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Das innere Verlangen - die Rache

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12.02.22 20:10
16 Ab 16 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

Die Sonne stand hoch über den Holy Cross Catholic Cemetery, Los Angeles. Die eigentliche Ruhe, die auf jedem Friedhof vorzufinden war, wurde durch Schluchzen und Weinkrämpfen unterbrochen. Die Trauergäste standen und saßen vor den beiden Särgen. Der Grund warum diese Personen sich heute versammelt hatten, ließ das Blut der Anwesenden gefrieren. Clive und Elisabeth Hargrove saßen in der ersten Reihe und bekamen von dem was um sie herum passierte nur etwas mit. Elisabeth, die ein schwarzes Kostüm trag, hatte ihre grau melierten Haare zu einem strengen Dutt zusammen gebunden. Das Make Up hatte sie sich heute gespart, denn es wäre sowieso verlaufen. Clive, der seinen schwarzen Anzug trag, hielt die Hand seiner Frau und drückte diese immer wieder.

 

Direkt neben Clive und Elisabeth saß eine junge Frau, deren Wimperntusche verlaufen war. Ihr Blick war auf die beiden Särge gerichtet. Ihr schluchzen war kaum zu hören. Kaitlyn Hargrove konnte es immer noch nicht fassen, was passiert war. In den Särgen vor ihr lagen ihr Mann und ihre Tochter. Vor 4 Wochen hatte sie alles in ihrem Leben verloren, was ihr wichtig war. Mit ihrer großen Liebe Erik durfte sie nur fünf Jahre zusammen verbringen. Die junge, blonde Frau wusste nicht was schlimmer war. Ihren Mann zu Grabe zu tragen oder ihre Tochter, die gerade mal vier Jahre alt war.

 

Der Pfarrer hielt seine Ansprache, von der Kaitlyn kaum etwas mitbekam. Als der Moment kam, wo sich die Trauergäste von dem Toten verabschieden konnten, traten zuerst die Eltern von Erik an den Sarg. Die Mutter weinte bitterlich, während der Vater sie in den Arm hielt. Dann warteten alle darauf, dass Kaitlyn an die Särge trat. Es dauerte etwas bis sie die Kraft aufgebracht hatte sich von dem Stuhl zu erheben. Mit langsamen Schritten ging sie zu den Särgen und stellte sich dazwischen. Ihr Kopf senkte sich und sie hielt jeweils eine Hand auf einen Sarg. Ihre Worte konnte man kaum verstehen. Aber jeder konnte sich denken wie schwer es für die blonde Frau war. Der beste Freund ihres Mann eilte zu ihr als ihre Knie nachgaben und hielt sie fest. Die 29-jährige fiel Ryan direkt um die Arme und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.

 

Nachdem sich die drei Personen von ihrem Liebsten verabschiedet hatten, wurde die beiden Särge in die Familiengruft runter gelassen. Das war für die junge Witwe der schlimmste Moment ihres Lebens und ihr Schrei, der von mehreren Schluchzern begleitet wurde, ging durch Mark und Bein. Nach und nach verabschiedeten sich die 150 Trauergäste von den beiden. Als auch der letzte Gast sein Beileid ihr gegenüber bekundete, verließ sie mit Ryan den Friedhof.

 

Die letzten vier Wochen waren schon schwer gewesen, aber zu wissen, dass es endgültig ist, machte es noch schwerer. Zurück in ihrer gemeinsamen Wohnung, schlich Kaitlyn in das Wohnzimmer und ließ sich auf einen großen, breiten Sessel fallen. Auf dem Wohnzimmertisch lag immer noch das Lieblingsbuch ihrer Tochter. Sie hatte es noch nicht über das Herz gebracht es wegzuräumen. Mit angeschwollen Augen griff sie danach und strich mit der rechten, flachen

Hand über das Cover. Ihre Tochter liebte dieses Buch, dass von einem kleinen Pinguin handelte, der die große, weite Welt erkundete.

 

Ryan hatte sich derweil auf die Couch gesetzt und beobachtete die Frau seines besten Freundes. Er hatte sich in den letzten vier Wochen um sie gekümmert und war immer für sie da gewesen. Manchmal hatte er stundenlang nicht ein Wort mit ihr gewechselt, aber das störte ihn nicht. Es schien ihr nur wichtig zu sein, dass er bei ihr war. Das war ihr Beistand genug.

 

Als Kaitlyn die Augen langsam öffnete wurde die von etwas hellem geblendet. Die natürliche Reaktion des Menschen, ließ sie ihre Augen wieder schließen. Ein Mann redete mit sanfter Stimme auf die Blondine ein. Kaitlyn versuchte erneut ihre Augen zu öffnen. Diesmal aber nur einen kleinen Spalt breit. Ein Mann beugte sich über ihr und sie konnte im ersten Moment nur Umrisse erkennen.

 

"Schön, dass sie wieder unter uns sind, Miss Hargrove."

 

Das helle Licht verschwand und Kaitlyn öffnete ihre Augen ganz. Sie schaute den Mann, der immer noch über die gebeugt war, genauer an. Er trug einen weißen Kittel, hatte einen Kugelschreiber in der Kitteltasche auf der Brust und schien schon älter zu sein, denn seine grauen etwas längeren Haaren fielen ihm ins Gesicht.

 

Als Kaitlyn sich aufrichten wollte, verspürte sie einen stechenden Schmerz im Bauch. Reflexartig griff sie mit beiden Händen zu der Stelle, die höllisch schmerzte und beugte sich etwas nach vorn.

 

"Sie bekommen sofort ein Schmerzmittel."

 

Er sagte etwas leise zu einer weiteren Person, die anscheinend im Zimmer war. Die Witwe schaute sich um und sah eine recht junge brünette Frau, die aus dem Zimmer eilte. Während sie sich in dem Zimmer umschaute, realisierte Kaitlyn, dass die in einem Krankenhaus war.

 

"Was ist passiert?"

"Sie wurden angeschossen. Aber es ist nur eine Fleischwunde."

 

Der Schmerz ließ etwas nach und Kaitlyn legte sich zurück in ihr Bett. Sie schaute den Arzt an und da kam die Erinnerung wieder.

 

"Zum Glück wurden Sie rechtzeitig gefunden."

 

Kaitlyn schien wirklich Glück gehabt zu haben, doch es änderte nichts an der Tatsache, dass Sie ihrem Ziel nicht einen Schritt näher gekommen war.

 

"Danke."

 

Sie bedankte sich nicht bei dem Arzt, weil er ihr das erzählte, sondern weil es so schien, dass er ihr Leben gerettet hatte. Noch bevor der Arzt etwas antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen und ein großer Mann, mit dunklen Haaren und kräftigen Körperbau, trat in das Zimmer.

Kaitlyn sah ihn an und verdrehte direkt die Augen. Der Arzt starrte den Mann wütend an.

 

"Das ist ein Krankenhaus, Mister Percy."

 

"Und das da ist meine Schwester, Herr Doktor."

 

James Percy war nicht unbedingt für seine Manieren bekannt und wo er es nur konnte, legte er einen Auftritt hin, der zeigte wie ungehobelt er sein konnte.

 

"James, bitte halte sich dich zurück."

"Wie soll ich das, wenn meine Schwester angeschossen wurde?"

 

Und wieder wurde die Tür geöffnet. Diesmal war es die Krankenschwester die mit einer Spritze auf einem Tablett zurück kam.

 

"Ich gebe Ihnen noch eben die Injektion und dann können Sie sich mit Ihrem Bruder unterhalten."

 

Da Kaitlyn einen Zugang im Arm gelegt hatte, konnte er Arzt ihr die Schmerzmedikamente direkt in die Vene spritzen. Mit einem Lächeln legte er die Spritze wieder weg und verabschiedete sich.

 

"Was tust du hier?", fragte sie ihn als der Arzt mit der Krankenschwester das Zimmer verlassen hatte.

 

"Die Frage ist doch wohl eher, was tust du hier?"

 

"Ich wollte euch überraschen."

 

James schaute seine jüngere Schwester an. Das konnte er anscheinend nicht so recht glauben, schließlich war sie seit acht Jahren nicht mehr in Miami gewesen.

 

"Und anstatt direkt zu uns kommen, lässt du dich lieber in einem üblen Viertel anschießen?"

 

"Glaubst du wirklich, dass ich das mit Absicht gemacht habe?"

 

"Nein Kaitlyn, aber du solltest noch wissen, wo man nachts lang gehen sollte."

 

"Spar dir deine Worte, James."

 

"Ich hatte Angst um dich. Aber glaube mir, ich werde den Schuldigen finden."

 

Na, super. Jetzt wollte ihr großer Bruder mal wieder den Retter in der Not spielen. Das konnte sie nicht gebrauchen.

 

"James, vergiss das. Schließlich bin ich wegen Laura und dir hier."

 

Auch wenn James das nur schwer glauben konnte, so ließ er sich erst mal nichts anmerken.

 

"Ich freue mich auch dich zu sehen und wenn du hier raus kommst, dann wohnst du bei mir.", stellte er direkt klar.

 

Was hatte sie nur angerichtet? Das war das Letzte was sie wollte. Klar, James war ihr Bruder, aber die Beiden hatten in der Vergangenheit so einige Meinungsverschiedenheiten gehabt und diese endeten immer in einem Streit.

 

"Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich wohne lieber weiterhin im Hotel. Aber ich komme gerne mal zum Essen bei dir vorbei."

 

Der Kiefer von James bewegte sich hin und her und die Witwe konnte ihrem Bruder ansehen, dass ihn das nicht recht war. Doch er wusste auch, dass er sie nicht umstimmen würde. Also nickte er nur zustimmend.

 

"Ganz wie du möchtest."

Seine Worte kamen zwar sanft über seine Lippen, doch die Betonung lag auf dem Du und das sagte der Schwester einiges.

 

Kaitlyn lächelte ihn triumphierend an und James musste mal wieder erkennen welch großen Dickkopf seine Schwester hatte.

 

"Danke Bruderherz. Aber woher wusstest du das ich hier bin?"

Eine berechtigte Frage, doch die Blondine hätte es sich denken können, dass James alles erfährt, was in den Straßen von Miami vor sich geht. Vor allem wenn jemand in seinem Viertel angeschossen wird.

 

"In dem Viertel wo du gefunden wurdest, erfahre ich in der Regel als Erster was da vor sich geht.", begann er und schaute kurz auf dem Boden. "Vor allem wenn die eigene Schwester angeschossen wird."

 

Von Kaitlyn folgte ein nicken. Das hatte sie wohl verdrängt.

"Ich hatte wohl vergessen, wo man sich nicht aufhalten sollte."

 

Ob James es ihr glaubte, wusste sie nicht, aber er schien ihr das vorerst abzunehmen. Doch sie wusste auch, dass James weiter forschen würde, was sie da wirklich wollte.

 

Vor fünf Tagen wurde die 29-jährige aus dem Krankenhaus entlassen. Die Wunde war bisher gut verheilt, aber sie machte ihr immer noch zu schaffen. Bei jeder Bewegung bemerkte sie ein ziehen. Ihr behandelnder Arzt hatte ihr geraten, das Verband öfters zu wechseln und regelmäßig zum Arzt zu gehen, damit sich die Wunde nicht entzünden würde. Kaitlyn hatte sich bis jetzt daran gehalten und hatte heute den Verband zum ersten Mal alleine gewechselt. Sie wollte nicht wieder ins Krankenhaus dafür fahren.

 

Mit ihrem Bruder saß sie in dem Boxclub, der ihrem Bruder gehörte. Heute sollte ein Showkampf stattfinden und er wollte seine Schwester unbedingt dabei haben.

Die ersten beiden Kämpfe waren vorbei und die Stimmung in dem Club wurde immer besser. Noch ein weiterer Kampf und dann würde ihr Bruder selbst in den Ring steigen. Kaitlyn fand das zwar nicht so gut, aber daran konnte sie nichts ändern.

 

Nach diesem Kampf verließ sie ihren Platz direkt vor dem Ring und ging in eine der hintersten Ecke, um sich dort auf einen breiten, schwarzen Ledersessel zu setzen. Der war viel bequemer als die Stühle am Ring. Die Hände lagen auf den Armlehnen und ihren Kopf hatte sie an die hohe Rückenlehne gelegt. Mehrfach musste sie durch atmen, denn das stille sitzen machten ihr teilweise noch etwas zu schaffen.

 

Gerade als sie einen Schluck aus ihrem Wasserglas nahm, stand ein Mann vor ihr, denn sie nicht kannte. Vorsichtig stellte sie das Glas auf den Tisch vor sich und schaute dann zu dem Mann auf.

 

"Kennen wir uns?", fragte sie ihn.

 

"Ich denke nicht. Freut mich aber sehr sie kennen zu lernen." Er hielt ihr die Hand hin.

 

"Freut mich auch sehr. Ich bin Kaitlyn."

Sie schüttelte ihm die Hand, denn sie wollte nicht unfreundlich wirken.

 

"Ich bin Finneas. Du musst die Schwester von James sein."

 

Diesen Namen hatte Kaitlyn noch nie gehört. Aber er schien sie, zumindest vom Namen her, zu kennen.

 

"Ja, ich bin die Schwester von James. Bist du auch hier zum kämpfen?", erkundigte sie sich.

"Könnte man so sagen. Ich werde gleich gegen deinen..."

 

"Da ist er ja. Dachte schon du hast Muffe bekommen.", sagte James als er auf Finneas und seine Schwester zuging.

 

Ihr Bruder klopfte Finneas auf die Schultern und nahm ihn brüderlich in den Arm. Die junge Witwe beobachtete die beiden Männer genau und es schien so als würden sie sich ewig kennen.

 

"Finn, darf ich dir meine Schwester Kaitlyn vorstellen?"

 

"Wir hatten gerade schon das Vergnügen."

 

James schaute erst seine Schwester und dann Finn an.

 

"Wie schön. Du solltest dich vorbereiten, wir sind als nächstes dran."

 

"Ich bin vorbereitet, mein Freund."

 

Finneas verabschiedete sich von Kaitlyn und zeigte James die Metallhand. Dann verschwand er.

 

"Was wollte er von dir?"

 

"James, ich bin groß und kann wohl alleine entscheiden mit wem ich rede. Er wollte sich nur vorstellen und jetzt bereite du dich besser vor."

 

"Gut. Bis gleich und drück mir die Daumen."

 

James ließ dann auch Kaitlyn alleine und ging sich umziehen.

 

Nach weiteren fünf Minuten ertönte die Musik von Survivor 'Eye of the Tiger'. Kaitlyn blieb auf dem schwarzen Ledersessel sitzen und schaute zu wie James zum Ring lief. Als er im Ring stand ging er umher und ließ sich feiern. Kurz darauf ertönte 'Hells Bells' von AC/DC und Finneas stieg in den Ring.

Die beiden Männer gaben sich die Hände und dann begann der Kampf. Kaitlyn konnte von ihrem Platz aus fast alles sehen. Sie sah auch, dass sowohl James als auch Finneas ein paar harte Treffer einstecken mussten. Nach sechs Runden wurde der Kampf mit einem eindeutigen Sieger nach Punkten beendet. Der Richter hielt jeweils eine Hand der beiden Gegener in seinen Händen und versuchte Spannung aufzubauen. Das Publikum jubelte und alle waren gespannt, wer den Kampf gewonnen hatte.

 

"Aaaaand the winnnnnnnner is..."

Er riss den Arm von Finneas in die Höhe und krönte ihn als Sieger. Die Menge schien geteilt zu sein, denn man hörte Jubelschreie und Buhrufe.

 

James gratulierte sportlich seinem Gegner und dann verließen sie den Ring.

Ihr Bruder ging zu Kaitlyn rüber während er sich mit einem Handtuch durch das Gesicht wischte und sich das Handtuch schließlich um den Hals legte.

 

"Du hast schon mal besser gekämpft."

 

"Reine Taktik, Kaitlyn. Aber danke."

 

Jetzt kam auch Finneas wieder auf die beiden zu.

 

"Guter Kampf. Es war knapp."

 

"Ja, das war es. Aber du hast dir den Sieg verdienst, Finn."

"Darf ich euch zu einem Drink einladen?"

 

James winkte einen Kellner zu sich und lächelte Finn an. Als der Kellner bei ihnen war bestellte er zwei Bier und ein Wasser.

Kaitlyn richtete sich vorsichtig auf, um Finn zu gratulieren, aber sie musste kurz innehalten, denn sie hatte vergessen, dass nicht jede Bewegung ohne Probleme ging.

Finneas entging das nicht und runzelte die Stirn.

 

"Gratulation zum Sieg, Finn.", sagte sie sanft.

 

Auf eine Umarmung verzichtete die Blondine, aber sie hielt ihm lächelnd die Hand hin. Welche Finneas ebenfalls mit einem Lächeln entgegen nahm.

 

Der Kellner kam mit den Getränken zurück und stellte sie auf den Tisch. Die drei Personen setzen sich hin und James musterte Finn.

 

"James, wir sollten das wiederholen, damit du auch mal eine Chance hast."

Dabei hielt er die Flasche Bier hoch und stieß mit James und Kaitlyn an.

 

Die Stimmung war angespannt und Kaitlyn beobachtete die beiden Männer. Sie schienen sich n l zwar zu kennen, aber irgendwas stand zwischen ihnen. Das hätte selbst ein Blinder sehen können.

 

"Beim nächsten Mal gehst du zu Boden.", lachte James.

Kaitlyn hingegen nahm seine Worte sehr ernst und glaubte auch nicht, dass es ein Scherz war.

 

"Das werden wir ja sehen. Aber jetzt verrate mir doch mal, warum du Kaitlyn erst jetzt zu einem Kampf einlädt?"

 

Ihr Kopf schnellte zu Finn und sie schaute ihn mit großen, verwunderten Augen an. Was ging hier vor sich?

 

"Kaity ist selten in Miami und es hat sich nie ergeben. Aber sie ist eine Nummer zu groß für dich."

 

Was ging denn jetzt zwischen den beiden vor sich? Hatten sie vergessen, dass sie auch hier saß?

 

"Ich kann für mich alleine sprechen, James." Ihr Blick wandte sich dann zu Finneas. "Ich war einige Jahre nicht mehr hier und bin erst seit neun Tagen wieder hier."

 

Das waren zu viele Informationen, wenn es nach James ging. Aber das behielt er für sich. Kaitlyn musste nicht alles sofort erfahren.

 

"Lass sie da raus, Finn."

"Entschuldige bitte, Kaitlyn. Aber mein Job lässt mich selbst privat nicht los. Ich danke dir für deine Gesellschaft." Dann schaute er zu James. "Danke für den Sieg. Wir sehen uns."

 

Mit diesen Worten erhob er sich und ließ die beiden Percy Geschwister allein. Es dauerte einige Momente ehe die junge Witwe ihren Blick von Finneas abwendete und ihren Bruder dann anschaute.

 

"Was geht hier vor sich?"

 

"Nichts. Nichts was du wissen musst."

 

"James, das ist keine Antwort."

 

"Ich sollte dich besser ins Hotel bringen, du siehst nicht gut aus."

 

Das war der Moment, wo Kaitlyn einlenkte. Ihr Bruder schien darüber nicht reden zu wollen, zumindest nicht jetzt. Aber sie würde ihn nochmal fragen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. So einfach würde er sie nicht los werden.

 

"Ich glaube auch, dass es Zeit wird ins Hotel zu gehen. Der Abend war etwas anstrengend für mich.", lenkte sie ein.

 

James nickte. "Ich ziehe mich eben um und dann bring ich dich zurück."

 

Nach zwanzig Minuten stand James wieder vor ihr und machte sich schließlich mit ihr auf den Weg zu ihrem Hotel.

 

 

Am nächsten Morgen wachte Kaitlyn Schweiß gebadet auf. Ihr Herz raste und die Blondine brauchte einen Moment ehe sie sich orientieren konnte. Sie hatte mal wieder einen Alptraum gehabt. Mal wieder erlebte sie den Tag, an dem ihr Mann und ihre Tochter ums Leben kamen. Diese Alpträume verfolgten sie seit Monaten, doch bisher hatte sie niemanden davon erzählt. Auch hatte sie bisher jegliche Hilfe von Psychotherapeuten abgelehnt.

 

Kaitlyn stand aus ihrem Bett auf und ging erst mal duschen. Das heiße Wasser umhüllte ihren Körper. Den Schmerz, den sie dabei spürte sorgte dafür, dass sie sich lebendig vorkam.

 

Als sie nach über einer halten Stunde unter der Dusche hervor kam klingelte das Telefon in ihrem Hotelzimmer. Nur mit einem Handtuch bekleidet ging sie zurück in den Wohnbereich ihres Zimmer und griff zu dem Hörer.

 

"Hargrove."

 

"Miss Hargrove wir haben ein Gespräch für Sie. Möchten Sie es entgegen nehmen? Der junge Mann sagte, es würde um ihren Überfall gehen."

 

"Ja, stellen sie es ruhig durch."

 

"Miss Hargrove?"

 

"Ja."

 

"Ich bin Agent O'Donnell vom FBI. Es geht um ihren Überfall vor zehn Tagen. Würden sie bitte ins FBI Headquarter kommen, damit wir ihre Aussage aufnehmen können?"

 

"Ähm... Ja, aber seit wann übernimmt das FBI solche Fälle?"

 

"Wir kümmern uns um kriminelle Banden, die in Verbindung mit Morden oder Mordversuchen gebracht werden."

 

"Ich verstehe. Dann soll ich zu Ihnen kommen?"

 

"Wann immer es Ihnen recht ist."

 

"Okay."

 

Dann wurde das Gespräch beendet und Kaitlyn setzte sich erst mal auf ihr Bett. So ganz geheuer war ihr das nicht, aber das FBI schien zu glauben, dass sie per Zufall in diese Situation geraten war und das war ihr nur recht gewesen.

 

Nachdem Kaitlyn sich fertig gemacht und etwas gegessen hatte, machte sie sich auf den Weg zum FBI Gebäude.

 

Es war Dezember und auch wenn die Winter in Miami recht mild waren, so hatte Kaitlyn sich einen dicken Mantel angezogen. Bewusst ging sie zu Fuß zum FBI. Sie musste einen klaren Kopf haben und der Alptraum von heute morgen saß ihr noch tief in den Knochen.

 

Der kalte Wind fegte durch die Straßen und die Blondine stellte den Kragen ihres Mantel auf, das der Wind nicht in den Mantel zog. Ihre Hände hatte sie tief in die Taschen gesteckt und ging die Straße weiter entlang. Wie lange sie bisher unterwegs war wusste die 29-jährige nicht.

 

Als sie das Gebäude erreichte, in dem das FBI saß, schaute sie daran empor. Das Gebäude sah wie ein riesiger Spiegel aus und es hatte etwas beeindruckendes. Kaitlyn holte ein letztes Mal tief Luft und betrat dann das Gebäude.

 

Natürlich gab es eine Sicherheitskontrolle, durch die jeder Mitarbeiter oder Besucher musste. Erst hinter der Kontrolle befand sich eine Anmeldung. Kaitlyn erklärte dem Mann, hinter dem Tresen zu wem sie wollte. Der Mann schaute in seinen Computer nach und nach einigen Augenblicken erklärte er ihr wo sie hin müsste.

 

Drei der fünf Aufzüge waren in anderen Etagen gewesen und als sich gerade eine Aufzugtür öffnete, ließ sie die Menschen heraus und stieg in den Aufzug. Sie musste in die sechste Etage. Nachdem sie den Knopf gedrückt hatte, setzte er sich in Bewegung und kurze Zeit darauf hatte sie ihr Ziel erreicht.

 

Die Aufzugtüren öffneten sich und als sie auf dem Flur stand, gingen einige Männer an ihr vorbei ohne sie zu beachten. Als eine junge Frau auf die zukam, lächelte sie freundlich.

 

"Können Sie mir sagen wo ich Agent O'Donnell finde? Er erwartet mich."

 

"Gehen Sie rechts rum bis zum nächsten Gabelung. Da gehen Sie links und die dritt letzte Tür ist sein Büro."

 

"Vielen Dank."

 

Kaitlyn ging den Flur entlang, wie es ihr die junge Frau erklärt hatte. Sie kam ein einem Großraumbüro vorbei und da schien es hektisch zuzugehen. Nur kurz beachtete sie das Geschehen ehe sie weiter ging. An der Gabelung angekommen ging sie nach links. Der Flur schien endlos lang zu sein. Hier gab es kein Großraumbüro. Wenn mal eine Tür aufstand sah sie maximal vier Agents in den Büros sitzen.

 

Das Ende des Flurs näherte sich und Kaitlyn achtete zudem auf die Namensschilder an den Türen.

 

"Das dritt letzte Büro.", sprach sie mit sich selbst und hatte es dann gefunden.

 

Auf dem Schild stand der Name von Agent O'Donnell und Agent Kavanau.

Zögerlich hob sie die Hand und bevor sie klopfen konnte öffnete sich die Tür und ein junger Mann stand vor ihr, der sie fragend anschaute.

 

"Ich möchte zu Agent O'Donnell. Er erwartete mich."

 

"Oliver, dein Termin ist da.", sprach er mit der anderen Person in dem Büro und ließ Kaitlyn eintreten, ehe er das Büro verließ.

 

"Miss Hargrove, freut mich sehr."

Natürlich hatte er sich von seinem Schreibtisch erhoben und ging auf die junge Witwe zu.

 

"Agent O'Donnell."

 

Noch immer verstand sie es nicht was sie hier sollte, aber das würde sie sicherlich gleich erfahren.

 

"Kommen sie rein und setzen sie sich."

 

Kaitlyn ging etwas zögerlich zu dem Stuhl, der sich vor dem Schreibtisch befand und setzte sich. Ihre Hände legte die Blondine ineinander und schaute den Agent erwartungsvoll an.

 

"Danke, dass sie so schnell gekommen sind."

 

"Gerne. Aber bitte erklären Sie mir, was das FBI mit dem was mir passiert ist, zu tun hat."

 

"Sie kommen gerne direkt auf den Punkt. Das erleichtert uns einiges.",begann er und lächelte leicht. "Mein Boss ist der Überzeugung, dass eine kriminelle Organisation dahinter steckt. Bislang gab es keine Zivilisten, die verletzt wurden."

 

"Kriminelle Organisation? Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor.", unterbrach sie den Agenten.

 

"Nein, Miss Hargrove. Diese Bande schreckt momentan vor nichts zurück und wir gehen davon aus, dass sie deutlich machen wollten wie weit sie gehen."

 

"Und was soll das mit mir zu tun haben?"

 

Bevor er antworten konnte klingelte sein Telefon.

 

"Entschuldigen Sie bitte kurz."

Agent O'Donnell nahm den Hörer in die Hand.

 

"Ja... Natürlich... Ja... Okay... Werde ich machen Boss." Dann legte er auf.

 

"Mein Boss. Entschuldigen Sie. Also wo waren wir? Ach ja.", fuhr er fort. "Da sie sich anscheinend dort per Zufall aufgehalten haben, sah diese Bande ihre Chance ihre Botschaft deutlich zu machen."

 

"Ich sollte von denen umgebracht werden?", fragte sie entsetzt.

 

"Das vermuten wir, ja."

 

Kaitlyn hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass man glaubte sie wäre ein zufälliges Opfer gewesen. Von dieser Bande hatte sie keine Ahnung gehabt, aber das würde so einiges erklären.

 

"Bin ich noch in Gefahr?"

 

"Das können wir ihnen nicht genau sagen. Aber wir würden ihnen raten, die Straßen nachts zu meiden und wir würden ihnen Personenschutz geben, damit sie nicht weiter in Gefahr sind."

 

"Sie wollen, dass ich mich bewachen lasse? Das können Sie vergessen. Was soll mir schon passieren? Ich werde nachts nicht mehr raus gehen und die werden mich wohl kaum am helllichten Tag nochmal versuchen umzubringen."

 

Dem Gesichtsausdruck zu folge, hatte der Agent damit wohl nicht gerechnet.

 

" Miss Hargrove..."

 

"Ich kenne diese Stadt. Ich habe hier gewohnt und ich brauche niemanden der auf mich achtet."

 

"Es soll doch nur ihrer Sicherheit dienen."

 

"Falls Sie noch wissen möchten ob ich jemanden erkannt habe, so antworte ich Ihnen nein. Ich würde dann gerne wieder in mein Hotel gehen um mich auszuruhen."

 

Kaitlyn erhob sich langsam von dem Stuhl und wartete nicht darauf, dass er Agent noch etwas sagte. Sie ging zielstrebig auf die Türe zu.

 

"Schönen Tag noch."

 

Dann verließ sie das Büro und ging den Flur zurück zum Aufzug.

 

Kurz nachdem Kaitlyn das Büro verlassen hatte, rief Agent O'Donnell seinen Boss an und erzählte ihm von dem Gespräch. Erfreut war der Boss nicht und machte das auch sehr deutlich.

 

Draußen angekommen holte die Witwe Luft. Die kalte Luft füllten ihre Lungen. Sie musste unbedingt jetzt auf andere Gedanken kommen.

 

Kaitlyn wusste, dass der nächste Starbucks nur circa 20 Minuten zu Fuß entfernt. Also machte sie sich auf den Weg dahin. Nach keinem fünfhundert Metern hörte sie jemanden hinter sich nach ihr rufen.

 

Die Blondine drehte sich um und sah Finneas auf sie zu kommen. Ihre Stirn legte sich in Falten.

 

"Was machst du denn hier?", fragte er sie als er sie erreichte hatte.

 

"Ich brauchte etwas Luft."

Eine klare Lüge und auch wenn sie es hasste zu Lügen, wollte sie ihm nicht sagen, wo sie gerade war.

 

"Darf ich dich ein Stück begleiten?"

 

Kurz überlegte die Witwe und stimmte schließlich zu. Schweigend liefen die beiden zusammen die Straße hinunter.

 

Kurz bevor Kaitlyn ihr Ziel erreicht hatte, blieb sie stehen und schaute Finneas an.

 

"Warum sagte James gestern, dass du mich daraus halten sollst?"

 

"Ich denke er will dich nur beschützen."

 

Ohne ein weiteres Wort ging Kaitlyn weiter. Finneas lief ihr nach und als Kaitlyn vor dem Starbucks stehen blieb, blieb er neben ihr stehen.

 

"Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?", fragte er sie freundlich.

 

"Erklärst du mir dann, was James meinte?", stellte sie ihm eine Gegenfrage. So einfach würde er ihr nicht davon kommen.

 

Eine direkte Antwort bekam die Blondine nicht. Finneas hielt ihr die Tür zum Starbucks auf und ließ sie als erste eintreten. Neben dem Tresen war noch ein freier Tisch und Kaitlyn ging auf diesen zielstrebig zu. Finneas folgte ihr stumm und schaute zu wie sie sich hinsetzte. Das Laufen tat ihr nicht gut. Ihre Bauchwunde schmerzte wieder etwas, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

 

"Möchtest du einen Latte Macchiato oder etwas anderes?", erkundigte er sich und schaute sie erwartungsvoll an.

 

"Mit Caramell und Schokoladensauce bitte.", kam es freundlich über ihre Lippen.

 

Finn nickte und ging zu dem Tresen. Für Kaitlyn bestellte er den gewünschten Caramell Macchiato und für sich bestellte er sich einen doppelten schwarzen Kaffee. Es dauerte einige Zeit bis Finneas mit den Getränken an den Tisch zurück kehrte. Er stellte den Caramell Macchiato vor Kaitlyn hin und setzte sich dann auf den Stuhl neben ihr.

 

"Danke schön."

 

Auch jetzt entging es ihm nicht, dass die blonde Frau Schmerzen hatte. Sie hatte eine Hand auf ihren Bauch gelegt und in ihren Augen konnte man den Schmerz, den sie hatte, sehen. Doch er ignorierte ihre Gesten und sprach sie nicht darauf an.

 

"Gerne."

 

Kaity nahm einen großen Schluck von ihrem Macchiato und schaute auf das große Glas.

 

"Ist alles gut bei dir?", erkundigte er sich bei ihr und ließ sie dabei nicht aus den Augen.

 

Kaity nahm die linke Hand von ihrem Bauch und legte sie auf den Tisch. Dann schaute sie ihn an und musterte ihn.

 

"Es geht schon. Habe nur eine kleine Verletzung.", erklärte sie ihm und versuchte zu lächeln. "Bekomme ich jetzt eine Erklärung?"

 

Finneas nickte und innerhalb von Sekunden hatte er sich die passenden Worte zurecht gelegt.

"Dein Bruder ist immer besorgt um seine Schwestern, wie es mir scheint. Wir kennen uns von früher und er scheint nicht zu wollen, dass du auf die falsche Bahn gerät.", sagte er überzeugend zu ihr.

 

Das war so typisch für ihren Bruder gewesen. Er wollte sie und ihre kleine Schwester immer beschützen. Das hatte sich nie geändert.

 

"James, sollte sich darum keine Gedanken machen. Ich bin ja nur zu Besuch hier.", versuchte sie die Situation herunter zuspielen.

 

"Verstehe. Also wirst du bald wieder in deine neue Heimat zurück kehren?"

 

"Ja, ich werde wieder zurück gehen. Ich wollte James und Laura nur mal wieder sehen. Das ist ja nicht verboten oder?", dass das eine deutliche Lüge war, war ihr durchaus bewusst, aber sie wusste nicht, ob die Finneas trauen konnte.

 

"Natürlich nicht. Es freut mich aber wirklich sehr, dich kennen gelernt zu haben.", kam es aufrichtig über seine Lippen.

 

Kaitlyn hatte schon früh in ihrem Leben gelernt fremden Menschen nicht zu vertrauen und nach dem Vorfall vor ein paar Monaten traute sie niemanden mehr. Jeder hier in Miami, der James kannte, war eine Gefahr für sie. Schließlich war ihre Familie wegen ihrem Bruder gestorben. Die Nachricht war damals eindeutig gewesen.

 

"Ihr scheint euch lange zu kennen."

 

"James und ich sind früher in den gleichen Boxclub gegangen und waren eine Zeitlang gut befreundet. Dann trennten sich aber unsere Wege. Wir haben uns erst vor sieben Monaten wieder gesehen und seitdem haben wir hin und wieder Kontakt.", erklärte er der Blondinen.

 

Das schien glaubwürdig zu sein, aber irgendwas tief in ihr drin glaubte ihm nicht so recht. Irgendwas passte da nicht zusammen. Auch wenn Kaitlyn erst mit 21 Jahren Miami verlassen hatte, kannte Kaitlyn einen großen Teil der Freunde von James. An Finneas konnte sie sich nicht erinnern.

 

"James hat in meinem Leben nichts zu bestimmen, was meine Person angeht.", sagte sie dann und lächelte.

 

Finneas nickte verständnisvoll und nahm einen Schluck von seinem schwarzen Kaffee. Als er die Tasse auf den Tisch zurück stellte, schaute er sich die anderen Gäste in dem Starbucks an. Alle schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein. Sein Blick richtete sich wieder auf die Schwester von James.

 

"Das glaube ich dir. Aber ich kann deinen Bruder auch verstehen.", sagte er.

 

"Fang nicht damit an. Du hast keine Ahnung von unserem Verhältnis.", stellte sie klar und wollte darauf auch nicht weiter eingehen.

 

"Vielleicht ist er auch nur so fürsorglich, weil du vor fast zwei Wochen auf offener Straße fast umgebracht wurde.", gab er ihr zu bedenken.

 

Kaitlyn starrte ihn an. Ihre Augen musterten sein Gesicht. Jede Mimik versuchte sie zu erkennen. Doch nichts an seiner Mimik verriet etwas. Er schaute sie schon fast ausdruckslos an. Er schien mehr zu wissen, als ihr lieb war.

"Ich glaub, ich sollte zurück in mein Hotel gehen. Ich fühle mich nicht so gut.", versuchte sie sich auf dieser Unterhaltung zu winden.

Gelogen war das nicht. Schließlich war sie angeschossen worden und ihre Wunde war noch nicht vollständig verheilt.

 

Kaitlyn stand langsam auf und schaute zu Finneas runter.

 

"Es hat mich wirklich sehr gefreut, dich wieder zu sehen."

Die Blondine beugte sich nach unten um ihre Tasche in die Hand zu nehmen, da spürte sie ein etwas stärkeres ziehen. Doch Kaity versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Aber für einen kurzen Moment verzog sie schmerzhaft ihr Gesicht.

"Vielleicht sieht man sich noch mal."

 

"Es hat mich sehr erfreut.", lächelte er sie an.

 

Die junge Witwe ging raus und holte tief Luft, bevor sie sich auf den Weg zurück ins Hotel machte. Dieses Gespräch ging ihr unentwegt durch den Kopf. Irgendwas schien komisch an Finneas zu sein. Doch was es war, wusste sie nicht.

Mit jeden Meter den sie ging, fiel es ihr schwerer zu laufen. Ihre Bauchwunde machte ihr immer mehr zu schaffen. Entschlossen weiter zu gehen, wurden ihre Schritte immer langsamer. Nach eineinhalb Kilometer legte sie einen Stopp ein. Mit der linken Hand drückte sie leicht auf die Wunde. Der Schmerz wurde davon nicht erträglicher, aber es half ihr trotzdem. Fünf Minuten vergingen ehe die weiter laufen konnte. Die restlichen Kilometer lief sie durch und war erleichtert als die sie ihr Hotel erreichte.

Ohne Umwege ging in ihr Zimmer und war froh gewesen als sie es endlich geschafft hatte. Als sie ihre Jacke auszog, spürte die Blondine wieder den stechenden Schmerz. Nachdem sie sich den Pullover auszog, sah sie das der Verband sich rot verfärbt hatte und ihr Pullover einen kleinen Blutfleck hatte. Die Wunde hatte wieder anfangen zu bluten.

 

Im Badezimmer entfernte sie den Verband und säuberte die Wunde. Die jodhaltige Lösung, die sie zum säubern benutzte, brannte extrem und sie ließ einen kurzen lauten Schrei von sich. Nachdem sie alles gesäubert hatte, holte die Blondine ein steriles Pflaster aus ihrer Tasche und klebte es auf ihre Wunde. Bis zum nächsten Tag müsste das reichen.

 

Es war Samstag Nachmittag und Kaitlyn wollte ihren Bruder im Boxclub besuchen. Sie musste James bei Laune halten, damit sie weitere Nachforschungen anstellen konnte. Schließlich schien weder er noch ihre kleine Schwester zu ahnen warum sie zurück gekehrt war. 

Kaitlyn hatte sich ein Taxi genommen, um in den Boxclub zu fahren. Nochmal würde sie nicht einige Kilometer laufen. Man hatte ja gesehen, was beim letzten Mal dabei raus gekommen war. Das Taxi hielt auf dem Parkplatz vor dem Boxclub. Kaitlyn bezahlte den Fahrer und stieg aus. 

Der Parkplatz war so gut wie leer. Es stand nur der Wagen ihres Bruder und ein weiterer schwarzer SUV auf diesen. 
Kaitlyn öffnete leise die Tür und sah niemanden im inneren. Sie betrat die Halle und ging in Richtung Büro. 

"Was soll der scheiß, James?", hörte man eine männliche Stimme lauter sagen. 

"Ich habe dich gewarnt Finn. Lass Kaity in Ruhe.", drohte James seinem alten Freund.

"Sie war beteiligt.", sagte Finn wütend. 

"Sie hat unserer Familie den Rücken gekehrt.", stellte James deutlich klar. 

Dann klirrte etwas und die Stimmen verstummten kurz. 

"James, ich bin ausnahmsweise auf deiner Seite.", versuchte Finneas ihm etwas ruhiger zu erklären. 

Kaitlyn näherte sich den Büros und lauschte den Worten. Plötzlich knallte die Tür hinter ihr. Ein großer, dunkelhäutiger Mann betrat den Club. Sofort hörten die beiden Männer auf zu reden. 

Kaitlyn lächelte verlegen, bei Anblick des Riesen und winkte ihm zu. Dann hörte sie eine weitere Tür hinter sich und dann folgte auch schon eine ihr sehr bekannte Stimme. 

"Was suchst du hier, Kaity?", fragte ihr Bruder sie, entsetzt darüber, dass sie hier im Boxclub war.

Kaitlyn drehte sich um und breitete ihre Arme aus. 
"Ich wollte dich überraschen." 

"Wie immer für eine Überraschung gut.", sagte James etwas zu ruhig.  

"Wie immer. Aber um was ging es bei dir und Finn?", fragte sie vorsichtig ihren Bruder und nahm die Arme wieder runter. 

James seufzte als Finneas dann aus seinem Büro kam. 
"Das du nichts mit meinen Geschäften zu tun hast.", erklärte er ihr.

"Was geht ihn das an?", fragte sie ihren Bruder wütend und fixierte ihn mit ihrem Blick. 

Kaitlyn schaute dann an ihrem Bruder vorbei. Finneas kam auf die Beiden zu und lächelte verlegen. Umso näher er kam, umso unguter wurde ihr Gefühl.

"Kaity, hör mir zu. Es geht in nichts an.", versuchte James ihr deutlich zu machen. 

Als Finneas neben ihrem Bruder James stand schaute er zu Kaitlyn. 
"Du willst also wissen, was ich mit den Geschäften von meinem Bruder zu tun habe?", fragte sie Finn mit scharfen Unterton. 

"Du verstehst das falsch. So war das nicht gemeint.", versuchte Finneas ihr zu erklären. 

"Ich verstehe das sehr wohl. Seine Geschäfte sind mir egal. Was er tut ist mir egal. Mir ist alles egal was James betrifft.", sagte sie deutlich und mit einem Unterton, der das auch genauso deutlich machte.

Das war deutlich genug und selbst ein emotional unter bemittelter Mensch hätte das verstanden. 

Kaitlyn war eindeutig sauer gewesen. Irgendwie schien ihr jeder was gutes zu wollen und niemand fragte sie, was sie wollte. Der mittleren Percy Schwester wurde jetzt wieder deutlich, warum sie vor acht Jahren abgehauen war. Ihre Arme verschränkte sie vor ihrer Brust und schaute die beiden Männer böse an. Innerlich kochte sie, doch noch hatte sie ihre Gefühle unter Kontrolle, auch wenn ihr das schwer fiel.
James versuchte sich ihr zu nähern, doch seine Schwester wich ein paar Schritte zurück. Sie wollte jetzt nicht von James berührt oder gar in den Arm genommen werden. 

"Ich werde dann mal wieder gehen.", sagte sie unmissverständlich.
Auf dem Absatz drehte sie sich um und verließ den Boxclub ihres Bruders. 

Auf dem Parkplatz atmete die Blondine die kalte Luft tief ein. Ihr Bruder hatte sich immer noch nicht geändert. Er versuchte sie immer noch in Watte zu packen und ließ jeden wissen, wie sehr sie seine Geschäfte verabscheute. Was natürlich auch stimmte, aber James musste das nicht breittreten. Die 29-jährige fühlte sich hintergangen, mal wieder. 

Hinter ihr quietschte die Tür und fiel dann laut in das Schloss. Ihr Blick war weiterhin auf den Parkplatz und auf die Straße dahinter gerichtet. 

"Er meint es nur gut mit dir.", hörte sie hinter sich jemand sagen.
Finneas hatte sie nicht erwartet. Auf seine Worte reagierte sie nicht. 
"Er will nicht, dass du mit den falschen Leuten Kontakt hast.", fuhr er fort.

Immer noch keine Reaktion von der Blondinen. 
Auf dem Ascheuntergrund des Parkplatzes konnte sie seine Schritte deutlich hören. Die Blondine versuchte ihn zu ignorieren. 

"James möchte wirklich nur das Beste für dich.", sprach er weiter, auch wenn sie nichts sagte.

Kaitlyn schnaufte laut. 
Als Finneas hinter ihr stand, legte er eine Hand auf ihre Schulter. Ihre Schulter bewegte sie nach vorne, damit seine Hand von ihrer Schulter glitt. 

"Kaitlyn er ist besorgt nach dem Vorfall.", sagte er leise zu ihr.

Mit einem Ruck drehte sie sich zu ihm um und funkelte ihn wütend an. 

"Er hat keine Berechtigung, dir das zu erzählen. Er soll sich aus mein Leben raus halten.", schnauzte sie ihn an. 

"Er will nur, dass man den diesen Dreckssack fasst.", erklärte er ihr ruhig. 

"Und da erzählt er dir das? Er soll sich lieber um seine eigenen Probleme kümmern. Damit hat er genug zu tun."

Finneas konnte sie schon verstehen, aber was hatte sie nur dagegen, wenn man sie beschützen wollte? Ihr Bruder war schließlich ein Krimineller und in Miami Stadtbekannt. Doch bisher konnte man ihm nichts nachweisen. 

"Vielleicht möchte er einfach, dass jemand ein Auge auf die wirft, der nichts mit seinen Geschäften zu tun hat? Hast du darüber mal nachgedacht?", fragte er sie ruhig und schaute sie dabei direkt an. 

"Als ob James so was tut. Du kennst ihn nicht so gut wie ich.", entgegnete sie ihm und kräuselte wütend ihre Lippen. 

"Ich kenn ihn schon gut und ich kann dir versichern, dass ich nichts mit seinen Geschäften zu tun habe."
Das stimmte auch und Finneas wusste mehr als ihr lieb war. 

Zum Glück wusste die Witwe nichts davon und Finneas würde alles daran setzen, dass es auch erst mal so bleiben würde. Doch es schien nicht leicht zu werden. 

"Ich sollte gehen.", sagte sie beiläufig und holte ihr Handy aus der Handtasche. 

"Ich kann dich zum Hotel bringen. Dann musst du nicht auf das Taxi warten in der Kälte.", bot er ihr an. 

Kaitlyn starrte auf ihr Handy und überlegte. Es war wirklich kalt und sie wäre schneller wieder in ihrem Hotelzimmer. Mit dem Handy in der Hand schaute sie ihn schließlich an.
"Okay. Aber ich will nichts mehr von meinem Bruder hören.", stellte sie ihre Bedingung klar.

"Einverstanden." 

Finneas ging zu seinem Wagen und schloss ihn mit der Funkfernbedienung auf. Kaitlyn folgte ihm und stieg schließlich auf der Beifahrerseite ein. Als Finneas auch saß, startete er den Motor und fuhr los. 

"In welchem Hotel wohnst du?", erkundigte er sich und schaute weiterhin auf den Verkehr. 

"Grand Palms Hotel." 

Finneas fuhr weiter und quälte sich durch die Straßen der magischen Stadt. In so Situationen, wo sich Auto an Auto reihte, verstand er nicht, warum man Miami, die magische Stadt nannte. Doch nach allen den Jahren in Miami, hatte er sich daran gewöhnt. 

"Wie lange bleibst du, wenn ich fragen darf?", versuchte er ein Gespräch zu beginnen. 

"Keine Ahnung. Mal schauen.", gab sie ihm kurz und knapp zur Antwort. 

"Willst du über Weihnachten bleiben?", fragte er weiter und musste etwas stärker bremsen, weil der Wagen vor ihm doch noch rechts abbiegen wollte ohne einen Blinker zu setzen. 

Kaity bekam einen großen Kloß im Hals. An Weihnachten wollte sie nicht denken. Das würde die alten Wunden wieder auf reißen und sie konnte ihren Geschwistern nichts von diesem Verlust erzählen, zumindest noch nicht. 

"Ich bin mir noch nicht sicher." Wieder war es nur eine kurze und knappe Antwort. 

Finneas nickte, als sein Handy klingelte. Er schaute auf das große Display am Armaturenbrett und fluchte innerlich. 

"Ja?", meldete er sich nur. 

"Wir haben gleich ein Meeting, Boss.", sagte eine männliche Stimme, die sich anscheinend darüber wunderte, das er noch nicht im Büro war. Schließlich war Finneas sonst immer Überpünktlich.

"Ich bin noch unterwegs. Lass uns später reden und verschieb das Meeting.", wies er seinen Kollegen an. 

Sein Kollege verstand das sofort. 
"Wird erledigt, Boss."

Finneas beendete das Gespräch und schaute aus den Augenwinkeln zu Kaitlyn. 

"Entschuldige bitte."

"Kein Problem. Was machst du denn beruflich, wenn ich fragen darf?"

Finneas schaute auf die Straße und lächelte. 
"Habe einen langweiligen Bürojob und meine Angestellten können kaum was alleine.", erklärte er ihr. 

"Das könnte ich ja nicht. Also den ganzen Tag im Büro arbeiten.", sagte sie zu ihm und dachte ihren eigenen Job.

"Ich bin auch froh, wenn ich mal da raus komme. Was machst du beruflich?", fragte er sie sanft. 

"Ich arbeite als Biochemikerin.", sagte sie voller Stolz.

"Das hört sich interessant an.", versuchte er die Unterhalt fortzuführen um etwas mehr über die Blondine zu erfahren. 

"Für mich ist es ein normaler, unspektakulärer Job."

"Das behauptet wohl jeder von seinem Job.", gab er lächelnd zu. 

Er stoppte den Wagen vor ihrem Hotel. Schaltete den Motor ab und drehte sich zu seiner Beifahrerin. 
"Wir sind da."

Kaitlyn schaute durch die Windschutzscheibe zu dem Gebäude. Das Grand Palms Hotel war nicht so ein großer Bau, es war flacher gebaut als die restlichen Hotels in Miami. Es lag in einer ruhigen Lage und schien mehr wie eine Finca. Kaitlyn mochte diesen Stil und hier fühlte sie sich auch wohl. 

"Danke fürs bringen.", bedankte sie sich und lächelte dabei sogar etwas. 

"Hab ich gerne gemacht. Wenn was ist, kannst du dich ruhig melden." Finneas holte aus der Seitenablage der Tür einen kleinen Notizblock und schrieb seine Telefonnummer auf. "Du kannst dich jederzeit melden." 

"Danke schön." 
Kaity stieg aus dem Wagen und ging zum Eingang. Als sie sich umdrehte, fuhr Finn davon.  Er schien wirklich nett zu sein, doch er war nun mal ein Freund ihres Bruders und das machte sie immer noch etwas misstrauisch.
 

Das Grab ihrer Eltern war gepflegt und Kaitlyn war seit acht Jahren, das erste Mal wieder hier gewesen. Auf dem Miami City Cemertry war nicht viel los gewesen. Die Ruhe, die hier herrschte, hatte etwas beruhigendes. Kaitlyn hatte zwei Blumensträuße auf das Grab ihrer Eltern gelegt. Die weißen Lilien, die mit etwas Grün zu einem Strauß gebunden waren, waren die Lieblingsblumen ihrer Mutter. Diese hatte sie auf die Seite des Grabes gelegt, wo ihre Mutter beerdigt wurde. Der Strauß mit den dunkel roten Rosen, hatte sie auf die Seite ihres Vaters gelegt. Ihre Hände hatte sie gefaltet und sprach ein stummes Gebet.

 

Als sie mit dem beten fertig war, lächelte sie sanft.

"Ich war lange nicht hier. Aber ich musste weg. Bitte verzeiht mir.", sprach sie leise mit sich selbst. "Wie ihr wisst, war ich verheiratet gewesen und hatte eine wundervolle Tochter. Aber sie wurden mir genommen..."

Ihre Worten waren mehr ein schluchzen als alles andere.

"Dad, ich mache dir keinen Vorwurf für deine Geschäfte, aber Erik und Grace sind wahrscheinlich deshalb gestorben..." Tief holte sie Luft und strich sich die Tränen mit dem Handrücken von den Wangen.

"Ich wollte nie was mit diesen Geschäften zu tun haben. Ich wollte nie etwas böses tun. Doch ich glaube, manche Ereignisse ändern die eigenen Ansichten."

Kaitlyn verstummte und konnte selbst nicht fassen was sie da gerade laut gesagt hatte.

"Mom, ich weiß, dass du immer hinter mir gestanden hast und das jetzt nicht gut finden wirst. Aber ihr Beide müsst mich verstehen. Die Beiden sind nur gestorben, weil ich meine Vergangenheit verheimlicht habe. Ich war nie ehrlich zu Erik und das bereue ich zu tiefst. Ich würde jetzt alles geben um eure Meinung dazu zu hören..."

Ihre Stimme brach, denn sie hatte Selbstzweifel, ob es das Richtige war, sich rächen zu wollen.

 

Das Grab ihrer Eltern war auf einem Abschnitt des Friedhofs gewesen, wo wenig los war und deshalb wunderte sie sich als sie ein Auto hinter sich hörte. Die 29-jährige schaute über ihre Schulter und sah einen schwarzen Geländewagen, der unweit von ihr parkte. Niemand stieg aus, der Motor lief im Leerlauf. Kaitlyn richtete ihren Blick wieder zu dem Grab ihrer Eltern.

 

"Ich werde wohl gerade zu dem Monster, was ich nie werden wollte und hab dafür schon die erste Quittung bekommen... Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Schusswunde.", erzählte sie ihren Eltern und atmete tief durch.

"Aber ich hab es wohl verdient. Ich wünschte ihr würdet jetzt hier sein. Ich vermisse euch sehr."

Kaitlyn ging in die Hocke und so langsam trockneten ihre Tränen. Sie küsste ihre rechte Hand und legte sie auf den Grabstein.

"Ich komm die Tage wieder vorbei. Hab euch lieb.", sagte sie zum Schluss.

 

Kaitlyn stellte sich wieder aufrecht hin und entfernte sich von dem Grab ihrer Eltern. Der schwarze Geländewagen stand immer noch an der selben Stelle. Als sie sich der Straße auf dem Friedhof näherte, sah sie einen Mann hinter dem Lenkrad sitzen. Groß, breite Schulter und den Kragen seiner Jacke nach oben gestellt. Die Witwe wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Mann sie beobachtete.

 

Der kürzeste Weg zum Ausgang war, die Straße entlang zu laufen, aber Kaitlyn entschloss sich einen anderen Weg zu nahmen. Zehn Meter hinter dem Wagen überquerte sie die Straße und ging zu dem nächste Feld auf der anderen Seite der Straße. Auf diesem Feld standen größere Grabsteine und sie wusste zu genau, dass weiter hinten auch noch Mausoleen waren. Ohne den Wagen weiter Beachtung zu schenken, ging sie weiter. Auch wenn es noch hell war, so waren teilweise die Grabsteine schon etwas gruselig. Die mit Moos überdecken, alten Grabsteine schienen teilweise so als würde sie Kaitlyn anschauen. Die Engelsfiguren mancher Grabstellen schien nicht gerade freundlich. Aber Kaitlyn versuchte sich daran nicht zu stören.

Als sie das erste Mausoleum erreichte, ging sie dahinter und lehnte sich an die kalte und leicht nasse Mauer an. Vorsichtig schaute sie an der Ecke der Mauer vorbei und sah einen Mann, der dunkel gekleidet war und den gleichen Weg ging wie sie. Verfolgte er ihr?

 

Kaitlyn ging weiter. An mehreren Mausoleen ging sie vorbei und versuchte nicht mehr hinter sich zu schauen. Erst als sie den Ausgang von weitem sah, wurden ihre Schritte schneller. Dieser Mann war ihr unheimlich gewesen und sie wollte hier nur noch weg. Denn wer wusste schon, was das für ein Typ war?

 

Als Kaity das eisernen Tor des Friedhofs erreichte, wurden ihre Schritte wieder langsamer. Hinter dem Tor drehte sie sich nochmal um und hielt Ausschau nach diesem Mann. Doch dieser schien ihr nicht mehr zu folgen. Die 29-jährige schien unter einem Verfolgungswahn zu leiden.

Kaitlyn drehte sich um, bereit wieder auf eine belebte Straße zu kommen, stieß die blonde mit einer anderen Person zusammen.

Kaitlyn entschuldigte sich und schaute dann zu der Person auf. Mit weit aufgerissenen Augen, schaute sie den Mann an.

 

"Finneas?", fragte sie unglaubwürdig, da sie mit ihm hier nicht gerechnet hatte.

 

"Was machst du denn hier?", fragte er sie dann.

 

"Ich... ähm... Ich war am Grab meiner Eltern.", stotterte sie und schaute sich nochmal um.

Der Mann von vorhin war tatsächlich verschwunden. Doch was suchte Finneas hier?

 

"Was machst du hier?", fragte sie ihn noch etwas verängstlicht.

 

"Ich wollte zum Grab meiner Großeltern."

 

Es folgte ein nicken von Kaitlyn. Das war ein komischer Zufall.

 

"Ist alles in Ordnung?", erkundigte er sich bei ihr.

 

"Ich... Ja, ich glaube schon.", stotterte sie immer noch etwas unsicher.

 

Finneas runzelte seine Stirn und sah sie besorgt an.

"Sicher?"

 

"Ja. Ich habe nur geglaubt, dass mich jemand verfolgt hatte.", sagte sie ihm schließlich.

 

"Wo? Wer?", kam es wie aus der Pistole geschossen von Finneas.

 

"Weiter hinten auf dem Friedhof. Aber es war sicherlich auch nur jemand, der ein Grab besuchen wollte.", versuchte Kaitlyn die Situation runter zu spielen.

 

Finneas schaute in die Richtung, in die die Blondine geschaut hatte und sah niemanden. Dann schaute er wieder zu ihr.

Während die Beiden sich unterhielten fuhr der schwarze Geländewagen an den Beiden vorbei und Kaity schaute ihm hinterher. Finneas folgte ihrem Blick.

 

"Ich bringe dich besser zurück ins Hotel. Oder möchtest du wo anders hin?", sagte er während er dem Wagen hinterher schaute.

 

Sie schüttelte ihren Kopf.

Finneas nahm sie vorsichtig in dem Arm und führte sie zu seinem Wagen. Nachdem er sie in seinen Wagen gesetzt hatte, stieg er auf der Fahrerseite ein und fuhr direkt los.

Die Stille, die in seinem Wagen herrschte, war keineswegs unangenehm, weder für Kaitlyn noch für Finneas. Da er sie schon mal ins Hotel gefahren hatte, wusste er so hin musste. Kaitlyn beobachtete die Gebäude und die Menschen, an denen sie vorbei fuhren. Ihr Blick war stur aus dem Seitenfenster gerichtet.

 

Bis auf ein paar Stockungen verlief die Autofahrt ohne große Zeitverzögerungen. Das Hotel von Kaitlyn erreichten sie recht schnell. Finneas parkte seinen Wagen auf den Parkplatz des Hotels und begleitete die blonde Frau zu ihrem Zimmer. Kaitlyn holte ihren Zimmerschlüssel aus ihrer Tasche und schloss die Tür auf.

 

"Danke für das bringen.", bedankte sie sich leise.

 

"Hab ich gerne gemacht."

 

Kaitlyn öffnete die Tür und stand im Türrahmen als sie sich zu ihm umdrehte.

 

"Wenn du magst kannst du gerne mit rein kommen. Also nur wenn du nicht wieder zur Arbeit musst, meine ich.", schlug sie ihm vor.

 

Finneas lächelte sie an. "Ich hab heute nichts mehr vor."

 

Die Witwe betrat ihr Zimmer und ging etwas zur Seite, so das Finneas das Zimmer betreten konnte. Die Zimmermädchen hatten das Zimmer bereits sauber gemacht und alles schien an seinem Platz zu sein.

 

Finneas blieb mitten in dem Zimmer stehen und sah sich etwas um. Das Zimmer war groß und in hellen Farbtönen gehalten. Das große Kingsize Bett stand an der rechten Wand. Auf der linken Seite des Zimmers war eine kleine Sitzecke mit einer Couch, einem Tisch und zwei kleinen Sesseln. Das Badezimmer befand sich direkt hinter der Zimmertür und hatte eine Badewanne mit Dusche, eine Toilette und ein etwas größeres Waschbecken. Alles in allem war es recht gemütlich eingerichtet.

 

Nachdem Kaitlyn die Zimmertür geschlossen hatte, ging sie zu der kleinen Sitzecke. Die Witwe setzte sich auf einen Sessel und beobachtete Finneas. Irgendetwas hatte er an sich, dass sie beruhigte, doch was es genau war, konnte die nicht sagen.

 

Finneas ging auf Kaitlyn zu und setzte sich auf die kleine Couch. Unauffällig beobachtete er die Schwester von James. Kaitlyn selbst wusste nicht warum sie ihn herein gebeten hatte, wahrscheinlich weil er eine beruhigende Wirkung auf sie hatte.

 

"Möchtest du was trinken?", fragte sie ihn. Finneas lächelte Kaitlyn freundlich an.

"Gerne, was kannst du mir denn anbieten?"

"Was immer Du möchtest. Der Zimmerservice ist ganz gut und kann uns alles bringen was du möchtest.", sagte sie ihm mit einem leichten lächeln auf den Lippen und versuchte nicht zu sehr mehr ihren Armen zu gestikulieren.

 

"Gegen eine große Tasse schwarzen Kaffee hätte ich nichts einzuwenden."

 

Kaitlyn stand auf und ging zu ihrem Bett. Auf dem Nachttisch neben ihrem Bett stand das Telefon. Mit der Tastenkombination #005 rief sie den Zimmerservice an. Die Blondine bestellte eine Kanne Kaffee und ein paar Cookies. Nachdem Sie die Bestellung aufgegeben hatte, beendete sie das Gespräch und setzte sie sich auf ihr Bett.

 

"Warum tust du das?", fragte sie ihn leise und unsicher.

 

"Warum tue ich was, Kaitlyn?"

 

"Du bringst mich ins Hotel. Stellst eigentlich keine Fragen und du nimmst es so hin dass ich die Schwester von James bin." Ihre Stimme war kaum hörbar und ihre Unsicherheit konnte man auch deutlich hören.

 

"Was stört dich daran?", fragte er sie sanft.

 

"Freunde von James tun nichts ohne Hintergedanken.“, begann sie ihm zu erklären. „Eigentlich kenne ich keinen seiner Freunde, die das für mich tun würden. Meine Meinung zu meinem Bruder kennst du bereits. Du scheinst zu wissen das ich vor Jahren die Stadt verlassen habe.", erkläre sie ihm.

 

"Vielleicht tue ich das einfach nur, weil ich es möchte. Das hat nichts mit deinem Bruder zu tun.", sagte er ihr überzeugend.

 

Kaitlyn konnte immer noch nicht verstehen, was der wahre Grund war. Finneas schien in ihren Augen nicht viel über ihren Bruder zu wissen. Doch wer James kannte wusste, wie er zu seiner Schwester stand.

Als sie noch klein war, versuchte James sie immer zu schützen und als Kaitlyn herausbekommen hatte, was er für Geschäfte machte, wollte sie den Kontakt zu ihren Bruder gänzlich abbrechen. Anfangs war das nicht so leicht gewesen, wie sie sich das gedacht hatte. Doch mit 21 Jahren war sie endlich volljährig, konnte die Stadt und damit auch ihren Bruder verlassen. Kaitlyn hatte damals aber nicht überstürzt gehandelt. Sie wusste schon früh was sie wollte und wie ihr Leben aussehen sollte. Letztendlich fand sie all das in Los Angeles. Ein fast perfektes Leben.

 

"Du bist anders wie die meisten Freunde von James.", sagte sie ihm leise.

 

"Das hört sich gerade so an als sei das ein Kompliment.", stellte er fest.

 

"Wenn du das so auffassen möchtest, dann könnte es vielleicht auch so sein.", gestand sie ihm.

 

Es vergingen einige Sekunden, ohne dass einer von den beiden etwas sagte. Die Ruhe war keineswegs störend oder unangenehm.

 

Als es an der Tür klopfte, zuckte Kaitlyn leicht zusammen. Kaitlyn erhob sich von ihrem Bett und ging zur Tür. Sie ließ den Zimmerservice herein. Die Frau, die ein schwarz-weißes Kostüm trug und die Haare zu einem Dutt gebunden hatte, stellte das Tablett mit der Kanne Kaffee und den zwei Kaffeetassen sowie die Cookies auf den Tisch. Dann verließ sie wieder das Zimmer und Kaitlyn schloss hinter ihr die Tür.

 

"Fühl dich ganz wie zu Hause.", sagte sie an Finneas gewendet.

 

Mit langsamen Schritten ging sie auf die kleine Sitzecke zu und setzte sich wieder in den Sessel. Finneas hatte währenddessen die zwei Tassen mit Kaffee gefüllt.

 

"Möchtest du Milch oder Zucker?", fragte er sie und hatte die Milch schon in der Hand.

 

"Nein danke. Ich trinke meinen Kaffee lieber schwarz."

 

"Wie deine Seele?", fragte er sie und versuchte die Situation etwas aufzulockern.

 

Kaitlyn musste tatsächlich leicht lachen. "So könnte man das auch bezeichnen."

 

Die beiden unterhielten sich eine ganze Zeit lang, erst als Kaitlyns Handy klingelt merkte sie, dass die beiden gerade eineinhalb Stunde über Gott und die Welt gesprochen hatten. Für die Witwe weiter ein kleines Stück Normalität. Diese Normalität hatte sie seit Monaten nicht mehr erlebt.

Ihre Handtasche, die neben der Couch stand, nahm sie hoch und suchte ihr Handy heraus. Sie hatte eine Nachricht von James erhalten. Die erste Zeile, die sie auf ihrem Sperrbildschirm lesen konnte war, dass sie einen Fehler machen würde. Mit großen Augen und etwas nervös entsperrte sie den Bildschirm und las die ganze Nachricht.

 

Du machst einen großen Fehler, Schwester. Finneas ist kein guter Umgang für dich. Halte dich von ihm fern!

 

Noch immer starrte sie auf das Display. Das konnte ihr Bruder nicht ernst meinen. Sie legte das Handy zurück in ihre Handtasche und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

 

"Ist alles in Ordnung bei dir?", erkundige sich Finneas bei ihr, weil er merkte, dass sich ihre Haltung verändert hatte.

 

"Ja, es ist alles gut mach dir keine Gedanken. Aber ich glaube, ich sollte mich etwas ausruhen. Der Tag war doch etwas anstrengend für mich und ich muss mich noch schonen."

 

Dieser plötzlicher Sinneswandel konnte Finneas nicht verstehen, aber er war der festen Überzeugung, dass ihr Bruder James dahinter steckte. Schließlich kannte er James lang genug.

 

"Wenn du reden möchtest oder einfach nur Gesellschaft brauchst, ruf mich an. Okay?", betonte er sein Angebot nochmal.

 

"Das werde ich tun."

 

Die Witwe brachte Finneas noch zur Tür und verabschiedete sich dann von ihm. Kaum war die Zimmertür in das Schloss gefallen, ging sie zurück zu der Sitzecke und kramte erneut ihr Handy aus der Handtasche.

 

Das Display war schnell entsperrt und die rief ohne Umwege ihren Bruder an.

 

"Was fällt dir eigentlich ein? Auf was für einen Trip fährst du, dass du mich beobachtet? Hast du in all den Jahren nichts gelernt?", fauchte sie ihren Bruder direkt an.

 

"Hallo Kaitlyn. Ich bin auch froh, was von dir zu hören.", sagte er sarkastisch.

 

"James, lass deine dämlichen Spielchen. Du hast mir nichts zu sagen!"

 

Während sie mit ihren Bruder James sprach, tigerte sie durch ihr Zimmer und fragte sich woher er wusste, dass Finneas bei ihr war.

 

"Das sind keine Spielchen. Ich möchte nur nicht, dass du jemanden vertraust, der dir gegenüber nicht ehrlich ist.", sagte er mit einem kalten Unterton zu seiner Schwester.

 

"Sagt der Mann, der mich belogen hat!", konterte sie und tigerte immer noch durch ihr Zimmer.

 

"Kaitlyn jetzt sei nicht albern."

 

"Schönen Tag noch, James."

Mit diesen Worten legte sie auf und musste sich erst mal beruhigen. Ihr Bruder schaffte es immer wieder, sie innerhalb von Sekunden auf hundertachtzig zu bringen.

 

Vor dem Balkon stehend schaute sie in die Ferne. Ihr wurde mal wieder bewusst, warum sie nicht wollte, dass James erfuhr, das sie in Miami war. Ihr Bruder würde sich nie ändern.

 

Die letzten Tage hatte Kaitlyn alleine verbracht. Sie brauchte ihre Ruhe und musste sich Gedanken machen, wie sie an die Bande heran kam, die für den Tod ihre Familie verantwortlich war. Kaitlyn war die letzte Nacht unterwegs gewesen und war auch an dem Ort zurück gekehrt, wo sie angeschossen wurde. Doch sie hatte niemanden entdeckt, der ansatzweise etwas damit zu tun haben könnte.

 

Kaitlyn saß in einem Café in Downtown und dachte nach. Zum dritten Mal hatten sie den Zettel mit der Rufnummer von Finneas in der Hand. Aber sie konnte seine Nummer nicht wählen, denn Sie wusste immer noch nicht ob sie ihm trauen konnte. Den Zettel steckte sie wieder in die Seitentasche ihrer Handtasche und griff zu ihrem Cappuccino.

 

Sie nahm einen großen Schluck und verbrannte sich den Gaumen. Leise fluchte vor sich her. So was konnte auch nur ihr passieren.

Auf der Straße liefen die Menschen hektisch umher, denn sie schienen alle noch Geschenke für Weihnachten zu brauchen. Einige von ihnen hatten mehrere große Taschen in der Hand und versuchten anderen Menschen auf dem Gehweg auszuweichen. Letztes Jahr um diese Zeit, ging es ihr nicht anders. Doch diese Zeit war jetzt vorbei. Traurig schaute sie auf ihren Cappuccino und trank diesen dann aus.

 

Nachdem sie bezahlt hatte, verließ sie das Café und mischte sich unter die Menschen auf der Straße. Als sie sich von Downtown entfernte wurde es etwas ruhiger auf den Straßen. Die Ampel, an der sie stand war rot und sie wartete darauf, dass sie grün bekam, als sie wieder einen schwarzen Geländewagen am Seitenstreifen stehen sah. Kaitlyn schaute sich den Wagen genau an und versuchte das Nummernschild zu erkennen. Leider war der Blickwinkel nicht so gut. Sie erkannte lediglich nur die letzten beiden Zeichen. SF. Das war nicht viel und würde sie nicht weiter bringen.

 

Als die Ampel auf grün sprang, gingen die Menschen neben und hinter ihr über die Straße. Kaitlyn blieb jedoch stehen. Sie beobachtete den Wagen weiterhin und wieder schien da ein Mann hinter dem Steuer zu sitzen. Die Ampel zeigte wieder rot als Kaitlyn darauf achtete. Erneut wartete sie und ließ dabei den Geländewagen nicht aus den Augen.

 

Bei der nächsten grünen Ampelphase überquerte sie die Straße und ging in die entgegengesetzte Richtung. Hin und wieder schaute sie über ihre Schulter und versuchte den Geländewagen zu entdecken. Irgendwann fuhr der Wagen an ihr vorbei und verschwand an der nächsten Kreuzung. Das war ihr nicht geheuer, zumal sie nicht wusste, wer das war und was diese Person von ihr wollte. An der Kreuzung, wo der Wagen abbog, angekommen, schaute sie die Straße entlang. Doch der schwarze Geländewagen war nicht mehr zu sehen.

 

Ohne weiter darüber nachzudenken ging sie weiter die Straße entlang. Als ihr ein Mann entgegen kam, der ihr bekannt vor kam. Gesichter konnte sie sich gut merken, nur mit Namen war es nicht so einfach.

 

"Miss Hargrove", begrüßte sie der Mann.

 

"Ja.", gab sie langsam von sich.

 

"Agent O'Donnell.“, half er ihr. „Sie waren neulich bei mir im Büro.", fing er an zu erklären.

 

"Was kann ich für Sie tun?", fragte sie ihn und musterte ihn genau.

 

"Sie müssten nochmal mit ins Büro kommen. Ich hätte noch ein paar Fragen an Sie."

 

Kaitlyn schaute sich um und verstand nicht wie er sie gefunden hatte. Schließlich war Miami keine kleine Stadt und es musste schon ein gewaltiger Zufall sein, dass er ihr in dieser Stadt über den Weg lief.

"Sie können nicht, wie normale Menschen anrufen und fragen wann ich Zeit habe?", fragte sie ihn.

 

"In Ihrem Hotel waren Sie nicht. Das hatte ich versucht. Es ist auch ein Zufall, dass ich sie hier treffe. Ich hatte hier gerade um die Ecke was zu tun.", versuchte er sich zu erklären.

 

In ihren Ohren, hörte sich das nicht gerade glaubhaft an. Aber wenn sie seiner Bitte nun nachkommen würde, dann hätte sie es hinter sich.

 

"Also schön. Etwas Zeit habe ich noch."

 

Der FBI Agent begleitete sie zu seinem Wagen und sie fuhren gemeinsam in das FBI Hauptquartier.

Dort angekommen gingen sie zusammen auf das Gebäude zu als sie Finneas entdeckte, der gerade das Gebäude verließ.

 

"Entschuldigen sie mich bitte kurz.", kam es kurz und knapp über ihre Lippen, während sie schon auf den Weg zu Finneas war.

 

"Was führt dich denn hier her?", fragte sie ihn überrascht.

 

Finneas schien überrascht zu sein und schaute sie so auch an. Agent O'Donnell folgte ihr und als er sie erreichte, hielt er inne.

 

"Ich hatte hier was zu tun. Was tust du denn hier?", fragte er sie ebenso überrascht.

 

Bevor der Agent was sagen konnte, ergriff Kaitlyn das Wort.

 

"Dieser Agent scheint Fragen an mich zu haben und hat mich gerade in Downtown gefunden und her gebracht."

 

Finneas nickte langsam und schaute O'Donnell an. Der Agent stellte sich etwas abseits von den Beiden hin und beobachtete sie genau.

 

"Ich dachte...", unterbrach er sich selbst kurz. "wir würden uns irgendwo anders wieder sehen. Du hast dich gar nicht mehr gemeldet."

 

"Ich hatte viel zu tun. Aber ich melde mich die Tage bei dir.", versprach sie ihm glaubhaft. Das sie ihn mied, konnte sie ihm schlecht sagen.

 

"Darauf freue ich mich schon."

 

"Bis dann, Finneas."

 

Kaitlyn ging zu dem Eingang und Agent O'Donnell folgte ihr. Zusammen betraten sie das Gebäude und nach der Sicherheitsschleuse gingen sie zu den Aufzügen.

 

In seinem Büro angekommen, setzte sich Kaitlyn wieder auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Der Agent setzte sich ebenfalls und zeigte Kaitlyn direkt fünf Bilder. Auf diesen Bildern waren fünf Männer zu sehen, die alle nicht sehr vertrauenswürdig ausschauten.

 

"Erkennen Sie einen der Männer, Miss Hargrove?", fragte er erwartungsvoll.

 

Jedes Bild schaute sie sich genau an. Doch keiner dieser Männer war ihr bekannt oder kam ihr bekannt vor.

"Nein, das tut mir leid."

 

"Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wir hatten nur die Hoffnung gehabt, dass sie vielleicht einer dieser Männer wiedererkennen.", ließ er sie wissen.

 

"Nein. Das war jetzt alles? Dafür musste ich mitkommen?"

 

"Ja, Miss Hargrove. Mehr wollte ich nicht von ihnen."

 

Sie erhob sich und lächelte den Agenten an.

"Ich werde dann wieder gehen und beim nächsten Mal versuchen Sie mich öfters zu erreichen. Schönen Tag noch."

 

Das grenzte schon fast an Willkür vom FBI. Nur für eine kurze Identifikation von einem Mann war sie mit her gefahren. Gott, was für eine Zeitverschwendung. Die Blondine machte sich wieder auf den Weg zu den Aufzügen als ihr Handy klingelte. Einmal, zweimal, dreimal, dann verstummte es wieder. Als sie es in der Hand hielt, sah sie, dass es James war. Sie steckte es in ihre Manteltasche und ging weiter. Am Aufzug angekommen öffneten sich gerade die Aufzugtüren als ihr Handy wieder klingelte. Sie holte es hervor und wieder war es James. In dem Aufzug hatte sie kaum Empfang und so klingelte es nur zweimal.

Als sie den Eingangsbereich klingelte es wieder. James, wie konnte es auch anders sein.

 

"Was willst du?", begrüßte sie ihn.

 

"Ich hatte dich gewarnt, Kaitlyn. Du solltest dich doch von ihm fern halten."

 

Kaitlyn ging auf die Straße und sah wieder den schwarzen Geländewagen am Straßenrand stehen.

 

"Wovon sprichst du und wieso lässt du mich beschatten?" Die Wut war ihr deutlich anzuhören.

 

"Damit ich weiß, dass du keine Dummheiten machst.", sagte James ihr deutlich.

 

"Welche Dummheiten?" Kaum hatte sie die Frage gestellt fiel bei ihr der Groschen. Das konnte nur eins bedeuten.

 

"Du solltest ihn meiden. Er ist nicht gut für dich.", machte er ihr nochmals deutlich.

 

Diesen Satz hatte sie schon mal von James gehört und das war in dem Zusammenhang als Finneas bei ihr im Hotel war. Die Blondine schaute sich um. Bis auf den Babysitter ihres Bruders, sah sie kein bekanntes Gesicht.

 

"James, ruf deinen Lakaien zurück!", kam es wütend über ihre Lippen.

 

"Nur wenn du keine Dummheiten mehr machst."

 

Kaitlyn legte auf und ging zu der Straße. Das erste Taxi was vorbei fuhr hielt sie an und stieg ein. Sie ließ sich in ihr Hotel zurück fahren. Wut stieg in ihr auf. Auf James, auf Finneas und auf die restliche Welt.

 

Dem Fahrer gab sie das Geld für die Fahrt und noch etwas Trinkgeld, bevor sie in das Hotel und schließlich in ihr Zimmer stürmte.

 

Ihre Handtasche schmiss sie auf das Bett und sie fluchte innerlich. Eine Hand hatte sie auf die Stirn gelegt, während sie in ihrem Zimmer herum tigerte. Als sie sich etwas beruhigt hatte ging sie zu ihrem Bett und suchte in ihrer Handtasche nach den Zettel mit der Nummer von Finneas raus. Sie war so wütend, dass es etwas dauerte, bis sie den Zettel mit der Nummer von Finneas fand. Sie konnte es nicht fassen, dass Finneas sie angelogen hatte. Mit zitternden Fingern wählte sie seine Nummer.

 

"Landers.", meldete er sich.

 

"Was sollte das Theater vorhin?", fauchte sie ihn direkt an.

 

"Kaitlyn?", fragte er überrascht.

 

"Tu nicht so als wüsstest du nicht wer dran ist, Finneas.", keifte sie ihn wütend an.

 

"Wovon redest du?"

 

"Du hast nur den Kontakt zu mir gesucht, um mehr über mich in Erfahrung zu bringen? Du hast das alles geplant? Was soll das? Willst du mich für irgendeinen Scheiß benutzen?", fragte sie sauer und wütend eine Frage nach der anderen.

 

"Kaitlyn beruhige dich. Ich verstehe kaum was du sagst."

 

Kaitlyn war so in Rage gewesen, dass ihr Tränen über die Wange liefen und sie auch mehrere Worte etwas verschluckt hatte.

 

"Deine falsche Art, brauche ich nicht! Halt dich von mir fern.", schrie sie ihn schon fast durch das Telefon an.

 

Finneas hätte es besser wissen müssen. Er hätte von Anfang an mit offenen Karten spielen müssen. Doch dafür war es jetzt zu spät.

 

"Lass es mir dir erklären. Ich..."

 

"Ich lasse mir nichts erklären. Du bist genauso ein Arsch wie mein Bruder.", unterbrach sie ihn.

 

Dann beendete sie das Telefonat und schmiss ihr Handy auf das Bett. Es prallte von diesem ab und fiel zu Boden. Ihre Tränen liefen haltlos über ihre Wangen. Wie konnte sie nur nicht erkannt haben, wer Finneas wirklich war. Wie konnte er sie noch so hingehen? Und warum hatte James ihr nicht von Anfang an die Wahrheit über Finneas gesagt?

 

Kaitlyn hatte den Kontakt zu ihrem Bruder und auch zu Finneas komplett abgebrochen. Sie konnte es nicht ertragen, herumkommandiert oder ausgehorcht zu werden. Mit dieser Entscheidung hatte sie auch mehr Zeit nach dem Mörder ihrer Familie zu suchen.

 

Es war später Abend. Kaitlyn hatte sich vor einer halben Stunde eine Waffe besorgt. Noch von früher wusste sie, wo man Waffen kaufen konnte, die keine Seriennummern hatten. Auch wenn viele Menschen sagten, dass man sich mit einer Waffe wohler und sicherer fühlte, so konnte Kaitlyn das nicht von sich behaupten.

 

Kaitlyn war mittlerweile am Hafen von Miami angekommen und schaute sich unauffällig um. Bis auf ein paar Arbeiter schien hier nichts los zu sein. Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie hier richtig sein würde. Sie lief durch die dunklen Gassen und hörte hin und wieder ein paar Männer, die sich anschrien.

 

Über eine Stunde ging sie weiter. Kreiste ihre Runden durch den Hafen. Sie schien heute keinen Erfolg bei ihrer Suche zu haben. Also beschloss Kaitlyn sich auf dem Weg zurück in ihr Hotel zu machen. Der Vollmond stand hoch am Himmel und erhellte die dunklen Gasse etwas.

 

Bevor sie den Hafen verließ hörte sie eine männliche Stimme lauter sprechen. Das erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie hörte der Stimme genau zu und erkannte sie. Diese Stimme hatte sie vor ein paar Wochen schon mal gehört. Mit leisen Schritten ging sie in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Hinter einem Container blieb sie stehen und lauschte den Männer weiterhin zu.

 

Die Männer sprachen über einen Überfall, der in den zwei nächsten Tagen passieren sollte und das gleich eine Ladung mit dem Schiff einlaufen würde. Kaitlyn schluckte schwer und mit jedem Wort, das der eine Mann sprach, war sie sich sicherer, dass er es war. Er hatte sie angeschossen und er war sicherlich auch für den Tod ihrer Familie verantwortlich oder wusste zumindest wer dafür verantwortlich war.

 

Die 29-jährige griff hinter ihren Rücken und holte ihre Waffe, die sie hinten im Hosenbund gesteckt hatte, hervor. Der dubiose Verkäufer hatte ihr erklärt, wie man mit der Waffe umging. Leise versuchte sie diese zu entsichern und zu laden. Leider war es nicht ganz so leise wie sie sich das erhofft hatte und bei dem Typen sah es auch einfacherer aus. Das Klicken war deutlich zu hören und schien die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen.

Die Männer waren sofort verstummt und der vermeidliche Boss gab mit seinen Händen zu verstehen, was seine Männer zu tun hatten.

 

Kaitlyn saß in der Klemme und versuchte zu dem nächsten Container zu kommen. In dem Schatten der Container gelang es ihr tatsächlich zum nächsten Container zu laufen.

 

Die Männer inspizierten den Container, hinter dem sie sich bis gerade eben noch versteckt hatte. Niemand war dort mehr zu sehen. Sie gingen wieder zu ihrem Boss, der anscheinend nicht glaubte, dass sie hier alleine sein würden. Als ein lautes Hupen eines Schiff zu hören war, zuckte Kaitlyn zusammen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, diese Männer alleine zu stellen? Es waren vier oder fünf Männer. Was konnte sie alleine schon gegen die ausrichten?

 

Die Witwe wartete noch ein paar Minuten ehe sie dann nochmal einen Blick auf die Männer erhaschen wollte. Sie wollte das Gesicht des Mannes sehen, der sie angeschossen hatte. In dem Mondschein konnte sie aber nur einen Teil seines Gesichtes sehen. Doch seine Stimme würde sie nie mehr vergessen. Als sich ein Schiff dem Pier näherte sah sie ihre Chance unauffällig zu verschwinden.

 

Ihre Waffe hatte die Blondine noch in der Hand und steckte sie in die Jackentasche. Ohne einen vernünftigen Plan würde das niemals klappen. Als Kaitlyn den Hafen verlassen hatte, fühlte sie sich sicherer. Schließlich waren die Straßen von Miami immer belebt.

 

An der nächsten belebten Ecke hielt sie sich ein Taxi an und fuhr in ihr Hotel zurück. Während der ganzen Fahrt machte sie Gedanken darum, wie sie vorgehen wollte. Das Taxi hielt vor ihrem Hotel und Kaitlyn bezahlte den Fahrer. In dem Hotel war nichts mehr los und die Angestellte an der Rezeption begrüßte sie freundlich.

 

Auf ihrem Zimmer legte sie ihre Waffe in den Kleiderschrank unter ihre Pullover. Da würde das Zimmermädchen nicht sauber machen, zumindest hoffte sie das. Anstatt sich in ihr Bett zu legen, setzte sie sich auf die Couch und schaute aus dem Fenster in die Nacht.

 

Um 3 Uhr morgens war sie immer noch nicht müde. Sie zermarterte sich immer noch den Kopf. So schwer konnte das doch nicht sein. Sie machte sich aber auch Gedanken darum, was ihr passieren könnte, wenn man sie erwischte. Vielleicht gäbe es mildernde Umstände, wenn man bedachte, was sie erleben musste. Doch mit Sicherheit wusste sie das nicht.

 

Doch wer könnte ihr das schon mit Gewissheit sagen? Niemand, denn egal wem sie es erzählen würde, man würde sie wahrscheinlich direkt für verrückt erklären oder würde sie der Polizei übergeben. Vielleicht aber würde sie auch einen Präzedenzfall schaffen. Doch auch das war keine Sicherheit. Schließlich konnte das auch nicht gut für sie Enden. Bei Präzedenzfällen griffen manche Richter auch härter durch. Immer noch blickte sie in die dunkle Nacht hinaus als ihr eine Idee kam.

 

Ohne einem Gedanken daran zu verschwenden wie spät es war, griff sie nach ihrem Handy. Sie zögerte einen Moment lang und wählte schließlich eine Nummer. Es klingelte mehrere Male bis jemand den Anruf annahm.

 

"Ich brauche einen Rat. Ich muss unbedingt mit dir sprechen.", sagte sie ohne Umschweife und ohne sich für die späte Störung zu entschuldigen.

 

Finneas war aus dem Schlaf gerissen worden und musste sich erst mal sortieren.

"Einen Rat um 3 Uhr morgens?"

 

"Ja, ich möchte... einer Freundin helfen, die verzweifelt ist.", log sie ihn an.

 

"Um 3 Uhr morgens?", fragte er erneut.

 

"Kannst du vorbei kommen?", fragte sie ohne auf die Tatsache einzugehen, das es 3 Uhr morgens war.

 

"Um 3 Uhr morgens?", fragte er sie wieder, in der Hoffnung eine Antwort von ihr zu bekommen.

 

"Ja."

 

Finneas strich sich mit der freien Hand durch das Gesicht und seufzte. "Okay."

 

"Danke."

 

Kaitlyn legte auf und tigerte durch das Zimmer. Der Anruf war unüberlegt gewesen, denn jetzt musste sie sich etwas ausdenken. Finneas durfte nicht erfahren, dass es dabei um sie ging. Er durfte nicht erfahren, was ihr vor Monaten passiert war und was sie nun geplant hatte. Vor dem Fenster blieb sie stehen und schaute in die Nacht hinaus. Der Mond am Himmel war hell und erleuchtete einen Teil der Straße.

 

Die Nächte waren seit Monaten ihr Freund. In der Nacht fühlte sie sich besser als am Tag, zumindest wenn sie wach war. Seit Monaten schon schlief Kaitlyn kaum noch und wenn dann wurde sie immer wieder wegen ihrer Alpträume geweckt.

 

Gegen 3:45 Uhr sah die Blondine wie sich ein Auto dem Hotel näherte. Die Scheinwerfer erhellten die Auffahrt zum Hotel. Der SUV parkte auf dem kleinen Parkplatz des Hotels. Als ein Mann aus dem Wagen stieg, war sie sich sicher, dass es Finneas war. Nervös kaute sie auf dem Fingernagel ihres Zeigefingers herum. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Kaitlyn müsste jetzt ihre Geschichte glaubhaft rüber bringen, damit sie etwas von Finneas erfuhr.

 

Es dauerte keine fünf Minuten als es an ihrer Zimmertür klopfte. Tief Luft holend ging sie zu der Tür und öffnete sie. Finneas sah noch sehr verschlafen aus. Die Tür öffnete die Witwe weiter, damit er in ihr Zimmer gehen konnte. Er hatte sich auch nur eine Jogginghose, ein T-Shirt und eine Sweatjacke angezogen. Nachdem Finn an ihrem Bett stand, schloss sie die Tür leise und lehnte sich dagegen. Wieder holte sie tief Luft.

 

"Ich weiß nicht was das hier soll, aber ich hoffe, es ist wirklich so dringend wie du mir gesagt hast." Seine Stimme war leise und klang nicht sehr erfreut.

 

"Ich sollte mich vielleicht erst mal bei Dir entschuldigen.", begann sie leise.

 

"Für was? Für diese nächtliche Störung oder für das war vor ein paar Tagen war?", fragte er sie mit einen leichten wütenden Unterton.

 

Kaitlyn presste ihre Lippen aufeinander. "Für die nächtliche Störung."

 

"Ach und den Rest vergessen wir einfach so?", fragte er sie ernst.

Finneas schien sauer auf sie zu sein, doch wegen welcher Tatsache war ihr nicht bewusst. Wahrscheinlich wegen beidem.

 

"Nein, aber das spielt gerade keine Rolle."

 

"Meinst du?", fragte er ironisch. "In welcher Funktion bin ich denn hier? Als FBI Agent oder als Freund?" Das Wort Freund betonte er so extrem, dass man deutlich raus hören konnte, wie sarkastisch er das meinte.

 

Die Blondine stieß sich von der Zimmertür ab und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet und sie seufzte leise.

 

"Ich brauche keine Antwort. Deine Körpersprache sagt alles.", sagte er während er sie beobachtete.

 

"Finneas, ich..." Ihren Blick richtete sie auf den FBI Agent. "Ich brauche wirklich deine Hilfe."

 

"Wofür?", fragte er sie mit einem scharfen Unterton.

 

"Eine Freundin von mir hat schlimmes erlebt. Sie hat alles verloren, was ihr wichtig war..."

 

"Was hat das mit mir zu tun?", unterbrach er sie.

 

"Ich will ihr helfen. Ich möchte nur wissen, wenn sie jemanden schwer verletzt oder umbringt, was das für Konsequenzen für sie haben könnte." Ihre Worte kamen etwas unsicher über ihre Lippen.

 

Finneas legte seine Stirn in Falten und wandte sich von ihr ab. Er fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht. Ein paar Schritte ging er zum Fenster und drehte sich dann wieder zu ihr um. Kaitlyn stand immer noch an der Wand und musterte ihn genau.

 

"Du rufst mich nachts an um mich das zu fragen?", fragte er sie und konnte das alles nicht wirklich verstehen.

 

"Ja.", sagte sie leise.

 

Schüttelnd sah er sie an. Er konnte das hier alles nicht wirklich verstehen. Der FBI Agent wusste einfach nicht was er hiervon halten sollte.

 

"Für so was habe ich keine Zeit.", sagte er entschlossen und ging auf sie zu. "Ich brauche meinen Schlaf, weil ich später arbeiten muss.", erklärte er ihr.

 

Kaitlyn sah zu ihm auf. Etwa eineinhalb Meter stand er vor ihr. Ihr Herz pochte wild gegen ihre Brust. Diese Antwort hatte sie nicht von ihm erwartet.

 

"Ich wusste nicht, wen ich sonst fragen sollte.", sagte sie leise und unschuldig.

 

"Deinen Bruder vielleicht? Vielleicht erledigt er diese Sache für sie." Seine Worte kamen ohne jegliche Emotionen über seine Lippen und sein Blick wurde ihr gegenüber kalt. Finneas war enttäuscht gewesen, denn er hatte gehofft, dass Kaitlyn ihn wegen einem anderen Grund angerufen hatte.

 

"James hat damit nichts zu tun und er soll es auch nicht erfahren.", stellte sie klar und schaute ihm direkt in die Augen.

 

"Dann sollte sie sich andere Hilfe suchen. Ich werde niemanden einen Rat geben, der es ernsthaft in Erwägung zieht jemanden umzubringen." Seine Meinung war deutlich gewesen und Kaitlyn konnte ihm das nicht mal übel nehmen.

 

Einen weiteren Schritt ging er auf sie zu. Sein Blick war an ihren Augen geheftet. Irgendwas tief in ihn sagte ihm, dass es hier um was anderes ging. Den Blick von Finneas wich Kaitlyn aus und schaute auf den Boden. So einfach konnte das nicht sein, dass hätte ihr klar sein müssen.

 

"Entschuldige.", kam es leise über ihre Lippen.

 

"War das alles?", fragte er sie abweisend.

 

Kaitlyn nickte und schaute wieder zu ihm auf.

Finneas schüttelte wieder seinen Kopf und ging an ihr vorbei. Als er die Türklinke in der Hand hielt, verharrte er kurz.

 

"Ich hatte gehofft, ich würde eine Erklärung bekommen. Aber egal."

 

Als Kaitlyn sich zu ihm umdrehte war er schon durch die Tür und schloss diese leise. Sie hatte es versaut. Sie hatte einen großen Fehler gemacht. Sie hätte Finn nicht anrufen dürfen. Nicht nachdem was vor ein paar Tagen passiert war. Doch jetzt war es zu spät. Immer noch stand sie an der Wand und starrte auf die Tür. Die Witwe konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Niemand durfte sie jemals erfahren und genau das machte alles so kompliziert.

 

Nach zehn Minuten bewegte sich die 29-jährige. Mit langsamen Schritten ging sie auf ihr Bett zu und ließ sich nach hinten darauf fallen. Ihr Blick starrte die Decke an, während ihr ein paar Tränen über die Wange liefen. Jetzt war sie wieder auf sich alleine gestellt.

 

Es vergingen etliche Minuten bis Kaitlyn müde wurde. Sie krabbelt hoch bis an Kopfende des Bettes und legte sich auf die Seite. Ihr Blick war auf das Fenster gerichtet. Ihre Gedanken überschlugen sich und sie versuchte sich einen Plan zu recht zu legen. Während sie nachdachte schlief sie schließlich über ihre Gedanken ein.

 

Ein paar Stunden später wurde sie von der aufgehenden Sonne geweckt und hatte immer noch keine Idee gehabt, was sie tun sollte. Auf die Hilfe von Finneas konnte sie nicht mehr vertrauen.

 

Es war ein Tag vor Weihnachten als Finneas sein Büro betrat. Auf seinen Schreibtisch lag auf seiner Tastatur eine Akte. Mit einem skeptischen Blick nahm er diese Akte in die Hand. Es ging um die Bande, die er seit Monaten versuchte hinter Gittern zu bringen. Als er sie öffnete staunte er nicht schlecht. Diese Akte kannte er noch nicht und es schien so als hätte ein Agent neue Erkenntnisse. Anstatt die Akte zu überfliegen las er sie durch. Nach den ersten zwei Seiten setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und lehnte sich in den Bürostuhl zurück.

 

Diese Erkenntnisse bedeuteten nichts Gutes. Wenn es tatsächlich so war, dass die Erpresserbande, die vor keinen Mord zurück schreckten sich jetzt auch ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Drogen verdienen wollten, dann würde es bald ein Blutbad in Miami geben. Die Beweise waren noch nicht stichfest, aber die Berichte ergaben durchaus Sinn.

 

Finneas musste sofort handeln. Ihm war dabei durchaus bewusst, dass er sich auf einen schmalen Grad bewegen würde, wenn er diese Erkenntnisse mit gewissen Personen teilen würde. Aber er durfte auch nicht zulassen, dass es zu einem Massaker kommen würde.

 

Aus seiner Hosentasche holte er sein Mobiltelefon hervor und tippte eine Nachricht.

 

Müssen dringend reden. Heute Abend 23 Uhr Pier 5. Alleine.

 

Das Mobiltelefon steckte er wieder weg und ging alle Akten nochmal durch. Während er sich die Akten durch las machte er sich Notizen. Immer mehr deutete darauf hin, dass es um einen Machtkampf gehen könnte und das die beiden Banden sich von innen heraus zerschlagen wollten. Das musste das FBI irgendwie verhindern.

 

Einer kurzfristigen anberaumten Konferenz mit allen beteiligten FBI Agents, stellte sich heraus, dass keiner seiner Agents diese Akte auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Entweder ein anderer Agent hatte sie dort hin gelegt oder jemand Fremdes war es gelungen in sein Büro zu gelangen.

 

Gegen zwei Uhr nachmittags verließ Finneas sein Büro mit seinem Laptop und ein paar Akten um nach Hause zu fahren. Die letzte Nacht war kurz gewesen und heute Abend würde er wieder spät ins Bett kommen. Der wenige Schlaf machten ihn immer mehr zu schaffen. Doch er konnte es sich nicht erlauben seinen Bedürfnissen nachzukommen, wenn es Massaker drohte.

 

Zuhause angekommen machte er sich einen Kaffee und breitete die Akten auf seinen Esstisch aus. Nochmal ging er alles durch. Nach drei Stunden lehnte er sich auf dem Stuhl zurück und legte seinen Kopf in den Nacken. Die Bande war skrupellos und mordete auf offener Straße, selbst am Tag. Warum sollten sie jetzt in das Drogengeschäft einsteigen? Das machte keinen Sinn.

 

Als Finneas seinen Blick wieder auf die Akten richtete, kam ihm eine Idee. Er musste mehr über die vermeintlichen Bosse erfahren. Er recherchierte. Die Datenbanken waren voll von Einträgen und es gab sogar Verbindungen zu ein paar Kartellen, die Geschäfte in Los Angeles machten. Obwohl Los Angeles am Ende von Amerika lag, machte es wenig Sinn hier in Miami Geschäfte zu machen. Die einzige Verbindung war die Nähe zu den Staatsgrenzen. Doch als er mehr über den Boss in Los Angeles las umso deutlicher wurde, dass die Drogen in den USA produziert wurden. Es schienen synthetische Drogen zu sein und die hatten auch eine höhere Qualität als die Drogen, die hier in Miami verkauft wurden.

 

Es wurde immer später und Finneas konnte kaum noch klar denken als er auf ein Unternehmen aufmerksam wurde, das sowohl in Los Angeles einen Sitz hatte und auch hier in Miami. Allerdings wurde die Niederlassung in Miami vor ein paar Monaten wieder geschlossen, da es einen Vorfall im Vorstand gab. Somit war wohl die Einnahmequelle hier beendet und deshalb könnte sich jetzt die Bande an den Drogen zu schaffen machen, die James hier verteilte.

 

Gegen halb neun legte der FBI Agent alles zusammen und zog sich um. Er musste sich auf das Treffen vorbereiten. Dieses war theoretisch rein privater Natur, auch wenn es dabei um Erkenntnisse des FBI ging. Aber als FBI Agent konnte er da nicht auftreten.

 

Um zehn Uhr machte er sich auf den Weg zum Hafen. Auch wenn er nicht länger als dreizig Minuten mit dem Auto brauchen würde, so wollte er eher da sein um auf alles vorbereitet zu sein. Er hatte zwar um ein Treffen zu zweit gebeten, doch das hieß noch lange nicht, dass es auch so kommen würde.

 

Die Straßen waren nicht voller als sonst um diese Uhrzeit und Miami zeigte sich mal wieder von seiner bunten, glitzernden Seite. Die Menschen schlenderten durch die Straßen und vor den Clubs bildeten sich lange Schlangen. Als Finneas dem Hafenviertel näher kam wurde es ruhiger. Immer weniger Menschen waren zu sehen und der Verkehr ließ auch nach.

Seinen Wagen parkte er in einer dunklen Seitenstraße und ging den restlichen Weg zu Fuß. In seinen schwarzen Klamotten konnte man ihn teilweise kaum erkennen. Die Abstände zwischen den Straßenlaternen wurden immer größer und als er den Hafen erreichte, erhellte nur noch der Mond die Straßen und Gassen.

 

Finneas schaute sich in der Gegend um und es schien alles ruhig zu sein. Pier 5 lag etwas abgelegen und hier her verirrte sich niemand einfach so.

Nach zwei Runden durch den Hafen ging er zu Pier 5 und wartete auf sein Treffen. Hinter ihm nahm er leise Schritte wahr und lächelte vor sich hin. Er sollte doch wissen, dass ein FBI Agent in dieser Gegend seine Sinne geschärft hatte.

 

"Danke das du gekommen bist.", sagte er leise und stand immer noch mit dem Rücken zu dem anderen Mann.

 

"Du bist so eine leichte Beute."

 

Finneas drehte sich um und ging auf ihn zu.

"Aber nicht bei dir, mein Freund."

 

Die beiden Männer begrüßten sich und Finneas kam direkt auf den Punkt.

 

"Ich weiß nicht was du schon gehört hast, aber die Kavallis wollen euch ins Handwerk fuschen."

 

"Das habe ich tatsächlich schon gehört."

 

"Es soll bei euch anscheinend einen Spitzel geben, James."

 

James ging etwas mehr auf seinen alten Freund zu.

 

"Warum erzählst du mir das?", fragte James.

 

"Weil es dann zu einem Massaker kommt. Die Kavallis wollen euch von innen heraus vernichten. Zumindest gibt es dazu Anhaltspunkte. Leider aber keine Namen."

 

"Wie sicher ist deine Quelle?"

 

"Überhaupt nicht sicher. Ich weiß selbst noch nicht woher diese Info kommt. Aber sie scheint echt zu sein, James."

 

"Okay. Ich werde gucken was ich dir liefern kann."

 

"Vertraue niemanden. Du weißt nicht wer hier bestochen wird und warum das FBI diese Informationen hat."

 

"Was weiß dein Vater darüber?"

 

"James, ich werde mit ihm sicherlich nicht darüber reden. Dieses Kapitel ist beendet."

 

"Wie du meinst. Danke für die Informationen."

 

"Pass auch dich auf und auf Kaitlyn."

 

James kniff seine Augen zusammen und musterte seinen alten Freund kurz.

 

"Um sie brauchst du dir keine Gedanken zu machen."

 

Finneas nickte und hoffte, dass James recht behalten würde. Die beiden Männer verabschiedeten sich ohne ein weiteres Wort. James verließ den Hafen als erster während Finneas nochmal zwei Runden durch den Hafen drehte. Niemand durfte wissen, dass sich die beiden Männer getroffen hatten. Auch wenn Finneas nicht hinter James her war, so stand sein alter Freund leider auf der falschen Seite.

 

Nachdem sechsunddreißig Minuten vergangen waren ging er zu seinem Wagen zurück und stieg ein. Auch wenn Kaitlyn ihn nicht mehr sehen wollte, so verspürte er das Bedürfnis nur mal kurz an ihrem Hotel vorbei zu fahren um nach dem Rechten zu schauen.

 

Denn wenn es einer auf James abgesehen hatte, hatte er sicherlich seine Hausaufgaben gemacht und wusste wie man James erpressbar machen konnte. Seine kleine Schwester war da das geringere Problem. Sie konnte gut auf sich selbst aufpassen. Sie hatte aber im Notfall auch ein paar Männer an ihrer Seite, die ihr halfen.

Bei Kaitlyn sah es hingegen anders aus. Sie wollte nichts mit James und seinen Geschäften zutun haben und sie würde keine Bodyguards an ihrer Seite haben.

 

Bevor er die Auffahrt des Hotels erreicht hatte, schaltete er die Lichter seines Autos aus. Bis auf das Zimmer hinter der Rezeption war keins beleuchtet. Alles schien in Ordnung zu sein.

 

Doch gerade als Finneas wieder fahren wollte, sah er eine dunkel gekleidete Person aus dem Hotel kommen. Klein, zierlich, eindeutig weiblich.

 

Kaitlyn verließ ihr Hotel um nach Mitternacht. In dieser Nacht hatten die Männer, die sie belauscht hatte etwas geplant. Da sie die Stimme des Mannes erkannte, der sie versucht hatte zu töten, war sie sich sicher gewesen, dass es nicht gutes war.

 

Als sie die Auffahrt zur Straße herunter ging schaute sie sich alle paar Meter um. Niemand durfte ihr folgen. Kaitlyn schaute sich genau um und sie schien niemand zu beobachten.

 

Mit schnellen Schritten ging sie die Straße entlang bis zur nächsten Seitenstraße. Sie nahm eine Abkürzung um zur nächsten Hauptstraße zu kommen. Erst da hielt sie ein Taxi an und ließ sich zum Hafen fahren. Die Blondine hatte keine Ahnung gehabt, dass Finneas ihr unauffällig gefolgt war. Mit etwas Abstand folgte er dem Taxi zum Hafen. Damit Kaitlyn keinen Verdacht schöpfte fuhr er an dem Taxi vorbei und parkte seinen Wagen eine Seitenstraße weiter, die kaum beleuchtet war.

 

Kaitlyn stieg aus dem Taxi aus und lief die Straße entlang. Immer noch schien ihr niemand zu folgen. Erst als sie sich sicher war, dass sie nicht verfolgt wurde ging sie zum Hafen.

 

Zielstrebig ging sie zu dem Teil, wo sie die Männer vor zwei Tagen gesehen hatte. Alles war still und niemand war zu sehen. Kaitlyn schlich an den Containern vorbei und erreichte schließlich die Halle, wo die Männer gestanden hatten.

 

Mit dem Rücken an einen Container gelehnt schaute sie zum Himmel. Kurz schloss sie ihre Augen und betete still zu ihrem Mann und ihrer Tochter. Noch bevor sie ihre Augen öffnete, griff sie zu ihrer Waffe und entsicherte sie. Immer noch war niemand zu hören oder zu sehen. In dieser Situation musste sie besonders leise sein.

 

Sie schlich fast lautlos um den Container herum und näherte sich der Halle. An der ersten Tür angekommen drehte sie ganz langsam an dem Türgriff. Abgeschlossen. Mit leisen Schritten ging sie die Halle entlang und achtete darauf, dass sie sich im Schatten aufhielt. Dann erreichte sie die Hintertür und blieb stehen. Sie lauschte und meinte etwas im Inneren zu hören. Ungefähr drei Meter neben dem Hintertür war ein Fenster. Es war etwas höher angebracht und man konnte da nicht ohne weiteres hereinschauen. Doch zum Glück stand unter dem Fenster ein großer Müllcontainer.

 

Fest entschlossen ging sie leise zu dem Müllcontainer und kletterte darauf. Mit einem leisen knirschen richtete sie sich auf und schaute vorsichtig durch das Fenster.

 

Finneas hielt immer noch Abstand zu der Blondinen und beobachtete sie genau. Was tat sie da? Damit Finneas sie besser beobachten konnte näherte er sich der Halle und suchte immer wieder Schutz hinter ein paar Frachtcontainer.

 

Etwa sechs Meter von Kaitlyn entfernt, blieb er stehen und sah ihr zu, wie sie durch ein Fenster in eine Halle schaute.

Nach einigen Minuten stieg sie wieder von dem Müllcontainer und lehnte sich dagegen. Finneas wollte gerade zu ihr gehen, als sich das Rolltor der Halle auf der Vorderseite öffnete. Ein Kastenwagen rollte aus der Halle und fünf bewaffnete Männer traten vor die Halle. Finneas schaute wieder zu Kaitlyn, die das anscheinend auch mitbekommen hatte. Erst da sah er, dass sie eine Waffe in der Hand hatte. Sein Blick wandte sich wieder zu der Vorderseite der Halle und hoffte, dass die Schwester von James jetzt keine Dummheiten machen würde.

 

Finneas wusste, dass er keine Chance alleine gegen die Männer hatte und so merkte er sich das Kennzeichen. Er griff nach seinem Smartphone und tippte das Kennzeichen in eine SMS, die er an sein Team schicke. Er schrieb auch, dass dieser Wagen am Hafen sei und die Kavallis gerade in diesem Moment etwas planen würden.

 

Sein Blick richtete sich wieder auf Kaitlyn, die sich in der Zwischenzeit zwei Meter weiter zur Vorderseite bewegt hatte. Er musste sich schnell was einfallen lassen, sonst würde sie ins Kreuzfeuer geraten.

 

Finneas entfernte sich von der Halle und schlich sich weiter nach hinten. Mit der Hand an der Stirn überlegte er, wie er die Situation retten konnte. Hafen? Container? Waffen? Da kam ihm plötzlich eine Idee. Noch zwei drei Container weiter entfernt, fing er plötzlich laut und lallend zu singen.

 

"Iiiich bin der Kööönig... der Weeeeelt..."

Langsam und torkelnd näherte er sich der Halle, blieb aber noch im Schutz der Container.

"Iiiiiich liebe Marieeeeeee... und sie bricht mir das Herz...", sang er schräg und immer noch laut.

Er stieß absichtlich mit der Schulter gegen einen Container um noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu richten. Als er um die Ecke des Containers schaute, sah er Kaitlyn noch an der Halle stehen.

 

"Ooooooohhh Marieeeeeee... Iiiich will dich zurück..." Bevor er sich diesmal gegen den Container drückte nahm er seine Waffe und schlug diese gegen den Container. Als er dann wieder zu der Halle schaute, schauten die Männer vor dem Rolltor in seine Richtung. Einer ging sogar ein paar Meter in seine Richtung. Kaitlyn schien das zu merken und entfernte sich von dem vorderen Teil Halle weiter nach hinten.

 

"Dieeee Schlampeeeeeeee. Iiiich bring sie ummmm.", lallte er weiter und Kaitlyn war dann nicht mehr zu sehen. Finneas verstummte sofort und hörte aus der Entfernung schon sein Team ankommen. Das entging den Männer nicht und zwei stiegen in den Kastenwagen und fuhren davon.

 

Finneas näherte sich wieder der Halle. Die Sirenen und das Blaulicht kamen immer näher. Der FBI Agent erreichte die Halle und ging mit gezogener Waffe zu dem Rolltor.

 

"FBI. Ergeben sie sich!", schrie er und schaute in die Halle.

 

Er sah die sechs Männer in drei Autos stiegen und wie sie auf ihn zu fuhren. Mit einem Sprung zur Seite, konnte er sich davor noch retten angefahren zu werden. Auf den letzten Wagen schoss er und traf einen Reifen.

Seine Kollegen hatten mittlerweile die Halle erreicht und sahen wie eine schwarze Limousine gegen einen Frachtcontainer fuhr.

 

Finneas stand auf und ging zu seinen Kollegen.

"Ein weißer Kastenwagen ist seit ein paar Minuten weg und zwei schwarze Limousinen sind gerade weggefahren."

 

"Die Verfolgung der Limousinen haben wir aufgenommen und nach dem Kastenwagen läuft eine Fahndung."

 

"Gut, kümmert euch um die Kerle.", wies er sein Team an.

 

Finneas betrat erneut die Halle und schaute sich um. In der Mitte lag etwas Stroh und ein paar Holzkisten standen auf einem Tisch. Da konnten nur Drogen oder Waffen drinnen gewesen sein. Doch das interessierte den FBI Agent nicht. Er musste immer noch daran denken, was Kaitlyn da zu suchen hatte.

 

Eine dreiviertel Stunde war auch endlich die Spurensicherung vor Ort und nachdem Finn sein Team eingeteilt hatte, verließ er den Ort des Geschehens. Seinem Team hatte er erzählt er hätte einen Tipp von einen Informanten bekommen und deshalb sei er da gewesen. Das hatte natürlich niemand in Frage gestellt.

 

Als Finneas wieder in seinem Wagen saß, schlug er mit der flachen Hand gegen das Lenkrad und fluchte laut. Was hattet er nur gemacht? Natürlich würde niemand seine Worte in Frage stellen, aber er selbst wusste zu gut was passiert war und was er getan hatte.

 

Erst als er sich etwas beruhigt hatte startete er den Motor und fuhr los. Langsam fuhr er durch die Straßen und schaute sich um. Niemand war zu sehen, weder die schwarzen Limousinen, der weiße Kastenwagen noch Kaitlyn.

 

Schließlich führte ihn sein Weg zum FBI Hauptquartier. Seinen Wagen parkte er in die Tiefgarage und fuhr mit dem Aufzug in die Etage, wo der Verhörraum war.

 

Dort gekommen brachte ihn Agent O'Donnell auf Stand. Fest stand, dass es mal wieder eine lange Nacht werden würde.

 

Es war der 25.12. und Kaity saß allein in ihrem Hotelzimmer und weinte bitterlich. An dem heutigen Tag vermisste die 29-jährige ihre Familie wieder sehr. Letztes Jahr um diese Zeit, rannte ihre kleine Tochter aufgeregt durch ihr Haus und schrie immer wieder das der Weihnachtsmann da gewesen sei und ihr bestimmt viele Geschenke mitgebracht hatte. Kaitlyn hatte sie mehrmals ermahnt ruhiger zu sein, doch Grace war so aufgeregt, dass sie alles andere als leise sein konnte. Eric hatte seiner Frau immer gesagt, dass sie ihre Tochter doch machen lassen sollte. Schließlich würde die Zeit so schnell vergehen und irgendwann würde sie nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben.

 

Wie recht ihr Mann damals doch hatte. Allerdings aus einem anderen Grund. Heute vermisste Kaitlyn das Geschrei ihrer Tochter. Sie vermisste auch Eric, der sie immer wieder zu einer innerliche Ruhe verhalf. Sie vermisste auch den geschmückten Tannenbaum und den Geruch von frisch gebackenen Plätzchen im Haus. Kaitlyn vermisste gerade alles.

 

Wie ein kleines Häufchen Elend saß sie auf dem Bett, hatte ein Kopfkissen vor die Brust gepresst und die Beine angewinkelt. Die Tränen flossen in einer Tour über ihre Wangen und ihre Augen waren mittlerweile rot vom weinen.

 

An ihrer Zimmertür hing von außen, dass 'Bitte nicht stören' Schild. Heute wollte sie das Zimmer nicht verlassen und sie wollte auch niemandem sehen. Ihr Mobiltelefon lag auf dem Bett neben ihr und es klingelte mal wieder. Nur kurz schaute sie auf das Display. Es war mal wieder ihre Schwiegermutter. Sie hatte schon achtmal angerufen. Es dauerte einige Sekunden bis ihre Mailbox ansprang. Keine drei Minuten später klingelte es wieder. Diesmal war es der beste Freund ihres Mannes, auch bei ihm nahm sie nicht ab. Kaitlyn hatte keine Lust auf ein Gespräch. Auch er landete auf der Mailbox. Als es dann endlich wieder ruhig war, entsperrt sie es und schaltete es auf stumm. Die weiteren Anrufe, die dann folgten, bekam sie nicht mit.

 

Erst am Nachmittag raffte sie sich auf um duschen zu gehen. Den Wassserhahn drehte sie auf der heißesten Stufe auf und stellte sich unter die Dusche. Das heiße Wasser brannte auf ihrer Haut und ließ diese sofort rot werden. Doch es tat ihr gut und sie konnte für einen Moment den Schmerz in ihrem Inneren verdrängen.

 

Achtundzwanzig Minuten später sah sie aus wie ein Krebs als sie aus der Dusche stieg. Sie winkelte sich ein Handtuch um ihren Körper und rubbelte ihre Haare etwas trocken.

Zurück in ihr Zimmer griff sie zum Hörer des Zimmertelefons und wählte #005 für den Zimmerservice. Sie bestellte sich etwas zum Essen und setzte sich wieder auf das Bett.

Es dauerte etwas bis jemand an ihrer Tür klopfte und Zimmerservice rief. Langsam richtete sie sich auf und ging zur Tür. Das Zimmermädchen wünschte ihr frohe Weihnachten und ging wieder. Kaitlyn nahm den Servierwagen und schob ihn in ihr Hotelzimmer.

 

Als sie an dem Tisch saß, hob sie die silberne Haube, die über den Teller gestülpt war, hoch und sah ihr Essen an. Es war eine Gänsebrust mit Kartoffeln und Rotkohl. Das Essen sah gut aus und roch auch gut. Doch bei dem Anblick des Essens tat sie die Haube wieder über den Teller. Irgendwie war ihr der Appetit wieder vergangen. Sie erhob sich wieder und setzte sich dann auf ihr Bett.

 

An ihrem Mobiltelefon blinkte ein kleines weißes Licht. Es schien so, dass sie mindestens einen Anruf verpasst hatte. Als sie es entsperrte, sah sie das es achtzehn Anrufe waren. Neben ihrer Schwiegermutter und dem besten Freund ihres Mannes, schien auch James und ihre kleine Schwester angerufen zu haben. Doch Kaitlyn hatte nicht vor irgendeinen zurück zu rufen. Sie wollte allein sein.

 

Nach zwei Stunden machte sich ihr Magen mit einem lauten knurren bemerkbar. Auch wenn sie immer noch keinen Hunger hatte, wollte sie wenigstens etwas essen. Als sie am Tisch saß, hob sie die Haube wieder hoch und legte sie zur Seite. Sie griff nach dem Besteck und Schnitt ein Stück von der Gänsebrust ab. Die Gänsebrust war mittlerweile eiskalt und schmeckte auch nicht mehr so gut. Aber trotzdem aß sie sie. Von den Kartoffeln hatte sie eine viertel gegessen und vom Rotkohl hatte sie lediglich eine kleine Gabel probiert.

 

Noch immer hatte die Blondine ihr Handtuch um ihren Körper gewickelt als es an ihrer Tür klopfte. Etwas genervt von der erneuten Störung erhob sie sich und ging zur Tür.

 

"Ich stelle den Wagen später auf den...", begann sie als sie die Tür öffnete und sah wer vor ihrem Zimmer stand brach sie ihren Satz ab. Mit großen Augen schaute sie ihn an und runzelte ihre Stirn. Mit einem Schritt zur Seite, stellte sie sich etwas mehr hinter die Tür, so dass man nur noch ihren Kopf sah.

 

Kaitlyn schaute Finneas immer noch mit großen Augen an und räusperte sich.

"Mir ist gerade nicht nach Gesellschaft. Entschuldigte bitte."

 

Doch Finneas schien das nicht zu interessieren, denn er drückte die Tür weiter auf und betrat ihr Hotelzimmer.

 

"Wir müssen reden.", sagte er ernst.

 

Kaitlyn schaute ihm nach und hielt die Klinke der Zimmertür immer noch in der Hand.

"Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich..." Mitten im Satz brach sie ab, denn Finneas ging zu ihrer Handtasche und schaute da rein.

 

"Was tust du da?", fragte sie ihn entsetzt.

 

Die Tür schlug sie laut in Schloss und ging zu ihm. Ihre Handtasche riss sie ihm aus der Hand und funkelte ihn böse an.

 

"Was fällt dir ein? Du stürmst in mein Zimmer und wühlst in meiner Handtasche rum. Was verstehst du nicht daran, dass ich niemanden sehen will?", fragte sie ihn wütend.

 

Finneas ließ sich von ihren Worten nicht beirren und schaute sich weiter in ihrem Zimmer um. Er öffnete die Schublade des Nachttisches und durchwühlte diesen. Dann schloss er sie wieder und Kaitlyn schnaufte genervt.

 

"Finneas, was soll das?", fragte sie ihn immer noch wütend.

 

"Wo hast du sie?", fragte er die Blondine und sah sie dabei kurz an.

 

"Wen?", kam es verwirrt über ihre Lippen.

 

"Tu nicht so als wüsstest du von nichts!", kam es wütend über seine Lippen.

 

"Was willst du hier?" Kaitlyn verstand immer noch nicht, was er von ihr wollte.

 

"Zieh dich an, wir fahren in mein Büro."

 

"Ich glaube nicht und jetzt verschwinde aus meinem Zimmer! Sofort!", schrie sie ihn an.

 

Finneas ging zu ihrem Kleiderschrank und öffnete ihn. Er nahm einen grauen Pullover und eine Jeans aus dem Schrank und schmiss ihr die Sachen auf das Bett.

 

"Anziehen, Miss Hargrove.", forderte er sie unmissverständlich auf.

 

Kaitlyn kniff ihre Augen zusammen und musterte ihn. Ihre Arme hatte sie vor ihrer Brust verschränkt und funkelte ihn böse an.

 

"Ach plötzlich bin ich Miss Hargrove? Wie komme ich zu dieser Ehre, Mister Landers?", fragte sie ihn sarkastisch.

 

"Das erkläre ich ihnen beim FBI.", sagte er förmlich.

 

Kaitlyn setzte sich auf ihr Bett und beachtete Finneas nicht weiter. Sie hatte nicht vor mit ihm zu gehen, solange er ihr nicht sagte worum es ging.

Finneas stellte sich vor Kaitlyn und wippte mit dem Fuß, aber auch das ließ die Witwe kalt. Seine Hände hatte er in seine Hüften gestemmt und da seine Jacke dadurch etwas zur Seite rutschte, sah sie seine FBI Marke deutlich. Es machte so den Anschein, als sei er beruflich hier.

 

"Ich glaube, dass ist der Zeitpunkt wo ich von meinem Recht Gebrauch mache einen Anwalt zu verlangen.", sagte sie ihm etwas ruhiger, aber immer noch mit einem wütenden Unterton.

 

"Wie sie wünschen, Miss Hargrove."

 

Kaitlyn drehte sich um und griff nach ihrem Mobiltelefon. Hier in Miami kannte sie keinen Anwalt, aber der beste Freund ihres Mannes war Anwalt und bis er hier war, brauchte sie nicht mit ihm sprechen.

 

"Es wird aber dauern bis mein Anwalt hier ist.", sagte sie beiläufig, während sie nach der Telefonnummer von Ryan suchte.

 

"Ich habe das Recht sie solange...", er brach mitten im Satz ab als ihm eine Idee kam.

 

Finneas ging wieder zu ihrem Kleiderschrank. Er öffnete ihn. In ihren Jacke schaute er nach und als er dann nicht fündig wurde, schaute er sich weiter in dem Kleiderschrank um.

 

Kaitlyn stürmte zu ihm bevor sie Ryan anrufen konnte. Sie stellte sich zwischen Finneas und dem Kleiderschrank.

 

"Es reicht.", fauchte sie ihn an. "Ist es weil ich dich um Hilfe beten habe? Oder weil ich mich nicht mehr melde?", fragte sie ihn.

 

Finneas drückte sie mit einer Hand leicht zur Seite als sich ihr Handtuch etwas lockerte. Bevor es sich ganz löste griff sie danach und hielt es fest.

 

"Ich will wissen, wo du sie hast und was du am Pier gesucht hast.", sagte er dann und so langsam verstand Kaitlyn worum es ging.

 

Finneas schaute kurz zu ihr und durchsuchte weiter ihren Kleiderschrank. Doch auch da fand er nicht wonach er suchte.

 

"Was? Woher?", stotterte sie und ging ein paar Schritte zurück.

 

Neben dem Kleiderschrank lag ihr Koffer auf einer Ablage und als sein Blick darauf fiel, reagierte Kaity sofort. Sie stellte sich vor ihrem Koffer und ihr Herz pochte ihr bis zum Hals. Sie hatte keine Ahnung gehabt, woher er wusste das sie am Pier war.

 

Finneas lächelte und schob Kaitlyn erneut zur Seite. Er öffnete den Koffer und nachdem er einen dicken Mantel raus geholt hatte, sah er die Waffe. Finneas schnaufte und ließ den Kopf hängen.

 

"Wo hast du die her?", fragte er sie wütend und schaute sie an.

 

"Ich glaube kaum, dass dich das interessiert.", fauchte sie zurück.

 

"Ich will dir nichts böses. Aber du verheimlicht etwas. Du schleichst nachts alleine am Pier rum und hast Glück gehabt, dass diese Kerle dich nicht entdeckt haben."

 

Mit großen aufgerissenen Augen schaute sie zu ihm. Das konnte er nicht wissen, außer er war da.

 

"Ich war nicht am Pier.", sagte sie etwas ruhiger.

 

"Und woher hast du die?", fragte er sie erneut.

 

"Gekauft nach meinem Überfall.", kam es kurz und knapp über ihre Lippen.

 

"Um die Männer zu jagen, die dich umbringen wollten?", fragte er sie und wartete auf eine Erklärung.

 

"Vielleicht."

 

"Lass die Spielchen sein. Du kannst mir vertrauen.", sagte er ihr und versuchte etwas freundlicher zu sein.

 

"Ach ja? Warum sollte ich? Verhaftet du mich sonst? Dann tu dir keinen Zwang an!"

 

"Die Kerle sind gefährlich und machen nicht noch einmal so einen Fehler. Sie werden dich nicht nochmal nur verletzten. Der nächste Schuss bringt dich um, Kaitlyn.", machte er ihr deutlich.

 

Kaitlyn fing an zu zittern. Vor ein paar Monaten hätte sie nichts dagegen gehabt, doch heute wollte sie einfach nur ihrem inneren Verlangen nach Rache nachkommen. Was dann mit ihr passieren würde, war ihr egal. Sie hatte ja sowieso nichts mehr zu verlieren. Der heutige Tag, die Emotionen angeschossen zu werden, alles kamen in ihr hoch. Ihre Knie gaben nach und die ersten Tränen rannten über ihre Wangen. Ihr Körper ging langsam zu Boden bis sie auf diesem saß. Ihre Gesicht vergrub sie in ihren Händen und weinte.

 

Finneas schaute zu ihr runter und näherte sich langsam. Er ging vor ihr in die Hocke und legte ihr eine Hand auf ihre Schulter.

 

"Ich... Ich habe Angst.", schluchzte sie. "Weißt du wie sich das anfühlt? Kannst du dir das ansatzweise vorstellen?", fragte sie ihn weinend.

 

Finneas setzte sich auf den Boden zu ihr und nahm sie in den Arm. Seinen Kopf legte er auf ihren, während sie sich an seine Brust lehnte und weiter weinte.

 

"Ich weiß wie das ist. Und ja, ich kann es verstehen.", flüsterte er ihr leise zu. "Aber das ist keine Lösung."

 

Kaitlyn weinte immer noch und schnappte immer wieder kurz nach Luft. Für Finneas schien das normal zu sein, aber für sie war es nicht normal.

 

"Ich will das nicht nochmal erleben. Ich wollte den Kerl...", schluchzte sie. "... das gleiche antun."

 

Sanft strich er ihr über den Rücken und drückte ihren Körper fester an seinen.

 

"Du brauchst keine Angst haben. Ich bin bei dir.", flüsterte er ihr zu.

 

Kaitlyn umarmte Finneas und weinte. Selbst als ihr bewusst wurde, dass sie sich zum ersten Mal nach dem Tod ihres Mannes, an der Schulter eines anderen Mannes aus weinte blieb sie so sitzen.

 

Die beiden saßen noch eine lange Zeit auf dem Boden ehe Finneas nicht mehr sitzen konnte. Er löste sich leicht von ihr und richtete sich etwas auf. Als er sich vor ihr hockte griff er mit seinem Armen unter ihre Beine und um ihre Taille und hob sie an. Er nahm sie auf den Arm und legte sie in ihr Bett. Kaitlyn leistete keinen Widerstand und nachdem sie auf dem Bett lag sah sie zu ihm. Finneas sie kurz an und ging dann zu ihrem Kleiderschrank. Als er sich vorhin darin umgeschaut hatte, hatte er einen Pyjama entdeckt. Er holte ihn und legte ihn auf das Bett.

 

"Zieh dir mal was an.", sagte er sanft zu ihr.

 

Kaitlyn nickte und schaute mit roten, verweinten Augen verlegen zu ihm.

Er ging zum Fenster und schaute hinaus. In seinem Kopf überschlugen sich seine Gedanke, während die Blondine sich aufrichtete und ins Badezimmer ging.

Nach wenigsten Minuten kam sie in einem weißen, mit Teddybären bedruckten, Pyjama zurück. Finneas drehte sich zu ihr und schmunzelte.

 

"Der ist warm und kuschelig.", sagte sie verlegen und legte sich in ihr Bett.

 

"Der steht dir.", sagte er lächelnd und legte sich zu ihr, nachdem er sich seine Schuhe ausgezogen hatte.

 

Ohne ein weiteres Wort sagen, lagen sie zusammen in dem Bett und die Witwe hatte sich an ihn gekuschelt. Auch wenn sie ihn kaum kannte, so gab er ihr das Gefühl nicht alleine zu sein und das tat ihr gut.

 

Am nächsten Morgen wurde Finneas als erstes wach. Kaitlyn hatte ihren Arm über seine Brust gelegt und schlief noch tief und fest. Vorsichtig nahm er ihren Arm und hob ihn an. Darauf bedacht sie nicht zu wecken, drehte er sich etwas zur Seite und setzte sich auf die Bettkante. Die Blondine schlief immer noch und Finneas atmete tief durch. Diese Frau würde ihn seinen Job kosten, wenn das jemals raus kommen würde. Obwohl nichts verwerfliches passiert war, wusste der FBI Agent, dass es nicht richtig war. Schließlich hielt er Informationen zurück, denn er hatte in seinem Bericht nicht erwähnt, dass er Kaitlyn gefolgt sei. Er betonte, dass ein Informant ihm gesagt hatte, was am Pier los sei.

Seine Ellenbogen stützten sich auf seine Knie und er hatte sein Gesicht in seinen Händen gelegt. James dürfte hiervon auch nichts erfahren, denn dann würde James ihn umbringen.

 

Hinter ihm hörte er ein leises Geräusch. Er schaute über seine Schulter und Kaitlyn schlief immer noch. Allerdings drehte sie ihren Kopf hin und her. Er wandte sich zu ihr und streichelte ihr über den Kopf. Doch das schien die Witwe nicht zu beruhigen. Ganz im Gegenteil. Sie sprach im Schlaf, nur konnte er das nicht verstehen. Sanft streichelte er über ihre Wange, in der Hoffnung, dass sie sich beruhigen würde. Kaitlyn schrie kurz auf und schreckte dann hoch. Völlig desorientiert schaute sie sich um. Ihre Atmung ging schneller und ihre Brust hob und senkte sich schnell.

 

Finneas griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich. Tief in ihr hatte sie wohl den Überfall noch nicht verarbeitet und es schien ihr Alpträume zu bescheren. Das sie allerdings wieder mal von der Ermordung ihrer Familie geträumt hatte, konnte der FBI Agent nicht wissen.

 

Ihr Herz pochte unregelmäßig und nur langsam konnte sie sich von ihrem Alptraum erholen. Es dauerte ein paar Minuten, ehe sie sich beruhigt hatte. Diesmal war es Kaitlyn, die sich von Finn langsam löste.

 

"Danke.", flüsterte sie noch etwas aufgewühlt.

 

"Wofür, Kaitlyn?", fragte er sie leise.

 

"Einfach nur so."

 

Finneas nickte und lächelte sie an. Er brauchte keinen Dank. Es reichte ihm zu wissen, dass es ihr in seiner Gegenwart wieder besser ging.

 

"Was hältst du davon, wenn ich dich zum Frühstück einlade?", fragte er sie vorsichtig.

 

"Wäre das nicht so, dass ich dich einlade, um mich zu bedanken?", fragte sie ihn unsicher.

 

"Aber als Gentleman lädt man die Lady ein. Also was möchtest du frühstücken?"

 

Finneas griff zu dem Telefon auf dem Nachttisch und blätterte in der Hotelbroschüre um die Durchwahl des Zimmerservice zu finden.

 

"#005 musst du wählen.", sagte sie ihm, weil sie wusste wonach er suchte.

 

"Danke." Finneas wählte und wartete darauf, dass man den Anruf entgegen nahm.

"Zimmer 67. Bringen Sie uns bitte zweimal das große Frühstück und zwei Kannen Kaffee. Danke." Dann legte er direkt wieder auf.

 

Kaitlyn setzte sich in den Schneidersitz auf das Bett und schaute Finneas an.

"Manchmal träume ich davon und wache Schweiß gebadet auf.", begann sie.

 

"Du brauchst mir das nicht erklären. Jeder verarbeitet so ein Erlebnis anders. Du verarbeitetet das eben in deinen Träumen. Ich verarbeitete es mit einem ausgiebigen Training."

 

"Training?", fragte sie interessiert.

 

"Ja, ich trainiere dann. Entweder gehe ich laufen bis mir alles weh tut oder aber ich Kämpfe mit einem Kollegen. Das ist meine Art der Verarbeitung.", erklärte er ihr dann.

 

"Das hilft dir wirklich?", fragte sie ihn und wusste nicht so recht, wie das helfen würde.

 

"Ja und zudem halte ich mich damit fit. Schließlich muss ich das um mich verteidigen zu können."

 

"Vielleicht sollte ich das auch mal probieren?", sagte sie mehr zu sich selbst als zu Finneas.

 

"Du solltest dich vielleicht erst mal damit beschäftigen wie viel Glück du hattest, Kaitlyn. Nicht jeder hat so ein Glück.", sagte er sanft zu ihr und lächelte leicht.

 

"Ich weiß. Aber es macht mir auch Angst.", gestand sie ihm schließlich.

 

"Deine Angst begleitet Dich immer und du träumst sogar davon. Du brauchst jemanden zum reden."

 

Kaitlyn wusste zu genau, dass Finneas nicht den Verlust ihrer Familie meinte sondern den Überfall. Doch es war gut, dass er davon nichts wusste. Sie ließ ihm auch in dem Glauben und atmete tief durch.

 

"Ich komme damit klar. Ich hab früher viel mehr als das erlebt und kam damit auch klar. Ich bin schließlich..."

 

Es klopfte an der Tür und Kaitlyn erhob sich. Als sie die Tür öffnete stand ein junger Mann vor ihrer Tür.

"Zimmerservice. Ihr Frühstück."

 

"Danke schön."

 

Sie nahm den Wagen und fuhr in zu dem Tisch rüber. Auf dem Wagen befand sich ein riesiger Korb mit einigen Scheiben Brot, vier Brötchen und zwei Croissants. Es standen auch noch zwei große Teller mit einer silbernen Haube auf dem Wagen, zwei Kannen Kaffee und zwei Gedecke und zwei Eier auf dem Servierwagen.

Ihr Magen knurrte und Kaitlyn nahm die silbernen Hauben von den Tellern. Sie legte sie auf den anderen Servierwagen, der noch in der anderen Ecke des Hotelzimmers stand. Auf einem Teller waren verschiedene Sorten Wurst und auf dem anderen Teller waren verschiedene Käsesorten.

 

"Das kriegen wir niemals auf.", sagte sie mehr zu sich selber als zu Finneas.

 

"Aber wenigstens verhungern wir nicht.", sagte er lächelnd zu ihr.

 

Finneas ging zu dem Tisch herüber und setzte sich. Er Schnitt ein Brötchen in der Mitte durch.

 

"Möchtest du auch ein Brötchen?", fragte er sie sanft.

 

"Gerne."

 

Die Beiden frühstücken ausgiebig und unterhielten sich dabei. Es schien eine unbeschwerte Zeit für Beide zu sein. Finneas wollte sie zwar nochmal auf den gestrigen Tag ansprechen, aber ließ es bleiben, weil sie dieses Thema mied. Doch über eine Sache musste er noch mit ihr sprechen, ob sie es wollte oder nicht.

 

Nachdem sie fast alles auf gegessen hatten, lehnte Finneas sich auf dem Sessel nach hinten und hielt sich mit beiden Händen den Bauch.

"Das heißt für mich mindestens eine Stunde Training extra.", scherzte er.

 

"Oder auch eineinhalb Stunden.", gab sie belustigt zur Antwort.

 

"Das ist nicht lustig. Aber ich hab's verdient, das zusätzliche Training."

 

"Würdest du was dagegen haben, wenn ich mich anschließen würde?", fragte sie ihn unsicher.

 

"Bei deiner Figur hast du das doch nicht nötig.", machte er ihr ein Kompliment.

 

"Danke, aber ich denke es könnte eine Möglichkeit sein um mit der Verarbeitung anzufangen.", gab sie leise von sich und nahm einen Schluck von ihrem schwarzen Kaffee.

 

"Eine Stunde Training ohne das jemals gemacht zu haben? Bist du dir sicher?", fragte er sie verunsichert, denn sie schien nicht zu wissen worauf sie sich einließ.

 

Kaitlyn nickte und nahm noch einen Schluck Kaffee.

 

"Okay, aber nur unter einer Bedingung.", sagte er schließich.

 

"Welche?", fragte sie ihn leise.

 

"Du sagst mir wo die Waffe herkommt und ob du tatsächlich vor hattest alleine gegen die Kerle vorzugehen.", stellte er seine Bedingung und musterte sie.

 

Kaitlyn seufzte und stellte ihre Tasse Kaffee auf den Tisch. Sie lehnte sich dann zurück und setzte sich im Schneidersitz auf den Sessel.

 

"Die Waffe kommt von der Straße. Ich weiß von früher wo man so was her kriegt.",begann sie und war wirklich nicht stolz darauf, weil es gegen ihre Natur war.

"Ja, ich wusste nicht wie viele es waren. Ich hatte nur zwei oder drei erwartet. Das hätte ich sicherlich geschafft."

 

Finneas schaute sie fassungslos an. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet.

 

"Die hätten dich umgebracht, Kaitlyn. Diese Kerle zucken nicht mal mit der Augenbraue dabei. Du hättest nicht mal einen getroffen. Das sind Profis."

 

Sie zuckte mit den Schultern.

"Wir werden es nie erfahren. Aber woher weißt du, dass ich da war?"

 

Mit dieser Frage hatte er schon gestern Abend gerechnet und auch wenn er sich jetzt noch weiter in den Sumpf der Lügen rein ritt, antwortete er ihr.

"Ein Informant hatte mir einen Tipp gegeben, den ich nachgegangen bin und da habe ich dich gesehen. Da musste ich reagieren und es scheint geklappt zu haben.", log er sie an und blieb bei seiner Lüge sehr gelassen.

 

"Du warst da?", fragte sie ihn erschrocken.

 

"Ja.", sagte er.

 

"Du wusstest also, dass ich eine Waffe hatte?", schlussfolgerte sie daraus.

 

"Ja.", antwortete er wieder kurz und knapp.

 

"Deshalb bist du zu mir gekommen?", stellte sie ihre nächste Frage.

 

"Ja. Ich wollte dich vor schlimmerem bewahren. Es weiß niemand, dass ich dich da gesehen habe.", gestand er ihr dann, wobei das auch nicht gelogen war.

 

Kaitlyn sah ihn einfach nur ausdruckslos an. Emotionen kochen in ihr hoch, die sie nicht richtig deuten konnte. Er hatte zwar ihren Plan durchkreuzt, aber bei so vielen Männern war das vielleicht besser so gewesen. Doch er würde sie nie wieder von ihrem inneren Verlangen nach Rache abbringen, das schwor sie sich.

 

"Danke."

 

"Vergessen wir das einfach. Wir sollten uns lieber mental auf nachher vorbereiten. Sagen wir in zwei Stunden im Evolve Miami Team?", lenkte er dann von dem Thema ab und nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee.

 

"Nicht bei James?", fragte sie überrascht.

 

"Nein, ich trainiere lieber wo anders. Ich kenne den Besitzer gut. Da können wir in Ruhe trainieren.", erklärte er ihr und stellte seine Tasse Kaffee auf den Tisch.

 

"Alles klar."

 

"Ich werde mich mal zuhause frisch machen und wir treffen uns dann da.", schlug er ihr vor.

 

Die Beiden verabschiedeten sich und Kaitlyn blieb wieder alleine in ihrem Hotelzimmer zurück.

 

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Kapitel: 16
Sätze: 2.010
Wörter: 20.634
Zeichen: 117.117

Kurzbeschreibung

Wie weit würde jemand gehen, der nichts mehr zu verlieren hat? Kaitlyn hat alles in ihrem Leben verloren, was ihr jemals wichtig war. Angetrieben von ihrem inneren Verlangen wird zu einer Person, die sie nie sein wollte.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Krimi auch in den Genres Liebe, Drama und Trauriges gelistet.