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Idolas Project

382
25.12.17 12:00
16 Ab 16 Jahren
Workaholic

Autorennotiz

Diese Geschichte ist aus einem RPG entstanden. Ich habe wirklich viel Mühe da reingesteckt und würde mich wahnsinnig über eine Rückmeldung freuen. Wenn noch fragen offen sind, könnt ihr euch gerne bei mir melden. Das Original dazu findet ihr hier -> forum.fanfiktion.de/t/39281/1

Die Stadt, in der die Geschichte spielt, ist typisch Cyberpunk.
(de.wikipedia.org/wiki/Cyberpunk)
Sie besteht aus 3 Ständen, dem herrschenden Adel, dem Bürgertum und dem dritten Stand, der weitgehend nur als Abschaum angesehen wird. Die Story soll eine Art Mischung aus Tribute von Panem und Game of Thrones sein. Ich verfolge dieses Projekt weitgehend und habe auch vor das Geschriebene einem Verlag vorzustellen, wenn ich damit fertig bin.

10 Charaktere

Lin Ikara

Die Strippenzieherin im Palast. Intj: https://www.16personalities.com/de/intj-personlichkeit

Zantelle

Das It-Girl. Esfp: https://www.16personalities.com/de/esfp-personlichkeit

Kimber Athos Trelane

Der Spielball der Firma mit einer rätselhaften Vergangenheit. Enfj: https://www.16personalities.com/de/enfj-personlichkeit

Eric Mcstone

Der Abtrünnige. istj: https://www.16personalities.com/de/istj-personlichkeit

Tremas Vilander Krell (der Wolf)

Der Rebellenanführer. Estj: https://www.16personalities.com/de/estj-personlichkeit

Jinx Lyann Cipher Opteka

Die helfende Hand. Isfj: https://www.16personalities.com/de/isfj-personlichkeit

Amp Lys Altair Opteka

Der Tyrann. Entj: https://www.16personalities.com/de/entj-personlichkeit

Arthus Perylon Iander Opteka

Der Bürgermeister. Estp: https://www.16personalities.com/de/estp-personlichkeit

Minx

Die Hackerin.Istp: https://www.16personalities.com/de/istp-personlichkeit

Amyx

Der Rebell. Enfp: https://www.16personalities.com/de/enfp-personlichkeit

Prolog

 

Eine neue Identität. Ein neuer Auftrag. Und schon wieder befand er sich in den nebligen Untiefen dieser Stadt. Dies waren nicht die sauberen und sicheren Straßen des zweiten Standes, oder gar die prunkvollen Alleen des ersten. Dies war das gefährliche, mit illegalen Geschäften, billigen Neonreklamen und Prostitution gespickte Pflaster des ärmsten aller Stände. Dies war der Bezirk der Verschuldeten, der Armen, der Tagelöhner und sonstigem Abschaum der Gesellschaft. Im Vergleich zu der Stadt, die jenseits dieser Viertel lag, war es wie eine andere, eigene Welt.

Eine Welt mit einem unumstritten... einzigartigem Charme. Eine Ratte huschte über seine Füße. Anscheinend auf der Suche nach Nahrung, denn nicht selten wurden an einem solchen Ort auch Leichen entsorgt.

Genervt wippte er von einem Fuß auf den anderen und warf ab und zu einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war ja bekannt, dass für die Bewohner dieses Bezirkes die Uhrzeit keine allzu große Rolle spielte, aber langsam wurde es wirklich Zeit für den zwielichtigen Händler. Kaum war er in Gedanken, brachte ihn auch schon der Lärm eines Autos zurück in die Realität. Anscheinend war dies der Mann, auf den er bereits seit einer Stunde gewartet hatte.

„Leonardo, nehme ich an!“, wurde er mit einem fremdländischen Akzent begrüßt.

Natürlich kannte er diesen Mann aus den Akten und Unterlagen des Geheimdienstes, denn schon längst fanden dessen Geschäfte und Deals nicht nur in der Unterwelt Anklang. Dieser Typ war dem Geheimdienst schon lange ein Dorn im Auge. Allerdings wurde jeder Mensch, der schnell an Macht kam auch unvorsichtig. Es klang so einfach, wenn man davon sprach diese Ratte festzunehmen, doch wog Geld mehr als eine Vermutung. Dieser Auftrag und alles was damit in Verbindung stand, diente einzig einem Zweck. Der Beschaffung von hieb und stichfesten Beweisen, von denen man sich nicht mehr freikaufen konnte.

Als er auf ihn zukam hob sich aber nicht nur dessen hagere Gestalt vom Schatten ab, sondern auch die von zwei breitschultrigen Begleitern. Oh…da hatte jemand seine treuen Wachhunde mitgebracht.

„Freut mich sie kennenzulernen, Mister Quadrano“

Selbstsicher strich der Waffenhändler sich durch die Haare und fragte dann, als wäre es rein beiläufig: „Ihr Boss ist doch noch zu diesem Deal bereit, oder etwa nicht?“

„Natürlich!“, natürlich war er auf diese Frage vorbereitet gewesen, hatte darauf gewartet „17 millionen Coins“

Der Händler wurde hellhörig und man konnte die Gier in seinen Augen sehen: „Die Ladung kommt. Sie kann übermorgen hier abgeholt werden“

Es war zu sehen wie sich auch die beiden, dümmlich dreinblickenden, Leibwächter, ehrfürchtige Blicke zuwarfen. Obwohl sie wahrscheinlich nicht einmal bis Fünf zählen konnten, wussten sie mit Sicherheit was für eine Stange an Geld das war.

„Ich werde es meinem Boss sofort ausrichten und es wird ihn sicher freuen zu hören, dass der Deal nicht fehlgeschlagen ist“, es war fast vollbracht…nur noch ein bisschen.

Wenn genau in der Sekunde nur nicht das Handy in seiner Tasche vibriert hätte.

„Verdammt“, ein Zischen folgte dem eiligen Wegdrücken des unerwünschten Anrufes.

„Entschuldigen sie bitte, es ist nicht weiter wichtig“, mit einem Lächeln landete das Gerät schnell wieder in der Tasche.

Der Händler schien misstrauisch zu werden und als das Handy erneut klingelte, deutete er nur darauf und meinte mit eiskalter Miene: „Das scheint der da aber ganz anders zu sehen“

„Das Gespräch ist definitiv wichtiger“, rettete er sich kurzerhand und schaltete das verfluchte Ding aus, „Gibt es noch was? Ich werde meinem Boss sofort Bericht erstatten. Die erste Hälfte des Geldes ist dann heute auf ihrem Konto, die andere Hälfte gibt es nach Ablieferung der Ladung!“

„Aber natürlich! Es war mir eine Freude mit ihrem Boss Geschäfte zu machen“, mit einem flüchtigen Lächeln verschwand er dann auch wieder, so schnell wie er aufgetaucht war.

Es wurde wieder still in der Gasse. Der Auftrag war erfüllt.

 

Erst jetzt konnte er sich dem Anruf widmen. Es war die Nummer des Geheimdienstes, aber was wollten Die? War nicht bekannt, dass er jetzt gerade in einem Einsatz war?

Sofort rief er zurück und eine verzerrte Stimme meldete sich: „Eric McStone? Sind sie da?“

„Ich bin Leonardo!“, entgegnete Eric ärgerlich.

Die Stimme seufzte: „Sicherheitsfreilassungscode: Libelle. Sie sprechen mit dem stellvertretenden Leiter des Geheimdiensts, Mr McStone!“

„Verdammt was wollen sie von mir?“, knurrte der Agent nur weiter, „Ich bin in einem laufenden Einsatz?“

„Jetzt nicht mehr“

„Eh… wie meinen sie das?“, verklungen war die Wut nicht, doch das Interesse daran, weshalb gerade jetzt ein neuer Auftrag reinkam war größer.

„Heute wurden mehre Rebellen dingfest gemacht. Nach einem ausgiebigen Verhör kamen schockierende Neuigkeiten ans Licht! Merken sie sich Folgendes: Dieses Gespräch hat nie stattgefunden! Diese Operation unterliegt Geheimhaltungsstufe Rot 5! Die Regierung wird von nichts wissen, der Leiter des Geheimdienstes, sie und ich sind die Einzigen, die davon wissen! Wenn etwas schiefläuft, kennt sie der Geheimdienst nicht, wenn die Operation erfolgreich ist, werden sämtliche Verbrechen, die sie während der Operation verüben, begnadigt.“

„Was zur…“, dieser Auftrag schien gefährlicher als die bisherigen zu sein.

„Genauere Infos finden sie in Versteck 33, genauso wie die neue Identität“

Ihr Klang war so monoton, dass man fast hätte glauben können, es handle sich um einen Roboter.

Eric seufzte nur, während er sich bereits auf den Weg machte und die Gasse verließ: „Habe ich denn eine Wahl, Sir?“

„Agenten haben nie eine Wahl, McStone“, endete die Stimme, ehe es in der Leitung knackte und das Gespräch abgebrochen wurde.

„Das kann ja heiter werden“, murmelte der junge Mann nur zu sich selber, ehe er die Gasse verließ und sich, mit dem in der Tasche verstautem Handy, auf das Motorrad schwang. Auf direktem Weg zu Versteck 33 und seiner wohl gefährlichsten Mission.

Akt 1: Auftritt der Akteure

Es war einmal eine Stadt, in der lebte Prunk und Glanz. Sogar die Herzen der Menschen waren aus eiskaltem Spiegelglas. Und ihre Masken waren kostbarer, als so manches Leben.

„Die Woche hat gerade erst begonnen, doch wir halten sie auch jetzt schon rund um die Uhr auf dem Laufenden, nicht war Katie?“, strahlte der Moderator in die Kamera.
Trotz strenger Gesichtszüge, wie ein Honigkuchenpferd grinsend säuselte Katie Das weiter, was Dave schon längst am Ankündigen war: „Natürlich! Denn zum 50. Gründungstag der Firma, die uns allen das Leben erleichtert und dem sich anschließenden Start der Idola-Games, wo uns laut Quellen dieses Jahr etwas ganz Besonderes erwarten wird, ist Das das mindeste, was wir tun können und auch wollen, liebes Publikum.“
Sie klimperte mit den langen Wimpern und legte die unnatürlich langen Stelzen übereinander, während Dave es sich schon etwas bequemer auf der elfenbeinfarbenen Designercouch gemacht hatte.
„Und wenn Sie, genau wie wir“, er warf seiner Kollegin einen lächelnden Blick zu und lachte kurz darauf mit derselben Künstlichkeit, die auch das Äußere der Frau zierte, auf.
Dann wanderten seine Augen wieder zur Kamera und er fuhr fort: „Wenn sie genau wie wir nicht die Ehre hatten und zum Highlight der Woche, dem Firmenball von Biotec inc. eingeladen sind, haben sie umso mehr Zeit, unsere Reportagereihe von den Anfängen und der weiteren Entwicklung dieses großartigen Konzerns zu verfolgen.“
„Uhh und natürlich die vielen Interviews“, ergänzte Katie ihn höchst entzückt.
Dave beugte sich vor und fuhr da fort, wo Sie geendet hatte: „Und raten sie nur, Wen wir in einer halben Stunde hier zum Start der Woche begrüßen dürfen.“
Ohne lange zu warten löste er die Antwort seines kleinen Rätsels auf: „Der Pressesprecher und damit das Gesicht von Biotec inc. Kimber Athos Trela-„

„Daaawn!?“, hallte der Ruf durch die weitläufigen Gemächer.
Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta stand haareraufend vor dem hauchdünnen Display ihres Kleiderschrankes.
„Ich glaube es nicht, aber ich finde einfach nichts zum ankleiden!“, übertönte die schrille Stimme die beiden exzentrischen Moderatoren im Bildschirm.
Das Magazin lief nur nebenbei und mittlerweile wurde ihm kaum mehr Beachtung geschenkt. Aber wie denn auch, wenn alle Aufmerksamkeit der Kleiderwahl für den in kürze stattfindenden Ball galt, von dem Dave und Katie bis eben noch geplaudert hatten.
Während die Rufe noch einige Male verklangen eilte das Dienstmädchen bereits durch die Gänge.
Das Zufallen der schweren Tür verkündete ihre Ankunft, „Ihr habt nach mir gerufen, Herrin?“ 
Sie schaute kurz auf das Display ihres Handys und stellte fest, dass Zantelle sie nicht nur einmal gerufen hatte, sondern ganze sieben Male.
„Ah da bist du ja endlich, meine Liebe“, rief die Lady aufgeregt, „Du musst schnellstens den Schneider finden! Denn wie du siehst, habe ich absolut nichts zum anziehen“
Dawn spähte an ihr vorbei auf das Pad und staunte nicht schlecht von der Vielzahl an Gewändern und Kleidern für jeden erdenklichen Anlass, aber wie war es auch anders zu erwarten von ihrer Herrin, die fast jede Woche einen neuen Trend zu setzen schien.
„Ich mache mich sofort auf den Weg“, das Dienstmädchen machte sich bereit wieder los zu eilen, ehe Zantelle sie noch einmal anhielt, „Und wenn du ihn nicht findest, dann musst du mir Bescheid geben damit ich im Modeatelier anrufen kann, um einen Termin zu vereinbaren. Ah ja, und organisiere einen Fahrer, denn ich muss ohnehin noch einmal in die Stadt“
„Und nun husch husch! Die Zeit verrinnt viel zu schnell!“, das Klatschen ihrer zierlichen Hände scheuchte das Dienstmädchen schneller in die weitläufigen Gänge des Palastes zurück, als es ihm lieb war.
Die Pfade entlangeilend, hatte Dawn nur ein einziges Ziel. Sie verfolgte den Vorsatz, ihre Herrin, die Mylady de la Sirralta so gut wie möglich aussehen zu lassen. Schließlich war es ja kein Geheimnis, dass diese ein Auge auf den amtierenden Bürgermeister geworfen hatte, der zu ihrem Glück wohl auch noch auf die Richtige zu warten schien. 

Auf dem Hinweg hatte sie schon keine Spur von diesem Mann entdeckt. Er war eigentlich sehr pflichtbewusst und man sah ihn auch gar nicht so selten, wenn man als Dienstmädchen die Korridore so oft durchlief. Doch wenn man ihn wirklich brauchte, so wie Dawns Herrin es jetzt tat, dann war er wie vom Erdboden verschluckt. Es war zum aus der Haut fahren. Dawn lief, so schnell es die Stöckelschuhe nur zuließen durch den Westflügel des Palastes. Wenn hier das Arbeitszimmer des Schneiders war, konnte er ja eigentlich auch nicht weit entfernt sein. Hatte ihn vielleicht schon Jemand anderes eher für sich in Anspruch genommen. Zantelle würde schrecklich enttäuscht sein. Ein paar Gänge weiter, an der großen Treppe, ausgelegt mit dem herrschaftlich, leidenschaftlichem Rot blieb sie dann stehen. Die verglaste Wand dahinter bot einen wunderbaren Blick auf den Palastgarten. Erschöpft ließ sich das Dienstmädchen gegen einen der großen Treppenpfeiler fallen und sank fast in sich zusammen. Man sollte die Größe dieser Anlage niemals unterschätzen und auch wenn das Gebäude von außen Nie so wirkte, so war es doch verwinkelter und größer, als man vielleicht annehmen mochte.

Plötzlich hörte sie eine ihr vertraute Stimme. Sie klemmte ihre Haare hinter das eine Ohr um es genauer zu hören. Ganz klar, drang die schrille, optimistische Stimme in einem Singsang, der nur Einem gehören konnte an ihr Ohr.
Es stoppte, doch bevor Dawn glaubte sich das nur eingebildet zu haben hörte sie es ganz deutlich aus einem der Zimmer, in denen gerade ein Dienstmädchen eine Kanne mit Tee brachte. Sie hatte die Tür einen Spalt offengelassen, weshalb das Geräusch so klar war und der starke Geruch von Lavendel, welcher in einer Duftwolke hinter ihr herzog, und dem exotischen Tee, welcher fast noch penetranter duftete, als das scheußliche Parfüm dieses Mädchen Dawns Nase heimsuchte.
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie diese Gerüche damit loswerden.
„Wenn sie bitte einen Moment so bleiben würden? Ich hole nur schnell mein Maßband.“, es war eindeutig die Stimme des Schneiders, welche aus den Gemächern drang.
Was für ein Glück! Wenn er gleich durch diese Tür kam, musste Dawn ihn nur noch abfangen und zu ihrer Herrin bringen. Wie erwartet dauerte es auch nicht lange, als der hagere Mann einen Fuß vor die Tür setzte. 
Als er gerade an Dawn vorbeilaufen wollte, zeigte diese ihr süßestes Lächeln und richtete sich erwartungsvoll auf: „Entschuldigt bitte, aber die Herrin Zantelle de la Sirralta verlangt nach euch. Sofort!“
Er schaute sie nur verblüfft an, aber die Betonung des letzten Wortes gab einen genügenden Einblick auf die Dringlichkeit. Nach kurzer Zeit, die ohne eine Antwort seinerseits verstrich packte das Dienstmädchen ihn dann am Arm und schubste ihn in Richtung der Gemächer ihrer Herrin. Er war ebenfalls nur ein Angestellter, sagte daher nicht viel und verschwand dann auch ohne Wiederworte hinter der Tür. 
„Fast fertig“, murmelte sie vor sich hin, während sie noch einen Blick in die halboffene Tür warf. Sollte diese adlige Schnepfe doch warten. Ihre Herrin hatte auf jeden Fall Vorrang. 
Nun war nur noch eines zu tun. Wo zur Hölle sollte sie jetzt einen Fahrer auftreiben?

„Mylady…“, als er den Raum betrat zierte ein Lächeln Zantelles Gesicht.
Dawn war so ein Schatz! Sie hatte den Schneider wirklich schnell ausfindig gemacht. Schneller als gedacht. Aber was wollte man schon anderes von ihr erwarten? Dawn tat ihren Job wirklich hervorragend.
„Wunderbar, ich habe schon auf sie gewartet!“, entgegnete Zantelle dann auf sein Eintreten.
Als er sich an die Arbeit machte, stellte er nur wenige Fragen. Allerdings war das auch gut so. Als Bediensteter hatte er schließlich auch nicht das Recht, ungefragt das Wort gegenüber einer Adligen übermäßig zu erheben. Dennoch war ein stiller Protest zu bemerken, welchen die junge Frau aber gekonnt ignorierte und ihm währenddessen ihre Wünsche nannte. Er sollte sich glücklich schätzen einen solch lukrativen Auftrag von ihr für den großen Ball zu erhalten. Da Das, was sie wollte, dieses Mal nicht zu pompös und zu dick aufgetragen war, würde er bis zum morgigen Abend mit Sicherheit damit fertig werden. Kurz, nachdem er dann weg war, stand auch schon wieder Dawn in der Tür, völlig außer Atem.
„Nun…hast du einen Fahrer finden können?“, erwartungsvoll lastete Zantelles Blick auf ihr.
Dawn sah aus wie immer. Ihre hellblonden Dreadlocks, die sie in einem Pferdeschwanz trug und unter ihrer kurzen Dienstmädchenuniform schimmerte ihr eher dunkler Teint. 
Zantelle rümpfte kurz die Nase: „Dawn, dein Braun scheint wieder durch, du solltest schleunigst nachfärben“
Damit warf sie einen Blick auf den dunkelbraunen Ansatz, der unter dem kleinen Hütchen, welches für Dienstmädchen typisch war, hervorlugte.
Dawn senkte den Blick, erwiderte den Vorwurf ihrer Herrin jedoch nicht, sondern erzählte von der vergeblichen Suche nach dem Fahrer.
Vergeblich. Zantelle hatte sich nicht verhört.  
„Es tut mir leid, ich habe nur noch eine Fahrerin auftreiben können. Die männlichen waren alle schon… engagiert…“, endete sie dann, während die letzten Worte ihren Weg fast schon alleine fanden, so schnell wie sie aus ihr heraussprudelten.
So erschöpft wie sie aussah, hatte sie wohl wirklich ihr Bestes gegeben, da konnte man nichts machen. Da Zantelle einen guten Tag hatte, beschloss sie, es darauf beruhen zu lassen. 
„Solange es nicht diese unglaublich vulgäre Robecca Streamer ist, dann wird es, denke ich, schon in Ordnung sein“, meinte sie dann huldvoll, während sie sich schon auf den Weg zu der Tür machte und sich ihren schwarzen, mit neongrellen Details gespickten, Mantel überwarf, „Und damit du auch etwas zu tun hast, so lange ich weg bin, kannst du die Sachen aus meinem Kleiderschrank aussortieren, die ich im Inhaltsverzeichnis markiert habe, und in die Aufbereitungsanlage bringen."
Auf dem Absatz machte sie dann noch einmal kehrt und wandte sich noch einmal an Dawn: „und Wenn du deine Arbeit gut tust, darfst du auch eines der aussortierten Kleider für dich behalten“
Heute war sie gut gelaunt und wollte der ganzen Welt ihre spendable und liebevoll-herzliche Art zeigen.

Natürlich war das Dienstmädchen unendlich dankbar und als sich die Tür hinter ihrer Herrin schloss, machte sie sich sofort voll motiviert an die, eigentlich gar nicht so einfache, Aufgabe. Im Hintergrund lief immer noch das Klatschmagazin „Idola Gossip“ und die Worte begleiteten sie bei jedem Handgriff, den sie tat.

„In der letzten Nacht versuchten ein paar junge Männer in eine der Außenstellen von Biotec inc einzubrechen“, sagte Katie mit finsterer Miene.
„Wirklich grauenhaft. Zum Glück konnten ein paar der Rebellen gefasst werden, nicht wahr Katie?“, Daves Mienenspiel begleitete die Berichterstattung der Frau an seiner Seite.
Katie nickte, „Und natürlich werden wir uns von so einem kleinen Delikt die Feierlichkeiten nicht verderben lassen“…

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"Ich habe euch gleich gesagt, dass es ein Fehler war, in die Außenstelle der Filiale von Biotec Inc. einzubrechen. Die haben zu gute Absicherungen und leider auch blutgierige Wachhunde, die eng mit der Polizei zusammenarbeiten!", wies Tremas Vilander Krell die jungen Männer lautstark und eiskalt zurecht.
Vor wenigen Stunden waren sie noch voller Hoffnung gewesen. Nun spiegelte sich in ihren Augen Angst, Entsetzen und Hilflosigkeit wieder. Hilflosigkeit, gegenüber einem gnadenlosen System. Er verstand sie und ihre Beweggründe, doch war es kaum durchdacht gewesen und hatte Niemandem genützt. So oder so war es eine Aktion, deren Folgen sein Mitgefühl nicht mal ansatzweise verdient hätten.
Bevor Andon und Milar jedoch etwas hätten sagen können, fuhr der Mann fort: „Aroon und Daye sind tot, Kirow und die anderen in der Gewalt der Polizei. Man wird sie bereits durch Drogen und Gehirnsonden so durch die Mangel gedreht haben, dass sie plauderten - und damit kennen sie eure weiteren Pläne...Ihr habt durch diese ganze Aktion nur dem Geheimdienst in die Hände gespielt, mehr nicht!"
Die Beiden blickten beschämt zu Boden, trauten sich kaum ihrem Anführer in die Augen zu sehen. Anführer… war Tremas wirklich so etwas für sie? Als einer von Vielen hatte er nicht mehr Macht als die Übrigen und mehr als abraten von dieser halsbrecherischen Aktion hatte er auch nicht gekonnt. Außerdem bestand er auch nicht darauf seine Autorität ständig zur Schau zu stellen. Hier bei den Rebellen zählte nur die Gemeinschaft, das gemeinsame Ziel. Doch lagen sich die vielen, verschiedenen Köpfe meist eh nur in den Haaren, wenn es darum ging dieses eine Ziel zu erreichen. Hätten sie nur einmal zusammengearbeitet, ohne sich gegenseitig zu zerfleischen, wenn es eine Meinungsverschiedenheit gab, hätten sie schon viel mehr erreichen können.
"Dann müssen wir umdisponieren. Das heißt wir können unsere Attacke auf den Ball vergessen, oder?", meldete Milar sich vorsichtig zu Wort. 
Tremas musterte die beiden Jungen, die, von Schuldgefühl und Verlegenheit geplagt, immer noch seinem Blick auswichen.
Andon und Milar waren Brüder und beide kurz vor zwanzig. Letzterer war zwei Jahre älter, weshalb er meistens das Reden übernahm. Allerdings auch viel zu oft ohne nachzudenken. Er sprach genauso überstürzt, wie sein Bruder handelte und so konnte folglich auch nichts Gutes rauskommen, als die Beiden sich vor einiger Zeit diesen Überfall in den Kopf gesetzt hatten.
Beide hatten dasselbe dunkelbraune, wilde Haar und die blauen Augen, doch ähnelte Andon mehr ihrer Schwester, dessen Tod bei den Idola-Games für sie den Grund bot, das System so zu hassen.
„Nur, weil zwei kleine Jungen glaubten, sie könnten etwas ausrichten?“, Tremas schüttelte den Kopf, überlegte jedoch weiter, was nun zu tun war.
Er wollte ihnen nicht einfach so die Hoffnung geben. Hoffnung war sowieso etwas, was hier im Untergrund selten und schwer erhältlich war. Etwas Teures, dessen leichtsinniges Verschenken schlimme Folgen nach sich ziehen konnte.
„Was sollen wir denn sonst machen?“, fragte Milar aufgebracht, während Tremas noch schwieg.
„Sie würden von uns doch nur erwarten, dass wir jetzt einen Rückzieher machen.“, Tremas schaute an den Brüdern vorbei, zu der grauen Wand.
Das Gewicht des Betons schien ihn zu erdrücken. Selbst nach so vielen Jahren war es noch ein wenig ungewohnt, dass fast alle Verstecke der Rebellen unter der Erde lagen. Die Einrichtung des Raumes war eher spärlich. Grau auf Grau, so wie fast alles in den Randgebieten dieser Stadt. Es war, als hätte der dekadente Adel nicht nur alle Rechte und Privilegien für sich beansprucht, sondern auch die Farben.
„Wenn wir uns zurückhalten sind wir auf jeden Fall auf der sicheren Seite“, meldete sich dann Andon vorsichtig zu Wort.
„Aber warum sollten wir das?“, fragte Tremas, immer noch in Gedanken versunken. 
Die Beiden hatten so viel angerichtet, mit dieser Aktion. Es schien, als gäbe es in so einer Situation weder vor noch zurück.
„Auf jeden Fall werde ich noch mit den anderen Anführern sprechen. Aber eines kann ich euch sagen. Wir haben noch nie einen Rückzieher gemacht, also werden wir so schnell auch nicht damit anfangen.“, er wandte sich von den jungen Männern ab, bereit den kleinen Raum zu verlassen.
Betretenes Schweigen herrschte hinter seinem Rücken. Sie bewunderten ihn, dass wusste er. Wäre es doch bloß nicht so gewesen. Er würde sie nun verlassen, schließlich gab es noch andere Leute, die mit ihm reden wollten. 
Milar und Andon schauten ihm nach, doch wandte er sich nicht mehr um, als er sie alleine ließ.

„Und hast du ihnen eine schöne Standpauke verpasst?“, von außen, neben der Tür lehnte Jorissa an der Wand aus verwaschenem Grau.
Ihr vernarbtes Gesicht zierte ein Grinsen. Der Putz, welcher sich teilweise von der Stelle, an der sie lehnte, gelöst hatte, färbte ihr langes Haar zusammen mit dem grellen Licht der Neonleuchte, über ihren Köpfen, von Schwarz in ein dreckiges Dunkelgrau um. Ihre großen, rehbraunen Augen musterten ihn aufmerksam, als er die Tür hinter sich schloss. Sie scherte sich nicht darum, dass Milar und Andon ihr Kommentar
vielleicht gehört hatten. Sie hatte bisher nicht viel mit ihnen zu tun gehabt. Symphatischer gemacht hatte es sie für die junge Frau aber nicht.
„Sie sind schon genug mit den Schuldgefühlen geplagt“, erwiderte Tremas bitter.
Jorissa lachte auf, „Du bist zu nett, Tremas. Bei dem was sie getan haben, haben sie viel Schlimmeres verdient als ein schlechtes Gewissen“ 
Ihr Gegenüber ging an ihr vorbei, wandte den Blick nicht von dem weiten, endlos erscheinenden, Gang vor sich ab: „Du redest ja fast schon, als wärst du von Adel“
Die Worte gehörten einem einfachen Kommentar. Einfach so in den Raum geworfen, zur Aufheiterung und Lockerung der ganzen Lage, doch war der Tonfall ein Anderer.
Bitter und besorgt füllten die Silben die Stille zwischen ihm und ihr.
Jorissa schwieg betreten, ehe sie jedoch fortfuhr: „Vergleich mich nicht damit“
Nach all den Jahren, hatte sich die Wunde immer noch nicht geschlossen. Die Geschehnisse spielten sich wieder vor seinem inneren Auge ab. 
Das kleine Mädchen, welches misshandelt und wehrlos in einer der dunklen Gassen des dritten Standes lag. Die Narbe in ihrem Gesicht würde sie wohl für immer brandmarken und sie an die Adligen erinnern, die sie aus Spaß ihrer Schönheit beraubt hatten.
Er war gerade an ihr vorbei geschlendert, als sie auch schon kehrtmachte und ihm folgte. 
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt und den Blick schweifend wechselte sie dann das Thema: „Die Versammlung beginnt in Kürze…was wirst du sagen?“
„Du wirst es sehen. Ehrlichgesagt bin ich ein wenig skeptisch, ob wir eine einheitliche Lösung finden werden“, Tremas schaute kurz auf die Uhr, während seine Schritte jedoch nicht abebbten.
Noch hatten sie ein wenig Zeit, bis es begann. Es würde sicher eine kräftezehrende Versammlung werden. Er konnte schon jetzt das Durcheinander der vielen Stimmen ausmachen, welches ihn in kürzester Zeit voll und ganz umgeben würde.
„Ich habe mich übrigens auch ein wenig schlau gemacht. Die Festnahme scheint es sogar in ein einfaches Klatschmagazin geschafft zu haben. Aber natürlich interessiert es niemanden, wenn doch die ganze Woche lang das Jubiläum dieses wundervollen Konzerns gefeiert wird“, sie seufzte und strich sich ein wenig des grauen Stoffes aus dem Haar, welcher immer noch von ihrer Wartezeit zeugte.
„Wirklich widerlich, was die da senden“, kommentierte sie ihr eben Gesagtes dann noch einmal.
„Es ist nun einmal die einfache Unterhaltung, die der Adel schätzt“
Sie gingen immer noch langsam. Mittlerweile drängten sich schon ab und zu Leute an ihnen vorbei, je näher sie dem Konferenzsaal kamen. Es fühlte sich bei dem Tempo schon fast wie ein entspannter Spaziergang an. Doch die Kulisse verriet die Wahrheit.
Sie liefen eine Weile nebeneinander her, schweigend und das monochrome Grau in der Leere vor ihnen beobachtend, bevor Jorissa sich wieder zu Wort meldete, kurz bevor sie den großen Raum erreichten: „Dann geht es jetzt wohl gleich los“
Tremas nickte bloß und öffnete die Doppeltür. Kurz dahinter trennte sich die junge Frau von dem alten Hasen und begab sich zu ihrem Platz, der ihr als Hackerin zugewiesen war. Er setzte sich an den langen Tisch, an den schon die meisten der Anführer Platz genommen hatten und darauf warteten, endlich ihre Meinung kundzutun. Alle waren aus unterschiedlichen Bezirken dieser gigantischen Stadt und manche schienen schon so ungeduldig zu sein, dass sie sich lautstark mit ihren Sitznachbaren und Gegenübern darüber unterhielten, was die Versammlung wohl für sie bereithalten mochte. Er kannte jeden einzelnen der Anwesenden. Manche genauso gut, wie andere wiederum schlecht. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass der wahre Spaß in kaum mehr als fünf Minuten auch schon anfing. Daher beschloss Tremas es, wie er es meistens tat, sich zurückzulehnen und den Gesprächen zu lauschen, alles um sich herum zu mustern. Bei dem Durcheinander, das mit jeder Minute auch noch zuzunehmen zu schien, konnte man allerdings kaum mehr als Fetzen ausmachen. Der Tisch, um den sie alle saßen war groß und länglich. Das Material war aus einem holzähnlichen, sonst undefinierbaren Stoff. Allerdings in genau denselben, nichtssagenden, Farben, wie alles andere um ihn herum. In der Ecke, wo die Hacker saßen und ihrer Arbeit nachgingen, funkelten die strahlenden Farben. Das Deckenlicht unterschied sich nicht von dem in den Unterkünften oder in den Gängen. Dieselben Leuchtstoffröhren mit ihrem grellen Schein. Als die Zeit reif war, verebbten die Stimmen langsam, aber stetig und damit begannen auch schon die Verhandlungen.

Das Leben war wie ein Schachspiel, wenn es nur nicht mehr gegeben hätte, als Schwarz und Weiß.
Lin Ikara saß hinter ihrem Schreibtisch und las sich stirnrunzelnd die Berichte des vergangenen Tages durch. Es hatte einen Vorfall in einer der Außenstellen von Biotec inc gegeben. Überall wurde darüber berichtet, wenn auch nur am Rande. Natürlich hatte der Geheimdienst die Gefangenen sofort in Gewahrsam genommen. Jegliche Befragung vonseiten des privaten Sicherheitsdienstes von Palast und Lady war untersagt. Und dabei gab es auch schon so genug Ärger, während dieser Jubiläumswoche. Nicht nur die Arbeit, die sich mehr zu häufen schien, als sonst, sondern auch, dass hinter jeder Ecke schon der nächste Streich dieser verdammten Straßenbanden lauern konnte. Wenigstens stand für diese Tage Biotec inc. im Rampenlicht und der Medienansturm konzentrierte sich viel mehr, fast nur einzig, auf den Pressesprecher und den Ball der Firma, welcher in kaum zwei Tagen auch schon auf sie wartete. Plötzlich klingelte ihr Handy, kurz nachdem sie einen neu abgearbeiteten Stoß von Papier zu den bereits fertigen Unterlagen gelegt hatte.
Auf dem Display leuchteten die Ziffern einer Nummer, auf deren Anruf sie bereits gewartet hatte. 
Als sie abgenommen hatte, fing sie auch schon an zu sprechen, „Ich habe bereits davon gelesen“
Im Gesagten lag Vorwurf und ein kalter Hauch von Missbilligung war in ihrem trockenen Unterton zu vernehmen.
„Es tut mir leid, Mylady. Wir haben unser Bestes versucht, aber bevor wir überhaupt die Informationen zu dem Überfall in der Hand hielten, hatte der Geheimdienst die Schuldigen schon festgenommen“, schallte ihr die Stimme von Danyall Mason entgegen. 
Er wirkte enttäuscht, zerknirscht und in seinem Laut lag die Suche nach Vergebung für die Fehler. Danyall war, seit Lin angefangen hatte, sich um die Regierung zu kümmern, einer ihrer treuesten Verbündeten. Zusammen mit anderen bildete er ihren persönlichen Sicherheitsdienst, welcher sie stets auf dem Laufenden hielt und er war einer der wenigen Menschen, deren Arbeit sie fast schon ehrlich zu schätzen wusste.
„Dann müssen wir nächstes Mal schneller sein. Hat es immer noch keiner unserer Männer geschafft, sich bei den Rebellen einzuschleusen?“, lautlos und elegant glitt sie von dem Schreibtischstuhl und erhob sich vor dem weißen Glas.
„Leider nicht. Sie sind einfach zu misstrauisch…“, es fiel Danyall schwer, die schlechten Neuigkeiten zu überbringen, das war an seiner Stimme kaum zu überhören, „Aber wir versuchen es auch weiterhin. Gibt es irgendwelche neuen Befehle…zum Beispiel in Bezug auf die Ereignisse des Überfalls?“
Er schien Gedanken lesen zu können. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, verschwand dann aber auch wieder genauso schnell, wie es sich dort abgezeichnet hatte: „Ich möchte, dass ihr ein Auge auf den Geheimdienst werft“
Danyall schien nach den passenden Worten zu suchen. Von einer Sekunde auf die Andere war es still geworden und in der Luft lag heftige Angespannung: „Seid ihr euch sicher, Mylady? Ich weiß nicht, ob es schlau ist, sich mit dem Geheimdienst anzulegen“
Natürlich war es nicht schlau, das wusste auch Lin, während sie im Zimmer auf und abging. Andererseits durfte Sie sich so etwas auch nicht gefallen lassen. Es sollte keine direkte Kampfansage sein, doch wenn der Geheimdienst so töricht war und glaubte sich mit dem Palast anzulegen… Sie war eine der mächtigsten Menschen in dieser Stadt und verantwortlich für einen großen Teil der Regierung, welcher eigentlich in der Hand des Bürgermeisters lag. Dieser allerdings interessierte sich kaum für solch langweiliges Zeug, also überließ er ihr, Lin Ikara, die meiste Arbeit. Dies hatte seine Nachteile, aber durchaus auch seine Vorzüge. 
„Ich bin mir sicher und lege mein Vertrauen vollkommen in eure Hände“, ihre Stimme war ernst und die Botschaft war kaum falsch zu deuten.
Wenn ihr euch den kleinsten Fehler erlaubt, geht ihr mit mir zusammen unter. 
„Ich verspreche ihnen, wir werden unser Bestmöglichstes tun“
„Ich will hoffen, dass euer Bestmöglichstes ausreicht“, erwiderte die Lady kalt.
Kurz darauf verstummte die Leitung auch schon. Es war ein durchaus riskantes Spiel, was sie trieb, doch besaß sie nicht die Macht um bloß klein beizugeben. Nun, nachdem das kurze Gespräch nicht mehr den Raum mit seinem Klang füllte, legte sich Schweigen über das Büro. Das einzige hörbare Geräusch, waren ihre gleichmäßigen Atemzüge. Sonst drang weder Etwas nach innen, noch nach außen. Die Ruhe erschien schon erdrückend, so dicht war sie. Die leisen Schritte ihrer halbhohen Absätze, auf dem Teppich, klangen dumpf, als sie langsam auf die verglaste Wand hinter dem Schreibtisch zuging. Der Raum um sie herum war weiß und nicht das kleinste Staubkörnchen aufzufinden. Neben dem Schreibtisch, der ungefähr in der hinteren Mitte vorzufinden war, befand sich im Raum nicht viel Weiteres. Vereinzelt einige Regale an den, zum Großteil, kahlen Wänden, doch waren auch viele Unterlagen, die man dort nicht fand, digital gespeichert. Eigentlich eine durchaus zeitgenössischere Methode, doch hatte Lin schon immer eine kleine Schwäche für das Altmodische gehabt. 
Vor der gläsernen Front blieb sie dann stehen. Das Panzerglas reichte von der Decke, bis an den Boden heran. Zudem hatte es auch noch die praktische Funktion, dass man nur von einer Seite aus hindurchschauen konnte. Von der Anderen, in diesem Fall der Äußeren, sah es aus, wie eine ganz normale Wand, befindlich an dem riesigen Palast und somit auch ziemlich uninteressant für die meisten Leute. 
Lin stand nun vor dem Fenster. Ihr kalter, stolzer Blick hing über dem Meer aus Häusern, dass sie nun seit ungefähr zehn Jahren ihre Heimat nennen konnte. Und trotz dieser Zeitspanne hatte sich, in dieser Stadt des ewigen Wandels, an den wesentlichen Stellen kaum etwas geändert. Um sie herum waren viele Hochhäuser, doch überragte keines den Palast, welcher in der Mitte der Stadt wie ein Kaiser auf seinem Thron alles andere überragte. In der Ferne war eines der einzigen Gebäude, welches zu versuchen schien, dem Bau, in dem sie sich befand, nachzueifern, vielleicht sogar zu übertreffen. Die Zentrale von Biotec Inc, einer der wichtigsten Namen in Idola-City. Ein Großkonzern, welcher die Stadt genauso in der Hand hielt, wie auch der Bürgermeister oder, leider, auch der Geheimdienst. Zwar konnte die Firma keine Entscheidung zur Regierung treffen, doch war ihr Einfluss nicht zu unterschätzen. In kürzester Zeit hatte sie alle anderen Firmen, welche in dem Bereich der Bio- und Gentechnik forschten abgehängt und nun nannte man sie nicht ohne Grund die einzigwahre Firma in diesem Bereich und der Repräsentant einer nie alternden Stadt. Sozusagen der Jungbrunnen für die ganze Metropole, denn ohne die Medikamente, die Präparate und die Prothesen, die von ihr bereitgestellt wurden, würden ziemlich viele Menschen, im wahrsten Sinne des Wortes, alt aussehen, womöglich schon gar nicht mehr am Leben sein. Aber auch, wenn der Tower es versuchte, so konnte er dem Palast bei weitem nicht das Wasser reichen, wie sie fand. Er war in einem anderen, wenn auch ähnlichem, Stil gebaut. Da er jedoch noch nicht so alt war wirkte alles an ihm moderner. Der Schriftzug, der über der harmonischen Zusammensetzung aus Glas und weißem, marmorähnlichen, Baustoff prangte, machte sogar jedem Idioten klar, dass es sich hier nicht um irgendeine Firma handelte. Athos Trelane hatte sich wahrlich ein kleines Imperium aufgebaut, an der Seite der anderen treibenden Mächte natürlich, denn ganz von Sinnen war der Mann mit Sicherheit nicht.
Ihr Blick blieb jedoch nicht dort hängen. Ihre Augen wanderten weiter, suchten ein wenig Auszeit, von der lähmenden, eintönigen Arbeit, welche die vielen Papiere mit sich brachten. Da sie mit dem größten Teil schon fertig war, würde sie nicht allzu spät noch mit den Ministern sprechen müssen, schließlich brachte diese Arbeit auch Das mit sich. 
Die Häuserschluchten der Wüste aus Glas und Beton schienen sich bis an den Horizont zu ziehen, so riesig war Idola-City. Weit hinter dem, was sie momentan sah, lagen auch noch die Slums des dritten Standes. Eine Ständegesellschaft brachte nun einmal auch mit sich, dass gewisse Gruppen der Bevölkerung benachteiligt waren. Doch es war ein notwendiges Übel für das Wohlergehen vieler anderer und bei den meisten, war es durchaus berechtigt. Nicht Grundlos sanken viele vom zweiten in den dritten Stand. Oft waren es Geldprobleme, Kriminalität und Weiteres. Da mussten sich diejenigen, die die meiste Schuld auf sich geladen hatten, auch nicht wundern, wenn deren Kinder für die Games beschlagnahmt wurden. Es war die Erziehungsmaßnahme, eines Kindes, das wohl nie auszulernen schien. Soweit Lin wusste, hatten die Gewaltakte seit der größeren Popularität der Spiele, welche aufkam als Arthus, der derzeit amtierende Bürgermeister, sein Amt antrat, nicht abgenommen. Und wenn diese Leute der weiteren Entwicklung der Stadt im Wege standen, so gaben die Verlierer der Idola-Games wenigstens gutes Forschungsmaterial für Biotec ab.
Ein Seufzen durchfuhr die Frau, als sie ihren Blick langsam von der Kulisse trennte. Der tiefblaue Himmel hing wolkenlos über dem fragwürdigen Paradies, dem Garten Eden, umgeben von verdorrten Wüstenboden. Der Körper, uniformiert in Weiß, wandte sich als letztes davon ab und kurz darauf fand sie sich auch schon wieder an dem Schreibtisch wieder. Nur noch ein wenig, dann würde sie das Meiste durchgearbeitet haben und konnte sich ganz der Arbeit mit den Ministern widmen. Vielleicht schaffte sie es, den jungen Bürgermeister dazu zu bewegen auch etwas zu tun. Obwohl es eigentlich sowieso besser war, wenn er dortblieb, wo er war. So war sie schließlich nicht durch sein stures Wesen eingeschränkt und musste sich nur gegenüber den adligen Beratern durchsetzen. 
Es war ein Tag, wie fast jeder andere, der bisher verstrichen war und während sie die letzten Formulare, Anträge und Papiere begutachtete, tobte, zwei Tage vor dem Ball, das Leben in den Fluren und Zimmern des Palastes.

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Heftig schlug Tremas mit der Faust auf den Tisch. Vor nicht allzu langer Zeit hatte die Versammlung begonnen und nun tobte um ihn herum das Chaos. Die Anführer stritten sich, riefen wirr durcheinander und schienen einen Wettstreit zu führen, wer wohl die lauteste Stimme besaß.
Kurz darauf verstummten die meisten jedoch und schauten ihn an. 
Als er merkte, dass alle Aufmerksamkeit auf ihm ruhte, fing er an zu sprechen: „Es wäre Wahnsinn, ohne einen Plan zu versuchen, Unruhe zu stiften. Jeder hier im Raum sollte sich vor Augen führen, dass wir nur wenige Möglichkeiten haben, um überhaupt zuzuschlagen. Denn bei so einem Anlass werden sie alles auffahren um die Sicherheit der Gäste zu gewährleisten.“
In der hitzigen Diskussion davor, war auf jeden Fall schon klargeworden, dass sie zuschlagen würden. Die Meisten wollten sich gerade durch diese Erniedrigung, an der Andon, Milar und die Anderen schuld waren, nicht unterkriegen lassen und zeigen, dass es auch anders ging. Wenige hatten auch Angst. Allerdings war es schon immer mit einem gewissen Risiko verbunden, sich gegen das System zu stellen. Besonders, wenn das System ein so gnadenloses war. Wenn man wirklich etwas erreichen wollte, durfte man nicht bei einer solchen Möglichkeit zurückscheuen, wie ein Großteil meinte. Denn so etwas bot sich nicht allzu schnell wieder. Andererseits wusste Biotec inc das auch. Es war wie eine Rattenfalle. Aber selbst die meisten Ratten waren klug genug um misstrauisch zu sein und so mussten die Rebellen sich auch in Geduld üben und erstmal alles absprechen, ehe eine überstürzte Handlung alles zunichtemachen konnte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
„Was… schlägst du denn vor?“, fragte einer der jüngeren Anführer ihn.
In seinen Augen funkelte Ehrfurcht, aber auch Stolz und der Wille, sich nie unterkriegen zu lassen. In der Diskussion eben hatte er noch am lautesten gemeint, man solle die Halle am besten gleich mitsamt aller Gäste in die Luft jagen. 
Tremas kannte ihn nur oberflächlich, wusste aber, dass sein kleiner Bruder in den Idola-games gestorben war, wenn es stimmte was man sich erzählte. Es war dasselbe Schicksal, das auch die meisten anderen hier zeichnete und sie miteinander verband. Viele hatten ihre Geschwister oder ein Teil ihrer Familie durch die gnadenlose Regierung verloren. Egal wie und wodurch, der Hass in ihren Augen existierte nicht ohne Grund.
„Nach dem, was wir bisher getan haben, wird es kaum machbar sein, eine Bombe oder Ähnliches auf den Ball zu schmuggeln. Vielleicht sollten wir es ruhen lassen…“, fing er an, wurde jedoch, als er pausierte, von zahlreichen Stimmen unterbrochen.
Als sich alle wieder beruhigt hatten, blieb ihm kein Blick verwehrt. Tremas hatte genau das, was er sich durch diese zweideutige Wortwahl erhofft hatte. Uneingeschränkte Aufmerksamkeit. 
„Und uns einem Bereich zuwenden, den wir schon seit jeher außer Acht gelassen haben“, fuhr er fort.
Er wartete kurz, kostete die Stille, die Anspannung aus, um dann mit einem Wort knapp zu beenden, was er angefangen hatte zu sagen: „Entführung“
Die Blicke der meisten waren starr. Sie verfolgten Gedankengänge, die sie bisher kaum in Erwägung gezogen hatten. Es war eigentlich etwas Simples, doch hatten die Rebellen diese Methode schon lange nicht mehr angewandt. Mit der Zeit hatte sie sich einfach auch von selbst verbannt, als die Aktivitäten im Untergrund immer wichtiger wurden.
„Auf jeden Fall müssen wir Jemanden erwischen, der von Bedeutung ist, sonst verlaufen unsere Forderungen im Sand“, Miranda Steele reagierte als erste.
Ihr Blick war konzentriert, nachdenklich und die eiserne Miene erhielt durch die stark ausgeprägten, hohen Wangenknochen einen für sie typischen Ausdruck.
Dunkelbraune, fast schwarze, glatte Strähnen umrahmten ihr kantiges Gesicht in Form einer typischen Kurzhaarfrisur.
Sie war eine ziemlich beliebte Persönlichkeit im Untergrund und bekannt für ihre einzigartige Persönlichkeit, in der sich Scharfsinn, Ernsthaftigkeit und das Talent, andere Menschen wie eine liebende Mutter zu verstehen, miteinander verflochten. 
Tremas nickte auf ihr Kommentar: „Das versteht sich von selber…“
Die meisten der Anwesenden schienen sich auch wiedergefangen zu haben und schon wieder herrschte ein aufgeregtes Stimmwirrwarr. So viele verschiedene Namen fielen und jeder einzelne schien wieder eine neue Idee mit einzubringen. Vielfältigkeit hatte wohl auch ihre Nachteile, doch waren die meisten noch jung. Tremas wollte ihnen nicht nur vor den Mund reden. Er war nicht das, was man ein Vorbild nennen konnte. Sie mussten lernen sich ihre Meinung selber zu bilden. Allerdings war das ein unmögliches Unterfangen, wenn jetzt schon wieder das blanke Chaos tobte. Miranda hatte sich nach hinten gelehnt und ihre grünen, mit orangenen Sprenkeln durchzogenen Augen, musterten ihn aufmerksam. Sie erwartete viel von ihm, obwohl sie ihm auch nie die alleinige Entscheidungsgewalt übertragen würde. Genauso wie sie taten es auch einige andere. Und mal wieder tat Tremas dann auch das, was von ihm erwartet wurde. 
Mit dem gleichen Geräusch, wie noch kurz zuvor knallte seine Faust auf den Tisch: „Ruhe!“
Ebenfalls wie zuvor, verstummten die meisten. Nur noch gelegentliches Flüstern oder Murmeln überbrückte die Stille, die nun herrschte.
„Ich habe von Jorissa die Daten aller, die auf dem Ball sein werden und deren Name ein gewisses Gewicht hat, zusammenstellen lassen “, er deutete auf die Hackerin, die unweit des Tisches saß und der Gesellschaft um ihn herum ihr süßestes Lächeln schenkte.
Wie auf Kommando stand sie auf und ging, wie bei einer Präsentation, zum Bildschirm an der Wand. Vorsichtig steckte sie das Pad, an dem sie bis eben noch rumgebastelt hatte, in die Halterung. Sie nickte den Rebellen kurz zu, ehe sie alles anschaltete und erst verschwommen, dann immer klarer, das Gesicht eines Mannes die Wand zierte. Es schien bei einer Pressekonferenz aufgenommen zu sein und ein Raunen ging durch die Menge, als sie realisierten, wer dieser Mann war. 
Tremas beobachtete die Situation, passte den Moment perfekt ab, als er seine Stimme erhob: „Kimber Athos Trelane…Das Gesicht…und damit der Sprecher von Biotec inc.“
„Das ist doch perfekt!“, rief einer der jüngeren Rebellen.
Die Blicke der Anderen waren immer noch nachdenklich und erstaunt, aber auch voller Hoffnung.
Die ganze Stadt kannte diesen Mann. Er war Biotechniker, vorrangig aber die Stimme dieses Konzerns. Fasziniert musterte er das Bild. Die kastanienbraunen Haare, perfekt geschnitten und von einigen roten Strähnen durchzogen brachten das leuchtende Grün seiner Augen nur noch mehr zur Geltung. Auf dem Bild schmückte sein Gesicht ein geschäftsmäßiges, künstliches Lächeln. 
Auch konnte man auf dem Bild genau erkennen, wie sich sein künstliches, rechtes Auge von dem anderen abhob. Aus einem perfekten Winkel aufgenommen, sonst hätte man dieses Wunderding aus dem Hause Biotec wohl kaum ausmachen können. Alles in einem war er jedoch auch nur ein gewöhnlicher Geschäftsmann, den leider zu viele kannten. 
„Auf den ersten Blick ist er ein Mann mit viel Einfluss und Macht“, fuhr Tremas dann, nach kurzer Pause fort, „Dem ist aber mitnichten so, wenn man einfach mal genau seine Position betrachtet. Als Key Account & Science Direktor mag er zwar eine gewisse Entscheidungsgewalt haben, aber letztendlich untersteht er immer noch dem Vorstand und ist nur ein Angestellter - und damit austauschbar.“
„Warum zeigst du uns das, wenn es uns eh nichts bringt?“, fragte Jemand.
Allerdings achtete Tremas nicht darauf, als das Bild vor ihnen wechselte und er weitersprach.
Es tauchten noch weiter berühmte Gesichter dieser Stadt auf. Unter anderem auch die Mylady Verrazin-Opteka, aus einem Nebenzweig der Familie des Bürgermeisters, und mehrere wichtige Minister, welche auch zugegen sein würden.
Manche der Anführer hatten schon an Konzentration verloren, als das Bild dieser verdammten Frau an die Reihe kam und das ungeduldige Geflüster, welches sich mit der Zeit immer mehr herausgebildet hatte, sich auf einmal völlig verschluckte.
Lautlos, formten die Lippen von ihm Worte, alleine an Jorissa gerichtet: „Ich habe doch gesagt, dass du sie nicht mit reinnehmen sollst!“
Die Hackerin senkte den Blick, schien etwas zu erwidern, doch konnte man ihren Lippen nichts entnehmen.
„Lin… Ikara…“, spuckte Miranda den Namen voller Abscheu aus.
„Die Wahrhaftige“, bestätigte Tremas es ihr.
Dieses Bild schien bei einer Rede oder Ähnlichem aufgenommen zu sein. Anders als Mister Trelane oder andere Sprecher, war auf ihrem Gesicht aber kein Lächeln zu sehen. Nicht einmal die leiseste Rührung schien man darin ausmachen zu können. So wunderschön und doch so kaltherzig und tödlich. Viele Gerüchte rankten sich um sie. Die Schlange, die den Thron in ihren Händen hielt und aus dem Joch des dritten Standes ihre Energie zog. Und schon wieder konnte Tremas den Hass in den Augen der jungen Rebellen ausmachen.
Hass auf die Gesellschaft, auf die Dekadenz des Adels. Hass auf die Regierung und diese verfluchte Strippenzieherin an der Seite des Bürgermeisters. Wäre sie weg…
Tremas schüttelte den Kopf. Nein. Es war beinahe unmöglich. Nicht einmal das Attentat von vor vier Jahren, bei der ein wahnsinniger Rebell ihr eine Kugel direkt durchs Herz gejagt hatte, hatte sie getötet. Wenn man erst einmal an sie herankam, stand da schließlich auch noch Biotec inc und die beste medizinische Versorgung, die man in der Stadt bieten konnte im Weg.
Ihre giftgrünen, leicht mandelförmigen, Augen schauten leer, direkt in die Luft vor ihr. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre dieser eine perfekte Mordwaffe gewesen. Verführerisch und wunderschön… und dennoch konnte ein Wort aus diesem Mund ein ganzes Massaker anrichten. Ohne mit der Wimper zu zucken erteilte sie die Befehle, die so viele schon ihren Kopf gekostet hatten. Eine Frau mit einem Herz aus Eis.
„Nun… wie man es sich auch so hätte denken können“, unterbrach er dann die unangenehme Stille, „Ist die Mylady auch auf dem Ball anzutreffen“
Er wartete, bevor er sein gefälltes Urteil vorstellte. Er wollte wissen, was sie sagten. Wollte wissen, was sie zu tun gedachten. Im Wiederstand zu sein, bedeutete nicht, mit dem Kopf in die Wand zu rennen. Genauso wie die Gegenseite mussten sie kühl und besonnen handeln.
Einer der jüngeren Anführer erhob zuerst die Stimme: „Wir könnten ein für alle Mal das Leid beenden, wenn…“
Eine Rebellin, in demselben Alter, unterbrach ihn abrupt: „Glaubst du, man würde so leicht an sie herankommen? Es gab schon viele die bei dem Versuch draufgegangen sind und ich möchte nicht, dass wir noch mehr Niederlagen einstecken. Ich bin dafür, dass wir uns Jemand anderem zuwenden“
Ersterer wollte ihr etwas entgegensetzen, doch kam er nicht dazu.
„Gut überlegt“, lobte Tremas sie, „Es wäre praktisch Selbstmord, wenn wir uns so einfach an sie heranwagen würden.“
Er nickte Jorissa zu, dass diese schnell zum nächsten Foto springen sollte. Er wollte nicht, dass die Anwesenden hier sich noch länger den Gedanken an einen Angriff auf diese Frau hingaben. Schnell passierte es nämlich, dass manche Mitglieder der Rebellen eigenhändig handelten, wenn sie erst einmal Feuer und Flamme für eine Idee waren. Man hatte ja gesehen, was da herauskam.

Letzten Endes beschränkte sich die Auswahl an möglichen Geiseln nur noch auf vielleicht ein Dutzend. Jorissa blätterte immer wieder durch die verschiedenen Persönlichkeiten. Darunter waren die jüngeren Geschwister des Bürgermeisters, zwei Vorstandsmitglieder von Biotec Inc. und mehrere hochrangige Adlige, die wichtige Stellungen in der Verwaltung der Stadt inne- und eine reiche, mächtige Familie hinter sich hatten. 
Sie beschlossen, sich nicht speziell auf einen dieser Kandidaten zu konzentrieren. In den nächsten 48 Stunden war nichts wichtiger, als Informationen zu beschaffen und genau abzupassen, Wen sie wo und wann am besten attackieren konnten. Es würde nämlich um ein Vielfaches leichter sein Jemanden zu entführen, der gerade noch auf dem Weg zur Festhalle war. An dieser würden sich die Sicherheitskräfte ballen und es wäre unmöglich, dort etwas auszurichten. Es war nur zu hoffen, dass all die mutmaßlichen Pläne, die im weiteren Verlaufe der Besprechung, geäußert wurden, nicht umsonst waren und so eine einmalige Gelegenheit nicht verstrich.

Wie hatte es im Interview von vor kurzem noch geheißen?
"Für Biotec Inc. bin ich natürlich vierundzwanzig Stunden im Dienst, sieben Tage die Woche."
Es war leider keine Lüge, sondern die bittere Wahrheit. Doch so verpackt, dass es zum schönen und leidenschaftlichen Image dieser Stadt passte. Kimber Athos Trelanes Leben gehörte dieser Firma. Er verkörperte sie und opferte selbst seine Privatsphäre dafür. Noch vor nicht allzu langer Zeit war er in einem billigen Klatschmagazin gewesen und hatte, als heiß begehrter Ehrengast allerlei Fragen beantwortet. Nun, zurück an seinem Schreibtisch, war er jedoch froh, diese widerlich gespielte Fröhlichkeit nicht mehr ertragen zu müssen, keine Begeisterung mehr zu heucheln. In dieser Woche war dies jedoch leider nicht der letzte Termin, den er einhalten musste. Zurzeit, wo ein öffentliches Spektakel das nächste zu jagen schien, war nämlich er es, der in erster Linie den Preis zahlen musste. Als Bindeglied zwischen dem Konzern und der Öffentlichkeit war es schließlich auch sein Job, Biotec inc in das schönste Licht zu rücken. Und viele empfanden nun mal das künstliche Licht einer Neonreklame oder den eiskalten weißen Schein eines Scheinwerfers am ansprechendsten. Hinter der perfekten Fassade des Konzerns verbargen sich allerdings nicht gleich die sauberen Absichten wie vielleicht erwartet. In den Unterirdischen Laboren von Biotec inc galt ein ungeschriebenes Gesetz, was aber alles anleitete: „Wissen ist Macht“
Und um diese Macht zu erlangen, gingen die Forscher, ging sein Ziehvater, Athos Trelane, über Leichen. Am besten, wenn diese den Teilnehmern der Idola games gehörten. Eine Hand wusch nun mal die andere. Nichtsdestotrotz wurde dadurch in den vergangenen zwanzig Jahren mehr Fortschritt in der Medizin ermöglicht, als in hunderten. Und für die Gesellschaft waren diese Jugendlichen sowieso kaum etwas wert. Nichts mehr als Frischfleisch, welches der Menschheit dazu diente, sich zu entwickeln. Viele Wunder wurden durch so eine widerliche Methode schon vollbracht und jedes Mal war es ein voller Erfolg. Offiziell waren die unterirdischen Labore aber genauso unbekannt, wie der weitere Verbleib der Kinder, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren.

Nach diesem anstrengenden Tag waren es nicht mehr Viele, die durch die oberen Etagen des Towers liefen und ihre Arbeit taten. Doch Kimbers Job war noch lange nicht getan. Für die kommenden Tage konnte er froh sein, wenn er wenigstens ein paar Minuten für sich hatte. Er würde noch alle Hände voll zu tun haben, wenn es darum ging die restliche Planung für den Ball zu erledigen. Einen Großteil hatte er bereits von der Liste abgearbeitet, dennoch schien der Berg an Arbeit einfach nicht zu schrumpfen. Was stand als nächstes an? Kimber schaute auf, direkt in das Flimmern des Bildschirms vor ihm. Drei Nachrichten. Unter anderem auch eine von der Security-Firma, die sich um die Sicherheit an diesem Abend kümmern sollte. Bisher stand noch vieles offen, was auch in der Mail angemerkt war. Eigentlich wollte er bald Schluss machen, doch die Sicherheit hatte Vorrang. Die Fragen der Designer würde man ja auch noch später, gemeinsam mit der Werbeabteilung, aushandeln können. Wenn die sich darum gekümmert hatte, war er sowieso nur der, der die Entscheidungen durwinkte. Denn auch, wenn Kimber Athos Trelane Biotec inc vertrat, so war er doch mehr für die wissenschaftliche Seite verantwortlich. In der Mail von der SSS, dem Sicherheitsdienst, bat ihn ein gewisser Ryan Smith um ein Gespräch unter vier Augen. Nun, das sollte er auch so schnell wie möglich bekommen. Schließlich musste angesichts des Stresses, der jetzt und in den folgenden Tagen herrschte, alles schnell über die Bühne gehen. Die Mail war vor gar nicht so langer Zeit eingetroffen, also würde man wohl jetzt noch anrufen können.
Bevor Kimber jedoch den Videolinkkanal öffnete, fuhr er sich durch das braune Haar und schloss seine Jacke bis zum Kinn. Sein Gesicht zierte dasselbe geschäftsmäßige Lächeln, wie sonst auch, als er den fremden Mann anrief. 
Es klingelte nicht lange, bis angenommen wurde. Am anderen Ende der Leitung konnte man nun Mister Smith ausmachen. Dieser Mann sah ganz und gar aus, wie man sich einen Offizier in einer privaten Sicherheitsfirma vorstellte. Seine braunen Haare trug er kurz und in seinen Augen spiegelte sich die Erfahrung von all den Jahren im Dienst wieder. 
Er schien maximal zehn Jahre älter als sein Gegenüber zu sein, doch war so etwas wie Alter im Moment sowieso zweitrangig: „Guten Tag, Mr. Smith. Sie sind also der verantwortliche Offizier, der die Sicherheitsmaßnahmen für den Ball in zwei Tagen organisieren wird? Ich bin Key Account and Scientific Director Kimber Athos Trelane.“
„Guten Abend, Mister Trelane“, lautete die höfliche Antwort.
So weit so gut. Doch anstatt sich weiterhin um Höflichkeiten zu scheren, fing der Ältere gleich mit dem springenden Punkt an: „Richtig, das bin ich! Wie sie sicherlich wissen, geht der Secret Security Service sehr auf die Wünsche seiner Kunden ein. Daher würde ich sie bitten mir ein paar Fragen bezüglich der Veranstaltung zu beantworten. Das Dokument damit habe ich ihnen soeben geschickt, wenn sie so nett wären…“
Kimber verstand sofort und zögerte nicht lange, als er die Datei öffnete und sich alle Fragen und Bedingungen durchlas.
Dieser Mann war genauso, wie man es von seiner Stellung erwartete. Auch wenn die Höflichkeit fast schon ein wenig zu routiniert, für seinen Geschmack rüberkam, kam er schnell zur Sache. Typisch für einen guten Sicherheitsdienst. Die Fragen waren zahlreich und ebenso seriös wie der Offizier. Wie viele Sicherheitsmänner? Wie sollten sie auftreten? Soll das Gebäude überwacht werden? Wird es Einlasskontrollen geben? Und so weiter.
„Außerdem würde ich sie bitten mir einen Grundriss des Gebäudes und einen Programmablauf zur effizienteren Planung zu schicken. Ebenso eine Gästeliste, die der Pförtner abhaken kann. Das wäre Alles von meiner Seite. Wenn sie noch Fragen haben sollten, stehe ich ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung!“, merkte sein Gegenüber noch an, ehe Kimber überhaupt fertig war mit dem Lesen.
"Ich weiß, ich kenne das Procedere. Die gleichen Fragen hat bereits Ihr Vorgänger vor fünf Jahren gestellt. Deshalb erhalten Sie auch gleich eine entsprechende Datei mit den notwendigen Unterlagen. Wir waren damals sehr zufrieden mit Ihrem Service und hoffen es wieder sein zu können, zumal zu diesem Event alles erscheint, was Rang und Namen in Idola-City hat - inklusive des Bürgermeisters, seiner Familie und der Lady Ikara.", zwar waren die Feierlichkeiten zum 45. Jubiläum nur halb so aufwendig und groß aufgezogen gewesen, doch erinnerte Kimber sich noch lebhaft daran, wie er schon damals mit der kompletten Planung vertraut gewesen war.
Man lernte nun mal aus der Vergangenheit und so hatte er sich in der Tat einige Arbeit ersparen können. Mit ein paar Handgriffen war die verschlüsselte Datei dann auch schon verschickt: "Sie müssten die Informationen gleich erhalten. Der Code ist in ihrem Büro vor zwei Tagen mit Kurier hinterlegt worden. Kann ich ... einen Moment bitte."
Was war denn jetzt so wichtig, dass man das Gespräch zwischen ihm und den Mann auf so rabiate Weise stören musste? Nun, Mister Smith würde sich wohl oder übel damit abfinden müssen, denn Kimbers Augen weiteten sich, als er die Wichtigkeit der Nachricht begriff, die kurz zuvor auf dem Bildschirm aufgetaucht war.
Nachdem er Mister Smith auf Standby gestellt hatte, rief er den Verfasser sofort zurück. In dem Bild, welches nun erschien und den halben Bildschirm für sich beanspruchte konnte man einen älteren Mann, mit einer Brille und einem langen weißen Kittel erkennen. Doktor Collingfort schien selbst den Grund noch gar nicht erfasst zu haben, weshalb er sich nun in diesem Anruf befand. Man konnte seinen schnellen Atem deutlich vernehmen und die anderen Forscher im Hintergrund aufgeregt, wie ein aufgescheuchtes Hornissennest, umherlaufen sehen: „Ich habe gute…Nein fantastische Neuigkeiten!“
Der Angesprochene schwieg erst noch und ließ den Wissenschaftler in seiner Begeisterung fortfahren: „Wir können 'JUVENIL Pro' schon jetzt für die Öffentlichkeit frei geben. Stell dir vor, Kimber, das wird wie eine Bombe auf dem Ball einschlagen, wenn du das als besondere Überraschung preisgibst. Es kann in zwei Monaten ausgeliefert werden, wenn wir nur ..."
„Wenn wir was?“, unterbrach er den alten Mann.
Ein Schauder lief über seinen Rücken und er wusste nicht, weshalb er so etwas gefragt hatte. Eigentlich kannte er die Antwort ja schon längst. Der Wissenschaftler schwieg…ließ kurz betreten die Schultern hängen, als wenn er wirklich Mitleid gehabt hätte, richtete sich dann aber auf und fuhr genauso motiviert fort: „Wenn wir entsprechendes Ausgangsmaterial erhalten. Deshalb musst du mich auf der Vorstandssitzung morgen früh unterstützen. Ich hab ja schon immer gesagt: je jünger, desto besser. Die besten Ergebnisse erzielten wir mit den Sechzehnjährigen. Bei Vierzehnjährigen..."
Wie er es sich gedacht hatte. Was tat man nicht alles um die High Society dieser Stadt jung und schön zu halten? 
„Evan…ich rufe dich später zurück“, Kimber versuchte so sachlich wie möglich zu bleiben, „Ich befinde mich momentan in einem wichtigen Gespräch. Kannst du mir einen Bericht dazu zusammenstellen?“
Der Doktor konnte sich höchstwahrscheinlich denken, unter welchem Druck und Stress sei Gegenüber derzeit stand und nickte nur. Dann kappte Kimber die Leitung und es herrschte Stille. Er würde sich noch ein paar Sekunden Zeit nehmen, ehe er weiter mit dem Offizier sprechen würde. Was hatte er da gehört? War es nun wirklich soweit? Alles hatte seinen Preis, so nun mal auch ein Wunder. Auf den Preis musste man nicht weiter eingehen, um zu wissen, wie grausam das System doch war. Das Mindestalter für die Idola-Games senken? Konnte Biotec-Inc so etwas von dem Palast, der Regierung, verlangen? Den meisten Adligen wäre es egal und Manche würden die Spiele dann sogar noch mit größerem Vergnügen sehen. Wie widerlich und verkommen die Gesellschaft doch war, aber da konnte man wohl nichts machen. Kurz lehnte er sich zurück und versuchte das Gehörte sacken zu lassen. Obwohl verdrängen es wohl treffender beschrieben hätte. Kimber war nur ein Zahnrad in dieser großen Maschine und er hätte es wesentlich schlechter treffen können. Solange er seine Arbeit tat und Biotec inc keinen Grund hatte ihn los werden zu wollen, durfte es ihn einfach nicht allzu sehr interessieren.
Nachdem er noch einmal tief Luft geholt hatte, holte er die Verbindung aus dem Standby zurück und das Lächeln brannte sich erneut auf seine Lippen. Wie Gift.


„Guten Morgen Mylady de la Sirralta“
Wie hieß es so schön? Neuer Tag neues Glück. Am vergangenen Abend hatte Zantelle den Bürgermeister leider nicht mehr angetroffen, doch hatte der Frust darüber nicht lange angehalten. Nachdem die junge Holo-Künstlerin sich noch einmal um die Kristalle für das Kleid kümmern konnte, ging es ihr am Morgen danach gleich viel besser. Das Kleid wurde zwar von dem Schneider angefertigt, doch hatte der Anlass wohl die Hobbybastlerin in der jungen Adligen geweckt. Schon lange hatte sie davon geträumt, einen perfekten Auftritt mit einem Gewand hinzulegen, das über und über mit den kleinen Steinen besetzt war, die die unterschiedlichsten Bilder auf den Stoff erscheinen ließen. Die Aufregung, sich später wieder dem Kleid und vielleicht auch der Beziehung zu Arthus zu widmen kribbelte in Zantelles Fingerspitzen. Ein erstes Mal schaute sie sich nun um. Der Saal war blau, wie sein Name vielleicht auch schon vermuten ließ. „Blauer Saal“ nannte man ihn und es war eine wahre Pracht. Der lange Tisch war gedeckt und glich der Tafel eines Königs. Viele waren bereits anwesend, doch von dem Mann, welchem der Platz an der Spitze des Tisches vorbestimmt war, fehlte jegliche Spur. Die junge Frau ging zu ihrem Platz und ließ sich nieder. Es war zwar nicht in der direkten Nähe von Arthus Stuhl, aber mehr hätte man wirklich nicht verlangen können. Der Name de la Sirralta hatte genug Gewicht, dass sie sich hier überhaupt aufhalten durfte. Die umliegenden Plätze an der Spitze des Tisches waren für die reserviert, die dem Bürgermeister am nächsten standen. Vielleicht würde Zantelle es auch irgendwann schaffen…doch da stand ihr noch einiges im Weg…Und wenn man vom Teufel sprach. Genau in dem Moment betrat die Lady Ikara den Raum. Ihre Kleiderwahl war so schlicht wie sonst auch und Zantelle rümpfte leicht die Nase. Sie konnte die Frau nicht leiden. Ob es daran lag, dass Ikara dem Herren der Stadt näher stand, oder dass sie ihr einfach unsympathisch war, war ihr nicht gewiss. Nicht umsonst nannte man Sie auch „Eisstatue“. Ohne eine Miene zu verziehen setzte die engste Beraterin des Bürgermeisters sich auf den Platz zu seiner linken. Oder da wo seine Linke gewesen wäre, denn von Arthus selber war noch keine Spur in Sicht.
Wo bleibt er denn?
Man war es ja im Grunde gewohnt, dass er sich Zeit ließ und es bevorzugte, als Letzter zu erscheinen, aber das hieß noch lange nicht, dass Zantelle diese Eigenschaft schätzte. Während ein Diener ihr schon etwas einschenkte und ein anderer Adliger versuchte sie in ein Gespräch zu locken schielten ihre Augen immer wieder zum Eingang des Saales.
„Was für ein wunderschönes Wetter wir doch heute haben, Mylady“, plapperte Lord Netwall ihr ins Ohr.
Um nicht zu unhöflich zu wirken, schenkte sie den leeren Worten kaum mehr als eine noch inhaltslosere Floskel zur Antwort: „Da sprechen Sie nur recht, Mylord“
Er schien zu überlegen, wie er das Gespräch weiter ins Rollen bringen könnte. Letzten Endes blieb es aber nur bei weiteren, ähnlich kurzen, Wortwechseln. Kurze Zeit später, hatte der Herr allerdings schon einen anderen Gesprächspartner gefunden, der in Zantelles Augen als passender erschien. Die Männer unterhielten sich sehr angeregt über Gewinnmaximierung und gaben sich gegenseitig Tipps um Arbeitskräfte noch billiger auszubeuten. Derartige Themen langweilten den leichtlebigen Geist der jungen Frau, doch obwohl sie sich abwandte, folgte sie dennoch dem Gespräch. Etwas Besseres hatte sie ja wohl eh nicht zu tun. Die Geschäftsmänner waren gerade bei den aktuellen Börsenkursen angelangt, als die Tür am Ende des Raumes aufschwang und alles verstummte. Zantelle, die bis eben noch gelangweilt durch die Gegend gestarrt hatte, erwachte nun aus ihrer Lethargie und widmete all ihre Aufmerksamkeit dem Geschehen. 
„Verehrte Lords und Ladys. Arthus Perylon Iander aus den Hause Opteka“, kündigte man ihn an. 
Er war zweifelslos einer der bestaussehensten Männer, die Zantelle kannte. Seine tiefschwarzen Haare waren kurz und auch, wenn es normalerweise nicht ganz so ihr Geschmack war, so fand die Adlige auch an der makellosen weißblassen Haut gefallen. Seine runden Augen funkelten so blau wie der Himmel und auch wenn man wusste, dass es nur Kontaktlinsen waren, die seinen eigentlich grünen Blick auf alles verschleierten, so konnte man dennoch problemlos darin versinken.
Anstatt etwas zu sagen, nickte er den Anwesenden nur einmal wohlwollend zu, ehe er sich auch zu seinem Platz begab. Jeder Schritt schien bedacht langsam zu sein und in seinem Gang lag etwas erhobenes, majestätisches. Für eine Sekunde kam es Zantelle so vor, als hätte er ihr zugezwinkert. Ihr Herz wäre am liebsten stehen geblieben. Damit war das Frühstück wohl auch offiziell eröffnet. Die meisten Adligen plapperten nur noch wilder drauf los und stürzten sich auf das Essen, während leise Musik eingespielt wurde. Zantelle liebte diese Atmosphäre. Hier konnte man all den Schmutz und all die Makel dieser Stadt vergessen und sich den perfekten Dingen zuwenden.
Nun, da das Frühstück in vollem Gange war, musste Zantelle höchste Vorsicht walten lassen. Man erzählte sich über den Bürgermeister, er wäre den schönen Dingen des Lebens nicht abgeneigt. Und die junge Adlige war nicht umsonst als eine der schönsten Ladys am Hofe bekannt. Am Anfang beschränkte sie sich nur auf ein paar Blicke. Es war eine klassische Taktik, wie sie wahrscheinlich schon viele vor ihr benutzt hatten. Ein neugieriger Blick war stets auf den Mann am Ende der Tafel gerichtet und immer, wenn dieser auf sie Aufmerksam wurde wandte sie den Kopf schüchtern ab. Bei alldem durfte sie das stetige Lächeln jedoch auch nicht vergessen. So ging das eine kurze Zeit, ehe sich schon erste Ergebnisse zeigten. Mit einer Handbewegung rief er einen der Bediensteten herbei. Kurz wurden Worte gewechselt. Vielleicht fragte er ihn etwas. Der Blick der dabei kurz auf Zantelle ruhte, war nicht zu ignorieren.
Nachdem der Diener entlassen war, lächelte Arthus ihr ein weiteres Mal charmant entgegen. Die Schwarzhaarige war sich sicher, jetzt seine volle Aufmerksamkeit zu haben. Anstelle offen zurückzulächeln, senkte sie jedoch nur schüchtern den Kopf, wie zuvor auch. Jetzt konnte man wohl langsam Phase zwei einleiten...

Akt 2: Das große Spektakel

„Guten Morgen, Mister Trelane“, Ryan Smith stand vor dem Eingang der Festhalle, oberhalb der Stufen.

Ob der Morgen wirklich so gut war, wagte er zu bezweifeln. Auf jeden Fall war er schon wieder viel zu lang geraten. Es kam Kimber wie eine halbe Ewigkeit vor, seitdem er aufgestanden war. Aber ob man es aufstehen nennen konnte, wenn man sowieso kaum geschlafen hatte? Kaum angekommen und noch gar nicht ganz hinter der Sicherheitskontrolle, als der Offizier des SSS auf ihn zu kam und ihm zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte. Es fiel Kimber nicht schwer den festen Händedruck mit geschäftsmäßiger Miene und passendem Gruß zu erwidern. Wie bei dem Videotelefonat dauerte es hier auch hier nicht lange, bis das eigentliche Anliegen der Männer angerissen wurde.

„Ich hielt es für angebracht, wenn sie mir ihr Sicherheitskonzept vor Ort vorstellen, damit ich mir gleich ein Bild machen kann", Kimber nickte in Richtung der Halle vor ihnen, fügte dann jedoch leiser, kaum hörbar hinzu, "Außerdem ist es mir wichtig, den Mann persönlich kennen zu lernen, in dessen Hände ich das Leben meiner Gäste legen werde."

Damit setzte sich der Sicherheitsbeamte in Bewegung: „Eine durchaus berechtigte Entscheidung, Mister Trelane. Entschuldigen Sie bitte die Umstände, aber bereits jetzt ist eine Sicherheitskontrolle enorm wichtig.“

„Natürlich ist sie das…es ist ja nicht nur ein Gerücht, dass so ein Anlass das Gesindel ebenso leicht anlockt, wie Licht lästiges Ungeziefer“, Kimber ließ seinen Blick durch den Garten schweifen.

So wie es hier aussah, konnte man kaum glauben, dass dieser Ort immer noch zu Idola City gehörte. Nördlich der Innenstadt war dies hier eine der ruhigeren Gegenden und es hätte ihn auch nicht gewundert jeden Moment einen Vogel am wolkenlosen Himmel zu sehen. Der Weg zu den Stufen hin war mit Zypressen gesäumt und jenseits dessen, auf den Grünflächen zu jeder Seite befand sich ein prunkvoll geschmückter Marmorbrunnen. Die Wasserspeier hatten die Form von jeweils einem Schwaan, der sich in den Himmel erhob. Das meiste war wohl schon für den Ball vorbereitet. Der Rasen wirkte für Kimbers Geschmack fast schon ein wenig zu unecht, so perfekt wie er getrimmt war und die Farbe erinnerte eher an sein künstliches Auge, als an eine echte, in der Natur vorkommende, Grasfläche. Jedoch war er sich sicher, dass er sowieso einer der wenigen war, den so etwas interessierte.

„Das hier wäre mein aktueller Entwurf. Eine Kopie davon habe ich ihnen schon per Mail geschickt, falls sie ihn noch brauchen sollten“, Mister Smith drehte sich beim Gehen etwas um und reichte ein eher kleines Datenpad nach hinten. „Wie umsichtig…“, sorgfältig überflog der Biotechniker alles. Soweit wirkte es fehlerfrei, doch er würde es sich mit Sicherheit nicht nehmen lassen, noch einmal alles zu überprüfen.

„Wenn Sie es gestatten, führe ich sie nun etwas herum“, als der Offizier die Stufen hochging, deutete er den bereits postierten Sicherheitsmännern an, die Tür zu öffnen.

Diese …Tür war wohl mehr ein Tor, so groß wie sie erschien, wenn man direkt davorstand. Zum Teil war sie aus Glas und passte mit ihrer schlichten Eleganz perfekt zum Rest. Für so manchen schien wahrscheinlich schon der Eingangsbereich gigantisch. Ein kleiner Kronleuchter zierte die hohe Decke. Jedoch war hier noch kein Licht vonnöten, so hell wie die Sonne durch die gläserne Front schien. Die Schritte der Männer waren laut und deutlich auf dem Marmorboden zu hören. Einige Dienstmädchen waren schon dabei diesen für das kommende Ereignis zu polieren. Ein wenig zu viel des guten, wie Kimber fand. Wenn die hohen Herrschaften hier eintrafen, würde sie wohl ein samtener Teppich begrüßen und kein kalter Stein und all diese Details wie ein glänzend polierter Boden würden ihnen kaum ins Auge fallen. Eine weitere Treppe hinauf und sie befanden sich im Ballsaal. Das, was sie dort erwartete, war wirklich eine eigentümliche Schönheit. Seitdem Kimber vor 5 Jahre hier gewesen war hatte sich nur wenig verändert. Alles war in den Farben der Firma geschmückt. Silber und ein dunkles Blau. Der Kronleuchter an der Decke hier war so groß und schön, dass es fast wirkte, als würde er den im Eingangsbereich verspotten wollen.

Kimber schaute noch einmal kurz auf den Entwurf, bevor er dem Mann vor sich das Tablet zurückgab und einige Schritte voraus, zur Mitte der Tanzfläche hin, ging. Grob musterte er seine Umgebung und versuchte sich den Plan wieder ins Gedächtnis zu rufen. Kurze Zeit später deutete er dann auf den Platz für das Orchester über dem Sicherheitsbeauftragten, welcher immer noch am Eingang des Saales stand: „Mir macht die Empore ein paar gewisse Sorgen…oder um genau zu sein der für die Kameras tote Winkel dort“

„Die Empore wird von den Sicherheitskräften auf der Brüstung überwacht…Aber wenn sie es wünschen, kann ich natürlich auch dort eine Kamera installieren lassen.“

„Besser wäre es“, sagte Kimber knapp.

Mister Smith nickte kurz, machte sich ein paar schnelle Notizen auf dem Datenpad und holte dann sofort zu seinem Gesprächspartner auf. Kimber war kaum mehr als ein Laie auf diesem Gebiet, doch das ließ er sich kaum anmerken. Schließlich hatte er nicht umsonst den SSS engagiert um auszuhelfen. An vielen Stellen wurde immer noch hektisch gearbeitet und die meisten Leute schienen so in ihre Tätigkeiten vertieft zu sein, dass sie kaum bemerkten, wenn man an ihnen vorbeiging.

„Ich wäre gerne für alle Eventualitäten abgesichert", meinte Kimber dann nach kurzer Stille, während er zur Decke hinaufschaute.
Mister Smith hatte ihm bereits fast alles erklärt und nun schlenderten sie vielmehr herum, als noch irgendwas speziell unter die Lupe zu nehmen.
„Gerade ein Event wie dieses wird die Rebellen noch mehr anstacheln als je zuvor. Wann werden sie schon wieder die Gelegenheit haben, so viele bedeutende Persönlichkeiten auf einmal erwischen zu können?"

Kurz hielt er inne, ehe er nachdenklich fortfuhr: „Auch in meinem Forschungsbereich habe ich gelernt, mit allem zu rechnen, deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass bei so einer großen Sache sicherlich auch ‚Der Wolf‘ seine Finger im Spiel haben wird. Die Nachrichten haben zwar schon mehrere Monate nichts mehr von ihm verlauten lassen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der in einem seiner Verstecke so einfach verreckt ist…Und sie können sich sicher auch vorstellen, dass wenn nur eine Sache schiefgeht vor allem wir beide es sind, die den Kopf hinhalten müssen.“

„Sicher doch…Der SSS ist für jede Eventualität vorbereitet und ich kann Ihnen versichern, dass wenn der Wolf hier auftaucht, wir ihn ein für alle Male vom Antlitz der Stadt verschwinden lassen werden.“

„Es freut mich dies mit derartiger Zuversicht zu hören“, Kimber war kein wenig erleichtert, doch ließ er es sich nicht anmerken wie sehr er an diesem ganzen Unterfangen zweifelte.
Kurz starrte er gedankenverloren auf den Boden vor sich. Es würde schon gut gehen…es musste gutgehen. Plötzlich riss ihn etwas aus seinen Gedanken. Oder besser gesagt: Irgendwer. Ein junger Mann war vorbeigelaufen und hatte ihn versehentlich fast umgerannt. Mister Smith war schon ein wenig voraus, wandte sich dann jedoch um als er die Stimme des Fremden hörte.
„Entschuldigen Sie!“, anscheinend war er ziemlich in Eile.
In der Hand hielt der Mann etwas, was aussah wie ein Feuerwerk. Misstrauisch begutachtete Kimber ihn, konnte ihn jedoch kaum aufhalten, als er weiterwollte.
„Anscheinend wird auch schon für das geplante Feuerwerk alles vorbereitet“, Kimber wandte sich wieder an seinen Gesprächspartner, „Aber wo waren wir stehen geblieben? Achja… ich beabsichtige mein vollstes Vertrauen in Sie und ihre Firma zu setzen…enttäuschen Sie mich nicht.“
„Natürlich nicht“

Während sie sich noch die Bühne und alles Weitere genau anschauten pingte das Handy in Kimbers Hosentasche unaufhörlich. Vorerst ignorierte er das lästige Geräusch. Die Sicherheit der Gäste war wichtiger als alles andere und die Nachrichten durften jetzt wohl erstmal warten.

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Minx… ich habe es doch nicht so gemeint“, er kniete vor ihr.
Wie widerlich konnten Menschen nur sein? Der Boden war schwarz, genauso wie die Wände und die Decke. Nur die Silhouetten der dort befindlichen Personen waren klar und deutlich im Dunkel auszumachen.
„Dann hättest du wohl besser nachdenken sollen, bevor du glaubst du könntest mich ausnutzen und mir illegale Drogengeschäfte anhaften… das Netzt vergisst nie...und ich auch nicht“
Wie oft hatten diese Kerle schon ihre Spiele mit ihr getrieben? Und jedes Mal hatte sie ihnen gezeigt wer der Verlierer war.
„Nun entschuldige mich, ich habe wichtigeres zu tun als mich mit Abschaum wie dir abzugeben“, die junge Frau wollte gerade auf dem Absatz kehrtmachen, als den Mann zu ihren Füßen wohl voll und ganz die Verzweiflung ergriff.
„Bitte… ich flehe dich an“, er versuchte an dem Stoff ihrer Hose halt zu finden und sie zurückzuhalten, „Der Sicherheitsdienst wird jede Sekunde meine Wohnung stürmen…meine Tochter wird in den Idola-Games sterben. Ich habe das doch alles nicht für mich getan!“
Langsam wurde die Hackerin wütend und nachdem sie seinem Griff auswich drehte sie sich ruckartig um: „Wenn du aus reiner Nächstenliebe gehandelt hättest, hättest du dich und deine Tochter gar nicht erst in die Scheiße reingeritten. Oh… und jetzt ist sie am dampfen, aber glaub nicht, mich würde das auch nu n‘ Scheißdreck interessieren. Meinetwegen könnt ihr alle verrecken“
Mitleid brachte einem schließlich auch kein Abendessen… oder ein Dach über den Kopf. Natürlich nicht. Obwohl das Mädchen ihr fast leidtat, so hatte der Dreckskerl es allemal verdient.
„Aber… wir haben doch zusammen gearbeitet… du kannst mich nicht so einfach sterben lassen“, versuchte der er es erneut.
Und wieder griff er nach ihrem Bein. Fast hätte er es auch geschafft. Doch in dem Moment, an dem seine dreckigen Finger den Stoff zu fassen bekamen, war Minx schon längst verschwunden. Wo sie zuvor noch gestanden hatte strich seine Hand nun durch ein Hologramm. Fast kam es dem jungen Mädchen so vor, als würde sie sein Schreien noch hören, nachdem sie das Fenster schon längst geschlossen hatte. Und mal wieder war die Katze den Fängen des Sicherheitsdienstes entgangen. Allerdings musste sie weiterhin aufpassen… schließlich waren es kaum noch zwei Wochen bis die Games anfingen und Minx hatte absolut keine Lust sich mit anderen Jugendlichen ‚sportlich zu messen‘. So drückte es zumindest der Adel aus. In echt war es natürlich nicht mehr ganz so edel und schön. Sportliche Wettkämpfe auf Leben und Tod. Die Verlierer… nun ja die Verlierer erwartete wie schon erwähnt der Tod, doch den Gewinnern ging es auch nicht grade besser. Sie durften im Palast leben, doch war es zu auffällig wie schnell diese Jugendlichen auch wieder von der Bildfläche verschwanden oder rein zufällig in einen Drogenskandal, einen Verkehrsunfall oder sonstiges verwickelt waren. Irgendwie verlor man beim Spiel der Adligen immer -auch wenn man gewann. Minx sprang von Seite zu Seite zu untersuchte alle neuen Nachrichten und Gerüchte. Soso…übermorgen war also der Ball? Das hatte sie ja völlig vergessen, aber zum Glück war sie eh nicht eingeladen. Blieb ihr umso mehr Zeit sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Ein paar Mal hätte ein Spionageprogramm des Sicherheitsdienstes die gewitzte Hackerin erwischt, doch schaffte sie es jedes Mal erneut, dieses zu umgehen. Das Deep Web und das normale Netz waren schon vor Jahrzehnten miteinander verschmolzen, weshalb man immer mit höchste Vorsicht handeln musste. Man wusste nur selten, wann man unbeobachtet war und wann nicht und selbst Minx war sich nicht immer sicher. Derzeit schien jedoch alle Luft rein zu sein.
„Ich bin froh, dass ich nicht zu dem Ball eingeladen bin“; posaunte eine Userin aus dem niederen Adel in einem Thread ,eigens für dieses Ereignis eingerichtet, herum.
„Jaja ist klar. Insgeheim willst du doch nix mehr als dahin zu gehen und vielleicht sogar deinen Traumprinzen treffen“, spottete ein anderer über sie.
Weiter oben war sogar ein Beitrag aus dem TV verlinkt. Die Verantwortliche hierfür hatte mit einem übertrieben theatralisch dreinschauenden Smiley dazu gepinnt: „Ich will da auch hin“
Wie konnte man nur so naiv und dumm sein? Das tat sowohl in den Ohren, als auch in den Augen weh. Lange ertrug Minx es nicht mehr, weshalb sie das Forum wechselte. Nun war sie mitten unter Verschwörungstheoretikern.
„Das ist ja noch schlimmer“, murmelte sie, während sie gerade weiterspringen wollte.
Sämtliche Beiträge auf dieser Seite waren ja sowas von zusammengereimt. Dinge wie „Mylady Ikara ist ein Vampir“, oder „Biotect inc nutzt Kandidaten der Idola Games für geheime Genexperimente“.
Eines musste man den Usern dieser Seite jedenfalls lassen. Sie hatten Fantasie. Doch suchte Minx etwas anderes und sprang auch schon zur nächsten Seite. Eine typische Seite für Klatsch und Tratsch. Die Hackerin wollte weiter, als der Artikel über den Überfall einiger Rebellen auf eine Außenstelle von Biotec inc ihre Aufmerksamkeit erregte.
„In dieser Stadt geht ja selbst die Rebellion den Bach runter“, kommentierte sie nur trocken und blätterte dann weiter.
Hier im Netz fand man alles, aber zugleich auch nichts.
Wen interessierten die „5 Tipps für schöne, straffe Haut“? Im dritten Stand verhungerten die Leute und im ersten wurde diskutiert, welche Anti-Falten-Creme am wirksamsten war. Das war ja echt zum verrückt werden! Lange blieb Minx nicht mehr dort. Es warteten noch unzählige weitere Seiten darauf, dass sie ihnen einen Besuch abstattete.

Und natürlich hatte sie bis zum Schluss nichts Brauchbares gefunden. Vorsichtig stöpselte sie sich aus und packte ihren Laptop in die zerfledderte Umhängetasche. Selbst unter den Hackern war die Katze eine Rarität. Schließlich wagte nicht jeder den operativen Eingriff um eins mit dem Netz zu werden. Bis eben noch hatte sie vorgebeugt dagesessen, während ihr Bewusstsein ganz woanders war. Nun erhob sie sich und strich sich einige Strähnen ihres blauen Sidecuts aus dem Gesicht. Es wurde wohl wieder Zeit diesen Ort zu verlassen. Minx befand sich in einer leeren Wohnung am Rande der Viertel des dritten Standes. Zu gerne würde sie wieder unter Menschen gehen, doch nachdem sie vor kurzem wieder versucht hatte die Firewalls von Biotec zu knacken, wurde sie in der ganzen Stadt gesucht. Und da die Games vor der Tür standen, wollte sie sich nur ungerne schnappen lassen. Wer würde das schon? Diesen Abend würde die junge Frau wohl wieder in einer Lokal verbringen, welches als DIE Anlaufstelle für zwielichtige Gestalten galt. Dealer, Hacker, Bandenchefs und sonstiges waren regelmäßig dort und ebenfalls dort würde sie das finden, was sie stets suchte und was niemals wertlos wurde: Informationen.


 

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.

„Was für eine angenehme Überraschung, Mylady“, Arthus hatte den ganzen Abend auf diesen Besuch gewartet.
Natürlich war es keine Überraschung, sondern von vorneherein klar, dass sie kommen würde. Niemand lehnte die Einladung des Bürgermeisters ab und schon gar nicht diese Frau. Arthus hatte sie schon bei mehreren gesellschaftlichen Anlässen beobachten können Ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit beeindruckten ihn immer wieder von neuem. Und das durfte schon was heißen.
Die junge Frau deutete einen Knicks an und ihre Lippen zierte ein strahlendes Lächeln: „Ich danke für die Einladung, Mylord Opteka“
Er schenkte ihr genau denselben Gesichtsausdruck, mit dem er auch die meisten anderen Damen für sich gewinnen konnte. Alleine dafür lohnten sich die lästigen kleinen Eingriffe, um sein Äußeres dem Schönheitsideal des ersten Standes anzupassen. Zum Glück war Arthus schon von Anfang an nahezu perfekt gewesen, weshalb sich große Korrekturen noch vermeiden ließen und es nur dabei blieb lästige Muttermale auszumerzen oder die Zähne perlweiß scheinen zu lassen.
„Nun denn…“, er drehte sich ein wenig zur Seite und nickte in Richtung seiner Gemächer.
Kurz schien die Lady de la Sirralta zu überlegen, ehe sie dann doch eintrat. Ihre Schritte waren genauso leise, wie die Tür, die dann auch schon bald wieder in ihren hölzernen Rahmen fiel. Holz war ein eher seltener Rohstoff und das wusste Arthus auch sehr wohl zu schätzen. Früher soll es eines der wichtigsten Güter gewesen sein, doch nun musste sich der Rest der Stadt nur noch mit Imitaten zufriedengeben, wenn sie nicht genügend Geld für diesen Luxus hatten. Aber woran dachte er nur? Die Frau, auf die er schon seit geraumer Zeit ein Auge geworfen hatte, befand sich in seinen Gemächern und das einzige worüber er nachdenken konnte war der logistische Nutzen von Holz. Es steckte womöglich mehr von seinem Vater in ihm, als ihm lieb war. Auf jeden Fall war der Flur vor der Tür nun leer und das war vorerst das einzige was zählte.
„Ich hatte nicht erwartet, heute noch die Ehre zu bekommen“, er hatte ihr kurz nach dem Frühstück die Einladung zukommen lassen und natürlich das Gegenteil von dem erwartet, was er ihr zuvor gesagt hatte.
Wenn jemand ihn warten ließ oder eine so offensichtliche Aufforderung ignorierte, müsste derjenige wirklich schwer von Begriff sein. Das, oder man war zu ungebildet um die Wichtigkeit dieser Gefälligkeit zu verstehen. Obwohl sogar Dienstmädchen schon genug Wissen besaßen um ihn nicht warten zu lassen.
Zantelle war eingetreten, doch ihre sonst doch eher selbstbewusste Ausstrahlung wich einer unsicheren jungen Frau, die ein wenig verloren dreinschaute. Ihr Blick huschte hin und her. Doch weder das polierte Parkett, noch die Designercouch konnten ihre Aufmerksamkeit so lange erhaschen wie die gläserne Front seitlich dahinter. Bevor noch eine weitere Sekunde verstrich wandte die Lady sich wieder an Arthus. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Kurz kostete er den Augenblick aus. Die Stille, die nur von regelmäßigen Atemzügen benetzt war und ihre heute eher schlichte, aber dennoch extravagante, Schönheit.
Letzten Endes tat Arthus ihr dann den Gefallen, „Setz dich doch“
Ihre Augen folgten ihm aufmerksam, als er vorausging. Natürlich war er ein Gentleman und wartete, bis sie ihm gefolgt war und sich niederließ, eher er sich neben sie setzte.
Er beugte sich nach vorne und schaute sie interessiert an, ehe sie dann langsam ihre schüchterne Hülle fallen ließ.
„Ich… hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann in Euren Gemächern wiederfinden würde.“, sie schaute eher an ihm vorbei, als in seine Augen, doch das störte ihn derzeit noch am wenigsten.
Sie schien zu wissen, wie vorsichtig sie sein musste. Arthus war überall nur allzu gut für seine aufbrausende und wechselnde Art bekannt. Schon oft hatten die Frauen es bei ihm versucht und er hatte es jedes Mal zu nutzen gewusst. Doch mehr als ein nächtliches Vergnügen war nie drin gewesen. Reihenweise waren sie ihm verfallen und es wäre doch eine Schande, würde er das nicht zu schätzen wissen. Ob es sein Charme war, oder doch eher die Macht, die er besaß, wusste er nicht. Auch wenn wohl eher das Zweite überwiegte, so war Arthus sich dennoch seines Äußeren bewusst und tat alles um diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Die Fassade eines mächtigen, gutaussehenden und charmanten Mannes.
„Es passieren oft unerwartete Dinge. Kommt man nicht selbst viel zu oft von gewohnten Pfaden ab und entdeckt so erst die Schönheit der Möglichkeiten?“
So etwas hatte er einst in einem Buch gelesen. Ein Roman, in dem der Protagonist mit ähnlichen Zitaten seine Traumfrau in einen Dialog entführte, der letztlich dort endete, wo Arthus auch diese Bekanntschaft vorerst hinführen sah. Wenn die junge Dame neben ihm nicht entweder ihre schüchterne Art sein ließ und über ihren Schatten sprang, oder ihn doch noch mit etwas anderem als ihrem Äußeren zu beeindrucken verstand würde das zwar eine lange Nacht werden, aber dennoch eine kurzlebige Bekanntschaft.
Wieder herrschte Stille.
Kurz dachte sie nach, bevor sie jedoch antwortete: „Ich bevorzuge zwar gewohnte Strukturen, doch etwas Abwechslung schadet nie…Aber warum ein Zitat… aus einem Mädchenroman?“
Da war es. Dieses selbstbewusste Aufblitzen in ihren Augen, welches er schon so oft bei den Banketten und den Veranstaltungen beobachtet hatte. Sie hatte wohl schnell verstanden, dass sie mit Höflichkeiten alleine nicht weit kommen würde.
„Entlarvt“, Arthus lachte kurz auf, „Meine Mutter hat das Buch geliebt… sonderlich jung ist es ja nicht. Einige Jahre nach ihrem Tod hatte ich beschlossen es ihr gleich zu tun und kurz darauf hatte ich auch schon angefangen es zu lesen. Dass Ihr es kennt beeindruckt mich“
Sie schien sich dessen bewusst zu sein, dass sie mit dem eben gesagten einen Volltreffer gelandet hatte. Ihren nächsten Schritten maß Arthus höchste Bedeutsamkeit an.
„Es ist schon etwas her, allerdings kann ich mich noch an dieses eine Zitat erinnern“, kurz schaute die junge Frau ihm in die Augen, richtete diese dann aber auf das Fenster hinter ihm, „Es wird die anderen Damen am Hofe sicher freuen zu hören, dass der Lord Opteka alte Mädchenliteratur liest.“
„Und wenn ich die Lady de la Sirralta dazu zwinge, dass sie mein dunkles Geheimnis für sich behält?“, er legte die Stirn in Falten und versuchte seiner Stimme beim Gesagten einen dramatischen Unterton zu verleihen.
„Nun…das kommt ganz darauf an womit...“
Er hätte sich am liebsten gleich vorgebeugt um sie zu küssen, doch er zögerte zu lange. Der Augenblick war verstrichen und er konzentrierte sich lieber auf weitere Möglichkeiten als dieser verpassten Chance hinterher zu trauern.
„Das werden wir noch sehen“, meinte Arthus dann, während er sich erhob und ihr seine Hand auffordernd reichte.
Zantelle brauchte nicht lange um die Geste zu verstehen. Schnell und dennoch zaghaft berührten ihre Finger die seinen und er half ihr auf. Sie gingen auf das Glas zu, das sie von der kühlen Nacht trennte.
Vorsichtig legte sie die Hand an die Front und ihr Blick huschte über die Dächer der Hochhäuser Idola-Citys: „Es ist wunderschön... ich fühle mich als würde ich diese Schönheit zum ersten Mal sehen… wie ein kleines Mädchen, das die Lichter der Großstadt mit einem Funkeln in den Augen beantwortet.“
„Schon wieder ein Zitat?“, er grinste breit und ließ seinen Blick ebenfalls über all das schweifen, was vor ihm lag.
Sie lachte kurz, antwortete jedoch vorerst nichts. Es wurde wieder still und Arthus bildete sich fast schon ein die Autos in den Straßen unter ihm zu hören.
Und wieder kostete Arthus wohlwissend die Ruhe aus, bevor er sich erneut an sie wandte: „Wenn du möchtest, zeige ich dir noch etwas viel Schöneres“
Kurz überlegte die junge Frau, ehe sie nickte. Ohne ihr noch einen Blick zu schenken ging Arthus voraus und führte sie in einen kleinen Nebenraum, von wo aus es nur noch eine Treppe hoch und eine Tür weiterging.
Als sie auf dem Balkon standen blieb der Schwarzhaarigen wohl die Luft zum Atmen weg. Mit offenstehendem Mund und aufgerissenen Augen beugte sie sich über das gläserne Geländer.
Er selbst stand noch an der Tür und beobachtete wohlwollend ihre Reaktion auf all das, was sie nun umgab.
Kurz holte sie tief Luft und schloss die Augen, ehe sie sich wieder umwandte: „Es ist … wunderschön“
Arthus nickte nur zur Antwort und stellte sich neben sie. Er kannte diesen Ort und war es gewohnt die Stadt unter sich zu beobachten. All die Lichter und die kleinen Autos, die aussahen wie Käfer in einem Wald aus Beton. Hier pulsierte das Leben und so viele Schicksale sammelten sich an diesem Ort. Es war fast schon eine Schande, dass dieser Anblick, an dem man sich eigentlich nie sattsehen konnte, mittlerweile nicht mehr besonders erschien. Er löste seinen Blick und schaute auf die Frau neben sich. Zantelle Eosphera Amalia Chanette de la Sirralta war in einem für sie eher schlichten Kleid erschienen. Cremefarben und eng schmiegte der Stoff sich an ihre schlanke Gestalt. Sie ging auf hohen Absätze und ihre tiefschwarzen Haare trug sie in einer lockeren Flechtfrisur. Erst bei genauerem Betrachten fielen ihm die türkisenen Ränder ihrer dunkelblauen Augen auf. Neben ihren vollen Lippen und der zärtlichen Stubsnase wirkte das alles jedoch nur wie ein weiteres Teil eines Kunstwerkes. Doch nichts weckte seine Aufmerksamkeit so, wie die Brosche die sie trug. Sie war klein und schlicht, aber etwas an ihr faszinierte ihn dennoch. Die goldene Halterung beherbergte viele kleine Kristalle, welche in allen Nuancen eines Tons funkelten und glitzerten, ehe sie zur nächsten Farbe sprangen.
„Verzeiht“, schnell wandte er den Blick ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Nachthimmel über Idola-City
„Es war sicher die Brosche, die euch beeindruckt hat“, vorsichtig löste die junge Frau das kleine Ding von ihrer Brust, „Es ist eine … sagen wir ‚Eigenkreation‘“
Arthus lehnte immer noch an der Reling und wandte neugierig seinen Blick wieder zur Seite: „Ist das so?“
„Ja… ich habe lange dran gearbeitet und bin wirklich froh, dass es euch aufgefallen ist“, sie drehte diese ‚Eigenkreation‘ zwischen ihren Fingern.
Er richtete sich auf und sie reichte ihm die Brosche: „Die Halterung ist normales Gold, aber alles andere besteht aus Holokristallen“
Arthus hob sie an seine Augen und versuchte die einzelnen Kristalle darin auszumachen.
Zantelle lachte kurz auf: „Da hat sich wohl die Heimwerkerin in mir Bemerkbar gemacht. Ich denke aber es wird schwer sein, dort etwas zu erkennen. Das alles war auch eher ein Versuch, als ein wirkliches Endergebnis“
„Es ist wunderschön…Wie soll das Endergebnis aussehen?“
„Naja…“, kurz schien sie zu überlegen, was sie nun sagen wollte, „Ich hatte vor beim Ball übermorgen ein Kleid zu tragen, welches komplett damit bedeckt ist.“
In seiner Vorstellung musste dieses Kleid umwerfend sein.
„Es wird eine ganz individuelle und außergewöhnliche Installation sein. Dafür nimmt es aber auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch als diese doch eher schlichte Brosche“
„Ich kann mir vorstellen, dass übermorgen niemand der Mylady das Wasser reichen kann. Weder beim Kleid, noch bei ihrer Schönheit…“
„Ihr schmeichelt mir“, vorsichtig nahm sie ihm die Brosche aus der Hand und steckte sie sich ihr wieder an, „Aber ja… um ehrlich zu sein hoffe ich das. Niemand würde sich die Mühe machen um dann als eine unter vielen unterzugehen“
Arthus ging einige Schritte auf und ab. Den Anblick war er bisher zu gewöhnt, als dass er nichts anderes mehr anschauen konnte. Er hatte schon oft an diesem Abend darüber nachgedacht, was er sie nun fragen wollte. Lin war von Anfang an dagegen gewesen. Nur zu gut hatte Arthus sich noch an ihren Blick erinnert, als sie sein Interesse an Zantelle bemerkt hatte. Doch Arthus hatte noch nie gerne das getan, was man ihm vorschrieb und in diesem Falle war er immer noch der, der die Macht innehatte, wenn es drauf ankam. Lin war nicht mehr als eine Ministerin, wenn nicht auch seine engste Vertraute.
„Woran denkt ihr?“, Zantelle vor ihm schaute verwirrt drein.
Erst jetzt bemerkte Arthus, wie finster er doch dreingeschaut hatte, während er an Lin gedacht hatte. Sie bedeutete ihm viel, doch an diesem Abend würde es nicht um sie gehen.
„Ich denke genau daran, was ihr bis eben noch gesagt hattet. Wäre es nicht bedauerlich, wenn wir nur ein Paar unter vielen wären? Ich werde mein bestes versuchen, damit ihr als Stern am Nachthimmel dieses Anlasses scheint.“

 

 

„Was für eine schöne Nacht“, murmelte Tremas vor sich hin.
„Genauso schön wie jede andere“, Jorissa hatte sich nach all dem Leid, welches sie in jungen Jahren gezeichnet hatte, gelernt jede Nacht und jeden Tag aufs Neue zu lieben.
Bis vor kurzem war der Rebellenanführer noch alleine dort gewesen. Auf dem Dach eines alten Hotels, welches schon seit jeher als kleiner Schlupfwinkel für Abtrünnige und Rebellen galt. Viele behaupteten, dies sei ein für die Ikara und für den Geheimdienst toter Winkel, doch das bisschen an gesundem Menschenverstand, was Tremas noch besaß, lehrte ihn etwas anderes.
Vertraue niemanden.
„Ganz schön gewagt, jetzt noch rauszugehen“, Jorissa näherte sich weiterhin und lehnte sich dann lässig gegen das Geländer, „Weder Morgan noch Ikara werden so kurz vor dem Ball schlafen, das versichere ich dir. Und auch Biotec und diese Sicherheitsfirma halten ihre Augen und Ohren offen.“
„Natürlich“, seufzte Tremas, „Doch bevor wir uns endgültig ins Gefecht stürzen wollte ich noch einmal die kühle Nachtluft genießen. Auch wenn es nicht vergleichbar mit der Stadt ist-„
„Wo du einst aufgewachsen bist, ich weiß“, unterbrach die junge Frau ihn, „Das ist klar. Aber ist Idola-City nicht gerade deswegen so besonders? Diese Stadt verändert sich mit jeder Sekunde, sie schläft nie.“
„Und sie einigt sich auch nie… die Leute hier sind viel zu verschieden und dabei vergessen sie viel zu oft, dass diese Stadt in all ihrer Schönheit nur durch sie lebt“
„Weise gesprochen“, Jorissa strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind in einer plötzlichen Böe dorthin geweht hatte.
Etwas weiter hörte man den Verkehrslärm und wenn man sich anstrengte konnte man bei der klaren Sicht an diesem Abend auch den Palast sehen. Wenn das hier ein Schachspiel wäre, dann wäre dieser Wolkenkratzer wohl die Schachfigur des Königs. Zwar nicht schwach, doch ballte sich dort die gesamte Macht dieser Stadt.
Die Hackerin bemerkte seinen Blick dorthin: „Ich kenne dich schon lange… aber sag mir bitte, was ist dein Ziel? Wenn du deine Forderungen versuchst durchzubringen oder mal wieder die ganze Stadt aufmischst… denkst du wirklich an das Gleichgewicht und die Freiheit der Bevölkerung oder siehst du das alles vielmehr als das, was du Kieran schuldig bist?“
Sie war klug. Sie hatte gut gelernt. Als sie das Thema ansprach zuckte der sonst so selbstbewusste und starke Mann in sich zusammen. Natürlich kannte sie die Geschichte. Er hatte sie ihr tausende von Malen erzählt. Auch wenn es schmerzte, so war er doch derjenige, der sagte, man müsse mit der Vergangenheit abschließen.
„Gut gespielt“, lächelte er matt, „Um ehrlich zu sein weiß ich es seit längerem selbst nicht mehr so richtig. Über die Jahre ist alles so verschwommen geworden.“
Es schien, als hätte die Zeit die Wunden geheilt, aber die Narben blieben. Hässliche Narben, die ihn stets daran erinnerten wofür und weswegen er kämpfte. Selbst nach 18 Jahren fühlte es sich so an, als wäre es gerade erst gestern geschehen.
„Nun… nachdem du ein paar Jahre nichts von dir hören lassen hast wird es auf jeden Fall mal wieder Zeit ins Rampenlicht zu treten“, grinste Jorissa und streckte sich ausgiebig wie eine Katze unter dem Nachthimmel.
Sie schien um die Verletzlichkeit dieses Themas zu wissen, weshalb sie schlau genug war, es so schnell wie möglich zu wechseln, „Andere Frage… war es wirklich so schlimm vor fünf Jahren als der Anschlag auf die Ikara verübt worden ist? Ich kann mich kaum mehr an den genauen Tag erinnern, aber ich weiß noch, dass ich es stets als etwas Gutes empfunden hab. Auch wenn der Ausgang nicht gerade wünschenswert war“
„Es ist nie gut, ein Menschenleben zu nehmen, auch wenn es zu dieser mittlerweile herzlosen Frau gehört. Nun, nach all dem was sie getan hat verdient sie eine gerechte Strafe doch damals habe ich das Feuer in ihren Augen gesehen… sie hat davon geträumt die Stadt in eine strahlende Zukunft zu führen. Sie war begeistert und setzte sich für das ein, was sie liebte. Dass ein einziger Schuss alles verändern würde. Ich hatte es vermutet, doch glaubte mir Niemand. Den Rest der Geschichte kennst du ja“
„Laut lokalen Legenden wurde ihr an diesem Tag das Herz gestohlen. Aus dem Feuer in ihren Augen wurde Eis und die Leidenschaft, mit der sie die Zukunft Idola-Citys plante, wurde zu Grausamkeit, die sonst nur bei Shad Morgan und Athos Trelane ihresgleichen findet.“, beendete Jorissa die Erzählung, „Ein tragisches Schicksal, wenn ich ehrlich bin…“
„Oh ja… aber das macht diese Stadt… Nein das macht das Leben aus. Jeder hat seine Geschichte. Es gibt Schattenseiten und natürlich sind viele Kapitel auch von Tragik geprägt, doch gibt es auch dann immer einen Lichtblick oder zumindest eine Erinnerung an schöne Zeiten.“
„Und um ehrlich zu sein… ohne die Aspekte der Trauer würden wir doch auch gar nicht wirklich wissen, was Glück ist“, Jorissa lächelte noch einmal über die Schulter, während sie auch schon dabei war ihn zu verlassen, „Ich liebe es immer wieder mit dir zu reden, egal wie kurz das Gespräch auch ist, doch muss ich mich jetzt erstmal verabschieden. Ich hab‘ noch ne Verabredung“
Sie zwinkerte ihm mit der nicht vernarbten Hälfte ihres Gesichtes zu ehe, sie ihn dann alleine ließ. Und dann stand er da. Alleine, so wie er es immer wieder genoss. Es war wirklich schwer in dieser Stadt eine ruhige Minute für sich zu finden. Die Sterne am Himmel über ihn waren viel zu blass, als dass sie mit den strahlenden Lichtern der Großstadt mithalten konnten. Die Skyline zeichnete sich am Horizont ab und kurz musste der alte Mann schmunzeln. Dies hier war sein Zuhause und egal wie grausam man ihm schon mitgespielt hatte, so konnte er es der Stadt dennoch nicht verübeln. Auch wenn er alles auf der Welt gegeben hätte und am liebsten eigenhändig jedes Gebäude niedergerissen hätte nur um seinen Neffen wieder unter den Lebenden zu wissen.
 

„Guten Abend, Mylady“, einer der Bediensteten öffnete die Tür der schwarzen Limousine.
Lin lugte erst vorsichtig aus der Öffnung, bevor sie den Stoff ihres Kleides raffte und ausstieg. Jubelrufe waren zu hören. Natürlich. Sonst wären die Leute ja nicht hier. Alle wollten sie, den Bürgermeister und sein Gefolge in Echtzeit sehen. Wie es schien hatte man die vielen Menschen, die hinter dem roten Absperrband standen nicht enttäuscht. Doch als Lin gerade ausstieg, entging ihr nicht, dass auch manche still waren und nur dessen Blicke ihr folgten. Respekt ist stärker als Liebe und Begeisterung. Aus letzterem befolgten schließlich die wenigsten Befehle. Nicht umsonst bestärkte das die Frau nur noch mehr. Lin ignorierte die Blitzlichter und die Aufmerksamkeit, der wahrscheinlich ganzen Stadt, die in diesem Moment auf ihr lastete. Schon oft genug hatte sie sich vor mehr Leuten befunden und da hatte sie auch keine Probleme gehabt. Es war normal, wenn man auch nur einen geringen Bekanntheitsgrad vorzuweisen hatte. Obwohl sie sich durchaus einen besseren Lohn für ihre harte Arbeit vorstellen konnte. Langsam und bedacht schritt sie den ausgerollten Teppich lang, bis durch das Tor der Anlage, wo sie nur noch entfernt die Paparazzi hörte. Motorengeräusche und ein leichtes Quietschen der Reifen auf dem Asphalt verrieten, dass ihr Wagen weg war, und sich ein neuer näherte. Und selbstverständlich wusste sie, auch schon ohne sich umzudrehen oder über ihre Schultern zu blicken, wer darinsaß. Zumindest dachte sie es. Natürlich war es Arthus, welcher gerade ausgestiegen war. Für einen anderen Adligen würden die Leute kaum so einen Aufriss machen. Doch als auch noch ein Bediensteter, welcher ihr gerade mit einem Tablett entgegenkam, an ihr vorbei, geradewegs zum Eingang starrte, machte es sie doch stutzig.
Die Reaktion zu Arthus war zwar immer laut und absolut überdramatisiert, doch dieses Mal war es noch schlimmer. Der junge Mann wollte ihr wohl gerade noch ein Glas anbieten, doch starrte er unentwegt an ihr vorbei, ohne überhaupt an ersteres zu denken. Auch das Getuschel vieler Adliger, welche noch im Park, um sie herum, zugegen waren, wurde immer lauter.
Verdammt, was macht er denn?
Als wohl letzte Person wandte sich Lin nun um. Und es wunderte sie kaum, dass alle so gestaunt hatten. Am Arm von Arthus hing diese junge Adlige, Zantelle de la Sirralta, in einem weiten, durch und durch mit Holokristallen bedeckten Kleid. Ihre schwarzen Haare waren hoch- und mit einer kostspielig aussehenden Brosche zusammengesteckt. Das jedoch, was die Menge wohl am meisten faszinierten, waren die immer wechselnden Motive und Muster auf ihrem Gewand. Es war hypnotisierend und fast schon schwer für Lin, ihren Blick davon abzuwenden. Mit einer desinteressierten Miene drehte sie sich dann jedoch schon nach kurzer Zeit wieder um und setzte ihren Weg zum Eingang der Halle fort. Die Gedanken an dieses Mädchen hatten bei Lin bisher jedes Mal einen bitteren Nachgeschmack gehabt. Schließlich war es gefährlich, wenn Arthus sich von ihr bezirzen ließ. Wie leicht könnte Lin selbst die Kontrolle und den Status als engste Vertraute des Bürgermeisters verlieren? Sie wollte es lieber nicht herausfinden, denn auch wenn es unangenehm war und sie seit Jahren alles tat, damit es anders aussah: Sie war stets von Arthus und seinen Launen abhängig. Sie unterstand ihm schlussendlich doch. Dass er ihr bei der Regierung freie Hand ließ konnte nicht mehr lange anhalten, wenn dieses Mädchen ihm ins Gewissen redete. Und auch wenn sie es nicht tat, wurden weder Lin, noch er jünger. Irgendwann würden die Mittel drastischer werden müssen. Hoffentlich würde Arthus sich nicht quer stellen. Ihn kalt zu machen war das letzte, was derzeit in ihrer Absicht stand. Auch, wenn das manchmal durchaus verlockend war, würde es alles nur unnötig kompliziert machen. Und Lin war schon immer eine Liebhaberin der klaren Strukturen.
Sie war schon fast an den Stufen zum Saal angekommen, als sie den Gastgeber des Abends sah. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, während sie auf ihn zuging: „Mister Trelane… es ist wohl kaum eine Überraschung Sie hier anzutreffen.“
"Mylady…es ist mir eine Ehre und große Freude, Sie auf dem Ball willkommen heißen zu dürfen", höflich deutete er eine Verbeugung an, „Sie natürlich auch, Mylord und Mylady Opteka“
Lin hatte die Zwillinge hinter sich fast vergessen. Jinx Lyann Cipher und Amp Lys Altair Opteka waren eineiige Zwillinge und die jüngeren Geschwister des amtierenden Bürgermeisters. Über die Begleitung ihres Bruders genauso wenig begeistert hatten sie sich still und heimlich an Lin ran gehangen. Mit ihren 16 Jahren waren sie noch Kinder und natürlich war es sehr selten, dass sie den Palast verließen durften. Jinx schien von alldem mehr begeistert zu sein als ihr Bruder. Ihr Blick verriet mehr, als sie je hätte sagen können. Ihre Augen wanderten von Kleid zu Kleid, bis sie sich jedoch wieder fing und es ihrem Bruder gleichtat. Desinteressiert, an allem was um sie herum geschah, nickte sie nur auf die Bemerkung Mister Trelanes.
„Die heutige Kulisse ist äußerst prächtig…Aber ich hoffe doch, dass alles abgesichert ist. So eine Veranstaltung ist schließlich ein gefundenes Fressen für Rebellen", auch wenn Lin es sich äußerst ungerne anmerken ließ, so hatte sie dennoch Angst um einen Anschlag.
In letzter Zeit hatte es immer mehr Nachrichten im Web gegeben. Nachrichten von vermeintlichen Rebellen, deren ID nicht zurückverfolgt werden konnte. Oft waren es beunruhigende Prophezeiungen und seit dem Schuss vor 4 Jahren ging sie lieber sicher.
„Ich habe den Schutz der Veranstaltung in erfahrene und aufmerksame Hände gelegt", erwiderte er, während die Beiden langsam die Stufen zum Eingang erklommen, "Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles Menschenmögliche getan haben, um den Ball abzusichern. Die Rebellen werden kein Mauseloch finden, durch das sie sich hier einschleichen könnten. Und sollte doch etwas geschehen, dann ziehen Sie mich persönlich dafür zur Verantwortung!"
Was er mit erfahrenen Händen meinte, wusste Lin natürlich. Lange blieb es schließlich nicht vor ihr verborgen, welche Sicherheitsfirma mit dem Schutz der Veranstaltung beauftragt war.
„Ja… den SSS kann man wohl wirklich als erfahren bezeichnen…“, Lin hielt kurz inne und warf einen kurzen Blick zu den Zwillingen, welche immer noch gelangweilt und etwas ratlos auf den Stufen standen, „Lassen wir uns doch unser Gespräch drinnen fortsetzen“
Ohne lange auf eine Antwort zu warten ging sie voraus. Er hätte so oder so ja gesagt, da es unhöflich gewesen wäre abzulehnen.
„Es heißt die Festhalle soll schöner als noch vor 5 Jahren sein“
„Natürlich ist sie das. Anders wäre es doch eine Scham gewesen, hier das Jubiläum zu feiern“, er warf dem Bürgermeister und seiner Begleitung noch einen letzten Blick zu, ehe er der Frau folgte.
Lin kannte diesen Mann schon lange. Seit der ersten Veranstaltung hier, der sie beiwohnen durfte. Früher war er nur einer unter vielen Mitarbeitern dieser Firma. Doch mit der Zeit hatte Lin ihn und das Unternehmen, für das er die Hand ins Feuer legte, immer besser kennengelernt. So hatte er sich in den letzten Jahren auch kaum verändert. Immer noch dasselbe geschäftsmäßige Lächeln und dieselben, für die Trelanes typischen, grünen Augen. Ob das für Lin genauso galt? Wohl kaum. Besonders das Ereignis von vor 4 Jahren hatte sie maßgeblich geprägt. Doch zu bereuen gab es da nichts. Die Zeit heilt alle Wunden, vergibt aber nicht. Genauso wenig, wie Narben lügen.
„Ich habe …“, fing Lin an, wurde aber schon bald unterbrochen.
„Guten Abend Mister Trelane“, es hatte nicht lange gedauert bis Arthus sie alle ausfindig gemacht hatte.
Sein Arm lag um die zierliche Hüfte seiner Begleitung und sein Blick schweifte selbstgefällig durch die Runde. Kurz deutete Lin eine düstere Miene an, bevor jedoch wieder ein leichtes Lächeln ihre Lippen umspielte.
„Ah… Mylord Opteka und die bezaubernde Lady de la Sirralta“, wie auch zuvor bei Lin, deutete Mister Trelane eine Verbeugung an, „Es ist mir eine Ehre, Sie beide auf dem Ball zu begrüßen“
„Die Ehre ist ganz meinerseits“, entgegnete Arthus charmant.
Während ein Diener mit einem Tablett vorbeilief schnappte er sich eines der Gläser davon und nippte daran. Jinx, sowie ihr Bruder Amp, rümpften kurz die Nase, bevor sie sich langsam aber allmählich von der Gruppe lossackten. Für sie durften die Höflichkeiten, die jetzt ausgetauscht wurden wohl langweiliger denn je sein. Auch Lin empfand solche gesellschaftlichen Normen als eher unbequem, doch war es ein Genuss das Leben um sich herum so zu spüren, wie sie es sonst nur selten konnte. Denn obwohl sie auch hier einen Sonderstatus innehatte, so war es doch ein schönes Gefühl, die Spannungen dieses Augenblickes zu beobachten und nicht die immergleichen Masken aus dem Palast zu sehen. Auf Dauer war die Gesellschaft der Minister und des Adels doch anstrengender als man vielleicht annahm.
Die Vier setzten sich ein wenig in Bewegung.
Kurz vor dem Eingang zum Ballsaal, schaute Arthus sich noch einmal flüchtig um, ehe er das Wort ergriff: „Ich habe… einige Gerüchte gehört…“
Ist das so? Mister Trelane legte die Stirn in Falten und schaute sich ebenfalls kurz um: „Nun… dann liegen Mylord wohl richtig. Zum Jubiläum wird es nämlich eine große Ankündigung geben, die ein neues Kapitel in der Firmengeschichte von Biotec Inc. aufschlagen wird"
Man konnte erkennen wie groß Arthus‘ Augen wurden und selbst dem blinden Sohn von Minister Merillsham wäre nicht entgangen, wie neugierig diese geheimnisvolle Antwort den jungen Regenten gemacht hatte.
Bevor Arthus allerdings den Mund aufmachte und weiter fragen konnte unterbrach Lin seine, ohnehin schon offen im Raum stehende, Frage: „Ich denke wenn Mister Trelane dieses Geheimnis so leichtfertig ausplaudern würde, wäre es nur noch eine halb so große Ankündigung…“
„Ihr nehmt mir das Wort aus dem Mund“, lachte dieser nur.
„Wirklich schade. Ich werde mich dann aber umso mehr auf Ihre Rede freuen“, Lady de la Sirralta schmollte leicht, ehe sie sich enger an Arthus klammerte.
Wahrscheinlich hatte sie die Hoffnung gehabt, so doch noch irgendwie den Mann vor sich zu überreden.
Als allerdings kurz Stille herrschte, wandte sich der junge Mann mit seiner mehr oder weniger liebreizenden Begleitung ab und nickte Richtung Ballsaal: „Ohne jemandem auf die Füße zu treten, würde ich mich nun gerne zur Tanzfläche aufmachen. Wir sehen uns sicher noch später einmal.“
Arthus verschwand hinter der Tür. Kurz konnte man die Musik laut und deutlich hören, bevor sie dann jedoch wieder dumpf und unmelodisch klang, sobald die Tür zufiel.
„Lord Opteka lässt wohl nichts anbrennen“, schmunzelte Mister Trelane leicht, ehe er sich dann an Lin wandte, „Wie sollten wohl besser alsbald folgen. Sonst entstehen noch unangenehme Gerüchte, die wohl keine Partei sonderlich begrüßen würde.“
Und damit hatte er durchaus Recht. Die Bürger des ersten Standes waren unverbesserliche Tratschmäuler. Sie zerrissen sich über alles und jeden die Mäuler und waren in dieser Hinsicht die gefährlichsten Geschöpfe in Idola-City. Worte konnten die Existenz schneller zerstören, als dass ein paar Gewaltakte ein Leben beendeten.
„Da haben Sie wohl Recht“, Lins Berührung ließ die Flügel der Tür von ganz alleine aufspringen.
Nun waren es nur noch ein paar Schritte, bis sie mittendrin war. Mitten im Geschehen. Noch war die Musik verhältnismäßig leise, sodass sie die Unterhaltungen vieler Adliger hier perfekt untermalte. Auf der Tanzfläche befanden sich schon einige Paare und auch Arthus und Zantelle waren schnell auszumachen. Lin schenkte den Beiden eher wenig Aufmerksamkeit.
„Wir werden nachher, vor dem Höhepunkt des Abends, wohl noch einmal aufeinander zurückkommen. Schließlich wäre es nur zum Vorteil sich einmal abzusprechen, ehe wir unsere Reden vor der Stadt halten“
„Es wäre das Beste“, entgegnete der Mann ihr gegenüber, bevor sie sich beide abwandten und ihre Wege gingen.
Er hatte wohl noch viel zu tun an diesem Abend. Für viele eine angenehme Veranstaltung, doch musste er sich stets überall auf dem Laufenden halten, um bei Problemen sofort zur Stelle zu sein. Lin hatte das Privileg, sich vorerst ein wenig auf sich selbst zu besinne. So gut es unter dieser Menge zumindest möglich war.

Bis dahin kroch der Abend allerdings noch lange vor sich hin. Unterhaltungen blieben flüchtig, Höflichkeiten unverzichtbar und nur die Gesprächspartner wechselten ab und an.
Lin achtete so gut wie möglich auf die Uhrzeit und langsam, aber allmählich näherte sich ihre Rede. Nun wurde es wohl doch wieder Zeit für Geschäftliches.

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Amp Lys Altair Opteka

„Wie langweilig“, meinte Amp eher an sich selbst gerichtet.
Die Aufmerksamkeit seiner Schwester galt sowieso allem anderen um sie herum.
„Also ich“, setzte Jinx an, pausierte allerdings, als sie eine Frau mit einem besonders pompösen Kleid an sich vorbeigehen sah.
„Also ich finde es hier gar nicht so schlecht“, nahm sie den Faden wieder auf.
„Ist das so?“, Amp grinste und schaute kurz zur Seite, „Am liebsten würde ich dich ja auf einen Tanz einladen, doch die Leute mustern uns auch schon so wie eine ausgestorbene Tierart“
„Und ich…“, Jinx wusste wohl nicht, was sie darauf erwidern sollte.
Amp kannte seine Schwester einfach zu gut. Er konnte sich ziemlich gut denken, was in diesem Moment in ihrem Kopf vor sich ging. Sie war überwältigt von all dem, was sie umgab. Und sie war unschlüssig. Zum einen überforderte sie die Situation wohl etwas, andererseits beeindruckte und faszinierte sie das alles. Amp hatte sich schon lange an das alles gewöhnt. Schnell hatte er die gesellschaftlichen Gepflogenheiten abgeschätzt und sich an die ausufernde Atmosphäre gewöhnt. Doch war es auf Dauer langweilig, immer nur den Gesprächen zu lauschen. Die Beiden standen am Rande der Tanzfläche und während Jinx fasziniert alles um sich herum beobachtete, hörte Amp den Gesprächen um sie herum mit nur mäßiger Begeisterung zu. Als noch mehr Zeit verstrich hatte er jedoch genug. Die Musik war bereits lauter geworden und es begaben sich immer mehr Pärchen in die Mitte des Saales.
„Wie ich sehe“, er stieß seine Schwester an um wenigstens einmal ihre volle Aufmerksamkeit zu bekommen, „Hast du einen Verehrer“
Er hatte diesen schon eine längere Zeit im Augenwinkel beobachtet und nun war wohl der perfekte Zeitpunkt um seine Schwester davon in Kenntnis zu setzen.
„Ihr könntet doch tanzen“
Sie selber riss die Augen auf und schaute zwischen Amp und dem Fremden hin und her: „Aber…was ist mit dir?“
„Ich habe scheinbar auch alle Hände voll zu tun“, er lächelte in Richtung einiger Mädchen, die ihn schon die ganze Zeit vom anderen Ende der Tanzfläche angeschaut hatten.
Der junge Mann kam, nachdem Amp auf ihn aufmerksam gemacht hatte, nun tatsächlich auf das Geschwisterpaar zu.
„Das ist deine Chance. Tu mir den Gefallen und genieße den Abend. Ich weiß doch, dass du schon immer mal mit Jemanden so tanzen wolltest. Nutze jetzt gefälligst die Chance.“, Amp drehte sich weg und wollte sich gerade auf den Weg machen, ehe er ihr noch einmal ins Ohr flüsterte, „Wir treffen uns zum Anfang der Rede, ok?“
Jinx nickte nur und versuchte ihren Kloß im Hals runterzuschlucken. Von fernem sah er nur noch, wie der junge Mann sie um einen Tanz bat und sie dann einwilligte. So ist es wohl das Beste. Sie tat sich auch keinen Gefallen, wenn sie nicht mal über ihren Schatten sprang und auch wenn ihr Bruder sie jedes Mal halbwegs dazu zwang, so nahm es doch stets ein gutes Ende. Dieses Mal mit Sicherheit auch und im Nachhinein würde sie ihm danken, dass er ihr diesen kleinen Schubser gegeben hatte. Nichtsdestotrotz lenkte er seine Aufmerksamkeit nun allerdings auf etwas gänzlich anderes. Nun war er nämlich derjenige, der eine Lady nach einem Tanz fragte.
 

 

Eric McStone

Verdammt, warum gerade ich?
Die Frage ging immer wieder durch seinen Kopf, während er am Rand der Halle an der Wand lehnte und im Stillen immer wieder den Plan durchging. Immer und immer wieder zählte er die Posten der Sicherheitsmänner und der Kameras auf. Es war ein Spiel mit dem Tod und würde er auch nur einen Fehler machen, so bedeutete dies entweder einen sofortigen, oder einen langsamen und schmerzhaften Tod. Der Geheimdienst würde, nachdem alles schief ging wohl kaum die Fassade fallen lassen und ihn laufen lassen. Allein schon beim Gedanken an die grausamen Methoden, mit denen vermeintliche Rebellen ausgefragt wurden, stellten sich seine Nackenhaare auf.
„Ich will nicht sterben“, murmelte er in sich hinein und fast hätte er das winzige Funkgerät vergessen.
„Solange alles nach Plan läuft, wird es auch keinen Grund geben, McStone“, schallte die Stimme Morgans in seinem Ohr.
Shad Morgan, der Chef des Geheimdienstes erwies ihm die Ehre. Allerdings war dies kein wirklicher Anlass zur Freude. Wenn dieser Mann sich irgendwo einmischte, dann war es ernst. Und dieses Mal war es ernst.
Eric senkte den Kopf, um so unauffälliger ins Funkgerät sprechen zu können. Seine Haare verdeckten seine Mundbewegungen und die Technik an seinem Ohr weitgehend. Zumindest dafür waren sie praktisch, auch wenn sie bei allem anderen nur hinderten. Zum Glück musste er damit nach diesem Auftrag mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr kämpfen. Die mittellangen, im Stil des Adels, geschnittenen, hellblonden Haare gehörten zu seiner jetzigen Identität. Auch der dunkle Anzug war relativ ungewohnt. Normalerweise war Eric nicht da unterwegs, wo man derartiges brauchte. Es war sowieso seltsam, weshalb gerade er für diesen Auftrag herhalten musste. Konnte nicht ein anderer sich selbst in die Luft sprengen?
„Bleiben Sie ruhig.“, hörte er nun auch eine Frauenstimme.
Was für eine Ironie. Bei einem Einsatz wie diesem wurde scheinbar auch Technik von Biotec Inc. verwendet. Natürlich wurde sein Puls gemessen und sie hatten wohl mitbekommen, dass sein Herz raste. Er wünschte, es wäre Grundlos gewesen.
„Sie fahren fort wie geplant“, Morgan war wieder da und er schien wohl dasselbe wie Eric zu sehen.
Die Musik war leiser geworden und nun begaben sich Kimber Athos Trelane, sowie die Lady Ikara auf die Bühne. Wenn das Lied verklungen war, würde die Rede von ersterem beginnen. Dass die Hand des Bürgermeisters allerdings auch ein Wort zum Besten geben würde, war so nicht geplant.
„Ich kann doch die rechte Hand des Bürgermeisters nicht töten!“, immer noch schien niemand um ihn herum sein Geflüster zu bemerken.
Die Stimme seufzte kurz: „Auch wenn es wehtut, wieviel Arbeit ich darein gesteckt habe, so fahren Sie dennoch fort. Abweichungen vom Plan sind nicht erwünscht, McStone“
Kurz herrschte Stille. Der Agent wusste nicht, wie er nun handeln würde. Abweichungen? War es eine Abweichung, die Regierung und alles andere in dieser Stadt ins Chaos zu stürzen? Der Anschlag hier war nur ein Werkzeug für ein viel höheres Ziel.
„Genauso wie ich... meine Entscheidung ist gefallen“
Damit kappte er die Verbindung und Stille umfing ihn, sowie auch alle anderen im Saal, während er sich auf Position brachte.

Wie zur Hölle hatte er das geschafft? Die Frage ging immer wieder durch seinen Kopf, während er versuchte sich so unauffällig wie möglich zu bewegen. Amyx war sich sicher, dass Tremas ihn eigenhändig umbringen würde, wenn er davon erfuhr, welches riskante Vorhaben den jungen Rebellen hierher verschlagen hatte. Allerdings würde man es dem alten Mann nicht so leichtmachen. Der Junge war sich sicher, dass, wenn er hier überhaupt lebend rauskam, für die meisten der Rebellen ein Held war. Und wenn etwas schiefging, so hatte man dem Wolf wenigstens die Arbeit abgenommen. Der Geheimdienst würde ihn entweder foltern, oder sofort töten. Ersteres war wahrscheinlicher, weswegen Amyx von Anfang an ein kleines Päckchen einer tödlichen Droge in seiner Tasche hatte. Wenn alles danebenging und ihm keine andere Wahl blieb würde er nicht zögern sich das weiße Pulver in den Rachen zu kippen.
Lieber so, als wenn sie mich zu Tode foltern und dann Biotec übergeben.
Und nun war er hier. In der Höhle des Löwen. Er, Amyxander Yerrol Winn, dessen Höhepunkt in der Karriere nur ein paar Werbespots waren. Zwar ging immer wieder die Frage durch seine Gedanken, wie Lebensmüde er doch war, doch interessierten ihn die Gefahren eher weniger. Es war fast schon angenehm, so nah am Abgrund zu spazieren. Es schien beinahe so, als wäre sein Ende in greifbarer Nähe, doch würde er alles tun um sein Ziel zu erreichen. Viele Rebellen redeten fast von nichts anderem, als dass sie alles für ihre Ambitionen tun würden. Letzten Endes waren sie aber auch nicht besser als der Adel und zogen feige die Schwänze ein, sobald es gefährlich wurde.
Und nun seht wo ich hier bin! Wenn ich wollte könnte ich sogar einen Plausch mit der Lady Ikara haben!
Alleine um diese Geschichte allen unter die Nase zu reiben, wünschte er, lebend hier weg zu kommen.
„Oh entschuldigen Sie“, ein adliger Mann, mittleren Alters hatte ihn versehentlich angerempelt und aus den Gedanken geholt.
Am liebsten hätte Amyx die Nase gerümpft, doch er beschloss dies erst zu tun, sobald der Andere sich wieder abgewandt hatte. Alleine deswegen hatte sich der Siebzehnjährige der Rebellion angeschlossen. Diese fetten, adeligen Schweine, die ständig glaubten, sie seien den normalen Bürgern überlegen. Oft genug hatte er allein an diesem Abend Gesprächsfetzen mitbekommen, die genau das bestätigten. Und auch jetzt stand er etwas abseits, aber dennoch nah genug um den ersten Stand lästern und tratschen zu hören.
Die Unterhaltungen sind ja noch irrelevanter, als ich es in Erinnerung hatte.
Der Abend war noch relativ jung und trotzdem erstaunte es ihn, wie schnell das Buffet wieder und wieder aufgefüllt wurde. Das Essen war genauso reichlich vorhanden, wie der Alkohol. Ständig liefen Diener mit einem Tablett, auf dem kunstvoll ein paar Gläser angerichtet waren, zwischen den Gästen umher. Amyx hatte von seinem Punkt aus bisher nur alles beobachtet. Lange war er schließlich noch nicht hier und lieber sah und hörte er nur still zu, bevor er unnötig auffiel.
„Du weißt was unser Ziel ist?“, hörte er die Stimme seines besten Freundes im Kopf.
Anthony hatte von Anfang an etwas gegen dieses Vorhaben gehabt. Am liebsten hätte Amyx es ihm verheimlicht, doch wenn es seine letzte Unternehmung war, wollte er mit ihm nicht gänzlich ohne Abschied auseinandergehen. Der Rebell schaute auf seine Armbanduhr. Noch war viel Zeit bis zur, von den meisten hier Anwesenden, heiß ersehnten Rede des Sprechers dieser dreckigen Firma.
„Natürlich“, murmelte er in sich hinein, als würde Anthony ihn hören können.
Aber er tat es nicht. Er konnte gar nicht und es war dumm auch nur an so etwas zu glauben. Die Gedanken an seine Freunde ließen ihn sich kurz erinnern und kurz fiel jegliche Deckung, während ihm das letzte Gespräch durch den Kopf ging.


„Du musst einfach nur dem Kanal hier folgen“, Matt deutete mit der Hand in das Schwarz des Tunnels.
„Und dann werde ich, wenn ich die richtige Abzweigung nehme, irgendwo hinter der Halle rauskommen“, seufzte Amyx nur und deutete dann auf den Rucksack, den er sich locker übergeworfen hatte, „Ich hoffe das Ding hält, was es verspricht. Auch wenn ich nichts dagegen hab, wird es den feinen Herrschaften dort oben wohl schnell auffallen“
„Du musst das nicht tun“, versuchte Anthony ihn noch einmal umzustimmen, „Meinst du ich habe eine verschissene Lust darauf noch einen Freund zu verlieren?“
„Natürlich nicht, aber-„
„Nun lass ihn doch Aroon und Dayes letzten Wunsch erfüllen…schließlich hängen wir da alle mit drin“, unterbrach Matt ihn.
„Außerdem wird es mit Sicherheit gut gehen. Laut Quellen soll der Geheimgang älter sein, als das moderne Idola-city“, warf Damon noch ein.
Er war schon immer der positivste von allen gewesen. Letzten Endes aber auch der leichtgläubigste, weswegen er knapp an den Idola-Games vorbeischlitterte, nachdem er Jahrelang die Beteiligung seiner Eltern in der Rebellion verpennt hatte.
„Und lass mich raten, diese Quellen sind unter anderem sehr vertrauenswürdige Seiten aus dem Web?“, Anthony war schon immer misstrauisch gewesen, wenn es um so etwas ging.
Er war mit seinen 19 Jahren der Zweitälteste in der Gruppe. Das Leben hatte ihn jedoch mehr gezeichnet, als Matt, weshalb er stets überlegter an die Sache ranging. Für sein Alter war er ein ganz schön gebrochener Mann. Amyx hatte ihn erst als großen Bruder und später als besten Freund gesehen. Auch, wenn durch die verschiedenen Temperamente viel zu oft Streitigkeiten entstanden, so ergänzten die Beiden sich in den Momenten, wo es wirklich darauf ankam, perfekt.
„Unter anderem…“, nuschelte Damon in sich hinein, bevor er dann laut und klar fortfuhr, „Aber es ist unmöglich, dass der Geheimdienst oder sonst wer davon Wind bekommen hat. Und selbst wenn, wären die doch sowieso zu faul das auch zu kontrollieren. Schließlich würden nur lebensmüde Vollidioten diesen Weg nehmen.“
„Danke“, kommentierte Amyx bitter.
„Oh… naja ist egal. Hauptsache du kommst zurück. Wir zählen auf dich“
„Und nicht nur wir. Denk dran: Die Rebellion wird dir ewig dankbar sein“, Matt klopfte ihm noch einmal auf den Rücken und wandte sich dann mit zum Gruß erhobener Hand ab, „Wir warten am abgemachten Treffpunkt“
Zum Schluss war der beste Freund des lebensmüden Vollidioten an der Reihe.
„Und denk dran. Wenn du stirbst, bring ich dich um, Mistkerl“, Anthony umarmte ihn kurz, während er sich dann auch umdrehte und mit eiligen Schritten den Anderen folgte.
Nun war es soweit. Amyx durfte keine Zeit mehr verlieren. Zu viel war schon für die Unterhaltung eben draufgegangen. Kurz schluckte er noch einmal und sah in die ekelhafte Brühe unter sich. Nicht einmal der Gedanke an seine Schwester oder an den Erfolg, den dieses Vorhaben vielleicht versprach, machten diese Situation angenehmer. Wahre Helden sind durch Schlachten berühmt geworden… und nicht durch Abwasserkanäle. Aber all das half nichts. Wenn er das hier geschafft hatte musste er sich noch viel schlimmeren Übeln stellen, also durfte er sich nicht schon jetzt so viel Feigheit erlauben. Noch einmal überprüfte er den wasserfesten Rucksack, in dem sich der Anzug befand, den er sich anziehen würde, sobald er fast am Ziel war. In durchnässten, dreckigen Lumpen würde er wahrscheinlich nicht sehr weit kommen.
Ok, jetzt oder nie
Und damit setzte er zum Sprung an…

„Darf es etwas zu trinken sein, Mylord?“, ein Diener war an den jungen Mann herangetreten.
Amyx wollte antworten, doch blieben ihm die Worte im Hals stecken. Wie wollte er dann erst mit einem Adligen sprechen, wenn er nicht einmal auf die einfache Frage dieses Mannes eine Antwort fand? Erst wollte er den Kopf schütteln, doch als ihm erneut klar wurde, WO er sich gerade befand, versuchte er mit aller Kraft den Klos im Hals runterzuschlucken und dankend anzunehmen.
Ein wenig Alkohol machte wahrscheinlich selbst diesen Ort etwas freundlicher. Das Zeug war stärker als erwartet, doch war ihm das egal. Er kippte es schnell runter und stellte das kleine Glas wieder auf das Tablet zurück. Der Bedienstete starrte ihn ungläubig an und zog ab. Amyx hoffte, damit nicht allzu aufgefallen zu sein. Kurze Zeit wartete er noch und hörte der Musik zu. Als der Alkohol langsam aber allmählich seine Wirkung entfaltete beschloss der Rebell sich auf etwas andere Weise umzusehen.

Es dauerte nicht lange, bis er das fand, wonach er gesucht hatte. Seine Kühnheit überraschte den Rebellen fast schon selbst. Das Ziel war zum Greifen nah… kaum zu glauben, dass das alles so einfach erschien. Grob geschätzte zwanzig Meter von ihm entfernt stand Jinx Lyann Cipher Opteka. Die ganze Stadt kannte sie und sie war fast ebenso verhasst wie Lin Ikara. Dabei hatte sie noch nie etwas getan, außer zu dieser Familie zu gehören.
Tja, das Leben ist grausam.
Es dauerte nicht lange, bis ihr Bruder ihn bemerkte. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre Amyx schon längst unter der Erde. Doch auf einmal tat dieser Junge dort etwas, was den Rebellen doch mehr überraschte, als er es vielleicht zugeben mochte. Er stieß seine Zwillingsschwester an und deutete in die Richtung des Unbekannten. Schüchtern drehte sie sich um und ganz wie von selbst, setzte Amyx einen Fuß vor den anderen. Er hatte viele Freunde, die diesen Moment genutzt hätten, um ihr oder der Lady Ikara ein Messer in den Rücken zu rammen. Doch so gesehen, war er noch nie ein Freund der körperlichen Gewalt gewesen. Außerdem war so ein Abend durchaus zumutbarer, als eine wilde Hetzjagd, die bei so einem Vorfall nirgendwo anders enden konnte, als beim Geheimdienst. Das Kleid der jungen Mylady war mittellang und zum Großteil weiß. Sämtliche Details waren schwarz und sogar die Feinstrumpfhose, die sie trug, hatte diese Farbe. Nun…die Stylisten hatten gute Arbeit geleistet. Ihr kompletter Look schien aus diesen Farben zu bestehen und sie sah makellos aus. Ein wenig zu perfekt für seinen Geschmack. Ihr Bruder war nach demselben Motto gekleidet, nur dass er einen schwarzen Anzug mit weißen Details trug. Kurz, bevor Amyx sie erreicht hatte verabschiedete sich auch ihr Bruder. Das war perfekt. Diese Leichtsinnigkeit brachte ihn zu einem Grinsen, welches er dann aber charmant zu nutzen wusste.
„Guten Abend, Mylady Opteka“, er deutete eine Verbeugung an und schaute ihr, nachdem er sich wiederaufgerichtet hatte, direkt in die grünen Augen.
Das Grinsen war zu einem Lächeln geworden, welches nun zaghaft seine Lippen umspielte und sein Schauspiel mit dem letzten kleinen Detail bedachte: „Darf ich um einen Tanz bitten?“
Sie schaute noch einmal kurz über ihre Schulter. Wahrscheinlich suchte sie ihren Bruder irgendwo in der Menge und als sie zaghaft nickte, kam Amyx aus dem Staunen fast nicht mehr raus. Niemals hätte er gedacht, dass dieses Mädchen so unsicher ist und fast schon das Dasein einer grauen Maus fristete. Hoffentlich würde der Abend kurz werden.

Früher hatte er Tanzunterricht gehabt. Früher, als er noch zu der oberen Schicht des zweiten Standes gehörte. Nun war dies ein weiterer Teil seiner Vergangenheit, die er am liebsten für immer vergessen hätte. Zum Glück waren ihm zumindest noch die Erinnerungen daran geblieben, wie man einen Walzer tanzte. Die Lady Opteka war besonders noch zum Anfang unsicher. Oft mied sie seinen Blick und stolperte über ihre eigenen Füße. Zu dem Zeitpunkt schien der Tanz für sie mehr eine Qual zu sein, als ein Vergnügen, doch je länger der Abend dauerte und je länger sie tanzten, desto sicherer wurde sie. Bis sie irgendwann kaum mehr Fehler machte und sogar zu reden anfing: „Ich habe Euch noch nie gesehen, aber Ihr kommt mir so furchtbar bekannt vor…“
„Ich fürchte, dass wir das Vergnügen wirklich noch nicht hatten. Schließlich hätte ich so eine Schönheit wohl kaum vergessen können“, Amyx hätte kotzen können, doch das Kompliment schien seine Tanzpartnerin ehrlich zu freuen.
„Vielen Dank Mylord“, brachte sie nur raus und man konnte ihr anmerken, dass sie am liebsten woanders hingeschaut hätte, doch für die wenigen Sekunden hielt sie Blickkontakt.
Sie tanzten wieder eine Weile, bis er erneut das Wort ergriff: „Nicht mehr lange, bis zur großen Enthüllung Biotecs. Es ist überall im Munde und Gerüchte gehen um. Was glaubt ihr, worum es sich dabei handelt?“
„Ich weiß nicht...aber viele munkeln es geht um das ewige Leben. Ich… ist alles in Ordnung?“, er hatte sie noch etwas weiter aus ihrem Schneckenhaus hervorgelockt.
Zu seinem Leidwesen, denn es war sein letztes Ass im Ärmel, sie mit diesem Thema zu ködern. Bei seiner Ankunft vorhin hatte er es schnell gemerkt. Alles hier redete davon. Doch allein schon der Gedanke an dieses medizinische Wunder ließ Amyxs Magen rebellieren. Es war ekelerregend und widersprach alles, was Tremas ihm über die Jahre beigebracht hatte. So hatte ihn bei ihrer Antwort auch dieses Mal wieder der Schwindel übermannt, als er daran dachte. Das Mädchen unterbrach den Tanz und führte ihn zu einer Sitzgelegenheit in der Nähe.
„Mir war nur kurz nicht wohl“, versuchte er sie zu beschwichtigen.
Das war wirklich erstaunlich. Sie kannte ihn seit kaum einem Abend und dennoch sorgte sie sich.
Wie kann man so leichtgläubig sein?
Durch das alles war langsam ein Gespräch zwischen ihnen entstanden und kurze Zeit später redeten sie auch schon über etwas völlig anderes. Amyx hätte Geschichtenerzähler werden sollen, so wie er sich grade die Welt schön log.
Am liebsten wäre er sofort mit ihr abgehauen, aber ungünstiger konnte der Zeitpunkt nicht sein. Er würde wohl noch auf den Beginn der Rede warten müssen. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr verriet, dass es nicht mal mehr zehn Minuten waren.
Zehn Minuten, bis mich das schmierige Gerede dieses Dreckskerls wahnsinnig machen wird.
Bei dem Gedanken schaute er kurz zur Bühne um vielleicht den Pressesprecher von Biotec ausfindig zu machen. Amyx hätte nichts dagegen gehabt, einen kleinen Abstecher dorthin zu unternehmen um den Typen umzubringen, doch das konnte er sich vorerst wohl abschminken. Ein weiterer Blick auf die Armbanduhr. Langsam wurde er ungeduldig und sein Herz fing an zu rasen, denn er musste er sich auch noch überlegen, wie er das Mädchen dazu brachte, ihn in einen der Gänge zu begleiten, von wo aus er mit ein wenig Gewalt problemlos fliehen konnte. Je näher alles nun rückte, desto höher schlug sein Herz.
„Mir geht’s immer noch nicht allzu gut. Würdest du…“, kurz pausierte er, denn die Hektik hatte ihn unvorsichtig werden lassen, „Würde die Mylady mich begleiten. Ich möchte mich nur etwas frisch machen“
Sie selbst schien seinen Fehler kaum bemerkt zu haben.
Bevor sie jedoch einwilligte, schaute sie auf die Uhr an seinem Handgelenk: „Aber wir sollten uns beeilen. Ich möchte unmöglich den Anfang der Rede verpassen…Mein Bruder und ich … wir wollten uns da treffen“
Das tut mir aber leid.
Amyx wusste nicht, was er fühlen sollte. Ganz gleichgültig war ihm das alles ja doch nicht. Denn noch war sein Herz nicht so tot, wie das des Wolfs. Es war undefinierbar, was in ihm vorging. Natürlich konnte er seine Freude darüber, dass der Plan kurz vor dem Erfolg stand, kaum zurückhalten, doch hatte er auch Schuldgefühle. Und diese Schuldgefühle wogen schwerer, als erwartet.
Schnell schluckte er den Kloß im Hals runter und nickte Richtung der Tür: „Dann lass uns gleich gehen“

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Autor

HarmonicHaros Profilbild HarmonicHaro

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Kapitel: 8
Sätze: 2.170
Wörter: 44.688
Zeichen: 260.064

Kurzbeschreibung

Idola-City. Eine schrille und futuristische Hochburg der Entwicklung. Diese Stadt hat viele Gesichter. Doch hat jeder Fortschritt auch stets seine Kehrseite. Während der Machtkampf von Adel und Rebellion gerade erst etwas zur Ruhe gekommen ist , nähert sich ein Abend, der alles verändern wird. Ein Agent, der eine fragwürdige Mission zu erfüllen hat tritt auf den Plan während ein alter Rebell, ein Firmensprecher und die Person bei der schlussendlich alle Fäden zusammenlaufen, um ihre Existenz kämpfen müssen . Doch je mehr die Ereignisse sich überstürzen desto mehr Fragen kommen auf : Was führt der Geheimdienst eigentlich im Schilde ? Wer ist die rote Hand? Worum handelt es sich bei der geheimnisvollen Ankündigung von Biotec Inc.?

Kategorisierung

Diese Story wird neben Science Fiction auch in den Genres Thriller, Drama, Entwicklung und Vermischtes gelistet.