekocht und danach räumen wir den Schrank ein.“
     „Du bist richtig kompliziert, Jakob. Ich kann doch eben bei deinen Eltern anrufen.“
     „Nee, lass das. Die kommen bestimmt gleich vorbei, wenn sie hören, dass der Schrank da ist.“
     „Gut, gut, ich bin überzeugt. Überlässt du mir die Schrankseite, die näher zur Tür liegt? Das wäre für mich einfacher und auch die unteren Wäschefächer?“
     „Ja sicher, Liebste.“
     „Gut, alles geklärt. Dann klär mich jetzt auf, was du kochst.“
     „Es gibt Rosenkohl, Salzkartoffeln und Panhas.“
     „Panhas? Was ist das, Jakob?“
     „Ach, ich vergaß, dass es so etwas bei dir zu Hause nicht gibt. Panhas ist eine Art Wurst. Die Hauptbestandsteile sind Speck, Buchweizenmehl, Blut und Knochenbrühe.“
     „Das klingt absolut nicht koscher. Macht nichts, weder die Eltern noch Jojakim werden es je erfahren. Es sei denn, du petzt.“
     „Du traust mir wohl alles zu, Rachel.“
     „Nein, tu ich nicht, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.“
     „Wenn ich dich kriege, lege ich dich übers Knie.“
     „Gewalt gegen Frauen ist verpönt, mein Herr.“
     „Was heißt hier Gewalt. Ich richte mich nach der Bibel.“
     „Oh, Jakob der Bibelfeste ist mein Partner?“

Jakob griff sich Rachel, zog sie an sich und küsste sie, dann nahm er sie trotz ihrer Gegenwehr auf die Arme und trug sie in die Küche. Dort setzte Jakob Rachel auf den Tisch und küsste sie nochmals. „Wer hat dir das erlaubt, du Wüstling?“ Jakob lachte. „Dazu brauche ich keine Erlaubnis. Ich darf das.“ „Ja, mein Mann, du darfst das und jetzt kümmern wir uns ums Essen. Was kann ich tun?“ Jakob erklärte, er wäre mit dem Gemüseputzen fast fertig, sie könne derweil Kartoffeln schälen und kochen. Beide machten sich sofort an die Arbeit und standen dabei nebeneinander an der Arbeitsplatte. Rachel knuffte Jakob mit dem Ellenbogen und meinte, ob er denn wirklich Freude daran finden könne, sie zu verhauen. „Mein Gott Rachel, was hast du denn für verrückte Ideen, Liebe und Gewalt passen nicht zusammen“, antwortete Jakob, konnte sich aber das Lachen dabei nicht verkneifen. Er wechselte mit dem Rosenkohl zum Herd, um diesen zu dünsten, wobei er Rachel einen Klaps auf den Po versetzte. Rachel drehte sich zu ihm um und trat Jakob in sein Hinterteil. Sie sei für eine Blinde ganz schön zielsicher und wäre sicher gut im Elfmeterschießen, bemerkte Jakob dazu. Dann hatte Rachel die Kartoffeln geschält und stellte den Topf auf die Herdplatte. Als Gemüse und Kartoffeln fast fertig waren, heizte Jakob die Pfanne an und gab den Panhas hinein. Beim Essen kommentierte Rachel den Geschmack des Panhas mit den Worten „ungewöhnlich, aber sehr lecker“. Jakob gab Rachel einen kleinen Klecks Senf auf den Panhas, wieder probierte sie und war davon angetan. Nach dem Abwasch stellte Jakob die Umzugskartons am Kleiderschrank auf und sie fingen gemeinsam an den Schrank zu füllen. „Nun geh schon telefonieren, sonst gibst du eh keine Ruhe“, meinte Jakob, nachdem sie Rachels Kleidung und Wäsche eingeräumt hatten. Jakob räumte weiter ein, während er hörte, dass Rachel mit seinen Eltern telefonierte. Zum Ende des Gesprächs bekam er mit, dass Rachel sagte, sie freue sich über ihren Besuch. Als Rachel wieder ins Schlafzimmer kam, half sie ihm weiter beim Einräumen, ohne ein Wort über den Inhalt des Telefonats zu verlieren. Als sie fertig waren, nahmen sie sich in die Arme. Jakob betrachtete zufrieden ihr Werk, während Rachel mit ihren Händen ausführlich den Inhalt des Schranks begutachtete.
     „Nun, habe ich recht gehabt, meine Eltern kommen noch heute vorbei?“
     „Du hattest recht!“
     „Traurig?“
     „Nein. Sie wären doch sowieso gucken gekommen. Und da kann ich mich direkt bedanken.“
     „Sei vorsichtig, Heinz reagiert bei Dank oft komisch.“
     „Wir werden sehen, Jakob.“
     „Haben wir genügend Bier im Kühlschrank? So zwei Flaschen wird Heinz schon schaffen. Und da er ungern allein trinkt, trinke ich auch Bier.“
     „Ich habe vorgesorgt. Ilse wird wohl Kaffee trinken, mein Mann.“
     „Wahrscheinlich. Wein haben wir sowieso kühl stehen. Mein Mann scheint wohl deine Lieblingsredewendung zu werden.“
     „Kann sein, mein Mann! Aber weißt du, dass das angeblich die einzigen deutschen Worte waren, die Heinrich Heines Frau Mathilde beherrschte?“
     „Du erwartest aber nicht, dass ich mich durch deine Redewendung in ein Genie wie Heine verwandele?“
     „Blödmann oder Quatschkopp, das kannst du dir jetzt aussuchen, Liebster. Immerhin, du hast das Glück, dass deine Frau mehrere Worte Deutsch spricht.“
     „Bei Blödmann und Quatschkopp höre ich auf jeden Fall keinerlei Akzent heraus.“ Die Antwort war wiederum ein Knuff.

Kaum hatten beide ihren liebevollen Disput beendet, als es schon klingelte. Rachel betätigte den Summer und erwartete Jakobs Eltern auf dem Treppenabsatz. Heinz erkannte, während er hinter Ilse die Treppe hochstieg, dass sein Sohn erfolgreich um eine Frau geworben hatte, deren natürliche Schönheit nur von der Warmherzigkeit übertroffen wurde, die sie ausstrahlte. Rachel begrüßte Ilse mit einem Kuss und drückte dann Heinz einen Kuss auf die Wange. Jakob, der in diesem Moment unter der Tür erschien, kommentierte den Kuss mit der Bemerkung, Rachel habe sich beim Küssen im Mann geirrt. „Warte, wenn wir allein sind“, antwortete Rachel mit gespielter Entrüstung. Dann führte sie Ilse und Heinz ins Schlafzimmer. Voller Stolz zeigte sie die Neuerwerbung, öffnete den Schrank, damit er auch von innen begutachtet werden konnte. Zum Dank küsste sie Ilse und Heinz noch einmal, merkte aber, dass es Heinz schon reichte mit dem Dank und ließ es genug sein. Nach der Besichtigung setzten sich die beiden Männer ins Wohnzimmer und Rachel brachte zwei Gläser und zwei Flaschen Bier. Danach gingen Ilse und Rachel in die Küche, wo Rachel die Kaffeemaschine in Gang setzte. Die beiden Frauen, genau wie die zwei Männer, quatschten sich an diesem Abend fest. So war es schon fast Mitternacht, als Ilse und Heinz sich verabschiedeten. Rachel brachte beide nach unten, da sie vermutete, dass die Haustür abgeschlossen sei. An der Haustür umarmte Heinz Rachel spontan und drückte sie an sich. „Mädchen, du bist ein echter Gewinn für uns.“ „Andersherum, Heinz, wird ein Schuh daraus. Ich bin so froh, euch zu haben.“ Als Ilse und Heinz auf die Straße kamen, sahen sie Ihren Sohn auf dem Balkon stehen und winken.

„Da haben sich zwei gesucht und gefunden“, bemerkte Heinz, während er Ilse bei der Hand nahm.
     „Und ob, Heinz. Die passen gut zueinander. Da kannst du Gift drauf nehmen.“
     „Ich hoffe nur, dass diese Beziehung wirklich von Dauer ist. Nicht, dass unser Sohn wieder Sehnsucht auf seine Liebschaften bekommt.“
     „Ich glaube, das passiert nicht. Rachel ist eine ernsthafte junge Frau, sie weiß, was sie will und sie weiß, wie man einen Mann an sich fesselt.“
     „Dein Wort in Gottes Ohr, Ilse.“
     „Sei nicht so pessimistisch. Rachel hat mir in der Küche viel über ihre Lebensphilosophie erzählt. Bei aller Zuneigung zu Jakob ist sie der Meinung, dass eine Beziehung wie die ihre einer soliden Grundlage bedürfe. Deshalb achte sie genauestens auf die gemeinsamen Finanzen, denn ohne Geldsorgen hätten sie gegenüber Paaren mit einer prekären Finanzlage schon mal einen Streitpunkt weniger. Ob so eine Beziehung ein Leben lang hält, das kann niemand voraussagen. Aber du siehst doch, wie die beiden miteinander umgehen. Da ist mehr zwischen den Beiden, als nur Lust. Ob eine Beziehung von Dauer ist, das entscheidet sich dann, wenn die Begierde nachlässt.“ Heinz blieb unvermittelt stehen, zog Ilse an sich und küsste sie auf den Mund. Ilse meinte dazu, er sei ein alter Trottel, erwiderte aber seinen Kuss.

Am Samstag passte das Wetter nicht zur Jahreszeit. Ein fast wolkenloser Himmel spannte sich über Haselholt und als Rachel und Jakob mit dem Frühstück fertig waren, machten sie sich auf in den Wald. Rachel verspürte an diesem Tag keine Lust auf Joggen und wollte lieber wandern, bestand aber darauf, dass Jakob joggte. Mit raschen Schritten ging Rachel, während sie hörend darauf achtete, ob sie auf die beiden Hassels träfe. Vor allen Dingen wollte sie früh genug hören, wenn sich Jakob näherte. Je länger Rachel ging, umso mehr stieg eine Zufriedenheit in ihr auf, die sie so noch nicht kannte. Sie hatte zwar eine realistische Einstellung zu ihrer Beziehung mit Jakob, an diesem schönen Herbsttag aber hatte sie das Gefühl, dass ihr Leben durch Jakob erstmals in geordnete Bahnen gekommen war. Die Regelmäßigkeit, mit der Jakob morgens ging und abends nach Hause kam, war wohl das, was ihr an fester Struktur in ihrem Leben gefehlt hatte. Sie sah sich immer noch nackt im Türrahmen stehen, als Jakob nach ihrer ersten Nacht das Haus verließ. Damals hatte sie befürchtet, es wäre ein Fehler gewesen, mit einem fast Fremden zu schlafen. Heute hoffte sie, dass sie sich nie wieder darüber Gedanken machen müsste. Ihre Gefühle für Jakob waren zwar immer noch von leidenschaftlichem Verlangen geprägt, inzwischen hatte sich aber bei Rachel ein Gefühl eingeschlichen, das nichts mit reiner Lust zu tun hatte – Rachel hielt es für Liebe. Zweimal kreuzten sich ihre Wege. Beide Male wechselten sie ein paar Worte. Beim zweiten Mal klangen ihre Worte sehr verliebt, aber Rachel hatte Jakob trotzdem weiter geschickt. „Keinen schlaffen Mann“, gab Rachel ihm mit auf den Weg. Kurz darauf traf Rachel auf die Hassels. Nach einer freundlichen Begrüßung kam Rachel direkt zur Sache.
     „Ich habe noch einen sehr gut erhaltenen Kleiderschrank, könnten sie den für die Flüchtlinge brauchen?“
     „Wir kennen eine syrische Familie, die bezieht gerade eine Wohnung. Wie groß ist der Schrank denn?“
     „Es ist ein dreitüriger Schrank. Meinen sie, dass es für Syrer nicht schwierig ist, den Schrank einer jüdischen Frau anzunehmen?“
     „Das ist kein Problem, glauben wir. Die Leute gehören zur Minderheit der Jesiden und selbst wenn sie Moslems wären, dann müssten sie es eben lernen. Und der Schrank ist wirklich gut erhalten?“
     „Wirklich, ich habe ihn erst vor zwei Jahren gekauft. Aber jetzt wurde er zu klein, schließlich sind wir jetzt zu zweit. Wir haben ihn in dieser Woche abgebaut.“
     „Kann denn ihr Freund beim Aufbau helfen? Fremde Schränke zusammenzusetzen, ist nicht immer einfach.“
     Rachel holte tief Luft, noch nie hatte sie gegenüber Fremden von ihrem Mann gesprochen. „Das dürfte kein Problem sein. Mein Mann und ich haben den Schrank gemeinsam abgebaut. Wir bauen ihn auch wieder auf. Nur den Transport können wir nicht durchführen. Unser Auto ist dazu zu klein.“
     „Das klingt alles sehr gut. Ich organisiere den Transport. Wenn das geschehen ist, geben wir ihnen Bescheid.“
     „Ja, tun sie das. Ich gebe ihnen meine Telefonnummer, wenn sie etwas zu schreiben dabei haben.“
     Frau Hassels kramte in ihren Taschen, fand schließlich einen Bleistiftstummel und ein Stück Papier. „Ich habe etwas zum Schreiben gefunden. Sagen sie mir bitte ihre Nummer.“
     „74 88 340. Ist eine Geheimnummer, bitte nicht weiter geben.“
     „Danke, Frau Cohen. Sie können sicher sein, dass wir die Telefonnummer nicht weitergeben.“
     „Dann bis bald.“
     „Auf Wiedersehen, Frau Cohen.“

Beim Weitergehen war Rachel tief zufrieden mit sich, denn sie hatte erstmals Jakob öffentlich mit Mein Mann betitelt. Als Jakob das nächste Mal auftauchte, ließ Rachel ihn nicht mehr fort. Sie erzählte ihm von ihrem Gespräch und davon, dass sie ihr Verhältnis zu ihm öffentlich gemacht hatte. Jakob drückte Rachel an sich. Dabei bemerkte Rachel, dass Jakob stark verschwitzt war. „Lauf nach Hause, Liebster. So verschwitzt, wie du bist, frierst du bei meinem Wanderschritt.“ Jakob protestierte, aber Rachel blieb hart und da Jakob wusste, dass sie recht hatte, trabte er wieder los. Als Jakob zu Hause ankam, klingelte das Telefon. Als er abhob, meldete sich Hannah.
     „Schalom Jakob, kann ich Rachel sprechen?“
     „Schalom Hannah, nein, Rachel ist noch nicht von ihrer Wanderung zurück. Ich sage ihr Bescheid, sie ruft dann zurück.“
     „Das kann sie gerne, aber was ich zu sagen habe, interessiert dich sicher auch. Rivka hat heute ein gesundes Mädchen bekommen.“
     „Das ist eine gute Nachricht, Hannah. Ich gratuliere euch zu eurer neuen Enkelin. Rachel wird das freuen. Sie ruft gleich zurück.“
     „Jakob, du bist ein guter Mann. Rachel hat eine gute Wahl getroffen.“
     „Nicht doch Hannah. Rachel ist ein Geschenk für mich. Du brauchst ihr das ja nicht zu sagen.“
     „Dein Geheimnis bleibt in meinem Herzen.“
     „Gut, gut. Mir ist es ernst mit Rachel, da kannst du sicher sein. Sehr ernst!“
     „Ich weiß, Jakob. Dann bis nachher.“
     „Bis gleich.“

Als Rachel heim kam, teilte Jakob ihr umgehend mit, dass sie erneut Tante geworden wäre. Rachel war sichtlich erfreut, aber nicht besonders davon angetan, Hannah anzurufen. Jakob redete ihr gut zu und als er das Argument ausspielte, danach hätten sie den ganzen Tag Zeit für sich, willigte Rachel ein. Einmal am Telefon sprach sie lange und ausführlich mit ihrer Mutter. Nach einiger Zeit unterbrach sie das Gespräch, um Jakob zu fragen, ob sie am morgigen Sonntag Rivka besuchen könnten. „Ja sicher“, kam es umgehend von Jakob zurück. Mutter und Tochter sprachen noch über dies und jenes, bevor Rachel auflegte. In der Küche hatte Jakob Wasser für Rachel bereitgestellt, das diese hastig austrank. „Komm, wir ziehen uns aus Rachel.“ Rachel nickte und als sie sich beide entkleidet hatten, zog Jakob, damit überhaupt kein Zweifel aufkommen konnte, Rachel an der Hand bis unter die Dusche. Sobald das warme Wasser auf beide niederprasselte, fing Rachel damit an, Jakob zu sehen. Halbherzig versuchte Jakob, sich dem Sehen zu entziehen. Wenn beide vom Sehen sprachen, hatten sie für sich schon lange das Wort Kitzeln als Umschreibung für das entdeckt, was im Allgemeinen auf das Sehen folgte. Im Normalfall reagiert Jakob auf Sehen kitzlig und so passte für das Weitergehende der Begriff Kitzeln ausgezeichnet. Während Rachel mit ihren Fingern die Region um Jakobs Brustwarzen erforschte, stellte Jakob das Wasser ab und shampoonierte Rachels Haare. Diese genoss das Shampoonieren und beendete ihr Sehen, um sich ganz auf Jakobs Hände zu konzentrieren, die ihre Kopfhaut sanft massierten. Jakob beendete die Massage, Rachel schüttete sich einen Klecks Shampoo auf die Handfläche und tastete mit der anderen Hand nach Jakobs Haaren. Um es ihr leichter zu machen, ergriff Jakob Rachels Hand mit dem Shampoo und führte diese zu seinen Haaren. Er beugte leicht den Kopf und Rachel shampoonierte mit kreisenden Bewegungen ihrer Hände Jakob Kopf. Sie fand, dass Jakobs Kopf eigentlich nur spärlich mit Haaren bedeckt war, dass er dafür aber umso intensiver auf ihre massierenden Hände reagierte. Nach einiger Zeit stellte er das Wasser wieder an und sie spülten sich gegenseitig den Schaum aus den Haaren. Als er erneut das Wasser abstellte, shampoonierten sie sich zum zweiten Mal gegenseitig ein. Danach verteilten sie gegenseitig Duschgel auf den Körpern, was ihre Lust aufeinander steigerte. Als sie geduscht hatten und beide sich abtrockneten, war die Lust bei beiden bereits so stark, dass sie es kaum noch bis aufs Bett schafften. Einmal auf dem Bett liegend, kamen beide sofort zur Sache, da sie das Vorspiel bereits erledigt hatten. Nach einer ersten leidenschaftlichen Vereinigung lagen sie zunächst erschöpft nebeneinander. Liebevoll legte Jakob die Bettdecke über Rachel, diese zog ihn sofort zu sich unter die Decke und kuschelte sich bei ihm an. Nach einiger Zeit legte sich Rachel auf Jakob. Er wusste, dass sie es liebte, wenn er dann ihre Pobacken leicht massierte. Als dabei Rachels Lust erneut erwachte, spürte sie, dass Jakob noch nicht so weit war. Sie wendete all ihre Künste an, um seine Lust zu steigern. Als ihre Bemühungen Erfolg zeigten, ließ sie sich zurück auf die Matratze gleiten. Jakob hockte sich auf sie und stützte sich, während er in Rachel eindrang, auf ihre festen Brüste.

Als Rachel am Sonntag erwachte, war Jakob bereits in der Küche und hatte Kaffee angesetzt. Als er fertig war, kam er, immer noch unbekleidet, mit einer heißen Tasse an Rachels Bett. Er stellte die Tasse auf den Nachttisch und setzte sich neben Rachel auf die Bettkante. Sofort rutschte Rachel an ihn heran. „Hast du deine Tasse auch mitgebracht?“ „Nein, ich trinke meinen Kaffee beim Rasieren.“ „Ach Schatz, warum diese Hektik?“ „Gut, schon überredet.“ Rachel trank ihren Kaffee in einem Zug. Als sie fertig getrunken hatte, setzte sie sich auf und führte einen ihrer Finger auf- und abwärts entlang Jakobs Wirbelsäule. Um sein Verlangen weiter zu wecken, führte sie ihren Finger zum oberen Ende von Jakobs Pobacken. Jakob trank zwar in aller Ruhe seinen Kaffee aus, merkte aber, wie das Verlangen in ihm stieg. Als er seine geleerte Kaffeetasse auf dem Nachtisch abstellte, war Rachels Verlangen so groß, dass sie aus dem Bett stieg, sich vor Jakob hinhockte, zuerst seine Hoden mit ihrer Zunge erforschte und dann, als sie die ersten Reaktionen bei Jakob bemerkte, seinen Penis mit ihren Lippen umschloss. Jakob ließ sich lustvoll stöhnend auf das Bett sinken. Sowie sie einige Lusttropfen auf ihrer Zunge spürte, ließ sie von ihrer Tätigkeit ab, hockt sich auf ihren Partner, und als sie seinen Penis eingeführt hatte, legte er seine Hände auf Rachels Hüften und genoss das Auf und Ab ihres Schoßes. Als Rachel erschöpft neben Jakob lag, fragte Jakob, ob sie denn gar keine Lust auf Frühstück verspüre. Als Rachel antwortete, sie hätte großen Hunger, stand Jakob auf und ging ins Bad. Nachdem er sich rasiert hatte, ging er in die Küche und bereitete das Frühstück. Rachel machte sich derweil im Bad zurecht. Als beide beim Frühstück saßen, schaute Jakob Rachel verliebt an. Er war zwar inzwischen erfahren genug, um zu wissen, dass das im Umgang mit einer blinden Frau nichts brachte, aber immer wieder bemerkte er, dass Rachel ein Gespür für seine Gefühlslage hatte. So war es auch heute.
     „Jakob, was guckst du mich so an? Ist was?“
     „Dass ich dich angucke, ist eine Mutmaßung, meine Süße.“
     „Pah, ich merke das. So wie du guckst, das geht mir durch und durch.“
     „Ich gucke besonders verliebt, Rachel.“
     „Das will ich dir auch geraten haben. Ich bin keine Frau, mit der man einfach so schläft.“
     „Du bist schon eine Motte, mein Schatz. Machst mich an, nur weil ich dir eine Tasse Kaffee gebracht habe, und jetzt verlangst du, dass ich verliebt sein soll.“
     „Erst nennst du mich einen Dotz, jetzt eine Motte. Du bist also nicht verliebt?“
     „Doch Rachel, ich bin sehr verliebt in dich. Mehr noch, ich liebe dich sehr.“
     „Liebster, du kennst mich doch. Meine Liebe zu dir ist grenzenlos.“
     Jakob ergriff Rachels Hand, „ich weiß, Liebste.“
     „Sei dir nicht so sicher. Aber kommen wir zum praktischen Teil des Tages. Ich möchte wandern und dann Rivka besuchen.“
     „Apropos Rivka, könntest du dir vorstellen, dass wir Kinder bekommen?“
     „Ja doch, Jakob. Aber ich brauche noch ein wenig Zeit, bitte.“
     „Nimm dir Zeit, Rachel. Aber ich möchte nicht erst in einem Alter Vater werden, in dem ich als Opa meiner Kinder durchgehen könnte.“
     „Davon bist du noch weit entfernt, aber ich verstehe deine Bedenken. Ich sagte ja ein wenig Zeit. Und deine Kinder werden Juden sein, vergiss das nicht.“
     „Nein, das werde ich nicht vergessen. Ich schlafe ja mit einer Tochter Israels.“

Als Rachel und Jakob zu Rivka in die Klinik kamen, saß diese im Bett und stillte gerade ihre kleine Tochter. Jakob, der noch nie ein so kleines Kind gesehen hatte, war sprachlos vor Erstaunen darüber, dass ein neugeborener Mensch so klein und zerbrechlich wirkte. Rachel hatte ihre Schwägerin längst begrüßt, als Jakob sich von seinem Erstaunen endlich erholt hatte. Wie immer, wenn Rachel Jakob frotzeln wollte, knuffte sie ihn in die Seite. „Bist du eingeschlafen, oder hat es dir die Sprache verschlagen?“ „Es hat mir die Sprache verschlagen.“ „Du solltest trotzdem deine Schwägerin und unsere Nichte begrüßen.“ „Sie ist so klein…“ „Der Herr kann sprechen, bravo! Neugeborene sind nun einmal klein.“ „Ist ja gut, alte Meckertante.“ Jakob beugte sich zu Rivka und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Kurz darauf kam Jaakov ins Zimmer und Rachel umarmte ihren Bruder. Es entspann sich ein angeregtes Gespräch zwischen Jaakov, Rachel und Rivka. Jakob hörte zwar aufmerksam zu, konnte aber seine Blicke nicht von dem kleinen Geschöpf abwenden, das Rivka inzwischen in ihr Bettchen gelegt hatte.

„Mein Mann ist heute sehr schweigsam“, hörte er Rachel sagen.
     „Ich glaube, Jakob ist in unsere jüngste Tochter verschossen“, antwortete ihre Schwägerin.
     „Und habt ihr schon einen Namen für die Kleine?“
     „Oh ja, Rachel. Wenn ihr nichts dagegen habt, möchten wir sie gerne Rachel nennen.“
     „Ja, das möchten wir gerne“, fügte Jaakov Rivkas Worten hinzu.
     „Mensch, was seit ihr denn so zögerlich. Rachel hat sicher nichts dagegen, dass ihre Nichte ihren Namen trägt und ich habe in diesem Punkt kein Mitspracherecht.“
     „Ich bitte dich, Jakob. Rachel sagt, du wärst ihr Mann, also bist du unser Schwager und da kann dir das doch nicht gleichgültig sein“, gab Jaakov zu bedenken.
     „Ist mir auch nicht gleichgültig. Ich meinte nur, ich kann euch doch nicht in die Namensgebung eurer Tochter hereinreden.“
     „Ach komm Jakob, sei doch nicht so komisch. Ich würde mich freuen, wenn die Kleine den Namen Rachel bekäme. Ich finde den Namen selbst nicht so toll, aber ich weiß, Jakob findet, dass es ein besonders schöner Name ist.“
     „Ist schon in Ordnung, Liebste. Also willkommen in unserer Familie, kleine Rachel.“
     „So gefällst du mir schon viel besser, mein Mann.“

Nach diesem kleinen Disput wandte sich Jakob wieder der kleinen Rachel zu. Eigentlich interessiert er sich nur noch für das Kind. Vom weitergehenden Gespräch der Anderen bekam er kaum noch etwas mit. Rachel, die wie immer mit ihren feinen Antennen Jakobs Gefühle erkannte, war echt überrascht, wie sehr ihn offensichtlich der Anblick des inzwischen friedlich schlafenden Kindes beeindruckte. Außer des kurzen Gesprächs am Vormittag hatten sie vorher noch nie über Kinder gesprochen. Rachel hatte zu eigenen Kindern eine ambivalente Einstellung. So sehr sie sich für ihre Nichten und Neffen interessierte und an deren Entwicklung Anteil nahm, so befürchtete sie die Veränderungen, die eigene Kinder in ihr Leben bringen würden. Sie stellte sich ein Leben mit dem Versorgen sehender Kinder extrem anstrengend vor. Wie sich die Dinge mit Jakob entwickelten, war sie sich zumindest sicher, den richtigen Mann für eigene Kinder an ihrer Seite zu haben.

Als das Liebespaar die Klinik verließ, war Jakob spürbar aufgekratzt, während Rachel recht nachdenklich war. Sie wusste, Jakob würde sie nicht drängen. Ebenso war sie sich sicher, dass er auch einen Entschluss gegen eigene Kinder verstehen würde. Zu Hause angekommen, hatte Jakob die Gedanken an das Kind bereits wieder vergessen. Sein aufgekratzter Zustand hielt trotzdem an. Er spürte die Freude in sich, einen ruhigen Abend mit Rachel zu verbringen. Da das Fernsehen nicht viel hergab, wollte er Rachel vorlesen. Jakob liebte es ungemein, wenn sich Rachel beim Vorlesen neben seine Knie auf den Boden kauerte. Nach der Tagesschau nahm er Arc de Triomphe zur Hand. Rachel bemerkte dies und schaltete umgehend das Fernsehgerät aus. Sobald Jakob seine Stimme erhob, rutschte Rachel von der Couch auf den Teppich und kauerte sich neben Jakobs Knie. Wenn Jakob Rachel so neben sich sah, machte sie auf ihn absolut nicht mehr den Eindruck der selbstbewussten Frau, die sie war, sondern wirkte eher wie ein anlehnungsbedürftiges Kind. Aus Erfahrung wusste er zwar, dass Rachel diese Vorleseabende stark erotisieren konnten, nach dem sie aber am vergangenen Abend und dann auch noch am Morgen ausgiebig gekitzelt hatten, schienen ihre Bedürfnisse im Moment gestillt zu sein. So las Jakob bis in die späten Nachtstunden vor, und Rachel lehnte dabei an seinen Knien. Nur einmal stand sie auf, holte für jeden ein Glas Wein und ein Glas Wasser. Als beide zu Bett gegangen waren, kuschelte sich Rachel sofort bei Jakob an. Mein Mann, flüsterte sie ihm ins Ohr. Dann schlief Rachel sofort ein, während Jakob noch einige Zeit wach lag und den gleichmäßigen Fluss ihres Atems genoss.

Im Laufe der Woche rief Herr Hassels an und fragte Jakob, ob er den Schrank am Samstagmittag abholen könne. Jakob fragte kurz bei Rachel zurück und sagte dann zu. Inzwischen war es winterlich geworden und da es früh dunkelte, fehlte Jakob das Joggen. Da kam es ihm zupass, dass Rachel weiter im Wald wandern ging. So hatten sie die Rollen getauscht, Rachel führte, sobald sie die schummrigen Lichtkegel der Gaslaternen hinter sich ließen und in den bei wolkigem Himmel stockdunklen Wald eintauchten. Meist hielten sie sich bei den Händen, während Rachel mit sicherem Schritt unter Zuhilfenahme ihres Langstockes den Weg durch den Wald wies. Jakob kam sich bei diesen Gelegenheiten wie frisch verliebt vor. Händchen halten hatten sie nie so intensiv ausgeübt. Vielleicht, so dachte Jakob, liegt das daran, dass wir uns nicht als Teenager kennengelernt haben. Rachel und er waren eben direkt zur Sache gekommen. Da sie sich nicht früher kennengelernt hatten, fand er, dass das auch die richtige Entscheidung gewesen war. Es passte eigentlich gar nicht in Jakobs Konzept, sich Samstag mit dem Schrank zu beschäftigen. In der dunklen Jahreszeit war nun einmal das Wochenende die einzige Möglichkeit zu joggen. Und so war der Samstag schon mal futsch.
     „Tut es dir jetzt Leid, dass du den Schrank vor dem Sperrmüll gerettet hast?“
     Wieder war Jakob verblüfft. „Nein, Rachel, mir tut es um den Samstag leid. Aber da der Hassels sich den Lieferwagen leiht, geht es eben nur am Wochenende.“
     „Liebster, wir machen das Beste daraus, wir stehen früh auf und joggen, bevor Herr Hassels kommt.“
     „Bah, früh aufstehen.“
     „Mein Mann, du kannst jetzt nicht alles haben.“
     „Ich weiß, du Dotz.“
     „Ist doch gut, wir entscheiden das kurzfristig. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich danach wieder allein in den Keller gehen kann. Wollten wir nicht wandern?“
     „Doch, aber es regnet, wie du weißt.“
     „Bist du aus Zucker? Oder soll ich erst wieder die Geschichte vom schlaffen Mann auskramen?“
     „Dann komm, werfen wir uns in die Regenjacken.“

Im dämmrigen Licht der Laternen schlug den Beiden ein unangenehmer, vom Wind getriebener Regen ins Gesicht. Jakob zog sich die Kapuze über den Kopf, während Rachel unbeirrt mit offenen Haaren dem Wald entgegenstrebte. Sobald sie dort angekommen waren, ließ der Wind spürbar nach und Rachel meinte, es sei so doch ganz angenehm. Jakob nahm bei diesen Abendwanderungen ganz bewusst keinen Einfluss darauf, welche Wegvariante Rachel wählte, er genoss es einfach Rachels Hand in seiner zu spüren. Während einer dieser Wanderungen in der Dunkelheit hatte sie gefragt, wie weit er gehen wolle. Er hatte nur geantwortet, es gäbe keinen Weg, den er nicht mit ihr gehen würde. Rachel hatte daraufhin kurz seine Hand los gelassen und ihm den üblichen Knuff in die Seite versetzt. Jakob war inzwischen so weit, dass er das als besondere Liebesbezeugung wertete und wenn Rachel ihm länger keinen Knuff versetzt hatte, fehlte ihm etwas. Es war abends immer absolut still im Wald. Zu dieser späten Stunde waren sie noch nie auf andere Menschen getroffen. Die einzigen Störungen in der Stille gab es, wenn sie in der Nähe des Dreieckweihers gingen und ein Güterzug vorüber donnerte. Nur wenn eine S-Bahn vorüberfuhr, bekam Jakob künstliches Licht zu sehen. Gingen sie die sogenannte große Runde, kamen sie nach gut der halben Wegstrecke an eine Stelle, an der Jakob das Licht von weit entfernten Straßenlaternen sah. Wenn sie längere Zeit gewandert waren, oder die Nacht vom Mond erhellt wurde, konnte er sich zumindest grob an den schemenhaften Konturen von Sträuchern und Bäumen orientieren.

„Fürchtest du dich im Dunkeln, Liebster?“ Fragte Rachel nach einiger Zeit.
     „Nein Süße, der böse Wolf hat sich noch nicht bis an den Niederrhein verbreitet und Bären gibt es eher in den Pyrenäen.“
     „Deine Vergleiche finde ich sonderbar. Ich dachte eher an Räuber.“
     „Die armen Räuber. Hier zu liegen, um zu warten, dass zwei Bekloppte wie wir vorbeikommen, die würden doch glatt verhungern. Und, dass eine holde Jungfer vorbeikäme, ist auch eher unwahrscheinlich.“
     „Was gibt es denn an einer Jungfer zu stehlen, du Knallkopp?“
     „Oh, da wüsste ich einiges. Ihre Jungfräulichkeit, zum Beispiel. Es könnte aber auch eine reiche Jungfer sein, die könnten Räuber entführen. Aber, wie dem auch sei, mein Schatz, Räuber im dunklen Wald ist kein einträgliches Geschäft.“
     „Genug der Spinnerei. Ich komme noch einmal auf den Samstag zurück. Aba hat uns für Freitag zum Sabbatabend eingeladen. Du hast zugesagt, erinnerst du dich daran?“
     „Ja, Süße, ich bin noch nicht senil.“
     „Gut, dass du dich erinnerst. Mein Vorschlag für das Wochenende lautet so: Wir bleiben nicht so furchtbar lange bei meinen Eltern. Samstag stehen wir zeitig auf. Wir joggen direkt nach dem Frühstück. Mittags ist der Schrank dran und danach duschen wir.“
     „Und dann?“
     „Ja dann, mein Schatz, wenn wir dann noch Lust verspüren, kitzeln wir uns.“
     „Wann haben wir denn das letzte Mal keine Lust verspürt?“
     „Weiß ich nicht, aber da mein Mann nicht widerspricht, nehme ich an, er ist mit meinem Vorschlag einverstanden.“
     Jakob hielt abrupt an, zog Rachel zu sich heran und küsste sie auf den Mund. „Reicht meiner Frau das als Antwort?“
     „Ja, komm weiter. Wir gehen jetzt nach Hause, so langsam sind wir nass genug.“

Wieder auf dem Erlenweg, trafen Jakob und Rachel im Hausflur auf Frau Müller. Rachel wunderte sich immer noch, wie handzahm Frau Müller geworden war, seit Jakob bei ihr wohnte. Sie nahm das gerne hin und musste innerlich darüber lachen, dass sie sich absolut nicht von Jakob trennen dürfe, da sonst das Theater, das vorher geherrscht hatte, wieder von vorn beginnen würde. Nach dieser Erkenntnis beschloss Rachel, dass das ihr Geheimnis bleiben sollte. Jakob unterhielt sich über Gott und die Welt mit Frau Müller. Eigentlich ging das Gerede Rachel auf die Nerven, aber sie war sich bewusst, dass Gespräche mit den Nachbarn einfach dazu gehörten, und setzte ein freundliches Gesicht auf. Zum Schluss bat Frau Müller Jakob darum, zwei Kästen Mineralwasser aus dem Getränkemarkt für sie mitzubringen. Er antwortete darauf, er wolle sowieso mit seiner Frau zum Getränkemarkt, da würde er gerne die Kästen mitbringen. Als Jakob von Rachel als seiner Frau sprach, zuckte Frau Müller leicht zusammen, ließ sich aber weiter nichts von ihrer Missbilligung anmerken. Nachdem sich von Frau Müller verabschiedet hatten und wieder in ihrer Wohnung waren, warf sich Rachel in Jakobs Arme.
     „Du hast wohl Frau Müller geschockt? Meine Frau war zu viel für sie.“
     „Du hast das bemerkt?“
     „Sicher!“
     Jakob schüttelte den Kopf. „Richtig zusammengezuckt ist sie bei diesen Worten. Das soll uns aber gleich sein, wir sind Mann und Frau, zumindest tun wir so.“
     „Ich will jetzt deine Formulierung – wir tun so – nicht auf die Goldwaage legen. Wir tun nicht so, wir sind Mann und Frau. Und wieso müssen wir zum Getränkeladen? Du bist ein unbeschreiblicher Schleimer.“
     „Sicher Rachel, alles, was du sagst, stimmt! Komm, ausziehen, sonst müssen wir nachher noch den Teppich trocknen.“
     „Komm, du gehst unter die Dusche, während ich unsere Jacken und Hosen zum Trocknen an die Garderobe hänge.“

Jakob ging unter die Dusche und hoffte, Rachel würde zu ihm kommen. Aber er hatte sich getäuscht, offensichtlich stand Rachel nicht der Sinn danach. Als Jakob nach ausgiebigen Duschen ins Wohnzimmer kam, hatte Rachel alles für einen gemütlichen Abend vorbereitet. Sogar eine Schale mit Chips hatte sie bereitgestellt, was ihn überraschte, da Rachel im Allgemeinen nicht viel von Knabbereien hielt. Unübersehbar hatte sie das Buch, aus dem er vorlesen sollte, auf dem Tisch platziert. Rachel hatte sich bereits völlig entkleidet und Jakob war der Ansicht, dass sie am besten immer unbekleidet sein sollte, vielleicht mit einer Bernsteinkette um den Hals, dachte er. Jakob schloss die Rollos, da er bemerkte, dass Rachel nackt im vollen Licht stand. Sie bemerkte das, reagierte jedoch nicht weiter darauf, nur ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Auf dem Weg zum Bad kam Rachel genau auf Jakob zu. Ihre wie immer in die Ferne guckenden, toten Augen faszinierten ihn. Er erhielt, als Rachel an ihm vorbeiging, den obligatorischen Knuff. „Starr mich nicht so schamlos an“, flüsterte sie Jakob ins Ohr. Er war versucht sich zu verteidigen, ließ es aber, da all ihre Knuffe offensichtliche Liebesbeweise waren. Das schamlose Anstarren hielt er für ein Vergnügen, das bei der eigenen Frau keineswegs verwerflich war. So schnell sie konnte, duschte Rachel sich, zog den Bademantel über und ließ sich danach umgehend neben Jakobs Knien nieder. Nach der obligatorischen Tagesschau fing Jakob sofort an zu lesen. Rachel zog die Schale mit den Chips so zur Tischkante, dass beide bequem hineinlangen konnten. Nachdem Jakob bereits längere Zeit vorgelesen hatte und eine Pause gemacht hatte, stand Rachel auf und kam mit zwei Gläsern und einer Flasche Wasser zurück. Sie hörte verwundert, dass Jakob das Licht löschte, obwohl er doch bereits die Rollos zugezogen hatte. Sobald Rachel Gläser und Flasche abgesetzt hatte, zog Jakob sie zu sich heran. Als sie vor ihm stand, löste er den Gürtel ihres Bademantels. Ganz nah vor seinen Augen erkannte Jakob im schummrigen Licht der Straßenlaternen das Dreieck von Rachels Schamhaaren. Er drückte seine Lippen auf ihre üppig wuchernden Schamhaare, woraufhin sie den Bademantel von ihren Schultern streifte und mit ihren Händen seine Lippen fester auf ihre Scham drückte. Jakob hatte derweil seine Hände auf Rachels Po gelegt und drückte seinerseits Rachel näher an seine Lippen. Als Rachel den Druck ihrer Hände lockerte, zog Jakob sie auf die Couch und Rachel ließ sich mit ihrem Kopf auf die Lehne sinken. Jakob führte vorsichtig beide Hände zwischen Rachels Schenkel, die diese lustvoll öffnete. Seine Hände berührten nur ganz leicht Rachels Haut, als sie Rachels Bauchnabel erreichten. Dabei bemerkte Jakob ein Beben in Rachels Körper, als er seine Fingerkuppen kreisförmig um den Nabel herum führte. Mit seiner Zunge an der Innenseite ihrer Schenkel entlanggleitend erreichte er ihre Vulva. Er presste seine Lippen darauf und erforschte dann mit seiner Zunge das Innere und Äußere von Rachels kleinen Schamlippen. Als Jakob versuchte, mit der Zunge in Rachel einzudringen, ertönte aus ihrem Mund ein lustvolles Stöhnen. Daraufhin ließ Jakob von Rachel ab und zog sie von der Couch auf den Teppich. Lange lagen sie an diesem Abend in tiefer Leidenschaft eng umschlungen im dunklen Zimmer auf dem Teppich. Als ihre Lust nachließ, klopfte Rachel mit den Fingern auf Jakobs Rücken. Als dieser den Kopf hob, sagte sie: „Bitte Licht anmachen und weiter vorlesen.“ „Gerne Schatz, aber nur wenn ich vor dem Schlafengehen ein Glas Wein bekomme.“ Er erhielt den obligatorischen Knuff und stand auf. Wieder auf der Couch sitzend, las Jakob weiter vor, während Rachel unbekleidet neben ihm hockte und versuchte die Haare, die Jakobs Oberschenkel bedeckten, zu ordnen.

Am Freitagabend fuhr das Liebespaar mit der Straßenbahn zur Sabbatfeier. Jakob war besonders aufgeräumt, da er den Sabbatabend anregend fand und sich den Zauber dieses Abends nur ungern entgehen ließ. Da Rachel den Ritus schon mit der Muttermilch eingesogen hatte, war sie davon weitaus weniger begeistert und hätte einen Vorleseabend nach einem gemeinsam zubereiteten Abendessen vorgezogen. Natürlich freute sie sich auf ihre Eltern und besonders angetan war sie von der Ankündigung, dass Rivka und Jaakov mit der kleinen Rachel erwartet wurden.
     „Du scheinst den Sabbatabend sehr zu genießen, Jakob.“
     „Ja, du nicht?“
     „Nein, mir gibt Religiöses nichts. Einzig das Zusammensein mit den Menschen, die ich liebe, lässt Freude in mir aufkommen.“
     „Es ist ja nicht so, dass ich etwas mit Religion zu tun habe, aber diesen Brauch eines wöchentlichen Familienfestes finde ich nachahmenswert.“
     „Oh Gott! Jakob, du bist nicht einmal von meinem Volk und legst Wert auf die Sabbatfeier. Als Nächstes willst du noch bei uns zu Hause den Kiddusch sprechen.“
     „Quatsch, Rachel, du übertreibst. Ich werde nicht dem Judentum beitreten. Mir macht der Abend einfach Freude.“
     „Liebster, auch mir macht der Abend Freude. Aber noch schöner wäre es, mit dir allein zu sein.“
     „Hätte ich absagen sollen?“
     „Nein, wenn ich das Gespräch angenommen hätte, hätte ich auch zugesagt. Ich mache dir keinen Vorwurf.“
     Jakob nahm Rachels Hände in seine. „Ich habe das so auch nicht empfunden, Süße. Ich bin gerne mit dir allein, das weißt du doch.“
     „Weiß ich!“ Rachel formte einen Kussmund, gab einen leisen, leicht schmatzenden Laut von sich und schenkte Jakob ein strahlendes Lächeln.
     „Bitte nimm einen Augenblick die Brille ab.“
     „Doch nicht in der Straßenbahn, zu viele Leute.“
     „Doch, bitte, Rachel. Guck nach rechts, dann kann nur ich deine Augen sehen.“
     Rachel gab nach. „Genug jetzt, Jakob. Sobald wir bei Ima und Aba sind, ziehe ich die Brille aus. Nur für dich, mein Schatz.“

An diesem Abend berichteten Chajm und Hannah davon, dass sie ein langes Telefonat mit Jojakim geführt hätten. Dieser und vor allem Tikvah hätten sich sehr über Rachels und Jakobs positive Antwort gefreut und er würde in den nächsten Tagen an Rachel und Jakob eine Mail senden. Jaakov ließ einige unfreundliche Bemerkungen über seinen Bruder fallen, was ihm einen bösen Blick von Hannah einbrachte. Chajm meinte, Jaakov habe zwar recht, aber das, was vorgefallen war, betreffe nur Rachel und Jakob – und vielleicht ihn und Hannah, da Jojakim seinen beleidigenden Brief auf Hebräisch verfasst hatte. Hannah bat darum, es gut sein zu lassen. Sie fügte noch hinzu, dass sie es großartig fände, wie Rachel und Jakob auf Jojakims Entschuldigung reagiert hätten. Hannah ergriff stolz die Hände ihrer Tochter.

Jakob war etwas beschwipst, als er mit Rachel nach der Sabbatfeier nach Hause fuhr. Da Rachel nur wenig Alkohol getrunken hatte, bewegte sie sich besonders besonnen, sie vertraute zwar weiter Jakobs Führung, wusste aber nicht, ob er sie mit Alkohol genauso sicher führte wie in nüchternem Zustand. Trotzdem übertrug sich seine Fröhlichkeit auf sie und zuhause angekommen, waren beide aufgekratzt. Jakob öffnete noch eine Flasche Wein. Aneinander gelehnt auf der Couch sitzend beschlossen sie die den Abend mit einem Glas Wein.

Als Rachel am nächsten Morgen erwachte, hörte sie, dass Regentropfen auf die Dachfenster fielen. Den klopfenden Geräuschen nach, die in schneller Folge vom Dach her zu hören waren, regnete es sogar stark. Sie war versucht, sich einfach auf die andere Seite zu drehen und abzuwarten, bis Jakob erwachte. Sie stand aber entschlossen auf, machte sich im Bad frisch und ging anschließend in die Küche, wo sie das Frühstück vorbereitete. Da Jakob sich immer noch nicht rührte, ging sie ins Schlafzimmer und kitzelte Jakob am Bauch, der weiterschlief, obwohl ihm die Bettdecke entglitten war. Er stieß zuerst ein unwilliges Brummen aus und wollte sich dann in seine Bettdecke einrollen, aber Rachel war schneller und zog die Bettdecke aus Jakobs Reichweite. „Abends saufen und morgens nicht aus den Federn kommen, so nicht mein Herr“, rief Rachel über die Schulter, bevor sie sich in der Küche in Sicherheit brachte. Als Jakob einige Zeit später bereit war ins Bad zu gehen, hatte Rachel ihm eine Tasse mit dampfendem Kaffee auf das Waschbecken gestellt. Ein paar Schlucke Kaffee weckten seine Lebensgeister, aber ein Blick in den Spiegel reichte, um die Folgen des gestrigen Abends zu bemerken, Rachel hatte sichtbar recht mit ihren Bemerkungen zum Saufen. Als er sich hergerichtet hatte und in die Küche kam, ging es ihm schon wieder besser. Er sah, dass Rachel etwas sagen wollte, ließ sie aber gar nicht erst zu Wort kommen, sondern griff nach ihrer Taille, hob sie hoch und setzte sie auf die Arbeitsplatte des Kühlschranks. Rachel war im Moment so verdutzt, dass ihr nicht die richtigen Worte einfielen. Jakob nutzte den Moment ihrer Sprachlosigkeit und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Als Jakob Rachel losließ, hatte diese sich gefangen.
     „Was war das denn? Ich liebe solche Mätzchen nicht!“ Rachel versuchte dabei einen strengen Gesichtsausdruck aufzusetzen, was ihr gründlich misslang.
     „Das war die Strafe dafür, dass du mich wach gekitzelt hast.“
     „Wieso Strafe, so wie du deinen Rausch ausgeschlafen hast, hätte ich dich auch wach prügeln oder ermorden können, dann hätte ich meine Ruhe. Ich habe also eine Belohnung für meinen zärtlichen Umgang mit dir verdient.“
     „Gut, dann war das die Belohnung.“
     „Ein bisschen grob für eine Belohnung. Findest du nicht?“
     Jakob saß inzwischen am Frühstückstisch und köpfte ein Ei. „Nö, finde ich nicht, leidenschaftlich wäre der richtige Ausdruck.“
     Rachel setze sich ebenfalls. „Leidenschaft kommt später dran. Jetzt wird sich gestärkt und dann folgt joggen.“
     „Dir ist schon bewusst, dass es regnet. Da hätten wir ausschlafen können.“
     „Zum Joggen brauchen wir kein besonderes Wetter. Und da wir heute Nachmittag keine Zeit dazu haben, mussten wir raus aus den Federn.“
     „Und wieso haben wir am Nachmittag keine Zeit? Sind wir verabredet?“
     „Wenn wir gleich joggen und du heute Mittag den Schrank ordentlich zusammensetzt, könntest du am Nachmittag vielleicht eine Belohnung bekommen.“ Rachel köpfte ein Ei und schwieg.
     „So, so, eine Belohnung.“
     „Vielleicht, habe ich gesagt.“

Nachdem Rachel und Jakob vom Joggen zurück waren, hatten sie gerade noch Zeit sich etwas frisch zu machen. An der Tür hatte Jakob, wie er es manchmal tat, auf die Namensschilder an Briefkasten und Türklingel geschaut. Warum, wusste er nicht genau, aber es machte ihn stolz, wenn er Rachels und seinen Familiennamen gemeinsam auf den Schildern sah. Er war froh, dass Rachel ihn in diesen Momenten nicht sehen konnte. Mit ihren feinen Antennen, die ihr zuverlässig anzeigten, wenn etwas ungewöhnlich war, hatte sie zwar bereits registriert, dass Jakob ab und zu einen kleinen Moment am Hauseingang zögerte, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. In ihrer Wohnung angelangt trocknete Jakob hingebungsvoll Rachels vom Regen durchnässte Haare. Dann entledigten sich beide der Joggingkleidung und zogen abgetragene Sweatshirts und Jeans an. Überpünktlich schellte Herr Hassels. Er hatte einen Lieferwagen vor dem Haus geparkt und kam zu Jakobs und Rachels Überraschung mit einem Helfer. Nachdem er beide begrüßt hatte, stellte er seinen Begleiter vor. „Das ist Amed, der freut sich helfen zu können, der Schrank ist für ihn und seine Frau bestimmt“, erklärte Hassels. Amed reichte beiden freundlich die Hand. Auf Englisch erklärte ihm Herr Hassels: „Du musst sprechen, Amed. Frau Cohen kann dein freundliches Grinsen nicht sehen.“ „Schon gut Herr Hassels, ich kann Freundlichkeit spüren“, antwortete Rachel daraufhin. Jakob war wie vor den Kopf geschlagen, als er hörte, mit welcher Selbstverständlichkeit Rachel Englisch sprach. Er hatte zwar in Frankreich bemerkt, dass sie diese Sprache beherrschte, aber da sie nur wenig Französisch sprach, hatte er selbst meist das Wort geführt.

Nachdem Jakob und Amed gemeinsam die Einzelteile des Schranks auf der Ladefläche des Wagens verstaut hatten, ließ sich Jakob von Herrn Hassels die Adresse geben und sagte, er käme mit seiner Frau sofort dorthin. Am Auto kontrollierte Jakob kurz sein Werkzeug und als er sicher war, alles Nötige dabei zu haben, fuhren sie zu der angegebenen Adresse. Als sie ins Auto gestiegen waren, hatte Rachel die Brille abgelegt, weil sie Jakob eine Freude machen wollte. Er streichelte seine Partnerin daraufhin über die Wange, was ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Erst als sie am Bestimmungsort ankamen, zog sie die Brille wieder auf. Herr Hassels und Amed saßen in der geöffneten Tür des Laderaums. Jeder der Männer packte sich eins der Möbelteile und trug es ins Haus, während Rachel am Lieferwagen wartete. Als alle Schrankteile im Haus verschwunden waren, führte Jakob Rachel in das ziemlich heruntergekommene Haus, das jetzt das Zuhause von Amed und seiner Familie war. Im Treppenhaus roch es modrig, von den Wänden blätterte die Farbe ab und der altersschwache Aufzug gab bei seiner Fahrt nach oben sonderbar schleifende und knackende Geräusche von sich. In der Wohnung nahm Rachel sofort den intensiven Geruch frischer Farbe war, es war also renoviert worden. Jakob stellte Rachel Ameds Familie, bestehend aus seiner Frau Defne und einem Zwillingspaar im Säuglingsalter, vor. Defne, die nur ihre Muttersprache sprach, begrüßte die Besucherin. Amed übersetzte, seine Frau freue sich sehr, Rachel kennenzulernen und bedanke sich für die Unterstützung. Jakob reichte Rachel das benötigte Werkzeug und machte sich daran, die Einzelteile zu sortieren. Zum Erstaunen der Anwesenden baute er gemeinsam mit Rachel den Schrank auf. Das Flüchtlingsehepaar war sichtlich erfreut über dieses Geschenk. Jakob bemerkte, dass der Schrank das einzige Möbelstück in der Wohnung war. Sonst gab es nur einige auf dem Boden liegende Matratzen und einen betagten Herd, der in der Kochnische stand. Jakob nahm sein Werkzeug und wollte sich mit Rachel verabschieden.

„Ganz so schnell kommen wir jetzt nicht weg. Wir müssen mindestens noch einen Tee trinken. Defne und Amed wollen sich damit bei ihnen bedanken.“ Bremste Herr Hassels die Beiden.
     Rachel und Jakob waren davon nicht begeistert, aber Rachel fing sich sofort. „Gerne, aber wirklich nur auf einen Tee. Wir müssen noch einkaufen.“
     „Danke Frau Cohen, ich denke so viel Zeit muss sein.“

Mangels Sitzgelegenheiten war nur ein gemeinsamer Tee um den Elektroherd herum stehend realistisch. Soweit überhaupt möglich, versuchten sie während des Teetrinkens eine Unterhaltung. Defne versuchte mit Händen und Füßen ihren Dank auszudrücken. Rachel fragte Amed nach den Lebensumständen der Familie und ließ sich auch die Geschichte ihrer Flucht erklären. Derweil unterhielt sich Jakob mit Herrn Hassels über die Situation der Flüchtlinge im Land und ihre Unterbringung in Haselholt. Als der Tee getrunken war, verabschiedeten sich Rachel und Jakob dankend. Sie waren froh, als sie wieder im Auto saßen. „So, so, wir müssen noch einkaufen“, sagte Jakob grinsend. Rachel lächelte verschmitzt. „Ich konnte ja schlecht erzählen, welche Belohnung ich dir versprochen habe.“ Jakob lachte und startete den Wagen. Sofort nach der Abfahrt setzte Rachel ihre Brille ab. Sie schaute Jakob an, sie wusste, dass sie damit Jakob eine große Freude machte. Rachel überlegte, ob es noch andere Personen gab, denen sie sich ohne Brille zeigte. Ihr fiel niemand ein. Sogar ihre Eltern hatten sie fast nur mit ihrer dunklen Brille zu sehen bekommen. Das hatte sich erst geändert, nachdem sie Jakob kennen und lieben gelernt hatte. Bei Ben wäre sie nie auf die Idee gekommen, ihre Brille auszuziehen, solange sie nicht allein waren. Bei Jakob war das anders. Nur an Tagen wie heute, wo sie auf Fremde traf, oder wenn sie sich an Orte begaben, an denen Betrieb herrschte, setzte sie in Jakobs Beisein die Brille auf. Als Jakob ihren Blick bemerkte, tätschelte er Rachels Knie. „Du sollst dich aufs Fahren konzentrieren, sonst landen wir in falschen Betten“, erklärte Rachel trocken. „Wie, was?“, fragte Jakob. „In Krankenhausbetten, du Dummkopf“, schallte es fröhlich vom Beifahrersitz.

In der Wohnung machte Rachel erst gar nicht lange Umstände, sondern zog sich aus und ging ins Bad. Jakob tat ihr gleich und quetschte sich zu ihr in die Duschkabine. Rachel hatte bereits begonnen, sich einzuseifen, als Jakob zu ihr kam. Sie hörte sofort damit auf und überließ dies Jakob, der sich hingebungsvoll dieser Aufgabe widmete. Ab und zu verirrten sich seine Hände, zuerst setzte er einen Tupfer Schaum auf Rachels Nase, dann shampoonierte Jakob ausgiebig Rachels Brüste. „Genug, genug“, sagte Rachel und drehte das Wasser wieder an. Unter leichtem Massieren wusch Jakob ihr den Schaum aus den Haaren. Während das warme Wasser weiter auf sie herunterprasselte, lehnte sich Rachel gegen Jakob. Ganz weich und warm fühlte Rachel sich für Jakob an, als er über ihren Rücken streichelte. Nachdem Rachel das Wasser abgestellt hatte, seiften sie sich unter Kitzeln und Lachen gegenseitig ein. Als sie ihre Hände entlang seines Körpers bis zu seinem Penis führte, steigerte sich seine Erregung so sehr, dass er es nicht mehr aushalten konnte und das Wasser wieder aufdrehte. Kaum war der Seifenschaum abgewaschen, stellte Jakob das Wasser ab, verließ die Duschkabine und half Rachel heraus. Sie liebten sich direkt im Bad, ohne sich vorher lange mit dem Abtrocknen abzugeben. Als ihre Sehnsucht erfüllt war, trockneten sie sich gegenseitig ab. Daraufhin nahm Jakob Rachel auf die Arme und trug seine Liebe zum Bett, wo er sie vorsichtig ablegte. Neu erwachende Leidenschaft vereinte beide in sehnsüchtiger Umarmung. Es dauerte lange, bis sich bei beiden ein Hungergefühl bemerkbar machte. Ohne sich etwas anzuziehen, ging Jakob in die Küche und kontrollierte die Vorräte. „Du hattest recht, wir müssen einkaufen“, rief Jakob in Richtung Schlafzimmer. „Scheiße“, kam es von dort zurück. „Süße, wir haben doch morgen auch noch Zeit. Du weißt doch – immer wieder sonntags“, beschwichtigte Jakob.

Auch am Sonntag war es regnerisch. Beide hörten den Regen, der vom Wind getrieben auf die Velux-Fenster prasselte. Schläfrig kuschelte sich Rachel an Jakob. Ausgiebig gähnte Jakob, bevor er auf ihr Kuscheln reagierte. Er drehte sich so, dass er einen Finger in die Falte zwischen Rachels Pobacken schieben konnte. Sie reagierte darauf sehr, sehr kitzlig, setzte sich auf und schlug auf Jakob mit ihrem Kopfkissen ein. Es entwickelte sich eine fröhliche Kissenschlacht, die bei beiden die Müdigkeit schlagartig vertrieb. Irgendwann waren beide außer Atem und ließen sich wieder auf die Matratze sinken. Ohne sich lange mit weiteren Spielereien aufzuhalten, setzte sich Jakob auf Rachels Leib, massierte ihre Brüste und als sein Penis anschwoll, schob er ihn zwischen Rachels Brüste und drückte die kleinen, festen Brüste gegen den Penis. „Nun komm doch, bitte, bitte“, röchelte Rachel. Jakob rollte sich neben Rachel, drehte Rachel mit dem Hinterteil zu sich und drang von dort aus in ihre Vagina ein. Mit einer Hand stütze er sich dabei auf der Matratze ab, während er mit der anderen Hand eine von Rachels Brüsten massierte. Als Jakob den Höhepunkt erreichte, hatte er den Eindruck, Rachel sei dabei sich aufzulösen. Er ließ sich schwer atmend auf die Matratze sinken. Auch Rachel war erschöpft. Nachdem sich beide beruhigt hatten, legte Rachel eine Hand auf Jakobs Bauch.
     „Heute hat wieder die Erde gebebt, hast du das gemerkt, Jakob?“
     „Ja Süße, es war ein Beben ganz oben auf der Richterskala.“
     „Ach Schatz, wenn es doch nur immer so bleiben könnte.“
     „Wir werden andere Wege finden, um unsere Liebe am Leben zu halten.“
     „Schaffen wir das?“
     „Ja, ich glaube fest daran. Wir kitzeln doch schon bedeutend weniger und lieben uns trotzdem. Rachel, ich möchte, dass wir heiraten.“
     Rachel sprang aus dem Bett. „Jakob, was soll das, du hast mir versprochen, mir Zeit zu lassen bei der Entscheidung, ob ich ein Kind möchte.“
     „Kind? Wer spricht von Kind? Ich möchte gerne, dass wir heiraten. Was bitte, hat das Eine mit dem Anderen zu tun?“
     „Wir haben immer gesagt, wir heiraten, wenn wir einen Kinderwunsch haben.“

Rachel ließ sich nicht beruhigen, als Jakob aufstand und einen Arm um ihre Schultern legte, stieß sie ihn wütend zurück. Sie verließ das Schlafzimmer und schlug die Tür hinter sich so heftig zu, dass diese krachend ins Schloss fiel. Jakob war total verdattert über Rachels Reaktion, er hatte es gut gemeint und wollte ihr nur eine Freude machen. Kurz darauf hörte er die Wohnungstür. Jakob ging ins Wohnzimmer und schaute auf die Straße. Er sah Rachel ihren Langstock schwingend in Richtung Wald gehen. Er war der Meinung, sie würde sich bald beruhigen und zurückkommen. Da er sich weiter keine Sorgen machte und der Meinung war, Rachel würde sich schnell beruhigen, ging er ins Bad zur Morgentoilette und bereitete anschließend das Frühstück vor. Aber so lange er auch wartete, Rachel kam nicht. Jakob packte die Frühstückseier in ein Geschirrtuch, um sie warmzuhalten. Danach stand er am Fenster und schaute auf die Straße, um nach seiner Frau Ausschau zu halten. Langsam wurde er immer unruhiger. Besorgt zog er sich seine Joggingsachen an und ging in den Wald, um Rachel zu suchen. Er suchte lange und war nach einiger Zeit total durchnässt. Er fand sie schließlich auf der Bank beim Aussichtspunkt am Dreiecksweiher. Jakob sah sofort, dass Rachel weinte. Da gerade ein Güterzug vorüber ratterte, bemerkte Rachel Jakobs Kommen erst, als er einen Arm auf ihre Schulter legte. „Ich habe vergessen, meinen Schlüssel mitzunehmen“, sagte Rachel schluchzend. „Liebes, komm mit nach Hause. Du hattest doch nur meine Worte in den falschen Hals gekriegt.“ Als Rachel aufstand, warf sie sich weinend in Jakobs Arme. „Ich würde dich gerne heiraten, Jakob.“ Jakob drückte Rachel und bemerkte, dass auch sie total durchnässt war. „Komm mit nach Hause“, wiederholte Jakob. Rachel nickte und suchte mit einer Hand nach Jakobs Hand.

Nachdem sie ihre nassen Sachen gegen trockene getauscht hatten und Rachel die Morgentoilette hinter sich gebracht hatte, setzten sie sich zum Frühstück. Während Jakob an seinem Kaffee trank, sah er durch das Fenster, dass der Himmel sich aufhellte und der Regen aufgehört hatte. Daraufhin schlug er vor, den Tag mit einer Wanderung der Heide bei Brüggen zu verbringen und anschließend Fisch für den Abend zu kaufen. Rachel stimmte freudig zu und so verbrachten sie mehrere Stunden mit einer Heidewanderung. Danach erstanden sie bei der Räucherei eine frische Regenbogenforelle und zwei geräucherte Saiblinge.

Auf der Rückfahrt von Brüggen hatten sie noch einmal kurz über das Heiraten gesprochen. Rachel hatte erkannt, dass Jakob sie nicht wegen eines Kinderwunsches heiraten wollte und so gab sie Jakob vorsichtig einen Knuff. „Ich fühle mich geehrt und nehme ihren Antrag an, Herr Hausmann“, brachte sie unter Lachen hervor und versetzte Jakob vorsichtig einen weiteren Knuff. Da gerade kaum Verkehr auf der Autobahn war, ließ Jakob mit einer Hand das Lenkrad los und legte sie auf ihr Knie. „Vorsicht, sonst sind wir tot, bevor wir das Aufgebot bestellen“, sagte Rachel und beide mussten lachen. Nachdem sie am Abend die Regenbogenforelle verzehrt hatten, setzen sie sich vor den Fernseher, schalteten zuerst auf die Tagesschau und anschließend auf einen Schinken von Inga Lindström. Wir immer erklärte Jakob etwas zu dem Geschehen auf dem Bildschirm, aber Rachel kam eigentlich bei einfach zu verstehenden Themen auch so ganz gut klar. Die schmalzige Liebesgeschichte löste bei Rachel romantische Gefühle aus, verträumt lehnte sie sich an Jakobs Schulter. Nach dem Ende des Films bat Rachel Jakob vorzulesen. An diesem Abend las Jakob so lange, bis er Arc de Triomphe zu Ende gelesen hatte.

Rachel ließ die Handlung des Romans noch einmal Revue passieren und sagte schließlich, „die Stelle mit dem Mord an dem Nazi war schon sehr brutal.“
     „Ja Liebste, Selbstjustiz ist verwerflich, aber ich meine, was Remarque da schreibt ist Dichtung, künstlerische Freiheit. Und du weißt, wie unbeschreiblich brutal die Nazis waren. Was Remarque darstellen wollte, war wohl, dass die Flüchtlinge ohne alle Rechte waren und nicht einmal die anklagen konnten, die sie gequält hatten.“
     „Ich hoffe Jakob, wir können unser Leben in Frieden führen und sind niemals gezwungen, zu emigrieren.“
     „Wer hofft das nicht? Aber selbst wenn es jemals ernst werden sollte, solange wir zusammen sind, sind wir unbesiegbar.“
     „Ich liebe dich.“ Rachel schmiegte sich an Jakob.
     „Und welches Buch, lesen wir als Nächstes?“
     „Die Nacht von Lissabon.“
     „Oh, Remarque hat eine neue Verehrerin. Ich hätte eher an Transit von Anna Seghers gedacht.“
     „Vielleicht danach, Jakob.“
     „Eine gute Idee, finde ich.“
     „Vielleicht schieben wir zwischendurch wieder einen Krimi von Donna Leon ein, genauso, wie wir es nach der Hälfte von Arc de Triomphe gemacht haben. Das entspannt ungemein.“

Jakob stand auf und holte eine angebrochene Flasche Wein und zwei Gläser. Sie saßen noch eine Weile gemütlich zusammen und gingen dann zu Bett. Rachel kuschelte sich an Jakobs Rücken und das leichte Frösteln, das sie im kühlen Schlafzimmer verspürt hatte, legte sich, sobald sich die Wärme von Jakobs Körper auf ihre Haut übertrug. Er spürte, wie ihre Schamhaare sein Hinterteil kitzelten. Aneinander gekuschelt schliefen sie schnell ein.

Während der Monate, in denen Rachel und Jakob sich kennen und lieben lernten, eskalierte in Syrien der seit Jahren tobende Bürgerkrieg. Hatten zu Beginn dieser Auseinandersetzungen noch führende Politiker über den Arabischen Frühling gejubelt, standen sie jetzt vor den Scherben einer verfehlten Politik. Insbesondere während Rachel und Jakob ihren Urlaub in Aquitanien verbrachten, wagten immer mehr der durch den Krieg heimat- und wurzellos gewordenen Menschen die Flucht über das Mittelmeer. Die Boote und Schiffe, die sie dazu bestiegen, waren alles andere als seetüchtig. Hunderte der Verzweifelten bezahlten die Überfahrt mit ihrem Leben. Rachel und Jakob fanden das alles furchtbar, waren aber zu sehr mit ihrer wachsenden Liebe beschäftigt, um sich zu engagieren. Nur wenn sie mit Ilse und Heinz oder Hannah und Chajm zusammen waren, wurden die Ursachen und Auswirkungen der Tragödie thematisiert. Rachel, die durch das Schicksal ihrer Großeltern wusste, was Flucht und Verfolgung bedeuten, war tief betroffen. Jakob, der von seinen Eltern im Sinne von Frieden und Völkerverständigung erzogen worden war, reagierte immer ärgerlich auf die Argumente und Lösungsvorschläge von Politikern und selbsternannten Heilsbringern, deren Plattitüden in Fernsehen und Zeitung zu Hauf verkündet wurden. Aber so groß die Probleme auch waren, zu Zeiten des Zusammenwachsens zweier Liebender bleibt wenig Raum für die Nöte der Welt. Irgendwann war es jedoch so weit, dass Rachel, politisch weit links stehend, und Jakob, in sozialdemokratischen Ideen verwurzelt, das Gefühl nicht mehr loswurden, dass gerade sie die konservative Regierungschefin gegen die Anwürfe von weit rechts und sogar von ihren eigenen Parteifreunden verteidigen müssten.

Der dritte Adventssonntag war sehr regnerisch und ein stürmischer Wind wehte über Haselholt. Rachel und Jakob hörten vom Bett aus die Regentropfen gegen die Fenster prasseln. Schläfrig versuchte er mit einer Hand Rachel zwischen die Schenkel zu fassen. „Lass das sein, ich will schlafen, nicht beischlafen. Und vor dem Duschen passiert sowieso nichts.“ Rachel versuchte möglichst weit von Jakob wegzurutschen und ihre Bettdecke zwischen sich und Jakob zu bringen. Jakob war inzwischen völlig wach, warf sich über Rachel und wollte ihr die Decke entringen. Daraufhin versuchte sie, Jakob durch kitzeln abzuwehren, aber in diesem Moment klingelte das Telefon. Das Signal nutzte Rachel, um aus dem Bett zu springen und zum Telefon zu gehen. Am anderen Ende der Leitung war Ilse.
     „Ach, Ilse, du möchtest sicher Jakob sprechen. Schön, dass du anrufst.“ Rachel war klar, dass der letzte Satz gelogen war, aber die Freude Ilse zu hören, war echt.
     „Nein, Rachel, ich wollte dich sprechen.“
     „Auch gut, ich stelle den Lautsprecher an, dann kann Jakob mithören. Ist dir das recht?“
     Ilse bejahte, Rachel stellte auf Mithören und setzte sich zu Jakob aufs Bett. „Dann schieß los.“
     „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich überhaupt damit belästigen soll, Rachel. Aber wir würden euch beide gerne an Heiligabend zum Essen bei uns haben.“
     „Und warum meinst du, mich damit zu belästigen?“
     „Ich dachte nur so, wegen der Religion.“
     „Ilse, Religionen sind nicht mein Metier, aber warum sollen wir nicht zusammen essen? Immerhin ist es ein Festtag des Christentums und wir kommen gerne. Jakob wird gar nicht erst gefragt.“ Jakob versetzte Rachel dafür einen Tritt.
     „Danke Liebes, dass du das so siehst.“
     „Das ist wirklich kein Problem. Wir haben uns für eine Liebe auf der Basis zweier Religionen entschieden. Ich komme mit, wenn Jakob den christlichen Traditionen folgt. Dafür wird er im nächsten April dem Pessach nicht entkommen und an das ab und zu erforderliche Erscheinen am Sabbatabend hat er sich bereits gewöhnt.“
     „Bitte frag Jakob trotzdem, ob er mit unserer Verabredung einverstanden ist. Und bitte Rachel, keine Geschenke zu Weihnachten.“
     „Jakob, ich habe zu Heiligabend bei deinen Eltern zugesagt. Du freust dich? Wehe nicht!“
     „Ja, doch, ich freue mich.“ Es klang etwas gequält, aber Jakob grinste dabei. „Gib mir bitte den Hörer.“
     „Wie du hörst, ist euer Sohn begeistert. Ich sage schon einmal, tschüss und grüße bitte Heinz von mir.“
     „Hallo Mama, was gibt es denn zu essen?“
     „Ihr dürft euch etwas wünschen. Aber kein Schweinefleisch. Ich weiß zwar, dass deine Frau die Speisevorschriften ihres Volkes nicht beachtet, aber bei mir kriegt sie kein Schwein.“
     „Aber, aber Mama!“
     „Nichts da, das gibt es schon aus Verbundenheit zu Hannah und Chajm nicht.“
     „Verbundenheit?“
     „Hör zu, Jakob, Eltern haben ein Eigenleben. Gewöhne dich dran, aber möglichst schnell, am besten sofort – ich meine auf der Stelle!“
     „Ja doch Mama. Wie wäre es mit Coq au Vin?“
     „Ist Rachel damit einverstanden?“
     „Sie nickt lächelnd.“
     „Und das ist Koscher?“
     „Ja, Mama, Rachel nickt immer noch.“
     „Dann gibt es Coq au Vin. Heinz mag gern Geflügel und mir ist das lieber als eine fette Gans zu Weihnachten.“
     „Prima Mama. Du hast sowieso bei Rachel einen Stein im Brett, weil du sie deine Frau genannt hast.“
     „Dann bis bald, mein Sohn.“
     „Bis bald, Mama.“

Für seine Aussage mit dem Stein im Brett hatte Jakob den üblichen Knuff in die Seite erhalten, was Jakob dazu verleitete, Rachel, nachdem er den Hörer beiseitegelegt hatte, ausgiebig zu kitzeln. Sie einigten sich darauf, sich nur kurz frisch zu machen, dann zu frühstücken und erst danach zu duschen. „Aber jeder für sich allein“, warf Jakob ein, was bei Rachel zu einem Lachanfall führte. Nachdem sie sich beruhigt hatte, verschwand sie im Bad. Jakob streckte sich derweil noch einmal im Bett aus und zog die Decke über sich. Im Bad hörte er Rachel rumoren, er schloss die Augen und war bald wieder eingeschlafen. Über eine grüne, in Sonnenlicht getauchte Wiese sah er sich zu einem See gehen, aus dem Rachel stieg. Ihre nasse Haut glänzte im Licht der Sonne, ihre Nacktheit hatte etwas Unwirkliches. Jakob erwachte, da Rachel ihm die Decke wegzog. „Ab ins Bad, du Träumer“, rief sie noch bevor sie in der Küche verschwand. Als Jakob in die Küche kam, nahm Rachel gerade die Eier aus dem Eierkocher, und für jeden lagen zwei aufgebackene Brötchen im Brotkorb. Jakob griff sich Rachel, gab ihr einen Morgenkuss, drückte sie an sich und gab ihr zum Abschluss einen Klaps auf den Po. Rachel beantwortete das mit dem Knuff, den Jakob wie immer als Standardliebesbeweis interpretierte und genoss. Er schüttete den Kaffee in die Tassen und beide setzten sich. Das Ritual des Frühstücks war inzwischen eingeübt. Bevor sie sich ihren Brötchen und Eiern widmeten, ließ sich Rachel von Jakob ausgiebig die aktuelle Wetterlage erläutern. Der prasselnde Regen, vom Wind gegen die Fenster getrieben, ließ bei Rachel zwar keine großen Erwartungen aufkommen, dass Jakob etwas Positives berichten könnte, aber sie täuschte sich. Jakob erklärte, dass von Westen her Wolkenlücken zu sehen waren und das Außenthermometer fast acht Grad anzeige. Währenddessen tranken beide ab und an ihren Kaffee. Rachel hielt dabei die Tasse mit beiden Händen umschlossen, um ihre klammen Finger zu wärmen.
     „Das war aber eine Überraschung vorhin. Noch vor dem Aufstehen über Weihnachten zu diskutieren.“
     „Ja, Jakob, das kommt davon, wenn man bis in die Puppen schläft.“
     „Meine Eltern sind eigentlich auch keine Frühaufsteher.“
     „Ja, aber wir sind wetterbedingt auch ausgesprochen lange liegen geblieben“, antwortete Rachel, während sie sich hingebungsvoll dem Belegen eines Brötchens widmete.
     „Und dir macht es nichts aus, Weihnachten zu feiern?“
     „Mensch Jakob, ich bin doch nicht von einem anderen Stern. Ich bin schon des Öfteren zu Weihnachten eingeladen gewesen. Es kann für Nichtchristen ganz schön langweilig werden, wenn tagelang die Geschäfte geschlossen bleiben und alle Freunde auf Familie machen. Da freut man sich über jede Einladung.“
     „Aber das ist doch jetzt anders. Wenn alles geschlossen ist, haben wir umso mehr Zeit für uns.“
     „Ja doch, aber einen Abend von dreien mit deinen Eltern empfinde ich als Bereicherung.“
     „Ich eigentlich auch. Aber mir erscheint jede Minute, die ich nicht mit dir alleine verbringen kann, als verloren.“
     „Du übertreibst“, bemerkte Rachel dazu, während sie sich ein zweites Brötchen belegte.
     Da Jakob kaute, verging einige Zeit, bis er wieder etwas sagte. „Du hast mir zum Ausgleich mit Pessach gedroht, was ist das?“
     „Ach, der Herr hat im Religionsunterricht gepennt?“
     „Wohl eher geschwänzt. Aber egal, in dem Fach habe ich mir die einzige Fünf auf dem Zeugnis eingehandelt, die ich je hatte. Jetzt musst du meine Wissenslücken auffüllen.“
     „Gerne doch, Pessach ist ähnlich wie Ostern. Zumindest findet beide Feste zeitnah statt.“
     „Und was feiert ihr da? Doch wohl nicht die Auferstehung.“
     „Du bist wirklich ein Blödmann. Wir feiern den Auszug unserer Altvorderen aus Ägypten.“
     „Ja, doch, daran kann ich mich noch erinnern. Irgendwas mit ungesäuertem Brot.“
     „Bravo, ganz so blöd bist du doch nicht.“
     „Und wie feiert man das?“
     „Das erkläre ich dir, wenn es so weit ist. Sonst muss ich dir das zweimal erklären.“
     „Mein Gedächtnis ist nicht so sehr löchrig.“
     „Trink deinen Kaffee aus und geh unter die Dusche. Ich will in Ruhe und allein den Abwasch machen. Wenn dich das Fest so interessiert, dann lies das Buch Exodus, da ist alles bis ins Kleinste beschrieben.“
     „Eine Frage noch. Kannst du dir einen Reim auf die Bemerkung – aus Verbundenheit zu Hannah und Chajm machen?“
     „Nee, ich dachte, du hättest dazu eine Erklärung.“
     „Habe ich nicht, du siehst mich völlig ratlos.“
     „Wir werden es sicher bald erfahren. Aba kann kein Geheimnis für sich behalten. Und jetzt verschwinde.“

Jakob machte bewusst langsam im Bad. Er stellte sich erst dann unter die Dusche, als er hörte, dass Rachel mit dem Abwasch zu Ende kam. Schon bald merkte Jakob, dass er sich mit dieser Taktik nicht verrechnet hatte, denn Rachel drängte sich kurz darauf zu ihm in die Kabine. Nachdem sie sich gegenseitig eingeseift hatten und ausgiebig klares Wasser über ihre Körper hatten laufen lassen, trockneten sie sich ab, wobei Jakob mit großer Hingabe Rachels Rücken trocken rieb. Er spürte in sich nicht nur das große Verlangen, sondern auch die tiefe Zuneigung, die er für diese Frau empfand. Jakob küsste Rachel leicht auf den Nacken und sog tief den Duft ein, den ihre Haut ausströmte. Rachel, in ihrem Verlangen an diesem Tag schon weiter fortgeschritten als Jakob, fasste diesen bei der Hand und zog ihn hinter sich her zum Schlafzimmer. Jakob war tief beeindruckt von den geschmeidigen Bewegungen der vor ihm gehenden Frau. Im Schlafzimmer angekommen, hob er sie hoch und ließ sie auf das Bett sinken. Vorsichtig spreizte er Rachels Beine und presste ihr die Lippen auf die Vulva. Mit der Zunge suchte und fand Jakob Rachels kleine Schamlippen. Es gelang ihm, eine davon zwischen seine Lippen zu nehmen und ausgiebig daran zu saugen. In Rachel breitete sich ein Gefühl großer Wärme aus, sie hatte das Gefühl, ihr Herz vergesse zu schlagen und ein tiefer Seufzer entrang sich ihren Lippen. Jakobs Zunge wanderte an ihrem Körper nach oben. An ihren Brüsten angekommen, umschloss Jakob zuerst die linke, dann die rechte Brustwarze mit seinen Lippen – ein Zittern lief durch ihren Körper. Als er sich schließlich schwer atmend neben seine Frau legte, setzte sie sich auf, beugte sich über Jakob und massierte mit ihren Lippen sein Geschlecht, während sie mit einer ihrer Hände seinen Hoden umschloss. Jakob, von seinen Gefühlen übermannt, zog Rachel auf die Matratze und drang, vorsichtig suchend, in sie ein. Beider Atem ging schwer, als sie wieder zur Ruhe kamen. Ihre leidenschaftlichen Bedürfnisse waren befriedigt und als Rachel sich zur Seite drehte, kuschelte sich Jakob an ihren Rücken. Rachel schlief ein und wurde erst wieder wach, als Jakob sanft ihren Nacken küsste. „Habe ich lange geschlafen?“ „Nein, Süße, eine halbe Stunde.“ Rachel spürte, dass Sonnenlicht durch die Dachfenster fiel und ihre Haut erwärmte. So beschlossen sie, zumindest etwas nach draußen zu gehen. Rachel wollte mit Jakob joggen, doch der widersprach und meinte, sie hätten sich an diesem Tag genug angestrengt. Sie beschlossen, auf der mittleren Waldrunde zu wandern.

Am Dreiecksweiher kamen ihnen die beiden Hassels entgegen. Sie unterhielten sich über dies und jenes. Rachel erkundigte sich nach Defne und Amed. Herr Hassels berichtete erfreut, dass beide einen Deutschkurs bewilligt bekommen hätten und sie auch schon ein paar Brocken sprächen. Die Situation der in Haselholt untergekommenen Flüchtlinge beurteilten beide Hassels als durchaus positiv und die Wohnqualität im Heim wäre zwar einfach, aber erträglich. Was Herr Hassels danach berichtete, machte Jakob und Rachel betroffen. Für Donnerstag hätte eine Gruppe besorgter Bürger, unter dem Kürzel DAGIS agierend, einen Abendspaziergang entlang des Flüchtlingsheims angemeldet. Der Weg entlang des Flüchtlingsheims sei aber dadurch verhindert worden, dass die Gruppe der Helfer rechtzeitig davon Wind bekommen hatte und noch vor der DAGIS eine Solidaritätskundgebung vor dem Wohnheim angemeldet hatte. Jetzt verlaufe die Demo etwa hundert Meter vom Heim entfernt und ende mit einer Kundgebung vor dem Kriegerdenkmal am Dreieck. Rachel und Jakob waren betroffen. So etwas hatten sie in ihrem friedlichen Stadtteil nicht erwartet. Sie sagten den Hassels, ohne lange zu überlegen ihr Erscheinen am Donnerstag zu. Diese drückten beiden erfreut die Hände und sagten, auch Amed würde kommen, leider könne Defne nicht, denn einer von beiden müsse schließlich bei den Kindern bleiben. „Sie werden viele Bekannte treffen“, sagte Frau Hassels, bevor sie sich endgültig trennten.

Rachel und Jakob waren an diesem Tag zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als sich weiter Gedanken über die bevorstehenden Ereignisse zu machen. Hand in Hand gingen sie den Rest ihrer Runde. Zu Hause setzte Rachel Kaffee an, während Jakob vom Sessel aus ihre Tätigkeit verfolgte. Er hatte den Eindruck, sie schon seit ewigen Zeiten zu kennen, und doch konnte er jeden Tag etwas Neues an ihr entdecken. Rachel kam mit einem Tablett, das mit der Kaffeekanne und zwei Tassen beladen war, aus der Küche. Im Schrank hatte sie noch ein paar Kekse entdeckt, die sie auf einem Dessertteller drapiert hatte. Sie setzte das Tablett ab, verteilte die Tassen und den Dessertteller auf dem Tisch, goss Kaffee ein und setzte sich neben dem Sessel auf den Teppich. Sie lehnte ihren Kopf an Jakobs Knie. Ein Gefühl tiefer Zuneigung durchströmte die Liebenden.

Als Jakob an diesem Abend aus Die Nacht von Lissabon vorlas und Rachel mit hochgezogenen Beinen neben ihm auch der Couch hockte, war sie ungewöhnlich ernst. Wenn Jakob sie ansprach, antwortete Rachel nur einsilbig. Er merkte, dass sie bedrückt war, da sie ihn aber bat, weiter vorzulesen, fragte Jakob nicht weiter nach, sondern fuhr fort. Er kannte Rachel inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie unfähig war, Sorgen und Probleme lange mit sich herumzutragen. Sie würde also bald von selbst sprechen. Jakob hatte schon eine Stunde vorgelesen, als Rachel aufstand und mit einer Flasche Bier für Jakob zurückkam. „Kein Wein heute?“ „Nein, ich bleibe bei Wasser, bitte lies weiter.“ Jakob schüttete sich ein Glas Bier ein und las weiter vor. Rachel hatte sich dabei so gehockt, dass ihr Kopf auf der Rückenlehne der Couch ruhte und ihr Rücken an Jakobs Arm lehnte. Als Jakob wieder einmal eine Lesepause einlegte, um an seinem Bier zu trinken, setzte sich Rachel auf und stellte ihre Füße auf den Boden.
     „Jakob, ich bin tief beunruhigt über das, was sich in unserem Land entwickelt. Ich will nicht in einem Land leben, in dem Intoleranz Normalität ist.“
     „Liebes, ich glaube, unser Land ist eine stabile Demokratie und Intoleranz wird von der großen Mehrheit nicht geduldet.“
     „Aber du siehst doch, was fast täglich geschieht. Brennende Flüchtlingsunterkünfte und Angriffe auf mit Flüchtlingen besetzte Busse sind doch fast an der Tagesordnung.“
     „So sehr ich das alles verurteile, trotzdem bleibt es eine Randerscheinung.“
     „Jakob, willst du warten, bis statt Häusern Menschen brennen?“
     „Um Gottes willen, Rachel! Wo denkst du hin? Ich will eine offene Gesellschaft und ich bin bereit unsere Werte zu verteidigen.“
     „Ich will dich nicht kränken, Schatz. Aber nach all dem, was unter den Nazis in unserem Land geschehen ist, müssen doch auch bei dir alle Alarmlampen angehen.“
     Jakob legte einen Arm um Rachel. „Ich bin alarmiert über jeden dieser Vorfälle. Aber ich sehe mit Optimismus in die Zukunft. Sie werden nicht durchkommen mit ihrer Menschenverachtung.“
     „Ich möchte am liebsten weglaufen. Aber dann sage ich mir, wenn ich weglaufe, überlasse ich den Spinnern das Feld.“
     „Wo sollten wir auch hin? Ich habe nur dieses Land. Du hast immer noch eine zweite Staatsangehörigkeit. Du besitzt einen israelischen Pass.“
     „Ich habe auch nur dieses Land. Nach Israel könnte ich nur dann, wenn es zu einem Friedensschluss mit den Palästinensern käme. Die Besetzung der Westbank und die Blockade des Gazastreifens müssen beendet werden. Nur dann kann es Frieden geben. Da ich das nicht erwarte, bleibt auch mir nur dieses Land.“
     „Ein Glück.“
     „Wieso?“
     „Ich will nicht verlassen werden.“
     „Ich würde dich nicht verlassen. Du müsstest schon mitkommen.“
     „Ich bin kein Jude, ich kann nicht mit.“
     „Doch, wenn wir vorher heiraten.“
     „Bitte Rachel, dann lass uns das Thema beenden und wir sprechen über unsere Hochzeit.“
     Rachel hatte sich inzwischen wieder entspannt, zog wieder die Beine an und lehnte sich an Jakobs Schulter. „Jakob, willst du ablenken?“
     „Nein, aber wir können das Problem nicht lösen und am Donnerstag gehen wir zur Demo.“
     „Ja, ich weiß.“
     „Also, klären wir, wann wir heiraten wollen. Ich denke an Januar.“
     „Das geht mir jetzt zu schnell! Ich dachte eher an Mai, oder so.“
     „Bitte, Rachel, bitte bald.“
     „Gut, dann lassen wir es trotzdem langsam angehen. Ein wenig Zeit für die Vorbereitungen brauchen wir schon, und mit unseren Eltern müssen wir auch noch sprechen.“
     „Ja sicher, aber vorher müssen wir sicher sein, was wir selbst wollen.“
     „Was ich möchte, weiß ich, keinerlei Aufsehen!“
     „Das heißt?“
     „Ich möchte nur standesamtlich heiraten. Ohne Feier – vielleicht ein Mittagessen mit den Eltern.“
     „Werden Hannah und Chajm da nicht traurig sein? Eine Hochzeit ohne Rabbiner?“
     „Doch, aber es ist unsere Hochzeit.“
     „Ohne Aufsehen, das gefällt mir. Und da meine Eltern keiner Kirche angehören, werden sie es für normal halten, dass wir nur standesamtlich heiraten.“
     „Und wie werden sie auf die ausfallende Feier reagieren?“
     „Das weiß ich nicht. Aber wir leben jetzt schon als Mann und Frau zusammen. Da fände ich es pervers, unsere Unterschriften auf einer Heiratsurkunde zu feiern.“
     Rachel küsste Jakob auf die Wange. „Wir lassen es ruhig angehen. Anfang Januar gehen wir zum Standesamt und wenn alles gut geht, heiraten wir im Februar.“
     „Was für einen Ring möchtest du?“
     „Jakob, ich halte einen Ring für keine gute Idee. Ich trage nie einen, da ich das als Blinde für gefährlich halte. Das mag zwar übertriebene Vorsicht sein, aber bitte lass uns ohne Ringe leben.“
     „Ich bin da nicht dogmatisch, wir lassen nicht nur die Feier weg, wir pfeifen auch auf Ringe.“ Jakob grinste und führte Rachels Hand zu seinem Mund, damit sie seine breit gezogenen Lippen wahrnahm.
     Zufrieden stand Rachel auf und holte doch noch für beide Wein. Sie saßen aneinander gelehnt auf der Couch und schwiegen.

Am Montagabend rief Herr Hassels an und fragte Jakob, ob er am Donnerstag um achtzehn Uhr am Flüchtlingsheim sein könne, da noch Ordner benötigt würden. Eigentlich war das zu früh für ihn, er sagte aber trotzdem zu und bat nur darum, dass jemand Rachel auf dem Erlenweg abholen müsse, da er es auf keinen Fall schaffen würde, vorher noch zu Hause vorbei zu fahren. Herr Hassels antwortete, das sei kein Problem, seine Frau würde das übernehmen. Rachel fand es doof, ohne Jakob zur Demo zu gehen, sah aber ein, dass Herr Hassels Bitte einen wichtigen Grund haben musste. Er tröstete sie und meinte, es ginge ja nur um den Weg zum Flüchtlingsheim, dort würde er sie in Empfang nehmen. Nachdem sie gegessen hatten, äußerte Rachel den Wunsch, nach der Tagesschau eine Krimiserie auf WDR anzusehen. Jakob fand die Serie langweilig, sagte aber nichts, da er fand, er hätte sich einen Abend ohne Vorlesen verdient. So saßen sie auf der Couch, erregten sich bei der Tagesschau über einige Sätze, die ein Redner bei einer Demonstration der Pegida losgelassen hatte und sahen danach die Krimiserie. Obwohl Jakob, wie gewohnt, Erklärungen zu den Fernsehbildern gab, merkte Rachel sehr gut, dass ihn der Film nicht sonderlich interessiert. Nach dem Ende der Serie kuschelte sie sich an ihn. „Vorlesen oder kitzeln, du hast die Wahl“, flüsterte sie in sein Ohr. Jakob antwortete nicht, sondern ging in die Küche, holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank und stellte sie zusammen mit zwei Gläsern im Schlafzimmer auf den Nachttisch. Es ist alles vorbereitet, sagte er und Rachel, die sein Tun aufmerksam verfolgt hatte, fragte lachend, wo denn das Buch sei. Jakob setzte sich neben sie und küsste sie ausgiebig auf Gesicht und Hals. Danach fingerte er an den Knöpfen ihrer Bluse herum. Rachel ihrerseits versuchte sich mit Lippen und Zunge an Jakobs Ohrläppchen, was Jakob einen Moment aus dem Konzept brachte und es Rachel ermöglichte, sich ihrer Bluse zu entledigen. Jakob streifte Rachel das Hemd von den Schultern, küsste ihre Brüste und zog sie hinter sich her ins Schlafzimmer. Beide legten die restlichen Kleidungsstücke ab und verschwanden erst einmal unter der Bettdecke. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatten, setzte sich Jakob auf, öffnete die Sektflasche und schenkte beiden ein Glas ein.

„Wir leben wie die Fürsten, Sekt bereits am Montag, das nenne ich nobel“, bemerkte Rachel, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte.
     „Och Süße, ich dachte, da du ab morgen frei hast, könnten wir uns einmal etwas leisten.“
     „Ich kann ja morgen ausschlafen, aber du musst raus, mein Lieber.“
     „Und was treibst du morgen, so ganz ohne mich?“
     „Jetzt bilde dir nur nicht zu viel ein, mein lieber Jakob. Ich kann meine Zeit ganz gut ohne dich verbringen.“
     „Oh schade, ich dachte, ich bin unentbehrlich für dich.“
     Rachel kuschelte sich an. „Das bist Du auch.“
     Jakob streichelte Rachel über die Haare. „Und wie verbringst du nun deine Zeit?“
     „Sei nicht so neugierig! Ich treffe mich mit Susanne. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen.“
     „Bist du zurück, wenn ich Feierabend habe.“
     Jakob erhielt einen Knuff. „Natürlich, nach einem Tag ohne dich, leide ich unter Entzug.“
     „Am Mittwoch nehme ich mir frei, sozusagen für die Weihnachtseinkäufe.“
     „Weihnachtseinkäufe?“
     „Ja sicher. Wenn das Wetter mitspielt, kaufen wir Fisch für die Weihnachtstage und wandern in der Heide.“
     „Ach ja, das wäre schön, das haben wir schon länger nicht mehr gemacht.“

Rachel trank ihr Glas leer und reichte es Jakob, der es ihr auffüllte. Nach einem Schluck verkroch sie sich unter die Decke und begann damit, Jakob mit den Fingerspitzen beider Hände zu streicheln und zu massieren. Als Rachel die Umgebung seines Geschlechts erforschte, warf Jakob die Decke beiseite und zog Rachel näher zu sich heran. Sie setzte sich zwischen Jakobs gespreizte Beine, er reichte ihr das Sektglas und beide tranken aus. Auch Jakob setzte sich auf und so saßen sie sich Auge in Auge, ihre Körper dicht beieinander, gegenüber. Ihre Finger glitten dabei liebkosend über die Körper, Rachel lehnte sich etwas nach hinten und Jakob zeichnete mit seinen Fingern die Form ihrer Brustwarzen nach. Als Rachel es nicht mehr aushalten konnte, ließ sie sich auf die Matratze sinken. Jakob spürte das Beben ihres Körpers, drehte sie zur Seite, drang in der Beuge ihrer Schenkel hockend in sie ein und massierte dabei ihre Brüste. Während Jakob ermattet neben Rachel sitzen blieb, hatte er den Eindruck, Rachel schwebe über dem Bett. Immer noch ging ihr Atem stoßweise und als sie sich etwas beruhigt hatte, schob sie ihren Kopf auf Jakobs Schoß. Jakob streichelte ihr zuerst über die Haare und zog dann mit einem Finger die Formen von Rachels Gesicht nach. Es war schon spät, als Jakob den Rest des Sekts auf die Gläser verteilte. Rachel meinte, sie sei ein wenig beschwipst, woraufhin Jakob entgegnete, das mache sie noch verführerischer. Er erhielt für seine Bemerkung einen Knuff. Dann stand Rachel auf, um ins Bad zu gehen. Jakob nutzte diesen Moment, um sich mit einem Klaps auf Rachel Hinterteil für den Knuff zu rächen. „Mann schlägt keine Frau“, hörte Jakob Rachel fröhlich rufen, während sie das Zimmer verließ.

Rachel war noch verschlafen, als Jakob in der Frühe zur Morgentoilette ging. Einen Moment blieb sie noch liegen, atmete ruhig weiter unter ihrer Decke, stand dann aber entschlossen auf und ging in die Küche. Sie setzte Kaffee an und bereitete das Frühstück für Jakob vor. Sie schnitt Brot, als ihr die Idee kam, Eier und Speck zu braten. Rachel war bewusst, dass die Idee verrückt war und dass Jakob verstört reagieren würde, wenn er aus dem Bad kam. Während sie noch mit der Pfanne hantierte, kam ihr in den Sinn, es wäre gerade jetzt schön, wenn sie nicht blind wäre. Ihr Wunsch, Jakobs dummes Gesicht zu sehen, war überwältigend. Jakob war schon im Bad verwirrt, als ihm der Duft von gebratenem Speck in die Nase stieg. Als er fertig angezogen in die Küche kam, stockten überrascht seine Schritte. Auf dem Tisch standen zwei Teller mit gebratenem Speck und Spiegeleiern. Auf jedem Teller lag zusätzlich eine mit Butter belegte Scheibe Brot. Rachel umarmte Jakob, als hätte sie ihn lange vermisst. Nach einem herzhaften Kuss auf den Mund, küsste Jakob Rachel auf den Hals.
     „Habe ich etwas verpasst?“
     „Nein, mein Mann. Ich bin froh, dass ich dich verwöhnen kann, jetzt wo ich nicht zur Arbeit muss. Und eigentlich bin ich sauer, ich würde so gerne das dumme Gesicht sehen, dass du gerade machst.“ Rachel betastete ausgiebig Jakobs Gesicht.
     „Wieso meinst du, dass ich ein dummes Gesicht mache?“
     „Ach komm, ich fühle das doch.“
     „Ja, gut, du hast recht. Das sage ich aber nur, weil du ein Dotz bist.“
     „Danke für deine Ehrlichkeit. Ich gehe nur kurz ins Bad und mache mich schnell gesellschaftstauglich, dann frühstücken wir. Landfein mache ich mich, wenn du aus dem Haus bist.“
     „Schön, ich warte auf dich, mein Schatz.“
     Schon nach wenigen Minuten kam Rachel wieder und goss Kaffee ein. „Guten Appetit Liebster.“
     „Guten Appetit, mein Dotz.“
     „Weißt du, was du bist? Du bist ein Zöbbel!“
     „Zöbbel? Was ist denn das für ein Wort?“
     „Weiß ich doch nicht, aber du bist ein Zöbbel, basta! Und wenn du es nicht glaubst, guck einfach in den Spiegel, dann weißt du, was ein Zöbbel ist.“
     Während beide aßen, verspürte Rachel weiteren Gesprächsbedarf. „Ich treffe mich mit Susanne in der Fußgängerzone von Benrode. Ich könnte vom Metzger Gehacktes mitbringen und dann koche ich für dich Spaghetti mit Tomatensauce. Hast du Lust darauf?“
     „Meine Süße, ich glaube beinah, in dir schlummert eine Hausfrau. Ja, ich mag Spaghetti mit Sauce und wenn du das Gehackte bei Biometzger kaufst, mag ich die Sauce noch viel lieber.“
     „Du sollst dein Biofleisch bekommen. Auch Parmesan?“
     „Gerne.“
     „Okay, ich glaube aber nicht so sehr an meine Fähigkeiten als Hausfrau.“
     „Schatz, das war scherzhaft gemeint. Die Hausfrau ist für mich ein Relikt vergangener Zeiten. Ich bin stolz darauf, eine so selbstständige und selbstbewusste Frau zu haben.“
     „Und weißt du was? Ich bin stolz darauf, einen Mann zu haben, dem offensichtlich keine Arbeit im Haushalt fremd ist. Bist du fertig mit essen?“
     „Ja, ich habe genug.“
     „Dann bleib sitzen, du hast noch Zeit. Ich räume ab.“

Jakob schüttelte den Kopf, während Rachel abräumte, eine Frau mit so vielen Fassetten war ihm bisher noch nie begegnet. Jakob bewunderte Rachels Formen, die sich unter ihrem Morgenmantel abzeichneten, als sie sich mit fließenden Bewegungen in der Küche bewegte. Als Rachel die nächsten Teile vom Tisch räumen wollte, versetzte sie Jakob einen Knuff. „Schau mich nicht so schamlos an, du Wüstling“, bemerkte sie dazu. Jakob, der mit dem Seitenstoß gerechnet hatte, war in diesem Moment der Schnellere. Er griff sich seine völlig überraschte Frau, legte sie scherzhaft über das Knie, zog ihren Morgenmantel hoch und versetzte ihr einen Klaps auf den entblößten Po.
     „Hab ich dich doch erwischt, du Luder.“
     „He, was bildest du dir ein, eine wehrlose Frau zu verprügeln. Ich ziehe jetzt sofort ins Frauenhaus.“
     „Och, mein Schatz, das ist keine gute Idee.“
     „Und wieso nicht, du Wüstling?“
     „Du würdest etwas vermissen.“
     „Und was bitte?“
     „Im Frauenhaus sind Männer nicht erwünscht.“
     „Vielleicht habe schon ich die Nase voll von Männern.“
     „Den Eindruck hatte ich bis eben nicht.“
     „Es ist eine spontane Erkenntnis, die gerade so über mich gekommen ist.“

Als Jakob nicht antwortete, trat Rachel zu ihm, drückte sein Gesicht vor ihren Bauch und beugte sich zu ihm hinab. „Komm nicht so spät heute Abend, ich warte auf dich“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Ich bin noch nicht weg, aber ich spüre schon jetzt die Sehnsucht, die mich immer überfällt, wenn ich das Haus ohne dich verlasse.“ Jakob erhielt einen weiteren Knuff und einen Kuss von oben auf den Kopf. Während Rachel weiter abräumte und das Abwaschwasser einfüllte, machte sich Jakob fertig zum Gehen. Als er bereit war, zur Arbeit zu fahren, brachte Rachel ihn zur Tür. Der Abschiedskuss, den sie ihm gab, war leidenschaftlich und versprach einen erotischen Abend. Als Jakob in das dämmrig beleuchtete Treppenhaus ging, folgte sie ihm bis auf den Treppenabsatz. Als er sich an der Haustür umdrehte, traute er seinen Augen nicht. Rachel hatte den Morgenmantel abgestreift und stand nackt auf dem Treppenabsatz. „Geh rein, sonst erkältest du dich noch“, rief Jakob von unten. „Quatschkopp“, schallte es zurück. Während er noch einen Moment verharrte, winkte Rachel ihm zu und verschwand in der Wohnung. Zurück in der Küche, stellte Rachel das Radio an. Sie widmete sich dem Abwasch und summte bei Musikstücken, die sie mochte, leise mit. Nebenbei achtete sie auf die Zeitansagen, das war ihr während ihrer Arbeit angenehmer, als an ihrer Blindenuhr herum zu fingern. Später holte sie ihre ausgiebige Morgentoilette nach und zog sich sorgfältig mit den Kleidungsstücken an, die sie bereits am Vortag von Jakob hatte begutachten lassen. Danach stellte Rachel fest, dass sie immer noch massig Zeit hatte. Darum schnappte sie sich ein Staubtuch und ging, so wie sie es sich angewöhnt hatte, nach einer festgelegten Methode einmal an allen Wänden des Wohnzimmers entlang, führte das Staubtuch über alle Möbelstücke und die Fernsehbank, sowie über die Bilder, die Jakob inzwischen zur Dekoration aufgehängt hatte. Als danach immer noch Zeit war, machte sich Rachel im Bad zu schaffen, auch dafür hatte sie einen ausgefeilten Plan entwickelt. Kurz bevor sie gehen musste, machte sie noch die Betten. Innerlich lachte Rachel sich über ihre Aktivitäten selbst aus, denn Jakob achtete streng darauf, dass die Hausarbeit gleichmäßig auf beide verteilt war und außerdem gab es immer noch die Putzhilfe, die jeden Donnerstag nach dem Rechten sah. Während Rachel mit schnellen Schritten auf dem Weg nach Benrode war, kam ihr Jakob in den Sinn. Obwohl sie sich für eine sexuell einigermaßen erfahrene Frau hielt, wusste sie nicht, was mit ihr passiert war, seit sie mit ihm zusammen war. Als sie mit Ben zusammengelebt hatte, war ihre gegenseitige Begierde bereits nach wenigen Wochen erloschen. Die Männer vor Ben waren eher Zufallsbekanntschaften, die sie nach einigen Wochen satthatte. Liebschaften eben, wie Heinz so etwas nannte. Bei Jakob hatte sie im Moment eher den Eindruck, dass ihr gegenseitiges Begehren von Tag zu Tag wuchs. Als sie Benrode erreichte, kam ihr Susanne bereits entgegen. „Musstest du warten?“ „Wo denkst du hin, Rachel. Du bist vor der Zeit gekommen.“ Die beiden jungen Frauen umarmten sich mit einem Kuss auf die Wangen. Da es noch zu früh zum Essen war, spazierten sie durch den Schlosspark. Rachel verweilte gerne dort, kam aber nur selten dorthin, da der Park zu beengt für ihre ausgedehnten Wanderungen war. Was ihr hier gefiel, war die Atmosphäre. Als Jugendliche hatte sie sich von ihren Eltern alles, was es im Park und um das Schloss herum zu sehen gab, erklären lassen und auch die im Schloss untergebrachten Museen besucht. Eine kurze Stecke gingen die Frauen schweigend nebeneinander her, gerade so lange, wie Rachel sich auf den Verkehr konzentrieren musste.

„Ist inzwischen eine neue Trauerweide auf der Insel gepflanzt worden?“
     „Nein, Rachel, man streitet sich noch, ob nur eine Trauerweide oder eine Trauerweide und eine Pappel gesetzt werden sollen.“
     „Wieso?“
     „Auf historischen Bildern des Schlosses ist eine solche Bepflanzung zu sehen.“
     „Historisch oder nicht, sie sollen endlich einen oder zwei Bäume pflanzen.“
     „In deinem Gesicht sehe ich ein Strahlen, du scheinst dich in einer sehr glücklichen Phase deines Lebens zu befinden, Rachel.“
     „Ich bin sehr glücklich, Susanne.“
     „Ist Jakob der Richtige?“
     „Ich habe noch nie für einen Mann solche Gefühle entwickeln können. Und die Gefühle werden erwidert.“
     „Und wie ernst ist es ihm.“
     „Ernster, als es mir anfangs war. Wir werden heiraten.“
     „Große Feier?“
     „Nein, wir leben als Mann und Frau zusammen, da sehen wir keinen Anlass, die Unterschrift auf einer Urkunde groß zu feiern.“
     „Schade, ich mag große Hochzeiten.“
     „Susanne, hältst du es gut ohne die Kinder aus?“
     „Sicher, Jochen hat schon Urlaub, der ist ganz froh, wenn ich ihm die Kinder überlasse. Aber du lenkst ab, Rachel.“
     „Ich lenke nicht ab, es gibt nichts weiter zu berichten von Jakob und mir.“
     „Oh doch. Wie ist er? Jetzt lass deine Lobeshymnen weg und erzähle realistisch von ihm.“
     „Nein, Susanne, von Jakob kann ich nicht realistisch sprechen. Wir lieben uns zu sehr. Zwischen uns gibt es ein Band, wir sind oft wie eine Person. Wir handeln synchron und wir sind unzertrennlich. Du wirst das nicht verstehen, aber wir sitzen lange Abende zusammen und Jakob liest mir vor. Du glaubst nicht, wie wichtig solche Abende für mich sind.“
     „Jakob liest dir vor? Fantastisch!“
     „Und ein Mann, der sich für mich niederschlagen lässt, ist mir auf jeden Fall vorher noch nie untergekommen. Ich fühle mich bei ihm geborgen, ich fühle mich in meiner Mitte angekommen.“
     „Oh je! Meine superrealistische Freundin Rachel ist unter die Räder gekommen. Und was war das mit dem Zusammenschlagen?“
     „Ben hat irgendwie etwas von Jakob und mir erfahren. Er hat daraufhin Jakob überfallen und knockout geschlagen.“
     „Mein Gott. Wie konntest du nur an diesen blöden Ben geraten?“
     „Ich wollte von zu Hause weg und brauchte einen Vorwand dafür. Aber Quatsch, ich glaubte Ben zu lieben. Der größte Fehler meines Lebens. Ich mache mir wahnsinnige Vorwürfe. Und dann greift er uns auch noch vor unserer Wohnung an. Hast du davon gelesen? Es stand in der Zeitung.“
     „Oh, ihr wart das. Verdammt, warum hast du dich nicht bei mir gemeldet?“
     „Ich wollte euch nicht beunruhigen. Es ist ja auch gut gegangen.“
Inzwischen war es Zeit zum Essen, und so verließen Susanne und Rachel den Schlosspark. Sie suchten sich eine ruhige Ecke in einem nahe am Schlosspark gelegenen Restaurant. Rachel hatte nach dem üppigen Frühstück keinen großen Hunger und bestellte sich lediglich einen Salatteller, während Susanne sich eine Schlachtplatte gönnte. Kaum hatten beide Frauen die Bestellung aufgegeben, setzten sie ihr Gespräch fort.
     „Glaubst du, dass Ben jetzt Ruhe gibt?“
     „Ich denke schon, immerhin hat er jetzt zwei Verfahren am Hals – wegen Körperverletzung und Beleidigung. Ich glaube, es wird auch wegen Landfriedensbruch gegen ihn ermittelt.“
     „Wenn ich den Artikel in der Zeitung richtig verstanden habe, hat euch Ben auf das Übelste beschimpft.“
     „Das kannst du laut sagen. Aber darüber sind wir eigentlich hinweg. Es ist zwar wirklich nicht angenehm, wenn mich dieser Typ als Judenhure tituliert, aber schlimmer für mich ist, dass jetzt die ganze Straße über meine Herkunft Bescheid weiß.“
     „Du versteckst doch sonst deine Abstammung auch nicht, Rachel.“
     „Nein, aber die Anonymität fand ich angenehm. Niemand wusste, dass ich Jüdin bin, genauso, wie ich nicht weiß, ob meine Nachbarn Christen oder sonst was sind. Es ist nicht immer einfach für Juden, wenn ihre Herkunft bekannt wird. Antisemitismus gibt es überall.“
     „Und Jakob hast du sofort gesagt, dass du Jüdin bist?“
     „Nein, wir haben zuerst miteinander geschlafen. Er hat es dann nach einer Bemerkung von mir selbst herausgefunden. Aber schlimmer als die Sache mit Ben war für mich, dass es Anfeindungen aus meiner eigenen Familie gab. Mit so etwas habe ich nie und nimmer gerechnet. Das ist jetzt zwar bereinigt, aber der Zorn nagt immer noch in mir.“
     „Es gab Probleme mit Chajm und Hannah?“ Fragte Susanne ungläubig.
     „Nein mit Jojakim.“
     „Ach, dem Wächter der Moral. Das hätte ich mir fast denken können.“
     „Das war ganz furchtbar, er hat mir einen Brief geschrieben. Ich bat Jakob den Brief vorzulesen, aber das konnte er nicht, denn er war in Hebräisch verfasst. Also bin ich damit zu Aba gegangen. Der Inhalt des Briefes war derart, dass es uns allen den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Aber ein Wort hat mich besonders auf die Palme gebracht. Er hat meinen Mann einen Hurenbock genannt. Mein Vater hat Jojakim wohl daraufhin zur Rede gestellt und als Tikvah von dem Brief erfuhr, hat sie ihm ordentlich den Kopf zu Recht gerückt. Auf jeden Fall war Jojakim in seinem nächsten Brief ganz kleinlaut und hat sich bei uns entschuldigt.“
     „Habt ihr die Entschuldigung angenommen?“
     „Susanne, ich sage es einmal so, Jakob hat da kein großes Problem damit. Mich aber wurmt das immer noch. Ich lasse die Worte, mit denen er mich belegt hat, lieber weg. Doch genau diese Formulierungen sind es, zu denen Jakob dem Kerl so richtig seine Meinung gesagt hat. Wenn Jakob auch nur den Verdacht hegt, jemand würde mich beleidigen, reagiert er heftig. Da musste sich mein Bruder warm anziehen.“
     „Ich glaube, du hast einen Mann gefunden, den es lohnt zu lieben.“
     „Sag ich doch, Susanne! Jakob lässt dir übrigens ausrichten, er würde dich und Jochen gerne kennenlernen. Wir laden euch deshalb zum Essen ein. Wenn ihr mit den Kindern kommen wollt, zu Mittag, ansonsten am Abend. Wir kochen nicht schlecht zusammen.“
     „Das klingt gut und wir nehmen die Einladung gerne an. Die Einzelheiten besprechen wir später. Aber in diesem Jahr wird das wohl nichts mehr.“
     „Nein, das ist klar, Susanne. Wir haben keine Eile, wir sind zum Glück nicht auf der Flucht. Jetzt mache ich aber noch Werbung für die Demo in Haselholt am Donnerstag, du hast sicher die Ankündigung in der Zeitung gesehen.“
     „Ja, habe ich. Jochen hat am Donnerstag einige Termine, meint aber, er schafft es leicht zur Demo.“

Die beiden Frauen trennten sich am frühen Nachmittag in der Fußgängerzone. Rachel ging noch einkaufen und begab sich dann, da es bereits später als geplant war, zur Bushaltestelle. Dort traf sie auf Frau Müller. Rachel hätte sich am liebsten selbst in den Hintern getreten, dass sie nicht zu Fuß gegangen war. Sie ließ sich das aber nicht anmerken, und ging freundlich auf Frau Müllers belangloses Gerede ein. Der Bus hatte wieder einmal Verspätung und Rachel verspürte erneut den Wunsch sich in den Hintern zu treten. Als er endlich kam, war sie ziemlich genervt, immerhin wäre sie zu diesem Zeitpunkt fast schon zu Fuß zu Hause gewesen. Jetzt fand sie Frau Müllers Anwesenheit durchaus nützlich. Mit einer Begleitung an ihrer Seite, fand sie sich im Gedränge besser zurecht. An der Haltestelle war viel los, da sich schon die ersten Fahrgäste für den darauffolgenden Bus eingefunden hatten. Im Bus sprach Frau Müller sofort den Fahrgast an, der es sich auf dem Behindertensitz bequem gemacht hatte und bat diesen, den Platz für Rachel zu räumen. Der Mann reagierte unerwartet. Er wandte sich an einen anderen Mann, der wohl sein Kumpel war und auf der anderen Seite des Ganges saß. Beide machten einen ziemlich alkoholisierten Eindruck.
     „Du Jack, hast du das gehört? Ich soll für die Fotze Platz machen. Das ist doch die Judenhure, die Ben einige Zeit gefickt hat.“
     „Ja, ich erkenne sie, Rassenschande war das. Zum Glück hat Ben schnell erfahren, dass sie eine Judensau ist und hat der Hure den Laufpass gegeben. Und diese freche Alte spielt ihre Gehilfin – sicher ist die auch so eine Judensau.“
     Rachel reagierte entsetzt und ging zum Busfahrer, „bitte öffnen sie die Tür. Wir möchten den Bus verlassen.“
     „Ja, haut ab“, grölte einer der Männer, „dann stinkt es hier auch nicht mehr so.“
     Der Busfahrer schüttelte den Kopf. „Nein, junge Frau, sie und ihre Begleiterin bleiben. Die beiden Typen verlassen den Bus. So etwas dulde ich in meinem Bus nicht. Jetzt aber raus mit euch, ihr Saufköpfe.“
     Unerwartet tauchte Kommissar Jansen auf. „Lassen sie bitte die Tür noch zu, ich habe bereits meine Kollegen drüben in der Polizeidirektion verständigt, die sind sofort hier und nehmen die feinen Herrschaften in Empfang.“
     Um den Bus versammelten sich an die acht Polizisten, Jansen gab dem Fahrer ein Zeichen und dieser öffnete die Tür. „Bitte, meine Herren, ihre Reise endet hier. Meine Kollegen begleiten sie.“
     Dann wandte sich der Kommissar an Rachel und Frau Müller. „Ihre Personalien habe ja ich bereits. Ich brauche aber noch die Personalien von den übrigen Anwesenden hier in der Nähe und natürlich vom Fahrer.“

Als die Daten aufgenommen waren, setzte der Bus seine Fahrt fort. Rachel saß verstört auf dem Sitz. Frau Müller stand neben ihr. Plötzlich brach es aus Frau Müller heraus. „Antisemitisches Pack! Geben die den niemals Ruhe? Millionen von Toten haben ihre Vorgänger hinterlassen. Das muss jetzt aufhören!“ Sie sagte es laut, fast klang es wie ein Schrei. Und dann geschah etwas, was Rachel an den Rand des Zusammenbruchs brachte – erst klatschten einige, dann alle Fahrgäste Beifall.

Als Jakob am Abend nach Hause kam, stieg ihm bereits in der Diele ein verführerischer Essensduft in die Nase. Freudig erregt legte er seine Jacke ab und eilte in die Küche. Rachel stand am Herd und hatte dort bereits das Nudelwasser so weit angewärmt, dass es schnell zum Kochen gebracht werden konnte. Als Jakob Rachel näher kam, fuhr ihm der Schreck in die Glieder. Ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen. Sie hatte, obwohl sie allein in der Wohnung war, ihre dunkle Brille aufgesetzt, unter der Tränen über ihre Wangen liefen. Als Rachel ihn bemerkte, verstärkte sich der Tränenfluss und Rachel wirkte auf Jakob unbeschreiblich zerbrechlich.
     „Um Gottes willen, Rachel! Was ist passiert? Du siehst erschreckend aus!“
     Rachel schluchzte. „Halt mich fest, Jakob. Ich kann nicht mehr.“
     Jakob nahm Rachel in den Arm. „Was ist, bitte sag mir, was mit dir ist.“
     Rachel schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht!“
     „Wie kann ich dir helfen, wenn du nicht mit mir sprichst?“
     „Bitte, Jakob, halte mich einfach fest. Bitte!“
     „Komm, komm, Liebste.“ Jakob drückte Rachel fest an sich und schwieg. Wenn er nur gewusst hätte, worum es ging, wäre ihm wohler gewesen.
     „Jakob, geh bitte zu Frau Müller und lade sie zum Essen ein.“
     Völlig perplex ließ Jakob Rachel los und hielt sie dann bei den Schultern. „Wie bitte?“
     „Frag bitte nicht. Tu, was ich sage! Wenn Frau Müller dabei ist, fällt es mir leichter zu sprechen.“

Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, streichelte Jakob Rachel kurz über das Haar und ging dann achselzuckend zu Frau Müller. Zu seiner Verwunderung reagierte Frau Müller nicht einmal überrascht, als Jakob die Einladung aussprach. Sie fragte nur, um welche Uhrzeit sie kommen solle. Als Jakob ihr sagte, nach seiner Kenntnis, meinte seine Frau sofort, nickte sie und sagte, dass sie in ein paar Minuten kommen würde. Wieder in der Wohnung angekommen, sah Jakob, dass sich Rachel etwas beruhigt hatte. Sie bat ihn, das Nudelwasser zum Kochen zu bringen, zu salzen und dann die Nudeln zu kochen. Dann ging sie ins Bad und machte sich frisch. Jakob hatte gerade die Nudeln ins Wasser gekippt, als Frau Müller schellte. Rachel öffnete die Tür und Jakob hörte Frau Müller fragen, wie es Rachel jetzt ginge. Es ginge schon, hörte Jakob Rachel antworten. Als die beiden Frauen in die Küche kamen, konnte sich Jakob immer noch keinen Reim auf das Ganze zu machen. Rachel aber begann damit den Tisch zu decken, wobei ihr Frau Müller half, als wäre das, das normalste der Welt. Als die drei am Tisch saßen und alle bedient waren, konnte Jakob sich nicht länger beherrschen.
     „Kann mir bitte mal jemand sagen, was eigentlich los ist?“ Rachel schossen sofort wieder die Tränen in die Augen. „Bitte reg dich nicht auf, Liebste.“
     „Herr Hausmann, es ist im Moment wohl besser, wenn ich rede. Frau Cohen wurde im Bus auf das Übelste beleidigt.“
     „Von wem? Wieso?“
     „Es waren wohl zwei Freunde vom Ex ihrer Frau. Besoffen natürlich.“
     Jakob schwante schlimmes. „Du bist mit dem Bus gefahren?“
     „Ja, ich hatte mich mit Susanne etwas verquatscht und da dachte ich, mit dem Bus käme ich schneller nach Hause. An der Haltestelle habe ich Frau Müller getroffen.“
     „Ja, und als wir in den Bus eingestiegen sind, habe ich den Mann, der auf dem Behindertensitz saß, gebeten, den Platz für Frau Cohen freizugeben.“
     „Und dann?“
     „Der Kerl hat Frau Cohen erkannt und seinen Kumpel auf sie aufmerksam gemacht. Dabei haben sie uns beide unglaublich beschimpft.“
     „Dann habe ich den Busfahrer gebeten, die Tür noch einmal zu öffnen, weil wir den Bus verlassen wollten.“
     „Ja, als Frau Cohen das dem Busfahrer sagte, war dieser ganz konsequent und sagte, wir sollten bleiben, er würde die Kerle aus seinem Bus werfen. Er sagte das wörtlich, aus meinem Bus. Und dann kam plötzlich der Kommissar, der bei ihnen war, als Frau Cohens Ex hier auf der Straße randaliert hat. Der hat die Kerle abführen lassen.“
     Jakob war entsetzt. „Rachel, wir müssen hier weg! Wir können hier nicht bleiben. Hier bist du in Gefahr. Wir werden das Land verlassen.“
     „Jakob, wir haben nur dieses Land, wir müssen bleiben.“
     „Bitte bleiben sie. Wenn Menschen wie sie und Frau Cohen das Land verlassen, muss ich allein mit solchen Typen hier leben.“
     Rachel suchte mit der Hand nach Frau Müller. „Wir bleiben hier, Frau Müller. Ich werde meinen Mann schon überreden.“
     „Schatz, nimm das nicht auf die leichte Schulter. Heute beschimpfen sie dich, morgen schlagen sie dich und übermorgen ermorden sie dich.“
     „Bitte, Jakob, mal den Teufel nicht an die Wand. Wir leben in einem demokratischen Land mit vielen toleranten Menschen. Du weißt nicht, was noch passiert ist.“
     „Noch mehr? Mein Gott.“
     „Nein, Schatz, es ist nichts Schlimmes. Frau Müller hat etwas getan, wofür ich ihr für immer zu Dank verpflichtet bin.“
     Frau Müller war das sichtlich peinlich, aber Rachel war nicht zu stoppen. Unter Tränen berichtete sie: „Frau Müller hat nach dem Vorfall lautstark verkündet, was sie vom Antisemitismus hält. Und anschließend haben alle Insassen Beifall geklatscht.“
     „Bitte Frau Cohen, das ist doch nicht der Rede wert.“
     „Doch Frau Müller, wie sie meine Frau unterstützt haben, ist beispielhaft.“
     „Hören sie auf! Das Essen wird sonst noch kalt und ihre Frau hat sich beim Kochen große Mühe gegeben. Es schmeckt hervorragend.“
     „Trotzdem, Danke!“

Die drei aßen jetzt schweigend und auch Jakob bemerkte, dass Rachels Sauce ausgezeichnet schmeckte. Er sah, dass sich Rachel beruhigt hatte und wieder Farbe in ihr Gesicht zurückgekehrt war. Er fühlte sich aber absolut unwohl in seiner Haut und beschloss, den Vorfall möglichst bald mit Chajm zu diskutieren. Nach dem Essen verabschiedete sich Frau Müller schnell. Sie fürchtete, Jakob könne sich zu weiteren Dankesbezeugungen hinreißen lassen. Rachel und Jakob räumten auf und spülten. Danach setzten sie sich ins Wohnzimmer, wo Rachel Jakob um einen Vorleseabend bat. Dieser lehnte ab, er wollte zuerst wissen, was genau vorgefallen war.
     „Frau Müller hat mir zwar gesagt, ihr wärt beleidigt worden. Bitte Rachel, du musst mir sagen, was genau vorgefallen ist.“
     „Bitte nicht!“
     „Doch, ich muss das wissen.“
     „Sie haben Frau Müller eine Judensau genannt. Kannst du dir das vorstellen?“
     „Und du wurdest nicht beleidigt?“
     „Doch, aber du hast mir einmal gesagt, dass ich eine drastische Sprache hätte und ich halte mich mit solchen Ausdrücken zurück, wenn es um Sexualität geht.“
     „Liebste, ich habe das nicht gesagt, damit du dich änderst. Ich bin es nicht gewohnt, dass Frauen so freizügig sprechen. Und du hast mir gesagt, wir würden eigene Worte finden und das haben wir. Worum es jetzt geht, ich etwas anderes. Du wurdest beleidigt und ich will und muss wissen, was vorgefallen ist.“
     „Auch, wenn es weh tut?“
     „Ja, auch dann. Dir tut es sowieso weh, egal ob ich Bescheid weiß oder nicht und mir tut im Moment mehr weh, dass du deinen Schmerz nicht mit mir teilen willst.“
     Rachel stiegen wieder Tränen in die Augen, Jakob nahm sie tröstend in den Arm. „Jakob, er hat zu seinem Kumpel gesagt: ‚Jack, ich soll für die Fotze Platz machen, das ist doch die Judenhure, die Ben einige Zeit gefickt hat‘. Und er hat es laut gesagt, alle haben es gehört. Alle glauben jetzt, dass ich mich von jedem ficken lasse. Und der andere hat dann noch gesagt, dass das Rassenschande gewesen wäre.“
     „Gut, gut“, Jakob nahm Rachel, die jetzt wieder hemmungslos weinte, in den Arm. „Lehne dich bei mir an. Du weißt, ich werde dich beschützen, wie mein Leben. Und niemand ist der Meinung, du würdest dich mit jedem einlassen.“
     Als Rachels Tränen versiegten, nahm Jakob ein Papiertaschentuch zur Hand und trocknete Rachels Gesicht. Rachel schluchzte noch einmal aus tiefer Verzweiflung. „Warum lassen die mich nicht einfach in Ruhe? Ich tu denen doch auch nichts.“
     „Du konntest sicher nicht ahnen, dass Ben ins rechtsextreme Milieu abrutscht.“
     „Nein, Ben hat sich auch nie politisch geäußert oder Interesse an Politik gezeigt. Und bei Aba und Ima ist er ein und ausgegangen, genau wie du.“
     „Wir können den Menschen nur vor die Köpfe sehen, mein Schatz.“
     „Aber ich hätte doch seinen Antisemitismus spüren müssen. Ich habe mit einem Mann zusammengelebt, der mein Volk und somit auch mich verachtet.“
     „Männer tun viel, um mit einer Frau ins Bett zu gehen. Dazu gehört es sicher auch, seine Überzeugungen zu verbergen. Vielleicht war es auch ein Gefühl der Macht, das Ben dabei fühlte.“
     „Macht? Wie meinst du das?“
     „Macht über eine Frau, deren Rasse er verachtet.“
     „Ich gehöre zu keiner anderen Rasse!“
     „Du bist doch eine gebildete Frau, Rachel. Du hast doch auch im Geschichtsunterricht von der Rassenideologie der Nazis gehört. Die Dumpfbacken haben eine Kleinigkeit übersehen – wir alle gehören zur gleichen Rasse, der Homo sapiens.“
     „Bitte Jakob, nimm das Buch, vielleicht beruhige ich mich, wenn du vorliest.“
     „Bleib sitzen, Schatz, ich hole uns Wein. Wir haben morgen frei, machen wir uns einen schönen Abend.“

Als Jakob mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern zurückkam, stand Rachel am Fenster, so als würde sie auf die Straße gucken. Sie hörte, dass Jakob sich in seinen Sessel setzte und den Wein eingoss. Daraufhin wandte sie sich vom Fenster ab, und kauerte sich neben Jakobs Knien auf den Teppich. Er reichte ihr ein Weinglas, aus dem sie einen großen Schluck nahm. Nachdem auch er einen Schluck getrunken hatte, nahm er das Buch und las Seite für Seite. Irgendwann merkte er, dass Rachel sich beruhigt hatte und bat sie um eine Pause. Rachel streichelte Jakobs Knie und stand wortlos auf, sie kam aus der Küche mit einer Tüte Kartoffelchips und einer Flasche Mineralwasser unter dem Arm zurück. Aus der Anrichte holte sie zwei Gläser und füllte diese mit Wasser. Dann setzte sich Rachel auf die Couch und schaltete das Heute-Journal ein. Jakob, der zwischenzeitlich zur Toilette gegangen war, kam zurück und setzte sich neben Rachel. Sie lehnte sich an seine Schulter und spielte mit der Fernbedienung. Dabei hörte sie interessiert den Nachrichten zu. Die Berichterstattung über das Leid der Kriegsflüchtlinge löste bei Rachel wieder Entsetzten aus. Jakob nahm ihr die Fernbedienung ab und wollte weiter zappen, da er nicht zu Unrecht vermutete, dass Rachel gleich wieder die Tränen in die Augen steigen würden. Aber genau in diesem Moment endete die Berichterstattung und es folgten die Wetternachrichten.

„Mensch Rachel, wir haben morgen Glück mit dem Wetter, wir werden eine ausgedehnte Wanderung in der Heide machen.“ Sagte Jakob, nach dem Ende der Wetternachrichten und zog Rachel in seine Arme.
     „Ja mein Süßer, ich freue mich. Müssen wir früh aufstehen?“
     „Nein, wir haben doch den ganzen Tag Zeit.“
     „Dann lass uns Wein trinken. Ich will den Tag vergessen. Wir streichen ihn aus unserem Leben. Und bitte mach den Fernseher aus und lese weiter vor. Aber setze dich dazu in deinen Sessel, da kann ich besonders gut an deinen Knien kuscheln.“
     „Und das hast du heute herausgefunden? Dann komm, gieße Wein ein und ich lese vor.“

Jakob saß in seinem Sessel, Rachel hatte ihr Glas so auf den Tisch gestellt, dass sie es vom Boden aus leicht erreichen konnte. Das Kapitel, das Jakob vorlas, fand Rachel ergreifend. Zwischendurch kam ihr einmal der Gedanke, dass sie sich gut eine Reise nach Lissabon vorstellen könne. Sie verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder, da sie wusste, dass sie sich in fremden Städten alleine nicht zu Recht fand, dass sie dort ganz und gar von Jakob abhängig wäre. Das erschien Rachel einerseits verlockend, da sie sich gerne seinen Führungen und Erklärungen überließ, anderseits fürchtete sie, zu viel von ihrer gewohnten Selbstständigkeit aufzugeben. Jakob las Seite um Seite und schwieg erst, als beide ihr letztes Glas Wein geleert hatten. Rachel stand auf und setzte sich auf seinen Schoss. Sie hielt ganz still und machte sich so klein, dass Jakob fast den Eindruck hatte, er hielte ein Kind auf seinen Knien. Leicht Rachels Rücken streichelnd gewann er den Eindruck, Rachel würde einschlafen, wenn er sie weiter streichelte. Er führte das auf die, für Rachel ungewöhnlich große Menge an Wein zurück, den sie im Laufe des Abends getrunken hatte. Jakob flüsterte ihr ins Ohr: „Es ist wohl besser, wenn wir jetzt schlafen gehen.“ Rachel stand unwillig auf und machte sich fertig für die Nacht. Als Jakob ihr folgte, lag Rachel zusammengekauert unter der Decke. Eigentlich hatte er erwartet, sie würde sich an seinen Rücken kuscheln, sie drehte ihm aber den Rücken zu und kuschelte sich an seine Brust. Dann zog sie Jakobs Arm über ihre Schulter, sodass dieser ihre Brust umschloss. Jakob wunderte das, da Rachel sonst immer sagte, sein Penis an ihrem Hinterteil wäre ihr nicht angenehm. Heute war das anders, Rachel schlief ein, während Jakobs Penis zwischen ihren Pobacken ruhte.

Als Jakob am Morgen wach wurde, lag Rachel noch fest eingerollt unter der Decke und atmete leicht röchelnd. Jakob war das ganz recht, er wollte, dass sie zur Ruhe kam. Leise schlich er sich aus dem Schlafzimmer, ging in die Küche und setzte die Kaffeemaschine in Gang. Danach ging er ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Er tat das sonst nie, aber heute wollte er Rachel nicht stören. Er stellt sich unter die Dusche und ließ lange heißes Wasser über seinen Körper laufen. Durch das Rauschen des Wassers bekam Jakob nicht mit, dass Rachel ins Bad gekommen war. Er bemerkte sie erst, als Rachel an die Scheibe der Duschkabinentür klopfte. Jakob stellte das Wasser ab und öffnete die Tür. Er sah, dass Rachel den Kaffee mitgebracht hatte. Er tupfte sich nur etwas ab und küsste sie auf die Stirn.
     Rachel hielt Jakob eine Tasse Kaffee hin. „Zuerst duschen oder zuerst Kaffee?“
     „Komm mein Dotz, trinken wir zuerst gemeinsam unseren Kaffee.“
     Rachel setzte sich auf den herab gelassenen Toilettendeckel, während sich Jakob auf die Duschtasse setzte. „Liebste, habe ich dich geweckt?“
     „Nein, ich wurde wach und habe dich vermisst.“
     „Hast du denn gut geschlafen?“
     „Ja, doch. Ich hatte einen furchtbaren Traum, dass Ben mich auf der Straße verfolgte und dabei wilde Verwünschungen ausstieß.“
     „Ich habe es bemerkt, du hast laut gestöhnt. Das hörte erst auf, als ich vorsichtig meine Hand auf deine gelegt habe. Rachel, du bist meine Frau und ich werde dich schützen wie mein Leben.“
     „Das weiß ich, mein Schatz. Ich habe deine Hand auf meiner bemerkt. Ich habe auch keine Angst vor diesen Typen. Aber das Leben verliert seine Leichtigkeit.“
     „Dann lass uns doch überlegen, wohin wir gehen können. Egal wohin Rachel, nur irgendwohin, wo keiner weiß, dass du Jüdin bist.“
     „Jakob, versteh mich nicht falsch. Das ist doch das, was sie wollen. Wenn wir weglaufen, haben sie gesiegt. Sie dürfen nicht gewinnen, das sind wir unserem Land schuldig.“
     „Ich werde darüber nachdenken. Komm, trink deinen Kaffee aus, dann gehen wir unter die Dusche. Mir wird kalt, so halb abgetrocknet, wie ich bin.“

Unter der Dusche merkte Jakob schnell, dass Rachel ein großes Bedürfnis nach Nähe hatte. War sie sonst sehr aktiv, wenn sie gemeinsam duschten, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und rührte sich kaum. Während das heiße Wasser auf die beiden niederprasselte, streichelte Jakob ihr über den Rücken. Nach einiger Zeit hielt er dann still und legte seine Arme um ihre Schultern. Erst als er das Wasser abstellte und damit begann Rachel einzuseifen, wurde sie lockerer und fing ihrerseits an, Jakob einzuseifen. Zum Schluss waren beide über und über mit Schaum bedeckt – Jakob fand, dass sie beide ausgesprochen lustig aussahen. Nachdem sie sich den Schaum abgespült hatten, trockneten sie sich gegenseitig ab. Rachel bat Jakob, er möge ihr die Lotion auf dem Rücken verteilen. Jakob tat das gern und mit Hingabe. Als er sich nicht auf den Rücken beschränkte, sondern intensiv begann Lotion auf Rachels Pobacken zu verteilen, erhielt er einen Knuff in die Seite. Jakob erleichterte dieser Stoß ungemein, da er ihn für eine Rückkehr zur Normalität hielt. Er bekam auch gleich die Bestätigung: „Du hast dich verirrt. Ich sprach vom Rücken, nicht vom Hintern, du Blödmann.“ Jakob küsste Rachel auf den Nacken, ein weiterer Knuff folgte als Belohnung.

Kaum saßen beide beim Frühstück, erhielt Rachel einen Anruf von der Polizeidirektion. Man bat sie, am Donnerstagvormittag gemeinsam mit Frau Müller zur Aufnahme des Protokolls zu kommen. Sie sagte zu, bat aber den Anrufer darum, sich selbst mit Frau Müller in Verbindung zu setzten. Sie hatte gerade aufgelegt und die Kaffeetasse zum Mund geführt, als wieder das Telefon klingelte. Als Jakob abhob, meldete sich am anderen Ende der Leitung Susanne. Er reichte den Hörer an Rachel weiter.
     „Hallo Susanne, was gibt’s zu so früher Stunde?“
     „Ich habe gerade die Lokalseiten in der Zeitung gelesen. Ist dir das im Bus passiert?“
     „Ja.“
     „Möchtest du mit mir darüber sprechen?“
     „Gerne, Susanne, aber nicht jetzt. Ich bin froh, dass ich im Moment darüber hinweg bin und morgen muss ich schon wieder ran, da bin ich bei der Polizei vorgeladen. So bin ich froh, mich heute ablenken zu können.“
     „Bleibt Jakob bei dir?“
     „Ja, er hat heute frei. Das ist eine echte Hilfe für mich.“
     „Du meldest dich, wenn du mich brauchst? Bitte!“
     „Das mache ich auf jeden Fall. Vielleicht können wir uns noch vor Weihnachten treffen.“
     „Rachel, du weißt, für dich nehme ich mir auf jeden Fall Zeit.“
     „Danke, Susanne.“
     „Dann mach es gut, Rachel und grüße Jakob von mir.“
     „Mach es auch gut Susanne, gib Jochen einen Kuss von mir und ich melde mich auf jeden Fall.“

Als Rachel aufgelegt hatte, trank sie ihren Kaffee aus, und hielt Jakob die geleerte Tasse zum Auffüllen hin. Rachel köpfte ihr Frühstücksei und bestrich danach gedankenverloren eine Scheibe Brot mit Butter. Jakob sah Rachel an, dass sie etwas sagen wollte, das ihr nicht recht über die Lippen kommen wollte.
     „Was ist, Liebste?“
     „Ach, Jakob, ich hatte gehofft, wir würden kitzeln, aber die beiden Telefonate haben mir die Lust genommen.“
     „Meine Liebste, wir können noch oft kitzeln. Du wirst sehen, deine Lust kommt schnell wieder.“
     „Ich weiß! Aber nach dem gestrigen Erlebnis hätte es mir sicher geholfen. Ich sag dir mal eins, mein Mann – warte bis es dunkel wird!“
     „Na, da bin ich aber gespannt.“ Beide lachten herzhaft, Jakob legte sein Brot beiseite, griff mit einer Hand nach Rachel und zupfte an ihrem Morgenmantel, sodass ihre Brust teilweise entblößt wurde.
     „Es gibt keinen Vorschuss, verstanden?“ Rachel schob Jakobs Hand sanft beiseite und schloss ihren Morgenmantel.

Nach diesem Wortgeplänkel waren beide bester Laune. Rachel verpasste nach dem Frühstück Jakob den obligatorischen Knuff und lief so schnell sie konnte aus der Küche. „Du warst wieder einmal zu langsam“, rief sie aus dem Wohnzimmer. Jakob machte sich keine Mühe, Rachel einzufangen. Während er den Frühstückstisch abräumte, grinste er still vor sich hin. Als Rachel sich wieder in die Küche traute, sagte er nur, „Warte bis es dunkel wird.“ Jakob sah Rachels schelmischen Gesichtsausdruck und war sich sicher, dass sie zumindest im Moment mit sich und ihrer Welt im Reinen war. „Angekommen in meiner Mitte“, hatte sie Jakob diesen Zustand einmal beschrieben. Jakob konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er trat hinter Rachel und umarmte sie. Rachel fühlte sich ganz weich an in – er wiegte ihren Körper leicht hin und her, ungewollt traten ihm Tränen in die Augen. Wider Erwarten hielt Rachel still, erst nach längerer Zeit entwand sie sich Jakobs Armen und da ihr gerade nicht nach einem Knuff zumute war, streichelte sie Jakob über die Wange. Ohne weitere Umstände ließ Rachel das Abwaschwasser einlaufen. „Sollten wir uns nicht eine Spülmaschine leisten, mein Schatz?“ Jakob antwortete nicht sofort, Rachel war sich nicht sicher, ob Jakob ihre Frage überhaupt mitbekommen hatte, aber als er die erste Tasse abtrocknete, antwortete er, „wir schenken uns diese Maschine zur Hochzeit.“ Während Rachel weiter am Spülbecken hantierte, überkam es sie. Zwischen dem Abwaschen zweier Frühstücksbrettchen, gab sie Jakob mit dem Ellbogen einen leichten Stoß und es platzte aus ihr heraus: „Du bist ein echter Romantiker, Jakob Hausmann. Wir schenken uns, romantisch wie wir sind, eine Spülmaschine.“ „Weiß ich selbst! Hast du dir eigentlich schon einmal Gedanken über unseren Familiennamen gemacht?“ „Nee, eigentlich nicht. Aber wenn du mich so fragst, wir behalten beide unsere Nachnamen. Oder?“ Nachdenklich trocknete Jakob weiter ab. „Das ist eine gute Idee, meine Frau.“

Als sie gespült hatten, fuhren sie mit dem Auto zum Schwalmbruch. Die Frage, ob der Stock mit müsse, hatte Rachel verneint. Dafür erschien sie überraschend mit ihrem großen Wanderrucksack. Auf Jakobs Nachfrage antwortete sie ausweichend mit einem gemurmelten „du wirst schon sehen“. Jakob hatte vorgeschlagen, nicht vom Venekotensee, sondern von einem Wanderparkplatz jenseits der niederländischen Grenze aus zu wandern. Sie war einverstanden, da er ihr versicherte, dass sie auf jeden Fall den Aussichtsturm in der Heide besteigen würden. Als sie fast am Ziel waren, riss die hochnebelartige Bewölkung auf. Jakob erklärte ihr, es sähe aus, als würde es wettermäßig ein wirklich angenehmer Tag werden.
     Er half Rachel den Rucksack, der erstaunlich schwer war, zu schultern. Auf seine Frage, was Rachel da alles mitschleppe, erhielt er diesmal die Antwort, er solle nicht so neugierig sein, das sei schließlich für Christen eine Todsünde. Sein Angebot, den Rucksack zu tragen, lehnte Rachel lachend ab. So verließen sie den Parkplatz auf einem leicht ansteigendem sandigen Weg, der schräg auf die Grenze nach Deutschland zuführte. Rachel merkte schnell, dass sie am Gewicht des Rucksacks schwer zu tragen hatte, aber ihr Stolz verbot es, doch noch Jakobs Angebot anzunehmen. Stattdessen hielt sie ab und zu an, vordergründig, um Jakob einen Kuss zu geben, in Wirklichkeit aber nur, um sich kurz zu erholen. Sie erreichten die Grenze in einem lichten Mischwald, wo Jakob Rachel den alten Grenzstein zeigte, den sie ausgiebig mit den Fingerspitzen sah.

An diesem Tag herrschte absolute Windstille, blattstill nannte Rachel solche Tage. Jakob erklärte ihr, sie würden jetzt auf der Alten Zollstraße immer entlang des Waldrands weiterwandern und fügte hinzu, es ginge nicht weiter bergauf, denn er hatte durchaus bemerkt, dass Rachel sich mit ihrem Gepäck schwertat. Rachel wollte wissen, was es mit der Zollstraße genau auf sich hätte. Er antwortet ihr daraufhin, dass er sich nur vorstellen könne, dass die Zollbeamten die Straße für ihre Patrouillenfahrten genutzt hätten. Sein Vater hätte ihm erzählt, Jakobs Großeltern wären zusammen mit Nachbarn so ein-, zweimal im Monat mit dem Auto über die Grenze gefahren, um einzukaufen – immer das Auto mit fünf Personen voll besetzt, nur mit Erwachsenen, da ausschließlich Erwachsene Freigrenzen für Zigaretten im kleinen Grenzverkehr hatten. Kaffee und Butter wären auch lohnende Mitbringsel gewesen. So blieb für jeden ein kleiner Gewinn, selbst wenn man die Spritkosten untereinander aufteilte. Getankt wurde natürlich auch in den Niederlanden, da auch das Benzin damals dort zu einem Spottpreis verkauft wurde. Während der ganzen Zeit gingen Rachel und Jakob Hand in Hand. Ab und zu hielten sie an und küssten sich. Jetzt auf dem flachen und manchmal leicht abfallendem Weg hielten sie aus Lust und Liebe an und nicht mehr, damit Rachel heimlich verschnaufen konnte. Am Aussichtsturm angekommen, ließ sie sich nichts merken und stieg so schnell sie konnte über die Treppen bis zur Aussichtsplattform. Oben angekommen entledigte sie sich ihres Gepäcks und bat Jakob, mit ihr zusammen in Richtung Südwesten zu gucken. Auf Jakobs Frage nach dem Warum, antwortete Rachel, dort irgendwo läge wohl Aquitanien. Jakob lachte und zog sie so zum Geländer, dass ihr Blick seinem Gefühl nach, richtig orientiert war. Rachels tote Augen blickten, wie immer, in eine unbestimmbare Weite. Sie meinte, in Aquitanien wären sie sich besonders nahe gewesen. Nach einiger Zeit umarmte Rachel Jakob so heftig, dass beide fast das Gleichgewicht verloren. Sie bat Jakob, ihr den Rucksack zu bringen und sie in die hinterste Ecke der Plattform zu führen. Mit staunenden Augen sah Jakob, was jetzt geschah. Rachel entnahm ihrem Rucksack zwei Sitzkissen, eine quadratische Tischdecke und vier schwere Kieselsteine. Sie breitete die Tischdecke auf dem Boden aus und beschwerte die Ecken mit den Kieselsteinen. Die Kissen legte sie so neben die Tischdecke, dass sie an zwei gegenüberliegenden Seiten lagen. Dann wandte sich Rachel wieder dem Rucksack zu. Sie zauberte zwei kleine Sektflaschen, zwei in ein Handtuch eingewickelte Sektgläser, zwei ebenfalls in ein Tuch gewickelte Dessertteller, zwei große Plastikdosen und einige Scheiben Brot hervor. Als alles ausgepackt war, deckte Rachel das Tischtuch, öffnete die beiden Plastikdosen und Jakobs staunender Blick verwandelte sich in Verwirrung, da es jenseits seines Vorstellungsvermögens war, was Rachel dort trieb. Sie setzte sich auf eins der Kissen.
     „Mein Zöbbel, würdest du dich bitte setzen.“
     Weiterhin verwirrt, kam Jakob Rachels Aufforderung nach. „Und was ist der Sinn dieser Übung?“
     „Sei nicht so neugierig! Öffne bitte die Sektfläschchen. Der alkoholfreie Sekt ist für den Fahrer gedacht.“
     Jakob tat, wie geheißen. „Und jetzt?“
     „Bitte lang zu, mein Lieber. Ich möchte Hähnchenschenkel, ein Stück Brot und Oliven – grüne und schwarze. Hilfst du mir bitte? Und du bedienst dich bitte selbst?“
     „Gerne, mein Schatz!“ Jakob legte Rachel die gewünschten Sachen auf den Teller.
     „Besteck habe ich mir gespart. Wir müssen mit den Fingern essen. Eine Mülltüte für den Abfall befindet sich im Rucksack. Guten Appetit.“
     „Danke, ich wünsche dir auch guten Appetit. Und wann werde ich aufgeklärt?“
     „Jetzt, hebe dein Glas!“ Beide nahmen ihre Gläser, während sie fort fuhr: „Jakob, ich habe lange mit mir gerungen, aber mein Entschluss steht nun fest. Ich habe bereits mit dem Gynäkologen gesprochen. Mein derzeitiger Pillenzyklus ist, vorausgesetzt du bist einverstanden, mein letzter. Ich möchte mindestens ein Kind. Und ich möchte, dass du der Vater bist.“
     Jakob stieß mit seinem Glas vorsichtig gegen Rachels Glas. „Warum fragst du, ob ich einverstanden bin? Du machst mich glücklich. Sollten wir uns nicht lieber küssen, statt zu trinken?“
     „Dann nimm mein Glas, stell es weg und küsse mich.“
     Jakob stellte beide Gläser beiseite und küsste Rachel über das Tischtuch hinweg. „Ich liebe dich, Rachel. Du bist lieb und verrückt; und du bist eben ein Dotz. Du machst mich sehr, sehr glücklich.“
     „Und wenn das mit den Kindern nicht klappt?“
     „Dann liebe ich dich umso mehr, weil du dann meinen Schutz benötigst. Komm, wir stoßen an und trinken, wir wollen doch unser Essen nicht verkommen lassen.“
     „Nein, natürlich nicht. Und du hast auch nur vom alkoholfreien Sekt getrunken? Vom Vater unserer Kinder erwarte ich Verantwortung, und wenn ich schwanger bin, trinke ich keinen Alkohol mehr. Das Rauchen brauche ich mir zum Glück nicht abzugewöhnen.“
     „Ich habe nicht einen Schluck von deinem Sekt getrunken – ich kann warten, bis es dunkel wird. Wann hast du das alles vorbereitet?“
     „Das bleibt mein Geheimnis, mein Schatz.“
     „Und was hättest du gemacht, wenn es geregnet hätte?“
     „Es hat nicht geregnet, Jakob Hausmann!“

Da die Brüstung der Plattform sie vor dem leichten Wind, der aufgekommen war, schützte, und fast ununterbrochen die Sonne schien, aßen sie langsam und andächtig. Im Sitzen konnte Jakob außer dem blauen Himmel mit den hoch ziehenden Wolken nichts von ihrer Umgebung sehen. Es fühlte sich an, als wären sie die einzigen Lebewesen weit und breit. Erst als sie die gesamten Vorräte verzehrt hatten und sich erhoben, bemerkten sie, dass der Wind zugelegt hatte – Rachel fröstelte ein wenig. Jakob legte ihr schützend einen Arm um die Schultern und Rachel fühlte sich wohl in der Geborgenheit seines Arms. Er packte die gesamte Ausstattung und die Abfälle des Picknicks in den Rucksack und schulterte diesen, wogegen Rachel heftig protestierte. Ihre Widersprüche verhallten jedoch ungehört und Jakob verschloss Rachel den Mund kurzerhand mit einem Kuss. Dafür erhielt er einen Knuff und dann eilte Rachel über die Treppen zurück in die Heide. Immer mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend folgte Jakob ihr und holte sie am Fuß der Treppe ein, da Rachel in der fremden Umgebung keine Orientierung hatte und stehengeblieben war. Jakob umarmte Rachel und flüsterte ihr ins Ohr, „wenn du mich noch einmal schlägst, versohle ich dir den Hintern oder ich flüchte ins Männerhaus.“ Rachel gab ihm einen weiteren Knuff und das kleine Geplänkel endete in einer heftigen Umarmung der beiden. Hand in Hand wanderten sie bergab in Richtung Schwalm, bogen dort angekommen nach Westen ab, um wieder die Grenze zu überschreiten. Wie immer bei solchen Gelegenheiten, reagierte Jakob erstaunt, als Rachel ohne sein Zutun genau an der richtigen Stelle darum bat, sie noch einmal zum Grenzstein zu führen. Rachel betastete ihn. „Ich hoffe, dass dieses Gebilde weiterhin ein nutzloses Mahnmal der Vergangenheit bleibt.“ „Hast du Bedenken?“ „Wenn ich einige unserer Politiker reden höre, dann glaube ich, die haben noch immer nicht begriffen, wie wichtig das freie Reisen in Europa ist. Ich will, dass wir wenigstens diesen Fortschritt den kommenden Generationen weitergeben können.“ Jakob antwortete nicht, er legte einen Arm um Rachel, legte die freie Hand auf ihre und ertastete mit ihr gemeinsam den Grenzstein. Sie erreichten ihr Auto und während Jakob den Rucksack im Kofferraum verstaute, setzte sich Rachel auf den Fahrersitz. Als Jakob den Kofferraum geschlossen hatte und zur Fahrertür kam, erblickte er Rachel hinter dem Lenkrad. Was er sah, brachte Jakob zum Lachen. Jakob sah Rachel hinter dem Lenkrad sitzen, mit ihren Händen führte sie imaginäre Lenkbewegungen aus. Ihre Lippen hatte Rachel vorgestülpt und sie gab motorenähnliche Brummgeräusche von sich, ganz so wie es Kinder machen, wenn sie Autofahren spielen.
     „Und wohin soll die Reise gehen, gnädige Frau?“
     „Ich bin auf dem Weg zum Nordkap, möchte der Herr mitkommen?“
     „Möchtest du, dass wir zum Nordkap reisen, Rachel?“
     „Später Jakob, wenn die Kinder volljährig sind.“
     „Deine Pläne scheinen langfristiger Art zu sein. Wenn du von Kindern redest, sprichst du über einen Zeitraum von einem viertel Jahrhundert.“
     „Ich weiß, Jakob, aber ab heute müssen wir längerfristig planen und wenn wir am Nordkap waren, fahren wir wieder in den Süden, wo es warm ist. Liebster, selbst Autofahren wäre mein Traum.“
     „Wieso das?“
     „Selbst fahren bedeutet Freiheit und Selbstbestimmung. Ein Autofahrer kann hinfahren und anhalten, wo er will.“
     „Ich fahre dich, wohin du willst. Das weißt du doch.“
     „Ja sicher. Aber ich kann nicht alleine weg.“

Jakob langte durch die offene Tür und streichelte über Rachels Haare. Rachel stieg aus und beide umarmten sich. Danach fuhren sie zurück über die Grenze, wo sie direkt hinter der ehemaligen Zollstation bei der Fischzucht Halt machten und Vorräte an frischem Fisch für die Weihnachtstage und Silvester einkauften. Für den Abend erstanden sie zwei geräucherte Saiblinge. Zum sofortigen Verzehr erwarben sie zwei Fischfrikadellen. Als sie die Rückfahrt fortsetzten, setzte Rachel ihre Brille nicht ab, die sie aufgesetzt hatte, als sie den Laden betraten. Nach einigen Kilometer bat Jakob Rachel die Brille abzunehmen. Das machte sie auch und schmunzelte: „Du hast eine Brillenphobie.“ „Nein, ich möchte dein Gesicht und deine Augen sehen.“ Vertraulich legte Jakob eine Hand auf Rachels Knie. „Du sollst dich auf das  Fahren konzentrieren, Blödmann.“ Jakob glaubte, auf die Worte Quatschkopp und Blödmann nicht mehr verzichten zu können. So wie sie die Worte in den Mund nahm, konnte er sie leicht als Liebesbeweis interpretieren, genauso wie die täglichen Knuffe, wenn er auch den Verdacht hatte, dass sich irgendwann ein nie wieder verschwindendes Hämatom an seiner linken Seite entwickeln würde, denn dort trafen ihn die Knuffe meistens. Er behielt diese Vermutung aber für sich, da er wusste, dass es Unsinn war, und da er Rachels Reaktion sowieso kannte – „du Quatschkopp“ würde die Antwort lauten.

Zur Abendessenszeit fragte Rachel, ob Jakob Brot oder Bratkartoffeln zu Abend haben wollte. Jakob war nach Bratkartoffeln und Rachel begann in der Küche mit den Vorbereitungen. Jakob folgte ihr ein wenig später und filetierte die beiden Saiblinge. Nach dem Abendessen und dem Abwasch löschte Rachel alle Lampen in der Wohnung, genau in dem Moment, als Jakob eine Flasche Wein öffnen wollte. „He, was soll das!“ „Warte, bis es dunkel wird, habe ich versprochen. Beweise jetzt dein Können als Blinder, ich helfe dir.“ „Du bist verrückt“, lachte Jakob. Da die Rollos noch nicht zugezogen waren, war es noch nicht ganz dunkel im Raum, aber immerhin so dunkel, dass Jakob keine Einzelheiten mehr erkennen konnte. Rachel trug zwei Weingläser ins Schlafzimmer und Jakob versuchte, diese ohne Kleckern zu füllen. Er war froh, dass Rachel ihm zur Hilfe eilte. Den Bewegungen und Geräuschen entnahm Jakob, dass Rachel sich auf das Bett gelegt hatte. Da er es nicht gewohnt war, mit Rachel im Dunkeln zu schlafen, war er sich unsicher, wie es jetzt weitergehen solle. Ihm fiel ein, dass er, seit sie zusammen wohnten, fast ausschließlich im Hellen oder im Licht der Lampen mit Rachel zusammen gewesen war. Nur einmal hatten sie sich im Dunkeln geliebt, als sie tief in der Nacht vom Donner eines Gewitters geweckt wurden. Von der Matratze erklang Rachels auffordernde Stimme. „Wie wäre es, wenn du es einmal mit Sehen versuchen würdest.“ Beide mussten lachen, Jakob setzte sich neben Rachel auf die Bettkante und versuchte sich im Sehen. Rachel lag auf dem Bauch, das hatte Jakob schnell festgestellt, also sah er zuerst die Formen von Rachels Pobacken. Von dort glitten seine Fingerspitzen entlang ihrer Wirbelsäule bis zum Nacken. Leicht über die Schulterblätter streichelnd glitten seine Hände in Richtung Matratze, bis er die Rundung einer Brust ertastete. Rachel lag ganz ruhig, ab und zu stöhnte sie leise, als Jakobs Finger wieder die Pobacken erreichten und sich einen Weg zwischen ihre Schenkel bahnten, stöhnte Rachel lauter, drehte sich auf den Rücken und zog Jakob zu sich herunter. Er hatte inzwischen seine Freude am Sehen entdeckt, erkundete ihren Körper mit seiner Zunge und als diese ihre Scham erreichte, setzte bei Rachel das Beben ein, das er so sehr mochte. Als Jakobs Zunge die Klitoris erreichte, bebte sie so stark, dass sie sich nicht mehr weiter beherrschen konnte. Sowie Jakob dessen und ihrer Feuchtigkeit gewahr wurde, legte er sich auf sie und drang in sie ein. Rachels Beben verursachte bei beiden einen Zustand, der ihnen das Gefühl vermittelte, sie würden über der Matratze schweben. Erschöpft fielen sie auf die Matratze zurück, als ihre Begierde befriedigt war. Sobald ihr Atem sich wieder beruhigt hatte, erhob sich Rachel, reichte Jakob ein Weinglas, nahm sich das andere Glas und beide tranken in kleinen Schlucken vom herben Wein. Ohne auf Jakobs Bitte, das Licht anzumachen, einzugehen, führte Rachel, nachdem sie den Wein geleert hatten, ausgiebige Sehübungen an Jakob aus, was dieser mit einem leisen Schnurren quittierte. Versonnen spielte sie mit seinem Penis und als ihre Bemühungen Erfolg zeigten, nahm sie Zunge und Lippen zu Hilfe, um sein Verlangen bis fast zur Besinnungslosigkeit zu treiben. Als er es kaum noch ertragen konnte, hockte sich Rachel auf ihn. Der Penis drang leicht in sie ein, Jakob legte seine Hände fest auf Rachels Hüften, sodass diese nur leichte rhythmische Bewegungen mit ihrem Schoß ausführen konnte. Die ruhigeren Bewegungen gaben Jakob die Möglichkeit, den Akt ein wenig in die Länge zu zeihen. Sobald aber der Druck von Jakobs Händen auf Rachels Hüften nachließ, wurden Rachels Bewegungen wieder heftiger. Jakob war zu nichts anderem mehr fähig, als laut zu stöhnen, bis sich sein Samen in Rachel ergoss. Ermattet ließen sich die Liebenden auf die Matratze sinken. Rachel kuschelte sich an Jakobs Rücken und beide fielen erschöpft, aber glücklich in den Schlaf.

Am Morgen verließ Jakob früh das Haus. Rachel hatte trotz der frühen Stunde darauf bestanden, ihm das Frühstück zuzubereiten. Sie verabschiedete Jakob mit einer leidenschaftlichen Umarmung, aus der sich Jakob mit einem nachdrücklichen Druck seiner Hände befreite. Sich an der Haustür umdrehend, sah er erfreut seine unbekleidete Frau auf dem Treppenabsatz. Als er „du erkältest dich, geh rein“ rief, kam das von ihm so geschätzte „Quatschkopp“ zurück. Rachel hatte noch viel Zeit bis zu ihrem Termin auf der Polizeidirektion. Daher zog sie nur ihren Morgenmantel über, räumte die Küche auf und widmete sich danach der Körperpflege. Ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, Jakob nach dem Wetter zu fragen. Rachel öffnete ein Fenster, ein kalter Wind wehte ihr entgegen. Von der Straße hörte Rachel das Abrollen von Autoreifen auf der nassen Fahrbahn. Sie schätzte das Wetter als ungemütlich ein, da sie auch hörte, dass Tropfen auf die Dachfenster im Schlafzimmer fielen. Es passte Rachel gar nicht in ihre Pläne, dass sie einen Termin hatte, sie hätte sich lieber um die Wohnung gekümmert, denn ihr Mann sollte es schließlich schön haben, wenn er nach Hause kam. Da Rachel heute ihre Putzhilfe erwartete, gab sie sich mit dem Bad nicht so viel Mühe, wie sie es sonst tat. Kaum war sie angezogen, als sie schon hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Die beiden Frauen begrüßten sich kurz, während Rachel sich fertig machte. Sie klingelte bei Frau Müller, und gemeinsam fuhren sie mit dem Bus nach Benrode. In der Polizeidirektion mussten beide kurz warten, bis Kommissar Jansen sie hereinbat. Das Geschäftliche war schnell erledigt. Als die beiden Frauen gehen wollten, hielt der Kommissar Rachel zurück. Frau Müller wollte draußen warten, Rachel bat sie aber zu bleiben.

„Frau Cohen, wir haben noch einmal mit Ben Weiland gesprochen und auch die beiden aus dem Bus haben wir uns intensiv vorgenommen. Ganz abgesehen von den Folgen ihres bisherigen Verhaltens haben wir ihnen klargemacht, dass jede weitere Belästigung ernsthafte Folgen haben würde.“
     „Danke, Herr Jansen.“
     „Es ist uns natürlich nicht möglich, sie als Kollegin wissen das, diese Herrschaften rund um die Uhr zu beobachten. Deshalb setzten wir auf Vorbeugung. Wir werden auf dem Erlenweg verstärkt Streife fahren und auch sonst in ihrer Umgebung und an den bekannten Treffpunkten der rechtsextremen Szene verstärkte Präsenz zeigen. Aber eine absolute Sicherheit können wir ihnen nicht bieten.“
     „Das weiß ich, ich habe keine Angst. Nur möchte ich ganz einfach in Frieden mit meinem Mann leben.“
     „Und warum verhaften sie die Kerle nicht einfach?“
     „Das geht nicht, Frau Müller, uns sind die Hände gebunden. Alle drei haben einen festen Wohnsitz, Fluchtgefahr besteht nicht und Verdunklungsgefahr ist auch nicht vorhanden. Ich kann Frau Cohen und Herrn Hausmann nur um Vorsicht und Wachsamkeit bitten. Halten sie bitte die Augen offen.“
     „Und wie soll Frau Cohen das machen?“
     „Ich weiß, der Ausdruck ist unpassend und ich bitte Frau Cohen ihn zu entschuldigen, aber mehr als das eben geschilderte können wir nicht tun.“
     „Es ist schon in Ordnung, Herr Jansen. Wir haben Vertrauen zu ihnen und ihren Kollegen. Und trotzdem, ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden und mein Mann kann schon einmal gar nichts dafür, er ist nicht einmal Jude.“
     „Das spielt für diese Menschen leider keine Rolle. Angefangen hat es, wie sie wissen, mit dem Angriff auf Herrn Hausmann, da hat vielleicht auch Eifersucht eine Rolle gespielt. Aber von Anfang an war auch Antisemitismus mit im Spiel. Für die Zukunft hoffe ich, dass unsere Maßnahmen Erfolg zeigen.“
     „Ihr Wort in Gottes Ohr“, bemerkte Frau Müller pikiert.
     „Nicht doch, Frau Müller. Der Kommissar tut, was er kann. Kommen sie, wir gehen ins Café Ballon und trinken noch zusammen eine Tasse Kaffee, bevor wir nach Hause fahren.“

Im Kaffee fanden sie einen Platz an Fenster mit Blick auf den Marktplatz. Rachel merkte, dass Frau Müller immer noch wütend war. Immerhin hatte sie sich so weit beruhigt, dass beide Frauen locker miteinander plaudern konnten. Rachel erfuhr erst jetzt, dass Frau Müller Witwe war und sie einen Sohn und eine Tochter hatte. Der Sohn lebte in Kanada und die Tochter wohnte mit Mann und zwei Kindern in Passau. Danach erzählte Rachel einiges von ihrer Familie, blieb aber, was die Einzelheiten betraf, unverbindlich. Frau Müller schwärmte geradezu von ihren Enkelkindern, sie hätte Rachel zu gerne Bilder der Kinder gezeigt, ihr fiel rechtzeitig genug ein, dass sie mit einer Blinden zusammen saß.
     „Frau Cohen, mir liegt etwas auf dem Herzen, ich möchte ihnen etwas sagen.“
     Rachel war elektrisiert, sagte aber scheinbar entspannt, „nur heraus damit, ich kann einiges vertragen.“
     „Es ist so, Frau Cohen, ich habe versucht, ihnen klarzumachen, wie man die Gemeinschaftsanlagen pflegt. Aus meiner Sicht gesehen sind sie so unvorstellbar jung, dass ich meinte, sie wüssten nicht, wie so etwas zu regeln ist. Ich habe zu spät begriffen, dass sie eine junge und selbstbewusste Frau sind, die von selbst weiß, was zu tun ist. Es war wirklich nicht persönlich gemeint.“
     „Frau Müller, eigentlich habe ich das bereits vergessen. Da sie das Thema aber selbst ansprechen, ich habe das tatsächlich persönlich genommen. Keine Sorge, ich bin nicht nachtragend. Nur war ich immer der Meinung, dass meine Putzhilfe ordentlich putzt und ich habe ja auch nie etwas Gegenteiliges von ihnen gehört. Und so waren ihre Bemerkungen für mich immer unverständlich. Hätten sie gesagt, die Treppe ist nicht sauber, hätte ich das akzeptiert. Aber mir zu sagen, ich wäre mit der Treppe dran, das war doch Quatsch.“
     „Aber ich dachte doch nur, dass sie den Plan nicht lesen können.“
     „Blinde haben aber eigene Methoden, ich brauche doch nur den ersten Termin, um mir einen eigenen Plan zu erstellen. Trotzdem, nichts für ungut. Ich weiß ihre Nachbarschaft zu schätzen. Kommen sie, wir trinken noch eine Tasse, bevor wir zum Bus gehen. Ich möchte noch ein wenig wandern.“
     „Bei dem Wetter?“
     „Bei jedem Wetter, Frau Müller“.

Als Rachel nach Hause kam, war ihre Hilfe gerade mit dem Putzen fertig. Rachel gab ihr ein paar Euro extra, da sie das Gehalt der Arbeitslosenhilfe Haselholt für unangemessen hielt. Nachdem Rachel allein war, schüttete sie sich noch einmal Kaffee auf und überlegte, was sie für den Abend zu essen vorbereiten könne, denn nach der Demo war es zum Kochen zu spät. Sie prüfte die Vorräte und entschied sich für einen Kartoffelauflauf. Sofort begann sie mit den Vorbereitungen, raspelte Kartoffeln, schichtete diese in eine vorgefettete Form, schlug Eier auf und rieb Käse. Sie stellte alle Zutaten in den Kühlschrank, zog sich wetterfeste Kleidung an und ging in den Wald. Mit kräftigen Schritten, den weißen Langstock vor sich herführend, machte sie sich auf ihre große Waldrunde. Da der Regen des Morgens in einen stetigen Nieselregen übergegangen war, waren Rachels Gesicht und Haare schon bald tropfnass. Das kümmerte sie aber nicht weiter, Hauptsache, sie bekam den Kopf frei. Die Warnungen von Kommissar Jansen hatten sie keineswegs kaltgelassen. Sie beschloss aber, mit der Gefahr, ohne diese zu ignorieren, zu leben. Für sie war damit das Thema vorerst abgehakt und sie konzentrierte sich voll auf ihre Wanderung. Am Dreiecksweiher hielt sie an der Beobachtungsstelle kurz inne in der Hoffnung Graureiher zu hören, sie nahm aber keine Anzeichen für ihre Präsenz war. Dann fuhr ein endlos langer Güterzug vorbei und überdeckte alle anderen Geräusche. Als Rachel weiter ging, fiel ihr auf, dass sie bisher auf keine anderen Wanderer oder Spaziergänger gestoßen war. Sie führte das auf das Wetter zurück, da sie nicht einmal auf die ehrenamtlichen Hundeausführer des Tierheims traf. Schon fast am Ende der Wanderung traf Rachel unerwartet auf die beiden Hassels.
     „Bei dem Wetter sind sie unterwegs?“
     „Das ist kein Problem für uns, wir haben unsere Schirme dabei. Aber sie laufen völlig ungeschützt herum, Frau Cohen.“
     „Das ist doch nur der Kopf, ansonsten bin ich wetterfest gekleidet.“
     „Ich hole sie um viertel vor sechs ab, Frau Cohen. Ist ihnen das recht?“
     „Ach, ich kenne doch den Weg. Sie brauchen mich nicht abholen, Frau Hassels.“
     „Doch, Frau Cohen, meine Frau hat recht. Sie müssen einen anderen Weg nehmen. Die Nazis stellen sich in der Gnesener Straße auf. Da können sie nicht hergehen. Und bitte, wir haben es Herrn Hausmann versprochen. Es wäre besser, wenn sie ihren Stock zu Hause lassen. Sie sehen, es gibt gute Gründe, sich abholen zu lassen.“
     „Nun gut, ich bin fertig, wenn sie kommen, Frau Hassels.“

Im Weitergehen kochte Rachel vor Wut. Sie wollte sich nicht bevormunden lassen, von niemand, nicht einmal von Jakob. „So nicht, mein Mann, so nicht!“ Als Rachel wieder zurück auf dem Erlenweg war, trocknete sie Haare und Gesicht. Ihre Wut auf Jakob war zu diesem Zeitpunkt bereits verrauscht und sie machte Pläne für den späteren Abend. Der Sinn stand ihr nach vorlesen. Die Nacht von Lissabon fand sie hochinteressant und Jakob las so schön vor, dass sie gar nicht genug vom Lesen bekommen konnte. Auf die Demo war sie gespannt. Da sie noch nie vorher an einer solchen Veranstaltung teilgenommen hatte, war sie neugierig. Da es immer noch früh war, machte sich Rachel auf den Weg in den Supermarkt, um schon einen Teil der Wochenendeinkäufe zu erledigen. Im Supermarkt ließ sie sich Zeit, den Plan, wo sie die gewünschten Lebensmittel fand, hatte Rachel im Kopf. Wenn sie sich nicht sicher war, ob sie das richtige Produkt gefunden hatte, fragte sie, sobald sich jemand näherte, um Hilfe. Rachel fand, dass sich der Tag bleischwer dahin zog, kein Wetter, um sich weiter draußen herumzutreiben, und Susanne wollte sie auch nicht belästigen, da sich diese sicher in den Weihnachtsvorbereitungen befand. Für Ilse galt bestimmt das Gleiche und Ima und Aba waren heute nicht zu Hause. Rivka schied aus, da die Fahrt zu ihr zu umständlich und zeitaufwendig war. Schließlich setzte Rachel sich an ihr Notebook, schloss die Braille-Tastatur an und wollte an ihrem Tagebuch weiter schreiben. Sie ließ sich den letzten Eintrag vorlesen und stellte fest, dass dieser von dem Tag stammte, an dem sie sich in Jakob verliebt hatte. Sie war erstaunt, dass sie so lange nichts mehr geschrieben hatte. Als sie ihre Gedanken geordnet hatte, schrieb sie erst, warum sie so lange nichts geschrieben hatte, und legte dann ausführlich ihre Liebe zu Jakob dar. Sie ließ sich das Geschriebene vorlesen und fügte noch einen Satz hinzu: „Jakob, mein Leben, mögen wohlwollende Kräfte unsere Liebe beschützen.“ Rachel speicherte den Eintrag und wollte das Notebook herunterfahren. Sie entschied sich aber anders und startete einen Suchlauf über die DAGIS. Was ihr an Ergebnissen vorgelesen wurde, fand sie erschreckend. Im Nachhinein gab sie Kommissar Jansen recht. In Zukunft wollte sie vorsichtiger sein, das Leben musste aber trotzdem weitergehen. Ihre Gedanken wanderten zu Jakob. Die Sehnsucht, die sie erfüllte, wenn er abwesend war, fand sie kaum erträglich.

Jakob hatte an diesem Morgen zuerst einen Außentermin, für den er sich mit einem Kollegen an der Kläranlage direkt hinter dem Rheindeich traf. Ein kalter Wind wehte und trieb ihm den Regen ins Gesicht. Jakob schlug den Kragen seiner Regenjacke hoch, als er an das Tor der Anlage trat, um sich anzumelden. Der Pförtner war ein älterer Mann, den Jakob bereits aus der Zeit kannte, als er selbst noch an der Kläranlage gearbeitet hatte.
     „Hallo Egon, ich dachte, du wärst schon die Rente.“
     „Hallo, ach, du bist es. Mit dem hochgeschlagenen Kragen habe ich die bei dem Dämmerlicht kaum erkannt. Ich habe noch ein Jahr bis zur Rente. Hast du länger hier zu tun? Dann können wir zusammen in der Pause quatschen.“
     „Nein, ich habe nur eine kurze Besprechung mit dem Betriebsingenieur.“
     „Schade, dann holen wir das bei deinem nächsten Besuch nach. Ich habe gehört, du wärst jetzt fest liiert.“
     Jakob lachte. „Und das hat sich schon bis hier draußen herumgesprochen?“
     „Ja, sicher. Du weißt doch, die Stadtwerke sind eine Nachrichtenbörse. Es gibt eben nichts Schöneres, als Tratsch zu verbreiten. Und, hält die Liebe noch?“
     „Das will ich doch schwer hoffen, Egon. Wer so eine Frau noch einmal fort lässt, der muss als Kind mit dem Klammerbeutel gepudert worden sein. Und ist sonst noch etwas über mich bekannt?“
     „Du kennst das doch Jakob, in diesem Betrieb wissen die Leute mehr als du selbst über dich.“
     „Dann erzähl mal, ist doch interessant, was man alles so über mich weiß.“
     „Ob alles wahr ist, kannst nur du wissen. Aber es wird erzählt, deine Freundin wäre eine blinde Jüdin. Und ihr wart im Oktober in Frankreich auf Urlaub.“
     Am liebsten hätte Jakob laut losgelacht. Er verkniff sich das aber und antwortete, „gut getratscht – stimmt alles. Meine Frau ist blind, sie ist Jüdin und wir waren in Südwestfrankreich.“
     „Du siehst, selbst die Geheimdienste können nicht besser ermitteln.“ Egon verschluckte sich vor Lachen und bekam einen Hustenanfall. „Ihr seid verheiratet?“
     Jakob wartete, bis Egon wieder ruhig atmete. „Nein, aber sie ist meine Frau. Komm, lass mich rein, dein Chef wartet auf mich.“
     Egon drückte auf den Türöffner. „Bring beim nächsten Mal mehr Zeit mit.“
     „Mach ich Egon, versprochen. Wir sehen uns ja nachher noch. Vielleicht habe ich dann noch ein paar Minuten übrig.“

Die Besprechung beim Betriebsingenieur verlief in freundlicher Atmosphäre bei einer Tasse Kaffee, so war der geschäftliche Teil schnell erledigt. Da sich beide lange kannten, tauschten sie sich anschließend über Privates aus und tranken noch einen weiteren Kaffee, wonach Jakob sich verabschiedete. Bei der Pforte quatschte er noch einige Minuten mit Egon und fuhr danach ins Büro. Große Lust dazu stellte sich nicht ein, da Jakob wusste, dass Papierkram auf ihn wartete. „Immer wieder donnerstags kommt der Verwaltungskram“, dichtete Jakob einen alten Song um. Im Büro angekommen versuchte er Rachel anzurufen, aber sie nahm nicht ab. Er hätte sie leicht auf dem Handy erreichen können, da er aber wusste, dass sie das nicht mochte und ihr Telefon nur für Notfälle mit sich führte, ließ er es lieber. Jakob nahm sich die Akte vor, die ihm am wichtigsten erschien. Er arbeitete sie sorgfältig durch, machte auf einigen Seiten Notizen und suchte mehrmals am PC nach weitergehenden Informationen. Ab und zu hatte er eine Rückfrage am Telefon. Als Jakob seine Arbeit beiseitelegte, war es Zeit für die Mittagspause. Ein Kollege kam vorbei und fragte, ob er mit zur Kantine käme. Jakob war einverstanden und landete in der Schlange an der Essensausgabe. Da er wusste, dass Rachel zu Abend kochte, entschied er sich für einen gemischten Salat und eine Frikadelle, auf die er sich einen Klecks Senf drückte. Während des Essens sprach er mit seinem Kollegen über belangloses Zeug. Da es regnete, blieben sie nach dem Essen noch in der Kantine sitzen, obwohl Jakob lieber ein paar Schritte im Freien gegangen wäre. Nachdem Jakobs Kollege sich verabschiedet hatte, um vor der Tür eine Zigarette zu rauchen, machte sich Jakob auf den Rückweg zu seinem Schreibtisch. Seine Gedanken drehten sich um Rachel. Jakob sehnte sich das Wochenende herbei, danach kam der Weihnachtsurlaub und da lag außer dem Festessen bei den Eltern und vielleicht einem Sabbatabend bei Chajm und Hannah nichts an. Nach den Feiertagen musste Rachel zwar wieder arbeiten, aber bis dahin gab es Zeit genug, um Liebe und Zweisamkeit zu leben. Am Abend wollte er bei ihr vorfühlen, ob sie besondere Pläne zu Silvester hätte. Ihm wäre es am liebsten, den Abend mit Rachel allein zu verbringen, wollte das aber seiner Liebe überlassen. Nach der Mittagspause lag reine Routinearbeit an, die nur von einem langweiligen Meeting unterbrochen wurde, das sich unnötig in die Länge zog. Es gibt eben immer wieder Leute, die sich gern selbst reden hören, dachte Jakob und wünschte sich, dass endlich alle ihre Weisheiten ausgespuckt hätten. Danach musste sich Jakob sputen, um seine restlichen Arbeiten zu erledigen, da er unbedingt pünktlich am Flüchtlingsheim erscheinen wollte. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu Rachel, er freute sich, sie bei der Demo zu treffen. Nachdem das Tagespensum abgearbeitet war, bearbeitete Jakob noch eine Excel-Tabelle, die er anschließend an einen Kollegen sendete. Um halb sechs ging er zum Auto und wider Erwarten lief der Verkehr relativ flüssig. Jakob parkte das Auto in der Nähe des Flüchtlingsheims und hielt nach Herrn Hassels Ausschau, den er am Eingang des Heims in Begleitung von Amed vorfand. Nach der Begrüßung reichte Herr Hassels Jakob eine Armbinde mit der Aufschrift Ordner, die er sofort anlegte. Danach spazierte Jakob durch die noch spärlichen Reihen der Demonstranten, grüßte den einen oder anderen Bekannten, aber wartete eigentlich nur sehnsüchtig auf Rachel.

Nach einiger Zeit rief Herr Hassels die Ordner zu sich. Er erklärte den geplanten Ablauf der DAGIS-Demonstration. Aufstellen würden sich die Herrschaften auf der Gnesener Straße, um von dort über die Ferdinandstraße, Tönisstraße und Graudenzer Straße zum Schönenkamp ziehen. Von dort ginge es über die Haselholtstraße zum Kriegerdenkmal, wo die Abschlusskundgebung stattfinden solle. Der kritische Punkt der Demo wäre die Graudenzer Straße, meinte Herr Hassels, da dieser Teil der Strecke in Sichtweite des Flüchtlingsheims liege. Er meinte aber beruhigend, dass ausreichend Polizei vorhanden sei und daher keinerlei Gefahr drohe. Inzwischen war die Schar der Demonstranten gewachsen und Herr Hassels bat die Ordner sich an den Rändern zu verteilen. Im Kreuzungsbereich zur Graudenzer Straße hatte inzwischen die Polizei Posten bezogen und den Zugang zum Flüchtlingsheim abgeriegelt. Das Ganze sah ziemlich martialisch aus, was aus Jakobs Sicht weit übertrieben war, denn er erwartete, dass nicht viel mehr als eine Handvoll Nazis zusammenkommen würden. Erfreut stellte er bei seinen Rundgängen um die eigenen Demonstranten fest, dass sich jetzt kurz vor sechs die gesamte Straße vor dem Heim mit Menschen gefüllt hatte und er sah, dass immer noch weitere Bürger hinzukamen. Unruhig schaute Jakob immer wieder auf die Uhr und hielt nach Rachel Ausschau. Er nannte sich selbst einen Blödmann, denn er wusste, dass auf Rachel Verlass war. Es beruhigte ihn, dass sie an diesem Abend nicht allein unterwegs war, denn die Zusammenstöße, die Rachel mit den Neonazis gehabt hatte, besorgten ihn mehr, als er wahrhaben wollte. Gerade der letzte Vorfall im Bus war für Jakob Warnung genug, um immer ein wachsames Auge auf sie zu haben. Am liebsten wäre er mit ihr weggezogen, aber das war zumindest zurzeit mit Rachel nicht einmal andeutungsweise zu diskutieren. Sie würgte jedes Gespräch darüber mit der Begründung ab, sie laufe nicht vor ein paar Idioten davon und das Gesetz sei schließlich auf ihrer Seite. Nicht einmal das Argument, die Polizei könne schließlich nicht überall sein, zog bei Rachel. Jakob war besorgt, aber Rachels starkem Willen war in diesem Punkt nichts entgegen zu setzten.

Frau Hassels schellte pünktlich bei Rachel und da diese bereits ausgehfertig war, drückte sie nicht auf den Türöffner, sondern ging direkt die Treppe hinunter zur Haustür. Als Rachel die Haustür öffnete, kam Frau Müller aus ihrer Wohnung. Sie fragte, ob Rachel zum Flüchtlingsheim wolle und als diese bejahte, fragte sie, ob es recht wäre, wenn sie gemeinsam gingen. Rachel und Frau Hassels hatten natürlich nichts dagegen und so gingen die drei Frauen gemeinsam los. Frau Hassels erklärte, sie würden am besten durch den Park am ehemaligen Verlauf des Hoxbachs gehen, um im großen Bogen aus der Gegenrichtung zum Flüchtlingsheim zu kommen. Sie meinte, dann wären sie in sicherer Entfernung von den Idioten, die sich auf der Gnesener Straße aufstellten. Der Weg durch den Park war nach dem Regen des Tages etwas glitschig und Rachel fühlte sich ohne ihren Langstock unsicher auf diesem Untergrund. Frau Müller, die ihre Unsicherheit bemerkte, bot Rachel den Arm an, sodass die drei Frauen flott vorankamen. Rachel war froh, als sie die Landsberger Straße erreichten und sie wieder festen Belag unter den Füßen hatte. Von dort war es nicht mehr weit und als die drei über einen kleinen Verbindungsweg von der Hauptstraße aus am Heim ankamen, sah Jakob sie sofort. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Jakob ging auf die Frauen zu, begrüßte Frau Hassels und Frau Müller, umarmte Rachel und gab ihr einen Kuss auf die Wange, den sie mit einem Kuss auf Jakobs Mund erwiderte. Dann führte Jakob einen Zeigefinger abwärts über ihre Nase bis zum Amorbogen und flüsterte „mein Dotz“. Er hatte das noch nie getan und in Rachel stieg eine ungeahnte Wärme auf. Sie gab ihm den obligatorischen Knuff und flüsterte ihm anschließend ins Ohr, „warte bis wir alleine sind, du Zöbbel.“

Jochen hatte Rachel bemerkt und kam, um sie zu begrüßen. Rachel war froh, dass sich die beiden Männer kennenlernen konnten. Es war Jochens Art, Fremden gegenüber äußerst zurückhaltend zu sein. Er fand Jakob aber auf Anhieb sympathisch und schon nach kurzer Zeit waren die zwei in ein Gespräch vertieft. Mit Freude bemerkte Rachel diese Entwicklung. Frau Hassels entschuldigte sich, um nach ihrem Mann zu suchen. Frau Müller kam sich irgendwie überflüssig vor, was Rachel mit ihren feinen Antennen für das Befinden anderer Menschen sofort bemerkte.
     „Kommen sie Frau Müller, wir beide gucken uns ein wenig um. Ich hoffe, wir treffen noch mehr Bekannte.“
     „Gerne Frau Cohen, aber würde es ihnen etwas ausmachen, mich Frederike zu nennen? Nachdem sie mir heute Morgen so den Kopf gewaschen haben, darf ich doch diese Bitte äußern?“
     „Ist schon in Ordnung. Ich heiße Rachel, das weißt du ja Frederike.“

Wohin beide Frauen auch kamen, überall trafen sie auf Leute, die sie zumindest vom Sehen her kannten. Haselholt war eben nur ein kleiner Stadtteil, eigentlich eher ein großes Dorf. Einige Leute, die Rachel oder Frau Müller begrüßten, wohnten, wie Rachel wusste, in Benrode und Reißholtz. Eine echt internationale Gesellschaft, bemerkte Rachel lachend zu Frederike. Die Zeit ging dahin, ohne dass etwas geschah. Ab und zu gab es einen Regenschauer, nicht gerade das Traumwetter um auf der Straße herumzustehen, dachte Rachel bei sich. Als die Frauen bei ihrem Rundgang auf Amed trafen, reagierte dieser hocherfreut.
     „Sie sind doch Rachel, nicht wahr?“
     „Oh, du bist es, Amed. Dein Deutsch ist schon ganz passabel. Aber darf ich dich korrigieren?“
     „Ja, bitte.“
     „Wenn du im Freundeskreis sprichst, heißt es du. Du bist doch Rachel, ist die richtige Formulierung. Aber das wirst du mit der Zeit im Gefühl haben.“
     „Danke Rachel. Wann sie und wann du gesagt wird, ist für mich verwirrend. Und bevor ich jemanden beleidige, sage ich lieber gleich sie zu ihm.“
     „Eine kluge Strategie, finde ich", sagte Frau Müller.
     Da Amed den Satz nicht verstand, übersetzte Rachel ins Englische und Amed antwortete, „es ist so einfach einfacher für mich.“

Im Weitergehen trafen die Frauen auf Jakob. Auf Rachels Frage, wann es denn losgehe, gab Jakob ihr einen Kuss und meinte, sie solle nicht so ungeduldig sein. Kurz darauf stieg Herr Hassels auf die Eingangstreppe des Flüchtlingsheims und bat über ein Megafon um Aufmerksamkeit. Er erklärte, die DAGIS ziehe jetzt los und werde bald auf Graudenzer Straße dem Heim bedenklich nahe kommen. Er forderte die Anwesenden auf, zum symbolischen Schutz des Heims eine Menschenkette zu bilden. Die Demonstranten kamen dieser Bitte nach und bildeten einen Schutzschild vor dem Flüchtlingsheim, der vom Polizeiposten an der Graudenzer Straße bis zum Zugang zur Tönisstraße reichte. Jakob nahm Rachel bei der Hand und führte sie so weit wie möglich von der Graudenzer Straße weg. „Ich finde es sicherer, wenn du nicht da stehst, wo es eventuell Probleme geben könnte“, sagte er. „Es wird schon nichts passieren“, erwiderte sie. Jakob streichelte Rachel über die Wange und sagte, „sicher ist sicher, mein Schatz. Bitte, Frau Müller, bleiben sie bei meiner Frau.“ Aus der Ferne waren inzwischen Sprechchöre zu hören, was gesagt wurde, war aber einstweilen nicht zu verstehen. Nur Rachel verstand, dank ihres feinen und geschulten Gehörs, was die Leute von der DAGIS von sich gaben. Sie staunte über das, was sie für das Gelaber Unwissender hielt – Deutschland den Deutschen, klang es in ihre Ohren. Rachel fragte sich in diesem Zusammenhang, ob diese Menschen im Geschichtsunterricht geschlafen hätten – ein Volk in der Mitte Europas, dass seit Jahrhunderten Fremde aufgenommen hatte, wer und was soll da deutsch sein? Und dann stieß Rachel böse das erste Schimpfwort aus, das ihr einfiel – Nazibrut. Frederike legte Rachel beruhigend eine Hand auf den Arm. Die Polizei verstärkte jetzt die Absperrung an der Graudenzer Straße, und zu seinem Schrecken bemerkte Jakob, dass die Einsatzkräfte jetzt auch Schutzhelme und Plexiglasschilde trugen. Er war sich unsicher darüber, ob Rachel hier wirklich in Sicherheit war.

Inzwischen waren die Sprechchöre lauter geworden. Irgendjemand mit einem Megafon machte wohl den Einheizer und die anderen Nazis fielen ein. Je näher die DAGIS-Demonstranten kamen, umso deutlicher waren ihre Losungen zu verstehen. Eigentlich grölten sie immer nur abwechselnd zwei Losungen. Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen und Wir wollen keine Asylantenheime. Das Gegröle wurde immer lauter. Dann sah Jakob den Zug vorbeiziehen. Einige der Teilnehmer trugen Transparente, deren Inhalt Jakob von seinem Standort aus nicht entziffern konnte. Wie er es vermutet hatte, zogen nicht mehr als zwanzig Leute grölend vorbei. Etliche der DAGIS-Demonstranten trugen Pechfackeln und trotz des martialischen Auftritts hatte Jakob von ihnen den Eindruck eines verlorenen Haufens. Gerade riefen sich wieder Wir wollen keine Asylantenheime. Niemand von den Menschen in der Kette hatte ein so feines Gehör wie Rachel. So vernahm nur sie, dass eine Stimme im vielstimmigen Chor etwas anderes rief. Während alle anderen Asylantenheime riefen, rief eine Person Asylantenschweine. Rachel erkannte die Stimme, ihr gefror das Blut in den Adern, es war Ben, der dieses Wort grölte. Frederike bemerkte Rachels Erschütterung und fragte, was los sei. Rachel war so erschüttert, dass sie nur sagte, da grölt Ben. „Vergiss den Kerl, du hast doch Jakob.“ „Ich weiß Frederike.“

Als das Gegröle leiser wurde, trat Herr Hassels wieder ans Megafon und erklärte, die direkte Gefahr wäre jetzt vorbei, aber da der Demonstrationszug über die Haselholtstraße zur Schlusskundgebung ziehen würde, bewache die Polizei weiterhin das Heim. Daher riet er zumindest den Teilnehmern, die südlich der Haselholtstraße wohnten, nicht vor dem Veranstaltungsende nach Hause zu gehen. Danach dankte er für das zahlreiche Erscheinen und versprach Bescheid zu geben, sobald die Polizei die rechtsextremistische Versammlung für beendet erklärt hätte. So blieben fast alle noch in lockeren Gruppen vor dem Heim stehen. Jakob suchte nach Rachel und als er sie fand, bemerkte er sofort, dass sie etwas tief aufgewühlt hatte. Auf seine Nachfrage erzählte Rachel, was sie gehört hatte und da Jakob wusste, welche Selbstzweifel Rachel plagten, wenn es um Ben ging, legte er besänftigend einen Arm um ihre Schultern. Rachel schauderte, während sie an ihren ehemaligen Partner dachte und genoss gleichzeitig die Wärme, die sich durch Jakobs Nähe in ihr ausbreitete.

Einige Zeit später stand Herr Hassels wieder auf der Treppe der Flüchtlingsunterkunft und verkündete, die Polizei hätte die Schlusskundgebung am Kriegerdenkmal aufgelöst, nachdem einer der Redner volksverhetzende Äußerungen von sich gegeben hätte. Außerdem seien die meist auswärtigen Teilnehmer dieses Aufmarsches bereits abgereist. Nach Einschätzung der Polizei sei die Lage ruhig und die Teilnehmer der Menschenkette könnten gefahrlos nach Hause gehen. Die Versammlung löste sich langsam auf und auch die Polizei packte ihre Gerätschaften ein. Ein vorsichtshalber in der Nähe postierter Rettungswagen wurde abgezogen. Jochen verabschiedete sich und Herr Hassels besprach noch etwas mit Jakob, als auch Frau Hassels zu der Gruppe stieß. Rachel bat Frederike noch einen Moment zu bleiben und gemeinsam mit ihr und Jakob nach Hause zu fahren. Die Stimmung war gelöst und da es zurzeit gerade einmal nicht regnete, führten manche noch ein Gespräch mit Nachbarn oder Freunden, bevor man sich auf den Heimweg machte. In dieser entspannten Atmosphäre tauchten aus dem Verbindungsweg, über den Rachel mit Frederike und Frau Hassels das Flüchtlingsheim erreicht hatte, drei Gestalten auf. Die drei waren mit Bomberjacken bekleidet und machen einen alkoholisierten Eindruck. Derjenige, der voranging, war mit einem Baseballschläger bewaffnet. Von den Umstehenden beachtete zuerst niemand die drei Männer. Aber dann erblicke der Mann mit dem Baseballschläger Rachel. Er stieß einen Schrei aus und rief dann – da steht die Judenfotze, die mache ich platt – den Schläger schwingend rannte er los. Die Menschen, die sich eben noch entspannt unterhalten hatten, wichen voll Schrecken zur Seite. Rachel wandte sich in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Sie hatte den Schreienden an der Stimme erkannt, es war Ben. Als Jakob den Tumult mitbekam, eilte er los, um Rachel beizustehen. Auch er erkannte Ben. Die drei Kumpane stürmten, ohne Rücksicht auf die Umstehenden zu nehmen, weiter auf Rachel zu. Außer Jakob hatte offensichtlich bisher niemand die Gefahr wahrgenommen, in der Rachel schwebte. Er beschleunigte seine Schritte, versetzte Rachel einen Stoß, um sie aus der Gefahrenzone zu bekommen und stellte sich genau in dem Moment schützend vor Rachel, als Ben mit dem Schläger zum Schlag gegen Rachel ausholte. Der Schlag, der Rachel gegolten hatte, traf Jakob mit voller Wucht an der linken Schläfe. Jakob stürzte wie ein gefällter Baum, er war tot, noch bevor sein Körper auf den nassen Asphalt prallte.

Nach der Tat entstand ein unbeschreibliches Durcheinander, in dem die drei Männer zu entkommen suchten. Der Weg zurück in den Verbindungsweg war ihnen durch das Durcheinander, das sie selbst verursacht hatten, versperrt, sodass sie versuchten, in Richtung Graudenzer Straße zu fliehen. Dort war aber noch genügend Polizei stationiert und so wurden die Drei, obwohl sie sich heftig wehrten und Ben den Baseballschläger über seinem Kopf kreisen ließ, nach kurzem Widerstand überwältigt.
     Durch den Stoß und das Getümmel, das sich nach dem Vorfall entwickelte, hatte Rachel völlig die Orientierung verloren und rief ängstlich nach Jakob. Herr Hassels wurde als erster auf Rachel aufmerksam und sprach sie an. „Ich bin’s Frau Cohen. Geben sie mir ihre Hand, in dem Durcheinander kommen sie allein nicht zurecht.“ „Wo ist Jakob?“ Angst und Verzweiflung klangen aus Rachels Stimme, sie ahnte, dass etwas unbeschreiblich Schreckliches vorgefallen war. „Herr Hausmann ist verletzt, er liegt auf der Straße.“ „Wo liegt er?“ „Geben sie mir ihre Hand, ich führe Sie.“ Herr Hassels führte Rachel einige Schritte in Richtung Tönisstraße. „Hier, Frau Cohen.“ Zwei Männer beugten sich über den am Boden liegenden Körper, einer der beiden rief nach dem Rettungsdienst. Die Männer machten für Rachel bereitwillig Platz. Rachel ging in die Hocke und tastete nach Jakobs Körper.
     Als ihre Hand auf Jakobs Brust lag, konnte Rachel keinerlei Bewegung des Brustkorbs bemerken, kein Heben, kein Senken, einfach nichts. Rachel tastete nach Jakobs Kopf, weder an Nase noch Mund spürte sie Atem, als sie ihre Hand weiter aufwärts führte und zu Jakobs Haaren gelangte, fasste sie in eine klebrige Flüssigkeit. Sofort war Rachel klar, dass es sich um Blut handelte. Sie fühlte an der Halsschlagader nach Jakobs Puls und begriff in diesem Moment, dass er tot war. Das Gleichgewicht verlierend setzte sich Rachel neben Jakob, sie hob Jakobs Kopf an und setzte sich so, dass Jakobs Kopf auf ihrem Schoß ruhte. Tränen schossen aus Rachels Augen. Ohne, dass Rachel es gewahr wurde, kamen ihr die vertrauten Worte des Kaddisch über die Lippen: yit̠gaddal wǝyit̠qaddaš šǝmēh rabbā’. Plötzlich merkte Rachel, dass jemand, der ihr irgendwie vertraut vorkam, sich neben sie hockte. Obwohl er kein Wort sprach, erkannte Rachel Kommissar Jansen. Der Kommissar musste sich zusammenreißen, als er sah, was hier vorgefallen war. Es wirkte seltsam unwirklich auf den Kommissar – Rachels verzweifeltes Gesicht und der Kopf des leblosen Jakobs auf ihrem Schoß erinnerten ihn stark an ein Madonnenbild, auf dem Maria ihren toten Sohn in den Armen hält. Er hatte ein solches Bild auf einer Italienreise gesehen und nun begegnete er dem Bild an diesem regnerischen Abend auf einer dunklen, nassen Straße in Haselholt. In diesem Moment hasste Jansen seinen Beruf.
     Einige Polizisten räumten den Platz und forderten Herrn Hassels und Rachel mit barschen Worten auf, zu gehen. Kommissar Jansen erhob sich. „Noch einen Moment, Kollegen! Sie ist seine Frau. Ich kümmere mich um sie.“ Ein Polizist, der den Kommissar erkannte, salutierte. Der Kommissar hockte sich wieder neben Rachel, aus der Ferne erklang das lauter werdende Martinshorn eines Rettungswagens. „Kommen sie Frau Cohen, das ist ein Fall für den Notarzt.“ Vorsichtig führte der Kommissar Rachel einige Schritte beiseite, wo er und Herr Hassels sie zwischen sich nahmen. Aus Rachel Augen liefen ununterbrochen Tränen, sie wirkte aber merkwürdig gefasst, was Kommissar Jansen auf den Schock zurückführte. Nach einer kurzen Untersuchung kam der Arzt zu ihnen. „Tut mir leid, ich kann nichts mehr für ihn tun.“ Rachel reagierte kaum auf die Worte des Arztes. Der Arzt warf einen besorgten Blick auf Rachel. „Ich glaube, sie haben einen Schock. Ich kann ihnen ein beruhigendes Mittel spritzen.“ Rachel reagierte verzögert, sagte dann aber klar und deutlich, „nein danke, es geht schon. Ich will einen klaren Kopf behalten.“ Einen Blick mit dem Kommissar wechselnd wandte sich der Arzt ab und Kommissar Jansen wandte sich an Rachel. „Vielleicht sollten sie sich doch helfen lassen, Frau Cohen. Möchten sie einen Notfallseelsorger?“ Rachel schüttelte den Kopf. „Es geht schon, die Eltern meines Mannes müssen benachrichtigt werden, allein schaffe ich das nicht. Können sie mir helfen, Herr Jansen und mitkommen? Ich vertraue ihnen und ich wüsste nicht, wen ich sonst fragen könnte. Und irgendwo hier in der Nähe muss unser Auto stehen, übergeben sie es bitte den Eltern.“ „Ich übernehme das, Frau Cohen, aber sie kommen besser nicht mit. Überlassen sie dieses Gespräch ruhig den Spezialisten. Ich bitte einen Notfallseelsorger mitzukommen. Können sie mir die Adresse nennen?“ „Buchenstraße, die Hausnummer habe ich vergessen, es ist aber eine ungerade Nummer.“ „Ich finde das heraus. Machen sie sich keine Sorge deswegen.“ Der Kommissar wurde von einem Kollegen gerufen. Frederike kam näher, sie und Herr Hassels bemühten sich um Rachel und wollten diese nach Hause bringen. Rachel lehnte ab, sie wollte, solange es ging, möglichst nahe bei Jakob bleiben. Herr Hassels und Frederike hielten Rachel auf dem Laufenden über das, was gerade vorging. Als Jakob in den Sarg gelegt und in einen Leichenwagen geschoben wurde, wandte sich Rachel ab und ließ sich von beiden nach Hause führen. Das Angebot von Frederike, bei ihr zu bleiben, lehnte sie dankend ab. Frederike erklärte Rachel noch, ihre Kleidung sei blutverschmiert. Rachel nickte.

In ihrer Wohnung angekommen, machte Rachel alle Lichter an, es sollte hell für Jakob sein. Im Bad griff Rachel in den Wäschepuff und entnahm ihm eins von Jakobs getragenen Kleidungsstücken. Das Unterhemd, das sie gegriffen hatte, hielt sie sich an die Nase, tief sog sie Jakobs Düfte ein. Mehrmals glaubte Rachel das Geräusch eines Schlüssels an der Dielentür zu hören. Rachel ging zum Fenster, öffnete es und lauschte auf Jakobs Schritte auf der Straße. Tiefe Verzweiflung machte sich in ihr breit, sie ließ ihren Tränen freien Lauf, wodurch sie sich etwas besser fühlte. Sich der Unsinnigkeit ihres Tuns bewusst, holte Rachel das vorbereitete Essen aus dem Kühlschrank. Sie verteilte die gequirlten Eier über die Kartoffeln, streute den geriebenen Käse über Masse und setzte zum Schluss einige Butterflocken oben auf das Gebilde. Unter Tränen schob Rachel die feuerfeste Form in den Backofen und stellte den Wahlschalter auf Ober- und Unterhitze, die vorgegebene Temperatur ließ sie unverändert. Rachel deckte mit Liebe den Tisch und holte aus dem Wohnzimmer zwei Weingläser, die sie auch auf dem Tisch platzierte. Während der Auflauf garte, stellte sich Rachel wieder an das weit geöffnete Fernster, obwohl es inzwischen im Zimmer empfindlich kalt wurde, schloss sie es nicht. Als der Auflauf seinen verführerischen Duft durch die Wohnung verbreitete, schloss Rachel das Fenster, ging in die Küche, stellte den duftenden Auflauf auf den Tisch und verteilte davon auf die beiden Teller. Dann goss sie Wein für beide ein und setzte sich.
     Obwohl Rachel immer noch weinte, aß sie ein paar Bissen, sie fand, dass dieses Abendessen Jakob gut geschmeckt hätte. Dann sprach sie Jakob an. „Du bist vielleicht ein Blödmann, Jakob Hausmann! Du hast gesagt, ‚ich schütze dich, wie mein Leben‘. Und was tust du? Du schützt mich mit deinem Leben! Das war nicht abgesprochen!“ Rachel schwieg jetzt, trank etwas von dem Wein und aß noch ein paar Bissen. Inzwischen war ihr klar geworden, was sie tun würde. Rachel verließ die Küche und hielt wieder Jakobs Hemd vor ihre Nase. Sie setzte sich an ihr Notebook und schrieb jeweils ein paar Zeilen für Aba und Ima, sowie für Ilse und Heinz. Nachdem sie sich den Text hatte vorlesen lassen, fügte Rachel noch einige Sätze hinzu. Liebe Ilse, lieber Heinz, durch meine Schuld ist Jakob ermordet worden. Das kann ich mir selbst niemals verzeihen und ich hoffe auch nicht darauf, dass Ihr mir verzeihen könnt. Aber ich habe Jakob über alles geliebt, um dieser Liebe willen bitte ich Euch, mich nicht zu verfluchen. Und wenn es Euch nichts ausmacht, Jakob und ich, wir möchten ein gemeinsames Grab – Bitte! Rachel speicherte ihre Sätze, ließ das Dokument offen und schloss auch das Notebook nicht, damit jeder, der die Wohnung betrat, sofort auf das, was sie geschrieben hatte, aufmerksam wurde. Mehrmals klingelte jetzt das Telefon. Rachel hob nicht ab, sie vermutete, es würde bald jemand nach ihr sehen, sie musste sich also beeilen, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Frau Müller hörte das Zufallen der Haustür, machte sich aber keine weiteren Gedanken darüber, da sie vermutete, Rachel wolle bei einer langen Wanderung ihre Gedanken ordnen, wie sie das des Öfteren tat.

Rachel hatte ihren Langstock genommen, sich eine leichte Jacke übergezogen, das von Jakob getragene Hemd in die Hand genommen und das Haus verlassen. Es regnete stark, als sie das Haus verließ, aber Rachel nahm das nicht wahr. Zielstrebig ging sie in den Wald. Eine Nacht mit starkem Regen war perfekt für ihr Vorhaben geeignet, traf sie sonst schon am späten Abend nie auf andere Wanderer, war es in der Dunkelheit und bei diesem Wetter nahezu ausgeschlossen, dass sich noch jemand anderes als sie selbst im Wald aufhielt. Schon nach kurzer Zeit tropfte aus Rachels Haaren Wasser in ihren Kragen. Ihr war das egal – sie bemerkte es nicht einmal, nur noch das angestrebte Ziel hatte sie vor Augen. In dieser Nacht hatte es Rachel nicht eilig, sie ging langsamer als sonst, Fitness spielte ab sofort keine Rolle mehr in ihrem Leben. Schwere Schuldgefühle plagten sie zu diesem Zeitpunkt. Ben hatte Jakob ermordet und das nur, weil sie sich auf den Kerl eingelassen hatte, unzweifelhaft hatte ihr Lebenswandel zu Jakobs Tod geführt. Ab und zu sprach Rachel zu Jakob, dann, nur dann stieg die Wärme in ihr auf, die sie immer Jakob zuordnete. Rachel hatte zwar eilig die Wohnung verlassen, aber das nur, um den liebenden Eltern und Schwiegereltern keine Gelegenheit zu geben, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Jetzt allein im Wald ließ sich Rachel Zeit, sie ordnete ihre Gedanken und ließ es sogar zu, das Für und Wider ihres Vorhabens zu bedenken. Solange sie aber auch nachdachte, ein Leben ohne Jakob erschien ihr weder erstrebenswert, noch möglich. Ihr war klar, dass Jakobs Tod sinnlos war, wenn sie ihr Leben beendete, aber da Jakob nun einmal tot war, war ihr Leben vorbei und was blieb, war nur noch Jakobs Wärme und sein benutztes Hemd, das sie sich ab und zu vor die Nase hielt, um dessen Duft einzusaugen. Rachel fühlte sich leicht und ging mehrere Runden in einem für sie ungewohnten Spazierschritt. Einmal, als sie eine Pause machte, um kurz nachzudenken, schalt sie Jakob ein Arschloch und brach darüber wieder in hemmungsloses Weinen aus.
     Danach sprach sie wieder mit ihm. „Was hast du getan, Jakob? Jetzt hat der Kerl ein Verbrechen verübt und du hast ihn davor bewahrt, wegen Mordes zu brummen. Wenn er mich getroffen hätte, wäre es mit Sicherheit Mord gewesen, denn da ich arglos war, wäre es als heimtückischer Angriff eingestuft worden. Du bist sehenden Auges dazwischen gesprungen, da kann von Heimtücke keine Rede sein. Es bleibt nur noch die geringe Hoffnung, dass der Staatsanwalt vor Gericht auf Mordlust oder besondere Grausamkeit plädiert und das Gericht dieser Argumentation folgt. Sieh es ein, du bist ein Blödmann. Jetzt wird er wohl nur wegen Totschlag verurteilt und du bist tot. Jakob, das ist ungerecht, du hättest alle Chancen gehabt, ein Leben ohne mich zu führen, und wenn du zurück zu deinen Liebschaften gegangen wärst, wäre es immer noch besser, als im Sarg zu liegen. Und was bleibt mir, du Blödmann, niemand liest für mich Die Nacht von Lissabon vor zu Ende. Überhaupt liest mir niemand jemals wieder etwas vor. Verstehst du das? Nein, natürlich nicht, du bist und bleibst ein Blödmann.“ Beim Weitergehen tat es Rachel leid, was sie zu Jakob gesagt hatte. Wieder sprach sie mit ihm. „Ich glaube, es steht im Talmud Jakob, vielleicht aber auch anderswo – Wer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte. Wie soll ich da mit dir böse sein, wie kann ich dich da als Arschloch und Blödmann beschimpfen? Bitte sei gut mit mir, durch dein Handeln gehörst du zu den Menschen, die mein Volk Gerechte unter den Völkern nennt. Und trotzdem bist und bleibst du mein Blödmann. Du bist mein Held.“

Am Aussichtspunkt des Dreieckweihers hielt Rachel an, das Rattern eines langen Güterzuges durchbrach die Stille. Kurz darauf rauschte eine späte S-Bahn vorbei, dann war es wieder still. Da es völlig windstill war, konnte Rachel als einziges Geräusch nur das leise Platschen wahrnehmen, das die Regentropfen verursachten, wenn sie auf den Boden und das Wasser des Weihers trafen. Der Weiher war für ihr Vorhaben ideal. Sie setzte sich kurz auf die Bank, von der sie sich aber rasch wieder erhob, als die Feuchtigkeit der Sitzfläche durch ihre Hose drang. Das Vogelschutzgebiet Dreiecksweiher war komplett von einem übermannshohen Maschendrahtzaun umgeben, der nur am Aussichtspunkt durch einen brusthohen Palisadenzaun unterbrochen war, wohl einerseits, um das ungestörte Leben der Tiere zu ermöglichen und anderseits, um den vielen Fotofreunden, die sich hier zur Balzzeit positionierten, ein freies Blickfeld zu gewähren. Noch einmal über alles nachdenkend lehnte sie sich an die Palisaden, dann setzte sie sich wieder hin.
     Nasses Hinterteil oder nicht, das war jetzt vollkommen gleichgültig. Eine verdammt kurze Ehe – noch nicht einmal verheiratet und schon Witwe. Bei diesem Gedanken liefen Rachel erneut Tränen aus den Augen. Alles habe ich versaut, Jakob ist durch meine Schuld gestorben, Ilse und Heinz haben ihren Sohn verloren, nur Unglück habe ich über sie gebracht; und das nur, weil ich mich von diesem Arschloch habe ficken lassen. Nach diesem Gedanken stand Rachel auf und lehnte sich erneut an die Palisade. Rachel fand, dass es kein Problem sei, diese Sperre zu übersteigen. Noch einmal ratterte ein Güterzug vorbei, dann stellte Rachel ihren Stock an die Palisaden und schwang sich auf die andere Seite. Sie tastete mit den Füßen das Gelände dahinter ab. Auf einem schmalen Streifen, dort wo Rachel sich befand, war der Boden flach. Danach ging es steil abwärts zum Wasser, genau so hatte Jakob die Geländeverhältnisse beschrieben, als sie einmal gemeinsam vor dem Palisadenzaun gestanden hatten. Aus seinen Schilderungen wusste sie, dass genau am Übergang vom Abhang zum Wasser des Weihers ein umgestürzter Baum lag. Es regnete jetzt stärker und Rachel beschloss nicht mehr länger zu warten und ihren Plan umgehend in die Tat umzusetzen. Sie wusste genau, was passieren würde, wenn sie in das eiskalte Wasser stieg. Mit kräftigen Schwimmstößen würde sie auf den See hinausschwimmen. Schon nach wenigen Schwimmstößen würden ihre Kräfte durch Unterkühlung erlahmen, kurz darauf würde sie das Bewusstsein verlieren und sterben. War es erst einmal so weit, dass die Kräfte erlahmten, gab es keine Rettung mehr, das wusste Rachel, auch umkehren war in diesem Zustand nicht mehr möglich. Rachel empfand das als Vorteil und es half ihr dabei, die unterschwellige Angst vor dem Tod zu überwinden.
     Langsam zog sich Rachel aus, sorgfältig faltete sie die Kleidungsstücke und positionierte sie auf dem Boden neben den Palisaden. Als sie sich komplett entkleidet hatte, suchte und fand sie einen großen Stein, mit dem sie den Kleiderstapel beschwerte. Sie tastete nach Jakobs getragenem Hemd, sog ein weiteres Mal den Duft des Hemdes ein und beschloss, es mit ins Wasser zu nehmen, da sie sich so weniger allein fühlte. Der Regen lief an Rachels Körper ab, sie fror und zitterte. Vorsichtig tastete sie sich an den Rand des Abhangs, wo sie versuchte abzusteigen. Auf dem glitschigen Untergrund verlor sie jedoch sofort den Halt und rutschte den steilen Abhang hinab. Das Brombeergestrüpp, welches den Abhang bedeckte, zerkratzte Rachels Beine und Gesäß, sie spürte den Schmerz, aber all das störte sie nicht mehr. Während der Rutschpartie schoss Rachel durch den Kopf, dass sie sich etwas brechen könne und sie verletzt und nackt am Fuß des Abhangs liegen bleiben würde. Die Rutschpartie endete abrupt am umgestürzten Baum. Etwas benommen blieb Rachel liegen und versuchte, durch ruhiges atmen wieder zu sich zu finden.

Rachel betaste kurz ihre Beine, einige Verletzungen durch die Dornen und eine Schürfwunde verursachten zwar Schmerzen, aber sie war nicht ernsthaft verletzt. Als sie sich aufgerichtet hatte, setzte sie sich mit dem Rücken zum Wasser des Weihers auf den Baumstamm, der sich glitschig anfühlte und den Eindruck machte, als würde er sich unter dem Druck ihres Gesäßes auflösen. Ein modriger Geruch stieg von der nassen Erde und dem faulendem Holz des Stammes auf. All das nahm Rachel intensiv wahr, während ihre Gedanken um Jakob kreisten. Als ein weiterer endlos langer Güterzug vorbeiratterte, fand sie, dass der Zeitpunkt, ihrem Leben ein Ende zu setzten, nun erreicht sei. Ihre Tränen waren versiegt und so erhob sie sich, stellte sich an den Baumstamm und versuchte festzustellen, in welche Richtung sie schwimmen musste, um genug Abstand zwischen sich und das Ufer zu bringen. Ihre einzige Sorge war, dass sie, statt auf das offene Wasser hinauszuschwimmen, wieder auf Land traf. In Richtung der Brutplätze der Graureiher zu schwimmen wäre ideal, fand Rachel, denn zwischen dem Aussichtspunkt und der Reiherkolonie gab es genug offenes Wasser, um zu sterben. Selbst dann, wenn sie noch lebend bis dorthin kommen würde, würde sie dennoch sterben.
     Rachel wusste aus Jakobs ausführlichen Schilderungen, dass sich die Kolonie inmitten der Wasserfläche befand und bei normalem Wasserstand überflutet war. Er hatte ihr erklärt, dass die Bäume, auf denen die Reiher nisteten, sich zu einer Zeit angesiedelt hatten, als durch mehrere trockene Jahre hintereinander der Grundwasserspiegel extrem gesunken war. Rachel überstieg den Stamm, ließ sich aber noch einmal darauf nieder, da sie im Wasser, das gleich auf der anderen Seite des Stammes stand, keinen Halt fand. Zu ihrer Genugtuung stellte Rachel fest, dass sich der steile Hang auch unter der Wasseroberfläche fortsetzte. Durch den Regen fühlte sich Rachel inzwischen so, als hätte sie gerade kalt geduscht, sie fror und wollte nur noch hinausschwimmen. Noch einmal versuchte sie die Richtung zu bestimmen, in der sie die Reiherkolonie vermutete.

Ohne weiter zu zögern, stieß sich Rachel, Jakobs Hemd in der Hand haltend, vom Baumstamm ab. Noch einmal drückte sie Jakobs Hemd an ihr Gesicht und stieß es dann von sich weg. Das Wasser war mehr als eisig, aber trotzdem konnte sie noch ein Stück weit kraulen. Nach einer kurzen Strecke begann die Unterkühlung zu wirken. Da Rachel noch klar genug im Kopf war, um zu bemerken, wie ihr die Kräfte schwanden, wechselte sie vom Kraulen ins Rückenschwimmen. Sie bewegte sich nur noch wenig, ihre Fähigkeit, koordinierte Bewegungen auszuführen, kam zum Erliegen. Dann spürte Rachel, wie Wärme in ihr aufstieg. Noch war sie klar genug, um zu wissen, dass dies nur Einbildung war, „Halluzination“ fiel ihr dazu ein, und das war der letzte klare Gedanke, den Rachel in ihrem kurzen Leben hatte. Danach erkannte sie Jakob. Sie hatte erwartet, dass er böse wäre über Ihr Handeln, vielleicht auch über das, was sie vorhin zu ihm gesagt hatte. Aber Jakob war, wie eigentlich immer freundlich, er umarmte sie voller Leidenschaft und Liebe. Das Wärmeempfinden verstärkte sich weiter, nur Jakob konnte so viel Wärme spenden. Rachels Sinne verdunkelten sich endgültig, nur Jakobs Wärme blieb. Sie hatte bereits das Bewusstsein verloren, als bei einem letzten Atemzug Wasser in ihre Lunge drang. Langsam sank ihr lebloser Körper auf den Grund des Weihers.

Ein früher Jogger machte in der Morgendämmerung einige Dehnübungen an den Palisaden. Rachels weißer Langstock erregte seine Aufmerksamkeit. Hinter dem Zaun sah er das sorgfältig gefaltete, mit einem Stein beschwerte und inzwischen völlig durchnässte Kleiderbündel liegen. Eine Tragödie befürchtend zog er sein Smartphone aus der Tasche, wählte den Notruf und wartete auf das Eintreffen der Rettungskräfte, während ein Güterzug mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam. Danach war es beängstigend still an diesem regnerischen kalten Dezembermorgen. Der Abrieb der Bremsen verursachte, vermischt mit der feuchten Luft des frühen Morgens, einen brandigen Geruch, der dem Jogger in die Nase stieg.

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DaiHotarus Profilbild
DaiHotaru Am 18.05.2020 um 19:57 Uhr Mit 40. Kapitel verknüpft
Nachdem ich "Die Liebe und ihr Preis" gelesen habe, ging es nun mit "Jakob liest vor" weiter. Ich sehe großes Potenzial in den Geschichten, die aber leider hinter ihren Möglichkeiten zurück bleiben.

Zunächst beginnt die Geschichte seicht und charmant, was sehr schön ist, kommt aber im Verlauf von insgesamt 40 Kapiteln nicht wirklich in Fahrt. Die ausführlichen Beschreibungen jeder Handlung, beispielsweise der Essenszubereitung, sind zwar stimmig, jedoch sind sie aufgrund der vielen Wiederholungen auch ermüdend und langatmig. Hier wäre es besser gewesen, sich wirklich auf besondere Momente zu konzentrieren und den Rest höchstens in einem Nebensatz zu erwähnen.

Mit den Charakteren wurde ich nicht richtig warm. Während Jakob eigenartig substanzlos blieb, fand ich keinen Draht zu Rachel, deren Persönlichkeit ich zu widersprüchlich fand. Aber dazu möchte ich erst später genauer eingehen, denn das Ende der Geschichte ist in meinen Augen das beste Beispiel dafür, was ich meine.

Was es mir auch schwer machte, mit den Charakteren warm zu werden, waren die teils steifen, konstruiert wirkenden Dialoge. Da fehlt mir das Gefühl von Spontanität und Moderne. Wenn ich annehme, dass beispielsweise Rachel während der Geschichte so um die 30 Jahre alt ist und alles 2015 spielt, wirkt ihre Sprache reichlich altbacken.

Die restlichen Charaktere bleiben ähnlich flach wie die Protagonisten und Ben degeneriert zum Ende hin sogar zur Karikatur eines Neonazis. Tatsächlich fand ich ihn am Anfang bedrohlicher, als er noch wie ein Mensch wie du und ich daher kam. Zumindest in meiner Fantasie war er in der Kneipe ein ganz normaler Typ, dem man so eben auf offener Straße begegnet und ihn nicht wirklich wahrnimmt, solange er den Mund nicht aufmacht. Mit Glatze und Bomberjacke wirkt er einfach zu klischeehaft, dass es schon fast lächerlich ist. Damit wurde er klar etikettiert, sodass auch ja kein Zweifel über seine Gesinnung aufkommen kann, als ob es wirklich nötig gewesen wäre, aber das erschreckende an der Flüchtlingskrise war, dass es zeigte, wie verbreitet Fremdenfeindlichkeit tatsächlich ist und das über alle gesellschaftlichen Schichten und das Bildungsniveau hinweg. Das wurde in meinen Augen dadurch völlig verfehlt. Hier hatte ich ihn nicht so offensichtlich zum Neonazi gewandelt, sondern ihm das Gewand eines Normalos gelassen, der seinen Fremdenhass unter dem Deckmantel der Sorge versteckt, bis die Gewalt unvermittelt aus ihm ausbricht.

Wirklich enttäuscht war ich allerdings vom Ende und das nicht, weil ich auf ein Happy End gehofft hatte. Tatsächlich finde ich es für die zentrale Botschaft der Geschichte, die versteckte Gesellschaftskritik, sogar schädlich, dass Rachel den Freitod wählt. Zum einen macht es Jakobs Opfer völlig überflüssig und sinnlos, zum anderen hat es den faden Beigeschmack, dass die Rechtsextremen irgendwie gewonnen hätten. Besonders gestört hat mich allerdings, dass eine starke, unabhängige Frau, wie Rachel immer dargestellt wurde, plötzlich nicht mehr ohne den Mann an ihrer Seite leben könne und sie sich nach dessen Ableben das eigene Leben nimmt. Diese emotionale Abhängigkeit wirkt einfach vor dem schwierigen Thema im Hintergrund nicht richtig und passt auch nicht zum Bild, das für Rachel gezeichnet wurde.

Allerdings finde ich die grundlegende Idee gut und dafür, wie schwierig die gewählte Thematik ist, schon sehr passabel umgesetzt. Auch gefällt mir die knappe, pregnante Sprache der Geschichte. Sie ist angenehm zu lesen und selbst wenn man nicht hochkonzentriert Wort für Wort liest, erfasst man leicht den Sinn des Geschriebenen. Dafür gibt es sogar ein großes Lob von mir. Auch wirken die Details gut recherchiert und das schätze ich sehr.

Was könnte man besser machen?

Nun, die Handlung könnte deutlich straffer sein. Viele Ereignisse sind einfach überflüssig und man hätte sie ruhig auslassen können. Der "Konflikt" mit Rachels Bruder beispielsweise wirkte wie ein schwacher Versuch, etwas Spannung in die Handlung zu bringen, bis es zum großen Finale kommt. Das hatte aber eher was von Daily Soap, vor allem, dass sich alles schnell aufklärte und nahezu in Wohlgefallen auflöste.

Die Charaktere brauchen auch mehr Tiefe und eigene Persönlichkeiten. Auch Nebencharaktere haben einen "Eigenleben" verdient und dienen nicht nur dazu, die Handlung zum gewünschten Punkt zu lenken. Wenn das gelingt, dann wirkt die Handlung auch nicht mehr allzu gezwungen, sondern freier und lebendiger.

Und zum Schluss hätte ich das Ende anders gewählt. Entweder, dass Rachel stirbt oder keiner von beiden. Denn so, wie es bisher ist, vermittelt es zumindest in meinen Augen einfach eine falsche Botschaft.

Ich werde auch noch die anderen Geschichten lesen, denn ich denke, dass du sehr gut schreiben kannst und du sehr viel Potenzial hast. :-) Da hab ich in Zukunft ein Auge drauf.
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DaiHotarus Profilbild
DaiHotaru Am 19.05.2020 um 0:34 Uhr
@BerndMoosecker Hallo Bernd,

über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und wenn die Handlung so und nur so für dich funktioniert, dann ist das so. Das akzeptiere ich gerne, denn ja, es ist deine Geschichte, sie darf beginnen, verlaufen und enden, wie du es möchtest.

Und ich hab dich deutlich jünger geschätzt, aber selbst wenn ich es gewusst hätte, hätte es nichts an meiner Sichtweise geändert. :-)
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BerndMoosecker (Autor)Am 18.05.2020 um 21:29 Uhr
Hallo Dai,

danke für Deinen ausführlichen und fundiert begründeten Kommentar. Nun ja, die Sprache eines Menschen von fast achtzig Jahren unterscheidet sich stark, von der, die Menschen der heutigen Generation pflegen, das kann ich nicht ändern.

Man, könnte die Ereignisse auslassen. Ja, man könnte, aber ich kann es nicht, wenn ich sie auslassen würde, wäre es nicht mehr meine Geschichte.

Ich sage es ganz ehrlich, wenn ich eine solche Geschichte schreibe, wähle ich das Ende nicht, es entsteht einfach. Es entsteht einfach während des Schreibens und ich bitte eins zu bedenken, ich wollte keine Botschaft vermitteln. Was ich immer habe, ist der Einstieg in eine Geschichte, der Rest ist dann Zufall. Zum Schluss Rachel musste sterben, weil auch ich in diesem Moment, in den meine Zukunft zerbricht, nicht mehr hätte weiter leben wollen.

Es ist eine Freude, die unterschiedlichen Reaktionen auf meine Schreibereien kennenzulernen. Im Falle dieser Geschichte reichen Reaktionen von bombastisch bis zum Unverständnis, weshalb meine Liebesgeschichte so traurig endet.

Gruß Bernd
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Autor

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Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 41
Sätze: 7.375
Wörter: 91.588
Zeichen: 540.475

Kurzbeschreibung

Die blinde Rachel und der Jogger Jakob lernen sich an einem warmen Frühsommertag kennen und verlieben sich umgehend ineinander. Bis auf Rachels Blindheit gibt es keine Besonderheiten bei den Liebenden. Das ändert sich, als Rachel Jakob bittet, ihr abends vorzulesen. Mehr noch als über diesen Wunsch, erstaunt es Jakob, dass er aus Arc de Triomphe von Remarque vorlesen soll. Sie leben ihre Liebe vor dem Hintergrund von neu aufkommender Fremdenfeindlichkeit, der wachsenden Zahl von Flüchtlingen und den Anschlägen von Paris im November 2015. Schon bald kommen sie zu der Überzeugung, dass ihre Beziehung stark genug ist, die Widrigkeiten der Zeit durch ihre wachsende Liebe zu überwinden. Sie beschließen zu heiraten und hoffen auf die Zukunft.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Tragödie auch in den Genres Liebe, Erotik und gelistet.

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