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Standing up

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13.02.20 17:39
16 Ab 16 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

Ich riss die mit Erinnerungen geladenen Bilder kraftvoll von der Wand. Wie konnte er mir das nur antun? Ich wurde immer wütender und wütender, zog die Schublade meiner Kommode auf, in der er immer seine Sachen verstaut hatte, und fing an sie wie ein Hund auszugraben. Den ganzen Inhalt schaufelte ich fluchend hinter mich in die Mitte meines Schlafzimmers, bis die ganze Schublade leer war. Schnell und kurz atmend sank ich zu Boden, um mich herum das Chaos. Machtlos legte ich meinen Rücken auf dem Teppich ab, der sich unter mir befand. Ich vergrub meine Hände in dem weichen Stoff und blickte geradewegs in die Lampe, die von meiner Decke baumelte, doch das Licht war so grell und erschlagend, dass ich es gar nicht schaffte meine Augen länger aufzuhalten. Also schloss ich sie. Meine Kraft war nach meinem mindestens einstündigen Wutausbruch nun komplett aufgebraucht. Ich versuchte meinen Atem zu regulieren, aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Immer wieder schoben sich die dunkelsten Gedanken wie eine riesige Wolke vor mein Inneres. Wie geht es jetzt weiter?

Ich lag bestimmt eine halbe Stunde reglos auf dem Teppich und ließ meine Augen durch mein Zimmer wandern. Mein Blick blieb immer wieder an den gelben Patafix-Fetzen an der Wand über meinem Schreibtisch hängen, wo eben noch die Bilder gehangen hatten, die ich gerade einfach nur verbrennen wollte, mitsamt ihren Erinnerungen. Es tat einfach nur weh. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal betrogen werden würde und schon gar nicht von Julien. Über drei Jahre waren, beziehungsweise sind wir zusammen und dieses dumme Arschloch hat nichts Besseres zu tun, als es mit seiner Kollegin zu treiben? „Ach Baby, mach dir doch keine Sorgen. Léa hat ‘nen Freund. Außerdem feiern wir nach der Arbeit einfach alle nur zusammen, was ist denn dabei?“, schallten seine Worte in meinem Kopf. Und ob ich mir hätte Sorgen machten sollen. Aber nein, ich kleines naives Ding vertraue meinem Freund ja einfach blind. Was tut man auch sonst in einer Beziehung? Mein Atem verschnellerte sich wieder und mein Herz pochte so heftig, dass ich es an der Oberfläche meiner Haut spüren konnte. Meine Atemzüge wurden gefährlich kurz. Normalerweise hätte ich in so einer Situation Julien angerufen, aber...

Langsam setzte ich mich auf und spürte, wie mein Kreislauf dabei in die Knie ging. Ich streckte meine rechte Hand in Richtung Schreibtisch aus und Griff nach meinem Handy, welches auf der Kante lag. Ich öffnete den Chat mit Ellie. Die Wörter verschwammen vor meinen Augen und es war anstrengend die richtigen Buchstaben zu treffen. „Kannst du kommen“, schrieb ich und drückte auf Senden. Das Fragezeichen auf der Tastatur zu finden wäre eine zu große Herausforderung für mich in diesem Zustand gewesen. Ich erschrak, als mein Handy eine kurze Vibration von sich gab. „Alles ok?“, las ich die erste Nachricht. Bei der Zweiten musste ich meine Augen noch ein wenig mehr zusammenkneifen: „Ich bin noch bei der Nachhilfe. Gib mir 20 Minuten“. Eine weitere Vibration folgte: „Ich beeile mich“. Dankbar atmete ich auf. Gleich würde jemand da sein und ich würde nicht mehr alleine inmitten dieses verwüsteten Raumes sitzen.

 

Es klingelte an der Türe. In der Zwischenzeit hatte ich mich aufgerappelt und war zumindest dazu im Stande gewesen mich von dem Teppich auf einen Stuhl in der Küche zu befördern. Vorsichtig und mit wackligen Beinen stand ich auf und drückte den Knopf der Gegensprechanlage, der dazu diente die Türe des Mehrfamilienhauses aufspringen zu lassen. Direkt neben dem Sprecher befand sich die Wohnungstüre, die ich Ellie öffnete. Sie kam schweratmend um die Ecke und verdoppelte ihre Geschwindigkeit, als sie mich im Türrahmen sah. Fest schlang sie die Arme um mich, wobei meine Schläfe gegen den harten, rauen Gurt ihres Rucksacks knallte. Den kurzen Schmerz ignorierte ich, denn ich konzentrierte mich voll und ganz auf die Umarmung meiner besten Freundin, durch die ich endlich aufatmen konnte, weil ich wusste, dass ich, zumindest heute, nicht mehr alleine sein werde. „Emma, ich hab‘ mich voll erschrocken, als du mir so merkwürdig geschrieben hast. Was ist passiert? Ist was mit deinen Eltern? Bist du schwanger?“, redete sie los, während sie sich von mir löste und die Türe hinter sich zudrückte. Verneinend schüttelte ich den Kopf. Ich kehrte ihr den Rücken zu, neigte meinen Kopf nach unten und ließ mich auf dem Stuhl nieder, auf dem ich zuvor gesessen hatte. Ich schlug meine Beine übereinander, atmete tief ein und wieder aus, bevor ich es wagte sie richtig anzusehen. „Ich habe Julien gesehen. Vor seiner Wohnung. Mit Léa. Sie haben sich geküsst“, sagte ich nun leise und mit zitternder Stimme. Ich konnte sie nicht länger ansehen, weil ich mich schämte ihr so etwas sagen zu müssen. Ich fühlte mich so dreckig und benutzt, obwohl nicht mal ich diejenige war, die etwas Derartiges getan hat. Mein Unterkiefer fing an zu zittern und schob sich automatisch nach vorne. „Und es war sicherlich nicht das erste Mal“, brachte ich noch gebrochen hervor, ehe meine Worte in ein tiefes Schluchzen übergingen und warme Tränen meine Wangen überströmten. Endlich konnte ich weinen und meinen ganzen Frust loslassen. Mein Rücken wölbte sich immer weiter nach oben und ich sackte vorne über in mir zusammen. Meine gefalteten Hände fielen in meinen Schoß und ich bohrte meine Fingernägel solange in die jeweils andere Hand, bis es wehtat. Mein Keuchen, Schluchzen und Wimmern übertönte alles was um mich herum geschah und ich bemerkte erst, dass Ellie sich einen Stuhl zu mir gezogen hatte, als sie nach meinem Arm griff und ihn leicht drückte. Mit der anderen Hand zog sie mich an der Schulter zu ihr rüber. Meinen Kopf ließ ich gegen ihre Schulter fallen und mir behutsam von ihr über den Kopf streicheln. Mehrere Minuten verharrten wir genau so. Ellie stellte keine Fragen, sondern ertrug einfach nur mein Wimmern und tiefes Atmen, bis ich meinen Kopf von ihrer Schulter hob und kräftig schluckte. 

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AnnAngeliques Profilbild AnnAngelique

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