Storys > Romane > Liebe > Beschädigte Ware- vom Umtausch ausgeschlossen

Beschädigte Ware- vom Umtausch ausgeschlossen

93
20.02.20 16:34
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Das Erlebnis mit dem Mann im Anzug hatte mich tief getroffen. Wieder einmal.
Es gab sie vielleicht, die Frauen und Männer, die über diesen Dingen standen, aber ich gehörte eindeutig nicht dazu.
Abgewiesen zu werden war immer schlimm, aber abgewiesen zu werden, ohne tatsächlich etwas dafür zu können, schien mir mit zunehmendem Alter immer unerträglicher.
Mit jedem Witz, jeder Lächerlichkeit, jedem dummen Spruch über meinen Namen, wurde es schlimmer. Ich merkte selbst, dass ich mich mehr und mehr zurückzog, immer mehr an mir selbst zweifelte.
Auch wenn ich mich lange Zeit bemüht hatte, gelang es mir immer weniger, die Fassade von Gleichgültigkeit aufrecht zu erhalten.
Viele Jahre hatte ich versucht, die Reaktionen zu ignorieren, mir einfach nichts anmerken zu lassen, aber es gelang mir einfach nicht mehr.
Manchmal wollte ich schreien oder mein Gegenüber an den Schultern packen und ordentlich durchschütteln, aber natürlich tat ich auch das nie.
Schon vor Jahren hatte ich aufgehört, von mir aus Männer anzusprechen, und jedes Mal, wenn ein Mann mich ansprach, verfiel ich sofort in Panik.
Auch diesmal war es nicht anders gewesen, mehr als ein interessiertes Lächeln hatte ich nicht zustande gebracht, und das Ende war mir vorgekommen, als hätte ich es bereits tausendfach erlebt.
Da man seinen Namen im Allgemeinen ziemlich früh preisgab, hatte ich bei kaum einer Begegnung überhaupt die Chance, mit meinen sonstigen Qualitäten zu punkten. Bevor überhaupt einer merkte, dass ich vielleicht ansonsten ein ganz passabler Fang sein könnte, hatte mein Name ihre Meinung über mich schon in ihr Gehirn eingebrannt.

Auch bei dem Mann im Anzug war es so gewesen, denn er hatte sich nur Minuten nach meiner Offenbarung aus meinem Leben komplementiert. Nachdem er sich in der Menge umgesehen, und sich ein neues Opfer ausgesucht hatte, hatte ich mich für ihn in Rauch aufgelöst.
Er hatte zwar mit mir gesprochen, aber seine Augen hatten auf einer Frau am anderen Ende des Raums gehaftet. In dem Moment, in dem sie seinen Blick aufgefangen und diesen erwidert hatte, war ich raus aus der Sache gewesen.
Mister Anzug hatte sich entschuldigt, sein leeres Glas neben mir abgestellt, und war fluchtartig zu ihr gestapft.
Ich blieb zurück, wie so viele Male zuvor, und hatte meine Eltern in jeder mir bekannten Sprache verflucht.

Wie also sollte jemand wie ich, den passenden Mann für eine längerfristige Beziehung treffen? Wenn ich doch gar nicht die Chance hatte, überhaupt bis zu einem echten Kennenlernen zu kommen?
Mein ganzes Leben lang schon war das die Krux, deren Lösung ich einfach nicht kannte.
Natürlich hatte es Männer gegeben, manche sogar etwas länger, aber immer hatte Lottchen mir im Weg gestanden.
Lottchen war Lottchen, eher mehr als weniger, und egal wie sehr ich mich auch bemühte, immer war ich es, die am Ende dem Spot sämtlicher Menschen ausgesetzt war.
Auch jetzt war genau das erneut passiert, denn ich sah aus dem Augenwinkel, wie der von mir ausgesuchte Mann, wenig auffällig mit den Finger auf mich zeigte und dann lachte. Auch die Frau sah mich an, als könnte sie das erzählte kaum glauben, und irgendwo in ihrem Gesicht sah ich den Sieg über mich, den sie kaum zu verbergen versuchte.
Es ärgerte mich, dass die Menschen sich so wenig Mühe gaben, es für mich wenigstens etwas erträglicher zu machen.
Auch diese Situation war mir nicht unbekannt, erlebt hatte ich sie viele Male, aber niemals war es weniger schmerzhaft.
Traurig hatte ich mich nach der Pause an den am weitesten von Dietmar entfernten Platz zurückgezogen. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, lächelte sogar dem Streber in der ersten Reihe zu, weil dieser vermutlich genauso ein verdrehtes Leben hatte wie ich selbst.

Ich hatte so manchen Mann aus meinem Freundeskreis probiert, was nicht immer die beste Idee gewesen war, denn eigentlich wollte ich einen Ehemann und keinen guten Freund.
Ich sehnte mich nach Romantik, jemanden, den man traf und in den man sich verliebte, nicht jemanden, der schon lange einfach nur in meinem Leben war, und dann zu einer Beziehung wurde.
Es sollte niemand sein, den ich schon ewig kannte. Ich wollte den perfekten Mann, der zu mir in und in mein Leben passte, und für den mein Name kein Problem darstellte.
All diese Freunde-Männer waren in Ordnung gewesen, sie waren Etappen in meinem Leben gewesen, aber für die große Liebe reichten sie einfach nicht.
Es hatte einfach keinen Knall, kein großes rosa Herz, keine große Liebe gegeben.
All diese Freunde-Männer, hatten sich aus meinem Namen nichts gemacht, weil sie wussten, dass ich trotzdem ein guter Mensch war. Sie hatten darüber hinweggeblickt, aber immer hatte ich gemerkt, dass selbst sie sich für mich mit schämten.
Sie sagten es nicht, jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit, aber keiner von ihnen hatte mich je vor seinen Freunden mit meinem Namen vorgestellt. Dieser besondere Moment war immer mir vorbehalten, inklusive der Lacher oder der peinlichen Stille die darauf folgte.
Warum kein fremder Mann dazu in der Lage war, einfach den bescheuerten Namen auszublenden, verstand ich einfach nicht. Was sagte ein Name schon über einen Menschen aus?
Konnte man jemanden wirklich, aufgrund eines Vornamens, in eine Schublade stecken, und traf diese auch zwangsläufig auf ihn zu?
Waren Kevin und Chantal immer Menschen zweiter Klasse?
Und was war dann ich? In welche Schublade steckten sie dann mich?
Noch vor Jahren hatte ich versucht, die Schublade meines Namens selbst zu finden. War Lottchen die ewige Kindfrau, deren naive Kindlichkeit vielleicht am Ende jemanden ansprach?
Ich hatte versucht, diese Frau zu sein, hatte mich selbst zurückgenommen, weniger geredet, öfter gekichert. Gefühlt hatte ich mich damit schlecht, denn die Gespräche langweilten mich zu Tode. Ich wollte nicht naiv sein, das wurde mir schnell klar, und ein ewiges Kind zu sein, hatte mich auf Dauer angestrengt, woraufhin ich den Plan schnell verworfen hatte.
Auch alle anderen Versuche, herauszufinden wer Lottchen wirklich war, scheiterten schon nach kurzer Zeit, denn immer wieder stellte ich fest, dass es zwischen mir und dem Namen, einfach keine Parallelen gab.
Ich war weder kindlich, jedenfalls hoffte ich das, noch der minderjährige Traum irgendwelcher alternder Playboys, und eigentlich wollte ich ja auch etwas ganz anderes. Ich wollte einen normalen Mann, jemandem der mit mir auf einer Stufe der Entwicklung stand, und der seine Lebensziele ebenso ehrgeizig verfolgte wie ich.
Jemanden der über meinen Namen stand, mich vielleicht sogar verteidigte, und vor allem jemanden, der stärker war als ich es selbst je sein würde.

Immer wieder hatte ich mit meiner Mutter darüber gesprochen, die für all das wenig Verständnis hatte.
„Wenn dich einer wirklich mag, dann macht er sich aus solchen Dingen wie Namen nichts“, pflegte sie dann zu sagen.
Leider sagte den Männern das nur niemand, und genau deshalb war ich noch immer alleine.
Obwohl ich in meinen Augen alles tat, um die perfekte Frau neben einem ebenso perfekten Mann zu sein, funktionierte es einfach nicht.
Was mir dabei am meisten Sorgen machte, war die Tatsache, dass auch ich nicht jünger wurde. Jeder Tag mehr in meinem Leben, in dem ich eigentlich hätte schon längst verheiratet sein sollen, war eine echte Qual.
Es war noch nicht einmal so, dass meine biologische Uhr mir die Hölle heiß machte, vielmehr sah ich all die anderen Paare um mich, und sorgte mich um meinen Lebensabend.
Was, wenn ich einfach niemanden fand? Würde ich dann alt und einsam sterben?
Würde ich als ewige Junggesellin sterben, nur weil meine Eltern einen Fehler gemacht hatten?

Ich hatte vieles ausprobiert, von Internet bis zu Singlebörsen, aber nichts hatte so richtig funktioniert.
Natürlich konnte man im Internet seinen echten Namen verschweigen, Männer bis zu einem gewissen Grad kennenlernen, aber irgendwann folgte dann immer die Frage nach dem ersten Treffen. Sofort geriet ich erneut in Panik, suchte Ausflüchte und Ausreden, und meistens gaben die Männer dann irgendwann auf.
Viele der Männer waren auch Schall und Rauch, gaben vor, jemand anderer zu sein, und so jemanden wollte ich natürlich auch nicht.
Bei den öffentlichen Singe-Veranstaltungen hatte es nur Trottel gegeben, und praktisch nie war ich dort einem Mann begegnet, der auch nur halbwegs in für mich in Frage kommen würde.
Auf manchen war ich mir vorgekommen, wie Ware über dem Verfallsdatum, auf anderen, wie Frischfleisch in der Auslage eines Geschäftes.
Beides hatte sich nicht gut angefühlt, beides hatte mich runtergezogen, woraufhin ich meine Suche einfach komplett eingestellt hatte.
Bei genauerer Betrachtung war meine Hürde vielleicht nicht nur mein Name, sondern auch die Tatsache, dass ich jemanden wollte, der den gleichen Weg ging.
Vielleicht hätte sich ein Dachdecker oder Klempner aus einem Lottchen nichts gemacht, vielleicht hätte so jemand nicht mal mit der Wimper gezuckt, aber diese Sorte Mann kam für mich nicht Frage.
Erfolgreich sollte er sein, vielleicht auch etwas überheblich, und auf jeden Fall musste er finanziell mit mir auf einer Ebene sein.
Auch dass hatten meine Eltern bei meiner Geburt nicht bedacht, da war ich mir sicher. Meine Eltern, beide einfache Arbeiter, hatten vermutlich geglaubt, ich würde enden wie sie.
Dass ich irgendwann in der Nahrungskette über ihnen, und vermutlich auch dem Durchschnitt, enden würde, hatten sie vermutlich nie in Betracht gezogen.
Auf dem Dorf war Lottchen eben Lottchen, sie hätte beim Bäcker arbeiten können, oder vielleicht als Arzthelferin, aber das war einfach nicht ich.
Früh schon hatte ich Erfolg gewollt, und jedes andere Bedürfnis dahinter zurückgestellt. Ich hatte mich angestrengt, sehr viel mehr als alle meine Kindheitsfreunde, aber anstatt sich darüber zu freuen, hatten meine Eltern meinen Weg mehr als misstrauisch und besorgt beäugt.
Für sie waren es fremde Welten, und für meine Mutter gab es absolut keinen Sinn, in der Woche 60 Stunden zu arbeiten, um dann am Wochenende todmüde auf der Couch zu liegen.
In der Welt meiner Mutter, und vermutlich auch in der Welt der anderen Dorfbewohner, war ich nicht ganz bei Trost.
Für sie galt noch immer: Frauen gehörten an den Herd, zu ihrem Mann und ihren Kindern.
Lange hatten diese Dinge für mich keine Rolle gespielt, Kinder waren Lichtjahre weit entfernt gewesen, und an heiraten hatte ich ebenfalls keinen Gedanken verschwendet.
Ich brauchte keinen Unterstützer, ich konnte mich selbst sehr gut ernähren.
Erst ab dreißig, als alle Menschen um mich begannen, Zukunftspläne zu verwirklichen, wurde auch mir klar, dass ich irgendetwas falsch gemacht hatte.
Ich hatte alles erreicht, was es aktuell zu erreichen gab, und war trotzdem einsam.
Immer hatte ich geglaubt, irgendwann würde einer kommen, der sich auf der Stelle und den ersten Blick verlieben, und der mich gar nicht erst nach meinem Namen fragen würde.
Passiert war das allerdings nie, und auch mir war das einfach nie passiert.
Ich verliebte mich nicht Hals über Kopf, ich war misstrauisch und vorsichtig, und auch das machte es nicht einfacher.
In den Märchen meiner Kindheit hatte es anders ausgesehen, ich war sicher gewesen, dass ich mit Ende zwanzig all diese Dinge schön längst erreicht haben würde, aber immer mehr kristallisierte sich heraus, dass es das alles für mich vielleicht nie geben würde.
Als Kind glaubte man, dass diese Dinge einfach passierten. Dass der Mann, das Haus, das Kind, der Hund, einfach irgendwann automatisch kommen. Wie kompliziert es tatsächlich war, jemanden zu finden, der auch wirklich zu einem passte, konnte man einfach nicht wissen.
Jetzt, in meinem Alter, sah man die Sache klarer. Wann immer ein Mann zu passen schien, passte irgendwas an ihm dann doch nicht. Sie schleppten Altlasten, Probleme und Vorurteile mit sich, und man hatte einfach keine Chance, diesen entgegenzutreten. Schon gar nicht wenn man Lottchen war, die man einfach nicht ernstnehmen konnte.

„Nicht wirklich, oder?!“
Ich schloss die Augen und dachte darüber nach, ob das Verschwinden durch die mir gegenüberliegende Türe nicht doch eine überlegenswerte Option sein würde.
Manchmal wünschte ich mir genau an dieser Stelle von Konversationen eine Mülltüte für meinen Kopf.
Für Sekunden wollte ich ihm sagen, dass auch sein Name alles andere als sexy und verheißungsvoll klang, aber ich ließ es. Millionen Männer hießen Dietmar und niemand störte sich daran, es war ein Name, der ihnen geläufig war.
Ganz im Gegensatz zu meinem.
Mein Blick flog zu dem riesigen doppeltürigen Durchgang, durch den ich vor gefühlten hundert Jahren in diesen Raum gekommen war, und die letzten Stunden reglos, auf einem unfassbar unbequemen Stuhl sitzend, einem gelangweilten Redner zugehört hatte.
Wenn ich schnell genug war, dann würde ich mir die nächsten unfassbar peinlichen Minuten vielleicht ersparen können.
Ich würde gehen, hinaus in die Tiefgarage zu meinem Wagen, und einfach bei Nachfrage erzählen, dass ein Anfall von Migräne mich vom Rest der Veranstaltung ferngehalten hatte.
Das Thema war ohnehin trocken, selbst der Sprecher schien das so zu sehen, und vermutlich jeder im Raum hatte die Halbzeitpause herbeigesehnt, um die stetig wachsende Müdigkeit endlich in einem Eimer Kaffee zu ertränken.
„Doch, ist leider so.“
Mein Mund versuchte ein Lächeln, aber vermutlich gelang es mir nicht gut.
Der gutaussehende Mann mir gegenüber prustete auf der Stelle los, und ich fühlte, wie rote Hitze in meine Wangen schoss. Selbst mit über dreißig, als erwachsene, erfolgreiche Frau, wurde diese ewig wiederkehrende Situation einfach nicht weniger unangenehm. Nervös rieb ich meine Hände über die Außenseite meiner Schenkel, aber natürlich half auch das nichts.
„Das ist... irgendwie niedlich!?“
Er sah mich mit großen Augen an und ich spürte sofort, dass er jeden Respekt vor mir verloren hatte. So war das immer.

Männer sprachen mich an, sie interessierten sich für mich, und sobald sie mich nach meinem Namen fragten, nahm das Unglück seinen Lauf.
Die noch eben existierende Spannung löste sich sofort auf, jede Anziehung schien verpufft und verflogen, und praktisch immer begann dann der Teil des Gespräches, in dem ich mich fühlte, als würde der Mann gegenüber mit einem Kleinkind sprechen.
Dieses Kleinkind war ich, egal wie edel und erwachsen ich mich kleidete, und egal was ich auch sagen würde, der Mann würde es einfach nicht mehr sehen.
Hundertfach hatte ich genau das erlebt, es schien eine endlose Aneinanderreihung der immer gleichen Situation, bei der sich lediglich der Ort und die Optik meines Gegenübers zu unterscheiden schienen.
Manchmal hatte ich sie in der Vergangenheit meinen Namen raten lassen, um die unangenehme Situation hinauszuzögern, aber nie hatte das wirklich lange funktioniert.
Namen waren in Gesprächen essentiell. Ohne Namen baute man kaum eine Verbindung auf, sie waren die Grundlage von praktisch allem.
Ich hatte versucht, mit meinem Namen zu kokettieren, hatte ihnen sogar erlaubt, mir jeden Namen zu geben, der ihnen in der Situation angemessen erschien. Für einen Abend war ich dann Greta gewesen, Susanne oder Isabell.
Manchmal hatte ich getan, als sei das Erraten meines Namens ein Spiel oder eben ein Geheimnis, welches es zu lüften galt.
Auf Dauer hatte das natürlich nie gegriffen, nicht mal für eine zweite Verabredung, und jedes Mal wurde es dann erst richtig peinlich.
All die guten Männer, die vielleicht tatsächlich die Richtigen gewesen wären, verwandelten sich in panisch flüchtende Gestalten. Der ein oder andere war sogar sauer, er fühlte sich um seinen Sieg betrogen, und irgendwie verstand ich es auch.
Die Welt in der ich mich bewegte erforderte Perfektion. Man suchte nach einer perfekten Frau, mit gut sitzenden Haaren und einer guten Figur, die man stolz neben sich präsentieren konnte. Ein Lottchen, gehörte nicht in diese Kategorie.
Wann immer ich also einen Mann getroffen, und man sich gegenseitig als gut befunden hatte, hatte ich augenblicklich begonnen, alles zu geben.
Besonders aufmerksam, übermäßig bemüht, verständnisvoll, interessant zu sein, alles.
Alles, damit mein Name am Ende nicht der entscheidende Punkt war.
Früher oder später musste ich ihn jedoch aussprechen, und praktisch immer war die Situation danach gekippt. Wo vor Sekunden noch ein Hauch von Spannung gewesen war, wo vielleicht sogar echte Anziehung in der Luft gelegen hatte, tötete mein Vorname jede auch noch so kleine Empfindung. Er überlagerte jede erotische Anziehung, jedes vorher klug gesprochene Wort, jeden vorher erreichten Sieg.
Es kam mir vor, als würde das Aussprechen meines Namens die Situation sofort an ihren Nullpunkt zurücksetzen, und als hätte ich keine Chance dazu, dagegen irgendetwas zu tun.
„Niedlich“ war dabei noch eine der netteren Bezeichnungen, viel öfter hörte ich Worte wie „bescheuert“, „furchtbar“, oder auch ein mitleidiges „du Arme...“.
Ja, ich war arm. Ich tat mir selbst leid, weil dieser Vorname eine echte Strafe war.
Noch immer konnte ich einfach nicht verstehen, was meine Eltern sich dabei gedacht hatten.

„Nicht niedlich, aber steht so in meinem Personalausweis.“
Ich versuchte, stark zu bleiben, nicht wieder in die übliche Panik zu verfallen, und dabei irgendwie noch so eloquent zu wirken, wie ich im realen Leben eigentlich war.
Wie ich mich selbst sah, war von diesem Namen so weit entfernt, wie die Erde vom Mond. Mein hart erarbeiteter Erfolg, die Zeit und das Geld, dass ich in die Perfektion meines Auftretens investierte, nichts davon wurde von ihm gespiegelt.
„Ich dachte im ersten Moment, es sei vielleicht ein Spitzname, eine Verniedlichung, aber da steht wirklich Lottchen?“
Der Mann legte den Kopf schief, als könne er noch immer nicht fassen, dass ich tatsächlich eine solche Niederlage sein könnte. In seinen Augen war ich eine Mogelpackung, ich sah es deutlich an seinem Blick.
Er, dessen Haare so perfekt waren, als sei er noch an diesem Morgen vor der Veranstaltung bei einem überteuerten Nobelfrisör gewesen, war sicher keine.
Schon bei meinem ersten Blick auf ihn, hatte ich diese Perfektion erkannt und mich sofort davon angezogen gefühlt.
Nicht zu groß, nicht zu klein, ein guter, nicht zu auffälliger Anzug. Klassische Eleganz, gepaart mit einem selbstsicheren Auftreten. Genau diese Sorte Männer mochte ich.
„Ja, wirklich. Nicht Charlotte, nicht Lotte, dort steht Lottchen.“
Automatisch griff ich nach meiner Tasche, aber stoppte die Bewegung nach der Hälfte des Weges.
Warum tat ich das bloß immer? Warum zückte ich jedes mal sofort meine Geldbörse, und hielt den Menschen meinen Ausweis unter die Nase? Es gab absolut keinen Grund, warum ich immer sofort in Erklärungshaltung ging, und einen Beweis musste ich im Grunde wirklich nicht dafür antreten.
Der Name war doof, keine Frage.
Aber er war meiner, und ich konnte nichts daran ändern. Trotzdem fühlte ich mich irgendwie gezwungen, den Beweis für seine reale Existenz auf Papier vorzuweisen, denn immerhin glaubte eine nicht gerade geringe Menge von Männern, an einem dummen Scherz.
Sie glaubten, ich würde sie nicht ernst nehmen, und mir deshalb einen dummen Namen geben, was natürlich nie der Fall war.
„Lottchen... Was haben deine Eltern sich dabei bloß gedacht?“
Er schüttelte noch immer grinsend den Kopf, und in meinem eigenen formten sich die schon tausendfach gedachten Gedanken.
Nichts. Sie haben sich absolut nichts dabei gedacht.
Vermutlich hatten sie das winzige rosa Baby nach meiner Geburt in dem kleinen Bettchen liegen sehen, und dabei gedacht: „Da ist sie, unser kleines Lottchen.“
Zu einem pummeligen rosa Baby passte das ja auch irgendwie.
Dass Lottchen jedoch irgendwann erwachsen werden, studieren und einen guten Job erhalten würde, darüber wohl nicht.
Warum sie nicht wenigstens in meiner Geburtsurkunde etwas anständiges hatten eintragen lassen, dafür hatte es nie wirklich eine Erklärung gegeben.
Ich hätte ja ihr Lottchen sein können, das wäre doch gar nicht das Problem, aber nur zu gerne, wäre ich in meinem erwachsenen Leben eine Charlotte gewesen.
Als eine Charlotte hätte ich leben und arbeiten können, niemand hätte es hinterfragt oder dumm gefunden, und für meine Eltern hätte ich für immer ihr Lottchen sein können.
Aber nein, sie hatten es anders gehandhabt, ohne zu ahnen, was dieser bescheuerte Name für mich bedeuten würde.
Ein Lottchen zu sein, war in meiner Kindheit völlig in Ordnung gewesen. Ein Lottchen kam überall gut an, alle fanden das kleine blonde Mädchen zuckersüß, und niemand hinterfragte es.
Später, zu Schulzeiten, änderte sich das. Spätestens mit vierzehn hatte ich angefangen, den Namen zutiefst zu hassen.
Die anderen Jugendlichen zogen mich auf, machten sich über mich lustig, und ich hatte begonnen, mich als „Lotte“ vorzustellen. Lotte war auch nicht gerade toll, aber immer noch besser, als das kleinkindliche Lottchen.
Funktioniert hat das nur so mittelgut, meine Eltern weigerten sich strickt, die selbstgewählte Namensänderung zu akzeptieren.
Für meine Eltern grenze das an Verleumdung, etwas, dass man einfach nicht tat, und bei jeder Gelegenheit betonten sie, dass sie eine Umformung meines Namens auf keinen Fall akzeptieren würden.
Als Erwachsene dann, also nach meinem Studium und meinem Eintritt in die Arbeitswelt, wurde es dann so richtig schlimm. Selbst bei Bewerbungen hatte ich das Gefühl, dass die Menschen mich als grenzdebil einstuften.
Mehr als einmal hatte ich sogar den Eindruck, dass meine Bewerbung auf den „Absagen“ Stapel gelegt worden war, ohne das jemand sie im ganzen gelesen hatte.
An meinen Qualifikationen konnte es unmöglich liegen, aber ich verstand es. Der Name war eine Strafe, eine von der ganz bösartigen Art, und ich hatte sie zu tragen.
Auch ich hätte über ein Lottchen gelacht, wenn ich eine solche Bewerbung in der Hand gehalten hätte, und auch ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich ein Lottchen in der harten Welt der Medienbranche würde durchsetzten wollen.
Während andere neben mir davon träumten, dass ihr Name irgendwann in eleganten Lettern auf der Glastüre eines Büros glänzten, war das mein größter Alptraum.
Jeder Brief, jede Visitenkarte, jede E-Mail klagten mich an.
Selbst in meiner jetzigen Firma war es kaum anders, und obwohl ich auf Knien die IT-Abteilung gebeten hatte, meine E-Mail-Adresse nicht mit Vor-und Nachnamen zu generieren, war natürlich genau das passiert.
Manchmal stellte ich mir vor, wie mein Gegenüber lachend vor seinem Rechner zusammenbrach, nur um dann sofort von einer Welle von Mitleid übermannt zu werden.
Sicherlich sahen auch Firmenchefs das so, alleine schon die Vorstellung, diesen Namen als Aushängeschild zu nennen, kam selbst mir äußerst dämlich vor.
Wie ich es trotzdem geschafft hatte, überhaupt einen halbwegs guten Job zu erhalten, grenzte daher an ein Wunder.
Erfolgreiche Frauen hatten andere Namen, sie hießen Susanne oder Maria, Namen die eloquent und edel klangen.
Jede Situation, in der mein Name irgendwo stand oder prangte, war für mich der Inbegriff von Peinlichkeit.
Am Telefon wurde er hinterfragt, potenzielle Auftraggeber fragten bei Gesprächen als erstes nach dem ungewöhnlichen Namen, und ständig stolperte ich über andere Mitmenschen, die meinen Vornamen für einen schlechten Witz hielten.
Und dann noch die Männer.
Wann immer ich Männer traf, die eventuell für mich in Frage kamen, scheiterte es an diesem Namen.
Alles lief top, sie gaben sich Mühe, und kaum hatte ich meinen Vornamen genannt, wandelte sich das Blatt. Ein Lottchen nahm keiner ernst, sie behandelten mich wie ein kleines Mädchen, und jede Romantik wurde im Keim erstickt.
Wer wollte schon in einer erotischen Situation etwas hauchen wie: „Oh, Lottchen...“?

„Ich glaube, meine Eltern waren sich der Tragweite dieser Entscheidung damals nicht bewusst.“
Ich sah auf den schicken Mann im grauen Anzug, und wusste schon jetzt: Er wollte kein Lottchen in seinem Leben.
Keiner von ihnen wollte das. Männer wie er kalkulierten Dinge, sie dachten darüber nach, wie die Frau an ihrer Seite auf andere wirkte.
Vermutlich tat er es auch gerade, auch wenn wir uns erst vor weniger als einer halben Stunde kennengelernt hatten. Er dachte darüber nach, wie er mich seinen Freunden oder Geschäftspartnern vorstellen würde, und dass „Lottchen“ dabei keinen besonders guten Eindruck machen würde.
Nach dieser Formel hatte er mich ausgesucht, darüber war ich mir im Klaren. Er hatte den Raum gescannt, aus der Masse der anwesenden Frauen mich gewählt, weil mein dunkelblauer Rock und die weiße Bluse edel und chic wirkten. Weil meine Haare perfekte Locken bildeten, und mein Make-up unaufdringlich elegant wirkte.
Deshalb hatte er mich gewählt, obwohl auf dieser Fortbildung der Frauenanteil bei 60% lag. Sicherlich hatte er darüber nachgedacht, dass ich mich gut neben ihm machen würde. Dass meine schlichte Eleganz die perfekte Fortsetzung zu seiner war, und dass ich mich perfekt neben ihm einfügen würde.
Übel konnte ich es ihm nicht nehmen, ich tat ja im Grunde nichts anderes, und hatte genau ihn deshalb ausgewählt.
Nicht den Typen mit dem schlecht sitzenden Hemd, der am Rande der ersten Reihe wirkte wie der Streber der Veranstaltung, und der ebenfalls bei meinem Anblick ein Lächeln versucht hatte.
Was zu mir passte, war etwas anderes. Ich wollte eine Ergänzung, jemanden der war, wie ich mich selbst sah.
„Das ist... ausgesprochen ungewöhnlich.“
Er blickte über meine Schulter hinweg in die Menge, und ich sah wie die Möglichkeit tanzend in einem Samba-Röckchen aus der Türe verschwand. So war es immer, oder zumindest immer wieder.
Ab jetzt würde er höflich bleiben, vielleicht sogar mit mir Lachen, aber mehr nicht. Wenn ich es darauf anlegte, würde er sicher auch die Nacht mit mir verbringen, und sich am nächsten Morgen unauffällig aus dem Hotelzimmer verkrümeln, nur um einer peinlichen Situation aus dem Weg zu gehen.
Auch das kannte ich, so manches Mal hatte ich auf diese Art versucht, die Männer doch noch von meinen Qualitäten zu überzeugen, aber funktioniert hatte es nie.
In dem Moment, wo sie mich wie ein neues Puzzleteil versucht hatten, in das unvollständige Puzzle ihres Lebens zu legen, und feststellten, dass ich dort nirgends so wirklich reinpasste, war es vorbei.
Auch bei dem Mann im Anzug war es so, er hatte seine Entscheidung getroffen, und ich würde nichts daran ändern können.
Er hatte mich aussortiert, wie man ein schlecht sitzendes Hemd zurück an den Ständer hing, und keinesfalls würde er ein zweites Mal danach greifen.

„... und dann ist er zu ihr gegangen!“
Empört schlug ich mit der Hand auf den Holztisch vor mir, und die Kellnerin sah alarmiert zu mir. Sofort hörte ich auf, und sah in Sarahs große braune Augen.
„Schon wieder?“
Sie klimperte zwei Mal, und ich sah, dass sie ein Lachen nur mühsam unterdrückte.
„Das ist nicht witzig! Überhaupt nicht!“
Sie hielt sich die Hand vor den Mund, und bemühte sich ernst zu bleiben, was ihr nur mäßig gelang.
„Doch, irgendwie schon. Hast du jemals darüber nachgedacht, dass es vielleicht gar nicht dein Name ist, sondern das Theater, was du darum machst?“
Sie klimperte erneut, und ich fühlte die Wut heiß und stechend in mir aufsteigen. Sie nahm mich und meine Probleme nicht ernst, was mich jedes Mal aufs Neue auf die Palme brachte. Niemand verstand mich, keiner steckte in meiner Haut!
Sarah, deren Name verheißungsvoll und sexy war, konnte meine Probleme einfach nicht verstehen.
Warum ich überhaupt noch mit ihr über diese Dinge sprach, verstand ich in diesem Moment selbst nicht. Ihre Antworten und Reaktionen, die sich in den vergangenen Jahren kaum geändert hatten, kannte ich im Grunde zu genüge.
„Ich mache überhaupt kein Drama draus! Die Männer machen sich über mich lustig!“
Meine Hand war in Versuchung erneut auf die Tischplatte zu hauen, aber ich hielt sie zurück. Stattdessen hob ich die Tasse heißen Kaffees an meine Lippen und sog zur Beruhigung den Duft ein.
Kaffee war mein Freund, er tröstete, und wertete einfach nicht.
„Kein Drama? Das sehe ich anders. Jedes Mal wirst du rot, fängst an zu stottern, und machst einen Tanz darum. Das ist nicht sexy, Lottchen. Wenn du ihn einfach genannt hättest, und danach normal weitergesprochen hättest, wäre ihm das vielleicht gar nicht so aufgefallen. Wenn er für dich normal wäre, wäre er es auch für alle anderen.“
Ich hob eine Augenbraue und überlegte ob vielleicht in Funken Wahrheit in ihren Worten lag. Sicherlich reagierte ich nicht gerade entspannt auf die Frage nach meinem Namen, aber war die Lösung tatsächlich so einfach? Reichte es tatsächlich, das Problem einfach nur zu übergehen?
Natürlich hatte ich auch das in der Vergangenheit schon versucht, hatte krampfhaft versucht, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, aber auch das hatte nicht funktioniert. Die Menschen hakten nach, ließen mich einfach nicht damit in Ruhe, egal wie sehr ich mich bemühte.
Ich musste allerdings zugeben, dass all meine Versuche panischer Natur gewesen waren, und daher auch alles andere als unauffällig. Es war mir in all den Jahren nicht gelungen, die Aufregung so zu unterdrücken, dass mein Gegenüber sie nicht wahrnahm.
„Ich weiß nicht. Ehrlichgesagt glaube ich nicht, dass ich einfach so tun kann, als wäre das normal.“
„Das ist dein Problem, meine Liebe. Du bist das Problem, nicht die Männer. Wenn du so souverän in solchen Gesprächen wärst, wie du es bei deiner Arbeit bist, dann würden wir dieses Gespräch gar nicht führen.“
Auch das konnte stimmen. Änderte aber am Problem recht wenig.
Ich konnte einfach nicht darüber hinwegsehen, und der passende Mann begegnete mir ja auch nicht wirklich. Dass ich jemals gelassen reagieren konnte, wenn wieder Mal jemand sich vor Lachen fast auf den Boden warf, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.
„Wie findet man den bloß jemanden, der zu einem passt? Trotz allem?“
Tatsächlich war die Partnersuche ohnehin schon eine komplizierte Sache, auch ohne ein Lottchen zu sein, und für mich eine absolut unüberwindbare Hürde.
Die guten Männer waren meist weg vom Markt, der Rest hatte selbst eine Wagenladung Probleme, und was danach noch übrig blieb, war selbst für jemandem mit meinem Verzweiflungsgrad indiskutabel. Sie hatten Altlasten, Exfrauen und Kinder, und auch das stellte ich mir äußerst kompliziert vor.
„Hast du mal darüber nachgedacht, dass in die Hände von Profis zu legen?“
Sie knabberte an dem winzigen Keks, der eben noch auf dem Unterteller vor ihr gelegen hatte. Dass sie das tat, wunderte mich. Sarah aß praktisch nie Zucker, sie lebte nach einem strickten Diätplan, und konnte daher mit einem traumhaften Körper punkten.
Wir waren seit Jahren befreundet, arbeiteten in der gleichen Firma, und ich bewunderte sie für ihre Disziplin. Im Gegensatz zu mir hatte sie jede Kontrolle über sich selbst und ihr Leben. Ich hingegen kontrollierte nur meine Arbeit, und war in meinen Privatleben ein praktisch hoffnungsloser Fall.
Alles was nicht direkt mit meiner Arbeit in Verbindung stand, vernachlässigte ich. Sport war mir ein graus, viel lieber arbeitete ich, und auch gesunde Ernährung, gehörte sicher nicht zu meinen Stärken.
Mein Sportprogramm sah mager aus, auch wenn ich immer wieder versuchte, mich selbst dazu zu zwingen, während Sarah jeden Morgen Kilometer weit joggte. Vor der Arbeit, während ich mich gerade in meinem Bett von der einen auf die andere Seite rollte.
Gott sei dank war ich trotzdem in recht guter Form, ich neigte weder zu Übergewicht noch zu sonstigen größeren Problemen, und verwandt stattdessen die wenige Zeit neben er Arbeit damit, meinen Kleider- und Kosmetikschrank zu füllen.
„Was meinst du damit?“
„Es gibt doch solche Agenturen, die sich für dich auf die Suche machen. Sie suchen für dich den perfekten Mann, aufgrund der Angaben, die du dort machst.“
Eine Partnervermittlung? Ich grübelte darüber nach, ob das tatsächlich ihr ernst war. Partnervermittlungen schienen mir angestaubt, irgendwie unseriös und keinesfalls eine echte Option zu sein.
Partneragenturen waren etwas für wirklich hoffnungslose Fälle, und vermutlich würde man dabei an einen ebenso hoffnungslosen Fall geraten.
„Das ist doch... irgendwie armselig?“
„Wieso? Anstatt selbst zu suchen, übernehmen das die Profis. Du musst dich nicht fragen, ob der Mann dir etwas vormacht, oder ob eure Interessen sich decken. Das übernehmen dann andere für dich. Und der potentielle Mann wird sich aus deinem Namen vielleicht viel weniger machen, weil er ebenfalls weiß, dass ihr im Grunde sehr gut zusammenpasst. Es werden einfach zwei Menschen zusammengebracht, deren Ziel das Gleiche ist. Was soll daran schlimm sein?“
Da war was dran. Irgendwie.
Eigentlich beschrieb das alles, was auch ich mir wünschte, und vielleicht würden auch andere Menschen das so sehen.
„Meinst du wirklich? Kennst du jemanden, der sowas schon mal ausprobiert hat?“
Sie schüttelte die dunklen Locken und legte den Keks zurück auf den Teller. Tatsächlich hatte sie nur die Hälfte des ohnehin kaum münzgroßen Teils gegessen, und mein Innerstes applaudierte ihr für diese Selbstdisziplin. Ich an ihrer Stelle hätte das Ding sofort im Ganzen in den Mund gesteckt, und keine Sekunde über die damit verbundenen Kalorien nachgedacht.
In solchen Dingen war ich einfach schlecht, und ich quälte mich stattdessen praktisch jeden Abend mit einem schlechten Gewissen, weil ich online shoppte, anstatt mich an der frischen Luft zu bewegen.
„Nein, nicht wirklich. Aber ich hab eine Doku darüber im Fernsehen gesehen. Da hat es funktioniert, zumindest in den meisten Fällen.“
„Wirklich? Was waren das für Leute?“
Sie zuckte mit den Schultern und die Vorstellung kam mir selbst nicht mehr so absurd vor.
„Ganz Normale, wie du und ich. Leute mit wenig Zeit, die einfach die Schnauze voll hatten, jedes Wochenende auf die Suche zu gehen. Es waren auch ein paar komische dabei, so Freaks und so, aber die meisten schienen mir völlig normal.“
Option. Es war eine Option. Der Gedanke war nicht unangenehm, und tatsächlich konnte so eine Lösung aussehen. Man würde sich keine Gedanken darum machen müssen, ob der Gegenüber andere Ziele verfolgte als man selbst, und man sparrte sich das Abklopfen von gemeinsamen Interessen.
Tatsächlich hatte mich die Suche nach einem Partner viel Zeit gekostet, die ich eigentlich nicht mehr hatte. Andere in meinem Alter waren verheiratet, hatten ihre Ziele schon fast erreicht, und ich war weit entfernt davon.
„Vielleicht versuche ich das wirklich mal...“
Ich fuhr mit dem Finger über den Rand der fast leeren Tasse und hatte innerlich den Entschluss schon gefasst. Es konnte eine Lösung sein, Fachleute mit dem Thema zu betrauen. Wenn der Wasserhahn oder das Auto kaputt waren, tat man das ja auch, und fand das keinesfalls komisch.
Warum also nicht auch die Suche nach dem perfekten Partner auf diese Art angehen? Was sollte schon passieren? Im Job tat ich ja nichts anderes, ich plante und verglich, und rannte niemals unvorbereitet oder planlos in eine Situation. Was also, wenn ich es auch in dieser Sache nicht tat?
Was also, wenn ich es jemand anderem übergab, den perfekten Partner für mich zu finden, der allen meinen Vorstellungen entsprach?
Der Gedanke war verlockend, das Ganze schien zu einfach, um tatsächlich zu funktionieren.
„Schau doch mal im Internet, du kannst es dir ja mal ansehen, und dann entscheiden.“
Dass Sarah diese Sache so völlig ohne Vorurteile sah, gab mir Mut. Wenn sie es nicht schlimm fand, warum sollte ich es dann?
Auch wenn Sarah eine solche Agentur nicht nötig hatte, weil sie sowohl verheiratet als auch unverschämt glücklich war, sah auch sie offenbar den Nutzen darin.
Wenn auch andere es taten, gab es dort draußen vielleicht wirklich eine Lösung für mein Problem, für die ich mich selbst nicht mal sonderlich ins Zeug legen musste.
„Weißt du was, dass mache ich auch.“

Zwei Stunden. Ganze zwei Stunden hatte Google mich durch eine endlose Anzahl von Agenturen geschleust, und meine Augen brannten.
Den kompletten Heimweg hatte ich an nichts anderes gedacht, und es hatte sich in meinem Kopf mit jeder Minute sinniger angehört. Nicht mehr selbst dort draußen herumzustolpern zu müssen, von einer peinlichen Situation zur nächsten, klang einfach zu verlockend.
Ich hatte die sauteuren Wildleder-Pumps unter den Couchtisch gekickt, die Füße auf das helle Ledersofa gezogen, und ernsthaft versucht, mich auf jede einzelne Seite einzulassen.
Einige kamen mir unseriös vor, andere sprachen mich sofort an. Viele vermittelten Frauen aus dem Ausland, weit mehr, als ich es mir jemals vorgestellt hatte, und mir wurde endgültig klar, dass Einsamkeit in unserer Gesellschaft anscheinend ein riesiges Problem war.
Nicht nur ich war alleine, viele andere waren es auch, aber anstatt mich damit gut zu fühlen, fand ich es eher verstörend.
Woran lag es, dass so viele dort draußen anscheinend einfach niemanden fanden?
Waren die Menschen zu anspruchsvoll? Oder hatten mittlerweile einfach zu viele Leute einfach keine Zeit mehr, sich auf normalen Kanälen jemanden zu suchen?
All die vielen Agenturen und Plattformen konnten einen das Glauben machen, und so langsam bekam ich Angst.
Was, wenn ich selbst hier niemanden finden würde?
Zu den gefühlt 10.000 Agenturen, kamen mindestens doppelt so viele Foren und Single-Börsen, die horrende Preise für eine Mitgliedschaft aufriefen, ohne einen wirklichen Erfolg zu garantieren.
Für mich kam das nicht in Frage, mich durch endlose Nachrichten zu kämpfen, darauf war ich nun wirklich nicht aus.
Auch selbst von einem zum anderen Profil zu wandern, um selbst nach dem perfekten Mann zu suchen, war nichts, worauf ich wirklich scharf war. Meine Erfahrungen diesbezüglich waren allesamt ernüchternd gewesen, und daher kam ein erneuter Versuch einfach nicht in Frage.
Also kamen Singlebörsen und dergleichen ganz klar nicht in die engere Auswahl, und es blieben nur die Agenturen.
Ich hatte natürlich als Erstes nach Agenturen in meiner Nähe geforscht, aber nichts wirklich Überzeugendes gefunden. Alles was ich fand, überzeugte mich nicht wirklich, und auch die Seiten sahen allesamt billig und merkwürdig aus.
Ein wenig kam es mir vor, als würden alle möglichen Leute solche Agenturen gründen, und die meisten sahen aus, als hätte sie jemand an einem einzigen Mittag mit Hilfe von vorgefertigten Texten aus dem Boden gestampft, um am Ende das große Geld zu verdienen.
Wenn man die schiere Menge betrachtete, schien das auch ein äußerst lukratives Geschäft, denn natürlich zahlte man auch dann, wenn am Ende nicht die große Liebe dabei gefunden wurde.
In der weiteren Suche hatte ich zwei der Seiten in die engere Wahl genommen, wovon eine tatsächlich ausgesprochen ansprechend war.
Die Betreiber warben mit verschiedenen Konzepten, und tatsächlich kehrte ich am Ende meiner Suche zu dieser zurück. Die Seite war in gedeckten Farben gehalten, die Schrift elegant und unaufdringlich, genau so, wie ich selbst mich empfand. Hätte ich so eine Seite gestaltet, hätte sie genau so ausgesehen.
Wie sehr man sich durch Farben und dem Aufbau beeinflussen ließ, darüber hatte ich nie vorher wirklich nachgedacht, aber jetzt schien es mir logisch. Was einen selbst ansprach, was einfach und übersichtlich gestaltet war, dass funktionierte wohl am besten.
Es gab einige Optionen, begonnen mit arrangierten Dates, Urlauben mit einem Fremden, und endend mit der Ehe.
Wie das funktionieren sollte, hatte ich allerdings nicht verstanden. Hieß das, dass die Ehe am Ende garantiert war?
Ich las den gesamten Text, und verstand erst dann, dass man tatsächlich buchte, einen völlig Fremden zu heiraten.
In blumigen und etwas kitschigen Worten wurde beschrieben, dass ein Team von Fachleuten den perfekten Partner für einen suchte. Dieser würde alle nur möglichen Kriterien erfüllen, und am Ende die perfekte Ergänzung zu einem selbst sein.
Ja, das klang gut. Auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie das aussehen sollte. Ging man zum Standesamt, und sagte einfach zu einer Person „Ja“, die man nie vorher getroffen hatte?
Anscheinend schon.
Ich las weiter, klickte mich von Link zu Link, und las auch alle Berichte von Leuten, die diesen Schritt schon gegangen waren.
Natürlich lobten alle das Prinzip in höchsten Tönen, und auch wenn einige von Anfangsschwierigkeiten berichteten, so waren sie am Ende wohl glücklich geworden.
Einige wenige schrieben so überschwänglich, dass ich kaum glauben konnte, dass die Berichte echt waren. Andere hingegen schienen ehrlicher, und ich las genau diese besonders aufmerksam.
Eine Frau unbekannten Alterns berichtete von der Begegnung im Standesamt, bei der sie zuerst geschockt von dem für sie ausgesuchten Mann gewesen war. Trotzdem hatte sie beschlossen, es mit ihm zu versuchen, und anscheinend hatte sich das Blatt dann gewandelt. Sie schrieb von tiefer Verbundenheit mit der anderen Person, von gemeinsamen Interessen und davon, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte.
Gab es so etwas auch für mich? Bestand tatsächlich die Chance, dass ich über diesen Weg den perfekten Partner finden konnte?

Erst als ich auch den letzten Bericht bis zum Ende gelesen hatte, wurde mir klar, dass weitere zwei Stunden vergangen waren.
Mehr und mehr fand ich die Idee besser, und klickte daher auf den „Buchen“ Link gleich neben dem Bericht.
Wow. Ich sah auf die vierstellige Zahl hinter dem Buchungspaket und schluckte. 3000 Euro waren eine Menge Geld, und auch wenn ich es hatte, kam mir die Summe doch unverschämt vor.
3000 Euro für ein glückliches Restleben war nicht viel, aber würde sich eine solche Investition wirklich lohnen? Und mal ganz abgesehen davon, was würde mein Umfeld sagen, wenn ich einen Fremden heiratete?
Auch darüber hatten Leute in den Berichten geschrieben, und bei den meisten hatte ihr Vorhaben in den Familien und im Freundeskreis Unverständnis verursacht.
Es wunderte mich nicht, auch ich hätte sicherlich so reagiert, wenn irgendjemand aus meinem Umfeld mir ähnliches erzählt hätte.
Gekaufte Ehen, und um nichts anderes handelte es sich hier, schienen auch für mich absolut unvorstellbar.
Meine Eltern würden ganz sicher keinerlei Verständnis haben, und auch die meisten meiner Bekannten nicht.
Wie sollte ich meinen einfachen, eher altbackenen Eltern erklären, dass ich einen völlig Fremden heiratete, den ebenfalls völlig fremde Menschen für mich ausgesucht hatten?
Ich schloss das Fenster und kehrte zurück zur Hauptseite, auf die ich danach minutenlang starrte.
War ich wirklich schon so verzweifelt? Verzweifelt genug, um eine so hohe Summe auszugeben, nur um danach vielleicht einen Idioten zu heiraten?
Wer überhaupt garantierte mir, dass der Mann den ich bekam, auch optisch meinen Ansprüchen entsprach?
Sicherlich konnte man Vorlieben und Parameter angeben, aber würde er dann trotzdem gut aussehen?
Ein großer dunkelhaariger Mann war nicht unbedingt immer ansprechend, ein blonder Surfertyp, nicht zwangsläufig der Traummann. Woran also machten diese Leute das fest?
Woran machten sie fest, dass man sich am Ende auch verliebte?
Wenn ich die Männer meines Lebens im Kopfe durchging, konnte zumindest ich kein festes Muster erkennen, und war daher nicht mal sicher, ob ich so etwas wie einen festen Männertyp überhaupt hatte.
Natürlich konnte man versuchen, völlig offen und ohne Anforderungen an die Optik an diese Sache zu gehen, aber würde das überhaupt funktionieren? Was, wenn der Mann mich so gar nicht anmachte? Was, wenn ich ihn schrecklich fand?
Auch über den Ausweg aus der arrangierten Ehe gab es Informationen, aber wirklich überzeugend waren diese nicht.
Dort stand, dass man frühestens nach drei Monaten das Experiment beenden konnte, und sich verpflichtete, diese Zeit gemeinsam in einer Wohnung zu verbringen. Nach den, ebenfalls arrangierten Flitterwochen auf irgendeiner der warmen Inseln in maximal 4 Stunden Flugnähe, sollte man zuerst vier Wochen in der einen, dann weitere vier in der anderen Wohnung verbringen. Das allein machte mir schon angst, denn ich liebte meine eigenen vier Wände über alles.
Wenn der Mann schrecklich war, oder einfach nur nichts für mich, konnte ich doch unmöglich in seiner Wohnung leben?
Auch von Entscheidungen, die am Ende jeder Woche standen, war die Rede, und auch das machte mir Panik. Wenn ich mich jede Woche erneut für oder gegen den Mann entscheiden musste, wie würde das aussehen? Und was war, wenn ich mich für ihn, und er sich gegen mich entschied?
Alleine schon dieser Gedanke machte mich kirre, und vorstellen wollte ich mir eine solche Situation auch nicht wirklich.
Ich selbst würde kaum dazu in der Lage sein, einer anderen Person die Gründe für meine Abwahl darzulegen, und anhören würde ich seine erst recht nicht wollen.
Was, wenn er sagte, dass er unmöglich mit einer Frau mit meinem Namen zusammen sein konnte? Was, wenn die Gründe ganz andere sein würden, die noch viel schlimmer waren?
Zu oft war ich aussortiert worden, eine weitere Niederlage brauchte ich nun wirklich nicht, und auch wenn dort immer wieder betont wurde, dass der betreuende Psychologe die Entscheidung der beiden Teilnehmer leiten würde, klang es nicht wirklich besser.

Ich überlegte, vielleicht ein Date über die Agentur zu buchen, was deutlich günstiger war, verwarf den Gedanken aber wieder. Dates hatte ich genug gehabt in der Vergangenheit, und was ich wollte, war etwas anderes.
Ich wollte zu jemandem gehören, endgültig, und einfach nicht weiter suchen.
Für diesen Wunsch musste ich über meinen eigenen Schatten springen, auch wenn es wehtat, das wusste ich selbst.
Auf der rechten Seite sah ich ein Kästchen, in dem für Infomaterial geworben wurde, und klickte darauf.
In eleganten Lettern stand dort: „Überzeugen sie sich von unserem Konzept, und fordern sie umfangreiches Informationsmaterial an. Die Anforderung ist ohne Verpflichtungen und ihre Daten werden nicht gespeichert.“
Ja, das klang doch gut.
Ich forderte die Unterlagen an, und nahm mir selbst vor, das Ganze noch nicht völlig abzuschreiben. Wenn die Unterlagen mich überzeugen würden, dann konnte ich noch immer darüber nachdenken.
Wie schon viele Male zuvor in meinem Leben, fragte ich mich auch jetzt, wie die Menschen das früher geregelt hatten.
Heute hatte man die ganze Welt zur Verfügung, und trotzdem fanden so viele kein passendes Gegenstück, obwohl sie so intensiv danach zu suchen schienen.
Noch vor hundert Jahren, wo die Menschen kaum über die Grenzen der eigenen Stadt hinaus gekommen waren, schien dieses Problem nicht existiert zu haben.
Trotzdem wurden Ehen geschlossen, Kinder gezeugt, der Fortbestand der Menschheit gesichert.
Was also hatte sich geändert? Waren die Menschen anspruchsvoller geworden, oder vielleicht auch einfach unzufriedener?
Ich zumindest fand meine Ansprüche nicht überzogen, lediglich nachvollziehbar, und verstand das alles daher überhaupt nicht.
Einen guten Mann, einen erfolgreichen Mann, mehr wollte ich doch gar nicht.
Wo war es, das perfekte Gegenstück? Wenn es einen Plan für diesen Planeten gab, und davon ging ich aus, dann musste er irgendwo dort draußen existieren.
Es musste eben nur ein Weg gefunden werden, um ihn zu finden.

Der dicke Umschlag lag auf dem Boden vor meiner Wohnungstüre und sofort stellten sich die Haare in meinem Nacken unaufgefordert auf.
Das war es also?
Ich hob ihn auf, er war schwer, und ich wog das dicke Bündel in meiner Hand. In diesem Umschlag sollten sich also die Geheimnisse zum Finden der großen Liebe befinden.
Irgendwie hatte ich mir das alles spektakulärer vorgestellt, zumindest aufwendiger, und keinesfalls hatte ich dabei an einen kotzbraunen Umschlag gedacht.
Aber so sah er eben aus, und darin fühlte ich den Berg an Blättern, der schwer in meiner Hand lag.

Als ich Sarah davon erzählt hatte, konnte sie nicht einmal verstehen, warum ich überhaupt gezögert hatte. Sie fand das ganze Konzept nicht nur plausibel, sondern betonte auch erneut, dass es in einem Fall wie meinem, keinen Weg an Fachleuten vorbei gab.
Natürlich hatte ein Teil von mir sofort verletzt reagiert, weil es sich anhörte, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall.
Ich musste allerdings zugeben, dass ich vermutlich in den nächsten Jahren zu einem werden würde, und das galt es auf jeden Fall zu verhindern. Umso älter ich wurde, um so mehr ich mich von meinen Zielen entfernte, um so schlimmer würde es werden.
Jedes Jahr länger alleine würde es schwerer machen, und irgendwann wäre der Zug für die Gründung einer Familie endgültig abgefahren.
Vorbei an mir, die vermutlich einfach auf dem falschen Gleis wartete, und sich darüber einfach nicht im klaren war.
War also die Agentur tatsächlich die einzige Lösung, um nicht als alte Jungfer zu enden?
Mir selbst einzugestehen, dass ich das Problem alleine ganz sicher nicht lösen würde, tat irgendwie weh. Ich, die ansonsten so patent und ehrgeizig war, hatte in Sachen stabiler Beziehung einfach versagt, und brauchte wohl tatsächlich Hilfe.
Allerdings legte ich auch ansonsten meine Belange in die Hände von Fachleuten, begonnen beim Zahnarzt und endend beim Luxus-Frisör, weil ich einfach wert auf Qualität legte. Ich wollte das Beste, also warum nicht auch in dieser Sache?
Sarah hätte, so hatte sie mir äußerst überzeugend klar gemacht, an meiner Stelle, sofort den Al-Inclusive-Vertrag angefordert.
Schon alleine aus lauter Neugier, welchen Mann man wohl für sie aussuchen würde, und um sich jede weitere Verzögerung im Ablauf zu sparen.
Tatsächlich war auch ich darauf neugierig, ich konnte mir so gar nicht vorstellen, wie dieser ausgewählte Jemand denn aussehen und sein sollte. Selbst wenn ich alles angab, was ich unbedingt bei einem Mann suchte, wer wusste schon, ob die Agentur gerade so jemanden auch in ihrer Kartei hatte?
Niergendwo auf der Seite hatte ich über die Menge der dort zur Verfügung stehenden Menschen eine Angabe gefunden. Was, wenn dort nur 10 Männer nach der Liebe suchten? Wie hoch war dann die Wahrscheinlichkeit, dass es für mich dort den Richtigen gab?
Was, wenn es dort hundert Männer gab, und keiner davon erfüllte all meine Kriterien? Würde ich dann statt der 100% die 60% Lösung bekommen, weil es eben nichts anderes gab?
Und selbst wenn es so war, waren dann nicht die 60% besser, als das Nichts, was ich aktuell vorzuweisen hatte?
Waren dann nicht 60% schon verdammt nah an perfekt?
Was aber, wenn sie die 100% tatsächlich hatten, und für mich reservierten? Was, wenn ich den 100% Mann dann heiratete, und gar nicht damit klar kam?
Sicherlich hatte ich einen Haufen Anforderungen und Wünsche, aber konnte ich diese auch verkraften? Die Wahrscheinlichkeit, dass mich ein so perfekter Mann einschüchtern würde, lag ebenfalls wohl bei 100%.
Und dann noch die Möglichkeit, dass Mister 100% mich nicht mochte. Was, wenn er für mich 100% war, und ich für ihn nur die 60% Lösung, weil es seine 100% nicht gegeben hatten?
War das wirklich, was ich wollte?

Ich drückte das Bündel an meine Brust und öffnete die Türe, denn ich hörte das Klicken im Hausflur über mir.
Keinesfalls wollte ich in diesem besonderen Moment einem meiner nervtötenden Nachbarn begegnen.
Sie alle waren neugierig und einfach ganz anders als ich, und ich ging ihnen, so weit es mir möglich war, aus dem Weg.
Überhaupt vermied ich Kontakte, den diese bedeuteten Verpflichtungen. Jeder Mensch mehr in meinem Leben hielt mich von der Arbeit ab, kostete Zeit, die ich nicht wirklich hatte. Das letzte was ich wollte, waren Flurgespräche, Einladungen zu Grillabenden oder Kaffeklatschen, und schon gar nicht wollte ich Teil einer Hausgemeinschaft sein.
Während der Rest der Wohnungseigentümer das eindeutig anders sah, und jede Gelegenheit von gemeinschaftlichem Leben ergriffen, tat ich das nicht.
Ich beteiligte mich nicht an deren Leben, ich wollte meine Ruhe, und vermutlich fanden alle anderen im Haus mich mehr als grenzwertig.
Auch das war mir egal, ich legte einfach keinen Wert auf Kommunikation zwischen Treppenstufen, beteiligte mich allerdings auch nicht an den Diskussionen über das Laub auf dem Gehweg, oder der nicht abgeschlossenen Kellertür.
Von all diesen Dingen wollte ich weder wissen noch hören, und tatsächlich ließen die anderen mich in Ruhe. Man nickte mir zu, was für mich im Bereich des noch ertragbaren lag, und ignorierte ansonsten.
Eigentlich mochte ich die Wohnung, sie war riesig groß und hell, und auch das Haus entsprach meinen Ansprüchen im Detail. Flammneu, weiß bis in die letzte Ecke, makellos, genau wie ich es mochte.
Für diese perfekte Wohnung hatte ich die nervigen Nachbarn dann doch in Kauf genommen, und sofort meinen Standpunkt klar gemacht. Nicht mehr Kontakt als unbedingt nötig, keine lächerlich dämlichen Flurgespräche, und schon gar keine Hilfestellung bei irgendetwas meinerseits.
Ich wollte meine Ruhe, mein ruhiges Reich genießen, und alle anderen sollten das akzeptieren.
Kaum hatte ich die Türe geschlossen, hörte ich die Schritte davor.
Sie entfernten sich sofort wieder, was hieß, dass der Verursacher nicht stehen geblieben war. Sehr schön.

Ich trug das dicke Bündel in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an, um mich angemessen darauf vorzubereiten. All das Material durchzuarbeiten würde sicher Stunden dauern, aber ich freute mich darauf.
Etwas anzupacken und auf den Weg zu bringen, das lag mir. Es gab mir ein Gefühl von Genugtuung, wenn Dinge endlich angestoßen wurden.
Wenn alles gut lief, und ich ein gutes Gefühl dabei haben würde, dann würde ich eines der Angebote der Agentur nutzen.
Ein Urlaub kam allerdings nicht in Frage, denn ich verabscheute Urlaub. Nichts zu tun, an irgendeinem Strand herum zu liegen, und dass auch noch mit einem Fremden, hörte sich alles andere als verlockend an.
Schon alleine machte mir das überhaupt keinen Spaß, viel lieber kümmerte ich mich um meinen Erfolg und mein Leben, und auch die Aussicht auf die große Liebe, ließ die Vorstellung nicht deutlich ansprechender aussehen.
Jede Art von Zeitverschwendung war einfach nichts für mich, und Urlaub gehörte eindeutig dazu.
Wann immer ich welchen hatte, wusste ich schon an Tag zwei nichts mehr mit mir anzufangen, und meiste begann ich dann, einfach sinnlos Geld zu verprassen.
Ohnehin verbrachte ich viel zu viel Zeit mit einkaufen, ich konnte praktisch jeden Abend eine Handtasche oder ein neues Paar Schuhe finden, und um so mehr Zeit ich zur Verfügung hatte, um so schlimmer schien es zu werden.
Ich ging shoppen, kaufte ein neues Sofa oder eine neue Küche, und wenn es ganz dicke kam, kaufte ich die Wohnung, in der ich gerade wohnte.
So war es zumindest beim letzten Mal gewesen, und so wirklich glücklich war ich im Nachhinein nicht darüber.
Auch wenn ich die Wohnung mochte, so war der Kauf doch unnütz gewesen, und ich ärgerte mich danach, weil ich nicht gleich ein Haus in einer der besseren Gegenden gekauft hatte.
Ein Haus, ja, das wäre die bessere Entscheidung gewesen. Ein Haus war größer und hatte einen Garten, beides Dinge, die mir ganz gut stehen würden.
Stattdessen hatte ich jetzt die Wohnung im Mittelfeld der Wohngegenden, und würde diese früher oder später verkaufen müssen.
Meine zukünftige Familie konnte und sollte nicht in einer Wohnung wachsen, ein Haus musste es schon sein, und ganz sicher sollte es in einer Gegend sein, in der die Menschen mehr waren wie ich.
Die Wohnung zu vermieten kam nicht in Frage, dass letzte, was ich wollte, war mich um Mieter zu kümmern, also kam nur ein Verkauf in Betracht.
Dass ich dabei vermutlich keinen sonderlichen Gewinn machen würde, war selbst mir klar.
Ich hatte beim Kauf weder gehandelt noch über den Preis nachgedacht, und die Bank hatte mir die Finanzierung ohne auch nur eine Frage ermöglicht.
Genau an diesem Punkt war mir klar geworden, dass ich angekommen war. Ich hatte die Art von finanzieller Unabhängigkeit erreicht, auf die ich all die Jahre hingearbeitet hatte. Ohne mir selbst darüber bewusst zu sein, und vor allem, ohne sie wirklich genutzt zu haben. All die Jahre davor hatte ich gearbeitet, vielleicht auch Geld ausgegeben, aber trotzdem immer das Gefühl gehabt, noch nicht angekommen zu sein.
Erst bei der Unterschrift des Vertrages und den Glückwünschen des Bankberaters, war dieser Knoten geplatzt. Ich war unabhängig, musste niemanden mehr um Hilfe bitten, und besaß nun eine Wohnung, auch wenn ich sie eigentlich gar nicht hätte gebraucht.
Solche Dinge geschahen, wenn ich mich langweilte, oder einfach zu viel Zeit zur Verfügung hatte.
Ich hatte sogar schon in Erwägung gezogen, dass ich bei der möglichen Eheschließung die Flitterwochen absagen könnte.
Ganz klar würde der für mich perfekt ausgesuchte Mann, diese ebenso unnötig finden, wie ich. Und mal ganz abgesehen davon: War es nicht ohnehin für eine angehende Beziehung besser, wenn man sofort in die Vollen ging, und das Alltagsleben des anderen kennenlernte?
Für mich klang das logisch, und ich setzte diesen Punkt auf die Liste der Dinge, dich ich unbedingt herausfinden musste.

„Unser Programm umfasste eine umfangreiche Analyse Ihrer Vorlieben und Interessen, gepaart mit der jahrelangen Erfahrung unserer Psychologen und Fachleute. Aufrund ihrer ehrlichen Angaben werden wir den für sie perfekten Partner finden, der ihr Lebensmodell und ihr Ich perfekt ergänzt.“

Ich blätterte über die ersten Seiten der sicherlich hundert weiteren, und machte es mir auf der Couch gemütlicher.
So sollte das also funktionieren. Sie suchten den Mann meiner Träume also aufgrund eines Fragenkataloges. Ganz unklug schien mir das nicht, immerhin hatte der Mann in dem Küchenstudio das ganz ähnlich gehandhabt.
Er hatte mir Fragen zu meinem Alltag und meinen Vorlieben gestellt und daraufhin die für mich geeignete Küche zusammengestellt. Er hatte auf viele Schränke verzichtet, da ich weder Tupperware noch sonstigen Blödsinn besaß, und mir stattdessen zu Glasfronten für die Oberschränke geraten, damit ich das wundervolle, sündhaft teure Geschirr sah, was ich ohnehin nie benutzte.
Ich kochte auch praktisch nie, was den Mann natürlich wenig störte, ihn aber dazu bewog, mir sowohl eine Mikrowelle als auch einen Backofen auf Augenhöhe zu verkaufen.
Hier sollte es also genauso funktionieren, sie bastelten aus meinen Angaben ein Profil, und suchten damit einen Partner für mich.

„Aufgrund unserer Erfahrungswerte und den Fragebögen ihrer möglichen Partner, werden wir für sie entscheiden, welche Eigenschaften für eine glückliche, langfristige Partnerschaft unabdingbar sind. Dabei werden Werte wie sozialer Stand, Kinderwunsch und Lebensziele natürlich berücksichtigt. Des Weiteren berücksichtigen wir bei unserer Suche ihre Schwächen, damit ihr zukünftiger Partner diese perfekt ergänzt.“

Schwächen? Was hieß das? Dass ich jemanden bekam, der etwas reparieren konnte, was ich nicht selbst reparieren konnte?
Oder hieß das etwa, dass sie jemanden finden würden, der sich aus meinem Vornamen nichts machen würde?
Noch schlimmer war die Vorstellung, dass sie nach jemandem suchen würden, der meine echten Schwächen ergänzte.
Niemand gab gerne zu, dass er überhaupt welche hatte, auch ich nicht. Welche Schwächen hatte ich überhaupt?
Ich konnte weder sonderlich gut kochen, noch war ich extrem gesellig, und auch Freundschaften knüpfte ich nur schwerlich.
Würde ich also einen vereinstreuen Koch bekommen, der praktisch jeden auf der Straße ansprach? War das die Ergänzung, von der hier gesprochen wurde?
Die Vorstellung war absurd, auch wenn sie vielleicht in das Lebensmodell mancher Leute zu passen schien. Für mich allerdings galt das nicht, denn ich hatte gar nicht vor, mein Leben auf diese Art zu ergänzen.
Ich war zufrieden, alles, wonach ich suchte, war jemand, der genauso war wie ich selbst.
Mein Kopf brummte schon jetzt, und ich überblätterte die nächsten Seiten komplett, bis ich zu einer Art Fragebogen gelangte.

„Der nun folgende Fragebogen ist der erste Schritt, um ein aussagekräftiges Profil über sie zu erstellen. Bitte beantworten sie alle Fragen spontan und ehrlich, denn nur dann ist es uns möglich, einen genauen Eindruck ihrer Person zu erlagen. Die Analyse wurde von uns in verschiedene Bereiche unterteilt, deren Gewichtung am Ende unterschiedlich sein wird. Passagen wie „Romantik“ und „Lebensumfeld“ werden stärker gewichtet, als z.B. „Ernährungsvorlieben“ oder „Allergien und Krankheiten“. Bitte versuchen sie, dies bei ihren Antworten nicht zu berücksichtigen, bleiben sie ehrlich und unvoreingenommen, egal wie die Fragestellung lautet. Wir versichern ihnen, dass ihre Angaben ausschließlich in den Händen unserer Fachleute bleiben, und keinesfalls an ihren möglichen Partner weiter gegeben werden.“

Das wäre ja auch noch schöner... Ich schüttelte den Kopf und blätterte zum ersten Bogen, der die Überschrift „Eigene Angaben“ trug.
Es wurde nach Name, Alter, Beruf, Schulbildung und allem möglichen anderen gefragt. Klang logisch, und ich beschloss, dass ich ihn ausfüllen würde.
Nicht, weil ich ihn ganz sicher auch wegschicken würde, sondern eher, weil ich das Experiment ganz interessant fand. Vielleicht würde ich etwas über mich selbst lernen, etwas, über das ich mir vorher nicht im Klaren gewesen war.
Ich griff nach dem Kugelschreiber auf den Tisch neben mir, und füllte Bogen Nummer 1 gewissenhaft aus, bis ich zu „Beruf der Eltern“ kam. Neben „Vater“ schrieb ich „Schlosser“, aber neben „Mutter“ blieb die Zeile vorerst leer.
Was sollte ich schreiben? Meine Mutter war Mutter gewesen, jedenfalls so lange bis ich aus dem Haus gewesen war. Danach hatte sie eine Stelle als Putzfrau in der örtlichen Kirche angenommen, aber das konnte man ja kaum als Beruf bezeichnen.
Auch Hausfrau war kein Beruf, und irgendwie war es auch peinlich. Sicherlich hatten andere da mehr vorzuweisen, und ich überlegte, ob eine falsche Angabe angebracht sein könnte. Wenn ich einen perfekten Mann wollte, einen, dessen Eltern beide aus gutem Hause kamen, würden weder „Schlosser“ noch „Hausfrau“ mich dem näher bringen.
Anderseits sollten die Antworten ehrlich sein, und wenn ich jetzt schon flunkerte, war das doch auch nichts.
Widerwillig schrieb ich „Hausfrau und Mutter“ in die Zeile, weil mir das weniger schlimm vorkam.

„Bitte geben sie die Anzahl der in ihrem Haushalt lebenden Kinder an.“

Ich schrieb Null in die Zeile dahinter, und auch Null auf die Frage, ob ich überhaupt Kinder hatte, die nicht bei mir lebten.

„Bitte geben sie ihren möglichen Kinderwunsch an. (Menge)“

Was war das für eine Frage? Was, wenn ich jetzt „eins“ schrieb, aber nach dem Ersten noch ein Zweites wollte? Woher sollte ich das jetzt schon wissen? Wenn ich zwei oder drei schrieb, und nach dem Ersten dann doch bedient war, würde das ein Problem sein? Wenn der andere Mann ebenfalls drei geschrieben hatte, würde er mich dann nicht darauf festnageln?
Ich überlegte kurz, und schrieb dann „unbekannt“ in die Zeile dahinter.

„Wenn sie die letzte Frage nicht eindeutig beantworten konnten, besteht bei ihnen ein genereller Kinderwunsch?“

Aha. Man rechnete also mit Menschen wir mir.
Tatsächlich überzeugte mich der Bogen immer mehr, offenbar hatte man sich wirklich Gedanken gemacht.
Bestand tatsächlich ein Kinderwunsch bei mir? So ganz sicher konnte ich die Frage gar nicht beantworten. Grundsätzlich hatte ich nichts gegen Kinder, in meinen Jugendvorstellungen hatte ich auch immer welche eingeplant, aber aktuell sah ich keine Dringlichkeit.
Für mich stand die Ehe an erster Stelle, das mit den Kindern würde sich dann in meinen Augen selbst ergeben, aber noch war ich nicht an dem Punkt angelangt, an dem das Kind für mich über allem stand.
Ich war mir darüber im klaren, dass mir die Zeit davon lief, aber noch hatte ich ein paar Jahre Zeit, um dazu eine endgültige Entscheidung zu treffen.
Vielleicht würde sich das mit dem richtigen Mann ändern, aber wer wusste das schon?
Was also sollte ich schreiben?
Ich drehte den Stift in meiner Hand und einigte mich mit mir selbst auf „vielleicht, unter den richtigen Umständen“. Das fühlte sich richtig und gut an, und ich war zufrieden.

„Darf ihr zukünftiger Partner Kinder aus früheren Beziehungen haben?“

Klar. Ich kreuzte „Ja“ an, und stellte die Antwort sofort danach in Frage. Wenn er Kinder haben würde, die alle zwei Wochenenden in MEINER Wohnung herumturnen würden, dann wohl eher nicht.
Schon weiter oben in dem Bogen hatte ich das mit der Eigentumswohnung angegeben, und auch angegeben, dass ich nicht vorhatte, diese aufzugeben. Jedenfalls aktuell nicht, es sei denn, der perfekte Partner lebte in einem Haus nach meinen Vorstellungen.
Sollte ich also doch besser „Nein“ ankreuzen?
Ich vertagte die Antwort bis zu einem späteren Zeitpunkt, und machte mir als Erinnerung ein Eselsohr in die Seite des Fragebogens.
Die nächsten Fragen waren allesamt einfach, es wurde nach noch lebenden und bereits toten Verwandten, Erbkrankheiten und Familienverhältnissen gefragt, und ich machte meine Kreuze im Sekundentakt.
Da meine Familie nur klein war, und es nicht sehr viel Verwandtschaft zu durchleuchten gab, kam ich äußerst schnell voran.

„Welcher Altersunterschied ist für sie in einer Partnerschaft akzeptabel? Bitte geben sie sowohl „jünger“ als auch „älter“ in Form von Jahren an.“

Tja, das war tatsächlich schwierig. Wie jung oder alt durfte der perfekte Mann denn sein?
Unter „jünger“ gab ich spontan zwei Jahre an. Das kam mir in Ordnung vor, immerhin merkte man zwei Jahre kaum.
Aber älter? Wenn ich zehn Jahre angab, grenzte ich all die attraktiven, vielleicht schon leicht angegrauten Mittvierziger aus, denen ich bisweilen auf der Straße nachsah.
Ich mochte diese Art Mann, sie wirkten erwachsen und souverän, und auch bei Schauspielern lagen meine Vorlieben in einer eher älteren Altersklasse.
All die George Clooneys, Männer wie Cary Grant, der selbst mit Ende vierzig noch absolut hinreißend ausgesehen hatte.
In meinem Kopf ging ich die Männer in meinem Arbeits-und Freundeskreis durch, und stellte fest, dass die gutaussehenden alle mehr als zehn Jahre von mir trennten.
Außerdem suchte ich ja nach einem erfolgreichen, eloquenten Mann. Wäre ein solcher Mann nicht vermutlich eher ende vierzig?
Allerdings gab es ja auch die Langweiligen, Schwabbelbäuchigen. Was war mit denen? Würden die dann auch in die engere Auswahl gezogen werden, wenn ich jetzt einen Fehler machte?
Auch gab es da die Kinderfrage, auf die ich die Antwort noch nicht kannte. Hatte nicht ein so alter Mann vermutlich schon Kinder, und wollte daher keine mehr? Hatte ich also schon einen Fehler gemacht, weil ich einen Kinderwunsch eingeräumt hatte?
Würden sie meinen möglichen Cary Grant sofort aussortieren, weil dieser vielleicht keine Kinder mehr wollte?
Wieder dachte ich über die Seite mit dem Eselsohr nach, und entschied mich, dass Kinder seinerseits vermutlich ein Eingeständnis meinerseits bedeuten würden. Irgendeinen Kompromiss musste man wohl eingehen.
Ich ließ also das „Ja“ an seiner Stelle, und beschloss auch mein „vielleicht“ beim Kinderwunsch erstmal so stehen zu lassen.
Alle weiteren Fragen in dem Bogen drehten sich Größe und Gewicht, es wurde gefragt, ob der mögliche Partner kleiner oder größer sein durfte, und ich kam erneut sehr schnell voran.
Was ich diesbezüglich wollte, wusste ich ziemlich genau.
Größer sollte er sein, nicht zu kräftig und nicht zu durchtrainiert.
Auch meine eigenen Angaben zu Größe und Gewicht, Sportlichkeit und Ernährungsgewohnheiten versuchte ich ehrlich zu beantworten. Lediglich mein Gewicht gab ich mit zwei Kilo weniger an, weil sich 58 Kilo sehr viel besser als 60 anhörten. Im Notfall, falls irgendjemand meine Angaben überprüfen würde wollen, würde ich eben zwei Tage hungern.

„Nennen sie ihre drei Lieblingsfarben.“

Grau. Hellgrau, mittelgrau, dunkelgrau. Mit Grau machte man nichts falsch.
Dass ich das unmöglich schreiben können würde, wusste ich allerdings selbst. Auch wenn meine Garderobe zu 90% aus diesen Farben bestand, und der Rest weiß und schwarz war, war das sicher nicht die Antwort, die in einen solchen Test gehörte.
Hier ging es um Persönlichkeit, und sicher sagte meine Vorliebe für Grau sehr viel über mich aus. Vermutlich, dass ich farblos und langweilig war...
Gab es überhaupt andere Farben, die ich mochte? Ich sah mich in meiner weiß und beige gehaltenen Wohnung um, und stellte zum ersten Mal fest, dass es keinerlei bunte Farben darin gab.
Ich mochte diesen cleanen Look, der einen nicht ablenkte, und bei dem man niemals darüber nachdenken musste, ob das eine Teil zum anderen passte.
Als erstes schrieb ich also „weiß“ in das Feld neben der Frage, und überlegte krampfhaft, welche Farben noch in Frage kamen. Zeitgleich fragte ich mich allerdings, ob Weiß überhaupt eine Farbe war, und ob ich das überhaupt hätte schreiben dürfen.
Grün war eine Farbe, auch wenn ich sie nicht mochte, aber Weiß?
Ich mochte Blumen, sie waren zumindest zeitweise die einzigen Farbtupfer in meiner Wohnung. Besonders hatte ich in meiner Kindheit die leuchtend gelben Rapsfelder hinter dem Haus meiner Eltern geliebt. Wann immer der Raps geblüht hatte, hatte ich staunend auf das Meer winziger gelber Blüten geblickt.
„Gelb“, war also meine nächste Angabe.
Und jetzt? Sollte ich nicht wirklich „grau“ schreiben, wenn es doch die Wahrheit war?
Aber stand „grau“ nicht für wirklich für langweilig?
Krampfhaft überlegte ich weiter, und entschied mich am Ende für „Rot“, weil ich roten Lippenstift mochte. Auch wenn ich sonst nichts für Farbtupfer übrig hatte, so mochte ich rote Lippen.
Mit diesen Antworten konnte ich leben, ohne mich dabei selbst zu verraten.

Meine Augen brannten, und mein Gehirn funktionierte nur noch mit halber Geschwindigkeit.
Das Ausfüllen des Bogens hatte mich mehr geschafft, als ich es mir vorgestellt hatte.
So viele, zum Teil dämliche und merkwürdige, Fragen über mich selbst.
Es hatte Fragen über Umzugsbereitschaft, Möbel, Kleidung, Charaktereigenschaften und alles nur mögliche andere gegeben. Besonders die über meinen eigenen Charakter hatten mich viel Mühe gekostet, denn man schätzte sich nur schwerlich selbst ein.
Ein Großteil der Fragen bestand aus Fragestellungen wie, „Was würden sie tun wenn...“, und auch damit tat ich mich schwer. Woher sollte ich das wissen? Wirklich in der Situation reagierte man doch immer anders, als in der Vorstellung.
Am Ende hoffte ich, dass ich möglichst realitätsnah darauf geantwortet hatte, war mir aber nicht sicher.
Einzig und alleine den Bogen mit den Fragen über meine zwischenmenschlichen Vorlieben, hatte ich gar nicht ausgefüllt, denn das war einfach zu peinlich.
Selbst mir war klar, dass auch das eine Notwendigkeit darstellte, aber so weit war ich einfach noch nicht. So verzweifelt, dass ich auch hier aus dem Bauch heraus Angaben machen konnte, war ich einfach noch nicht.
Also legte ich den Bogen zur Seite, und beschloss eine Nacht darüber zu schlafen, um mich dann erstmal mit Sarah darüber zu unterhalten.
Sie war taff in solchen Sachen, und sie kannte mich gut genug, um meine eigenen Angaben zu überprüfen.
Ich würde sie darüber schauen lassen, und mich mit ihr über die noch leeren Seiten unterhalten.

„Du kannst Gelb doch gar nicht leiden!“
Sie sah von dem Blatt auf mich, und ich zuckte mit den Schultern.
„Doch, ich mag zum Beispiel Rapsfelder...“
„Was? Die gibts doch hier gar nicht!“
Stimmte. Aber es gab sie, an dem Ort, an dem mein Leben begonnen hatte. In kurzen Worten erklärte ich ihr den Grund für meine Angabe, und sie zog noch mitten im Satz die Augenbrauen nach oben.
„Das hast du doch nur geschrieben, weil Grau keine Farbe ist.“
„Weiß ist auch keine Farbe, und ich hab es trotzdem geschrieben.“
Verteidigte ich mich gerade? Und wenn ja, warum? Es gab absolut keinen Grund, sich für den Menschen zu entschuldigen, der man eben war.
„Das ist... Also ich weiß nicht, ob man das so stehen lassen kann. Gelb ist doch was für Hippies.“
Ich riss die Augen auf, und sah sie entgeistert an.
„Glaubst du das wirklich!?“
Wenn Gelb etwas für Hippies war, und das die Aussage meiner Angabe, was würde das für die Wahl meines Partners bedeuten? Würde man dann jemanden in Betracht ziehen, der Klangschalen-Meditation und Weizenkleie gut fand?
Nie in meinem Leben hatte ich mich mit der Bedeutung von Farben beschäftigt. Was also wusste Sarah, was ich vielleicht gar nicht bedacht hatte?
„Ich weiß nicht... Ich hab ja keine Ahnung, ob das so funktioniert. Aber über Gelb solltest du wirklich noch mal nachdenken.“
Sie blätterte weiter über die Seiten ohne etwas dazu zu sagen, bis sie bei den leeren Seiten angelangt war.
„Sollen wir das zusammen machen? Ich frag dich, und du antwortest? Dann ist es nicht so komisch, schließlich bin ich deine Freundin.“
Genau so hatte ich es mir gedacht. Ein Gespräch mit einer Freundin, nicht nur der Bogen und ich. Mich alleine mit meinen vielleicht vorhandenen Vorlieben auseinanderzusetzen, das war mir merkwürdig vorgekommen. Auch wenn die Notwendigkeit dieser Angaben klar auf der Hand lag, so waren diese Seiten doch für mich wie ein fremder Mensch, dem man solche Details einfach nicht anvertrauen würde.
Natürlich aber hatten Sarah und ich über viele Dinge diesbezüglich ohnehin schon gesprochen, wie Frauen es eben so taten.
Alleine hatte ich die Fragen überflogen, aber beantworten hatte ich sie nicht können. Weil es einfach unfassbar peinlich war, irgendwie komisch, und ich mich vor vielen der Antworten fürchtete.
Mit Sarah darüber zu sprechen kam mir weniger unpersönlich vor, und vermutlich konnte sie mich einschätzen, wo ich selbst nicht dazu in der Lage war.
„Ja, schieß los.“
Sie lehnte sich zurück, schlug die perfekten Beine übereinander, und zückte den bereitgelegten Kugelschreiber, während ich mich noch immer unwohl fühlte. Irgendjemand, der nicht Sarah war, würde all das hier lesen.
Irgendjemand würde aus meinen Angaben Rückschlüsse ziehen, und sich das Bild meiner Person daraus zusammenschustern.
Schon während der ersten Seite hatte mir das zu denken gegeben, denn was würde sein, wenn sich das Bild einer total durchgeknallten, vielleicht verrückten Person daraus ergab? Oder sie feststellten, dass ich absolut beziehungsunfähig war?
Würde ich dann einen Brief erhalten, in dem so etwas stand wie: „Es tut uns leid, aber wir können ihnen nicht helfen“?
Was immer ich sagte oder angab, es würde großen Einfluss auf mein weiteres Leben haben. Wenn ich den Bogen dann auch tatsächlich wegschickte.
„Wie würden sie ihre vergangenen Beziehungen beschreiben. Das ist eine Ankreuz-Frage. „Gleichberechtigt“, „selbstdominiert“ oder „fremddominiert“ steht da.“
Ich sah Sarah mit großen Augen an, und fragte mich augenblicklich, was man auf eine solche Frage antworten sollte. War das nicht vom Partner abhängig?
Konnte man darauf mit nur einem Kreuz antworten?
Sicherlich war ich bei meinem ersten Freund eher fremddominiert gewesen, in Ermangelung irgendwelcher Erfahrungswerte. Ich hatte mich an ihm orientiert, weil er mehr über Beziehungen wusste, und hatte mich einfach treiben lassen.
„Das kann ich gar nicht beantworten, das ist totaler Quatsch!“
„Wieso? Nimm doch einfach die Schnittmenge deiner Beziehungen, oder du gibst an, wie du dir das für die Zukunft wünschst.“
„Das ist aber nicht die Frage. Was ich mir wünsche, ist doch bestimmt was anderes, als meine Vergangenheit?“
Tatsächlich glaubte ich, dass die Fragestellung in diesem Fall entscheidend war. Auch wenn ich mir, wie meisten anderen Frauen wohl auch, eine gleichberechtigte Partnerschaft wünschte, sah meine Vergangenheit doch anders aus.
Sicherlich hatte es Männer gegeben, bei denen ich der stärkere Part gewesen war, aber waren die nicht eher in der Minderheit gewesen?
„Stimmt. Also was soll ich ankreuzen?“
Sie ließ den Stift über der Seite schweben, und ich ging in Windeseile die wichtigesten Passagen meines Beziehungslebens durch.
Ja, vermutlich war ich fremdbestimmt gewesen, weil ich meistens diejenige gewesen war, die die größeren Kompromisse eingegangen war. Sei es aus Unsicherheit, Unwissenheit, oder dem puren Willen, etwas am Laufen zu halten, was im Grunde zum Scheitern verurteilt gewesen war.
Meine Vorliebe für erfolgreiche Männer war sicher auch ein Grund gewesen, denn diese waren im Normalfall nicht gerade für ihre Kompromissbereitschaft bekannt.
„Also falls es dir hilft: Die nächste Frage ist tatsächlich, wie du dir deine Beziehung in der Zukunft wünscht.“
„Dann schreib „fremdbestimmt“, und bei der nächsten einfach „gleichberechtigt“.“
Wie dämlich. Zum ersten Mal stellte ich den Test tatsächlich in Frage, denn das hier schien mir unrealistisch. Selbst wenn irgendeiner der Männer ebenfalls „gleichberechtigt“ angekreuzt haben sollte, würde das wirklich funktionieren? Hatte nicht immer irgendwer die Oberhand? Gab es wirklich eine Beziehungsform, in der beide Partner immer und in allen Belangen, gleichberechtigt waren?
Und wollte ich das überhaupt? Hatte ich mir nicht immer wieder einen Mann gewünscht, der Dinge für mich regelte, und der seine Dominanz an den richtigen Stellen einsetzte?
„Hast du jemals eine Beziehung gehabt, die wirklich gleichberechtigt war?“
Ich sah auf Sarah, die nun ebenfalls zu mir aufsah.
„Mhm. Lass mich überlegen... Nein, ich glaube nicht.“
Sie zuckte mit den Schultern und bestätigte meine Theorie damit nur. Immer saß irgendwer am längeren Hebel, auch wenn sich diese Dinge innerhalb der Beziehung vielleicht mal änderten. In der einen Sache war es Person A, in der anderen Person B.
Bei genauerer Betrachtung schien es mir sogar ziemlich anstrengend, wenn man immer alles bis zur Zufriedenheit beider Seiten ausdiskutierte. War es nicht manchmal auch sein Segen, wenn einer einfach eine Entscheidung traf?
Auch in ihrer Ehe war das so, das stärkere Glied war eindeutig sie, und trotzdem schien es zu funktionieren.
Ihr Mann war ein netter Kerl, selbstständig und eher ruhig, aber wenn es um Entscheidungen und Planung ging, dann war immer Sarah die treibende Kraft.
Keinen der beiden schien das sonderlich zu stören, er schien sogar froh über diesen Zustand, und auch Sarah schien es nicht als Belastung zu empfinden.
„Soll ich das denn trotzdem so stehen lassen? Oder soll ich lieber was anderes nehmen?“
Was, wenn ich hier gerade den nächsten Fehler machte? Weil sich der Mann, der vielleicht perfekt zu mir passen würde, eine solche Frau einfach nicht wünschte?
Was, wenn das gar nicht das war, was ich mir wirklich wünschte?
Die fast vierzigjährige Ehe meiner Eltern basierte jedenfalls nicht auf Gleichberechtigung, so viel stand fest. Ihre Zuständigkeiten waren klar geregelt, meine Mutter bestimmte über Haus, Garten und die Lebensmittelversorgung, während mein Vater reparierte, Geld ausgab, arbeitete und in der restlichen Zeit eine Delle in die heimische Couch saß.
„Ich würde sagen, ja. „Selbstbestimmt“ können wir nicht nehmen, dann sieht es so aus, als würdest du alles alleine entscheiden. „Fremdbestimmt“ auch nicht, dann kriegst du einen Herrscher, keinen Partner. Also bleibt ja nur diese Antwort.“
Erneut stellte ich den Bogen in Frage, denn eigentlich waren diese Antworten einfach nicht ausreichend. Es müsste mehr Möglichkeiten geben, oder zumindest die Option, der Antwort etwas hinzuzufügen.
Pauschal war das einfach nicht zu beantworten, jedenfalls für mich nicht.
„Hast recht, aber wirklich gut fühlt sich das nicht an.“

Wir kamen kaum voran, den jede der Fragen warf für mich neue auf.
Konnte man ein zukünftiges Leben wirklich auf diese Art planen? Sagte das alles wirklich genug über mich aus, und ein echtes Profil über mich zu erstellen?
Ich hatte jedenfalls nicht das Gefühl, denn bei jeder neuen Frage erkannte ich selbst, dass ich eigentlich sehr viel mehr Facetten hatte.
Spätestens bei der Frage nach Betrug, wusste ich nun gar nicht mehr, was ich eigentlich antworten sollte.
„Haben sie in der Vergangenheit einen Betrug verziehen?“
Ja, was denn für einen Betrug? War damit fremdgehen gemeint oder ein Betrug anderer Art?
„Steht da sonst nichts?“
Ich blickt über den Tisch hinweg auf das Blatt auf Sarahs Schoß, und sie zuckte erneut mit den Schultern.
„Nein, nichts sonst. Nur „ja“ und „nein“ als Antwort.“
Und jetzt? Ich war betrogen worden, auf die eine oder auch andere Art. Es hatte mich ein Mann mit einer anderen betrogen, und ich war auch auf andere Art schon betrogen worden.
Beides hatte ich vergeben, auch wenn es mir schwergefallen war.
Ein Mann hatte sich hinter meinem Rücken bei seinen Freunden über meinen Namen lustig gemacht, und ich hatte es erfahren. Natürlich war ich fuchsteufelswild gewesen, hatte ihm aber trotzdem vergeben.
Auch den anderen Betrug hatte ich vergeben, weil ich den Mann damals auf keinen Fall hatte verlieren wollen. In meiner eigenen Ansicht über mich, dass irgendetwas an mir einfach minderwertig war, hatte ich die Schuld dafür auf mich genommen. Ich war der Grund gewesen, weil ich einfach nicht ausreichend sein konnte, und hatte mein Vergeben am Ende bitter bereut.
Wenn ich jetzt „ja“ angab, würde man davon ausgehen, dass ich es wieder tun würde? Würde ich dann jemanden bekommen, bei dem es manchmal nötig sein würde, ihm zu vergeben?
Oder hieß das einfach, dass ich nicht so einfach aufgab, und für eine Beziehung kämpfte? Hieß dann verzeihen, dass ich eine starke Persönlichkeit war?
„Ja. Kreuz „ja“ an.“
Ich reagierte aus dem Bauch heraus, auch wenn ich mir der Antwort nicht sicher war.
„Ich glaube, das ist eine gute Antwort. Du bist nicht nachtragend, und versuchst auch die andere Seite zu sehen, das passt schon zu dir.“
Sarah setzte das Kreuz, und ein wenig freute ich mich. Dass meine Freundin mich so sah, war mir nicht bewusst gewesen. Wenn sie mich so sah, würden die Leute der Agentur es vielleicht auch so sehen, und dann war die Antwort richtig.
„Jetzt kommen lauter „wie wichtig ist ihnen...“ Fragen. Du musst mit einer Skala von 1-10 Antworten, 10 ist am wichtigsten.“
Ich nickte, und rieb die Hände auf den Schenkeln.
„Schieß los.“
„Frage 1: Wie wichtig ist ihnen Romantik in einer Beziehung?“
„5. Nein, 7. Oder nein, schreib 8.“
„Was denn nun?“
„Ich hatte nie Partner, die sonderlich romantisch waren. Aber vielleicht wäre es ganz schön, wenn sich daran etwas ändert.“
„Meinst du nicht, acht ist dann etwas hoch? Acht ist vielleicht schon Rosenblätter auf dem Bett...?“
„Glaubst du? Was wäre denn deiner Ansicht nach eine angemessene Bewertung?“
Rosenblätter auf dem Bett würde ich bescheuert finden. Schade um die schönen Blumen, und ärgerlich wegen der Sauerei. Nein, das würde mir nicht gefallen. Diese kitschige Romantik war nichts für mich, und keinesfalls würde ich damit umgehen können.
Aber ein Essen bei Kerzenlicht, oder ab und an eine kleine Aufmerksamkeit... Das wäre romantisch genug für mich.
„Sieben? Also ich denke, mehr als sieben braucht kein Mensch.“
Ich nickte und stimmte ihr zu. Man sollte auch in diesen Dingen realistisch bleiben. Sieben würde bedeuten, dass ich mich über Aufmerksamkeiten freute, aber sie nicht ständig brauchte.
„Wie wichtig ist ihnen gutes Aussehen bei ihnen selbst?“
„10.“
Sarah prustete sofort los, und auch ich musste lachen. Natürlich war mir meine Optik wichtig, aber 10 war natürlich etwas übertrieben.
„Einigen wir uns auf acht, sonst kriegst du nie einen Mann.“
Sie setzte das Kreuz, ohne mich nach meiner Zustimmung zu fragen, und ich nahm es hin. 10 würde mich zum Botox-Püppchen machen, und dass wollte ich natürlich nicht. Zuzugeben, wie eitel ich tatsächlich war, würde mir sicher nicht zu dem Mann verhelfen, den ich mir wünschte. Meine Optik war mir enorm wichtig, ich widmete mich ihr mit der gleichen Perfektion, die ich in meinem Job an den Tag legte. Nie ging ich ungeschminkt aus dem Haus, nie mit ungemachten Haaren, und auch meine Kleidung suchte ich mit nervtötender Genauigkeit aus.
Weil mir das Sicherheit gab, und ich auch nach außen signalisieren wollte, was ich im Inneren in mir sah. Dass mein zukünftiger Mann das jedoch sofort sehen würde, davon war nicht auszugehen, und auch die Leute der Agentur, würden diesen Anspruch an mich selbst vermutlich nicht verstehen.
„Wie wichtig ist ihnen das Aussehen bei ihrem Partner?“
„10.“
Wir lachten augenblicklich erneut, und Sarah wischte sich über die Augen.
„Kriegt man bei „10“ dann Channing Tatum?“
„Keine Ahnung!“
Ich kringelte mich auf dem Sofa, was mir gar nicht ähnlichsah. Irgendwie entlud sich nun die Anspannung der letzten Stunde, und so langsam begann ich, dass alles irgendwie amüsant zu finden. Mich zu konzentrieren und ernst zu bleiben, fiel mir von Frage zu Frage schwerer.
Ein wenig war es wie das berühmte Backen eines Mannes, denn tatsächlich entwarf ich hier gerade den Mann meiner Träume. Was auch immer ich hier angab, egal wie absurd es auch sein würde, musste jemand anderes danach finden.
„Nein, ernsthaft: Ist dir Optik wichtig?“
„Etwas, aber nicht so wichtig. Ich denke sieben reicht.“
„Hört sich gut an, nehmen wir.“

Eine halbe Stunde später hatten wir weiter 20 Fragen durchgearbeitet, und so langsam qualmte mir der Kopf.
Meine Zunge schien am Gaumen zu kleben, und auch Sarah sah vor lauter Lachen so langsam aus wie ein gerupftes Huhn. Aus dem ansonsten so perfekten blonden Dutt hatten sich Strähnen gelöst, und auch ihr Make-Up hatte durch die Lachattacken deutlich gelitten.
„Ich glaube, es wird Zeit für Alkohol.“
Ich stand auf und ging in die Küche, wo ich eine Flasche Sekt für genau diesen Anlass im Kühlschrank verstaut hatte.
Besondere Momente brauchten besondere Behandlung, und ich griff nach den beiden bereit gestellten Gläsern auf der Arbeitsplatte.
Sarah klatsche mir Beifall, offenbar sah sie die Situation ähnlich wie ich, und wieder einmal wurde mir klar, dass sie nicht ohne Grund meine beste Freundin war.
Viele andere hätten über das alles hier sicher gelacht, es vielleicht nicht ernst genommen, aber sie war einfach nicht so. Nichts schien für sie absurd genug, um ihm nicht vielleicht doch eine Chance zu geben, und dafür liebte ich sie.
„Perfektes Timing meine Liebe, jetzt kommen die wirklich pikanten Fragen!“
„Weiß ich. Deshalb muss ich auch erstmal was trinken.“
Der Korken ploppte aus der Flasche und ich füllte die Gläser, wofür ich länger brauchte als unbedingt nötig.
„Pikante“ Fragen konnten ebenso peinlich sein.
„Stößchen!“
Ich stieß mein Glas gegen das von Sarah und trank es fast in einem Zug leer. Ich würde mehr als eins benötigen, um das hier jetzt noch lustig zu finden, und füllte es sofort erneut.
Mein Körper sank zurück auf das Sofa und ich griff nach einem der Kissen, denn aus irgendeinem Grund wollte ich meinen Körper am liebsten verstecken.
„Die erste Frage ist nicht schlimm, wirklich nicht.“
Sei sah mich aufmunternd an, auch wenn das wenig half. Auch wenn man mit der Freundin über solche Dinge sprach, so waren detaillierte Fragen doch etwas anderes. Normalweise entstanden solche Gespräche aus der Situation oder aus Erlebnissen heraus, und selbst dann ließ man gewisse Details vielleicht einfach unter den Tisch fallen. Hier war das nicht möglich, jede Frage würde eine Antwort benötigen, und schon beim Überfliegen der Seiten hatte ich mehr als eine gelesen, die ich absolut peinlich fand.
„Mach schon, bevor ich es mir anders überlege.“
„Du musst wieder von 1-10 Antworten, so wie eben. Wie sehr genießen sie körperliche Nähe in Form von Umarmungen?“
Mhm. Schwierig. Grundsätzlich hatte ich nichts dagegen, aber ich war auch nicht der Typ, der jeden sofort in die Arme nahm. Es gab ja diese Menschen, die jeden zur Begrüßung drückten, aber ich wollte das nicht. Außer Sarah umarmte ich eigentlich niemanden, und auch bei vergangenen Partnern, hatte ich nicht viel Wert darauf gelegt.
„Vielleicht 5?“
„Echt? Das ist wenig...“
Zu wenig? Würde man mich als gefühlskalt einstufen, weil mir solche Berührungen nicht wichtig waren?
„Dann 6.“
Ohne ein Wort machte Sarah ihr Kreuz und ich stellte mich weiter in Frage. Ja, vielleicht war ich gefühlskalt. Irgendwie. Ich tat mich einfach schwer mit Nähe, und suchte sie praktisch nie von mir aus, obwohl ich sie mir oft wünschte.
Immer dachte ich darüber nach, ob der Mann mich dann als Klette empfinden würde, oder ob es ihn abschreckte.
Ich wollte die unabhängige, selbstständige Frau sein, und glaubte fest daran, dass zu einem solchen Typen keine übermäßigen Gefühlsduseleien gehörten.
„Wie wichtig sind ihnen Küsse in einer Beziehung?“
„Das kommt drauf an, wie gut einer küsst.“
„Du sollst den perfekten Mann finden, also wird er wohl gut küssen.“
„Dann 8. Aber warte, in der Öffentlichkeit finde ich das nicht so toll, dann wohl eher auch 6.“
Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit fand ich dämlich, begonnen bei Händchenhalten und endend bei Küssen. Auch das tat ich nie von mir aus, ich fühlte mich dabei unwohl, und vermied es, soweit es mir möglich war.
„Wir nehmen 7. Keine Widerrede.“
Energisch setzte sie den Kulli an, und ich sparte mir jede Diskussion. Ob 6 oder 7, würde vermutlich keinen Krieg entscheiden.
„Ach, hier steht das mit der Öffentlichkeit. Also dann nehmen wir wohl 4, wenn du das nicht magst.“
Ich nickte stumm, und fand selbst, dass das ein sehr merkwürdiges Bild von mir ergab.
Eine Frau, die weder sonderlich auf Umarmungen stand, noch gerne in der Öffentlichkeit küsste, war schon irgendwie... merkwürdig?
Vermutlich würden sie mich für verklemmt und dröge halten, und in Verbindung mit dem Gelb bei meiner Farbwahl... Sah das nicht irgendwie nach Öko-Emanze aus?
„Wie sehr genießen sie die Stimulation ihrer Genitalien mit der Hand durch ihren Partner? Man kann auch ankreuzen, dass man das nicht tut.“
Kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, während meine Wangen warm wurden. Jetzt kamen wohl die Fragen, vor denen ich mich wirklich gefürchtet hatte. Wie sollte man so etwas beantworten?
„Steht das da wirklich?“
„Jupp.“
„Keine Ahnung. Kommt wohl auf den Mann an, aber grundsätzlich wohl eine 8?“
Viel fragwürdiger als die Frage selbst, fand ich die Möglichkeit, dass man das NICHT tun würde. Wer auf der Welt hatte den Sex, ohne sich dabei zu berühren? Auch wenn ich nicht gerade die geborene Schmusekatze war, konnte ich mir das nun nicht wirklich vorstellen.
„Kennst du diesen Typ Mann, der an deinen Brüsten dreht, als seien sie ein Radio? Die sind schrecklich!“
Sarah machte Drehbewegungen mit ihrer Hand und verzog das Gesicht, so dass ich sofort lachen musste. Ja, diese Sorte kannte ich. Sie waren die Brüder von denen, die küssten, als sei ihre Zunge ein Mixer.
„Der Mann, den die für mich aussuchen, schraubt an keinem Radio.“
Sie nickte und machte den Eintrag, während ich mich deutlich wohler fühlte. Ja, es war eine gute Entscheidung, das hier nicht alleine zu tun.
Sarah nahm die Welt einfach nicht so ernst wie ich, und erleichterte diese Sache enorm. Während ich ständig darüber nachdachte, welches Bild all das ergab, dachte sie darüber nur am Rande nach.
„Nächste Frage. Wie sehr genießen sie die Stimulation der Genitalien ihres Partners durch ihre Hand? Man kann auch hier ankreuzen, dass man das nicht tut.“
„Was? Echt? Gibt´s so Frauen, die das nicht tun? Wie soll das funktionieren?“
Sie zuckte mit den Schultern und schien zu überlegen.
„Kein Plan. Stell ich mir auch nicht sehr spannend vor. So ganz ohne...“
„Schreib 8.

Der Bogen zog sich endlos. Wer auch immer ihn entworfen hatte, ließ absolut nichts aus. Er umfasste alles, von A wie Analverkehr, bis zu Z wie Zungenkuss. Irgendwann hatte ich fast automatisch, ohne darüber nachzudenken, auf die Fragen geantwortet.
Einzig über „Bondage“ und „Sex an öffentlichen Orten“ hatte ich nachgedacht. Auch „Blowjob“ hatte mir zehn Sekunden zu denken gegeben, weil ich es eine Frechheit fand, dass es keine ebensolche Frage im Bezug auf Frauen gab.
Allerdings wusste ich auch nicht, ob der Fragebogen für die Männer der Gleiche war.
Die einzige Frage, die ich beim besten Willen nicht beantworten konnte, war die, ob ich mich daran störte, wenn ein Mann mir auf die Brüste sah.
In Ermangelung von solchen, hatte sich mir diese Frage nun wirklich noch nie gestellt. Männer starrten auf große Dinger, nicht auf die Sorte, die ich vor mir her trug.
Nach einer schier endlosen Diskussion mit Sarah, gab ich 1 an. Sollte mir jemals einer auf die Brüste starren, würde ich das super finden.
„Fertig, du hast es geschafft.“
Sarah klappte den Berg von Papieren zu, und atmete tief durch.
„Gott sei dank, mir qualmt echt der Schädel. Glaubst du, das kann wirklich funktionieren?“
Nach all den vielen Fragen hatte zumindest sie offenbar den Eindruck, dass es klappen könnte.
„Wenn du nach all dem nicht wirklich einen super Typ kriegst, dann kann ich dir auch nicht mehr helfen. Wenn die nur die Hälfte davon annehmen, dann muss er es sein. Und wenn das klappt, dann tausch ich Björn gegen einen von der Firma.“
Sie lachte laut, und ich lachte mit, denn nie und nimmer würde sie ihren Mann gegen einen anderen tauschen. Sarah und Björn waren das einzige Paar, von dem ich sicher war, dass sie ewig zusammenbleiben würden.
Schon von der ersten Sekunde an waren die beiden zu einer Einheit verschmolzen, und hatten auch nach Jahren niemals auch nur eine einzige größere Streiterei gehabt. Es schien, als seien die beiden tatsächlich füreinander bestimmt, und oft hatte ich die beiden für diesen Gleichklang beneidet.
Sarah und Björn, die unterschiedlicher kaum sein konnten, passten einfach mehr als perfekt zueinander.

„Für welchen Anlass soll es denn sein?“
Die dickliche Verkäuferin klimperte mit viel zu stark getuschten Wimpern, und ich wand mich unter der Antwort. Was sollte ich darauf antworten, ohne die Dame völlig aus dem Konzept zu bringen?
„Es ist fürs Standesamt. Bitte nicht zu auffällig, eher was Dezentes.“
Wie absurd die Situation war, in der ich mich nun befand, hatte ich selbst total unterschätzt. Hätte ich nicht besser etwas anderes sagen sollen? Vielleicht von einem Event oder dergleichen gesprochen?
Auf keinen Fall konnte ich der Frau sagen, dass ich den zukünftigen Mann nicht kannte. Mir selbst kam das schon merkwürdig genug vor, auch wenn ich mich in den vergangenen Wochen irgendwie an den Gedanken gewöhnt hatte.
Von Tag zu Tag wurde das alles realistischer, und ich erwischte mich selbst dabei, dass ich mich irgendwie anders verhielt.
Ich war weg vom Markt, auch wenn ich gar nicht wusste wegen wem, aber es gab mir trotzdem ein gutes Gefühl.
Nicht mehr die übriggebliebene, die erfolgreiche aber einsame Frau zu sein, das fühlte sich unglaublich befreiend an.

Es hatte gedauert, bis ich an diesem Punkt angelangt war, denn anfangs hatte es mich in Panik versetzt.
Mein Briefkasten war in diesen Tagen geflutet worden, und um so mehr Papier in Form von Verträgen in meinem Briefkasten gelandet war, um so unwirklicher war es mir vorgekommen.
Schon drei Wochen nachdem ich den Fragebogen versendet hatte, hatte ich den ersten rosa Umschlag in der Post gefunden.
In blumigen Worten hatte man mir mitgeteilt, dass man den perfekten Partner für mich gefunden hatte, und dass ich nur noch wenige Schritte von der gebuchten Eheschließung entfernt war.
Wie einfach sich das anhörte, hatte mich verunsichert. Wenn diese Leute das innerhalb drei Wochen geschafft hatten, warum hatte ich in all den Jahren nicht ebenfalls den Richtigen gefunden?
Hektisch hatte ich Sarah angerufen, die ebenfalls von dieser enormen Geschwindigkeit überrascht zu sein schien, aber schon nach Sekunden in ihr gewohntes Verhalten zurückfiel.
Nach einer schier endlosen Diskussion, aus der eindeutig sie als Sieger hervorgegangen war, hatte ich mich zumindest minimal über diesen schnellen Erfolg freuen können.
So positiv wie Sarah das alles sah, die vielen Möglichkeiten, die all das versprach, überzeugten mich dann doch.

„Ach wie schön, was für ein schöner Anlass für ein Kleid, da gratulier ich ihnen. Was ist denn die Lieblingsfarbe ihres zukünftigen Ehemanns?“
Ähm... Ja, wenn ich das wüsste...
Ich hatte weiß und gelb angegeben, hatte er das dann ebenso? Und welche Farbe hatte ich dann noch angegeben? Ich grübelte über das Grau, was natürlich für den Anlass absolut unpassend sein würde, und dachte kurzfristig über Weiß nach, obwohl mir das um ein vielfaches zu aufdringlich vorkam. Wer in Weiß heiratete, der war ein anderer Typ. Wer in Weiß heiratete, der stand auch ansonsten auf den klassischen Weg, und den hatten wir nun wirklich nicht eingehalten.
Was also sollte ich nun tun?
Hatte man auch diese Vorlieben aufeinander abgestimmt? Da ich keinerlei Anhaltspunkte hatte, unter welchen Voraussetzungen man mir genau diesen Mann zugeordnet hatte, blieben mir nichts als Mutmaßungen.
„Gelb.“
Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich, ohne darüber nachzudenken.
„Gelb? Das ist ungewöhnlich... Aber ich glaube, da hab ich etwas für sie.“
Was tat ich hier gerade? Ich wollte doch ganz sicher nicht in Gelb heiraten?
Gelb war weder dezent noch zurückhaltend, und ganz sicher gab es kein einziges gelbes Kleidungsstück in meinem Kleiderschank.
Niemand heiratete in einem gelben Kleid, schon gar nicht ich, deren Leben einfach keine Farbe enthielt.
Die Verkäuferin verschwand zwischen den Ständern voller eleganter Kleider, und ich beschloss, sie erstmal machen zu lassen.
Bis hierher hatte ich es also geschafft. Von dem Bogen mit den vielen Fragen, über all die Verträge, die unsere Eheschließung regelten.
Wie viele es sein würden, das hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht erdacht. Es gab Verträge zu der Richtigkeit meiner Angaben, die ich allesamt reinen Gewissens unterschreiben konnte.
Die anderen, im Bezug auf die vorgeschriebene Dauer meiner zukünftigen Ehe, hatten mich mehr Gehirnschmalz gekostet.
Drei Monate mussten wir durchhalten, selbst wenn es nicht funktionierte. Drei Monate, weil wir uns richtig kennenlernen sollten. Irgendwie ergab das ja Sinn, aber 12 Wochen waren lang.
Mit dem falschen Mann konnte das eine Ewigkeit sein, ein praktisch unüberwindbarer Zeitraum.
Wenn ich meinen neuen Mann also absolut nicht wollen würde, würden wir trotzdem drei Monate aneinandergebunden sein.
Ich hatte zwar nicht vor aufzugeben, aber wer wusste schon, wie diese arrangierte Ehe am Ende verlief? Was würde passieren, wenn wir uns von der ersten Sekunde an nur streiten würden?
Eine weitere Klausel war, dass wir nicht flüchten durften, aus der Wohnumgebung des anderen.
Auch wenn uns ja in der Realität niemand dazu würde zwingen können, ergab auch das ja irgendwie Sinn. Man wollte dem ganzen einen offiziellen Touch geben und verhindern, dass irgendwer nach Tag 1 einfach verschwand.
Trotzdem hörte sich das alles nach Quälerei an, und darauf war ich nun wirklich nicht aus.
Es gab endlose Paragraphen, die einen zu Gesprächen oder Kompromissen zwingen sollten. Keiner von ihnen würde wohl vor Gericht bestand haben, aber man versuchte mit allem nur möglichen, beide Parteien zum Nachdenken zu zwingen.
Wenn man einen solchen Vertrag unterschrieb, viel Geld in die Hand nahm und all das andere durchhielt, dann sollte man sich aufgeben auch gehörig überlegen.
Auch das hörte sich aus der Entfernung richtig an, würde aber in der Realität anders aussehen. Wenn beide Parteien sofort merkten, dass es einfach nicht funktionieren konnte, was war dann?
Die Sache mit den Flitterwochen hatte sich als sehr einfach herausgestellt, denn scheinbar legte auch mein zukünftiger Mann darauf keinen Wert. Ich hatte angegeben, dass ich darauf gerne verzichten würde, und nur Tage später hatte man mir mitgeteilt, dass mein Wunsch kein Problem darstellte.
Billiger wurde die Veranstaltung dadurch leider nicht, auch wenn diese Kosten ja nun gespart waren, aber nun gut.
Nachdem ich all das gesehen hatte, den Aufwand und die vielen Blätter Papier, kam mir die Summe auch nicht mehr so wahnsinnig hoch vor. 3000 Euro für den Rest seines Lebens, das war doch schon fast lächerlich.

„Was halten sie hiervon, meine Liebe?“
Die Verkäuferin hielt mit ein sonnengelbes Etui-Kleid unter die Nase, welches eine sensationelle Raffung an der Taille sein eigen nannte.
Die leuchtende Farbe wirkte, als hätte jemand einen Lichtschalter neben mir betätigt, und es passte so wenig zu mir, dass mir die Vorstellung es zu tragen, absolut lächerlich vorkam.
Nie in meinem Leben hatte ich ein so auffälliges Kleid getragen und auch wenn der Schnitt mir ausgesprochen gut gefiel: Was sollte mein zukünftiger Mann davon halten?
Andererseits begann für mich ein neues Leben, vielleicht auch ein bunteres, und war es nicht vielleicht jetzt endlich Zeit, seine gewohnten Pfade zu verlassen?
Wenn nicht jetzt Zeit für Veränderung war, wann denn dann?
„Ich probier es an.“
Spontan fand ich das Kleid sehr ansprechend, und warum nicht in einem solchen Kleid heiraten?
Wenn doch ohnehin alles so besonders und anders lief, dann war das vielleicht sogar das perfekte Kleid. Besondere Umstände benötigten vielleicht auch ein besonderes Kleid, und wenn es mir gut stand, würde ich mich vielleicht auch darin wohlfühlen.
Im Leben musste man auch manchmal etwas wagen, auch das war mir in den letzten Wochen klar geworden. Nie vorher war ich aus meinen gewohnten Bahnen ausgebrochen, und ich hatte mir fest vorgenommen, dass jetzt der Zeitpunkt für Neues gekommen war.

Ich ließ die Tüte mit dem Kleid auf den Boden neben der Couch sinken, und war mir meiner Sache nun doch nicht mehr so sicher.
Was, wenn er ein gelbes Kleid total daneben fand? Klassisches Understatement sah anders aus, und war Gelb nicht... aufdringlich?
Vielleicht sah ich damit wirklich wie ein Hippie-Mädchen aus, und erzeugte damit einen völlig falschen Eindruck von mir.
Der erste Eindruck war sicher auch hier entscheidend, und ob ein sonnengelbes Kleid wirklich mich spiegelte, das wagte ich doch arg zu bezweifeln.
Ich war grau, maximal schwarz oder weiß, aber niemals farbig.
Menschen wie ich achteten darauf, bloß nicht zu sehr aufzufallen und am besten in der Masse zu verschwinden. Wer verschwand, zog keine Aufmerksamkeit auf sich, wurde nicht unter die Lupe genommen, und hatte demnach seine Ruhe.
So ein Mensch war ich, nicht der bunte, auffällige Typ, und sicherlich war es auch mein zukünftiger Ehemann nicht. Weil es einfach keinen Sinn ergab, mich mit einem Paradiesvogel zu verheiraten.
Würde dann nicht mein Ehemann sofort verstört sein, wenn ich mit einem derart auffälligen Kleid erschien?
Auf dem Tisch stapelten sich die Unterlagen der Agentur, und ich griff geistesabwesend nach einem der Stapel.
Leider stand dort absolut nichts über meinen zukünftigen Mann, nicht mal ein Name, und das machte mich ebenfalls krank.
Wenigstens den Vornamen hätte man doch schreiben können?
Wenn ich schon nach der Trauung mit ihm würde leben müssen, dann wären ein paar Eckdaten doch wirklich angemessen gewesen.
Wie sollte ich denn den Kühlschrank füllen, wenn ich gar nicht wusste, was er gerne aß?
Der Vertrag hatte festgelegt, dass wir zuerst bei mir wohnen würden, was mich schon vor Wochen dazu veranlasst hatte, eine Seite meines Kleiderschranks leer zu räumen. Auch im Bad hatte ich Platz geschaffen, und alle meine ausgeleierten Schlafanzüge hatten ausziehen müssen.
Auf keinen Fall wollte ich, dass irgendetwas ein merkwürdiges Licht auf mich warf.
Wie viel Panik tatsächlich in mir herrschte, wurde mir erst nach und nach klar. Am Anfang hatte ich mit Aktionismus reagiert, geräumt, gemacht und getan, und dann mit Panik.
Ein fremder Mann in meiner Wohnung, zwischen meinen Sachen, und mit meinen unaufgeräumten Schubladen.
Um so mehr Tage verstrichen waren, um so unwohler wurde mir bei dem Gedanken. So unwohl, dass ich mir die Woche nach der Trauung Urlaub genommen hatte, obwohl ich das eigentlich nicht hatte tun wollen.
Die Vorstellung, er könnte in meiner Abwesenheit in meinen Sachen wühlen, war schrecklich. Und selbst wenn er das gar nicht vorhatte, würde ich ständig darüber nachdenken.
Zumindest diese Woche würde ich ihn unter Kontrolle haben, und danach würden wir weitersehen.
Mein Chef hatte auf meinen Urlaubsantrag kaum reagiert, die Trauung hatte ich nicht erwähnt, und auch sonst niemandem davon erzählt.
Auch wenn es mir zwischenzeitlich schwergefallen war, hatte ich geschwiegen, aus lauter Angst, dass irgendjemand mir das alles doch noch ausreden würde.
Die wenigen Menschen in meinem Umfeld waren allesamt nicht wie Sarah, und kaum jemand würde wie sie das Positive in all dem sehen.
Ich selbst sah es ja kaum, auch wenn ich mir das alles so sehr gewünscht hatte. Meine Hoffnungen waren da, die meiste Zeit zumindest, und trotzdem wurden sie immer wieder von meinen Befürchtungen überlagert.
Meinen Namen wollte ich behalten, heute ging so etwas ja, und ob ich es überhaupt erzählen würde, würde ich dann später entscheiden.
Wenn es gut lief, und der Mann tatsächlich eine Granate war, dann vielleicht.
Wenn es mies lief, und ich ihn nicht würde behalten wollen, dann musste ich stark sein. So stark, dass niemand in meinem Umfeld etwas merkte.
Außer Sarah hatte ich in meine Pläne niemanden eingeweiht, und dabei sollte es auch bleiben. Auch meinen Eltern wollte ich vorerst nichts erzählen, denn mir fiel einfach keine gute Erklärung ein.
Unmöglich konnte ich ihnen die Wahrheit erzählen, und keinesfalls wollte ich, dass sie jemanden in ihr Leben ließen, denn ich am Ende gar nicht in meinem haben wollte.
Der Kontakt zu ihnen war ohnehin gering, zu unterschiedlich waren unsere Leben geworden, und wann immer ich sie besuchte, schienen sie um mich besorgt.
Meine Eltern hatten jeden, aber auch wirklich jeden Mann, mit offenen Armen empfangen.
Vermutlich hatten sie immer auf zukünftige Enkelkinder gehofft, oder zumindest auf eine langfristige Partnerschaft für mich. Wenn ich jetzt also heiratete, dann würden sie den Mann vermutlich sofort in die Familie aufnehmen, und ihn so schnell nicht mehr weglassen.
Auch die Tatsache, dass sie mir dann am Scheitern der Ehe die Schuld geben würden, lag auf der Hand. Weil sie genau das immer getan hatten, und ich sah schon jetzt das vorwurfvolle Gesicht meiner Mutter, weil ich in ihren Augen mal wieder nicht genug investiert hatte.
In der Vergangenheit mochte das vielleicht auch so gewesen sein, ich hatte oft schon früh aufgegeben, aber jetzt war ich erwachsen, und diese Entscheidungen lagen alleine bei mir.
In meinem Kopf hatte ich die Reaktion meiner Eltern auf eine arrangierte Ehe tausendfach durchgespielt, und nie hatte mir das Ergebnis gefallen. Ich hatte Sorge gesehen, Panik, blankes Glück. Nichts davon hatte sich für mich gut angefühlt, denn ich konnte weder mit ihrer Sorge um mich, noch mit dem überschwänglichen Glück umgehen, dass ich vielleicht doch noch jemanden abbekommen hatte.
Sarah hingegen hatte sich einfach nur gefreut, sie war sich offiziell sicher, dass der Mann ebenso perfekt war, wie die Agentur es versprochen hatte.
Ich selbst war mir da nicht so sicher, auch wenn ich es hoffte. Der Mann konnte ja perfekt zu mir passen und ich ihn trotzdem doof finden.
Vielleicht gefielen mir seine Haare nicht, sein Gesicht, oder weiß der Geier was noch. Was sollte ich dann tun?
Auch dazu hatten die Verträge eine Klausel, die einem unmissverständlich klar machte, dass man über diese Dinge vorerst hinweg sehen sollte.
Sehr gestelzt wurde von „inneren Werten, die es zu entdecken gilt“ gesprochen. Darin war ich noch nie gut gewesen. Wenn mir ein Mann nicht gefiel, dann änderte auch seine nette Art wenig daran.
Natürlich war ich bereit mit ihm zu sprechen, aber wenn ich ihn doch nicht anziehend fand? Anziehung fiel nicht vom Himmel, und herbeireden konnte man sie auch nicht.
Dieser Teil machte mir am meisten Sorgen.
Dass der Typ zwar nett, aber einfach nicht mein Fall war.
Gerade dieser Fall wäre für meine Eltern absolut nicht verständlich, denn beide legten keinen gesteigerten Wert auf optische Reize. Wenn sie ihn also mögen würden, dann würde keiner der beiden für fehlende Anziehung Verständnis aufbringen.
Auch über den umgekehrten Fall machte ich mir sorgen, denn was war, wenn er mich nicht attraktiv fand?
Würde er dann auch versuchen „meine inneren Werte“ zu ergründen, nur um dann festzustellen, dass er mich trotzdem nicht gut fand?
Und die viel größere Frage an all dem war: Sagte man das dem Gegenüber dann auch?
Die Vertragklausel bejahte das. Es wurde dringend angeraten, dass man dem Partner gegenüber ehrlich war.
Aber funktionierte das? Wenn man tatsächlich zugab, dass man den soeben geehelichten Mann total unsexy fand?
Ich konnte mir das, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, und war heilfroh darüber, dass die Eheschließung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Nur der Mann, ich, und der Standesbeamte.
Keine Freunde oder Bekannte die einem etwas ein- oder ausredeten, keine merkwürdigen Blicke von Fremden.
Auch das hatte man per Fragebogen wählen können, und ich war heilfroh, dass mein Zukünftiger und ich, uns auch in dieser Frage offenbar einig waren.
Zaungäste brauchte ich bei all dem nun wirklich nicht, und wir würden uns beide die Peinlichkeit ersparen, die das alles mit sich bringen würde.
Wie sollte man auch seinen Eltern jemanden vorstellen, den man im Grunde selbst nicht kannte?
Um Grunde meines Herzens wusste ich nicht mal, ob meine Eltern eine solche Veranstaltung überhaupt besuchen würden. Auch wenn sie sich dringend jemanden für mich wünschten, würden sie diese Sache keineswegs gutheißen. In ihrer Welt funktionierte es anders, und was wäre gewesen, wenn ich alleine dort erschienen wäre?
Er mit seiner ganzen Familie, und ich mit nichts, außer Sarah und Björn?
Auch das hätte ein sehr merkwürdiges Bild auf mich geworfen, und hätte vermutlich zum endgültigen Bruch mit meiner Familie geführt. Schon seit Jahren war unser Verhältnis mehr als oberflächlich, obwohl ich gar nicht so genau wusste, warum.
Sie waren einfach nicht mehr Teil meines Lebens, es fand weit außerhalb ihrer Welt statt, und die Ehe mit einem mir unbekannten Mann, würde das dünne Band vermutlich endgültig zerreißen.
So hatte ich wenigstens die Möglichkeit ihn kennenzulernen, und mir dann eine Lösung für das Problem auszudenken. Wenn es gut lief, und er wirklich für mich taugte, dann könnte ich ihnen davon erzählen. Nicht von der Ehe, vorerst nur von ihm, und wenn es wirklich dauerhaft war, dann würden wir vielleicht die Wahrheit erzählen.
Wenn meine Eltern mich glücklich sahen, sahen, dass der Mann gut für mich war, dann würden sie auch das verkraften.
Irgendwann würden wir dann vielleicht wirklich erneut heiraten, und alle zu dieser Feier einladen. Nichts sprach dagegen, viele Paare machten das so, und keiner hatte sich je daran gestört, wenn die kirchliche Ehe erst ein Jahr nach der Standesamtlichen stattfand.
Von all dem waren wir jedoch noch weit entfernt, erstmal musste ich ihn treffen, und alles Weitere würde sich dann finden. Oder auch nicht.

„Hier entlang bitte!“
Der elegante Mann winkte mich den Flur entlang und ich merkte, wie meine Beine weich wurden.
Da war ich also.
In einem gelben Kleid, mit einem Strauß ebenso gelber Sonnenblumen, und einem Magen, der vermutlich gleich meine Kehle hinauf krabbeln würde.
Nie, nicht mal bei meiner Beförderung, war ich je so aufgeregt gewesen. Schon in der Nacht hatte ich nicht schlafen können, wie auch in den vielen Nächten davor, und hatte die Situation wieder und wieder durchgespielt. Wie trat man einem Fremden gegenüber? Wie reagierte man richtig?
In den letzten Sekunden hatte ich mit aller Macht gegen meinen eigenen Fluchtreflex angekämpft, und vermutlich sah man es mir auch an. Der aufmunternde Blick des Mannes half da wenig, und mein Blick sah sehnsüchtig ein letztes Mal zu dem Schild des Notausganges.
„Kommen sie, ihr zukünftiger Mann wartet schon auf sie!“
Aufmunternd winkte er erneut, und sofort blieb ich stehen. Er hatte ihn also schon gesehen? Er wusste, wer dort hinten auf mich wartete?

An der Anmeldung hatte man mich schon merkwürdig behandelt, die Dame fand das alles wohl ausgesprochen mysteriös, und genauso merkwürdig kam es mir jetzt vor.
Dass mich der Standesbeamte abholen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Allerdings hatte ich auch keinen Gedanken daran verschwendet, wie eine solche Veranstaltung überhaupt ablaufen würde.
Natürlich hatte man mir einen Ablaufplan geschickt, aber wer um Gottes willen rechnete damit, dass es wirklich so ablaufen würde?
In meiner Theorie hatte das alles anders ausgesehen, irgendwie weniger peinlich, aber die Realität sah eindeutig anders aus.
Ein wenig fühlte ich mich wie die einzige Person einer Reisegruppe, die nun dem Leiter mit aufgespanntem Regenschirm folgte.
Eigentlich fehlte nur noch, dass er mir die Vorzüge des unfassbar hässlichen Gebäudes aufzählte, was er aber Gott sei dank nicht tat.
Ich war angekommen, die Dame an der Anmeldung hatte abschätzig mein Anliegen und die Formulare entgegengenommen, und dabei ausgesehen, als würde sie mir Pest, Cholera und alle anderen Seuchen dieser Erde auf einmal wünschen.
Vermutlich fand sie es verwerflich, eine so heilige Sache wie eine Eheschließung auf diesem Weg anzugehen.
Ich fand das nicht, ich den letzten Wochen hatte ich mich mit meiner Entscheidung immer besser gefühlt, und ich verachtete sie dafür, dass mir dieses gute Gefühl nun genommen hatte.
Auch der Standesbeamte kam mir komisch vor, irgendwie deutlich zu euphorisch, und ich ahnte, dass er gutes Geld für diesen Auftritt bekam.
Schon in den Unterlagen stand, dass es eigens für diese Art der Eheschließung Beamte gab, die ausschließlich für die Agentur arbeiteten.
Erst da wurde mir klar, was für merkwürdige Jobs es überhaupt gab, und so wirklich vorstellen wollte ich mir den Arbeitsalltag dieses Mannes auch nicht.
Ich stellte es mir komisch vor, Menschen auf einem solchen Weg zu begleiten, auch wenn es auf dem Papier durchaus erstrebenswert klang.
Sie würden alles Arrangieren, den formellen Akt zu einem besonders Schönen machen, und uns alle Ängste nehmen.
Das tat er auch, keine Frage, aber wirklich festlich fühlte ich mich nicht dabei.
Der überschwängliche Mann war jedenfalls auf all das hier deutlich besser vorbereitet als ich.
Sofort hatte er mich angesprochen, versucht, mir klar zu machen, dass er wusste, wie diese Ehe entstanden war, und dabei ständig breit gelächelt.
Während wir über die tristen Flure stapften, wiederholte er, wie unglaublich glücklich ich mich schätzen konnte, eine so renommierte Agentur gewählt zu haben.
„Eine wirklich gute Wahl, da können sie sicher sein. Es wurde ein ganz toller Mann für sie ausgesucht.“
Was er nicht sagte. Das konnte man nach all dem Theater ja wohl auch wirklich erwarten. Ich ließ den Blick über die vergilbten Flurwände gleiten, und fragte mich ernsthaft, warum irgendjemand in einem solchen Gebäude heiratete. Warum hatte man nicht wenigstens einen angenehmeren Ort gewählt?
Sahen alle Standesämter so schmucklos und langweilig aus, oder war das nur hier der Fall?
So wirklich festliche Stimmung kam zumindest bei mir nicht auf, was sicherlich auch an der Aufregung lag, und irgendwie fühlte ich mich nicht so, als würde ich gleich einen Bund für den Rest meines Lebens schließen.
„Wie ist er den so?“
Meine Stimme klang schwach und klanglos, was den Standesbeamten sofort in Stillstand versetzte. Alarmiert sah er auf mich, als hätte er Angst, ich würde es mir in letzter Minute noch anders überlegen.
„Ganz toll, er wird ihnen gefallen.“
„Woher wissen sie das?“
Vermutlich sagte er das nur, um mich aufzuheitern. Oder weil er sein Honorar nicht erhielt, wenn ich jetzt noch ging.
„Sie sind nicht das erste Paar dieser Art, was ich traue. Und sie beide, sie passen hervorragend zusammen. Nicht nur aufgrund ihrer Werte, nein, ich glaube, er wird ihnen gefallen. Und auch er ist sehr nervös, glauben sie mir.“
Das ich nicht lachte. Es hätte mich auch gewundert, wenn mein zukünftiger Ehemann das alles hier ohne mit der Wimper zu zucken wegstecken würde. Das hätte ich dann wirklich fragwürdig gefunden.
Ich setzte mich erneut in Bewegung, so langsam wollte ich es nur noch hinter mich bringen. Wenn ich das hier hinter mir hatte, dann würde ich in meinen Alltag zurückkehren. Der formelle Akt war notwendig, das wusste ich, aber wirklich gut fand ich ihn nicht. Ich wollte verheiratet sein, mehr als alles andere, aber für mich hätte es weniger aufwendig sein können.
Ebenso gut hätte ich den Mann an einem anderen Ort treffen können, und wir hätten einfach die notwendigen Formulare mit der Post versendet. Hier, an diesem trostlosen Ort, war in meinen Augen nicht der richtige Platz für ein erstes Treffen.

„Lottchen! Warte!“
Mein Kopf wand sich in die Richtung, aus der das Rufen gekommen war, und ich sah Sarahs aufgeregtes Gesicht über den Flur näher kommen.
„Sarah? Was machst du denn hier?“
Sie machte eine entschuldigende Handbewegung, kam aber trotzdem schnell näher.
„Ja, ja, ich weiß. Keine Gäste. Aber ich kann dich doch nicht einfach so heiraten lassen!“
Sie umarmte mich und mir kamen die Tränen. Vielleicht war es doch ein Fehler, nicht wenigstens einen Jemand bei dieser Sache an meiner Seite zu haben. Wie sehr ich Sarah liebte und wie wichtig sie gerade jetzt für mich war, durchdrang auf der Stelle jede Faser meines Körpers.
„Das ist wirklich süß von dir.“
Ich drückte sie zurück und sah über ihren Rücken zu dem Standesbeamten, der gutmütig lächelte.
„Ich würde sagen, ich gehe da schon mal rein, und wenn das Licht dort oben angeht, dann kommen auch sie rein.“
Er zeigte auf eine kleine Lampe über der Tür, die vermutlich eigentlich anzeigte, ob der Raum belegt war. Wie lieb von ihm.
Er verschwand hinter der Tür und ich ließ Sarah los, die fast noch aufgelöster schien als ich selbst.
„Der Beamte hat gesagt, es wäre ein toller Mann.“
„Sicher ist er toll, denn sie haben ihn für dich ausgesucht.“
Ich wischte mir die Augen und hoffte, mein Make-up würde diesen emotionalen Ausbruch überleben.
Erst jetzt merkte ich, dass ich gerade im Begriff war, alle meine Kindheitsträume zu verlieren. Egal wie logisch das alles hier war, wie sehr ich mir das hier gewünscht hatte, es löschte doch all meine Träume.
Immer hatte ich von der großen Liebe auf den ersten Blick geträumt, davon, dass jemand sich Hals über Kopf in mich verliebte.
In meinen Träumen hatte ich jemanden getroffen, mit dem ich mich auf Anhieb verbunden gefühlt hatte, und der sich nichts aus Stand, Namen oder all dem machte.
Wenn ich jetzt dort reinging, würde ich diesen jemand vielleicht nie finden, sondern nur jemanden, der einfach nur zu mir passte.
Was war, wenn die große Liebe noch dort draußen war? Wenn ich sie nur nicht getroffen hatte, und einfach noch etwas hätte warten müssen?
„Ach Sarah, was tue ich, wenn er nicht der Richtige für mich ist? Wenn er nicht die große Liebe ist?“
Mit zusammengekniffenen Augen sah ich auf sie, die offenbar krampfhaft überlegte, was sie dazu sagen sollte.
„Was denn, wenn er die große Liebe ist? Was, wenn er dort drin auf dich wartet, und er es wirklich ist?“
„Was mache ich denn, wenn ich ihn nicht toll finde?“
Noch immer machte mir das richtige Sorgen. Was, wenn ich nicht dazu in der Lage wäre, die optischen Merkmale auszublenden? Konnte die große Liebe auch jemand sein, denn ich absolut nicht anziehend fand?
Am Ende war das eine meiner größten Ängste, denn ich war schon immer sehr auf Optik aus gewesen. Ich hatte es nie geschafft, diese Dinge auszublenden, egal wie sehr ich mich bemüht hatte. Nette Männer hatte es gegeben, einige sogar, aber nie war ich auf die Idee gekommen, einen von ihnen in mein Leben zu lassen. Egal wie höflich, gebildet oder erfolgreich sie waren, sie gehörten einfach nicht zu mir.
Wie oberflächlich das war, wusste ich selbst, aber ändern konnte ich nichts daran. Wer mich optisch nicht ansprach, hatte schlechte Karten, und daran würde auch die arrangierte Ehe nichts ändern.
„Augen zu und durch. Denk immer daran: Er ist perfekt für dich ausgesucht worden, und es hatte einen Grund, warum er es war. Das ist übrigens ein wirklich ganz tolles Kleid.“
Anerkennend strich sie über meine Hüfte, und ich freute mich. Auch ich hatte mich an diesem Morgen sensationell darin gefühlt, denn der Schnitt schmeichelte mir enorm. Ich hatte mich gefühlt wie ein neuer Mensch, wie jemand ganz anderes, und genau das wollte ich auch sein.
Obwohl ich die letzten Wochen immer wieder über die Farbe gegrübelt hatte, hatte ich am Ende meinem ersten Impuls den Vorrang gegeben. Ich hatte mich für Gelb entschieden, irgendwas in mir hatte diesen Entschluss gefasst, und jetzt fühlte es sich auch gut an.
All die Gedanken über die möglichen Signale, die das Kleid vielleicht sendete, waren in der hintersten Ecke meines Geistes verschwunden.
„Danke.“
Das Lämpchen neben der Tür sprang an, und mein Herz hörte auf zu schlagen. Gebannt starrte ich auf das kleine Licht, und fragte mich, wie lange ich jetzt noch würde warten können. Sekunden vielleicht, maximal Minuten, dann würde der Standesbeamte mich suchen.
„Es ist so weit. Es wird alles gut, Lottchen, ganz sicher. Er wird toll sein, du wirst toll sein.“
Sie schob mich Richtung Tür und klopfte mir auf die Schulter, was völlig ihrer Art entsprach. Sie war in solchen Dingen sehr viel sortierter als ich, und ging, wenn es nötig war, mit dem Kopf durch die Wand.
Wann immer ich zögerlich war, trat Sarah in den Vordergrund und regelte die Dinge. Weil sie furchtlos war, und immer wieder bewies, dass es am Ende gut ausging.
Ein wenig mehr zu sein wie sie, dafür hätte ich in dieser Minute alles gegeben.
Meine Hand fuhr zu der Türklinke, und ich wusste schon jetzt, dass ab jetzt alles in Zeitlupe passieren würde.

Der Gang bis zu dem Schreibtisch war nicht lang.
Einige Reihen leerer Stühle gähnten mich an, wo eigentlich hätten Gäste sitzen müssen.
Da wir keine hatten, wirkte das alles unwirklich und unecht. Warum nur, hatte ich nicht wenigstens einige wenige Gäste eingeladen?
Mein Blick wanderte über die schmucklosen Stühle, die kahlen Wände.
Weil niemand gekommen wäre. Keiner hätte das hier unterstützt, niemand den ich kannte, hätte das hier gutgeheißen.
Wie sollte man den Menschen in seiner Umgebung eine solche Entscheidung auch plausibel klar machen? Wie erklärte man Menschen, die ihre Partner allesamt auf normalen Wegen gefunden hatten, dass man selbst dazu nicht in der Lage war?
In all meinen Kindheitsvorstellungen hatte ich mir ein Prinzessinenkleid, Stuhlhussen und rosa Schleifen gewünscht. Gott und die Welt waren anwesend gewesen, alle hatten sich gefreut, und ich war glücklich an den Altar getreten, wo der Prinz mit dem Zahnpastalächeln bereits erwartungsvoll wartete.
Nichts davon würde nun wahr werden, das hier war mehr als schmucklos, und ich würde nie jemanden von meiner traumhaften Trauung und der Suche nach dem perfekten Hochzeitskleid erzählen können.
Nicht von dem Gefühl es zu tragen, nicht von betrunkenen Gästen auf der Feier danach, und von den Spielen, die unsere Freunde für uns organisiert hatten.
Es würde keine Anekdoten über singende Onkel, schlechte Hochzeitstorten oder kaltes Essen geben, keine Geschichten über vergossene Tränen und keinen ersten Tanz.
Nichts davon würde ich haben, obwohl ich es mir gewünscht hatte, und erst jetzt wurde mir klar, was ich mir mit dieser Entscheidung selbst alles genommen hatte.
Ich schritt durch die Türe und schloss sie hinter mir, während ich das Flimmern vor meinen Augen mit allen Mitteln zu verhindern versuchte.
Mein Herz schlug so schnell, dass ich glaubte fast zu platzen, und auch das dringende Bedürfnis, jetzt sofort zur Toilette zu hechten, verbannte ich in die letzte Ecke meines Geistes.
Ich drehte mich zu dem großen Tisch am Ende des Raums und versuchte, den Mann dahinter zu fixieren.
Nur langsam verflog das Flimmern, und ich atmete so tief wie möglich Luft in meine Lungen, um nicht auf der Stelle in Ohnmacht zu fallen.
Das Einzige, was ich wirklich sah, war das lächelnde Gesicht des Standesbeamten, weil ich mich einfach nicht traute, auf die Person vor dem Tisch zu blicken.
Sie war da, die Silhouette war am Rande meines Blickfeldes deutlich zu erkennen, aber ich erlaubte mir einfach nicht, den Blick tatsächlich auf ihn zu werfen.
Zu groß war meine Angst vor Enttäuschung, vielleicht auch vor meinem eigenen Fluchtreflex, und vor allem davor, dass sein Blick auf mich nicht so war, wie ich es mir erhoffte.
Ich konzentrierte mich auf den Beamten und ging voran, während meine Beine von Sekunde zu Sekunde mehr zitterten.
Ihn anzusehen war einfacher, verhinderte jedoch nicht, dass die Person vor dem Tisch dort trotzdem stand.
Er war groß, das sah ich aus dem Augenwinkel. Eine große Gestalt, die ich gleich heiraten würde, und mit der ich den Rest meines Lebens verbringen sollte.
„Frau Phillips, bitte kommen sie näher, ich würde ihnen gerne Herrn Willers vorstellen.“
Ich trat näher an den Tisch und zwischen die bereitgestellten Stühle, zwischen denen auch mein Ehemann stand.
Mein Mann, wie unwirklich das klang.
Immer hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, jemand als meinen Mann vorzustellen. Nicht meinen Partner, Freund oder Lebensgefährten. Als meinen Mann, der unwiderruflich und echt zu mir gehören würde.
In meiner Vorstellung hatte es gut geklungen, irgendwie angekommen und fertig, aber jetzt machte es mir erneut angst.
Mein Kopf hob sich, und ich sah grüne Augen, die freundlich und ehrlich aussahen.
Sofort fühlte ich mich besser, denn ich sah weder Panik noch Abscheu, was in meinen Alpträumen durchaus auch vorgekommen war.
Im schlimmsten meiner Alpträume hatte sich der Mann bei meinem Anblick sogar übergeben, und erschrocken war ich mitten in der Nacht aufgewacht. Schlaf hatte ich danach keinen mehr gefunden, auch wenn dieser Traum so absurd gewesen war.
Grüne Augen wie diese hatte ich noch nie gesehen, aber es gefiel mir.
Sie hatten die Farbe von Jade, irgendwie zu hell, um zu einem echten Menschen zu gehören, und aktuell sahen sie nur in meine.
„Herr Willers, das ist ihr wunderschöne Braut, bitte stellen sie sich vor.“
Der große Mann mit den grünen Augen nahm meine Hand, und entgegen meiner Befürchtung, fühlte es sich gut an. Nicht fremd, eher vertraut, und eindeutig beruhigend.
Sie war warm und liebevoll, hielt die meine, als sei sie etwas sehr Wertvolles, und ich nahm seine Nervosität deutlich wahr. Das schwache Zittern vibrierte in meiner Hand, und für Sekunde war ich nicht mal sicher, ob ich nicht selbst die Verursacherin war.
Ebenso gut konnte ich die sein, die zitterte, und deren Vibration sich auf seine Hand übertrug.
Ja, er fühlte sich gut an.
Mein Atem ging weniger schnell, und ich drückte die Hand in meiner, weil ich ihm die Angst nehmen wollte. Das hier sah gut aus, kein Grund, um es in Frage zu stellen.
„Hallo Braut, ich bin Damian, und ich habe lange auf dich gewartet.“
Wie süß. Mein Herz schmolz sofort, und ich gab mir alle Mühe, den Mann endlich ganz anzusehen, was mir noch immer schwerfiel.
Noch immer flimmerte die Aufregung vor meinen Augen, für Sekunden hatte ich befürchtet ohnmächtig zu werden, ohne den genauen Grund dafür zu kennen.
Die Masse an Eindrücken und Empfindungen machte es mir schwer, und mein Gehirn hatte alle Mühe, die vielen Informationen zu einer einzigen zu vereinen.
Groß, wirklich groß und schlank. Irgendwie drahtig, fast als mache er viel Sport.
Ein sportlicher Mann, mit schmalen Hüften und nicht zu breiten Schultern, dessen Anzug seine Figur perfekt spiegelte.
Grund genug, endlich etwas entspannter zu sein, denn das hier war nicht die von mir erwartete Enttäuschung.
Sein Gesicht war voller Sommersprossen, wie bei einem kleinen Jungen, und erstaunlicherweise hatte er rotes Haar.
Nie und nimmer hatte ich rote Haare attraktiv gefunden, eher furchteinflößend, aber ihm stand es irgendwie.
Es war kein leuchtendes Rot, eher wie rötliches Holz, und tatsächlich gefiel es mir. In keiner meiner Überlegungen hatte der Mann für mich so ausgesehen, aber ich fand ihn überraschend gut.
Erleichtert atmete ich aus und versuchte ein Lächeln, weil ich es wirklich war. Das hier war nicht schlimm, sogar überraschend gut, und keinesfalls das Horrorszenario, dass ich befürchtet hatte.
Alles an ihm schien zusammen zu passen, seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und ansprechend, und alles in allem fand ich die Wahl der Agentur mehr als gut.
Zum ersten Mal im Leben fand ich, dass meine eigenen Vorstellungen vom Mann meiner Träume, vielleicht überdacht werden müssten. In meinem Kopf hatte er anders ausgesehen, in allen Punkten, aber jetzt, mit diesem hier vor mir, kamen mir meine Wünsche nicht mehr korrekt vor.
Ja, ich fand ihn attraktiv und auch interessant. Seine Andersartigkeit sprach mich an, und hätte ich einen Man wie ihn auf der Straße getroffen, hätte ich mich für ihn interessiert. Vermutlich hätte ich mich umgedreht, schon alleine wegen dieser leuchtenden Augen, und ganz sicher auch, weil seine Statur genau dem entsprach, was ich an einem Mann attraktiv fand.
„Frau Phillips, bitte stellens sie sich ebenfalls vor.“
Ich sah auf den Beamten und dann auf Damian. Verdammt.
Gerade noch hatte ich mich erstaunlich gut gefühlt, und jetzt das. An einem so frühen Zeitpunkt schon meinen Namen zu nennen, das war nicht, was ich wollte. Natürlich war das hier logisch, aber fühlte sich deshalb nicht besser an.
„Ich bin Lottchen, und ja, das ist mein richtiger Name. Ich bin sehr aufgeregt.“
Der rothaarige Mann lächelte und drückte meine Hand, sagte jedoch nichts. Ich sah keine Vorurteile, kein Mitleid in seinem Blick, und schon alleine deshalb hatte er mein „ja“ verdient.
Nur selten hatte jemand so wenig auf den Namen reagiert, nicht mal ein Zucken seiner Augenbraue oder ein Blitzen seiner Augen waren mir aufgefallen. Er war also entweder ein sehr guter Lügner, oder machte sich wirklich nichts daraus.
Beides war für mich in Ordnung, für mich zählte nur, dass er nicht schallend darüber lachte oder mich verspottete, und damit die Situation noch unerträglicher machte.
„Wie schön, dann kommen wir zum wichtigen Teil.“

Ich hörte nichts, ich starrte nur. Ich hörte nicht ein Wort von dem, was der Standesbeamte sagte.
Das Einzige, was ich überhaupt wahrnahm, war er.
Sie hatten ihn gut gewählt, auch wenn ich meine eigenen Angaben nun wirklich nicht in ihm fand. Was auch immer ich in dem Test zum Thema Optik angekreuzt hatte, er war ganz anders.
Trotzdem gefiel er mir, ich mochte seine Augen und sein Lächeln, und auch, dass er noch immer meine Hand hielt.
Dass sie wirklich jemanden präsentierten, der all meine Kriterien entsprach, hatte ich nicht geglaubt. Dass sie allerdings jemanden finden würden, der nichts von all dem war, und mich trotzdem so faszinierte, damit auch nicht.
Er schien ruhiger zu sein als ich, weniger zappelig, und er roch verdammt gut. Männer, die gut rochen und ruhig waren, waren immer im Vorteil.
Mein hibbeliges Ich fühlte sich von Ruhe angezogen, vermutlich weil ein Teil von mir sich danach sehnte, und er schien die perfekte Ergänzung dazu.
Binnen weniger Minuten hatte mein Geist diesen Mann gescannt, einsortiert und für gut befunden.
Auch der Anzug, den er trug, gefiel mir. Sogar die Tatsache, dass er auf eine Krawatte verzichtet hatte, tat mir irgendwie gut. So leger passte er zu mir und dem gelben Kleid, was so unkonventionell war.
Auch das bestätigte mich irgendwie, wir hatten uns einander angepasst, obwohl wir kein einziges Wort miteinander gesprochen hatten.
Er schien von Haus aus elegant, es sah weder verkleidet noch unbequem aus, und tatsächlich machte es den Eindruck, als würde er genau so auch jedem anderen Tag aussehen.
Die meisten Männer sahen in Anzügen dämlich aus, meistens passten sie auch nicht richtig, aber seiner saß auf seinem Körper, als hätte er noch nie etwa anderes getragen.
Neben ihm sah mein gelbes Kleid ebenso locker aus, und tatsächlich schienen wir beide das gleiche Ziel verfolgt zu haben: nicht starksig zu wirken.
Auch das bestätigte uns, jedenfalls sah ich das so, und ich wurde von Sekunde zu Sekunde zufriedener.

„...möchten sie, Lottchen Phillips, den hier anwesenden Damian Thomas Willers zu ihrem Ehemann nehmen?“
Ich nickte, weil mir die Spucke für eine Antwort fehlte. Stattdessen starrte ich weiter in die grünen Augen, und stellte mir vor, wie diese nur mir alleine gehörten.
Unschön war der Gedanke nicht, irgendwie sogar ziemlich siegreich, denn zu diesem Mann zu gehören, schien mir nicht die schlechteste Option.
Der Beamte räusperte sich, einmal und auch noch ein zweites Mal, aber ich reagierte nicht.
„Lottchen, wenn du das hier willst, dann musst du „ja“ sagen.“
Die angenehme Stimme meines Gegenübers klang weder verärgert noch hektisch, und ich erwachte aus meiner Starre. Es klang liebevoll, vielleicht sogar verständnisvoll, und auch das fühlte sich gut an. Viel zu oft waren Männer mir mit Ungeduld und Verständnislosigkeit begegnet, und immer hatte ich mir jemanden gewünscht, der mir die Zeit mit den Dingen ließ, die ich für mich selbst brauchte.
„Ja! Ja, sicher will ich!“
Sofort schämte ich mich, weil ich so wahnsinnig aufgeregt und überschwänglich klang. Ich wollte eigentlich die Kontrolle über mich behalten, auf keinen Fall verzweifelt wirken, aber nun tat ich es doch.
Er drückte meine Hand und grinste spitzbübisch, was kleine Falten um seine Augen erscheinen ließ.
Der Mann vor mir strahlte so hell, dass mein Herz für eine Sekunde still zu stehen schien.
Alter Schwede, was hatte ich da bloß für eine mega Mann erwischt!
Wenn das meine Zukunft war, und ich jeden Morgen mit diesem Lächeln aufwachen würde, dann waren 3000 Euro wirklich eine lächerlich kleine Summe.
Mein Magen hüpfte aufgeregt, denn die Aussichten waren wirklich rosig, ganz wie von der Agentur versprochen.
„Damian Thomas Willers, wollen sie die hier Anwesende...“
„Ja, will ich.“
Er ließ den Mann gar nicht aussprechen und antwortete wie aus der Pistole Geschossen. Enttäuscht sah der Beamte erst auf ihn und dann mich, und beschloss dann wohl, dass es ihm auch egal sein konnte.
Das fast unmerkliche Zucken seiner Schultern sah vermutlich nur ich, und auch die minimal nach oben gezogenen Augenbrauen, wären vermutlich kaum jemandem wirklich aufgefallen.
Er musste das hier nur hinter sich bringen, dann konnte er nach Hause gehen. Wir waren ein Fall, eine Akte, nichts Besonderes.
Auch wenn es für uns ein einmaliges Erlebnis war, so hatte er dieses Programm vermutlich schon vielfach abgespult. Ich sah in seinen Augen, dass er die Beschleunigung der Situation im Grunde begrüßte, und dann, wie er nach dem Kissen mit den Ringen griff, was ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht mal bemerkt hatte.
„Na dann, die Ringe...“
Ich sah winzige goldene Reifen darauf, zusammengehalten mit einem schmalen Satinband. Nicht auffällig, eher zurückhaltend, aber eindeutig.
Da war es also, dass Zeichen für die Ewigkeit, was jedem dort draußen sichtbar machen würde, dass wir zusammengehörten. In ein paar Sekunden würde jeder an jedem neuen Tag sehen, dass ich zu Damian gehörte. Was für ein sensationeller Gedanke.
Auch wenn ich mir im Vorfeld überlegt hatte, den Ring nicht tragen zu wollen, fand ich die Vorstellung nun nicht mehr so abwegig. Was sprach dagegen, das Zeichen unserer Ehe auch zu tragen?
Warum noch gleich hatte ich vor all dem solche Panik gehabt? Und warum hatte ich geglaubt, dass der für mich gewählte Mann, vielleicht nicht passen würde?

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen!“
Der Standesbeamte hob auffordernd beide Hände, und mein Herz hörte auf zu schlagen.
Küssen?
Wo in dem Vertrag hatte das gestanden?
Hatte ich diese Passage überlesen, oder glaubten sie wirklich, dass ich einen absolut Fremden einfach so küssen würde?
Die letzten Sekunden, direkt nach dem Anstecken des Ringes, hatte ich im Nebel verbracht. Gebannt hatte ich auf den Reif gestarrt, den ich ihm angesteckt hatte, und dabei darüber nachgedacht, was für schlanke, gepflegte Hände er doch hatte.
Die beiden identischen Reifen, vereint auf unserer beider Hände, hatten tatsächlich so gewirkt, als seien wir nun zwei zueinander passende Puzzleteile.
Das danach noch etwas kommen würde, hatte ich in diesem Moment ausgeklammert.
Auch wenn ich den Mann bisher super fand, kam küssen eigentlich nicht frage.
Ich tat mich ohnehin schwer mit ersten Küssen, erst recht, wenn jemand daneben stand. Einen völlig Fremden vor einem völlig Fremden zu küssen, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Panisch sah ich in das Gesicht von Damian, der unschlüssig auf das Häufchen Ich sah. Auch er schien sich dieser Sache nicht sicher, was irgendwie beruhigend war, mich aber auch enttäuschte. Ich war sie also nicht, die große Liebe auf den ersten Blick, bei der man den Kopf verlor.
Wenn ich sie gewesen wäre, dann hätte er sicher anders reagiert, und mich auf der Stelle geküsst.
„Du musst nicht, wenn du nicht willst“, hörte ich ihn flüstern.
Wenn ich jetzt „nein“ sagte, würde ich es vielleicht bereuen? Wenn es mit ihm gut lief, würde ich dann die nächsten zwanzig Jahre bereuen, dass es diesen Kuss nicht gegeben hatte?
„Ich weiß nicht...“
„Auf die Wange?“
Er strich mit der rechten Hand über meine Wange, während die Linke noch immer meine Rechte hielt.
Mein Kopf nickte, obwohl ich mir noch immer unsicher war. Diesen ersten Moment würden wir nicht wiederholen können. Wenn es so war, wie die Agentur versprach, würde das hier meine einzige Chance auf einen Hochzeits-Kuss sein.
Wie sollte ich das unseren Kindern erklären? Wie unseren Enkeln?
Wie sollte ich jemals über diese Sache sprechen, wenn es nicht mal einen romantischen Kuss gegeben hatte?
Im Geiste ging ich alle Möglichkeiten durch, keine davon klang nach einer großen Liebesgeschichte, obwohl das hier doch nun wirklich nach einer aussah.
Wenn sich das hier zu etwas Gutem entwickelte, würde nicht ein Kuss unweigerlich dazu gehören?
Auch wenn es vielleicht nicht die alles überlagernde, weltverändernde Liebe auf den ersten Blick war, so konnte doch etwas daraus entstehen.
Würde nicht Damian das auch von mir erwarten? Dachte er, wenn ich es nicht tat, vielleicht gleich, ich würde ihn nicht wollen?
Ich fand ihn gut, also war das definitiv nicht mein Ziel. Ich selbst wusste nur zu gut, wie sich Ablehnung anfühlte. Ihm wollte ich dieses Gefühl nicht vermitteln, nicht schon vor dem Start in unser neues Leben, also würde ich über meinen Schatten springen müssen.
Damians Kopf neigte sich, und ich entschied mich in letzter Sekunde dazu, dass ich einmal in meinem Leben wirklich mutig sein würde.
Meine Lippen trafen auf seine, und ich fühlte, wie er sich anspannte. Kurz zuckte er zurück, aber ich folgte der winzigen Bewegung, damit ich die Verbindung nicht verlor.
Ich drückte meine Lippen auf seine und versuchten das Gefühl zu eruieren, dass es in mir auslöste.
Fühlte es sich gut an? Ja. Wollte ich, dass es aufhörte? Nein.
Tatsächlich waren seine Lippen weich, und kaum hatte er gespürt, dass ich ihm nicht auswich, ließ die Anspannung in seiner Haltung nach.
Sekunden standen wir einfach nur da, und taten absolut nichts.
„Was für ein schönes Paar! Ich gratuliere ihnen im Namen der Agentur und wünsche ihnen alles erdenklich Gute!“
Die Lippen wichen von meinen, und sofort fühlte ich Verlust.
Traurig und verwirrt sah ich zu dem Beamten, der schon dabei war, seine Unterlagen in einer schwarzen Kladde zu verstauen.
Das war es schon? War ich jetzt wirklich verheiratet?
Ich sah auf Damian, der ähnlich verwirrt aussah, wie ich.
„Sind wir jetzt verheiratet?“
Seine Stimme klang unsicher und sie spiegelte meine eigene Empfindung perfekt wieder.
Aus mir unbekannten Gründen hatte ich mehr erwartet. Was genau, das konnte ich nicht mal benennen.
Aber wenn es so kurz und unspektakulär war, warum machten dann alle einen riesen Aufstand darum? Wenn der Akt an sich doch so unspektakulär war, warum machten dann alle so eine große Sache daraus?
Planten Frauen wirklich monatelang etwas, dass am Ende eine so banale Veranstaltung war?
„Ja, sind sie. Ihre Urkunde übersende ich ihnen in Kürze, ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“
Der Mann klemmte die Kladde mit Unterlagen unser beider Unterschriften unter den Arm, und trat hinter dem Schreibtisch hervor.
Erst jetzt wurde mir klar, dass ich soeben eine Unterschrift geleistet hatte, an die ich mich gar nicht wirklich erinnerte.
Irgendwann zwischen den vielen Worten, von denen ich mich an absolut keins erinnerte, hatte er mir ein Schriftstück vorgelegt. Ich hatte unterschrieben, Damian hatte das auch getan, und ich hatte irgendwo in einem Winkel meines Geistes darüber nachgedacht, dass er eine wirklich schöne Unterschrift hatte.
Groß und geschwungen, etwas zu filigran für einen Mann.
Was das bedeutete, hatte ich diesem Augenblick nicht begriffen. Ich hatte unterschrieben, und gar nicht darüber nachgedacht, wie offiziell das Ganze damit wurde.
Ich war verheiratet, auf dem Papier und vor allen nur möglichen Ämtern.
Soeben hatte ich einen Schritt gemacht, den ich so schnell nicht würde rückgängig machen können. Die Unterschrift besiegelte es, und wenn der Mann das Blatt nun aus diesem Zimmer trug, dann würde ich keinen Zugriff mehr darauf haben.
Er würde es an alle möglichen Ämter faxen, es würde an jede nur erdenkliche Stelle weitergeleitet werden, und irgendwo in einem Büro, würde jemand in meiner Akte ein Kreuzchen setzen. „Verheiratet“ würde dort nun stehen, und ich würde nichts dagegen tun können.
Meine Unterschrift würde sich zu einem Selbstläufer entwickeln, ich würde nichts dagegen tun können, und früher oder später würde auch der letzte Mensch wissen, dass ich sie geleistet hatte.
Panik stieg in mir auf, denn meinem Charakter entsprechend machte mir alles Angst, was ich nicht kontrollieren konnte.
Solange ich die Kontrolle hatte, die Dinge beeinflussen konnte, war alles gut. Das hier konnte ich nicht mehr beeinflussen, es ging jetzt einfach ohne mich seinen Weg, und das war purer Horror.
Erschrocken sah ich dem Beamten und er Kladde hinterher, und überlegte, ob ich sie ihm einfach würde entreißen können.
Jetzt hatte ich noch die Chance dazu, ich könnte ihn K.O. schlagen, ihm das dämliche Ding entreißen, und das Blatt vernichten.
Jetzt hatte ich Damian ja gesehen, ihn für gut befunden, und eigentlich gab es keinen Grund, die Dinge so zu überstürzen. Wir würden uns doch auch ohne das Blatt kennenlernen können, und vielleicht würde er das auch wollen?

„Und jetzt?“
Ich sah auf Damian, der zusah, wie der Beamte an uns vorbei zu der Tür stapfte.
Ganz eindeutig war diese für uns so große Sache jetzt erledigt, und eindeutig wollte er uns jetzt schnellstmöglich loswerden.
„Ich weiß nicht, willst du vielleicht etwas essen?“
Nein. Nein, ich wollte nichts essen. Wenn es etwas gab, was ich aktuell nicht wollte, dann etwas essen. Hunger hatte ich nicht, nicht im geringsten, und nichts lag mir ferner.
Ich war aufgewühlt, von der Situation überfordert, und wollte eigentlich nur noch nach Hause. An einen Ort den ich kannte, mit Dingen, die ich kannte, an dem ich all das hier vergessen konnte.
„In Ordnung.“
Ich hatte die Worte gesprochen, ohne dass ich es wollte.
In Wirklichkeit hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, was nach der Trauung passieren würde. Meine Gedankengänge hatten genau bis zu diesem Zimmer gereicht, vielleicht auch noch bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich ihn mit in meine Wohnung nehmen würde. An die Zeit dazwischen, allerdings, hatte ich nicht gedacht.
In weiser Voraussicht hatte ich das Bett im Gästezimmer bezogen, weil ich mir sicher war, dass auch er nicht schon in der ersten Nacht in meinem Bett schlafen wollen würde.
Es war schon schwer genug, mit jemanden den man kannte das Bett zu teilen, aber mit einem völlig Fremden? Auch wenn ich ihn gut fand, und bis jetzt eigentlich vertrauen zu ihm hatte, ging das doch zu weit.
Auch wenn wir jetzt von Amts wegen aneinander gebunden waren, würde das wohl keiner von uns wollen.
Was tat man also nach einer Trauung, mit einer völlig unbekannten Person?
Essen gehen schien mir ein geringes Übel, vielleicht sogar eine gute Gelegenheit ein Gespräch zu beginnen.
Auch wenn mir der Sinn nicht nach einem Lokal war, so schien mir die Idee bei genauerer Betrachtung doch sinnvoll. Irgendwie mussten wir einander kennenlernen, damit es einfacher wurde, und ich mich nicht mehr damit schlecht fühlen würde, ihn mit zu mir zu nehmen.
Dass er, im Gegensatz zu mir, einen Plan hatte, fühlte sich allerdings wirklich gut an.
Wenn das die Ehe war, dann fand ich sie pauschal schon mal gut. Wenn Ehe hieß, dass man nicht mehr alleine über alles nachdenken musste, dann würde es mir gefallen.
Auch das war ein Grund für die Agentur gewesen. Ich war es leid, ständig alle Entscheidungen alleine zu treffen. Ich sehnte mich danach, dass es jemand für mich tat, ohne mich damit zu verletzen.
Ich hatte mir jemanden Gleichberechtigtes gewünscht, jemand der mit mir auf Augenhöhe war. Jemand der Entscheidungen fällte, die ich dann mit ihm trug, und der das Gleiche für mich tat.
Auch wenn es hier nur um ein Essen ging, so war es doch eine Entscheidung. In einem Moment, in dem ich unfähig zu einer klaren Entscheidung war.
Ich wollte genau das, mehr als alles andere, denn es machte mich wahnsinnig. Ständig Dinge zu entscheiden, was ich tat, oder was ich zu Abend aß.
Es schien mir wunderbar, dass jemand für mich entschied, oder zumindest einen Vorschlag machte.
Dass Damian dieser Mensch sein konnte, darauf setzte ich alle meine Hoffnungen. Wenn sie ihn gut ausgesucht hatten, woran momentan kein Zweifel bestand, dann würde er es können.
Er würde mir die Lasten nehmen, und ich würde mich gut damit fühlen.

Ich ließ mich von Damian aus dem Zimmer führen, vor dessen Tür der Beamte schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen wippte.
„Ich wünsche ihnen beiden ein schönes Leben, empfehlen sie uns weiter!“
Vielleicht. Vielleicht würde ich das tatsächlich tun.

 

„Du hast deinen Strauß vergessen.“
Ich sah auf die große Glastüre hinter uns und auf meine leeren Hände.
Wie ich den Weg nach draußen auf die Straße überhaupt gefunden hatte, konnte ich nur Damian zuschreiben. Er hatte meine Hand nicht losgelassen, mir sogar die Türe aufgehalten, während ich noch völlig neben mir stand.
Hatte ich gerade wirklich geheiratet?
Ich fühlte mich wie auf Drogen, als hätte ich viel zu viel auf nüchternen Magen getrunken, und keinesfalls zurechnungsfähig.
Die letzte Stunde war wie ein Film an mir vorbei gelaufen, ohne dass ich wirklich viel davon mitbekommen hatte, und alles war in meinen Augen viel zu schnell vorbei gewesen.
Der schöne Strauß allerdings lag auf dem Schreibtisch in dem kahlen Raum, ich hatte ihn tatsächlich vergessen.
„Ach, verdammt!“
Mein Ärger war echt, denn eigentlich hatte ich den Strauß trocknen und als Erinnerung behalten wollen.
Das es nicht mal Bilder von der Veranstaltung geben würde, darüber hatte ich ebenfalls keinen Gedanken verschwendet. Nicht ein Bild, dass zu einer peinlichen gerahmten Erinnerung werden würde.
Wieso hatte es dazu nicht ebenfalls eine Klausel im Vertrag gegeben, und warum war eine eigentlich so wichtige Sache einfach vergessen worden?
Dass mich der dämliche Beamte weder auf das Eine noch das Andere aufmerksam gemacht hatte, machte ihn mir immer unsympathischer. Schon auf meinem Weg nach draußen hatte ich ihn auf die Liste der Menschen gesetzt, die ich nicht leiden konnte.
Weil er das alles viel zu schnell, viel zu unpersönlich, und nicht zu meiner Zufriedenheit abgewickelt hatte. Was genau anders hätte laufen müssen, konnte ich noch nicht einmal festmachen.
Das hier sollte etwas Besonderes werden, ein ganz besonderer Tag, und er hatte ihn mir versaut. Vermutlich hatte er schon hunderte Trauungen hinter sich gebracht, aber für mich war es die Erste gewesen. Auch wenn die Agentur ansonsten alles perfekt geplant hatte, so war das hier absolut nicht befriedigend.
Sofort überlegte ich, einen ausführlichen Beschwerdebrief zu schreiben, in dem ich meinem Unmut Luft machen würde. Auch wenn wir beide um eine unauffällige, einfache Hochzeit gebeten hatten, so war das hier doch eine Spur zu einfach gewesen.

„Soll ich ihn holen gehen?“
Damian zeigte auf die Türe und hob eine Augenbraue, aber ich schüttelte den Kopf.
„Nein, ist schon in Ordnung.“
Auf keinen Fall wollte ich zurück in das Gebäude, und Damian sollte auch nicht dorthin zurück.
Wir würden das hier vergessen, und irgendwann in unserer Erinnerung diese Dinge einfach schönreden. Wir würden über den besonderen Moment unserer ersten Begegnung sprechen, vielleicht sogar über den verlorenen Strauß oder den ersten Kuss, aber ganz sicher nicht über das Gebäude und den Ablauf.
„Ich kann ihn holen, wenn es dir wichtig ist? Aber du bist auch so wunderschön, für mich braucht es den Strauß nicht.“
Wie süß. Wann mir das letzte Mal jemand so etwas Nettes gesagt hatte, daran erinnerte ich mich nicht. Seine Worte versöhnten mich etwas mit der Situation, auch wenn ich mich noch immer völlig verloren fühlte.
„Danke, aber ist wirklich in Ordnung. Du siehst auch gut aus, der Anzug steht dir gut.“
Ich wollte ihm das Kompliment gerne zurückgeben, aber machte man Männern überhaupt welche? Würde er sich doof dabei vorkommen, oder glaubte er mir vielleicht nicht? Vermutlich hatte ich noch nie einem Mann ein solches Kompliment gemacht, ich konnte mich jedenfalls nicht daran erinnern. Machte man sowas?
„Ist neu. Ich trag sowas normalerweise nicht.“
Er strich über die Jacke und sah an sich hinab, aber ganz eindeutig freute er sich.
Entgegen meiner Vermutung trug er also nicht öfter Anzug. Erstaunlich, wie sicher er sich trotzdem darin bewegte.
„Wohin sollen wir jetzt gehen?“
Ich sah die Straße hinab und überlegte, wo ich denn nun genau mein Auto abgestellt hatte. Vor lauter Aufregung hatte ich darauf gar nicht geachtet, und vermutlich stand es nicht dort, wo ich es gerade vermutete.
Ich war wie ferngesteuert hierher gefahren, wie ferngesteuert ausgestiegen, und wie ferngesteuert in das Gebäude gegangen. Manchmal passierte mir das auch auf dem Supermarktparkplatz, gerade dann, wenn ich in Eile war. Ich parkte, ging, und am Ende fragte ich mich, von wo überhaupt ich gekommen war. Auch heute war es so, und in meinen Gedanken sah ich uns beide völlig planlos durch die Straßen laufen, auf der Suche nach meinem verlorenen Wagen.
„Ich kenne ein nettes Lokal hier in der Nähe?“
Er machte eine ausladende Handbewegung in die entgegengesetze Richtung, in der ich aktuell mein Auto vermutete.
Sollte ich den Wagen jetzt einfach stehen lassen?
Auch darüber hatte ich mir keinerlei Gedanken gemacht, ich fuhr immer mit meinen Wagen irgendwo hin. Dass er auch einen haben würde, darüber hatte ich nicht nachgedacht. Wie genau sollte das jetzt alles organisiert werden?
Unentschlossen sah ich erst in die eine, dann in die andere Richtung.
„Mein Auto steht dort hinten...“
„Wir können laufen, es ist nicht weit. Wir können es später holen.“
„Und was ist mit deinem?“
„Ich habe kein Auto, ist kein Problem.“
Kein Auto? Hatte ich das gerade richtig verstanden? Hatte er gerade wirklich gesagt, dass er keinen Wagen besaß?
Mein Auto war mein ein und alles, ich liebte es über alles, und wie konnte ein erwachsener Mann, keines haben?
„Kein Auto?“
Mit großen Augen sah ich auf den riesigen Mann, der für mich absolut nicht wie jemand wirkte, der kein eigenes Auto besaß.
Warum? Warum sollte jemand keines besitzen? Man musste doch von A nach B kommen, man musste doch einkaufen, arbeiten, durch die Gegend fahren?
Ich war fassungslos.
„Ich brauche keins. Ich war lange im Ausland, da hab ich keins gebraucht, und bis jetzt hab ich es noch nicht vermisst.“
Keins brauchen? Wie kam man dann überhaupt vom Fleck?
Warum tat sich jemand freiwillig die öffentlichen Verkehrsmittel an, wo selbst fahren doch so einfach war?
Bei genauerer Betrachtung kannte ich sicherlich keinen erwachsenen Menschen, der nicht im Besitz eines Führerscheins und eines Autos war. Wir alle fuhren Auto, jeder den ich kannte tat es, und wie überlebte man ohne einen Wagen in der Stadt?
„Aber du hast einen Führerschein?“
Bitte sag jetzt nichts Falsches. Bitte sag nicht, dass du keinen hast. Ich wiederholte das Mantra, weil es außerhalb meiner Vorstellungskraft lag, das mein Ehemann nicht mal einen Führerschein besaß.
„Sicher hab ich den. Ich kann praktisch alles fahren, aber ich habe eben aktuell kein Auto. Ist das ein Problem?“
Ja, war es. Der Mann meiner Träume hatte ein Auto. Nirgendwo in dem Fragebogen hatte etwas davon gestanden, dass ich einen Mann ohne Auto bekommen würde.
„Nein, kein Problem. Wo ist das Lokal?“
Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Gut, er hatte kein Auto. Wenn er im Ausland gelebt hatte, ergab das ja vielleicht auch Sinn.
Autos konnte man kaufen, dieses Problem war nicht unlösbar.
Moment. Er hatte im Ausland gelebt? Warum?
Bevor ich ihn danach fragen konnte, setzte er sich in Bewegung. Wie ferngesteuert folgte ich ihm, und nahm zum ersten Mal wahr, dass seine Bewegungen irgendwie nicht flüssig waren.

Von der Seite sah ich auf Damian, dessen Gang mich noch immer verunsicherte. Was stimmte da nicht, und warum bemerkte ich es erst jetzt?
Ein wenig schien er zu hinken, auf eine merkwürdige Weise, und sein linker Unterschenkel schwang bei jedem Schritt auf eine seltsame Art nach außen.
Ein wenig schien es, als würde sein Kniegelenk nicht richtig einknicken, und um so länger ich darauf sah, um so merkwürdiger fand ich es.
Ich versuchte, nicht zu sehr zu starren, das wäre wohl unhöflich und unangebracht, aber ganz verkneifen konnte ich es mir nicht.
Hatte er eine Verletzung? Und wenn dem so war, durfte ich ihn danach fragen?
„Geht es dir gut?“
Ohne zu stoppen, sah er mich an und die grünen Augen trafen mich erneut wie ein Schlag ins Gesicht.
Wie konnte jemand so hellgrüne Augen haben?
„Ja, wieso?“
Was sollte ich sagen? Ihn darauf ansprechen? Obwohl wir absolut nichts übereinander wussten?
Ich selbst mochte es nicht, wenn die Leute mich direkt auf meinen Namen ansprachen. Es verunsicherte mich, und sorgte dafür, dass ich mich zurückzog. Wenn es ihm ebenso ging, dann war das hier sicher der falsche Zeitpunkt.
Vielleicht würde er es mir von alleine erzählen, irgendwann, wenn wir uns besser kannten.
Vielleicht gab es auch gar nichts zu wissen, außer vielleicht von einem verstauchten Knie, was in der Hektik der Tage vor unserer Hochzeit entstanden war.
Vielleicht war gestolpert, in der Aufregung des Morgens vor diesem besonderen Tag, und hatte sich dabei verletzt. Auch mir hätte das ohne weiteres passieren können, es hätte mir sogar ähnlichgesehen, und eigentlich sollte ich es heldenhaft finden, dass er seinen Schmerz anscheinend einfach herunterschluckte, nur um mir nichts zu verderben.
„Du hast mich gerade geheiratet, die Frage ist nicht aus der Luft gegriffen.“
Ich entschied mich für den leichten Weg, den, den wir beide gerade würden aushalten können. Nicht zu weit in den Sicherheitsbereich des anderen vorzudringen, auch dazu hatte die Agentur geraten, und immer wieder in ihren Texten betont, dass man auf keinen Fall mit der Türe ins Haus fallen sollte.
Sicher war es ein Fehler die Dinge zu überstürzen, zu forsch zu sein, und den anderen vor den Kopf zu stoßen.
Was ich mir sicher abgewöhnen musste, was zu misstrauisch zu sein und immer das Schlimmste zu erwarten. Nichts bisher sprach dafür, und eigentlich lief es doch gut.
Dieses ewige Lauern auf die nächste Katastrophe hatte ich mir abgewöhnen wollen und jetzt war auf jeden Fall der richtige Zeitpunkt dafür.
Für unangenehme Dinge würden wir viel Zeit haben, und wenn es nach Plan lief, dann sogar ein ganzes Leben.

Das Lokal war klein und irgendwie niedlich.
Schon von außen hatte es gewirkt wie aus der Zeit gefallen, und ich hatte mich gewundert, dass Damian gerade diesen Ort für unser Essen gewählt hatte.
Der schicke Anzug hatte eine andere Sprache gesprochen, ich hatte Eleganz und etwas mehr Modernes erwartet, aber er schien sich seiner Sache sicher.
Rustikal und einfach, nichts, was ich gewählt hätte, schon gar nicht für diesen Anlass, aber durchaus gemütlich.
Ein wenig erinnerte es mich an die Lokale meiner Kindheit, sehr dörflich und familiär, was in einer großen Stadt wie dieser sicher ungewöhnlich war.
Es gab nur wenige Tische, eingedeckt mit rustikalen Wiesenblumen in Tontöpfen. Alles in allem hatten hier vielleicht zwanzig Leute platz, und an einem normalen Wochentag wie diesem, war nicht mal die Hälfte davon besetzt.
Auch die Einrichtung war einfach gehalten, als wäre die Zielgruppe für das Lokal eher einfach gestrickt, und irgendwie kam ich mir mit dem schicken Kleid etwas deplatziert vor. Hier saßen sonst sicher eher Handwerker oder Arbeiter, keine Frauen in Etui-Kleidern, und auch nicht jemand wie Damian, dessen Anzug hier auch völlig unpassend schien.
„Damian, das ist ja eine Überraschung!“
Eine dickliche Frau mit grauen Haaren und einem perfekten Dutt stürmte mit weit aufgerissenen Armen auf uns zu, kaum hatten wie den Raum gänzlich betreten.
Irritiert trat ich zu Seite, aus lauter Angst die Dame könnte mich einfach über den Haufen Rennen, und sah gebannt auf die merkwürdige Szenerie.
Die Dame schien völlig außer sich, fast als handelte es sich um einen verloren gegangen Sohn, der endlich nach Hause kam.
Was war das hier, und wer zur Hölle war diese Frau?
„Ich bin wieder da, schön dich zu sehen.“
Damian drückte die Frau, und sofort wurde mir klar, dass sie ihn liebte. In ihrer Umarmung lag alles, wonach ich mich sehnte, und ich wünschte mir augenblicklich, dass sie mich auf die gleiche Art umarmen würde.
So irritierend sie auch in der ersten Sekunde gewirkt hatte, so ehrlich schien ihre Zuneigung, und tatsächlich stach es mir ins Herz, dass es in meinem Leben niemanden gab, der sich so dermaßen über meine Anwesenheit freute.
„Mein Junge, es ist eine solche Freude dich zu sehen! Und was für eine wunderschöne Frau bringst du mir da mit!“
Ohne ihn loszulassen, sah sie auf mich, und ein wenig schämte ich mich. Jetzt hatten mir bereits drei Menschen an diesem Tag gesagt, dass ich wunderschön war.
War jetzt der Punkt, an dem ich es glauben konnte?
„Das ist Lottchen, meine Frau.“
Er hatte sich meinen Namen gemerkt. Das alleine schien mir schon ein Wunder. Und er hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt, als er der dicklichen Frau diesen genannt hatte.
Hin-und hergerissen zwischen Bewunderung, Freude und Verstörung, sah ich den beiden zu, wie die Frau noch immer Damian an sich drückte.
Ich erinnerte mich an keinen Augenblick in meinem Leben, an dem meine eigenen Eltern so mit mir umgegangen waren, und auch das tat schmerzlich weh. War das hier seine Mutter? Und warum waren wir jetzt hier?
Wenn es seine Mutter war, warum hatte er mich nicht vorgewarnt?
Da er groß war, und die Frau eher klein, war es ein merkwürdiges Bild. Liebevoll, aber durchaus merkwürdig.
„Oh, mein Lieber! Das hast du uns gar nicht erzählt! Wie konntest du uns so etwas Wichtiges verschweigen!“
Die Frau ließ ihn los, nur um dann sofort ihre speckigen Arme um mich zu schlingen.
Kurz war ich in Versuchung sie abzuwehren, ließ es aber dann doch zu. Es fühlte sich warm und liebevoll an, ganz so wie in meiner Vorstellung, und es fiel mir erstaunlich leicht, die Umarmung zu erwidern.
Auch wenn ich nichts von all dem hier verstand, so tat es doch gut, dass offenbar jemand auf unserer Seite war. Jemand fand uns zusammen gut, fand unsere Ehe gut, und freute sich sogar darüber. Das war genau die Art von Zuspruch, die ich gerade dringend brauchte, und vermutlich ging es Damian genauso.
Vielleicht war das die Erklärung für diesen Laden, und wenn es so war, bestätigte es nur die gute Wahl, die die Fachleute getroffen hatten. Er hatte mich hier hergebracht, damit wir uns beide besser fühlten, uns zusammen besser fühlten, und dafür sollte ich ihm wirklich vertrauen entgegenbringen.
„Ach, was für ein Wunder! Was für ein wundervoller Tag, meine Liebe!“
Mir blieb die Luft weg, den sie umfasste mich noch fester. Sie drückte ihre dicken Brüste an meinen Brustkorb und schunkelte mich wie ein kleines Kind daran.
Eben noch hatte ich mir das gewünscht und es genossen, jetzt bekam ich Panik. Was in den ersten drei Sekunden noch tröstlich gewesen war, versetzte mich nun in einen verstörenden Zustand. Was tat sie da, und warum?
Seit wann waren fremde Menschen so? In meinem Umfeld gab es diese Sorte nicht, man hielt sich dezent zurück, und überschüttete andere nicht mit Liebe.
Weder in meiner Familie noch in meinem Freundkreis war man je so mit mir umgegangen,und mir fehlte daher jedes Verständnis für diesen überschwänglichen Gefühlsausbruch.
Die Menschen in meinem Leben hielten sich zurück, sie hätten vielleicht meine Hand geschüttelt oder ein Lächeln versucht, aber dieser Frau hier kam mir vor, als würde sie mich auf der Stelle mit Haut und Haaren fressen.
Warum tat sie das, obwohl sie mich nicht kannte?
Ich sah zu Damian, der die Ernsthaftigkeit der Situation sofort erkannte.
„Sie kriegt keine Luft mehr, Amalie. Nicht so fest!“
Die Dame ließ los, und ich sah Tränen in ihren Augen. Auch dieser Emotion schien mir fremd und unpassend, man freute sich nicht so dermaßen für fremde Menschen, und jemand wie ich, hätte es ganz sicher bei sich selbst niemals zugelassen.
Wenn ich mich freute, dann still.
Sie allerdings, in ihre moppeligen Gänze, schien sich aus all dem nichts zu machen.
„Lass mich doch, ich freu mich so für euch!“

„Tut mir leid, sie ist manchmal etwas überschwänglich.“
Verstört nahm ich auf dem Stuhl platz, den Damian für mich vorgesehen hatte.
Zu sitzen tat gut, dass alles hatte mich überfordert, und verstanden hatte ich es auch nicht. Wer ging so mit anderen Menschen um?
Nicht mal meine Mutter verhielt sich so, und um ehrlich zu sein, auch sonst niemand, den ich kannte.
„Ihr kennt euch?“
Was für eine dämliche Frage. Natürlich kannten sie sich. Aber mir fiel nichts ein, was ich sonst hätte sagen können. Vielleicht erklärte er es mir von alleine, wenn ich ihm den Anstoß dazu gab.
Dass es sich bei der Frau nicht um seine Mutter handelte, spürte ich nun instinktiv, aber eindeutig standen die beiden sich nahe. Näher als ich irgendjemandem je gestanden hatte, und vermutlich sogar näher, als ich Sarah stand.
Sarah und ich waren Freundinnen, führten jedoch auch eigenständige Leben. Wir funktionierten auch ohneeinander, und es gab diverse Grenzen, die wir einfach nicht überschritten.
Hier allerdings sah ich etwas anderes, Grenzen schien es bei Damian und der fremden Frau einfach nicht zu geben.
Dass es Menschen gab, die Beziehungen wie diese hatten, davon hatte ich nur gehört. Selbst erlebt, mit dieser brachialen Macht, hatte ich es nie.
„Das ist ja wohl kaum zu übersehen. Amalie war eine Freundin meiner Mutter, sie hat mich mit aufgezogen.“
War? Hieß das, dass eine Mutter tot war? Durfte ich danach fragen, oder war das auch noch zu früh? Die Fragezeichen in meinem Kopf, die vermutlich auch in meinem Gesicht zu sehen waren, multiplizierten sich bis in die Unendlichkeit.
„Sie mag dich.“
Auch das war eine dämliche Antwort, auch das war offensichtlich.
Was tat ich hier überhaupt? Warum fragte ich nicht einfach, und umschiffte tatsächlich die eigentlichen Fragen mit solch dämlichen Feststellungen? Ich hatte die Chance, all diese Dinge über ihn zu erfahren, und traute mich einfach nicht, sie zu stellen.
Weil irgendetwas in mir mich davon abhielt, und ich einfach nicht selbst dazu bereit war, die gleichen Fragen auch von mir selbst zu beantworten. Wenn ich ihn etwas fragte, würde er das vielleicht ebenso tun, und ganz sicher würde er einen völlig falschen Eindruck von mir gewinnen.
Wenn ich ihn nach dem Hinken fragte, dann würde es klingen, als würde es mich stören. Wenn ich nach seiner Mutter fragen würde, könnte er sich schlecht fühlen, weil er an etwas Schlimmes erinnert wurde. All das kam mir falsch und viel zu früh vor, und so tat ich es einfach nicht. Wobei ich ehrlich zugeben musste, dass meine dämlichen Fragen vermutlich ebenfalls nicht sehr zu einem guten Eindruck führten.
„Ich denke schon. Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen.“
Weil er im Ausland gewesen war? Ohne Auto?
Fragen über Fragen und einfach nicht der Mut, diese mit Antworten zu füllen. Wenn ich nicht daran etwas änderte und meine Muster gleich mit, würde das hier äußerst kompliziert werden.
„Das ist alles... etwas merkwürdig für mich.“
„Verständlich. Aber sie ist ein guter Mensch, und sie kocht ganz hervorragend.“
Dass diese Frau ein guter Mensch war, daran bestand kein Zweifel. Sie war die Art von älterer Dame, die jeder mochte.
Mein Impuls, mir eine Umarmung von ihr zu wünschen, war absolut natürlich. Jeder halbwegs normale Mensch, würde das genauso wollen.
Sie hatte ganz eindeutig so viel zu geben, dass es für uns alle hier reichen würde. Für jeden hier in diesem Lokal, und vermutlich auch jeden, der dort draußen vor der Glasscheibe die Straße überquerte.
In deiner großen Stadt wie dieser, in der kaum jemand auf den anderen achtete, passte diese Frau allerdings so gar nicht in das Gesamtbild.
Dort wo ich herkam, da kannten sich die Leute. Jeder kannte jeden, alle waren im Grunde miteinander verwandt, und nahmen Anteil an jeder noch so kleinen Regung des anderen. Hier allerdings, wo praktisch alle Menschen in erster Linie mit sich selbst beschäftigt waren, sah es völlig anders aus.

„Was wollt ihr Kinder trinken?“
Amalie trat an den Tisch, einen Kugelschreiber und einen kleinen Block in den Händen.
„Hast du den Rotwein von Willibald da? Den Guten?“
Ohne auf mich zu achten, sah er auf die dicke Frau, die augenblicklich sowohl Block als auch den Kugelschreiber in der Tasche ihrer Schürze verschwinden ließ.
Offensichtlich war sie die Art von Wirtin, die weder das eine noch das andere brauchte, weil sie sich ohnehin alles merkte. Warum sie Stift und Block trotzdem mit sich trug, war vermutlich reine Gewohnheit. Schon oft hatte ich diese Sorte Wirte erlebt, sie merkten sich unglaublich viele Dinge, und sicherlich machte sie ihren Job lange genug, um die Bestellung von zwei Leuten wie uns, ohne Probleme in ihrem Kopf zu speichern.
Sollte ich mich jetzt ärgern, weil er mich nicht mal fragte, ob ich Rotwein mochte?
Das war nicht der Fall, ich liebte Rotwein, und ich beschloss, dass ich in dieser Situation sein Verhalten nicht überbewerten sollte. Sicherlich war er genauso aufgeregt wie ich, und vermutlich war es keine böse Absicht.
„Natürlich, Junge. Willibald vermisst dich sehr, er fragt immerzu nach dir.“
Die Hand strich liebevoll über seine Wange, was tiefe Liebe und echte Sorge zu transportieren schien, und auch jetzt wünschte ich mir sofort, dass jemand auch mit mir so umgehen würde.
Für Sekunden sah ich einen Schatten in den grünen Augen, aber kaum hatte ich ihn entdeckt, verschwand er hinter einem Lächeln.
„Sag ihm, dass ich ihn auch vermisse und bald besuchen werde. Wir nehmen den Wein und das Essen.“
Das Essen? Keine Karte?
Was geschah hier gerade, und warum verstand ich so wenig davon?
Kaum hatte Amalie sich von dannen gemacht, konnte ich nicht mehr an mich halten.
„Aber wir haben doch gar nichts ausgewählt?“
Damians Schultern zuckten, und er griff über den Tisch hinweg nach meinen Händen.
„Es gibt nichts zu wählen. Es gibt, was Amalie eben kocht. Jeden Tag etwas Anderes, immer etwas Gutes, aber eben nichts, was du wählen kannst.“
Wie bitte? Ein Lokal, in dem man nichts wählen konnte?
Seine Hände streichelten meine, was sich erstaunlich gut anfühlte, und irgendwie beruhigend war. Es fühlte sich nicht fremd an, nicht, als würden wir uns nicht kennen, und die kleinen Härchen auf meinem Arm richteten sich auf.
Bisher hatte er alles richtig gemacht, es hatte sich immer gut angefühlt, warum also, war ich so misstrauisch?
Er hatte mir keinen Grund gegeben, auch wenn er etwas wortkarg war, was ich bisher wohl auch war.
Wir kannten uns weniger als zwei Stunden, was hatte ich erwartet? Dass er seine komplette Lebensgeschichte in zehn Minuten packte, und ich diese dann verarbeitete?
Bei früheren Kennenlern-Verabredungen hatte ich genau das immer gehasst. Ich hatte es gehasst, wenn Männer mir in einem Monolog ihr Leben darnieder gelegt hatten, und das Gleiche von mir erwartet hatten.
Ich hatte es ermüdend gefunden, irgendwie auch peinlich, und vermutlich war es den Männern ebenso gegangen.
Was sprach dagegen, dass alles einfach etwas organischer zu halten? Die Dinge zu erzählen, wenn sie eben ins Gespräch passten?
Tatsächlich schien mir das sinnvoller, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wann der richtige Zeitpunkt für gewisse Themen war.
Ich würde darauf vertrauen müssen, dass ich die Situation erkennen würde, wenn sie eben da war. Und ich würde darauf vertrauen müssen, dass die Dinge sich einfach von alleine fanden.
Ein wenig ärgerte ich mich über meine düsteren Gedanken, denn eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, diese Sache völlig vorurteilsfrei anzugehen. Es gab keinen Grund dazu, immerhin hatte die Agentur Damian sicher genauso sorgfältig durchleuchtet wie mich. Warum also, vermutete ich hinter allem und jedem etwas Schlimmes?

Mein Blick schweifte über die anderen Tische, und überall sah ich Teller mit Suppe. Die wenigen, meist älteren, Gäste schienen zufrieden, für mich jedoch wurden die Fragezeichen immer größer.
Hieß das, dass mein Hochzeitsessen ein Teller Suppe sein würde?
War das wirklich sein ernst?
Wenn es hier tatsächlich nur ein Tagesgericht gab, und dieses offenbar in einem tiefen Teller serviert wurde, dann würde ich sterben müssen.
Auf keinen Fall konnte das wahr sein, und ganz sicher würde ich das nicht ertragen können. Nicht mal ein anständiges Essen, das schien mir dann doch zu viel.
Warum nur hatte mir nicht selbst darüber Gedanken gemacht, irgendwas geplant, oder jemanden arrangiert, der es für uns geplant hätte?
Sicher hätte sich auch für eine so ungewöhnliche Veranstaltung jemand gefunden, und hätte für uns einen wundervollen Ort mit einem noch wundervollen Essen organisiert.
Auch wenn ich Amalie süß gefunden hatte, und mich die Liebe, die sie ausgestrahlte, gerührt hatte, so war dieser Ort doch einfach nicht der Richtige, um diesen besonderen Moment zu feiern.
Wieso hatte ich mich nicht auf das „danach“ vorbereitet, so wie ich es sonst mit allem tat?
„Suppe?“
„Nicht irgendeine Suppe, die beste Erbsensuppe, die du je gegessen hast.“
Grundsätzlich sprach nichts gegen Erbsensuppe, gar nichts.
Daheim in meinem Dorf, da hatte ich sie geliebt. Aber doch nicht hier in diese Stadt, und schon gar nicht am Tag meiner Hochzeit!
Ich hatte mit vielem gerechnet, vielleicht auch mit gar nichts, aber ganz sicher nicht damit, dass meine Hochzeit in einer Arbeiterkneipe mit Erbsensuppe enden würde.
All meine Träume von Eleganz und Festlichkeit, fand ich hier nicht wieder, und auch wenn ich den Laden ganz gemütlich fand: Hier gehörte ich nun wirklich nicht hin.
Wenn das jedoch seine Welt war, und er sich hier wohl fühlte, dann würden wir Probleme bekommen. Wenn das hier er war, wenn er das Leben war, was ich hatte hinter mir lassen wollen, dann würde es nicht funktionieren.
Das hier war mir nicht fremd, ich kannte diese Welt mehr als gut, aber irgendwann in der Vergangenheit hatte ich beschlossen, dass ich nicht mehr Teil davon sein wollte.
Ich hatte hart gearbeitet, um vom Dorf in die Stadt, und von Erbsensuppe zu echten Restaurants zu kommen, und ganz sicher würde ich keinen Schritt zurück in der Zeit gehen.
„Ich hatte eher an etwas... Edleres gedacht?“
Wie sollte ich ihm das jetzt begreiflich machen? Dass Erbsensuppe außerhalb meiner Vorstellung eines Hochzeitsessens und meiner Welt lag?
„Du hast sie nicht probiert. Danach frage ich dich nochmal.“
Er schien entspannt, ganz im Gegensatz zu mir, und erneut brach Panik in mir aus. Das hier war nicht, was ich mir von meiner Ehe erhofft hatte. Ich hatte um einen Mann gebeten, der weniger Dorf und mehr Stadt war, und der meine Bedürfnisse befriedigte, ohne das ich darüber würde sprechen müssen.
Was ich allerdings jetzt sah, lag Lichtjahre von diesem Wunsch entfernt, und erinnerte mich an Zeiten, die ich lange zu verdrängen versucht hatte.
Ich wollte nicht mehr Lottchen aus der Kneipe nebenan sein, ich wollte die Frau sein, die ich über Jahre so mühevoll erschaffen hatte. Die eloquente und erfolgreiche Frau, deren Leben nicht an solchen Orten stattfand.
Trotzdem war ich jetzt hier, konnte nicht einfach gehen, und sah in meinem Geiste meine Eltern am Nebentisch, die zufrieden zu nicken schienen.
Ja, dass hier würde ihnen gefallen, sie würden diesen Laden lieben, und vermutlich würden sie nichts anderes dazu sagen, als dass, was sie mir bereits hundertfach gesagt hatten.
Man flüchtete nicht vor seiner Herkunft, schon gar nicht konnte man ihr aus dem Weg gehen, und am Ende landete man immer wieder dort, wo der Weg irgendwann begonnen hatte.
Erbsensuppe, ich konnte es einfach nicht fassen.

Der Wein war der mit Abstand beste, den ich je gekostet hatte.
Kaum hatten wir angestoßen, und der erste Tropfen meine Zunge berührt, war ich mit allem versöhnt.
Er schmeckte weich und süß, und sofort hatte ich das Gefühl, dass er und ich verdammt gute Freunde werden würden. Die Enttäuschung und Panik hatte augenblicklich nachgelassen, und der Knoten in mir schien sich ebenfalls mit jedem Schluck zu lösen.
„Der ist unfassbar gut!“
Ich gab mir alle Mühe, nicht hinter Amalie herzubrüllen, damit sie mir sofort die ganze Flasche hierließ.
Mein Gaumen wollte mehr davon, sehr viel mehr, und auch wenn ich eigentlich noch fahren musste, war mir das in diesem Moment völlig egal. Alles was die Situation einfacher machte, und dabei so gut schmeckte, schien mir absolut legitim.
Mich zu betrinken war ganz sicher nicht der Plan gewesen, aber wenn es half, diese unsägliche Situation zu erleichtern, würde ich es trotzdem tun.
„Nicht wahr? Willibald kann das, er ist der Beste.“
Er ließ die rote Flüssigkeit in dem Glas in seiner Hand tanzen, und ich kostete erneut. Wieso hatte mir niemals jemand etwas so Gutes empfohlen? Ich hatte viele Weinproben erlebt, hatte mich immer für Wein interessiert, aber nie war mir eine solche Qualität begegnet.
Wenn auch er das so empfand, dann würden wir uns verstehen, so viel stand fest.
Ich fand es wichtig, dass man den gleichen Geschmack teilte, und wenn auch er diesen Wein liebte, hatten wir zumindest eine nicht unwichtige Gemeinsamkeit.
„Auch ein Freund von dir?“
„Ja, ein guter Freund. Ich habe ihm früher oft bei der Ernte geholfen.“
„Bevor du ins Ausland gegangen bist?“
So langsam fand ich, dass wir miteinander sprechen sollten. Von sich aus hatte Damian kein Gespräch begonnen, also würde es wohl am mir liegen, das zu ändern. Auch wenn das mit uns natürlich wachsen sollte, so musste doch irgendwann ein Anfang gemacht werden.
Die Stille zwischen uns war nicht unangenehm, jedenfalls fand ich das, aber irgendwann musste man ja beginnen.
Vielleicht würde er auftauen, wenn ich ihm die richtigen Bälle zuwarf, und das Gespräch sich dann ganz von alleine weiterentwickeln.
„Ja, davor.“
Verdammt. Wieso machte er es mir so schwer?
Kaum hatte er geantwortet, sah ich, wie sein Blick auf die Tischplatte vor ihm fiel. Als sei es ihm peinlich oder unangenehm und als würde ich nach Dingen fragen, über die man einfach nicht sprach.
Bei jeder meiner Fragen hatte ich den Eindruck, dass es die falsche Richtung war. Es fühlte sich an, als würde er nicht darüber sprechen wollen, aber wie sollten wir uns dann kennenlernen? Wie sollten wir eine Verbindung aufbauen, wenn er es einfach nicht zuließ, und mir immer das Gefühl gab, ein völlig falsches Thema anzuschneiden?
„Warum warst du im Ausland?“
Er rutschte auf seinem Stuhl, und erneut kam ich mir vor, als würde ich ihn unter Druck setzen. Das war gar nicht meine Absicht, aber was sollte ich fragen, damit er sich besser fühlte? Da jede meiner Fragen ihm eindeutig unangenehm war, wusste ich nun gar nicht mehr weiter.
Wenn er schon mit so banalen Fragen Probleme hatte, wie sollte ich dann wissen, wonach ich überhaupt fragen durfte?
„Beruflich. Ich war beruflich dort.“
Lass es. Alles in mir gab mir diesen Rat, und ich beschloss, dass es wohl besser war, wenn ich etwas von mir erzählte.
Vielleicht würden wir dann ein echtes Gespräch beginnen, und er würde vertrauen zu mir fassen. Wenn es ihm ähnlich ging wir mir, und er ebenfalls ein misstrauischer Mensch war, dann würde das vielleicht helfen.
Auf keinen Fall durfte ich ihm das Gefühl geben, ihn aushorchen zu wollen. Ich selbst konnte das nicht leiden, meistens machte ich dann sofort ganz dicht, und für uns würde es nicht gut sein.
„Also ich erzähle dir was von mir, wenn es in Ordnung ist. Ich arbeite in einer Werbeagentur, in der größten der Stadt, und ich wohne auch hier. Von hier sind es nur zehn Minuten mit dem Auto, und wie du weißt, sind es jetzt auch nur noch zehn für dich.“
Ich wollte ihn daran erinnern, dass wir jetzt zusammen wohnen würden, und das unsere Leben untrennbar miteinander verbunden waren.
Er würde mit mir sprechen müssen, immerhin lebten wir ab jetzt zusammen, und auch wenn ich durchaus verstand, dass es ihm schwerfiel: Da würden wir jetzt durch müssen.
„Weiß ich. Sie haben mich gefragt, ob es für mich in Ordnung ist, zuerst bei dir zu leben.“
Kein Wort über ihn. Nichts über sein Leben. Wie deprimierend.
Irgendwie hatte ich erwartet, er würde meine Worte spiegeln, und etwas über seinen Job und sein Leben erzählen. Oder hatte er etwa keinen Job?
Erneut wurde mir heiß und kalt bei dem Gedanken, wer kein Auto besaß, konnte ebenfalls keinen Job haben.
Der größte Horror für mich war jemand, der vielleicht keiner geregelten Arbeit nachging, und somit kein Verständnis für meine haben würde.
Hatte es dazu in dem Vertrag irgendeine Klausel gegeben?
In rasender Geschwindigkeit ging ich jede Frage aus den Katalogen durch, die vielleicht einen Hinweis darauf geben konnte.
Natürlich hatte ich angegeben, dass mein Job und Erfolg mir wichtig waren, und dass ich mir einen Partner wünschte, der das ebenso sah. Aber schloss das aus, dass er arbeitslos war?
Andererseits konnte jemand, der arbeitslos und mittellos war, vermutlich die doch nicht unerhebliche Summe für die Eheschließung kaum aufwenden.
Womit wir bei der eigentlichen Frage angelangten: Warum brauchte jemand wie er eine Agentur?
Er war vielleicht schüchtern, sah dabei aber doch verdammt gut aus, und ganz sicher fanden sich auch für so einen Mann einige Interessentinnen.
„Warum hast du dich an die Agentur gewandt? Du siehst nicht aus wie jemand, der das nötig hätte.“
Mein Unterbewusstsein schlug sich mit der Hand ins Gesicht. Wie dämlich. Sah ich etwa aus, wie jemand, der das nötig hatte?
Auch wenn es für mich im Bezug auf ihn keinen Sinn zu machen schien, warf das auch ein eher merkwürdiges Licht auf mich.
„Nicht? Ich dachte was anderes. Hätte ich es besser nicht getan?“
Er lachte, und tatsächlich schien ein Knoten geplatzt zu sein. Binnen Sekunden änderte sich seine Haltung, er schien sich zu öffnen, und kaum fing ich seinen Blick auf, rann es mir in Schauern den Rücken hinab.
Ihn lachen zu sehen, den Glanz seiner Augen dabei zu sehen, tat unglaublich gut. Die ganze Zeit hatte ich den Eindruck gehabt, er würde sich unwohl fühlen, und hatte mich daher ebenfalls irgendwie schlecht gefühlt.
Seine Freiheit befreite auch mich, und ich stellte erstaunt fest, dass ein lachender Damian tatsächlich noch attraktiver war, als ohnehin schon.
Auch wenn er kein Katalog-Mann war, zumindest nicht im klassischen Sinne, und ich nicht Germanys next Topmodel, so waren wir beide nicht die typischen verzweifelten Gnome.
Wir waren sicherlich beide besser als der Durchschnitt, und hatten trotzdem niemanden gefunden. Warum auch immer, hatten wir eben beide diesen Weg gewählt, weil der andere nicht funktioniert hatte.

Amalie kam erneut an den Tisch, und stellte die dampfenden dunkelgrünen Teller vor uns gekonnt ab.
„Lasst es euch schmecken Kinder, und es gibt noch genug Nachschub.“
Mit der rechten Hand strich sie Damian über den Kopf und zerstörte seine Frisur. In ihrer Handlung lag so viel Zuneigung und Liebe, dass es mir fast das Herz brach.
Wenn diese Frau Damian so sehr liebte, dann musste er etwas Besonderes sein. Was auch immer also seine extreme Schüchternheit hervorgebracht hatte, war definitiv nichts, vor dem ich mich fürchten musste. Nichts Dunkles, Gefährliches, lediglich etwas, dass es nun zu überwinden galt.
An unser beider Optik lag es wohl kaum, dass wir niemand gefunden hatten, und wenn er einfach nur extrem schüchtern war, dann lag es an mir, es ihm einfacher zu machen.
„Danke, Amalie. Für alles.“
Was dieses „Alles“ war, davon hatte ich keine Ahnung. Aber es war sicher mehr, als eine Flasche Wein und Erbsensuppe.
Seine Worte klangen so aufrichtig und weich, dass ich mir ein für alle Male vornahm, ihm gegenüber nicht so misstrauisch zu sein. Wenn seine Hürde Schüchternheit, und meine Misstrauen war, dann würden wir daran gemeinsam arbeiten müssen.
Die Suppe roch fantastisch, und tatsächlich hatte ich jetzt auch hunger. Sie kam mir nicht mehr so skandalös vor, und wenn sie schmeckte, wie sie roch, dann wäre dieses Essen perfekt.
Vielleicht war es mein Fehler, dass ich einfach viel zu viel erwartete.
Wer auf der Welt brauchte mehr als einen guten Wein, ein gutes Essen, und einen Mann, der von jemandem auf eine solch ungefilterte Art geliebt wurde?

Mein Kopf schwirrte. Alles in mir war in Aufruhr, nichts in mir schien sich an der richtigen Stelle zu befinden.
Wir standen vor meinen Wagen, den ich tatsächlich dort gefunden hatte, wo ich ihn vermutet hatte, und ich versuchte, das alles in einen vernünftigen Kontext zu setzen.
Die Suppe war mehr als in Ordnung gewesen, alles war im Grunde gut gelaufen, aber geredet hatten wir kaum.
Auch wenn ich mir alle Mühe gegeben hatte, die ungewöhnliche Situation nicht überzubewerten, war es mir einfach nicht gelungen.
Damian hatte geantwortet, aber nie ausgeholt. Mit knappen Worten hatte er meine wenigen Fragen beantwortet, aber von sich aus absolut nichts erzählt.
Für mich war das unangenehm gewesen, denn ich hatte mich gefühlt wie jemand, der unerhört neugierig war. Da mir Kontakte zu knüpfen ohnehin schwerfiel, hatte ich mich unwohl gefühlt, was nicht gerade zu einem sicheren Auftreten geführt hatte.
Ich hatte mich gefühlt, als würde ich Fragen stellen, die mir nicht zustehen würden, und als würde er sich darunter winden.
Egal wie sehr ich mich bemüht hatte, wirklich erreicht hatte es ihn nicht, und selbst als ich mich gezwungen hatte, ihm in die Augen zu sehen, hatte er sofort wieder weggesehen.
War das also jetzt gut gelaufen, oder waren die Würfel schon gefallen?
Kaum hatten wir den Laden verlassen, hatten die Rädchen in meinem Kopf begonnen, die Situation zu verarbeiten.
Damian hatte in großen Teilen des Gesprächs ausgesehen, als würde er sich in einem äußerst unangenehmen Verhör befinden, und mehr als einmal hatte ich das Gefühl gehabt, er würde er nach Antworten suchen, die die Wahrheit umschifften.
Trotzdem hatte er immer wieder meine Hand gehalten, darüber gestrichen, oder ein Lächeln versucht.
All das hatte für mich nicht zusammengepasst und meine Verwirrung nur vergrößert.
Wenn er mich doch mochte, wofür sein Verhalten eindeutig sprach, warum sprach er dann nicht auch mit mir?
In der ersten halben Stunde hatte ich mir noch eingeredet, er sei einfach ein ausgesprochen schüchterner Mann. Einer, dessen innereres Eis eben gebrochen werden musste.
Ich hatte mich redlich bemüht, witzig und locker zu sein, was absolut nicht meinem Naturell entsprach, aber es half nichts.
Er hatte geschwiegen und mich angesehen, hatte einsilbig geantwortet bis auf wenige Ausnahmen, und war bei jeder neuen Frage unruhig von einer Pobacke auf die andere gerutscht.
Es war frustrierend gewesen.
Auch wenn es nach dem gemeinsamen Lachen besser geworden war, wirklich gut war es nicht gelaufen, so zumindest empfand ich es. Mochte er mich vielleicht nicht wirklich, und erzählte deshalb so wenig?
War ich über das Ziel hinaus geschossen, ohne es zu merken, weil ich ihn so verdammt gut fand?
Ich suchte nach irgendwelchen Hinweisen darauf, denn dazu würde ich durchaus in der Lage sein, fand aber nichts. Ich hatte mich weder angebiedert noch ihm an den Hals geworfen, und eigentlich hatte ich versucht, ihn nicht unter Druck zu setzen.
Kaum hatten wir gezahlt, was natürlich er getan hatte, hatte Amalie ihn erneut minutenlang an ihre Brust gedrückt. In einem fast endlosen Monolog, hatte sie ihre tiefe Zuneigung zum Ausdruck gebracht, und ich hatte dabei zugesehen.
Damian hatte versprochen sich zu melden, was nicht unbedingt überzeugend klang, und diesmal hatte ich geschwiegen.
Für mich klang es, als würde er es wirklich wollen, aber einfach nicht können, und als sei ihm auch das äußerst unangenehm.
Genauso wortlos hatten wir uns danach auf den Weg gemacht, und ich hatte mich einfach nicht getraut, all die vielen Fragen aus meinem Kopf in Worte zu fassen.
Was hatte es mit all dem auf sich? Warum hing diese Frau so extrem an ihm, warum war er so... merkwürdig?
Wenn er sie nicht auf die gleiche Art mochte, warum hatte er mich dann überhaupt dorthin geschleppt?
Man nahm doch seine soeben frisch angetraute, aus einem Hut gezauberte Ehefrau, nicht mit zu jemandem, dem man eigentlich lieber aus dem Weg gehen würde?
In den ersten drei Minuten hatte ich geglaubt, er sei stolz auf mich. Ich hatte geglaubt, er wollte mich, seine angeblich wunderschöne Ehefrau, jemanden vorstellen, der ihm wichtig war.
Warum aber wich er Amalie dann aus?

„Das ist er.“
Ich sah auf den roten Audi und dann auf ihn, der irgendwie abwesend schien.
Bereute er seine Entscheidung für das hier schon?
Hatte er an irgendeinem Punkt der letzten Stunden schon beschlossen, dass ich doch nichts für ihn war? Auch dieser Vorstellung war nicht wirklich angenehm, auch wenn ich mit der Möglichkeit über Wochen auseinandergesetzt hatte.
„Schön.“
Er bereute es. Eindeutig. Was hatte ich nur falsch gemacht?
Oder sorgte er sich nur, weil wir nun in meine Wohnung und mein Leben fahren würden?
„Hör mal, wenn du dich nicht gut dabei fühlst, dann musst du es mir sagen.“
Es schien mir normal, dass man sich nicht gut fühlte, wenn man im Begriff war, in den Lebensraum von jemand anderem einzudringen. Ich hätte mich ebenfalls unwohl gefühlt, und vermutlich ebenso verhalten reagiert.
Auch wenn er schon jetzt wusste, dass ich nicht die Richtige für ihn war, musste er es mir sagen.
Es würde mich enttäuschen, denn eigentlich hatte mein Plan nicht so ausgesehen, aber Ehrlichkeit erwartete ich auf jeden Fall. Egal wie weh sie auch tat.
„Nein, alles gut. Es ist nur...“
„Ja, es ist merkwürdig. Aber es wird nicht besser, wenn wir nicht darüber sprechen.“
Er sah in den Himmel und dann wieder auf meinen Wagen, als müsste er die Entscheidung zwischen Himmel und Hölle treffen.
Erst jetzt wurde mir klar, dass er außer dem Anzug an seinem Körper nichts bei sich hatte. Wenn er keinen Wagen hatte, und wir jetzt in meine Wohnung fuhren, wo waren dann seine Sachen?
Im Vertrag hatte ich nichts dazu gelesen, es betraf mich ja auch nicht, denn ich blieb ja in meiner Wohnung. Was also hatte man ihm darüber mitgeteilt?
„Hast du keinen Koffer? Sollen wir in deine Wohnung fahren, und deine Sachen holen?“
Seine Hände fuhren in die Taschen seiner Anzugshose, und ich sah, wie die Anspannung sich etwas löste.
„Nein, nicht nötig. Die Agentur bringt sie. Die Koffer, und auch noch ein paar andere Sachen.“
Sachen? Was für Sachen? Auch darüber hatte ich nicht nachgedacht, aber bei genauerer Betrachtung stand es außer Frage, dass er mehr als einen Koffer für vier Wochen benötigen würde.
Man brauchte doch Kleider, persönliche Dinge, vielleicht sogar Arbeitsmaterial. Das hier war ja kein Urlaub, wir sollten miteinander Leben, und ich selbst wäre sicher unfähig gewesen, zu entscheiden, welche Dinge ich mit in dieses Leben nehmen würde.
Hieß das also, dass er mit SACHEN bei mir einzog? Große, vielleicht hässliche Sachen, die ich in meiner Wohnung würde unterbringen müssen?
„Über was für Sachen sprechen wir hier?“
Alarmiert sah ich über das Dach des Wagens zu ihm, und hatte die Türe noch immer nicht geöffnet.
„Nicht viel. Nur Dinge, auf die ich nicht verzichten kann.“
Vor meinem inneren Auge sah ich hässliche Sachen. Viele. Sie stapelten sich vor meiner Wohnung auf dem Flur und baten um Einlass.
In meinen Überlegungen hatte ich nicht darüber nachgedacht, dass es mehr als ein paar Klamotten und Schuhe sein würden. Aber wer würde wochenlang ohne die Dinge aushalten, die ihm wichtig waren?
„Große Sachen?“
Er lachte, denn er erkannte die Panik in meinen Worten. Ohne darauf zu antworten öffnete er die Beifahrertür, und ich sah zu, wie er umständlich einstieg.
Wieder schien ihm sein Bein im Weg, es knickte einfach nicht ein, und bei genauerer Betrachtung schien es, als hätte einfach keine Kontrolle darüber.
Auch ich stieg ein und ließ den Motor an, während ich erneut überlegte, ob die Frage danach ein Problem darstellen würde.
Wir waren verheiratet, würden jetzt sogar zusammen leben, musste ich es dann nicht wissen? Was, wenn wir einen Unfall hatten, und ich nicht mal sagen konnte, was mit ihm nicht stimmte?
Was, wenn er tatsächlich schmerzen hatte, und sie mir nur verschwieg, weil er mir diesen Tag nicht versauen wollte?
„Was stimmt mit deinem Bein nicht?“
Meine Augen hafteten auf der Straße vor mir und ich mied den Blick zu ihm.
Sekundenlang herrschte Stille, nur das Motorengeräusch erfüllte den Innenraum.
Ich fuhr los, weil ich einfach hoffte, es würde auch unser Gespräch in Fahrt bringen, aber so wirklich zu funktionieren schien es nicht.
„So offensichtlich?“
Ich wand den Kopf und machte ein abschätziges Gesicht.
„Ich bin nicht blind.“
Es klang bitterer, als ich es gewollt hatte, und sofort sah ich, wie er sich zurückzog.
Verdammt. Warum konnte ich nicht verständnisvoller sein, wo ich doch wusste, dass er ganz eindeutig ein Problem hatte?
Genau das hatte ich mir vorgenommen. Ich wollte verständnissvoller sein, als in meinen vergangenen Beziehungen, denn schließlich wollte ich das Gleiche auch für mich in Anspruch nehmen. All die Fehler der Vergangenheit wollte ich hinter mir lassen, und sie keinesfalls wiederholen. Was ich aktuell in Perfektion tat.
„Das hab ich nicht gesagt. Aber ich dachte eigentlich, es sei weniger offensichtlich.“
Hatte er ernsthaft geglaubt, es würde mir nicht auffallen? Man würde wirklich blind sein müssen, damit einem das nicht auffiel. Im Standesamt war ich aufgeregt gewesen, hatte praktisch nichts wirklich wahrgenommen, aber jetzt?
Ich gehörte nun wirklich nicht zu den übermäßig emphatischen, aufmerksamen Menschen, aber selbst ich sah, dass hier irgendetwas faul war. Nicht nur mit dem Bein, auch mit seinem Umgang damit.
„Also, was ist es?“
Ich schaltete in den nächsten Gang und sah wieder auf die Straße. Wenn er jetzt wieder dicht machte, dann würde es nicht funktionieren mit uns.
Auf keinen Fall konnte ich mein Leben mit jemandem verbringen, dem ich selbst die wichtigen Dinge, aus der Nase ziehen musste.
„Es ist nicht mehr da. Das ist es.“
Was?
Ich bremste stark, was meinen Hintermann dazu brachte, ebenso abrupt zu bremsen. Es hupte, ich sah in den Rückspiegel, wo ein älterer Mann aufgebracht gestikulierte.
„Wie jetzt?“
Ich sah auf das Bein, was laut meiner Einschätzung dort war, wo ein Bein zu sein hatte.
„Du verursachst einen Stau, fahr weiter.“
Er sah mich nicht an und klang streng, was mich dazu bewog, seinen Anweisungen zu folgen.
Beim ersten Versuch würgte ich den Wagen ab, was den Mann im Rückspiegel praktisch zum Kollabieren brachte, aber beim zweiten kam der Wagen wieder in Bewegung.
„Könntest du mir das bitte erklären? So, dass auch ich es verstehe?“
Ich bog an der nächsten Kreuzung ab, und war heilfroh, dass mein Wohnhaus schon bald in Sichtweite kommen würde. Mit ihm zu sprechen, und sich gleichzeitig auf die Straße zu konzentrieren, würde ich einfach nicht schaffen.
„Es ist weg, hab ich doch gesagt. Aber könnten wir das vielleicht gleich klären, wenn du nicht fährst, und uns damit beide in Lebensgefahr bringst?“
Er legte die Hand auf meine, die den Schaltknüppel fest umklammerte.
Wollte er mich beruhigen?
Wenn, dann gelang es ihm nicht, denn in mir brodelte es. Was auch immer er hier für ein merkwürdiges Spiel mit mir spielte, ich würde nicht mitspielen.
Noch nie in meinem Leben konnte ich gut mit Unwissenheit und Ungenauigkeiten leben, meine Welt bestand aus Fakten. Was auch immer das Problem war, er musste es aussprechen, so dass auch ich es verstand, dann würde ich damit umgehen können.
Viel zu oft hatten Männer mit mir in Rätseln gesprochen, Halbwahrheiten vor mir ausgebreitet, und mich im Dunkeln gelassen.
Genau das hatte ich ebenfalls nicht mehr zulassen wollen, ich wollte eine Beziehung mit einer stabilen Basis, bei der man sich die wichtigen Dinge offen erzählen konnte.
Das gerade Damian an einem so frühen Punkt genau das nicht tat, brachte mich schon jetzt zur Weißglut. Was glaubte er bloß, wie ich damit umgehen sollte?
Unser Deal bestand nicht darin, diese Ehe mit Lügen oder unausgesprochenen Wahrheiten zu beginnen. Wir beide hatten eingewilligt, das Leben des anderen anzunehmen und Teil davon zu werden, und offensichtlich war ich hier die Einzige, die diese Klausel wirklich ernst nahm.

Kaum hatte ich eingeparkt, riss ich die Türe auf. Das hier hatte ich nicht bestellt, ganz sicher nicht.
Ich hatte einen Mann bestellt, der zu mir passte, einen, der das hier auch wirklich wollte. Keinen, der nicht mit mir sprach, oder zumindest nur in Rätseln.
Selten war ich so wütend gewesen, und fühlte mich tatsächlich betrogen.
„Lottchen, jetzt beruhig dich doch!“
Ich stapfte Richtung Tür, und er starkste ungelenk hinter mir her. Jetzt schien das Humpeln schlimmer zu sein als eben noch, oder fiel es mir jetzt einfach mehr auf?
„Ich soll mich beruhigen? Warum? Du sprichst in Rätseln, du sollst bei mir wohnen, und ich soll mich beruhigen?“
Wie das hier jemals funktionieren sollte, sah ich aktuell nicht. Wie sollte ich mit jemandem leben, den ich jeden Wurm aus der Nase ziehen musste, und der ein solches Theater veranstaltete?
Ich steckte den Schlüssel in das Türschloss und sah nach ihm, der völlig verloren mitten auf dem Gehweg stand.
Auch wenn er mir irgendwie leidtat, weil er offenbar wirklich nicht wusste, was er nun tun sollte, reichte es nicht, um meine Wut zu dämpfen.
Der riesige Mann, der ansonsten so völlig erwachsen schien, hatte sich binnen kürzester Zeit in einen kleinen, unsicheren Jungen verwandelt.
„Verdammt, was soll ich denn sagen?“
Er riss an dem Hosenbein und es rutschte nach oben, während ich drohte in Ohnmacht zu fallen.
Dort wo ich ein Bein vermutet hatte, irgendetwas aus Blut, Muskeln und Haut, sah ich nur graues Metall.
Meine Beine drohten zu versagen, mein Puls raste, mir wurde schwarz vor Augen. Das alles war ein böser Traum, nichts von all dem passierte wirklich.
Noch immer mit der Hand am Schlüssel, sackte ich gegen die Türe.
„Lottchen!“
Ich fühlte die Hände auf meiner Hüfte und wie sich mich aufrichteten, aber wirklich echt fühlte es sich nicht an. Mein Körper lehnte sich fast automatisch gegen seinen, obwohl ich das gar nicht wollte.
„Das kann doch einfach nicht wahr sein...“
Das alles schien so unwirklich, so krank und überraschend, das mein Gehirn seine Funktion einfach eingestellt hatte.
„Es ist nur ein Bein, kein Grund zur Panik.“
Er strich über meinen Kopf und drückte ihn an seine Brust, während ich den Tränen nahe war. Auch das hatte ich nicht bestellt. Ich hatte einen Mann bestellt, einen mit allem, was eben an einem Mann dran zu sein hatte, und nirgendwo hatte ich angegeben, dass ihm ein Bein fehlen sollte. Niemand hatte mir gesagt, dass es von Anfang an so sein würde, und wie sollte ich nun damit umgehen?
„Wie ist das passiert?“
Er antwortete nicht, strich stattdessen weiter über meinen Kopf, und ich fragte kein zweites Mal.

 

Ich stürzte das Glas Wasser in einem Schwung hinunter und hielt mir dann das leere Glas gegen die Wange.
Es tat gut, denn das kühle Glas dämpfte die Hitze auf meiner Haut.

Es hatte Minuten gedauert, die Kisten vor meiner Wohnungstür zur Seite zu schieben, und das hatte mir den Rest gegeben.
Wer überhaupt fremde Menschen in den Hausflur gelassen hatte, nur damit sie diese Unmengen an fremdem Eigentum hier parken konnten, wusste ich ebenfalls nicht.
„Sachen“ hatte auf einmal eine Dimension bekommen, und diese war größer, als ich es erwartet hatte.
Sicher fünf riesige Kisten hatten dort gestapelt gestanden, und neben ihnen drei Koffer.
Ganz obenauf hatte jemand einen Korb mit Delikatessen und Wein abgestellt, dekoriert mit einer riesigen roten Schleife. Eine riesige Karte mit einem geschwungenen „Herzlichen Glückwunsch“ erinnerte mich daran, dass die Dinge sich geändert hatten.
Ich hatte den Korb, wie auch die Koffer, wortlos in den Flur geschoben, während Damian sich mit den Kisten abgemüht hatte.
Gesprochen hatten wir nicht, vermutlich wusste er, dass ich das alles erstmal verarbeiten musste.
Ein Mann ohne Bein also. Ein Mann, der statt eines Unterschenkels, ein Gestell aus Kunststoff und Metall trug.
Grundsätzlich konnte er dafür ja nichts, sicherlich erklärte das auch sein Verhalten, aber was sollte ich damit anfangen?
Ich hatte keine Ahnung, was das mit sich bringen würde, und irgendwie fühlte ich mich betrogen.
Er hatte mich bekommen, ich hatte zwar einen doofen Namen, aber war vollständig.
Und ich? Was hatte ich bekommen?
Für mich klang das alles nach Problemen, Problemen, die nicht meine waren, und die ich soeben durch eine Heirat zu meinen gemacht hatte.
Warum hatte man mir ein so wichtiges Detail verschwiegen? War das schon Vertragsbruch, bekam ich jetzt mein Geld zurück?

„Willst du darüber reden?“
Damian setzte sich auf einen der Kartons und das schändliche Bein stand in einer merkwürdig unnatürlichen Position dabei ab.
„Ich hab das nicht gewusst, du musst schon verstehen, dass das ein Schock ist.“
Ich ließ mich auf den Küchenstuhl sinken und fuhr mir mit der Hand übers Gesicht, weil meine Haut einfach nicht aufhörte zu kribbeln. Mein abgesackter Kreislauf, der mich vor der Tür fast niedergestreckt hatte, war noch immer nicht wieder auf der Höhe.
„Es ist ja nicht dein Bein.“
Ach ja? Was er nicht sagte. Aber es war das Bein meines Ehemannes!
„Wir sind verheiratet, es gibt jetzt kein „dein“ oder „mein“ mehr.“
Eigentlich war das mein Ziel gewesen. Ich hatte diesen Weg gewählt, weil ich mir ein „uns“ gewünscht hatte. So hatte es allerdings in meiner Vorstellung nicht ausgesehen.
„Uns“ war in meiner Vorstellung eine Einigkeit gewesen, gemeinsame Pläne, Erlebnisse, ein normales Leben.
Ich hatte natürlich auch Hürden und Probleme einkalkuliert, aber natürlich nicht dieser Art.
„Macht es dir angst? Wenn ja, verstehe ich das. Es macht vielen Leuten angst.“
Er öffnete den ersten Knopf seines Hemdes, als würde ihm die Luft zum Atmen fehlen.
Damian sah müde und abgekämpft aus, und wenn ich richtig sah, bildeten sich unter seinen Augen dunkle Ringe. Binnen kürzester Zeit schien er sich völlig verändert zu haben, und auch das schockierte mich. War ich es, die das verursacht hatte? Oder war es nur die für ihn so unangenehme Situation?
Ich legte den Kopf schief, vielleicht um meine Gedanken gehörig durcheinanderzubringen, aber so wirklich half es nichts.
Was tat ich hier gerade?
Erst jetzt wurde mir klar, dass ich ihn gerade wegen einer Sache anblaffte, die er sich sicherlich nicht ausgesucht hatte. Er hatte sich das fehlende Bein ganz sicher nicht selbst zuzuschreiben, und ich warf es ihm vor.
Ebenso hatte er nicht wissen können, dass die Agentur mir dieses wichtige Detail verschwiegen hatte.
Beine verlor man nicht einfach so, es geschahen schlimme Dinge, damit man so etwas geschah.
Was also war ihm passiert? Ein Unfall vielleicht? Hatte er deshalb kein Auto?
Ich ärgerte mich über meine Reaktion, die eindeutig unfair war, und die ich selbst bei jedem anderen zutiefst verurteilt hätte.
So wie ich es gerade tat, ging man mit keinem Menschen um, und eigentlich verabscheute ich Menschen, die so oberflächlich mit den Defiziten anderer umgingen.
Trotzdem hatte er recht, es machte mir Angst. Ich hatte noch nie jemandem mit einer Prothese kennengelernt, hatte keine Ahnung, was für Einschränkungen damit verbunden waren, und schon gar nicht, was das vielleicht für meine Zukunft bedeuten würde. Ich wollte eine Ehefrau sein, keine Krankenschwester, und ich hatte doch noch so viel vor! Ich wollte so viele Dinge mit meinem Mann erleben, und würde das so überhaupt möglich sein?
„Tut es weh?“
Meine Stimme klang unsicher, und ich räusperte mich sofort.
„Nein, nicht mehr. Es ist nicht so schlimm, wie es scheint. Es ist nur ein Bein, und wie du siehst, hab ich Ersatz.“
Er zog erneut an dem Hosenbein und zog es so weit wie möglich nach oben. Erst jetzt, bei genauerer Betrachtung, sah ich die vielen winzigen Details.
Knapp unterhalb des Knies blinkte ein winziges rotes Licht, als würde die Technik damit ihr Dasein bezeugen.
Im Fernsehen hatte ich so etwas schon gesehen, hatte erstaunt reagiert, weil die Forschung in solchen Sachen so weit fortgeschritten war. Menschen mit Prothesen gewannen Olympiamedaillen, sie fuhren Rad oder erreichten Rekorde.
Für mich war das alles weit weg gewesen. Auch wenn ich es gut fand, so hatte ich nie darüber nachgedacht, wie diese Leute durch den Alltag kamen. Und vor allem hatte ich nie darüber nachgedacht, ob diesen Leistungen für alle ihrer Art galten.
Nur, weil einige Leute mit Handycap erfolgreich waren, hieß das ja nicht automatisch, dass es bei allen der Fall war. Welche Sorte war also Damian?
„Warum hast du es nicht gleich gesagt?“
Ich beugte mich zum Kühlschrank rechts neben mir hinunter, denn was ich jetzt brauchte, war eindeutig ein Schnaps.
Meine Hand griff nach der Wodkaflasche in der Seitentasche der Tür, und ich goss das Wasserglas auf dem Tisch halb voll.
Die helle Flüssigkeit war von Wasser kaum zu unterscheiden, und ich nahm einen großen Schluck, der heiß meine Kehle hinab rann.
Ja, das tat gut. So konnte ich arbeiten.
Ich reichte das Glas zu Damian, der dankbar danach griff, aber nicht sofort trank.
„Ich wusste nicht wie? Wie und an welcher Stelle, hätte ich es sagen sollen? Du hast deine Reaktion doch selbst gesehen, wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen?“
Gute Frage. Sicher nicht vor dem Standesbeamten, sicher nicht in der Gaststätte vor allen Leuten. Wie überhaupt hätte er es sagen sollen, welche Worte hätten mich weniger schockiert? Ich wusste es nicht.
„Hat die Agentur es gewusst?“
Er trank aus dem Glas und schindete ganz offensichtlich Zeit, während ich überlegte, ob es überhaupt eine Rolle spielte. Sicherlich hatte die Agentur nicht wegen dem Bein mich gewählt, und sicherlich auch nicht, weil sie es nicht gewusst hatten. Bei all dem war es nur am Rande um körperliche Punkte gegangen, es hatte ja auch keiner mich nach meiner Körbchengröße gefragt, obwohl diese Frage durchaus berechtigt gewesen wäre.
Trotz des endlosen Fragenkataloges hatte man auf derartige Oberflächlichkeiten verzichtet, und es war mir nicht mal aufgefallen.
Man hatte uns gewählt, weil unsere Werte und Bedürfnisse sich deckten, nicht weil einem von uns ein Körperteil fehlte.
Was also hätte ich gemacht, wenn der für mich ausgesuchte Mann mir gesagt hätte, dass meine Oberweite für ihn um Lichtjahr zu klein war?
Ich hätte verletzt reagiert, und hätte erneut gedacht, dass mich jemand aus reiner Oberflächlichkeit ablehnte. Was ich gerade auch tat.
„Sicher wussten sie es. Aber sie haben mir auch gesagt, dass du es nicht weißt.“
Ich hob die Augenbrauen. Aus welchem Grund hatten sie es mir nicht gesagt, und mich blind in diese Situation laufen lassen?
„Mit welcher Begründung?“
Eigentlich kannte ich die Antwort auf diese Frage, wollte sie aber bestätigt wissen.
„Ach komm, du hättest abgelehnt. Wenn sie es dir gesagt hätten, hättest du abgelehnt. Egal, wie gut wir ansonsten zusammengepasst hätten. Sie wollten, dass du dem hier eine Chance gibst, weil sie an uns glauben. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie oft man mit so einem Makel auf Ablehnung trifft? Wie oft man abgewiesen wird, obwohl man sich eigentlich nichts zu Schulden hat kommen lassen?“
Doch, das wusste ich. Auch wenn meine Erlebnisse diesbezüglich gegen ein verlorenes Bein lächerlich klein wirkten.
Mich hatten die Männer wegen meines Namens aussortiert, egal wie witzig und clever ich vielleicht sonst war. Wenn es ihm genauso ging, dann hatte ich eine Ahnung.
Und ja, wenn man mich im Vorfeld danach gefragt hätte, ich hätte abgelehnt. Ohne den Mann zu kennen. Weil ich, verdammt nochmal, doch oberflächlich war.
„Es ist auch kein Spaß, ein Lottchen zu sein.“
Mehr fiel mir nicht ein, auch wenn es in Anbetracht der bestehenden Tatsachen total dämlich war.
„Es ist nur ein Name, und ich finde, er passt zu dir. Und das hier ist nur ein Bein, ich bin trotzdem bei klarem Verstand.“
Er klopfte auf den Plastikkorpus, der sein restliches Bein mit der Prothese verband, und es klang dumpf.
Wie hielt dieses Ding dort überhaupt?
Nie in meinem Leben hatte ich über so etwas nachgedacht, geschweige denn auch nur je einen Gedanken daran verschwendet.
Ich hatte es immer gut gefunden, dass es diese Hilfen gab. Mehr nicht.
Weiter gedacht hatte ich nie, und es hatte mich ja auch nie betroffen.
Sortier dich, Lottchen. Ich gab mir alle Mühe, mich selbst zurück in die Realität zu befördern. Es war doch nur ein Bein, und noch vor dem Standesbeamten hatte ich mich glücklich gefühlt, weil der Mann mir gefallen hatte. Ich hatte seine Haare gemocht, seine Augen, sein Lachen. All das hatte nichts mit seinem Bein zu tun, und das war doch im Grunde nur eine Nebensächlichkeit.
Lieber ein netter Kerl, als ein Arsch mit zwei Beinen.
„Es tut mir leid, es war einfach ein Schock. Das war ein absolut verrückter Tag.“
Ich winkte nach dem Wasserglas und stürzte auch noch den Rest daraus hinunter.
„Für mich auch. Auch ich habe sowas noch nie gemacht, und es ist auch für mich neu. Wir müssen einfach einen Schritt nach dem anderen gehen, wenn du das denn noch willst.“
Ich nickte und stellte das Glas zur Seite. Ich hatte das hier nicht getan, um schon am ersten Tag aufzugeben. Ich hatte das hier angefangen, weil ich das wirklich wollte.
„Will ich. Mit oder ohne Bein. Aber du musst ehrlich zu mir sein, und du musst es mir erklären. Ich hab absolut keine Ahnung von diesen Dingen, aber ich will es verstehen. Und du musst mit mir reden, viel mehr als bisher, sonst wird das nichts.“
Auch er nickte und stützte sich mit den Ellenbogen auf die Oberschenkel. Wie er dort saß, geknickt und auch irgendwie erleichtert, erinnerte ich mich.
Grüne Augen, tief und warm, und ein Lächeln, das mein Herz holpern ließ.
Das war es, was ich in den ersten Sekunden schon gemocht hatte, und was auch ein fehlender Unterschenkel nicht überstrahlen konnte.

Drei Koffer mit Beinen und ein Laptop.
Mit großen Augen sah ich auf die bestehende Tatsache, dass mein neuer Ehemann nicht ein Bein zu wenig, sondern zwei zu viel hatte.
„Wieso gibt es drei davon?“
Ich linste auf eines der Teile in dem aufgeklappten Koffer vor mir, und traute mich nicht, es anzufassen. Obwohl ich es nur zu gerne getan hätte.
Damian hatte die Koffer im Gästezimmer ausgebreitet, und mir dabei versprochen, mir alles zu erklären.
„Es gibt, genau genommen, vier. Eine zum Duschen, eine für den Sport, zwei für den Alltag, falls eine den Geist aufgibt.“
Ich nickte, auch wenn ich es nicht wirklich verstand. Es gab für all diese Fälle eine extra Prothese? Warum?
Vermutlich würde das blinkende Ding nicht gerne unter der Dusche sein, das ergab Sinn. Aber das Ding für den Sport, was ein wenig einer Schaufel ähnelte? Wie sollte man damit laufen?
Es hatte keinen Fuß, bestand nur aus einer flachen, sehr dünnen Schicht Materials, und ähnelte einem Bein nur mit sehr viel Phantasie.
Gesehen hatte ich auch so etwas schon mal, einer der Sportler im Fernsehen hatte genau so eine getragen, aber es fiel mir mehr als schwer, mir vorzustellen, dass Damian es tragen würde.
„Was ist das?“
Ich zeigte auf das Ding und er nahm es aus dem Koffer. Mein Fingernagel klackte gegen das Material, was ein wenig wie eine Art Kunststoff wirkte.
„Carbon. Sehr leicht und praktisch unkaputtbar. Ich laufe damit.“
„Und das alles hier?“
Ich zeigte auf eine Reihe von Schraubenziehern und merkwürdigen Metallgegenständen.
„Werkzeug. Ich kann viele Dinge selbst machen, da brauche ich keine Hilfe.“
Klang irgendwie... gut. Klang wie... jemand der handwerklich begabt war, und Dinge in die Hand nahm.
Einen solchen Mann hatte ich mir gewünscht, denn ich war handwerklich so gar nicht begabt. Über das Wechseln einer Glühbirne war ich nie hinaus gekommen, und musste für alles und jedes einen Handwerker bemühen.
Dass er also mit all dieser Technik umgehen konnte, beeindruckte mich auf jeden Fall.
„Wie lange hast du das schon? Also das hier alles?“
„Drei Jahre. Ich komme gut zurecht. Willst du sie anfassen?“
Er zog erneut an dem Hosenbein und hob sein Bein.
Für mich klang das irgendwie anzüglich. Als würde ich in seine Privatsphäre eindringen, und er würde es mir erlauben. Da er offenbar nicht wirklich gerne darüber sprach, fiel ihm sicher auch das hier schwer. Näher war ich ganz sicher nie jemandem gekommen, und es erfüllte mich mit Stolz.
Man hatte nackte Männer gesehen, man hatte vielleicht sogar Sex gehabt, aber das hier war etwas ganz anderes. Das alles war oberflächlich und nichtssagend gegen das hier.
„Ich weiß nicht..“
Er legte die Schaufel zurück an ihren Platz in den weichen Schaumstoff des Koffers, und nahm die aus dem Koffer, die der an seinem Bein glich.
Ihn anzufassen schien mir zu weit zu gehen, und dazu war ich definitiv nicht bereit. Solange es nur dieses Ding in dem Koffer war, konnte ich damit umgehen. Es ein als ein Teil von ihm zu sehen, dafür war ich einfach noch nicht weit genug.
Auch er schien das zu verstehen und mir nicht übel zu nehmen.
„Sie beißt nicht.“
Vorsichtig nahm ich das Teil in die Hand und wunderte mich über das Gewicht. Sie war schwer, massiv, und weit weniger kalt, als ich es erwartet hatte.
Die Prothese zu berühren gab mir das Gefühl, ihm nahe zu sein, als würde ich in ihn eindringen, und auch ihm schien es so zu gehen. Mit großen Augen sah er mir zu, auch er schien stolz zu sein, und irgendwie fühlte ich mich gut damit.
Das hier war nichts, vor dem man sich fürchten musste, kein Geheimnis oder eine Belastung.
„Aber es sieht gar nicht so richtig aus wie ein Bein. Ich dachte immer, es sieht weniger technisch aus.“
Wenn ich überhaupt mal etwas in der Art gesehen hatte, waren es, mal abgesehen von den technischen Sachen aus dem Fernsehen, fleischfarbene Beine gewesen. Sie hatten ausgesehen wie ein Bein, und man hatte sie auf der Entfernung kaum von einem Echten unterscheiden können. Warum hatte er nicht sowas? Wo er doch anscheinend ganz gut ausgerüstet war?
„Man nennt es Kosmetik, dass was du meinst. Aber ich lege da eigentlich keinen Wert drauf, auch wenn ich es heute vielleicht hätte tun müssen. Warum soll ich etwas vorgaukeln, was nicht mehr da ist? Das Bein ist weg, und ich kann es nicht ändern. Für mich ist das, wie gemachte Brüste. Absolut überflüssig, denn die Lüge dahinter wird so oder so irgendwann entlarvt.“
Ich musste lachen. Das hier mit unechten Brüsten zu vergleichen, war irgendwie so absurd, dass ich einfach nicht anders konnte. Natürlich stimmte es, ein unechtes Bein war eben unecht, egal was es einem vorgaukelte.
„Siehst du, jetzt lachst du wieder. Und jetzt, wo wir das mit meinem Sortiment an Beinen geklärt haben, können wir uns vielleicht richtig kennenlernen.“
Ich legte das Bein zurück in seinen Koffer und schloss den Decken vorsichtig.
„Du hast recht. Du bist mehr als das, und ich hab mich total dämlich verhalten.“

Mit ihm auf der Couch im Wohnzimmer zu sitzen, fühlte sich alles andere als fremd an.
Wir hatten die Flasche Wein aus dem Korb geöffnet, es uns gemütlich gemacht, und ich war zutiefst zufrieden.
Es fühlte sich nicht an, als würden wir uns erst wenige Stunden kennen. Auch wenn ich panische Angst davor gehabt hatte, ihn hier in mein Reich aufzunehmen, so passte er doch einfach hierher.
Seine zurückhaltende Art hatte es mir einfacher gemacht, er tat nicht mal so, als würde er seine Unsicherheit überspielen, und er fiel auch nicht mit der Tür ins Haus, als würde er hier schon wirklich leben.
Manchmal, wenn ich ihm zu nah gekommen war in der letzten Stunde, hatte ich den Hauch des Parfums gerochen, was mich schon bei unserer Eheschließung umgehauen hatte. Er roch so gut, erschlug mich mit seinem Lächeln, und er war immer noch hier.
Um so mehr ich ihn betrachtet hatte, um so sicherer war ich mir, dass er absolut perfekt aussah. Ich erwischte mich dabei, wie ich mir im Geiste ausmalte, wie er mit einem Drei-Tage-Bart aussehen würde, und wie seine Haare sich in meinen Händen anfühlen würden.
Auch er schien wesentlich lockerer zu sein, und in den letzten Minuten hatte ich keine Gedanken mehr an das Bein verschwendet.
Er war einfach ein Mann auf meiner Couch, ein sehr attraktiver in meinen Augen sogar, und er wollte hier sein.
Der erste Mann seit Ewigkeiten, der hier bei mir sein wollte. Aus freien Stücken, und ohne dabei nur an das Eine zu denken.
Auch wenn das sicher der verrückteste Tag meines Lebens gewesen war, so war ich jetzt mit ihm versöhnt.
Noch immer standen die Kisten im Flur, er trug noch immer den Anzug, und ich noch immer das gelbe Kleid.
In der letzten halben Stunde hatte ich von dem Fragenkatalog erzählt, und davon, wie schwer es mir gefallen war, viele der Fragen zu beantworten.
Auch er hatte das bestätigt, was mich beruhigte, und wir hatten über die eine oder andere Antwort herzlich gelacht.
Zu gerne hätte gewusst, warum genau er sich für diesen Weg entschieden hatte, aber die Antwort machte mir auch Angst.
Ich wollte nicht zurück auf das Bein kommen, und wenn es der Grund dafür war, wollte ich das Thema nicht aufgreifen. Ich hatte mir fest vorgenommen, dass dieses Bein nicht Mittelpunkt von allem sein würde. Ich würde versuchen, damit genauso normal umzugehen, wie er es tat.
„Willst du mir erzählen, was du beruflich machst?“
Ich legte meinen Kopf auf die Lehne der Couch und überlegte, warum ich genau jetzt seinen Nacken so anziehend fand. An einem so frühen Punkt so schmutzige Gedanken zu haben, schien mir absolut unangebracht.
Trotzdem waren diese Gedanken da, vielleicht auch durch das Durcheinander hochprozentiger Flüssigkeit in meinem Blut, und ein wenig wunderte es mich, dass es ihm offensichtlich noch immer blendend ging.
Ich zumindest fühlte den Alkohol dumpf in mir, und es schien mit jedem Schluck eher schlimmer als besser zu werden.
„Ich bin Programmierer. Ich arbeite für eine große Computerfirma, sicherlich kennst du sie.“
Er nannte mir den Namen und ich nickte. Ja, den Namen hatte ich bereits gehört.
Ein Job war schon mal sehr beruhigend, meine Angst vor einem arbeitslosen Ehemann löste sich in Luft auf, und auch die Firma gehörte nicht zu den unerfolgreichsten.
Programmierer zu sein war in Ordnung, es klang weder gefährlich noch fragwürdig. Zum ersten Mal war mir langweilig recht, denn es bedeutete, dass keine neuen Überraschungen auf mich warteten.
Programmierer waren normale Jungs und Männer, genau so jemanden hatte ich gesucht. Ich wollte keinen Mann mit einem gefährlichen Job, keinen mit einem unsicheren, und auch keinen, der einen moralisch fragwürdigen hatte.
Der Mann an meiner Seite sollte fleißig sein, aber ich wollte mich nicht ständig um ihn sorgen, was gerade bei diesem Job, vermutlich nicht zur Diskussion stand.
Ein Polizist oder Feuerwehrmann, davor hatte ich mich gefürchtet. Ich wollte nicht jede Nacht wachliegen, und Angst haben, dass ihm etwas geschah.
„Und du programmierst was?“
„Datenbanken für Ämter, total langweilig, wirklich.“
Er winkte ab, aber ich wurde immer zufriedener. Um so langweiliger das war, was er tat, um so besser.
„Ich finde das gar nicht langweilig. Warst du deshalb auch im Ausland, als Programmierer?“
In Anbetracht der großen Nachfrage an Computerspezialisten, lag das nahe, wo wir doch schon Leute aus Indien für diese Zwecke importierten.
Statt zu antworten, sah ich den vertrauten Schatten über seinen Augen, und sofort bereute ich die Frage.
„Nein, wegen etwas anderem. Aber erzähl mir doch von dir. Wo kommt Lottchen her?“
„Der Name oder ich?“
Ich nahm den Wink auf, und nahm es so hin. Wenn er nicht darüber sprechen wollen würde, dann müsste ich eben warten. Ein Schritt nach dem anderen.

Ich wachte auf, weil irgendetwas nicht stimmte.
So genau konnte ich es nicht einordnen, aber etwas hatte mich geweckt.
Ich horchte in die Dunkelheit, aber dort war nichts zu hören, woraufhin ich mich aufrichtete.
War Damian aufgestanden, und hatte in der Dunkelheit etwas umgestoßen?
Ich rappelte mich auf und horchte erneut, aber es blieb still.

Er hatte, wie erwartet, das Bett im Gästezimmer gewählt, auch wenn ich nicht darauf bestanden hatte.
Wir hatten uns so gut verstanden, er hatte sich so gut neben mir angefühlt, dass mir die Vorstellung, von ihm in meinem Bett, gar nicht mehr so unangenehm vorgekommen war.
Trotzdem hatte er, ohne darüber zu sprechen, das hergerichtete Bett zu seinem erklärt, und seine Kisten gleich mit in das Gästezimmer geschoben.
Amüsiert hatte ich dabei zugesehen, wie er seine Sachen in die Kommode geräumt hatte, und dabei so herrlich normal wirkte.
Irgendwie fand ich das auch wieder süß, immerhin gab er uns damit Zeit, und hatte deshalb nichts dazu gesagt.
Kein Mensch auf der Welt wäre darauf gekommen, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
Was bei genauerer Betrachtung auch nicht der Fall war.
Noch vor Stunden hatte ich Panik gehabt, aber warum eigentlich? Er tat, was jeder Mensch tat, und wirklich einzuschränken schien ihn sein Handycap nicht.
Sarah würde ihn mögen, da war ich mir sicher, und auch mit Björn würde er sich sicher gut verstehen.
Er war der Mensch, der in meinen Freundeskreis passte, und tatsächlich glaubte ich sogar, dass meine Eltern in mögen konnten.
Auch wenn diese mit Computern nichts anzufangen wussten, würde meine Mutter seine ruhige Art schätze und mein Vater sein handwerkliches Geschick.
Ihn den beiden vorzustellen machte mir keine Angst, und auch wenn die Tatsache unserer Heirat sicher ein Problem darstellte, so würden sie wohl darüber hinwegkommen.
Er war nicht so weit von ihnen entfernt, dass es sie beunruhigen würde, und auch das gefiel mir.
Ich selbst hatte nie einen von den Dorfmännern gewollte, die ihre Wochenenden in der Kneipe verbrachten, und einfach keine Ziele hatten. Und meine Eltern hatten keinen Arzt oder Anwalt gewollt, der vor lauter Geld und Luxus völlig den Boden verloren hatte, und mit dem sie einfach nichts zu sprechen hatten.
Damian schien die perfekte Version dazwischen, er passte in den Spalt zwischen meiner und der Welt meiner Eltern.
Schon vor Stunden hatte ich bei jedem neuen Satz festgestellt, wie perfekt die Wahl der Agentur tatsächlich war.
Was auch immer ich für Ziele und Wünsche für mein Leben hatte, sie deckten sich mit seinen. Und an allen Stellen, wo das nicht der Fall war, standen wir uns nicht im Weg.

Erneut hörte ich dumpfe Geräusche und stand nun endgültig auf. Was auch immer da gerade vor sich ging, ich musste es einfach wissen.
Was war da bloß los?
Ich tappte durch den Flur, der in völlig Dunkelheit lag, und stoppte vor der nur angelehnten Tür des Gästezimmers.
Darin hörte ich leise Geräusche, die ich nicht einordnen konnte, und öffnete sie daher einen kleinen Spalt.
In der Dunkelheit sah ich die Kisten, irgendwo an der Wand das Bett, und darin die Umrisse von Damian.
Er wälzte sich in den Kissen, schien mit irgendetwas zu kämpfen, und dumpf hörte ich unverständliche Laute.
Sollte ich eintreten?
Offenbar träumte er schlecht, vielleicht lag es an dem fremden Bett, und sollte ich ihn daher nicht lieber wecken?
Unschlüssig blieb ich im Türrahmen stehen, und erblickte erst jetzt die Prothese, die an den Nachtschrank gelehnt neben dem Bett stand.
Daran würde ich mich gewöhnen müssen, das war dann doch etwas unheimlich.
„Damian?“
Ich flüsterte in die Stille, aber eine Antwort blieb aus.
Stattdessen sah ich, wie die Umrisse in dem Bett sich unruhig bewegten.
„Damian, ist alles in Ordnung?“
Ich trat in den Raum und näher an das Bett, obwohl sich das nicht gut anfühlte. Wenn er jetzt aufwachte, würde er sich sicher erschrecken.
Eigentlich war ich noch immer eine Fremde, und ich war nicht mal sicher, ob es mir zustand, ihn zu wecken.
Die Gestalt in dem Bett bewegte sich nun nicht mehr, aber ich sah, dass die Decke am unteren Ende auf einem unordentlichen Haufen lag.
Ich griff nach ihr und zog sie über den Körper, ohne dabei einen Blick auf den Stumpf des Beines zu werfen.
Damit würde ich noch nicht klar kommen, ich wollte es einfach nicht sehen, und schon gar nicht in unserer ersten Nacht in dieser Wohnung.
Auch wenn es mir nicht mehr so fürchterlich vorkam, so wollte ich den Endpunkt dieser Sache nicht sehen, und erst recht nicht, während er dabei schlief.
Genauso wenig hätte ich gewollt, dass er mir beim Schlafen zusah, und dabei die beginnende Cellulite an meinen Oberschenkeln sah.
Ich zog die Decke bis zu seinem Oberkörper und strich sie glatt, während er anscheinend das Schlimmste überwunden hatte.
Das weiße T-Shirt spannte sich über muskulösen Oberarmen, und ich musste hinsehen, weil ich einfach nicht anders konnte. Mir gefiel, was ich sah, auch wenn es einfach nicht fair war, ihn beim Schlafen zu beobachten.
Er lag nun ruhig, und schien an einem weniger fürchterlichen Ort zu sein, was auch mich beruhigte.
Kurz war ich in Versuchung sein Gesicht zu berühren, aber ich ließ es dann doch. Auch diese erste Berührung zu stehlen schien mir ebenfalls unfair, und auch ich hätte das für mich nicht gewollt.
Auch wenn er mir vor dem Schlafengehen einen kurzen Kuss auf die Stirn gegeben hatte, war das doch etwas anderes.
Mal abgesehen von den wenigen Berührungen, die fast alle von seiner Seite ausgegangen waren, hatten wir keine ausgetauscht, und das hier schien mir einfach zu intim.
Ich schlich aus dem Zimmer und schloss auf die Türe, nur um dann noch minutenlang in die Stille zu horchen.
Er gehörte nun zu mir, ich war für ihn verantwortlich, und es lag an mir, dass er seinen Platz in diesen Wänden fand.

„Hast du gut geschlafen?“
Ich hielt ihm eine Tasse Kaffee entgegen, obwohl ich nicht mal wusste, ob er überhaupt welchen trank.
Verschlafen, mit verwuschelten Haaren und nur in Boxershorts und T-Shirt, stand er im Türrahmen und nahm sie entgegen.
Die Prothese war nun nicht mehr übersehbar, aber sie störte mich eigentlich nicht.
Auch wenn ich es mir so nicht vorgestellt hatte, so ergab sie mit ihm doch ein durchaus passables Gesamtbild.
Das technische Ding sah irgendwie sportlich aus, und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, war der Rest von ihm eindeutig spannender.
Erst jetzt, mit dem wenigen das er trug, erkannte ich, wie durchtrainiert er tatsächlich war. Das T-Shirt spannte über seiner Brust, und darunter erkannte ich schwach die Muskeln.
Ja, das war nicht schlecht, und was ich sah, sprach mich absolut an. Ich hätte mich auch nicht an einem kleinen Bauchansatz gestört, aber das hier... Da konnte man wirklich nicht meckern.
„Danke. Gibt es auch Milch?“
Ich zeigte auf den Kühlschrank.
„Du wohnst hier, bedien dich.“
Eigentlich hatte ich es aufmunternd und liebevoll gemeint, aber bei genauerer Betrachtung klang es nicht so. Sollte ich nicht, da wir uns gerade erst kennenlernten, etwas zuvorkommender sein? Auch wenn er jetzt tatsächlich hier wohnte, was ich noch immer nicht wirklich verinnerlicht hatte, konnte ich doch aufmerksamer sein?
Während ich noch immer darüber nachdachte, starrt ich auf seinen Hintern vor der offenen Kühlschranktür. Verdammt gut.
Sofort bereute ich meine Worte etwas weniger, und hoffte einfach, er würde es mir nachsehen.
Wenn ich darüber nachdachte, war Damian von seinem Körperbau her vermutlich der perfekteste Mann, der jemals halbnackt in meiner Küche gestanden hatte.
Viele waren es ohnehin nicht gewesen, aber die wenigen tatsächlichen Besucher in diesen Räumen hatten allesamt keine so gute Figur gemacht.
Eigentlich gab es da wirklich nichts auszusetzen, und ich fragte mich ernsthaft, warum gerade ich so ein Glück hatte. Bestellt hatte ich nicht genau das, aber haben wollen, hätte ich es schon.
Ich hatte allerdings nicht wirklich damit gerechnet, dass ich etwas in der Art bekommen würde, weil solche Männer Agenturen nun wirklich nicht brauchten.
Gerechnet hatte ich mit Schlimmerem, und wäre vermutlich auch damit zufrieden gewesen. Ein leichter Bauchansatz, irgendein anderer Makel, ich hätte darüber hinweggesehen, weil ich mir genau das vorgenommen hatte. Obwohl es mir so schwer vorgekommen war, hatte ich mir selbst eingeredet, dass eine Frau voller Makel vermutlich einen ebensolchen Mann erhalten würde. Wer so war wie ich, der kalkulierte nicht mit einem Mann wie diesem.

„Hast du gut geschlafen?“
Ich wiederholte die Frage, denn er hatte nicht geantwortet, und hoffte, er würde mir dabei verraten, ob er meinen nächtlichen Besuch mitbekommen hatte.
Ein wenig hatte ich ein schlechtes Gewissen, und überlege ernsthaft es ihm zu erzählen, wollte aber eigentlich nicht so neurotisch wirken.
Was sollte er dann von mir denken?
Alpträume hatte man manchmal, ich selbst kannte das panische Gefühl nur zu gut, und ganz sicher wollte man dabei nicht beobachtet werden. Meistens erinnerte ich mich nicht mal an den Traum als solchen, ich wachte auf mit dem erschrockenen Gefühl, ohne zu wissen, was genau es verursacht hatte.
Vielleicht erinnerte auch er sich nicht daran, und alles was eine Frage danach bringen würde, wäre eine peinliche Stille.
„Geht so. Ist ein fremdes Bett, und ich glaube, ich habe da letzte Nacht so einiges verarbeitet.“
Natürlich. Warum war ich nicht selbst darauf gekommen?
Der Tag war aufregend gewesen, unser beider Leben hatten sich komplett verändert, wer würde da nicht schlecht schlafen?
Es stimmte, wie hatten wohl beide einiges zu verarbeiten, immerhin hatten wir tatsächlich einen völlig fremden Menschen geheiratet.
Ich selbst sollte mich wundern, dass ich so gut geschlafen hatte, und schob es insgeheim auf völlige Übermüdung und den vielen Alkohol.
Das Ganze hatte mich so geschafft, dass ich schon nach Minuten eingeschlafen war, was mir sonst nie passierte.
Meistens wälzte ich mich Ewigkeiten von der einen auf die andere Seite, und letzte Nacht war das nicht der Fall gewesen. Kaum hatte mein Kopf das weiche Kissen berührt, war ich einen komatösen Tiefschlaf gefallen.
Aber nur, weil das mir so ergangen war, hieß das ja noch lange nicht, dass es auch für ihn so galt.
Ich hatte etwas anderes geglaubt, aber war das nicht die einfachste, naheliegenste Erklärung?
„Kein Wunder, wenn du mich fragst. Ich kann das auch alles noch gar nicht so richtig begreifen.“
„Ich auch nicht. Aber ich bin nicht unzufrieden, keinesfalls.“
Er ließ sich auf den Küchenstuhl gleiten und erst jetzt wurde mir klar, dass ich noch immer mein Nachthemd trug. Ohne BH.
Ich war aufgestanden, so wie ich es immer tat, und hatte nicht darüber nachgedacht.
Meine vorab so gut geplanten Vorsätze, mich ihm weder so, noch ungeschminkt zu zeigen, hatte ich schlichtweg vergessen.
Wenigstens an den Push-Up-BH hätte ich doch denken können!
Erschrocken stand ich wieder auf, schlang die Arme um meine Brust um sie zu verdecken, und trat unruhig von einem Bein auf das andere.
Wie hatte mir das passieren können?
Er hatte nicht darauf gestarrt, jedenfalls hatte ich es nicht gesehen, und das sagte schon alles.
Man starrte nur auf Dinge, die einen interessierten.
Auch wenn er gerade gesagt hatte, dass er nicht unzufrieden war, so riss ich ihn wohl nicht vom Hocker. Durchaus verständlich.
Während ich gebannt auf seinen Brustkorb und die Boxershorts geblickt hatte, hatte er meinen Brüsten keinerlei Beachtung geschenkt. Ich selbst wusste, dass sie es nicht wert waren, aber sah es nicht für ihn so aus, als würde ich sie ihm aufzwingen?
„Ich bin auch zufrieden, aber ich ziehe mir jetzt erstmal etwas an.“
Mit noch immer verschränkten Armen tappte ich aus der Küche und war mir nie vorher so dämlich vorgekommen.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

RitaSolexs Profilbild RitaSolex

Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 13
Sätze: 1.560
Wörter: 39.069
Zeichen: 225.162

Kurzbeschreibung

Lottchen hat die Schnautze voll. Sie ist es leid, dass Männer über sie lachen, sie nicht ernst nehmen, und sie mit über dreißig noch Single ist. Als wieder einmal ein Mann bei der Erwähnung ihres Namens ins schallendes Gelächter ausbricht, fällt sie einen folgenschweren Entschluss: Die Sache muss jemand in die Hand nehmen, der sich mit soetwas auskennt, und vor allem eins tut: jeden Ausweg für den Mann auf Flucht verbauen. Was also liegt da näher, als eine arrangierte Hochzeit mit einem Fremden?