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Kapitel: | 4 | |
Sätze: | 713 | |
Wörter: | 11.428 | |
Zeichen: | 66.587 |
Sie waren jetzt seit nicht ganz 48 Stunden verheiratet und die junge Frau konnte es noch immer nicht ganz glauben, dass sie morgen ihre Flitterwochen antreten würden. Eine Reise in die Karibik. Die Reise, von welcher sie immer geträumt hatten. Die Koffer standen bereits gepackt im Flur ihrer kleinen Wohnung, nur wenige Minuten von der Pizzeria entfernt, in welcher sie und ihr Mann gerade saßen. Sie waren schon oft hier her gekommen, so war hier das Essen nicht nur gut, sondern auch der Preis angemessen. Näher an den Touristenattraktionen, war das schon ganz anders. Das Essen war von minderwertiger Qualität und wurde zu einem viel zu hohen Preis verkauft. Aber die Touristen schienen das entweder nicht zu wissen oder aber sie waren zu bequem, sich in andere Stadtviertel zu bewegen. Aber letzten Endes war es ja nicht ihr Geld und so konnte man sich wenigstens sicher sein, auch noch zur Mittagsstunde hier einen Platz zu bekommen und das ohne großartige Wartezeit.
Wieder einmal glitt der Blick der jungen Frau in Richtung der Türe der Pizzeria und erneut fiel dieser auf den dunkelbraunen Koffer, der direkt neben dem Eingang an die Wand gelehnt dastand. Er stand jetzt schon eine ganze Weile da, ohne dass er jemanden zu gehören schien.
„Schatz? Siehst du den Koffer dort drüben?“, wandte sie sich mit leicht gesenkter Stimme an ihren Mann, der gerade dabei war seine, im Steinofen gebackene, Pizza in kleinere Teile zu zerschneiden.
„Ja sehe ich, aber was soll damit sein?“, fragte er, während er mit der Hand nach einem Pizzastück griff und hinein biss. Sie schmeckte so himmlisch. Saftiger Belag und knusprig dünner Boden. Genau so wie er sie am liebsten hatte.
„Nun er steht da schon eine Weile und ganz offensichtlich gehört er niemanden.“
„Ach, den hat bestimmt einer vergessen“, lachte der junge Mann und legte seiner Frau die Hand auf die ihrige. „Mach dir doch keine Gedanken wegen einem herumstehenden Aktenkoffer, sondern lieber darum, ob wir auch wirklich alles für morgen eingepackt haben.“
„Ich habe alles mindestens drei Mal kontrolliert“, lachte die junge Frau und ihre Augen strahlten dabei. „Nichts wird uns von dieser Reise abhalten können.“
EILIGE SONDERMELDUNG – EILIGE SONDERMELDUNG – EILIGE SONDERMELDUNG
Vor wenigen Minuten wurde Neapel von einer schweren Explosion erschüttert. Die Explosion fand westlich des historischen Zentrums von Neapel statt. Über das Ausmaß der Verwüstung, sowie die Ursache, ist zum aktuellen Zeitpunkt nichts weiteres bekannt. Dichter Rauch und weitere, kleinere Explosionen erschweren die Rettungsarbeiten.
Den Rettungskräften offenbarte sich ein Bild der Verwüstung. Autos waren von der Druckwelle auf die Straße geschoben oder gleich umgeworfen geworden. Überall auf der Straße lag Glas von zerborstenen Fenster. Schreie von Verletzten halten durch die Straße, vermischt mit den Sirenen der verschiedenen Einsatzfahrzeuge. Die Carabinieri wirkten beinahe hilflos im Anbetracht der Situation und in ihren Gesichtern konnte man das pure Entsetzen ablesen. Schaulustige hatten sich angesammelt und erschwerten den Rettungskräften die so oder so schon schwierigen Arbeiten. Für die Fahrzeuge war kein Durchkommen, so dass man einen großen Teil zu Fuß zurücklegen musste. Dunkler Rauch lag schwer in der Straße und biss in den Augen. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr, waren die Ersten, die vor Ort waren und auch wenn sie es mit ihren eigenen Augen sehen konnten, so konnten sie es dennoch nicht fassen. Dort wo sich einst der Eingang zu einer traditionellen Pizzeria befunden hatte, klaffte nun ein riesiges Loch in der Hausfassade. Flammen umzüngelten das, was von der Einrichtung noch übrig geblieben war. Befehle wurden durch die Gasse gebrüllt, so mussten doch die angrenzenden Häuser evakuiert werden. Man wusste nicht, was diese Explosion verursacht hatte und somit konnte zu diesem Zeitpunkt keiner ausschließen, dass es nicht noch einmal passieren konnte.
Zügig und dennoch vorsichtig, betraten die Feuerwehrleute das Innere der einstigen Pizzeria. Dieses Gebäude war eindeutig Einsturz gefährdet und keiner von ihnen wollte sich noch hier befinden, wenn das Haus zusammenstürzen sollte. Der Blick einer der Männer blieb an einem Ring hängen, der sich am Zeigefinger einer Hand befand, doch das war auch das Einzige, was er von dessen Besitzer sehen konnte. Er spürte wie sein Magen anfing herum zu drehen und kämpfte die Aufkommende Übelkeit nieder. Man hatte sie auf vieles in der Ausbildung vorbereitet, doch auf so etwas konnte man sich niemals vorbereiten. Ihm war klar, dass niemand, der sich hier vorne aufgehalten hatte, diese Explosion hatte überleben können. Es wirkte auf den ersten Blick so, als wäre das Zentrum der Explosion genau hier gewesen. Ein Bild, das ihm zu denken gab, doch genauere Untersuchungen würden Licht ins Dunkel bringen. Jetzt war nicht der Zeitpunkt für Spekulationen.
Konsequent und der Gefahr bewusst, drangen die Feuerwehrleute tiefer in die Räumlichkeiten vor, denn noch bestand die Hoffnung, dass irgendjemand diese Explosion überlebt haben konnte. Einer der Männer hob die Hand, als er glaubte etwas gehört zu haben. Angestrengt lauschte er und versuchte dabei die lauten Geräusche, welche von der Straße herein drangen, aus zu blenden. Ja, nun war er sich sicher, dass etwas gehört hatte. Erneut wurden Befehle ausgetauscht.
EILIGE SONDERMELDUNG – EILIGE SONDERMELDUNG – EILIGE SONDERMELDUNG
Wie wir bereits berichtet haben, hat sich heute vor wenigen Stunden eine schwere Explosion in Neapel zugetragen. Mehrere Häuser wurden dabei massiv in Mitleidenschaft gezogen und für 2 Häuser besteht akute Einsturzgefahr. Aktuell wird von 6 Toten gesprochen, deren Zahl sich jedoch noch erhöhen kann, so sind die Bergungsarbeiten bisher nicht beendet. Die Verletzten – Eine genaue Zahl liegt uns nicht vor – wurden in die anliegenden Krankenhäuser gebracht. Die Ursache für die Explosion ist weiterhin unklar.
Während die Rettungskräfte damit beschäftigt waren sich um die Verletzten, wie auch um die verängstigten Anwohner zu kümmern, hatten die Carabinieri alle Hände voll zu tun, die Paparazzi davon abzuhalten, die Absperrung zu umgehen, um Bilder von der grausamen Szenerie zu schießen, aus denen sie sich natürlich den größtmöglichen Profit erhofften. Je näher man an dem Ort des Geschehens war, je mehr Details auf den Fotos zu erkennen war, desto mehr Geld ließ sich damit den Zeitungsbossen aus der Tasche ziehen. Dass sie damit vielleicht den Anwohnern oder Angehörigen auf die Füße treten könnten, interessierte sie nicht. Immerhin regierte Geld die Welt und nicht Mitgefühl. In der ganzen Hektik fiel niemanden der Mann auf, der an der Absperrung stand und diese grausame Szenerie mit einem geradezu zufriedenen Lächeln betrachtete.
„Si“, antwortete Mishael und verdrehte die Augen nach oben, während er seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung lauschte. „Natürlich haben wir das … Si … Wir tun hier …“ Mishael hasste es, wenn er mitten in einem Satz unterbrochen wurde und da änderte auch die Tatsache nichts daran, dass die Person am anderen Ende der Leitung sein Boss war. „Capito. Ich melde mich wenn wir etwas haben.“ Ohne einen Abschiedsgruß beendete Mishael das Telefonat und steckte mit einem gefluchten „Stronzo!“ das Telefon zurück in seine Hosentasche.
„Das solltest du meinen Vater aber besser nie hören lassen“, kam es leise und heiser von der Person in dem einzigen belegten Bett in diesem Zimmer.
„Mille grazie a Dio!“, rief Daniele aus und die Müdigkeit, welche ihm vorher noch in den Knochen gelegen hatte, war mit einem Schlag verschwunden. „Gian! Endlich bist du wach.“
„Schrei bitte leiser“, murmelte Gian und fing an zu husten. Wieso war das Sprechen so verdammt schmerzhaft? Außerdem, wo er war er überhaupt? Nach seinem Hotelzimmer sah das hier jedenfalls nicht aus.
„Ich habe noch nicht einmal angefangen“, meinte Daniele, stand aus seinem Sessel auf, in welchem er gefühlt die letzten Tage und sogar Nächte verbracht hatte. „Was fällt dir gottverdammten Idiot eigentlich ein dich alleine mit diesem neapolitanischen Pizzafresser zu treffen? Hat sich dein Vater etwa nicht deutlich genug ausgedrückt? Hatte seine Anweisung nicht deutlich gelautet 'Keine Alleingänge Gian'? Eh?! Waren das nicht seine Worte gewesen?“ Mit durchdringenden Blick sah Daniele den im Bett liegenden Gian an. Schläuche ragten unter der Bettdecke hervor und die Geräte neben seinem Bett gaben ein gleichmäßiges Piepen von sich. Diese Geräusche waren in den letzten 7 Tage das Einzige gewesen, das ihm gesagt hatte, dass Gian noch am Leben war. Trotzdem waren sie keine Garantie dafür gewesen, dass er überhaupt wieder die Augen aufmachen würde. Die Ärzte hatten ihn für knapp 72 Stunden in ein künstliches Koma versetzt, um seinem Körper die Chance zu geben, die notwendige Ruhe zu erhalten. Doch als man ihn aus diesem herausgeholt hatte, da hatte Gian einfach nicht die Augen aufmachen wollen. Er war einfach in dem Zustand verblieben. Niemand hatte genau sagen können, was das zu bedeuten hatte oder wie lange dieser Zustand andauern würde. Man hatte von wenigen Tagen gesprochen, aber auch von Wochen. Ja, es waren vielleicht nur 7 Tage gewesen, aber Daniele waren sie vorgekommen wie 7 verdammt lange Jahre.
Gian sah Daniele an und wollte tief durchatmen, doch das Einzige was er damit bewirkte war, dass er einen Hustenanfall erlitt.
„Jetzt gebe ihm halt etwas zu trinken“, kam es von Mishael, welcher sich mit dem Rücken an die Zimmertüre gelehnt hatte. „Du siehst doch was los ist. Also verschiebe deine Standpauke einfach mal um ein paar Minuten.“
„Ich? Du könntest deinen israelischen Arsch ruhig auch zum Wasserhahn bewegen. Die Türe wird schon nicht aus den Angeln fallen, nur weil du sie mal für 5 Minuten nicht festhältst.“
„Leck mich.“
„Ruhe … Alle beide“, sagte Gian mit rauer Stimme und auch wenn er gerade nicht unbedingt laut sprach, so ließ dennoch sein Tonfall die Zwei sofort verstummen. Gian waren diese Wortwechsel nur zu vertraut und daher wusste er, dass es Danieles und Mishaels Art und Weise war, sich ihre Verbundenheit zu zeigen. Sie alle arbeiteten jetzt schon seit mehr als 5 Jahre eng zusammen und waren ein eingeschworenes Team. Jeder konnte sich auf den Anderen absolut blind verlassen. Eigentlich hatte er sich mit beiden Händen über das Gesicht fahren wollen, doch irgendetwas zog dabei an seinem rechten Arm und daher beließ er es bei einer Hand.
„Anstatt euch hier zu zanken wie zwei alte Weiber auf dem Wochenmarkt“, sprach Gian weiter und hatte dabei das Gefühl, jemand hätte seinen Hals mit Schmirgelpapier bearbeitet. „Könnte mich mal einer auf den aktuellen Stand bringen.“
„Wir oder eigentlich ja nur du, bist nach Neapel gereist um dich mit diesem Bastard von Capaci zu treffen“, machte sich Daniele daran Gian auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. „Natürlich alleine und somit gegen die Anweisung von deinem Vater. Cazzo! Irgendwann wird dich dein sizilianischer Sturkopf noch unter die Erde bringen.“ Es war ja nicht das erste Mal, dass sich Gian über die Anweisungen seines Vaters hinweg gesetzt hatte. Aber offensichtlich war ihm keine Konsequenz, die sein Vater daraufhin verhängt hatte, eine Lehre gewesen. Als Daniele zum Weitersprechen ansetzte, hob Gian einfach nur leicht die Hand und brachte ihn somit wieder zum Schweigen.
„Informationen. Kurz und präzise.“
Weder war es zu überhören, noch war es zu übersehen, dass Daniele gereizt war. Er kannte ihn jetzt schon im wahrsten Sinne des Wortes beinahe sein ganzes Leben. Als Kinder hatten sie zusammen im Garten Fußball gespielt oder waren zusammen in Palermo auf der Kaimauer gesessen und hatten sich ein Eis schmecken lassen. Daniele war ihm damals nicht nur ein guter Freund gewesen, sondern er war auch sein einziger Freund gewesen. Er war ein paar Jahre älter als er selbst, aber das hatte ihre Freundschaft in keinster Weise beeinträchtigt. Auch als Daniele von seinem Vater damit beauftragt wurde, ihm den Rücken frei zu halten und auf seinen Arsch auf zu passen, hatte es ihrer Freundschaft nicht geschadet. Im Gegenteil. Ihre Freundschaft war der große Vorteil in diesem Geschäft.
„Du hast dich mit ihm getroffen und du bist mit ihm in die Luft geflogen“, brachte es Mishael von der Türe aus auf den Punkt. Mishael war, wie man vielleicht bereits an seinem Namen vermuten konnte, nicht italienischer Herkunft. Er war in Israel geboren und war viele Jahre für den Mossad tätig gewesen. Er sprach nicht gerne über diese Zeit beim israelischen Geheimdienst und Gian wusste nur vage ein paar Dinge. Er hatte Mishael auch nur einmal danach gefragt und als dieser ihm gesagt hatte, er solle sich diese Frage sonst wohin stecken, war für Gian das Thema erledigt gewesen. Er wusste, dass er Mishael vertrauen konnte und mehr interessierte ihn ehrlich gesagt auch nicht. Er musste nicht jedes Detail aus dem Leben eines Anderen kennen, um zu wissen, ob er ihm vertrauen konnte oder nicht. Es war eine Seltenheit, dass sich ein Nicht-Italiener in den Reihen der La Famiglia befand und Gian konnte sich ausmalen, mit welchen Vorwürfen sein Vater zu kämpfen gehabt hatte. Aber es war diese Mühen definitiv wert gewesen. Mishael hatte nicht nur einmal sein Können unter Beweis gestellt und viele Unternehmungen wären ohne sein Zutun nicht einmal annähernd so erfolgreich gewesen. Gian verwunderte es nicht, dass Mishael die Informationen so nüchtern präsentierte, denn er war es von ihm gar nicht anders gewohnt. Manchmal konnte man das Gefühl bekommen, dass ihm, durch seine Mitgliedschaft beim israelischen Geheimdienst, sämtliche Emotionen abhanden gekommen waren. Gian jedoch wusste es besser.
„Genau! Diese kleine miese Ratte hat dich in die Luft fliegen lassen“, war es nun wieder Daniele der sich zu Wort meldete. „Man hat dich beschissen Gian! Sie haben dich gefickt und du hast es noch nicht einmal gemerkt!“ Ja Daniele war wütend. Wenn er diese Ratte in die Finger bekam, dann würde dieser den Tag seiner Geburt verfluchen. Er würde seine Einzelteile in ganz Neapel verstreuen und man würde Mühe haben, ihn wieder zusammen zu setzen, um ihn überhaupt identifizieren zu können.
„Zitto!“
Gian sah Daniele mit einem scharfen Blick an und setzte sich dann langsam in seinem Bett auf. Ruhig glitt sein Blick an seinem Arm entlang und verharrte dann auf der Kanüle, die in seiner Armbeuge steckte. Mit einem Ruck zog er sich die Kanüle aus dem Arm und löste danach die Elektroden, die man zur Überwachung seiner Lebensfunktionen an seinem Oberkörper platziert hatte. Natürlich wurde das sofort mit einem lauten Warnton der Geräte quittiert.
„Gian was hast du vor?“
Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Daniele Gian bei seinen Unternehmungen.
„Wir verschwinden“, stellte Gian kurz und knapp fest, ehe er sich im Zimmer umsah. „Meine Sachen. Pronto!“
„Sag mal hat dir die Explosion jetzt auch noch das letzte bisschen Verstand aus deinem Gehirn gepustet?“ Kopfschüttelnd sah Daniele Gian an. „Du lagst gottverdammte 7 Tage im Koma, hast gerade eben erst die Augen aufgemacht und willst jetzt einfach so aus dem Krankenhaus spazieren?“
„Nein, ich will hier nicht raus spazieren“, meinte Gian und quälte sich zu einem schrägen Grinsen. So wie er sich gerade fühlte, würde er vermutlich nicht einmal einen einzigen Schritt hinbekommen. „Sondern du wirst mich hier heraus fahren. Also mach dich auf die Suche nach einem verdammten Rollstuhl, wenn du mich nicht tragen willst.“
„Du wirst deinen sizilianischen Arsch mal schön im Bett lassen. Haben wir uns da verstanden?“
„Hör zu“, sprach Gian und griff nach den Sachen, die ihm Mishael entgegen hielt. „Irgendjemand wollte mich aus dem Weg zu schaffen und ich will herausfinden wer. Ich werde mit Sicherheit nicht hier liegen und warten bis mir derjenige eine Knarre an den Kopf hält. Ich will das Dreckschwein finden das hierfür verantwortlich ist.“
„Ich will ja nicht hetzen“, meinte Mishael und warf einen Blick den Gang entlang. „Aber da ist eine Schwester im Anmarsch.“
„Sieht sie wenigstens gut aus?“, fragte Gian, während er sich abmühte einen Arm in den Ärmel seines Hemdes zu stecken.
„Du bist unverbesserlich“, seufzte Daniele und half Gian beim Anziehen. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt das Krankenhaus zu verlassen und egal mit welchen Argumenten er jetzt ankommen würde, Gian würde nicht von seinem Entschluss abweichen. In Danieles Augen war es pure Sturheit, während Gian es wohl eher als konsequentes Verhalten bezeichnen würde. Um Ausreden war Gian nämlich noch nie verlegen gewesen.
„Glaub mir Gian, die würdest du nicht einmal deinem ärgsten Feind ins Bett legen wollen“, grinste Mishael von der Türe in Richtung Zimmer und damit war wohl allen klar, was da gerade im Anmarsch war.
„Kümmere dich darum“, wandte sich Gian an Mishael und deutete mit dem Kopf auf die Türe. Sie würden hier drin wohl noch einen Moment benötigen und diese Zeit musste er ihnen verschaffen. Wie? Das war sein Problem.
„Si“, antwortete Mishael mit einem kurzen Kopfnicken und war auch schon aus dem Zimmer verschwunden.
„Gian du weißt, dass das hier Wahnsinn ist oder?“, fragte Daniele nach, während er Gian das Hemd zuknöpfte. „Dein Vater wird mir den Kopf abreißen.“
„Das hat er dir schon oft angedroht und er sitzt noch immer auf deinen Schultern“, ächzte Gian, der wirklich jede einzelne Bewegung doppelt und dreifach spürte. Vielleicht war es wirklich Wahnsinn sich auf eine Faust aus dem Krankenhaus zu entlassen, aber von hier aus hatte er einfach nicht die Möglichkeit sich auf Spurensuche zu begeben. Abgesehen davon hatte er wirklich keine große Lust in einem Krankenhausbett zu sterben. Besonderes ehrenvoll war dieser Tod nämlich nicht gerade.
„Können wir endlich verschwinden?“ Mishael hatte die Türe geöffnet und einen Rollstuhl in den Raum geschoben. „Besonders lange wird sie nicht verschwunden sein.“
Gian und Daniele nickten beide mit dem Kopf und mit Mishaels Hilfe saß Gian relativ zügig in dem Rollstuhl und just in dem Moment, als die Krankenschwester sich auf den Weg zurück zum Zimmer gemacht hatte, verschwanden die Drei um die Ecke. Vermutlich würde sie sein Verschwinden melden und vielleicht würde man Nachforschungen anstellen, allerdings würde man dann eine tragische Entdeckung machen. Der Name oder man sollte besser sagen die Person, deren Identität man sich eben mal kurz ausgeliehen hatte, war schon seit vielen Jahren tot. Von Maden und Würmer zerfressen und somit eine Sackgasse für die Ewigkeit.
*********
„Hast du Bagarella bereits erreicht?“ Mit fragenden Blick sah Domenico seinen Vater an, ehe er sich ihm gegenüber in einen schwarzen Ledersessel sinken ließ. Ruhig legte er seine Arme auf die Lehnen des Sessels und strich mit den Spitzen seiner langen Finger über das kühle Leder.
„Ich versuche ihn seit dem Vorfall vergebens zu erreichen“, antwortete Marcello seinem ältesten Sohn.
„Verwundert dich das Vater? Er ist mit Sicherheit abgetaucht.“
„Du denkst er steckt dahinter?“
„Ja das denke ich“, bestätigte Domenico die Frage seines Vaters mit einem Nicken. „Er hat dieses Treffen in die Wege geleitet, nur er wusste außer uns noch davon und nun ist er verschwunden. Zu viele Indizien um ein Zufall zu sein.“
„Was macht dich so sicher, dass nicht Santino selbst dahinter steckt?“
Ein kleines Lächeln umspielte die schmalen Lippen Domenicos.
„Ich habe mich im Vorfeld über ihn schlau gemacht. Wie du ja weißt, kenne ich meine Geschäftspartner gerne“, sprach Domenico mit ruhiger Stimme. „Er ist zu intelligent für einen solchen Schachzug.“
„Zu intelligent? Du weißt genau, dass er danach giert Fuß in Neapel zu fassen und dass er uns nicht einfach grundlos angreifen kann. Was also liegt näher, als sich einfach einen solchen Grund zu beschaffen?“
„Vincenzo Santino hält die Macht über gesamt Sizilien und weiten Teilen Süditaliens in seinen Händen“, erklärte Domenico weiterhin mit ruhiger Stimme. „Er hat diese Macht nicht mit Gewalt erlangt Vater. Es wäre für ihn ein leichtes einen Grund für einen Angriff zu finden, ohne dabei das Leben seines einzigen Sohnes zu riskieren. Wenn seine Intention wirklich gewesen wäre uns zu vernichten, warum hat er dann noch nicht damit begonnen?“
Domenico hatte die letzten sieben Tage mit nichts anderem verbracht, als sich Gedanken über den möglichen Verursacher dieses Chaos zu machen. Aber es war schwer auch nur einen einzigen Namen auf der Liste der Verdächtigen aus zu schließen. Gerade wenn man die älteste und einflussreichste Familie in Neapel war, war die Liste nicht gerade kurz.
„Die Faszination für diesen Mann trübt dein Einschätzungsvermögen Domenico“, sagte Marcello und erhob sich hinter seinem Schreibtisch aus massiven Mahagoni.
„Nicht mehr, als dass du die Augen davor verschließt dein alter Freund Silvio könnte hinter dieser Tat stecken“, entgegnete Domenico und hielt ohne zu blinzeln dem harten Blick seines Vaters stand. Er wollte gerade etwas hinzufügen, als das sanfte Vibrieren des Mobiltelefons in seiner Anzugsjacke seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
„Scusa“, entschuldigte er sich knapp bei seinem Vater für diese Unterbrechung und nahm das Gespräch entgegen. Er lauschte den Worten des Anrufers und beendete das Gespräch ohne ein einziges Wort gesagt zu haben.
„Gian Santino hat so eben mit seinen beiden Wachhunden das Krankenhaus verlassen“, informierte er seinen Vater über den Inhalt des kurzen Gesprächs.
„Sie sollen ihm folgen. Ich will wissen wo der Bastard vorhat sich zu verstecken.“
„Meine Männer haben ihre Befehle“, stellte Domenico knapp klar, dass bereits alles in die Wege geleitet war. Domenico hatte in den vergangenen Tagen vieles in weiser Voraussicht in die Wege geleitet, da ihn das Gefühl überkommen hatte, dass sein Vater anfing die Prioritäten aus den Augen zu verlieren. Sicherlich war es ein Schock für ihn gewesen den eigenen Sohn, im Koma liegend, im Krankenhaus zu wissen, doch Nevio war auch Domenicos kleiner Bruder. Domenico wollte den Schuldigen finden und ihn dafür bezahlen lassen, doch dafür benötigte er einen kühlen Kopf und durfte sich nicht von seinen Emotionen in seiner Wahrnehmung trüben lassen. Eine falsche Entscheidung, ein voreiliger Schritt und Neapel würde im Chaos versinken. Etwas, das es unter allen Umständen zu vermeiden galt. Solange er nicht wusste wer den Befehl gegeben hatte, die Bombe hochgehen zu lassen, solange war es besser sich zurück zu halten. Zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen wäre nicht gerade von Vorteil. Auf diese Weise würde man der Person nur zu verstehen geben, dass man sich ihr auf den Fersen befand und sie würde die Chance nutzen, um unter zu tauchen. Sie dann noch zu finden war beinahe unmöglich.
„Sage mir Domenico“, wandte sich Marcello wieder an seinen ältesten Sohn. „Was bringt dich zu der Annahme, dass Silvio etwas damit zum tun haben könnte?“ Es interessierte Marcello welche Gedanken sich sein Sohn deswegen gemacht hatte. Warum er ausgerechnet Silvio ein solches Handeln zutraute, nicht aber Vincenzo Santino.
„Wie du weißt, hat Silvio in New York gerade einen schweren Stand und dir ist sicherlich zu Ohren gekommen, dass er nur knapp einem Anschlag auf sein Leben entgangen ist“, fasste Domenico seine Überlegungen in Worte. „In Neapel sind deine Beziehungen nach Übersee schon lange kein Geheimnis mehr. Was, wenn man ihn gekauft hat? Er sorgt dafür, dass wir aus dem Rennen fliegen und dafür erhält er Unterstützung in New York.“
„Silvio ist gerissen Domenico. Er würde sich niemals mit uns und Santino anlegen, nur für ein bisschen Schutz in New York. Dieses Risiko würde nicht einmal er eingehen. Er mag sicherlich einen gewissen Hang zum Luxus haben und dafür ein wenig mehr Geld benötigen, aber soweit geht er nicht. Darauf kannst du dich verlassen.“
Domenico legte die Fingerspitzen aneinander und fing an die Spitzen seiner Zeigefinger gegeneinander zu tippen, während er nachdachte. Santino schloss er in diesem Fall als Schuldigen aus, zwar nicht mit einer absoluten Sicherheit, aber mit einer entscheidenden. Wenn sein Vater sagte, dass er es Silvio nicht zutraute, dann verließ er sich auf das Wort seines Vaters. Doch wer war es dann gewesen? Wer konnte dann hinter diesem Attentat stecken und wer war das eigentliche Ziel gewesen?
„Wir sollten mit Santino zusammen arbeiten“, stellte Domenico nüchtern fest und erntete dafür einen kritischen Blick von seinem Vater Marcello.
„Hast du gerade gesagt, wir sollen mit diesem Zitrusfesser Santino zusammenarbeiten?“
„Es gibt keinen anderen Weg und das weißt du genau Vater.“ Nur durch eine Zusammenarbeit konnte man den Kreis der Verdächtigen einengen und gemeinsam standen ihnen auch weitaus mehr Optionen zur Verfügung. Aber Domenico konnte seinem Vater ansehen, dass ihm dieser Vorschlag überhaupt nicht schmeckte. Es war kein großes Geheimnis, dass die Strukturen der sizilianischen Mafia sich doch stark von den ihrigen unterschied. In den Augen seines Vaters waren sie einfach zu verbohrt in alte Traditionen und nicht modern genug. Zusätzlich würde eine Zusammenarbeit für seinen Vater bedeuten, nicht mehr alles alleine in den Händen zu halten und er war einfach ein Mann, der seine Macht nicht teilen wollte. Eine Zusammenarbeit mit Santino war für ihn gleichbedeutend mit sich eine Schwäche einzugestehen. Die Schwäche, nicht alleine für die Sicherheit seiner Familie sorgen zu können. Hilfe benötigen zu müssen, um denjenigen zu finden, der beinahe seinen zweiten Sohn auf dem Gewissen gehabt hatte.
„Ich werde Enzo damit beauftragen Santino zu kontaktieren“, seufzte Marcello und ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch in den schweren Sessel sinken.
„Das Vater, solltest du lieber selbst in die Hände nehmen“, sprach Domenico mit ruhiger Stimme und einem kleinen Lächeln, ehe er sich von seinem Platz erhob. „Wir sollten doch versuchen von Anfang an eine gute Verhandlungsposition zu besitzen.“
Marcello sah seinen Sohn für einen kurzen Augenblick an und vollführte dann mit seiner rechten Hand eine leicht wegwischende Handbewegung. Mit einem kurzen Neigen des Kopfes verabschiedete sich Domenico und verließ das Arbeitszimmer seines Vaters, damit dieser in Ruhe den Anruf in Palermo tätigen konnte. Er dagegen würde nun ein paar Leute einen Besuch abstatten in der Hoffnung, von ihnen etwas Neues erfahren zu können.
Lorenzo hatte gar kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Seit über einer Woche war sein Boss – Silvio Bagarella – jetzt wie vom Erdboden verschluckt. Keiner wusste wo er war, so hatte er niemanden gesagt, wohin er vorhatte zu gehen. Er war einfach eines Morgens nicht in seinem Büro erschienen und auch zu Mittag war er nicht aufgetaucht. Wenn man versuchte ihn auf seinem Mobiltelefon zu erreichen, dann bekam man nur den Text seiner Mailbox zu hören. Für Lorenzo ein Beweis dafür, dass etwas passiert sein musste. Sein Boss mochte vielleicht ein Lebemann sein, aber er war ein zuverlässiger Mann. Er hatte ihm bisher immer gesagt wo er vorhatte hin zu gehen oder wo er sich aufhalten würde und wann er zurückkehren würde. Immer bis – Ja bis er sich diesen komischen Kerl ins sein Haus geholt hatte. Keiner hatte ihn gekannt. Keiner hatte je von ihm gehört und vermutlich floss in seinen Adern nicht einmal italienisches Blut. Er hatte seinen Boss gefragt, was dieser Kerl hier bitte schön wollte und er hatte ihm gesagt, dass er ab sofort für seine Sicherheit sorgen würde. Es war ein Schlag ins Gesicht gewesen, so hatte er ihm damit doch verstehen gegeben, dass er ihm nicht länger zutraute für seine Sicherheit zu sorgen. Stattdessen hatte er sich ein Kerl angeschafft, der ein Niemand war.
Lorenzo hatte diesen Mann – Jaden Sykes – überprüft, aber weit war er nie gekommen, denn die wenigen Spuren die der Kerl hinterlassen hatte, hatten jedes Mal ins Nichts geführt. Er war eindeutig ein Mann, der nicht wollte, dass man erfuhr wer er war. Das tat nur eine Sorte von Männer – Söldner.
„Che schifo!“, fluchte Lorenzo und spuckte schon bei dem bloßen Gedanken daran, verächtlich auf den Boden der Dachterrasse. Dieser Mann war ein Mann ohne Ehre. Er tötete für Geld und es war ihm vollkommen egal wen er tötete, solange der Preis stimmte. Oh nein, diese Männer hatten nicht einen Funken Ehrgefühl ihm Leib. Man konnte sich ihrer Loyalität niemals sicher sein, so hielt sie doch gerade einmal so lange an, bis jemand ein besseres Angebot machte. Und er war ebenfalls verschwunden. Genau so wie sein Boss Silvio Bagarella. Für Lorenzo war das kein Zufall und er würde ab sofort jeden Sonntag zur Kirche gehen, wenn dieser Söldner nichts mit dem Verschwinden seines geliebten Bosses zu tun hatte. Dieser Mann, dieser Jaden, er war nicht nur ein Söldner, er war ein Killer. Lorenzo hatte es in seinen Augen gesehen. Ein kalter Schauer lief ihm heute noch über den Rücken, wenn er an ihr erstes Aufeinandertreffen dachte. Es war Morgens gewesen und er hatte, wie sonst auch immer, das Haus seines Bosses betreten. Seit mehr als 3 Jahren kam er jeden Morgen in die Villa von Silvio Bagarella, um in seinem Arbeitszimmer alles für den Tag vorzubereiten. Geschäftsberichte, Informationen wo es gerade Schwierigkeiten gab. Eben all das, was man brauchte, um das Geschäft ordentlich zu führen. Jeden Tag, außer am Wochenende, hatte er das Haus um die gleiche Zeit betreten und nie war ihm etwas komisch vorgekommen. An diesem Tag jedoch – Ja, da war es anders gewesen. Schon beim ersten Schritt, den er in das Haus gesetzt hatte, war es ihm kalt den Rücken hinabgelaufen und eine Stimme hatte ihm gesagt, er solle wachsam sein. Leise war er durch das Haus geschlichen und dann hatte er ihn gesehen. Mit einer einfachen Jogginghose und nacktem Oberkörper war dieser Mann barfuß auf der Terrasse gestanden und hatte irgendwelche komischen Verrenkungen vollführt. Er hatte gerufen. Er hatte ihm befohlen sich zu erkennen zu geben, doch der Mann hatte nicht auf ihn reagiert. Er hatte ihn ignoriert und Lorenzo di Marco ließ sich von niemanden ignorieren. Er war durch das Wohnzimmer geschritten, hinaus auf die Terrasse und hatte den Mann an der Schulter gepackt. Wollte ihn zu sich herum drehen und zur Rede stellen, doch das was dann passierte, war zu schnell passiert, als dass Lorenzo es sicher erzählen konnte. Er wusste nur, dass er im nächsten Moment den kühlen Marmor in seinem Rücken und die Wärme einer Hand direkt über seinem Kehlkopf gespürt hatte. Er hatte mit dem Gedanken gespielt nach seiner Waffe zu greifen, die er immer bei sich trug, doch es war, als hätte der Mann ihm sein Vorhaben am Gesicht ablesen können. 'Wage es und du bist tot', hatte er zu ihm gesagt und ihn einfach nur angesehen. Dieser Blick. Dieser eiskalte Blick aus leblosen graublauen Augen. Der Blick eines Mannes, der nichts mehr zum verlieren hatte. Lorenzo waren es vorgekommen wie Stunden, dabei waren es vermutlich nur wenige Sekunden gewesen, die der Mann, dieser Jaden, wie Silvio ihn später vorgestellt hatte, ihn angesehen hatte. Dieser eiskalte, durchdringende Blick aus leblosen Augen. Noch nie hatte Lorenzo so leblose Augen gesehen. Nicht ein Funken Emotionen waren darin zu erkennen gewesen und das hatte Lorenzo wissen lassen, dass dieser Mann keine Probleme damit hatte, seine Drohung war zu machen. Es war dann das amüsierte Lachen von Silvio Bagarella gewesen, das dieser Situation ein Ende bereitet hatte. 'Wie ich sehe, habt ihr euch schon miteinander bekannt gemacht', hatte er gesagt und war dabei mit einer Tasse Kaffee in der Terrassentüre gestanden, als würde er jemanden beim Kartenspielen zuschauen. Als wäre diese Situation etwas ganz alltägliches. Dieser Jaden hatte daraufhin von ihm abgelassen und war einen Schritt zurück getreten, hatte aber nicht die Höflichkeit besessen, ihm wieder auf die Beine zu helfen. Er hatte ihn - Lorenzo di Marco - auf dem Boden liegen lassen, wie ein Stück Abfall. So machte man sich keine Freunde, aber höchstwahrscheinlich legte er auch keinen Wert auf Freundschaft. Wahrscheinlich existierte so etwas in seinem kleinen erbärmlichen Leben nicht einmal. Er mochte ihn von diesem Augenblick an schon nicht und noch weniger mochte er ihn, als sein Boss ihm klar machte, dass Jaden ab sofort für seine Sicherheit und für die schwierigen Jobs zuständig war. Und nicht nur das, er ernannte diesen Mann doch in der Tat zu seiner rechten Hand. Er verlieh ihm Macht und Befehlsgewalt und verkündete dies in einem Nebensatz. Er – Lorenzo – er hatte Jahre darauf hingearbeitet, einmal dahin zu kommen, wo er jetzt war und nun wurde ihm irgendein dahergelaufener Söldner vor die Nase gesetzt. Nein, das war ja nun wirklich keine gute Grundlage für eine friedliche Zusammenarbeit.
Dennoch konnte Lorenzo nicht leugnen, dass dieser Kerl einen verdammt guten Job machte. Man nannte ihm einen Namen und am nächsten Morgen wurde diese Person mit durchgeschnittener Kehle in ihrem Bett aufgefunden. Spuren gab es keine. Er hinterließ nie irgendwelche Spuren. Er kam mit den Schatten und er ging mit ihnen. Manchmal, da betrat man einen Raum und dieser war absolut leer. Irgendwann hob man den Kopf und dann stand er da, schweigend, mitten im Raum. Man sah ihn nicht kommen und man hörte ihn nicht kommen. Er war wie ein Geist. Ein böser Geist. Ein Assassine. Er kam in der Nacht und hinterließ nichts anderes als den Tod. Lorenzo war ja nun wirklich kein besonders gläubiger Mensch, aber wenn der Teufel wirklich existieren sollte, dann gehörte Jaden mit Sicherheit zu seinen engsten Vertrauten. Ja, Lorenzo hatte wahrlich keine gute Meinung über die rechte Hand seines Bosses und er traute ihm einfach nicht über den Weg. Mit gutem Grund, wenn man sich nun das plötzliche Verschwinden seines Bosses vor Augen hielt. Er war wie vom Erdboden verschluckt, während in Neapel alles Kopf stand. Mehrmals am Tag rief nicht nur Marcello Capaci an und wollte Informationen über den Aufenthaltsort von Silvio haben, sondern auch Vincenzo Santino. Kaum hatte der eine aufgelegt, war der andere an der Leitung und Lorenzo konnte ihnen einfach keine Auskunft geben. Er konnte ihnen immer nur die gleiche Antwort geben, nämlich die, dass Silvio Bagarella momentan nicht verfügbar war. Natürlich hatte Lorenzo einen kurzen Gedanken daran verschwendet, ob Silvio von der Sache Kenntnis haben könnte, doch dann hatte er den Gedanken wieder verworfen. Er konnte es sich nicht vorstellen. Doch was wenn …
„Wie ich sehe scheinst du es dir gut gehen zu lassen“, kam eine Stimme von der Türe des Büros und Lorenzo schreckte auf. Er sprang beinahe schon aus dem Ledersessel, in dem er Platz genommen hatte.
„Grazie a Dio! Silvio!“, rief er überschwänglich und ging zügigen Schrittes auf seinen Boss zu. Dieser jedoch sah an ihm vorbei zu seinem Schreibtisch, hin zu der Karaffe aus schwerem Bleiglas, in welcher eine bernsteinfarbene Flüssigkeit glitzerte. Der teuerste Whisky den man kaufen konnte und den er nur zu besonderen Anlässen aus dem Schrank holte. Und nun stand er auf seinem Schreibtisch, wie eine Flasche billiges Wasser.
„Silvio wo warst du? Jeder hat nach dir gesucht und keiner konnte dich finden“, sprach Lorenzo weiter und blieb direkt vor seinem Boss stehen. „Ständig ruft Marcello hier an und will dich sprechen und wenn er nicht anruft, dann ist es Vincenzo Santino, der dich sprechen will. In Neapel steht alles Kopf und du bist nicht da. Wo Silvio warst du gewesen, dass dich niemand finden konnte?“
Silvio jedoch gab ihm keine Antwort, sondern ging ruhigen Schrittes an ihm vorbei und setzte sich in seinen Ledersessel, der hinter seinem Schreibtisch stand und verschloss mit ruhigen Handbewegungen die gläserne Karaffe.
„Du willst wissen wo ich war?“, sprach Silvio ohne Lorenzo dabei an zu sehen. „Wie wäre es, wenn du mir erzählst warum?“
„Warum? In Neapel steht alles Kopf, jeder will wissen wo du bist und du fragst mich warum?“
Lorenzo hatte sich zu seinem Boss umgedreht und sah ihn mit fragenden Blick an. Was war nur los mit ihm? Er wirkte irgendwie … verändert. Ja, das war wohl das richtige Wort dafür.
„Setze dich doch“, sprach Silvio und deutete mit der Hand auf den freien Sessel vor seinem Schreibtisch.
„Setzen? Ich will mich nicht setzen“, meinte Lorenzo kopfschüttelnd. „Ich will wissen wo du warst und warum dich keiner finden konnte.“
Lorenzo bekam den Blick nicht mit, welchen Silvio Jaden zugeworfen hatte. Er verspürte nur auf einmal einen stechenden Schmerz in seinem Rücken, viel zu überrascht um darauf reagieren zu können und im nächsten Moment fiel er auch schon wie ein nasser Sack zu Boden, als er seine Beine nicht mehr spürte. Ein Schwall der übelsten Schimpfwörter floss über seine Lippen und wie automatisch glitt seine Hand an die Stelle, wo er immer seine Waffe trug, doch der Platz war leer. Der miese Bastard von Söldner hatte ihm seine Waffe entwendet. Was zum Henker war hier eigentlich los? Fragend glitt sein Blick zu Silvio, doch dessen Blick lag nicht auf ihm, sondern auf Jaden. Wieder deutete Silvio mit der Hand auf den leeren Sessel vor seinem Schreibtisch. Lorenzo wurde von Jaden unter den Armen gepackt und auf den Sessel gesetzt wie ein kleines Kind. Eine Demütigung wie sie Lorenzo in seinem gesamten Leben noch nicht erlebt hatte.
„Lorenzo, wie lange arbeitest du jetzt für mich?“, fragte Silvio mit ruhiger Stimme, während Jaden sich hinter Lorenzo positionierte. „5 Jahre nicht wahr? Sage mir, habe ich in diesen 5 Jahren nicht gut für dich und deine Familie gesorgt?“
„Si, das hast du“, kam es eifrig nickend von Lorenzo, der langsam zu begreifen schien.
„War es nicht mein Geld gewesen, von dem du dir die Stricher hast kommen lassen?“
Es war eine Frage, auf die Silvio eigentlich gar keine Antwort haben wollte. Er hatte schon vor langer Zeit davon erfahren, aber er hatte nie etwas gesagt. Er hatte es geduldet und im Auge behalten.
„Weißt du Lorenzo“, sprach Silvio weiter und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich habe mich immer gefragt, ob du es bist, der sie in den Arsch fickt oder ob du es bist, der sich ficken lässt. Bist du es, der sich ficken lässt Lorenzo? Findest du das Gefühl in den Arsch gefickt zu werden so toll, dass du der Meinung warst, ich müsste es auch mal spüren? Spüren wie es ist, gefickt zu werden? Sag mir, wann war der Punkt, an dem du käuflich geworden bist Lorenzo?“
Für Silvio war es ein Schock gewesen, als er von Jaden erfahren hatte, dass Lorenzo ihn verraten hatte. Aber als er es erfahren hatte, war es zu spät gewesen, um alle zurückpfeifen zu können. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als zu hoffen und zu beten. Er war zusammen mit Jaden untergetaucht, um sich in Ruhe gemeinsam einen Plan zu überlegen, wie es in Zukunft weitergehen sollte. In seinem Versteck hatte er erfahren, was sich in Neapel zugetragen hatte und er fühlte sich schuldig. Er hatte dieses Treffen arrangiert und nun war es seine ehemalige rechte Hand gewesen, der Mann dem er vertraut hatte, der dieses Treffen in einem Fiasko hatte enden lassen.
„Antworte ihm!“, befahl Jaden Lorenzo und rammte ihm 2 Finger in den Schulterbereich, woraufhin Lorenzo jetzt nicht nur mit 2 tauben Beinen zu kämpfen hatte, sondern nun auch noch mit einem tauben Arm. Aber er schwieg.
Langsam erhob sich Silvio aus seinem Sessel, trat um den Schreibtisch herum und lehnte sich mit dem Hintern so gegen die Kante des Tisches, dass er Lorenzo direkt ins Gesicht blicken konnte.
„Ich habe deiner Tochter den Besuch einer sehr guten Schule ermöglicht“, sprach Silvio mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ich kann auch dafür sorgen, dass sie ein gutes College besuchen wird und danach eine der besten Universitäten des Landes. Geld spielt hier keine Rolle.“ Silvio legte seine Hände über die Kante des Tisches und neigte langsam seinen Kopf von einer Seite auf die andere, als würde er etwas abwägen. „Aber ich kann auch dafür sorgen, dass sie ab morgen wieder auf eine stattliche Schule gehen wird“, wieder lächelte er Lorenzo an, der mittlerweile den Eindruck machte, als hätte er aufgegeben. „Du weißt schon, diese Schulen mit den Metalldetektoren am Eingang und dem minderwertigen Essen in der Mensa. Wo junge, hübsche Mädchen auf dem Schulflur bedrängt werden. Wo es niemand interessiert, was hinter verschlossenen Klotüren mit ihnen passiert. Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, wie hübsch deine Tochter Julia doch ist? Dieses lange braune Haar und diese dichten dunklen Wimpern. Oh und nicht zu vergessen ihre kleinen festen Brüste, die immer so verlockend unter ihrem T-Shirt wippen, wenn sie freudestrahlend auf dich zugesprungen kommt. Sie ist schon lange nicht mehr das kleine Mädchen Lorenzo. Sie ist eine junge Frau geworden und wäre ich ein paar Jahre jünger … Wer weiß.“ Silvio deutete ein leicht anerkennendes Nicken an, wie als hätte er gerade über eine Ware geurteilt. Ganz so, als würde das Angebot voll und ganz seinen Ansprüchen genügen. Er konnte sehen, wie es in Lorenzo anfing zu brodeln, so wusste er doch, dass seine Tochter Julia ihm das wichtigste und heiligste war. Ja, es war ihm anzusehen, dass er sich gerade auf die Zunge beißen musste, um ihm nicht mindestens einen Fluch ins Gesicht zu brüllen.
„Du hast es in der Hand was mit ihr passiert“, kam es nun ohne ein Lächeln und äußert kühl von Silvio Bagarella. „An wen hast du mich verkauft Lorenzo? Wem hast du erzählt was ich in Neapel in die Wege geleitet habe?“
„Ich kann es dir nicht sagen“, murmelte Lorenzo und senkte seinen Blick. Er konnte seinem Boss einfach nicht mehr in die Augen schauen.
„Tut mir leid“, sprach Silvio kalt und beugte sich ein klein wenig nach vorne. „Wie war das gerade? Ich habe dich nicht verstanden.“
„Lauter!“, befahl Jaden hinter ihm und Lorenzo konnte ihn zwar nicht sehen, aber er konnte ihn spüren. Es war diese kalte Aura die diesen Mann umgab und die dafür sorgte, dass sich in seinem Nacken die Haare aufstellten. Er brachte nicht den Tod – Er war der Tod selbst.
„Ich sagte“, fing Lorenzo an, ehe ihm die Stimme versagte und er sich räuspern musste. „Ich kann es dir nicht sagen.“
„Ich verstehe“, nickte Silvio und sah über Lorenzo hinweg zu Jaden.
„Nein du verstehst nicht“, warf Lorenzo ein und richtete den Blick auf den Mann vor ihm. Dem Mann, dem er so lange gute Dienste geleistet hatte und der ihm so vieles ermöglicht hatte. Der sich gut um seine Familie gekümmert hatte. Immer. „Sie haben mich in der Hand und wenn ich es nicht getan hätte dann ...“
„Dann?“
„Sie haben mir gedroht Julia in Einzelteilen zu schicken. Sie haben mir gedroht sie zu töten. Verstehst du denn nicht? Ich hatte keine andere Wahl!“
„Du hattest keine andere Wahl?“ Silvio schüttelte den Kopf und kehrte wieder zurück zu seinem Sessel auf die andere Seite des Schreibtischs. „Anstatt es mir zu sagen und mir die Möglichkeit zu geben, für die Sicherheit deiner Familie zu sorgen und – Gottverdammt! Du weißt, dass ich das hätte können – ziehst du es vor mich zu verraten und besitzt nun die Frechheit, mir ins Gesicht zu sagen, du hättest keine Wahl gehabt?“
„Es tut mir leid“, sprach Lorenzo mit leiser Stimme und ließ langsam seinen Kopf sinken. „Bitte, lasse meine Familie nicht für meinen Fehler büßen.“
„Mache dir um deine Frau und deine Tochter keine Sorgen, für sie wird gesorgt sein“, kam es nun erneut mit einem Lächeln von Silvio. „Sie sollen nicht dafür büßen müssen, einen Mann ohne Ehre als Vater und Ehemann gehabt zu haben.“
„Danke“, sprach Lorenzo und ein dankbares Lächeln legte sich auf die Lippen, ehe er die Augen schloss und auf das unabwendbare Ende wartete. Das war die Konsequenz seines Handelns. Der Preis, den er für seinen Verrat zu zahlen hatte. Er zahlte ihn gerne, wenn er seine Frau und seine Tochter versorgt wusste. Silvio war kein Mann leerer Versprechungen. Er hatte ihm gesagt, dass für seine Familie gesorgt sein würde und so würde es auch sein. Er spürte Hände an seinem Kopf und er wusste, dass es die von Jaden waren. Noch einmal rief er sich die Gesichter seiner Frau und seiner Tochter vor sein geistiges Auge, ehe ein deutliches Knacken von brechenden Wirbel den Raum erfüllte und sein Kopf leblos zur Seite kippte.
Sich kurz die Hände reibend, trat Jaden neben den Sessel und sah zu Silvio.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte er mit ruhiger Stimme und steckte die Hände in seine Gesäßtaschen.
„Du meinst, nachdem ich ihn habe verschwinden lassen?“, fragte Silvio und sah kurz zu Lorenzo. Er verstand einfach nicht, warum er ihn verraten hatte. Er hatte ihm all die Jahre vertraut und er hatte nie einen Grund gehabt, es nicht zu tun. Nein, es war Silvio nicht einfach gefallen ihn bezahlen zu lassen, aber er hatte wirklich keine Wahl gehabt. Hätte er es nicht getan, dann hätte es für ihn weitaus mehr Verlust bedeutet. Der Verlust von Macht. Der Verlust von Einfluss und der Verlust von Vertrauen. Auf den Straßen vertraute man ihm und jeder wusste, dass er keinen Verrat duldete. Schon viele hatten versucht ihn zu hintergehen und hatten dafür mit ihrem Leben bezahlt. Das war es, was die Leute über ihn wussten und weswegen sie ihm ihren Respekt zollten. Hätte er den Tribut für den Verrat nicht eingefordert, wer hätte ihn dann noch respektiert? Zu verlockend wäre dieses Zeichen von Schwäche für seine Gegner gewesen und sie hätten es ausgenutzt. Gegen ihn genutzt. New York war ein hartes Pflaster. Anders als Neapel oder das noch weiter entfernte Sizilien. Dort tickten die Uhren noch immer ein klein wenig anders.
„Ich werde meine Koffer packen und noch heute nach Neapel fliegen“, führte Silvio seine Pläne zu Ende.
„Hältst du das für eine gute Idee?“
„Nein, aber wenn ich noch länger von der Bildfläche verschwunden bleibe, dann habe ich bald Marcellos und Vincenzos Leute am Hals und kann mein Testament schreiben. Ich habe keine Lust die nächsten Monate in einem kleinen, dreckigen Versteck zu leben Jaden. Entweder ich kann das Missverständnis auflösen und das versuche ich am besten persönlich vor Ort und nicht am Telefon oder aber ich schaffe es nicht. Immerhin verrecke ich dann nicht wie eine feige Ratte in irgendeiner Gosse.“
Leicht nickte Jaden mit dem Kopf. Es würde eine heikle Angelegenheit werden, so viel stand fest, aber er konnte Silvios Entschluss verstehen. Er war ein Mann mit Ehre und diese verpflichtete ihn einfach dazu, zu versuchen das Missverständnis aufzulösen.
„In Ordnung“, nickte Jaden mit dem Kopf. „Dann werde ich unser kleines Problem beseitigen und anschließend meine Koffer packen.“
„Nein, darum wird sich Alessandro kümmern. Je früher wir aufbrechen, desto besser wird es sein“, widersprach Silvio und unterstrich seine Worte mit einer leichten Bewegung seiner Hand.
„Wie du wünschst“, nickte Jaden und verschwand aus dem Büro, um die notwendigen Vorbereitungen für eine Reise nach Neapel zu treffen.
Silvio befand sich nun seit geschlagenen 3 Tagen in Neapel und noch immer nicht hatte er Marcello Capaci aufgesucht. Gut, an dem einen Tag war er erst spät Abends in Neapel gelandet und da wollte er nicht direkt vom Flughafen aus zu Marcello fahren. Doch am nächsten Tag hatte er ihn auch nicht aufgesucht, so wollte er sich erst sein eigenes Bild von der Lage in Neapel machen. In Erfahrung bringen was genau passiert war und was man sich so auf den Straßen der Stadt zuraunte. Doch nun war der dritte Tag angebrochen und er konnte sich nicht länger auf seinem Hotelzimmer verkriechen und sich vor der Konfrontation drücken. Er hatte nun alles, was er an Informationen brauchte und noch immer keinen konkreten Plan, wie er die ganze Sache erklären sollte. Er hatte sich viele Optionen zurecht gelegt, so hatte er sich doch den ganzen letzten Tag eingehend damit beschäftigt, das Gespräch in seinem Kopf durch zu gehen und dabei sämtliche möglichen Wendungen in Betracht zu ziehen. Für alles hatte er sich etwas zurecht gelegt, in der Hoffnung, dass es reichen würde.
Nun stand Silvio zusammen mit Jaden vor der Villa von Marcello Capaci. Ein wahrlich ansehnliches Haus, mit einem weitläufigen Garten vor der Türe. Ein schwarzes, schmiedeisernes Tor versperrte den Zugang. Dahinter eine hell gepflasterte Straße, die zu einem, von 2 Säulen aus feinstem Carreramarmor gesäumten, Eingang führte. Marcello zeigte gerne was er hatte und vermutlich hatte er hierfür den besten Architekten des Landes engagiert. Aber es half ihm nicht weiter das Gebäude nur von außen zu betrachten. Er drückte dem Taxifahrer das Geld in die Hand und stieg nach Jaden aus dem Wagen. Keiner von ihnen trug eine Waffe bei sich und das aus gutem Grund. Ohne Waffe auf zu tauchen war ein Zeichen von friedlicher Absicht. Dem Wunsch zu verhandeln und Silvio war sich sicher, dass Marcello dieses Zeichen verstehen würde. Aber selbst wenn er es nicht sollte, er hatte Jaden an seiner Seite und er war genau so gut, wenn nicht sogar besser als eine Pistole an der Hüfte. Dieser Mann war selbst eine Waffe. Präzise und genau so tödlich. Zuerst hatte er Bedenken gehabt diesen Mann in seine Dienste zu nehmen, doch nun war er sich sicher, dass es ein Fehler gewesen wäre es nicht getan zu haben.
Nach quälenden Minuten des Wartens, nachdem Silvio die Klingel betätigt hatte, öffnete sich das Tor unter leisem Summen. Wachsam glitt Silvios Blick über das Anwesen. Auch wenn er niemanden entdecken konnte wusste er, dass sie unter Beobachtung standen. Ein falscher Schritt und von ihrem Besuch würde lediglich ein großer roter Fleck am Boden zurückbleiben. Das einzige Zeichen dafür, dass sie heute je hier gewesen waren.
„Ich hoffe du weißt was du tust“, raunte ihm Jaden mit rauchiger Stimme zu.
„Das hoffe ich ebenfalls“, antwortete Silvio und trat langsam die wenigen Stufen zwischen den Marmorsäulen hinauf. Ohne etwas zu tun öffnete sich die Türe und ein Mann in schwarzem Anzug stand ihnen gegenüber.
„Signor Capaci erwartet sie bereits“, begrüßte der Mann sie in einem nichtssagenden Tonfall. „Doch vorher möchte ich sie darum bitten mir ihre Waffen auszuhändigen.“
„Wir sind unbewaffnet“, erklärte Silvio mit ruhiger Stimme.
„Sie verstehen sicherlich, dass ich das überprüfen muss.“
Im gleichen Augenblick, wie Silvio gleichgültig seine Schultern zuckte, tauchten wie aus dem Nichts zwei Männer auf. Während einer von ihnen sie wachsam im Blick behielt, tastete der andere sie nach versteckten Waffen ab. Als er nichts fand, drehte er sich um, schüttelte den Kopf und so plötzlich wie sie aufgetaucht waren, waren sie auch wieder verschwunden.
„Folgen sie mir bitte“, sagte der Mann und ging durch das Foyer auf eine lange, gewundene Treppe zu. Es war keinesfalls eine höfliche Aufforderung gewesen, sondern viel mehr ein Befehl. Darüber konnte auch das kleine Wort 'Bitte' nicht hinwegtäuschen.
Vor einer massiv wirkenden Türe blieb der Mann stehen.
„Warten sie hier“, sagte der Mann und verschwand hinter der Türe. Silvio war nicht das erste Mal hier in diesem Haus und doch konnte er sich nicht erinnern jemals hier gewesen zu sein. Es dauerte einen Moment und Silvio versuchte seine Nervosität in den Griff zu bekommen. Es war nicht gut nervös zu sein, denn wenn der Gegenüber es erst einmal bemerkte, hatte man schon so gut wie verloren. Sein Blick glitt zu Jaden, der völlig unbeteiligt neben ihm stand und die Ruhe in Person war. Er täuschte die Ruhe nicht vor, Silvio wusste, dass er es war. Es hatte Momente gegeben, in denen er ihn um seine Ruhe beneidet hatte. Aber tauschen wollte er mit ihm nicht. Eine solche Ruhe hatte nur ein Mann, der in seinem Leben nichts mehr zu verlieren hatte. Ein Mann, der mit seinem Leben schon vor langer Zeit abgeschlossen hatte.
Die Türe öffnete sich wieder und der Mann deutete mit der Hand in das Innere des Raumes. Silvio warf Jaden einen letzten Blick zu und betrat dann als Erstes den Raum. Er benötigte nur einen einzigen Blick um sich einen Überblick zu verschaffen und fest zu stellen, dass die Kacke mehr am Dampfen war, als er sich vorgestellt hatte. Er sah nicht nur Marcello mit seinem ältesten Sohn Domenico an dem großen Tisch sitzen, sondern auch Vincenzo Santino selbst saß mit an diesem Tisch. In diesem kurzen Augenblick zerschlug sich seine Hoffnung mit beiden Männern getrennt zu sprechen. Man brauchte diese Situation nicht schön reden, denn sie war durch und durch beschissen.
„Willst du dich nicht setzen“, fragte Marcello als würde er mit einem alten Freund sprechen. Silvio kam dieser Frage mit einem kurzen Nicken des Kopfes nach, während sich Jaden an eine Wand des Raumes lehnte, von wo aus er den ganzen Raum und sämtliche Personen im Blick hatte.
„Wir hatten gerade von dir gesprochen“, sagte Marcello und lächelte kurz in Vincenzos Richtung. „Und schon stehst du vor meiner Türe. Wie viele Tage sind nun vergangen? Waren es 9 oder sind es bereits mehr als wir unseren letzten Kontakt hatten?“
Marcello deutete dem eingetretenen Hausangestellten an, dem Gast doch etwas zu Trinken zu bringen.
„Ich hoffe doch ein guter Brunello di Montalcino ist in deinem Sinne?“, wandte er sich mit einem Lächeln an Silvio.
„Sicher ist er das“, antwortete Silvio und lächelte ebenfalls. Er wusste, dass dies hier gerade einfach nur eine Sache der Höflichkeit war, die einem der Anstand gebot. Vielleicht war es aber auch dem letzten Rest ihrer guten Geschäftsverbindung zu verdanken, die sie bis vor kurzem noch gepflegt hatten. Der Hausangestellte verschwand und über den Raum legte sich ein nervös machendes Schweigen. Silvio spürte die Blicke auf sich liegen, doch ließ er sich nichts anmerken. Er würde Marcellos Spiel mitspielen.
Der Hausangestellte erschien mit einem Glas und einer Flasche Wein. Das Glas stellte er vor Silvio auf den Tisch und ließ dann Marcello einen Blick auf die Flasche werfen. Erst als dieser mit dem Kopf nickte öffnete er diese und schenkte etwas von dessen in Silvios Glas. Der Wein hatte in dem Glas den Farbton eines satten Rot. Es wirkte, als hätte man ein Glas mit Blut vor ihn gestellt und Silvio wusste genau was man ihm damit sagen wollte. In diesen Kreisen hatte man seine ganz eigene Sprache. Manches davon verstand jeder und manches verstand man nur, wenn man selbst diesem Kreis angehörte.
„Es sind heute exakt 13 Tage“, sagte Silvio ohne das Glas vor sich angerührt zu haben und antwortete damit auf eine Frage, die ihm Marcello zuvor gestellt hatte.
„13 Tage“, wiederholte Marcello mit einem leichten Kopfnicken. „Möchtest du den Wein nicht probieren?“ Mit der Hand und einem Lächeln deutete Marcello auf das unberührte Glas auf dem Tisch.
„Das ist doch jetzt nicht dein ernst Marcello“, drang es mit tiefer Stimme vom anderen Ende des Tisches. „Dein Junge liegt noch immer im Krankenhaus und meiner ist auch alles andere als fit und du hast nichts anderes im Sinn, als den Verantwortlichen dafür zu fragen, ob er nicht einen Schluck Wein trinken möchte?“
„Vincenzo, noch ist er mein Gast“, entgegnete Marcello mit ruhiger Stimme. Er war hier der Herr im Hause und er ließ sich von niemanden, auch nicht von einem Vincenzo Santino vorschreiben, wie er seine Gäste zu behandeln hatte.
„Gast? Assurdo!“, meinte Vincenzo mit einer abwertenden Handgeste. „Du redest Unsinn. Er ist kein Gast und er weiß das selbst. Also lass uns endlich zum Punkt kommen.“
Marcello taxierte Vincenzo mit einem kühlen Blick. Es war sein Haus und in diesem würde er unter normalen Umständen gewiss nicht so mit sich reden lassen, wie Vincenzo Santino es gewagt hatte. Er hatte ihn bloß gestellt. In seinen eigenen vier Wänden. Er hatte gewusst, dass es keine gute Idee gewesen war, diesen alten selbstverliebten Santino in sein Haus zu holen.
„Silvio“, wandte sich nun Domenico, der bisher ruhig in seinem Stuhl gesessen war, an den Amerikaner, italienische Abstammung. „Meine Männer haben mir gesagt du bist ohne Waffen hier her gekommen. Ist das die Wahrheit?“
„Si. Deine Männer haben die Wahrheit gesagt“, antwortete Silvio Marcellos Sohn, der gerade einmal ein Jahr älter war als er selbst.
„Du weißt, welches Vergehen dir zur Last gelegt wird und dennoch bist du ohne Waffen hier aufgetaucht. Dafür gibt es nur zwei Möglichkeiten“, sprach Domenico weiter und ein schmales Lächeln umspielte für einen winzigen Augenblick seine Mundwinkel. „Entweder du hast die Tat, die dir vorgeworfen wird, nicht begangen oder aber du bist einfach nur selten dämlich. Bist du dämlich Silvio?“
Silvio spürte den eindringlichen Blick, mit dem ihn Domenico ansah mehr, als dass er ihn selbst sah. Er war seinem Blick nicht bewusst ausgewichen und doch sah er ihm nicht in die Augen, so wie es sich gehört hätte.
„Ich habe die Tat, die mir vorgeworfen wird, nicht begangen“, antwortete Silvio und suchte nun doch den Blick seines Gesprächspartners. „Aber ich kann mich nicht von jeglicher Schuld freisprechen, noch habe ich es vor zu tun.“
Silvio hatte diese Worte bewusst gewählt, wenn auch er damit eine gewisse Schuld eingestand. Ja, er selbst hatte niemanden verraten, aber es war einer seiner Männer gewesen, der es getan hatte und somit trug er unweigerlich eine Mitschuld an dem, was hier in Neapel passiert war. Eine Schuld, von der er auch nicht vorhatte sich frei zu sprechen.
Domenico sah Silvio an und nickte dann leicht mit dem Kopf.
„Wer?“
„Lorenzo di Marco hat die vertraulichen Informationen Preis gegeben“, antwortete Silvio und wusste, dass bereits diese Information einem Teilschuldgeständnis gleich kam.
„Ist er nicht dein Consigliere oder wie auch immer ihr das in den Staaten so nennt?“, fragte Domenico weiter, ohne Silvio aus den Augen zu lassen.
„Er war es gewesen“, antwortete Silvio erneut wahrheitsgemäß.
„Deine Worte lassen vermuten, dass du das Problem bereits beseitigt und das Leck gestopft hast“, sprach Domenico mit ruhiger Stimme.
„Dein Consigliere hat meinen Jungen beinahe auf dem Gewissen? Kannst du dir denn deine Leute nicht besser aussuchen Silvio? Wie leichtsinnig bist du geworden? Dein Consigliere hat mich verraten und dann wagst du es, hier in mein Haus zu kommen?“, wandte sich nun wieder Marcello an Silvio.
„Ich weiß gar nicht, warum du dich jetzt so aufregst Marcello“, erklang Vincenzos tiefe Stimme von der anderen Seite des Tisches. „Du weißt doch aus eigener Erfahrung wie es ist, von einem Consigliere beschissen zu werden. Ist nicht genau dies dir selbst vor zwei Jahren passiert?“
Man konnte beinahe das Gefühl bekommen, auf Vincenzos Lippen hatte sich ein süffisantes Lächeln gebildet. Aber Vincenzo war schon seit je her der Ansicht, dass es um das Festland nicht gut gestellt war. Zu viele die etwas vom Kuchen wollten und zu viele an der Macht, die keine Ahnung hatten. So etwas konnte doch auf lange Sicht gesehen zu keiner Stabilität führen.
„Das lässt sich nicht vergleichen und das weißt du ganz genau Vincenzo“, wehrte sich Marcello natürlich sofort. Immerhin fühlte er sich gerade ein klein wenig in seiner Ehre verletzt.
Domenico strich sich leicht mit den Fingerspitzen über die Stirn. Warum nur mussten diese alten Männer eigentlich jede Gelegenheit nutzen, um dem anderen etwas unter die Nase zu reiben. Konnten sie nicht ihre Antipathie einfach mal für einen kurzen Moment vergessen? Es würde diese Sache gleich um so vieles leichter machen.
„Konntest du etwas aus ihm heraus bekommen?“, wandte er sich wieder an Silvio. „Etwas, das uns weiterhelfen könnte?“
„Tut mir leid Domenico, aber das war mir nicht möglich“, antwortete Silvio und zum ersten Mal an diesem Abend verschwieg er etwas. Sicherlich hätte er ihn zum Reden bringen können, nicht aber ohne Lorenzos Familie damit zu gefährden. Etwas, das einfach gegen sein Gefühl von Ehre verstieß. Es mochte andere geben, denen Informationen wichtiger waren als ein Menschenleben, aber zu diesen Personen gehörte er nicht und wollte auch nie gehören.
„Du kommst hier an und erzählst uns, dass dein Consigliere uns verpiffen hat, beinahe meinen Jungen unter die Erde gebracht hat und dann kommst du auch noch mit leeren Händen an.“ Ehrlich gesagt hatte sich Marcello mehr erhofft, weswegen er ja auch ständig versucht hatte Silvio zu erreichen.
Genau in diesem Moment öffnete sich die Türe und Gian betrat das Zimmer, gefolgt von Mishael und Daniele. Auch heute trug er wieder einen feinen schwarzen Anzug und dazu ein weißes Hemd. Andere mochten eine solche Kleidung als unpraktisch ansehen, Gian jedoch legte einfach Wert auf ein entsprechendes Äußeres. Ganz abgesehen davon hinterließ es einen wesentlich anderen Eindruck bei den Leuten, mit denen er zu reden pflegte. Zielstrebig und ohne sich anmerken zu lassen, dass er eigentlich noch lange nicht auf den Beinen sein sollte, ging er auf den Tisch zu.
„Wir haben ein Problem“, sagte er und warf eine hellgraue Mappe auf den Tisch, die noch ein wenig weiter schlitterte und dann liegen blieb. Die Spitze eines Fotos war dabei zwischen den Deckblättern hervorgekommen. Gian löste die Knöpfe des Anzugs und ließ sich dann neben seinen Vater in einen der Sessel sinken. Es kostete ihn Beherrschung, dabei nicht das Gesicht zu verziehen, so spürte er doch auf schmerzhafte Weise, wie sich seine gebrochenen Rippen bemerkbar machten. Er wusste genau, dass es seinem Vater nicht recht war, dass er bereits jetzt schon wieder die Arbeit aufgenommen hatte, dabei war er es doch, der ihm diesen Sturkopf vererbt hatte.
Domenico taxierte für einen kurzen Moment den Mann, mit dem sich sein Bruder Nevio getroffen hatte und mit dem zusammen er in die Luft geflogen war. Er konnte den Verband unter dem weißen Hemd erkennen und er wusste auch, welche Verletzungen exakt Gian bei dieser Explosion davon getragen hatte und ihn jetzt vor sich sitzen zu sehen, wusste Domenico zu erstaunen. Er hatte nicht nur ein abgeschlossenes Medizinstudium hinter sich, sondern praktizierte selbst als Arzt. Ein mit Sicherheit ungewohnter Beruf in diesem Milieu, aber ein äußerst nützlicher. Er wusste daher, welche Schmerzen Gian wohl haben musste, selbst mit Schmerzmittel und für Domenico war das ein Zeichen dafür, dass er gerade einem Mann mit einem starken Willen vor sich sitzen hatte. Jemand, den man nicht unterschätzen sollte. Dann fiel sein Blick auf die Mappe und die hervor scheinende Ecke eines Fotos. Mit dem Zeigefinger zog er das Bild weiter aus der Mappe hervor, ehe er es aufnahm und betrachtete.
„Wir haben in der Tat ein Problem“, sagte er und warf das Foto so auf die Mappe, dass es jeder sehen konnte.
Silvio sah zwischen den Anwesenden unsicher hin und her, denn er schien der Einzige zu sein, bei dem es nicht sofort im Kopf klingelte, als er das Foto sah. Wenn er jedoch in Marcellos oder Vincenzos Gesicht sah, dann sah man augenblicklich, dass der Mann auf dem Foto großen Ärger bedeutete.
„Der Name des Mannes lautet Fabio Pierini“, sagte Gian und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Ohne vorher zu fragen, ob es den Anwesenden überhaupt recht sein könnte, zündete er sich eine Zigarette an, zog fest daran und blies den Rauch langsam wieder aus. „Seines Zeichens Staatsanwalt und zwar einer, der ziemlich unangenehm werden kann.“ Gian war ihm einmal im Gerichtssaal gegenüber gestanden und es war mit Sicherheit kein einfaches Unterfangen gewesen den Prozess zu gewinnen. Er hatte zu schmutzigen Mitteln greifen müssen, was seinem Sieg einen faden Nachgeschmack verliehen hatte, denn normalerweise weigerte sich Gian, auf diese Art und Weise zu gewinnen.
„Vor etwas mehr als einem Jahr hat er eine Sonderkommission zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens ins Leben gerufen und war damit leider sehr erfolgreich. Gerade hier auf dem Festland konnte er doch den einen oder anderen, für uns schmerzhaften, Erfolg landen“, sprach Gian weiter. Es mochten Informationen sein, die für den Großteil keine Neuigkeiten war, doch er hatte Silvios Blick bemerkt und er sollte doch erfahren, wen er hier nach Neapel gelockt hatte. „Bisher hatte er jedoch nie einen besonderen Grund gehabt die Familie Capaci oder gar die Familie Santino in den Fokus zu nehmen, aber dank dieser Explosion hat sich das schlagartig geändert.“ Gians Kopf drehte sich zu Silvio, den er nun mit seinen braunen Augen regelrecht in den Sitz nagelte. „Was auch immer du getan hast Silvio, es hat Nevio und mir nicht nur beinahe das Leben gekostet, sondern es hat uns auch einen Mastino auf den Hals gehetzt. Er hat Blut geleckt und wird in drei Tagen hier in Neapel eintreffen.“
„Woher stammen deine Informationen über Pierini?“, fragte Domenico, denn dass er hier nach Neapel kommen würde, war ihm neu und er konnte nicht behaupten, über schlechte Quellen zu verfügen.
„Daniele konnte sich das Vertrauen einer jungen Anwältin erschleichen und ihr diese Informationen entlocken“, erklärte Gian wie er an diese Informationen gelangt war. Wenn es hier in dieser verdammten Stadt Personen gab, denen er blind vertraute, dann waren es Daniele und Mishael. Nicht einmal seinem eigenen Vater vertraute er so sehr, wie diesen beiden Männern.
„Nicht ganz 72 Stunden“, murmelte Domenico nachdenklich. „Verdammt wenig Zeit um die Nadel im Heuhaufen zu finden.“
„Wieso Nadel? Gibt es noch immer keine konkreten Hinweise? Hat er nichts zu sagen gehabt?“ Gian sah Domenico an, deutete aber mit der Hand in Silvios Richtung. Zum ersten Mal an diesem Abend fühlte sich Silvio richtig unwohl in seiner Haut. Das Problem entpuppte sich als sehr viel größer, als ursprünglich vermutet.
„Er konnte uns lediglich den Namen der Person sagen, welche die Informationen weiter geleitet hat, aber leider nicht an wen“, sprach Domenico ohne den Blickkontakt mit Gian abbrechen zu lassen.
„Einen Namen … Einen einzigen gottverdammten Namen“, lachte Gian auf und es klang beinahe frustriert. Mit der einen Hand drückte er die Zigarette in dem Aschenbecher aus und zog mit der anderen die Schachtel zu sich.
„Gian“, sagte Vincenzo zu seiner Linken leise und eindringlich, doch Gian hörte nicht darauf. Seine übermäßiger Genuss von Zigaretten war seinem Vater ein Dorn im Auge, aber er würde wohl eher durch eine Kugel, als durch Lungenkrebs sterben. Da brauchte man sich nichts vormachen.
„Nun“, sagte Gian, nachdem er sich die Zigarette angezündet hatte. „Dann sollten wir seine letzten Kontakte überprüfen, bis wir einen Hinweis gefunden haben, denn ich bezweifle, dass dies bisher geschehen ist oder sollte ich mich hier ausnahmsweise täuschen?“
Gians Blick glitt wieder zu Silvio. Sie waren im gleichen Alter und dennoch hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Der Blick von Gian ließ Silvio spüren, was er von ihm hielt, so schimmerte doch Verachtung in ihm. Konnte er es ihm verübeln? Wohl eher nicht. Er hatte jedes Recht an ihm und seiner Loyalität zu zweifeln und das so lange, bis er ihn vom Gegenteil überzeugt hatte.
„Ich werde dafür sorgen, dass ihr Zugang zu allen Informationen und Kommunikationswege erhaltet, über die ich verfüge“, sagte Silvio und bot damit seine volle Unterstützung in diesem Unterfangen an.
„Das ist auch das mindeste, das wir von dir erwarten können“, antwortete Gian mit einem kühlen Lächeln. Er hoffte nur, sie würden schnell etwas finden, mit dem sich arbeiten ließ, denn wenn Pierini erst einmal in der Stadt war, dann würde es so einfach nicht mehr für sie sein.
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