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Réfugiés (1) - Die letzten Tage des Friedens

270
17.02.24 21:25
18 Ab 18 Jahren
Heterosexualität
Fertiggestellt

Autorennotiz

Mein besonderer Dank gilt meiner Tochter Doris. Mein nicht immer perfektes Deutsch und mein rudimentäres Französisch hat sie so bearbeitet, dass ich eine vorzeigbare Geschichte veröffentlichen kann.

Die Welt ist in zwei Klassen geteilt:
in die, die das Unglaubliche glauben, und die,
die das Unwahrscheinliche tun.
Oscar Wilde

Titelbild - Amerikanischer Soldatenfriedhof in Colleville-sur-Mer (eigenes Werk)

Das Original dieses Romans gibt es hier:

erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=refugies.pdf

Malerisch schwingt sich die Strandpromenade von Arromanches-les-Bains entlang eines breiten Sandstrands von Ost nach West. Westlich reicht die Promenade bis in den Nachbarort Tracy-sur-Mer. In östlicher Richtung endet die Promenade einige hundert Meter vor der Gemeindegrenze. Ein Stück weit in Richtung Osten führt dann ein schmaler Fußweg zum Dörfchen Saint-Côme-de-Fresné. Der Weg ist oberhalb des Strandes in die Hochwasserschutzmauer integriert. Er wird bei Flut oft überschwemmt und führt, noch vor dem Ortseingang, hinab an das Meer. Um nach Saint-Côme-de-Fresné zu gelangen, muss man die letzte Strecke über den Strand, der nur bei Ebbe sicher begehbar ist, zurücklegen. Bei Flut gelangen die Wassermassen regelmäßig bis an die Promenade und bei Sturm schwappen die Brecher, von den Strömungen des Ärmelkanals und vom Wind getrieben, über die Begrenzungsmauer der Promenade.

In Sommer 1939 war das Seebad von Besuchern überfüllt. Der Strand war an diesem warmen Sommertag gut besucht und auch auf der Promenade herrschte munteres Treiben. Die reale Welt schien weit weg von der Normandie, die abgelegen von der Hauptstadt Paris am Rande der Republik liegt. Wer sich die Reise in den abgelegenen Küstenort leisten konnte, versuchte hier den überkochenden Kriegsgerüchten zu entkommen. Auch in der Normandie berichteten die Zeitungen von der sich zuspitzenden Lage, jedoch versuchten die Feriengäste die beunruhigen Nachrichten durch diverse Vergnügungen zu verdrängen. Einen Mann, der an die Brüstung gelehnt auf der Promenade stand, erinnerte das Treiben an einen Totentanz. Er stellte sich vor, die Menschen würden bis zum Ende feiern und von einer mächtigen Welle ins Meer gespült. Ein Stück weit entfernt fiel ihm eine hübsche junge Frau auf. Sie war für das bunte Treiben unpassend gekleidet, denn trotz des warmen Sommerwetters trug sie einen Trenchcoat. Langsam stieg die Flut und mehr und mehr Menschen drängten sich über die Promenade zurück in die Hotels und Pensionen. Bald würde der Strand für einige Zeit unter den Wogen des Ärmelkanals verborgen sein. Danach verlief das Ganze dann entgegengesetzt – das Wasser lief ab, die Menschen strömten über die Promenade zurück an den Strand. Langsam ging der Mann auf die junge Frau zu, deren Gesicht absolute Hilflosigkeit ausstrahlte und doch, oder gerade deshalb, zog sie ihn magisch an.

Die Frau hat oft davon geträumt einmal an das Meer zu fahren und jetzt stand sie hier in der Normandie erstmals vor diesen unendlich erscheinenden Wassermassen. Eine genaue Vorstellung vom Meer hatte sie bisher nicht gehabt; den Wechsel zwischen Ebbe und Flut hatte sie sich nicht so mächtig vorgestellt. Alles war anders gekommen, als sie es sich einmal erträumt hatte. Anstatt fröhliche Tage am Meer zu verbringen, war sie an dieser Küste gestrandet und wusste weder, wo sie eine Unterkunft für die nächste Nacht finden würde, noch, wie sie etwas Essbares auftreiben könnte.
     Es war ein langer Weg von ihrem wohlbehüteten Elternhaus in Frankfurt bis an diese Küste gewesen. Im Dezember war sie aufgebrochen; nach den furchtbaren Ereignissen in der Nacht des 9. auf den 10. November hatten ihre Eltern sie gedrängt, Deutschland zu verlassen. Sie hatte sich noch einige Zeit widersetzt, da sie ihre Eltern nicht allein lassen wollte, diese hatten sich aber strikt geweigert das Land zu verlassen und betont, ihnen werde schon nichts passieren. Schließlich sei er im Krieg Offizier gewesen und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden, fügte ihr Vater stets hinzu. So war sie an einem regnerischen Morgen, ausgestattet mit einem gefälschten französischen Pass, in den Zug nach Lörrach gestiegen. Ein Helfer hatte ihr bei der Flucht über die grüne Grenze in die Schweiz geholfen. Von dort war sie schließlich nach Paris gelangt. Mit einem flauen Gefühl im Magen hatte sie ihren Pass an der französischen Grenze vorgelegt, aber der Grenzbeamte hatte keinerlei Verdacht geschöpft und nur gefragt, ob sie anmeldepflichtige Waren dabei hätte und ihren kleinen Koffer durchsucht. Die wichtigsten Regeln des Lebens als Illegale hatte sie schnell verinnerlicht, immer unauffällig bleiben und nie ohne Geld auf die Straße gehen. Sie wohnte in einem schäbigen Zimmer, in einem noch schäbigeren Viertel der Stadt, dort wo die Concierges nicht so genau hinguckten. Mit Glück hatte sie, durch die Hilfe eines zufälligen Bekannten, eine Stelle als Spülhilfe in einer Brasserie gefunden, sodass sie sich über Wasser halten konnte. Es war alles gutgegangen, bis zum vergangenen Abend, als sie in eine Razzia geriet. Im letzten Moment hatte sie sich in einen dunklen Hauseingang gedrückt, dessen Eingangstür unter dem Druck ihres Körpers nachgab. Zurück zu ihrem Zimmer hatte sie sich nicht mehr getraut, sie war ziellos durch die Stadt geirrt und irgendwann zum Gare Saint-Lazare gelangt. Dort hatte sie eine Fahrkarte nach Bayeux gekauft, weiter hatte ihr Geld nicht gereicht, und dann den Nachtzug genommen. Von Bayeux aus war sie die wenigen Kilometer mit dem Omnibus an das Meer gefahren, mit ihren letzten Francs hatte sie die Fahrkarte erstanden. Jetzt stand sie an die Brüstung gelehnt, unschlüssig darüber, wie es weitergehen könnte. Nach einer Weile hörte sie leise jemand fragen, „Réfugié? Vous venez d’Allemagne?“ Die Frau wendete ihr Gesicht in die Richtung, aus der sie die Stimme gehört hatte. Kaum einen Schritt neben ihr stand ein Mann mittleren Alters, der an den Schläfen bereits ergraut war. Auch in sein tiefbraunes Haupthaar hatten sich bereits einige vereinzelte graue Haare eingeschlichen. Unbeabsichtigt antwortet sie auf Deutsch: „Ja, woher wissen sie das?“ „Eine junge Frau – zu dieser Jahreszeit, an einem herrlichen Sonnentag in Arromanches – in einem Trenchcoat! Mit der Zeit bekommt man einen Blick dafür.“ Ihr wurde bewusst, sie hatte Deutsch geantwortet. Der Mann rückte näher zu ihr heran und sagte mit Nachdruck, „sie sollten hier nicht Deutsch sprechen!“ „Ich weiß, ihr leichter Akzent hat mich dazu verleitet.“ Nach einer kurzen Pause fragt er, „politisch?“ Sie schüttelte den Kopf: „Nein, Jüdin. Hannah Schwarz aus Frankfurt. Seit den Rassegesetzen zwangsweise Hannah Sara Schwarz“. „Hans Donrath aus Düsseldorf – politisch“, stellte er sich vor. Nur noch wenige Menschen hielten sich zu dieser Zeit am Strand auf, von dem nur noch ein kleiner Sandstreifen zu sehen war. Nebeneinander standen sie an der Brüstung und beobachteten, wie das Wasser weiter und weiter stieg.
     Nach einiger Zeit sagte Hans Donrath, „Ich bekomme Hunger, wie wär’s, wenn wir einer Bar eine Kleinigkeit essen.“
     Hannah schüttelt den Kopf, „Ich fürchte, da reicht mein Geld nicht. Ich habe Paris am Abend fluchtartig verlassen und besitze im Moment nur das, was ich am Leib trage und ein paar Centime Kleingeld.“
     „Ich bin da besser bei Kasse als sie. Kommen sie mit, ich lade sie ein.“

Langsam schoben sie sich durch die Menschenmenge, die die Promenade bevölkerte und bogen schließlich in eine der schmalen Seitenstraßen ein. Hier war es bedeutend ruhiger, als auf der Promenade. So gingen sie eng nebeneinander her, ohne sich zu berühren. Nach einer Weile hielt Donrath vor einer Bar, deren Türe offen stand. „Kommen sie, hier kennt man mich. Wir setzen uns an einen Tisch in der hinteren Ecke, da sind wir ungestört.“ Donrath ging zum Patron, der hinter der Theke stand. Sie begrüßten sich freundschaftlich und Donrath bestellte Baguette, dazu Käse und Schinken. „Möchten sie auch ein Bier trinken?“ Fragte er in Richtung des Tisches, an dem sich Hannah Schwarz niedergelassen hatte. Sie schüttelte leicht den Kopf, „lieber nicht, seit gestern Abend habe ich nichts mehr gegessen.“ „Café au Lait – vielleicht?“ Hannah zögerte kurz und antwortete auf seinen fragenden Blick mit einem Kopfnicken. „Also ein Café au Lait und ein Bier, François“, sagte Hans Donrath zum Patron. Er ging zu Hannah an den Tisch und setzte sich ihr gegenüber auf die mit grünem Kunstleder bezogene Bank.

Unvermittelt sagte Hannah, „als Erstes brauche ich eine Unterkunft für die Nacht, ich kann ja schlecht auf der Promenade übernachten. Dann muss ich sehen, wie ich zu Geld komme – von irgendwas muss ich schließlich leben. Haben sie eine Idee dazu?“
     Hans Donrath, schwieg in Gedanken versunken. Als der Patron kam, sagte er, mit dem Kopf in Richtung Hannah deutend, „sie braucht dringend eine Unterkunft und Arbeit, François.“
     „Das ist schwer, wir haben noch Hauptsaison und selbst die letzte Kammer an der Küste ist von Feriengästen belegt.“ Der Patron sah zu Hannah. „Illegal?“
     Hannah senkte die Augen. „Oui“, antwortete sie und nickte dazu kaum merklich.
     „Die Saison ist fast zu Ende, noch ein paar Wochen, dann herrscht hier gähnende Leere. Dann dürfte die Unterkunft kein mehr Problem sein. Aber dann gibt es hier auch bis zur kommenden Saison keine Arbeit mehr“, meinte der Patron und wendete sich wieder seiner Arbeit zu.
     „Am besten sie kommen heute Abend mit mir nach Bayeux.“
     „Und was mache ich da?“
     „Es wird schwierig für sie, etwas für die Nacht zu finden. Notfalls nehmen sie mein Zimmer und ich übernachte im Schuppen hinter der Backstube, in der ich arbeite.“
     Zweifelnd schaute Hannah Donrath an. „Überlegen sie es sich“, sagt Hans Donrath. „Ich nehme den Omnibus um sieben.“

Pünktlich um sieben hatte sich der Omnibus in Bewegung gesetzt. Hinter dem Ortsausgang von Arromanches stieg die Landstraße nach Bayeux steil an und Hannah hatte den Eindruck, dass der Omnibus kaum über das Schritttempo hinauskam. An diesem Abend waren viele Tagesausflügler unterwegs, aber beide fanden eine Sitzgelegenheit in der hintersten Ecke. Neben sie setzte sich eine Familie mit Kindern, die sich lautstark unterhielten. So konnten Hannah und Donrath ungefährdet Deutsch miteinander sprechen. Nachdem der Omnibus die Steilstrecke überwunden hatte, sagte Hannah, „Es ist keine gute Idee, bei Ihnen zu übernachten.“ „Warten wir es ab, bis wir in Bayeux sind, dann sehen wir weiter.“ Donrath hatte eine Weile geschwiegen, während sich der Omnibus entlang der Streuobstwiesen Bayeux näherte. „Ich will ja nicht aufdringlich erscheinen, Fräulein Schwarz – aber wir sind hier die einzigen Deutschen weit und breit, das förmliche Sie könnten wir uns sparen.“ Hannah hatte etwas verdutzt reagiert, dann aber nur zustimmend genickt. In der Ferne tauchte die Silhouette von Bayeux auf.

Hannah und Hans standen vor der mächtigen Kathedrale von Bayeux. Sie hatten den Omnibus an der Rue de Caen verlassen, waren langsam durch die Altstadt geschlendert und hatten bei preiswerten Pensionen nach einem Zimmer für Hannah gefragt. Wie Hans Donrath vermutet hatte, war nirgends ein Zimmer zu bekommen, das Hannahs finanziellen Möglichkeiten entsprach. Genau genommen hat sie gar kein Geld, wenn wir eine Unterkunft für sie finden, muss sie für mich finanzierbar sein, kam Donrath in den Sinn. Unauffällig musterte er Hannah. Sie sah sehr müde aus und machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Zwischendurch, beim Gang durch die Altstadt, hatte er mehr als einmal den Eindruck gehabt, Hannah könne sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie tat ihm unendlich leid. So ein junges Leben, auf der Flucht vor den Nazis und das am Vorabend eines Krieges, der sie zermalmen würde. Donrath musste sich gewaltsam zusammenreißen, um nicht vor Mitleid zu zerfließen.

„Hans“, sie nannte ihn das erste Mal beim Vornamen.
     Er schaute sie fragend an, aber sie sprach nicht weiter. „Hannah, du übernachtest in meinem Zimmer. Ich werde die Wirtin um frische Bettwäsche und Handtücher bitten. Wir können auch noch ein paar Pensionen abklappern, aber das ist sinnlos. Das siehst du doch ein?“
     „Ja, ich weiß“, antwortete Hannah mit hängendem Kopf.
     Hans führte sie in eine der kleinen Gassen hinter der Kathedrale. „Es ist kein Problem, Hannah, der Schuppen hinter der Bäckerei ist ganz bequem und ich muss sowieso schon morgens um zwei zur Arbeit – mein Zimmer ist die reine Verschwendung.“ Er lächelte ihr zu. „An meinem nächsten freien Tag fahren wir nach Arromanches. François, dem Wirt wird bis dahin schon etwas eingefallen sein – er ist ein guter Freund und hat mir auch die Arbeit in der Bäckerei besorgt.“
     „Woher kennt ihr euch?“
     „Wir waren zusammen in Spanien bei den Internationalen Brigaden. Nach der Niederlage und der Flucht nach Frankreich steckte man mich in Agde als unerwünschten Ausländer in ein Internierungslager. François hatte es als Franzose einfacher – er konnte einfach nach Hause fahren. Mir gelang die Flucht aus dem Lager und ich habe mich zu François durchgeschlagen.“
     In der Rue Saint-Jean schaute Hannah sehnsüchtig in die Auslage einer Charcuterie. „Hier nebenan in der Boulangerie Saint-Jean arbeite ich“, sagte Hans, der ihren Blick bemerkt hatte. „Komm, wir gehen rein, ich besorge dort Brot und Croissants. Dann bringe ich dich auf mein Zimmer. Du kannst dich dort einrichten und frisch machen. Ich mache noch ein paar Besorgungen und komme dann später noch einmal vorbei.“

Die Zimmerwirtin grüßte Hannah zurückhaltend, aber nicht unfreundlich. Hans reichte Hannah die Tüte mit den Croissants. Es sei für den ersten Hunger, hatte er noch bemerkt und dann eilig das Zimmer verlassen. Hannah blickte verwirrt auf die geschlossene Tür – sie verstand die plötzliche Eile nicht, schulterzuckend schaute sie sich im Zimmer um. Auf der Straße beeilte sich Donrath zur Charcuterie zu kommen, er wusste, es ist kurz vor Ladenschuss. Von dort eilte er weiter zur Weinhandlung, kaufte eine Flasche Rotwein, stutzte kurz, dachte an Hannah und erstand zur Feier des Tages eine Flasche Calvados. Was für ein wunderbarer Tag, dachte er. Ich treffe hier mitten in der Normandie auf diese Frau. Sie steht da auf der Promenade von Arromanches, so als hätte sie auf mich gewartet.

Der Rückweg zu seinem Zimmer brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er musste Hannah sagen, in welcher großen Gefahr sie sich befand, meinte aber, er könnte ihr das auch morgen sagen, um sie an diesem Abend nicht mit seinen Befürchtungen zu beunruhigen. Einen Tag würde er sich freinehmen und mit ihr nach Arromanches fahren, nur François konnte helfen. Er und seine Frau waren die einzigen, die über die nötigen Verbindungen verfügten, Hannah aus der Patsche zu helfen.

Hans stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und versuchte ein optimistisches Gesicht aufzusetzen; er klopfte und fragte, „darf ich hineinkommen?“ Hannah öffnete die Tür und lächelte ihn an. Am Tisch packte er seine neuerworbenen Schätze aus. Die Tüte mit den Croissants lag geöffnet auf dem Tisch und Hannah wirkte jetzt frischer und gestärkt. Sie erschien ihm im trüben Licht der einzigen Glühbirne, die in der Fassung lose von der Decke baumelte, wie der Traum von einer besseren Welt. Er sah, Hannah hatte inzwischen das Bett frisch bezogen und etwas aufgeräumt. „Aufräumen ist nicht meine Stärke“, lächelte er und versuchte mit den Einkäufen den Tisch festlich zu gestalten. „Ich öffne schon einmal die Weinflasche. Ich besitze aber nur ein einziges Glas. Ich trinke aus der Tasse“, sagte er entschuldigend. Da es auch nur einen Stuhl im Zimmer gab, drückte Hans Hannah auf diesen und setzte sich selbst auf die Bettkante. Essen und dabei mit einer Frau plaudern, das ist fast wie verheiratet, dachte er und erhob sich noch einmal, um den Wein einzugießen. Nachdem sie gegessen hatten, spülte Hannah Glas und Tasse aus und räumte den Tisch ab. Hans, der ziemlich dem Wein zugesagt hatte, war in gehobener Stimmung und beschloss endgültig, Hannah erst morgen mit seinen Befürchtungen zu konfrontieren. Er nahm Glas und Tasse und füllte in beide jeweils eine kleine Menge Calvados. Noch stehend reichte er Hannah das Glas und sagte, „Du musst daran riechen und erst danach davon trinken. Das ist das Beste, das ich jemals getrunken habe.“ Hannah fand den Duft betörend. Scharfe Getränke war sie nicht gewohnt, so nippte sie nur vorsichtig und ließ die braune Flüssigkeit über ihre Zunge rinnen. Hüstelnd stellte sie das Glas zurück auf den Tisch. „Das ist wohl eher nichts für mich. Aber der Duft ist wirklich angenehm.“ „Du wirst dich noch daran gewöhnen“, antwortete Hans. Er schaut auf die Uhr. „Ich glaube, ich muss langsam gehen, sonst brauche ich mich gar nicht erst schlafen zu legen. Ich komme am Vormittag zurück, da habe ich Feierabend.“ Hannah begleitete ihn ins Treppenhaus. Er versuchte sie zum Abschied zu umarmen, sie entzog sich ihm nicht und küsste ihn leicht auf die Wange. Er verließ das Haus und lief beschwingt zum Schuppen hinter der Boulangerie.

Nach der Arbeit konnte Hans es kaum erwarten Hannah wiederzusehen. Er nahm in der Boulangerie noch rasch ein Baguette und zwei Croissants und ging so schnell wie möglich zu seinem Zimmer. Auf sein Klopfen öffnete Hannah, so als hätte sie hinter der Tür gewartet. Er küsste sie leicht auf den Mund und ein Blick durch das Zimmer ließ ihn glauben, eine gute Fee hätte bei ihm vorbeigeschaut. „Hast du Hunger?“, fragte er. „Nein, es war noch genug vom Abend da“, antwortet sie. „Ich habe von deinem Tee genommen, schlimm?“ „Nein, nein, tu so, als wärst du hier zu Hause.“ Hans wärmte einen Topf Wasser auf der elektrischen Kochplatte und goss sich eine Tasse Tee auf. Dazu aß er im Stehen ein Croissant, er sah, dass Hannah ihn etwas fragen wollte.
     „Nur zu, ich kann mir denken, was dich bedrückt.“
     „Hans ich habe kein Geld und brauche dringend eine Arbeit.“
     „Du bist eine Illegale, vergessen?“
     Hannah schüttelte den Kopf, „ich weiß.“
     „Was hast du denn gelernt?“
     „Zuhause habe ich Medizin studiert – bis die Nazis mich von der Uni gejagt haben“, antwortet Hannah.
     „Und sonst?“
     „In Paris war ich als Spülhilfe in einer Brasserie.“

     Hans war sehr nachdenklich und wusste nicht, wie er das Gespräch in die gewünschte Richtung lenken könnte. „Wir versuchen es einmal bei einem Arzt in der Stadt, vielleicht findet sich einer, der eine Hilfe braucht. Morgen fahren wir aber erst einmal zu François, ich habe mir einen freien Tag genommen – und jetzt machen wir einen Spaziergang.“

Hans und Hannah gingen durch die schmalen Gassen der Altstadt. Sie ist so herrlich jung, dachte Hans. Aber irgendwie musste er ihr jetzt sagen, dass es hier keine Zukunft für sie gab. Auf einer Brücke über die Aure blieben sie stehen und schauten auf das Wasser, das hier über das Wehr der alten Wassermühle rauschend in die Tiefe schoss. Er legt seinen Arm um ihre Hüfte. „Hannah“, sagte er rau. „Ja, was ist?“ Hans versank in Schweigen, sie weiter im Arm haltend, gingen sie langsam weiter.
     „Hannah, es wird Krieg geben.“
     „Nein, das glaube ich nicht!“
     „Du nimmst doch nicht an, unser Freund in Berlin gibt sich mit der Rest-Tschechei zufrieden?“
     „Hans, ich warte doch nur noch bis sich die Nazis beruhigen. Dann gehe ich zurück. Mir fehlen meine Eltern.“
     „Deine Eltern sollten auf der Stelle Deutschland verlassen – bevor der Krieg ausbricht.“
     „Sie haben nicht genug Geld, um die Reichsfluchtsteuer zu zahlen und so zu fliehen wie ich, dazu sind sie zu alt.“
     Hans wendete sich Hannah zu, schaute sich vorsichtig um und als er feststellte, dass sie unbeobachtet waren, zog er sie an sich. Ihre Blicke trafen sich, es folgt ein leidenschaftlicher Kuss. „Hannah, wenn der Krieg beginnt, werden wir als feindliche Ausländer interniert. Das ist kein Spaß; und dann sitzen wir hier wie in einer Mausefalle.“
     „Die Nazis werden nicht bis hierhin kommen.“
     „Doch Hannah – sie werden siegen, daran besteht kein Zweifel. Frankreich ist überhaupt nicht auf einen Krieg vorbereitet.“
     Am Horizont zogen dichte Wolken auf und ein kalter Wind wehte durch die Straßen. Fröstelnd lehnte sich Hannah an ihn. Sie war niedergeschlagen.
     „Morgen werden wir mit François sprechen. Der wird einen Weg finden, wie du das Land verlassen kannst. Am besten in Richtung England. Da werden sie dich zwar auch internieren, aber du dürftest dort vor den Nazis sicher sein.“
     Die letzten Schritte zum Zimmer wurden vom heftig einsetzenden Regen begleitet. Oben angekommen nahm Hans ein Handtuch und begann Hannah zärtlich die Haare abzutrocknen. „Hans, ich möchte hier bleiben. In England kenne ich keinen Menschen und Frankreich ist nicht so weit von zu Hause weg.“
     „Bitte Hannah, das haben wir alles besprochen und ich würde mir fürchterliche Vorwürfe machen, wenn du den Nazis in die Hände fällst.“ Danach wollte sich Hans verabschieden, „Hannah, ich geh jetzt besser!“
     „Bitte bleib“, sagte Hannah fast flehentlich.
     „Ich bin ein Mann, vergiss das nicht!“
     „Nein, ich vergesse es nicht. Bitte Hans, bleib.“

Hans umarmte Hannah, sie war kleiner als er und so drückte er seinen Mund auf ihre Haare. Sie kuschelte sich vertrauensvoll an seine Brust, „Hans, ich war noch mit nie einem Mann zusammen.“ „Ruhig Hannah, ruhig.“ Er setzte sich auf das Bett und zog Hannah zu sich herunter, sodass sie mit dem Kopf auf seinem Schoß lag. Mit einem Finger zeichnete er die Formen ihres Gesichts nach. Hannah war jetzt völlig entspannt, die Furcht vor der dem, was vor ihr lag, war einem Gefühl des Vertrauens zu Hans gewichen. Hans beschäftigte sich weiter intensiv mit den Formen ihres Gesichts, dann führte er eine Hand zu ihrer Brust. Hannah drückte sich fester an ihn und blieb völlig entspannt, als er vorsichtig die Knöpfe ihrer Bluse öffnete. Sie setzte sich auf, zog Bluse und Büstenhalter aus und legte dann ihren Kopf wieder auf seine Beine. Genau wie er vorher die Formen ihres Gesichts nachgezeichnet hatte, erforschte er jetzt vorsichtig die Formen ihrer Brüste. Nach einiger Zeit schob er eine Hand unter den Bund ihres Rocks, „Hannah, wollen wir uns jetzt ausziehen? Sag einfach nein, wenn du das nicht möchtest.“ „Ich möchte“, antwortete Hannah spontan, erhob sich und legte ihre restlichen Kleidungsstücke ab. „Bitte nicht gucken“, sagte sie dabei. „Ich gucke nicht“, antwortete Hans und wandte sich zum Fenster. Sobald Hannah sich ausgezogen hatte, legte sie sich unter die Bettdecke. Erst danach drehte sich Hans wieder um, zog sich auch aus und kroch zu Hannah unter die Decke. Umgehend kuschelte sie sich bei ihm an und er setzte die Erkundung ihres Körpers fort. Vorsichtig streichelte er ihre Schamhaare und als seine Hände tiefer glitten, spürte er die Feuchtigkeit, die sich zwischen ihren Beinen ausbreitete. Als er in sie eindrang und das Jungfernhäutchen zerriss, zuckte Hannah kurz zusammen, brach dann aber in lustvolles Stöhnen aus. Als ihre Lust befriedigt war, lagen sie nebeneinander auf dem Bett und hielten sich bei den Händen. „Vielleicht jetzt doch einen Calvados?“, fragte Hans nach einiger Zeit. Hannah nickte und als Hans aufstand, um den Calvados in das einzige Glas zu füllen, das er besaß, setzte Hannah sich im Bett auf. Tief sog sie den Duft des hochprozentigen Getränks ein, bevor sie einen kleinen Schluck davon trank. Warm lief ihr der Apfelschnaps die Kehle herunter. Auch Hans trank aus dem Glas und legte sich wieder zu ihr. Schläfrigkeit überkam sie, Hans drückte ihr, bevor sie einschlief, einen Kuss auf die Stirn.

Tief in der Nacht wachte Hans auf. Er spürte den warmen Körper der Frau an seinem Rücken. Sie atmete leise. Er versuchte so still wie möglich zu liegen, um ihren Schlaf nicht zu stören. Der Gedanke, sich schon bald wieder von ihr trennen zu müssen, machte ihn traurig. Bereits morgen in Arromanches wollte er mit den Vorbereitungen für die Trennung beginnen. Wenn diese Nacht doch nie vorübergehen würde, dachte er, als er erneut in den Schlaf hinüberglitt. Ein Geräusch weckte ihn, ohne die Augen zu öffnen, suchte er mit seiner Hand nach Hannah, der Platz neben ihm war leer. Langsam öffnete er die Augen und sah, wie sie am Elektrokocher Wasser für den Tee aufsetzte. „Hast du gut geschlafen, Liebste?“ „Ja, Hans. So gut wie seit langer Zeit nicht mehr.“ Der Wind trieb schwere Regentropfen gegen das trübe Fenster, als Hannah ihm eine Tasse Tee reichte. Er stellte die Tasse neben dem Bett auf den Boden und zog Hannah zu sich herunter. Er spürte wie ihre Brüste seinen Körper berührten und streichelte ihr sanft über den Rücken.

An diesem Regentag waren sie im Omnibus nach Arromanches fast die einzigen Fahrgäste. Schaukelnd fuhr er durch die Stadt hinaus in die normannische Landschaft. Hans hatte Hannah eng an sich herangezogen. Richtiges Weltuntergangwetter, dachte er. In Arromanches wehte der Wind noch heftiger als in der Stadt und die beiden kamen ziemlich durchnässt bei François an.
     „Bonjour, ihr seht ja beide wie begossene Pudel aus! Habe nicht damit gerechnet euch so schnell wiederzusehen“, rief François, der sich im hinteren Bereich des Lokals aufhielt.
     Hans sah, dass sie die einzigen Gäste bei diesem Mistwetter waren. Das kam ihm sehr entgegen – so konnten sie sich in Ruhe mit François beraten. „Bonjour François, ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen.“
     „Quatsch, kommt, setzt euch, ich bringe euch etwas Wärmendes“. François ging hinter den Tresen und schenkte für jeden ein großes Glas Calvados ein. Er empfand eine tiefe Freundschaft für Hans und sein unverhofftes Erscheinen erfreute und wunderte ihn gleichzeitig. Zu dritt setzten sie sich an einen der Tische. Ohne Umschweife begann François, „Wo brennt‘s? Heraus mit der Sprache!“
     „François, du weißt…“, fing Hans umständlich an zu sprechen.
     „Rede nicht lange drum herum, Hans. Sag, was du auf dem Herzen hast“, blaffte François zurück. „Und nehmt erst mal einen Schluck, das lockert die Zunge.“
     Hans leerte sein Glas in einem Zug. Hannah nahm einen kleinen Schluck und dachte – man könnte sich daran gewöhnen. Von innen fühlte sie Wärme in sich aufsteigen und sie legte ihre Hand auf die von Hans. François lächelte wissend und wendet seinen Blick erwartungsvoll auf Hans. „Ich will, dass Hannah das Land verlässt. Wenn die Nazis angreifen, ist sie als Jüdin in Gefahr. Kannst du dabei helfen?“
     „Daher weht also der Wind!“ François schaute Hannah voll ins Gesicht, „haben sie Geld?“
     „François, sag einfach Hannah zu ihr; und sie hat kein Geld!“
     „Und du bist illegal im Land, Hannah, wenn ich mich recht erinnere!“
     Hannah nickt, „ja, François.“

Ein neuer Gast betrat die Bar. François erhob sich, der Gast bestellte ein Bier, das er am Tresen stehend trank und sich dabei mit François über das Wetter austauschte. Hans guckte derweil Hannah verliebt an und dachte, er benehme sich wie ein alter Esel. Das löste ein Lächeln bei ihm aus und er rückte näher an sie heran. Der Biertrinker zahlte und ging. François kam zu ihnen zurück.
     „Das Deutsche Reich hat mit Dänemark, sowie Estland und Lettland Nichtangriffspakte abgeschossen. Die wollen sich den Rücken freihalten.“
     „Wozu?“, fragte Hannah.
     „Der Krieg kommt, fragt sich nur noch, wo sie zuerst losschlagen.“
     „Aber sie werden doch Frankreich nicht angreifen?“, versuchte Hannah einzuwenden.
     „Oh doch, Mädchen! Sie werden angreifen und sie werden siegen. Nur vermute ich, zuerst ist Polen dran und dann wird Frankreich dem Reich den Krieg erklären.“
     „Bitte François, die Spekulationen bringen uns nicht weiter. Hast du eine Idee? Der Krieg kann täglich ausbrechen.“
     „Du hast recht, Hans! Wir haben den 16. August. Noch bin ich arg eingespannt – zumindest bei sonnigem Wetter. Aber ich werde mich umhören. Hannah, du guckst so zweifelnd, aber Hans hat recht, du musst nach England. Die Nazis werden über kurz oder lang hierherkommen.“
     „Wie lange wird dein Umhören dauern?“, fragte Hans wenig hoffnungsvoll.
     „Schwer zu sagen, zwei Wochen vielleicht? Kommt so oft ihr könnt vorbei, dann kann ich euch auf dem Laufenden halten. Ganz nebenbei können wir bei diesen Gelegenheiten unsere Freundschaft vertiefen. Ich glaube, Hannah ist ein echter Gewinn für dich.“
     „Zumindest sieht mein Zimmer jetzt viel ordentlicher aus“, antwortete Hans lachend.
     „Hannah, du braucht zumindest etwas Geld. Hier hast du ja Hans, aber in England bist du auf dich allein gestellt. Was kannst du denn?“
     „In Deutschland habe ich Medizin studiert und in Paris habe ich als Spülhilfe gearbeitet. Wie du sicher schon gemerkt hast, spreche ich recht ordentlich Französisch, aber ich befürchte Dolmetscher für Deutsch werden gerade nicht benötigt.“
     „Wirklich schade, denn du sprichst absolut fehlerfrei und ich höre fast keinen fremden Akzent heraus. Ich werde versuchen irgendeine Geldquelle für dich zu finden. Für Saisonarbeit ist es jetzt leider zu spät. Ich melde mich, wenn ich etwas gefunden habe. Ich kann ja Hans in der Boulangerie erreichen.“
     „Danke François.“

Als Hannah und Hans die Bar verließen, hatte sich der Sturm weitgehend gelegt und ein paar Touristen zog es in Richtung Promenade. Hans lenkte seine Schritte auch in diese Richtung und nahm Hannah bei der Hand. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und weinte leise. Auf der Promenade angekommen stellten sie sich an die Brüstung und blickten auf die vom Sturm noch aufgewühlte See. Hans legte seinen Arm um ihre Schultern, auch er kämpfte mit den Tränen. In Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch, sie bei sich zu halten – alle seine Gedankenspiele endeten in einer Sackgasse – Hannah musste über den Kanal nach England, besser noch nach Amerika.

Am Nachmittag fuhren die Beiden nach Bayeux zurück und spazierten dort Hand in Hand durch die engen Gassen der Altstadt. Hans betätigte sich als Fremdenführer und Hannah schmiegte sich meist an seine Seite. Später führte er sie in eine Bar, wo er zwei Café au Lait bestellte. Sie sprachen kaum miteinander und genossen die gegenseitige Nähe.
     Hannah setzte, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, die Tasse ab, „ob François eine Möglichkeit findet, damit ich zu etwas Geld komme?“
     „Ich hoffe es für dich, aber keine Angst, ich sorge für dich.“
     „Hans, es ist mir peinlich. Du schwimmst doch nicht im Geld.“
     „Nein, aber wir leben zusammen und da ist das doch selbstverständlich.“
     „Wenn ich ein Einkommen habe, gebe ich dir alles zurück.“
     „Einen Teufel wirst du tun! Du brauchst Geld in England.
     „Ich möchte bei dir bleiben, bitte!“
     „Nein, sie würden dich töten, wenn du in ihre Hände fällst. Bei allem, was ich für dich empfinde, weder ich noch François können dich im Kriegsfall beschützen.“
     „Und wenn es keinen Krieg gibt?“
     „Hannah! Mach dir doch nichts vor. Noch in diesem Jahr wird es zum Krieg kommen.“
Tränen rannen aus Hannahs Augen, „bitte Hans!“
     „Es geht nicht, Hannah“, Hans drückte Hannah an sich und wischte ihr die Tränen ab.

Am späteren Nachmittag gingen sie wieder auf das Zimmer. Hans fragte Hannah, ob er im Schuppen schlafen solle, da er wieder um zwei Uhr aufstehen müsse. Hannah schüttelte den Kopf und warf sich an seine Brust, „nein Hans, solange wir zusammen sind, schlafen wir gemeinsam. Wir stehen zusammen auf und ich koche Tee für dich.“ Hans streichelte Hannah über den Rücken, „wenn es dein Wunsch ist, dann wird es so gemacht.“ Sie drückte sich noch fester an ihn. Danach löste sie sich von Hans, hielt ihn bei den Händen und es gelang ihr zu lächeln, „ich koche für dich.“ „Ich habe nur diese eine Kochplatte, eine Bratpfanne und einen Stieltopf.“ Hannah besichtigte die vorhandenen Kochutensilien und entschied, „ich brate Kartoffeln für dich. Komm, wir gehen einkaufen.“ Hans lachte, reichte ihr die Hand, nahm ein Einkaufsnetz und zog sie aus dem Zimmer. Nach dem Einkauf trug er das Netz mit den Kartoffeln. Hannah wollte sofort auf das Zimmer, aber Hans zog sie weiter. „Wohin?“, fragte Hannah. „Ein klein wenig Unterwäsche brauchtest du schon. Jeden Abend deine Sachen waschen und trocknen ist wohl nicht das Wahre.“ Hannah errötete, sagte aber nichts. Im Wäschegeschäft hielt Hans sich zurück. Er merkte, dass es ihr peinlich war, mit ihm gemeinsam Unterwäsche zu kaufen. Er zog sie kurz zu sich heran, „kaufe mindestens einen Wochenvorrat, ich warte draußen, bis es ans Bezahlen geht.“ Hannah nickte und lächelte Hans dankbar an. Von der Straße aus beobachtete er durch die Glastür, was im Geschäft vor sich ging. Als die Verkäuferin damit begann Hannahs Neuerwerbungen zu verpacken, betrat er wieder den Laden und zahlte. Er klemmte sich das Wäschepaket zusätzlich zum Einkaufsnetz unter den Arm und nahm Hannah bei der Hand. Auf der Straße zog er sie zu sich heran und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Es dunkelte früh an diesem Tag. Später schälte Hannah die Kartoffeln im trüben Licht der Glühbirne. Dunkle Regenwolken zogen vom Ärmelkanal kommend über das Land. Hans saß auf dem Bett und schaute ihr bei ihrer Beschäftigung zu.

„Liebes, dir braucht es nicht peinlich sein, dass ich für dich sorge. Was wir zu Essen brauchen, bekomme ich in der Boulangerie und für ein Bier reicht mein Geld allemal.“
     „Hans, ich habe keine andere Wahl. Mir ist das alles peinlich.“
     „Dir ist es peinlich, dass wir miteinander geschlafen haben?“
     „Nein, das nicht peinlich“, wieder errötete Hannah. Sie lächelte ihn an.
     „Dann sollte dir das Andere auch nicht peinlich sein. Da kommt der Beschützerinstinkt bei mir durch und dass dein Liebhaber mit dir Wäsche kauft, sollte dir auch nicht peinlich sein. Liebhaber tun so etwas“, Hans verzog den Mund zu einem Grinsen.
     „Bitte, versteh mich. Ich bin das alles noch nicht gewohnt. Ich versuche zuerst einmal etwas Leichteres. Du darfst gucken, wenn ich mich ausziehe“, Hannah gelang es ebenfalls zu grinsen.
     „Du machst Fortschritte, Schatz.“
     „Wenn die verdammten Nazis nicht gekommen wären, wäre ich wahrscheinlich als Jungfrau in die Ehe gegangen, so wie es sich gehört. Jetzt ist alles anders. Wir müssen uns lieben, solange wir dazu die Möglichkeit haben.“
     „Nichts von dem, was wir tun ist ungehörig und unsere Liebe ist genauso ehrenhaft, als wenn wir verheiratet wären und du hast recht, wir müssen uns jetzt lieben – später haben wir keine Möglichkeit mehr dazu.“

Hans stand von der Bettkante auf, nahm ihr die Kartoffel und das Messer aus der Hand und drückte sie an sich. Er zog sie mit herunter, als er sich wieder auf die Bettkante setzte. Hannah drückte sich fest an ihn, streichelte ihm über die Wange, schüttelte den Kopf und flüsterte ihm ins Ohr, „Liebster, du solltest dich rasieren.“ Danach ließ sie sich rückwärts auf das Bett fallen. Hans legte eine Hand auf ihre Brust, beugte sich zu ihr herunter und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. „Vorher oder nachher“, sagte er danach. „Danach“, war die prompte Antwort. Hannah erhob sich, zog sich aus und legte sich wieder auf das Bett. Hans betrachtete sinnend, die auf dem Bett liegende junge Frau. Ihr mädchenhafter Körper zog ihn magisch an. Hans streichelte ihre kleinen Brüste, zog sich dann auch aus, legte sich neben sie und umarmte sie. Hannah streichelte wieder seine Wangen. „Soll ich mich nicht doch zuerst rasieren?“ Hannah schüttelte den Kopf, in einer Anwandlung von Leidenschaft legte sie eine Hand um seinen Penis, während sie in ihrer anderen Hand seine Hoden barg. Hans stöhnte und eine kaum noch zu unterdrückende Traurigkeit stieg in ihm auf. Schon lange hatte er vor der vergangenen Nacht nicht mehr mit einer Frau geschlafen und dieses Mädchen, bei dem er den Eindruck hatte, es könne sich etwas Großes zwischen ihnen entwickeln, musste er wegschicken. Nicht heute oder morgen, aber doch zu früh – auf jeden Fall zu früh. Sie bei sich zu behalten wäre reiner Egoismus, sie würde sterben, wenn sie in die Fänge der Nazis geriete und davor konnte er sie nicht schützen. Hannah massierte mit leichtem Druck seinen Penis – die Anwandlung von Traurigkeit verflog. Er dachte nur noch an das hier und jetzt, führte seine Hand über ihre Schambehaarung und als er ihre Klitoris erreichte, massierte er diese mit kreisenden Bewegungen des Zeigefingers. Hannah stöhnte, sie vereinigten sich, als sie das Gefühl hatten, es nicht mehr aushalten zu können. Danach lagen sie still nebeneinander und hielten sich bei den Händen. Hannah erhob sich schließlich und zog sich an. Sie schälte die restlichen Kartoffeln, gab Fett in die Pfanne, stellte diese auf die Kochplatte und schnippelte dann die Kartoffeln in die Pfanne. Hans trat hinter sie, küsste sie auf den Nacken und drückte sie an sich, „morgen kaufen wir dir einen Morgenmantel; und nicht, dass es dir wieder peinlich ist, ich gehe auch nicht wieder vor die Tür. Was wir miteinander treiben ist auf keinen Fall peinlich.“ Hannah drehte sich um und drückte ihm einen Kuss auf die behaarte Brust, dann drehte sie sich wieder um und widmete sich den Bratkartoffeln. Hans zog sich an und rasierte sich anschließend.

Sie aßen gemeinsam vom einzigen Teller, den Hans sein Eigen nannte. Ab und zu warfen sie sich verliebte Blicke zu. Hans versuchte immer wieder seine Gabel so zum Teller zu führen, dass er dabei in Kontakt mit Hannahs Hand kam. Sie lächelte ihm dann jedes Mal verlegen zu. Nachdem sie gegessen hatten, spülte Hannah ab und Hans trocknete die Teile, die Hannah ihm anreichte. Nach dem Abwasch schlug Hans vor noch etwas auszugehen. Hannah war einverstanden und so gingen sie Hand in Hand durch die Stadt. An der Kathedrale hielten sie an und küssten sich. Danach zog Hans Hannah in eine Bar. Sie setzten sich an einen der polierten Tische.
     „Magst du ein Bier?“
     „Ja Hans“, Hannah lächelte ihm zu.
     „Jean, deux bières s’il te plaît“, rief Hans dem Wirt zu.
     „Du kennst wohl alle Wirte persönlich?“
     „Was soll denn ein einsamer Flüchtling sonst machen, als in die Kneipe zu gehen?“, lachte Hans.
     „Er könnte einem Sportverein beitreten“, antwortete Hannah kichernd.
     Hans gab Hannah einen leichten Stoß an den Arm, „ach, wie langweilig.“ Hannah lehnte sich an seinen Arm an.
     „Hannah, wenn wir gleich zurück sind, ist es Zeit für mich zu Bett zu gehen. Es macht mir wirklich nichts aus, im Schuppen zu schlafen. Es ist doch Unsinn, dass du dich nach mir richten musst.“
     „Bitte Hans, ich möchte, dass du bei mir bleibst. Ich stehe mit dir auf und koche dir Tee. Ich kann ja weiter schlafen, wenn du zur Arbeit bist.“
     Hans nickte, „wenn ich zurückkomme, dann frühstücken wir gemeinsam. Ich bringe Croissants mit.“
     Hannah kuschelte sich am Arm von Hans an, „ja, so machen wir es.“
     Als Hans bezahlte, fragte der Wirt, ob Hans ihm Mademoiselle vorstelle.
     „Avec plaisir. Je te présente Hannah.“ (Ja gern. Das ist Hannah.)
     „J'espère te revoir bientôt, Hannah.“ (Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen, Hannah.)
     „Avec plaisir, Monsieur.“ (Sehr gerne, Monsieur.)
     „S'il te plaît, appelle-moi Jean.“ (Bitte, nenn mich Jean.)

Auf dem Zimmer zogen sie sich aus und gingen sofort zu Bett. Hannah kuschelte sich umgehend bei Hans an, der fast auf der Stelle einschlief. Sie lag noch länger wach, es war außerhalb ihrer gewohnten Schlafenszeit. So lag sie möglichst still an seinem Rücken und lauschte seinem ruhigen Atem. Später schlief sie ein und als um zwei am Morgen der Wecker klingelte, war Hannah kurz desorientiert. Dann stand sie sofort auf und stellte den kleinen Stieltopf mit Wasser auf die Kochplatte, um Tee für Hans zuzubereiten. Hans, der an das Aufstehen um diese Zeit gewohnt war, war sofort hellwach, zog sich an und betrachtete dabei vergnügt die nackte Frau, die mitten in seinem Zimmer stand. Hannah füllte derweil Teeblätter in ein Teeei und goss das kochende Wasser darüber. Danach kroch sie sofort wieder unter die Decke und machte sich im Bett lang. Hans setzte sich auf die Bettkante und als der Tee gezogen hatte, pustete er auf das heiße Wasser, bevor er die Tasse ansetzte. Langsam trank er das heiße Getränk und warf Hannah verliebte Blicke zu. Sie lächelte verliebt zurück. Er erhob sich, als er die Tasse geleert hatte, beugte sich über Hannah und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut, Süße. Ich bin zum Frühstück zurück.“ Schläfrig zog Hannah Hans noch einmal zu sich herunter und umarmte ihn. Hans erhob sich, ging zur Tür und drehte das Licht aus, bevor er das Zimmer verließ. Hannah schlief umgehend wieder ein.

Kurz bevor Hans Feierabend hatte, ging in der Boulangerie das Telefon. Madame nahm ab und rief Hans zu, es sei für ihn. Als er sich meldete, war am anderen Ende der Leitung François.
     „Hannah sucht doch Arbeit?“
     „Ja sicher!“
     „Ich habe mit Docteur Beaudoin gesprochen, du weißt schon der Tierarzt, mein Schwager Paul. Er ist mir einen Gefallen schuldig und er sucht kurzfristig eine Hilfe. Er ist nicht abgeneigt eine illegale Réfugiée zu beschäftigen. Zumindest für einige Wochen. Meinst du, Hannah würde das interessieren?“
     „Ich glaube, Hannah nimmt, außer Freudenmädchen, jede Arbeit an.“
     „Gut, wenn sie einverstanden ist, schick sie am Abend bei mir vorbei.“
     „Ich sage ihr gleich Bescheid.“
     „Wenn sie mit dem letzten Omnibus kommt, wäre es früh genug. Paul nimmt sie auf jeden Fall mit zurück nach Bayeux. Egal, wie das Gespräch ausgeht.“
     „Danke François, ich glaube, Hannah wird sich freuen. Bis bald.“
     „Bis bald Hans und halte die Ohren steif.“

Hans füllte eine Tüte mit Croissants, verabschiedete sich von Madame und machte sich beschwingt auf den Heimweg. Er klopfte, da er Hannahs Intimsphäre nicht verletzen wollte. Hannah rief „Herein!“ Er trat ein und sah, dass sie bereits den Tee vorbereitet hatte. „Warum klopfst du? Es ist deine Wohnung“, sagte sie mit liebendem Gesichtsausdruck, eilte auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Weil ich möchte, dass du dich nicht von mir bedrängt fühlst“, antwortete Hans, nachdem sich Hannah von ihm gelöst hatte. „Du bist mein Mann, zumindest auf Zeit, aber ich finde das richtig lieb von dir.“ Hans hob Hannah hoch, drückte sie einmal an sich, drehte sich einmal um seine Achse und als er sie wieder absetzte, gab er ihr einen Klaps auf den Po. Er packte die mitgebrachten Croissants aus und legte diese auf seinen einzigen Teller. Dann hing er das Teeei in das kochende Wasser und nahm den Stieltopf von der Kochplatte. Hans machte sich frisch, solange der Tee zog. Hannah stellte derweil zwei stark abgestoßenen Tassen auf den Tisch, als Hans sich vom Waschtisch abwandte stand Hannah mit dem Rücken zum Fenster, die durch das Fenster scheinende Sonne brachte ihre Haare zum Strahlen. Tief bewegt zog Hans sie in seine Arme, dann drückte er sie auf den Stuhl, schüttete den Tee in die bereitgestellten Tassen und setzte sich auf das Bett. Beide aßen mit großem Appetit. Hannah lobte die Qualität der Croissants und meinte, so gute Croissants gäbe es in Paris nicht.
     „François hat mich vorhin angerufen“, sagte Hans nach einiger Zeit.
     Hannah reagierte erschrocken und fragte vorsichtig, „und was hat er gewollt?“
     „Er hat vielleicht eine Arbeit für dich.“
     „Oh, welche?“
     „Docteur Beaudoin, der Tierarzt sucht für einige Wochen eine Hilfe. Wäre das etwas für dich?“
     „Ja sicher! Ich nehme jede Arbeit an. Weiß er, dass ich illegal hier bin?“
     „Ja, wenn du die Stelle möchtest, sollst du mit dem letzten Omnibus nach Arromanches fahren. Du triffst Docteur Beaudoin in der Bar von François.“
     „Und wie komme ich zurück?“
     „François hat an alles gedacht. Du kannst mit Docteur Beaudoin zurückfahren, egal wie das Gespräch verläuft.“
     „Kennst du Docteur Beaudoin?“
     „Ja Schatz, er ist ein Ehrenmann.“
     „Gut, dann mache ich das so. Ich habe zwar keine Ahnung von Tiermedizin, aber Medizin ist schließlich Medizin.“

Nachdem das geklärt war, aßen sie schweigend weiter, wobei sie sich verliebte Blicke zuwarfen. Langsam tranken sie am heißen Tee und nachdem sie fertig gefrühstückt hatten, saßen sie nebeneinander auf der Bettkante und hielten sich verliebt bei den Händen.

Hans zog Hannah vom Bett hoch. Wir gehen spazieren und wir kaufen einen Morgenmantel für dich und danach gehen wir essen, sagte er dabei. Sobald beide standen, nahm er Hannah in die Arme, drückte ihr einen Kuss auf den Mund und gab ihr, als er sich von ihr löste, wieder einen Klaps auf den Po. Hannah rächte sich damit, dass sie ihm einen Knuff in die Seite versetzte, der heftiger ausfiel, als sie es gewollt hatte. „So gefällst du mir viel besser, als wenn du wie dich ein schüchternes Mädchen benimmst, du bist schließlich eine Frau – meine Frau“, war Hans‘ Reaktion darauf, wieder drückte er sie an sich. Er zog sie an der Hand auf die Straße, wo sie in Richtung Saint-Vigor-le-Grand spazierten. Hans reichte Hannah den Arm, was diese damit kommentierte, sie sähen jetzt sehr seriös aus. Er lachte und zog sie fester an sich heran.

„Darf ich dich etwas fragen, Liebster?“
     „Ja sicher Hannah, du darfst mich nicht um Erlaubnis bitten, wenn du etwas fragen möchtest.“
     „Und du bist nicht böse?“
     „Das kann ich doch nicht sagen bevor ich weiß, was du fragen möchtest. Aber nur heraus damit, ich habe ein weites Herz.“
     „Es ist so Hans, wir leben als Paar zusammen und du bist viel älter als ich. Hast du denn keine Frau?“
     „Ich hatte eine Frau, sie ist tot“, antwortete Hans kurz angebunden, zog aber dann Hannah sofort fest zu sich heran.
     „Es tut mir leid, dass ich gefragt habe.“
     „Es braucht dir nicht leidtun, du hast ein Recht darauf zu fragen.“
     „Wie ist sie gestorben?“
     „Bitte Hannah, ich erzähle es dir später. Der Schmerz sitzt tief und jetzt möchte ich einen schönen Tag mit dir verbringen.“

Hannah schwieg, es tat ihr leid, dass sie Hans nach seiner Vergangenheit gefragt hatte. Er zog sie jedoch näher an sich heran und küsste sie auf die Stirn. „Du hast jedes Recht zu fragen“, betonter er danach noch einmal. Zur Mittagszeit führte Hans sie zu einem Restaurant, wo sie einen Tisch mit Blick auf einige alte Bäume fanden. Er schlug Hannah vor, nach dem Essen mit dem Omnibus hinaus zum Forêt de Cerisy zu fahren und den Spaziergang dort fortzusetzen, womit sie einverstanden war. Im Forst angekommen, nahmen sie sich bei den Händen und Hans führte Hannah durch das ausgedehnte Waldgebiet.
     „Du kannst doch Fahrrad fahren, Hannah?“
     „Ja sicher! Warum?“
     „Montags habe ich meinen freien Tag. Ich leihe am nächsten Montag zwei Fahrräder für uns, wir fahren damit hier in den Forst und machen ein Picknick. Was hältst du davon?“
     „Ja, gerne.“ Ein Strahlen breitete sich auf Hannahs Gesicht aus.
     „Wenn wir nachher zurück in Bayeux sind, trinken wir Kaffee und kaufen anschließend einen Morgenmantel für dich.“

Hand in Hand gingen sie weiter auf schattigen Wegen. Sie hatten das Gefühl weit und breit die einzigen Menschen zu sein. In Hannah breitete sich ein Gefühl tiefer Zufriedenheit aus. Die Gedanken an den kommenden Krieg hatte sie verdrängt. Auch Hans war zum ersten Mal, seit er auf Hannah getroffen war, völlig entspannt. Das Grün der Bäume erinnerte ihn an die Spaziergänge, die er als Kind mit seinen Eltern durch den Grafenberger Wald gemacht hatte. Später war er ein paarmal mit seiner Frau Chawa dort spazieren gegangen. Ihr gefielen aber die Rheinauen besser, sodass sie sich meist dorthin zurückgezogen hatten, wenn sie allein sein wollten. In ihm stiegen liebende Gedanken auf. Niemand konnte Chawas Platz in seinem Herzen einnehmen, aber Hannah war etwas anderes, sie hatte in ihm zuerst einen Beschützerinstinkt ausgelöst, als er sie hoffnungs- und hilflos auf der Promenade stehen sah. Sie lebten zusammen als Paar und er hätte alles dafür gegeben, dass sie für immer zusammen sein könnten. Die Zeit sich kennenzulernen war eben schlecht gewählt. Da er den Entschluss gefasst hatte, sie so schnell wie möglich außer Landes zu schaffen, war ihre Gemeinsamkeit begrenzt. Trotzdem genoss er das Zusammensein und wollte ihr in dieser Zeit all seine Liebe schenken. Er blieb stehen, umarmte sie, hob sie hoch und drehte sich einmal mit ihr um seine eigene Achse. Dann setzte er sie ab, hielt sie aber weiter in den Armen und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Er nahm Hannah wieder bei der Hand, „komm, wir gehen nach Cerisy-la-Forêt. Dort nehmen wir den Omnibus zurück nach Bayeux.“

In Bayeux kauften sie zuerst einen Morgenmantel. Hannah konnte sich nicht recht entscheiden, während Hans nach kurzer Zeit bereits einen Favoriten ausgemacht hatte. Er hatte bemerkt, dass auch sie dieses Modell mit glänzenden Augen betrachtet hatte. Nachdem Hannah meinte das passende gefunden zu haben, erhob Hans Einspruch, hielt seinen Favoriten hoch und meinte, „nimm diesen!“ „Ist der nicht zu teuer, Hans?“ „Nein, bitte Hannah, lass das meine Sorge sein.“ Als sie auf die Straße traten, schmuste sich Hannah voll Dankbarkeit bei Hans an. Dieser küsste sie auf die Stirn, klemmte den verpackten Morgenmantel unter seinen Arm und nahm Hannah bei der Hand. Bereits an der nächsten Querstraße ging er mit Hannah in ein Café. Sie suchten sich zwei Stücke Torte aus und bestellten Kaffee. Während sie den Kuchen aßen und ihren Kaffee tranken, machte Hannah sich Gedanken darüber, wie sie Hans all das wieder gut machen könnte, was er für sie tat.
     „Hans, liebster, bitte schick mich nicht weg.“
     „Hannah, das haben wir doch besprochen. Du kannst nicht bei mir bleiben“, Hans‘ Stimme klang gequält.
     „Ich habe doch nur dich. Seit ich Deutschland verlassen musste, habe ich keinen Menschen mehr gehabt, dem ich vertrauen konnte. Wenn du mich wegschickst, bin ich wieder ganz allein auf mich gestellt.“
     „Hannah! Ich tue es aus Sorge um dich. Ich liebe dich sehr und weil ich dich liebe, müssen wir uns trennen.“
     „Und wenn wir gemeinsam weiter fliehen?“
     Hans schüttelte den Kopf, „ich muss bleiben. Ich kann dir das nicht erklären, aber ich muss bleiben. Wir müssen uns trennen. Ich will nicht noch eine Frau an die Nazis verlieren.“
Hannah stiegen Tränen in die Augen, sie versuchte tapfer zu sein, „bitte Hans, ich konnte doch nicht wissen, was ist mit deiner Frau passiert?“
     „Ich habe wohl eine Schwäche für jüdische Frauen“, Hans lächelte matt und trank einen Schluck Kaffee bevor er weitersprach. „Chawa und ich haben Anfang Januar 1933 geheiratet. Ich arbeitete damals als Lehrer für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium, Chawa war Gehilfin in einem Anwaltsbüro. Sie war die Tochter eines Vorsitzenden Richters am Landgericht in Düsseldorf. Als die Nazis an die Macht kamen, bekam ich sofort Schwierigkeiten, da ich Mitglied der SPD war. Es war aber alles erträglich, wir waren verliebt und waren der Meinung, der Spuk sei bald vorüber. Dann kam der April mit dem Judenboykott. Chawas Vater wurde aus dem Justizdienst entfernt. Chawas Arbeitgeber war auch Jude und durfte nicht mehr bei Gericht arbeiten. So verlor Chawa ihre Stelle, was eigentlich finanziell kein großes Problem war, da wir mit meinem Gehalt recht gut über die Runden kamen. Schlimm war, dass ihr Vater immer depressiver wurde. Ein Jahr später hat er sich erhängt. Meine Lage wurde immer schwieriger, so Mitte vierunddreißig drängte man mich in die NSDAP einzutreten und winkte mir mit einer Beförderung zum stellvertretenden Direktor des Gymnasiums, an dem ich arbeitete. Das habe ich aber abgelehnt und dann kam heraus, dass Chawa Jüdin war. Das erzeugte neuen Druck. Immer habe ich versucht das vor Chawa geheim zu halten, das hat natürlich nicht funktioniert. Dann bekam sie mit, dass man mir drohte mich aus dem Dienst zu entfernen, falls ich mich nicht von ihr trennen sollte. Man könne arischen Schülern nicht zumuten, von einem Lehrer unterrichtet zu werden, der in einer Mischehe lebe, war die Begründung. Eines Tages kam ich nach Hause und fand einen Brief auf dem Küchentisch. Um es kurz zu machen, Chawa schrieb, sie wolle mich nicht unglücklich machen und deshalb würde sie gehen. Einige Tage später hat man ihre Leiche gefunden, sie war in den Rhein gesprungen. Ich war am Boden zerstört. In meiner Trauer und Wut habe ich mich dazu hinreißen lassen, einem Kollegen, der ein bekannter Nazi war, vor dem versammelten Kollegium einen Faustschlag ins Gesicht zu versetzten. Das war es dann, ich wurde entlassen und kam für ein halbes Jahr ins Gefängnis. Danach bin ich illegal nach Frankreich eingewandert und als spanische Bürgerkrieg begann, habe ich mich den Internationalen Brigaden angeschlossen. Den Rest habe ich dir schon erzählt. Verstehst du jetzt, warum wir uns trennen müssen?“, Hans hatte sich bemüht, so emotionslos zu sprechen, wie es ihm möglich war. Er legte seine Hand auf Hannahs Hand.
     „Ja, mein Liebster“, Hannah hatte Tränen in den Augen.
Hans wischte ihr die Tränen aus den Augen, „Ich verspreche dir, solange wir zusammen sein können, werde ich dich lieben und alles dafür tun, damit wir in liebender Erinnerung an diese gemeinsamen Tage denken.“

Sie kamen gerade so rechtzeitig im Zimmer an, dass Hannah noch Zeit hatte, sich etwas herzurichten. Hans brachte sie zum Omnibus nach Arromanches und bat sie ihn zu wecken, wenn sie zurück sei. In Arromanches ging Hannah auf die Promenade, der Abend war warm und so herrschte ziemlicher Andrang. Hannah stellte sich, wie einige Tage zuvor an die Brüstung und ihre Gedanken galten Hans. Sie versuchte ihren Frieden damit zu machen, dass ihr Zusammensein mit ihm nur eine begrenzte Zeit dauern würde. Sie glaubte ihn wirklich zu lieben. Was ihr Hans über seine Vergangenheit erzählt hatte, bewegte sie zutiefst. Dass er nicht weiter fliehen wollte, beunruhigte sie, sie glaubte, er wolle bleiben, um sich an den Nazis zu rächen. Sicher war sie nicht, aber die Erklärung schien ihr plausibel. Die fröhlichen Menschen, die an ihr vorbeiströmten, lösten Unruhe in Hannah aus. Noch vor wenigen Tagen hatte sie selbst die Gedanken an einen kommenden Krieg weit von sich fort geschoben. Sie hatte sich erst Gedanken darüber gemacht, als Hans und François ihr zugeredet hatten. Sie war sich sicher, dass François nicht so bald eine Möglichkeit zu einer Flucht nach England finden würde, was sie etwas beruhigte. Langsam ging sie in Richtung Bar, sie hoffte, dass ihr Docteur Beaudoin eine Möglichkeit verschaffen könne zu Geld zu kommen. Als sie eintrat, bemerkte François sie sofort. „Geh einfach nach hinten, Hannah. Geh durch die Tür, auf der Privat steht. Du triffst da meine Frau, Docteur Beaudoin wird gleich kommen.“ Etwas zögerlich ging Hannah durch die Tür und traf dort auf eine Frau, von der sie annahm, dass sie die Frau von François sei.

„Guten Abend, Madame“, sagte Hannah schüchtern.
     Die Frau, die am Herd stand, drehte sich zu ihr um, „ah, du musst Hannah sein. Lass das mit der Madame, ich heiße Christine. Es ist dir sicher angenehmer hier auf Docteur Beaudoin zu warten als in der Bar.“
     „Danke Christine.“
     „Ich weiß, dass Hans François gebeten hat, dich außer Landes zu schaffen. Ich glaube auch, dass das Beste für dich ist.“
     „François und Hans glauben, ich wäre in Gefahr, wenn es Krieg gibt.“
     „Das glaube ich auch und ich weiß, wie schwer diese Entscheidung für Hans ist – er liebt dich sehr.“
     „Ja, wir lieben uns und deshalb möchte ich bei Hans bleiben.“
     „Hannah“, Christine wurde jetzt sehr ernst, „das darfst du Hans nicht antun. Hat er dir erzählt, was mit seiner Frau geschehen ist?“
     „Ja.“
     „Dann geh, sobald sich eine Möglichkeit findet nach England. Ich werde François bitten, in der Sache keine unnötige Eile an den Tag zu legen, solange die Lage ruhig bleibt. Aber wenn du Hans liebst, musst du mir versprechen zu gehen.“
     „Ich verspreche es“, Hannahs Stimme versagte.
     „Hör zu Hannah, ich hoffe, du kommst mit meinem Bruder Paul klar, denn er ist speziell.“
     „Docteur Beaudoin ist dein Bruder?“
     „Ja, und Paul ist herzensgut, aber er achtet sehr auf Etikette.“
     „Und wie ist das zu verstehen.“
     „So lieb er mit Menschen umgeht, Fremden gegenüber und auch bei seinen Helfern ist er sehr formell.“
     „Oh, ich glaube, das ist kein Problem.“
     „Er isst nachher mit uns, du bist natürlich auch herzlich eingeladen. Es ist aber nicht koscher.“
     „Danke Christine. Als Illegale habe ich schnell gelernt, dass es wichtig ist, überhaupt etwas zu essen zu haben.“

Durch die Tür trat ein massiger Mann. Bekleidet war er mit einem abgewetzten Jackett und einer verschmierten Hose, deren Hosenbeine in die Schäfte ebenso verschmierter Gummistiefel gesteckt waren. Seiner Kleidung und seinem Auftreten nach hätte Hannah ihn für einen der Kohlbauern aus der Niederrheinebene gehalten. Einmal hatte sie mit ihren Großeltern Verwandte am Niederrhein besucht und dort war sie auf genau diese Art Menschen getroffen. Sein Gesicht strahlte Freundlichkeit aus. Der Eindruck wurde durch seine rosigen Wangen noch verstärkt. Christine und er begrüßten sich mit Wangenküssen und er fragte dann, was es zu essen gäbe. Danach wandte er sich unvermittelt an Hannah.
     „Ich nehme an, sie sind Mademoiselle Schwarz? Ich bin Docteur Beaudoin.“ Er sprach mit dröhnender Stimme, die Hannah etwas ängstigte, aber gut zu seiner Figur passte.
     „Ja, Monsieur“; antwortete Hannah unsicher.
     „Keine Angst, seien sie nicht so schüchtern. Wenn sie als meine Gehilfin auftreten wollen, ist eine gewisse Robustheit gefragt.“ Er lachte dazu und nickte Hannah freundlich zu.
     „Ja, Monsieur, ich werde mir Mühe geben.“ Hannahs Stimme klang jetzt fester.
     „Gut, wir wollen nicht um die Sache herum reden, sie halten sich illegal in Frankreich auf. Das ist für mich kein Problem und da ich weiß, dass sie mit Hans befreundet sind, ist es meine Pflicht ihnen zu helfen. Die Illegalität ist bei Hans kein so großes Problem, schließlich herrscht in einer Backstube kein Publikumsverkehr. Wenn sie mit mir zusammen arbeiten, kommen wir jeden Tag mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Nicht alle sind Flüchtlingen wohlgesonnen. Da ich weiß, dass sie dringend Geld benötigen, bin ich bereit dieses Risiko einzugehen. Die Frage ist, sind sie bereit zu diesem Risiko?“
     „Mir bleibt keine andere Wahl, Monsieur.“
     „Kopf hoch, Mademoiselle. Es wird schon gut gehen. Ich gehe davon aus, dass sie bald eine Möglichkeit bekommen nach England auszureisen.“ Docteur Beaudoin nickte Hannah aufmunternd zu. „Haben sie schon einmal bei der Geburt eines Kalbs oder eines Fohlens geholfen?“
     „Nein, Monsieur.“
     „Sie werden es lernen.“ Er betrachte Hannah intensiv. „Entschuldigung Mademoiselle Schwarz, ich taxiere nur, ob ich passende Kleidung für sie habe. Alles, was ich habe, ist ein wenig zu groß für sie, aber es wird gehen. Sie bekommen von mir einen Overall, Gummistiefel und Gummihandschuhe. Wir halten nachher kurz bei meiner Praxis. Sie nehmen die Sachen mit nach Hause. Zu unseren Einsätzen können wir zu jeder Tages- und Nachtzeit gerufen werden. Geht es bei ihnen, dass sie drei Tage in der Woche in Bereitschaft sind? Für die anderen Tage habe ich jemand. Können sie montags, mittwochs und donnerstags?“
     „Ja, Monsieur. Nur montags ist schlecht, da hat Hans seinen einzigen freien Tag.“
     „Gut, daran habe ich nicht gedacht. Samstag oder Sonntag?“
Hannah nickte, „ich meine, Samstag.“
     „Damit bin ich einverstanden Mademoiselle Schwarz. Wenn sie verhindert sein sollten, müssen sie mir sofort Bescheid geben. In diesem Fall muss ich auf andere Gehilfen zurückgreifen. Sie wissen, was das heißt? Ich muss jederzeit wissen, ob ich nach ihnen rufen kann.“
     „Ich habe verstanden.“
     „Gut, wenn wir einig sind, dann sage ich ihnen jetzt nur noch, sie werden von mir für jeden Einsatz bezahlt, unterschiedlich je nach Zeitaufwand. Sie werden zufrieden sein mit der Bezahlung und für die Bereitschaft zahle ich ihnen eine Pauschale.“
     „Danke, Docteur Beaudoin.“
     „Gut, Christine, wir können zum angenehmen Teil des Abends übergehen.“
     „Langsam Paul! François hat noch ein paar Minuten zu tun, dann kommt der Kellner und übernimmt die Bar. Du kannst so lange den Tisch decken.“
     „Oh, das könnte doch der erste Einsatz für Mademoiselle Schwarz sein.“
     Christine schüttelte den Kopf, „du bist unverbesserlich, Paul. Macht es dir etwas aus, den Tisch zu decken, Hannah?“, sagte sie, während sie sich weiterhin um ihr Kochtöpfe kümmerte.
    „Nein, natürlich nicht, Christine.“

Hannah deckte nach Christines Vorgaben den Tisch. Kurz darauf erschien François. Er nahm sich etwas Zeit für Hannah. „Ich hatte noch keine Zeit dich richtig zu begrüßen, komm näher Hannah.“ Hannah lächelte, fasste François bei den Schultern und drückte ihm einen Kuss auf jede Wange. „Du bist in Ordnung, Hannah“, lachte François und erwiderte ihre Küsse, in dem er seinerseits Hannah auf beide Wangen küsste. „Können wir jetzt endlich essen“, witzelte Paul. Christine stellte einen Topf Cassoulet auf den Tisch. „Extra für den Mann aus dem Languedoc“, sagte sie dazu und schenkte François ein Lächeln. Das Essen verlief in entspannter Stimmung. Es wurde viel gelacht. Besonders fröhlich war Docteur Beaudoin. Nur wenn er mit Hannah sprach, wirkte er steif und förmlich. Nach dem Essen gingen die beiden Männer in die Bar. Hannah half Christine beim Abräumen und trocknete ab, während Christine spülte. Christine, war das eigentlich nicht Recht, aber Hannah meinte, sie möchte nicht ohne Hans in die Bar gehen und so willigte Christine ein.

Auf der Rückfahrt hielt Docteur Beaudoin bei seiner Praxis in Bayeux. Sie stiegen gemeinsam aus dem Wagen und er zeigte ihr die Praxisräume. „Sie brauchen sich hier nichts zu merken, Mademoiselle Schwarz. Für die Kleintierpraxis habe ich eine Assistentin. Sie sind für das Gröbere zuständig“, sagte er, nachdem er sie durch die Räume geführt hatte. In einer Kammer stöberte er einen Overall und Gummistiefel auf, beides zu groß für Hannah, was Docteur Beaudoin nicht zu stören schien. Danach reichte er Hannah noch zwei Gummihandschuhe mit langem Schaft. „Ihre Berufskleidung ist komplett“, bemerkte er dazu. Docteur Beaudoin fuhr Hannah nach Hause, obwohl sie das für unnötig hielt. Beim Aussteigen rief er ihr noch nach, „Samstag ist ihre erste Bereitschaft, von morgens um acht bis Sonntag um acht!“ „Ja, Herr Doktor. Gute Nacht“, antworte Hannah, bevor sie das Haus betrat. Die Treppenstufen knarrten, als Hannah über die Treppe nach oben ging. In der Stille der Nacht erschien ihr das Geräusch unnatürlich laut.

Obwohl Hannah vorsichtig und möglichst geräuschlos die Zimmertür öffnete, erwachte Hans sofort. „Mach ruhig das Licht an“, sagte er etwas schläfrig. Sobald die trübe Glühbirne das Zimmer erhellte, stand Hans auf, zog Hannah in seine Arme und küsste sie. Einige Zeit standen sie bewegungslos, sich umarmend beieinander. Dann zog Hans Hannah auf das Bett hinunter.
     „Ich sehe, der Abend war erfolgreich für dich“, sagte Hans, mit dem Kopf auf Overall und Stiefel deutend.
     „Ja, Docteur Beaudoin hat mich als Gehilfin eingestellt. Samstags, mittwochs und donnerstags habe ich Bereitschaftsdienst und muss für ihn erreichbar sein.“
     „Deine neue Kleidung sieht eher aus, als würdest du als Automechaniker arbeiten“, Hans lachte.
     „Docteur Beaudoin denkt eher an Geburtshilfe“, auch Hannah lachte.
     Er drückte sie an sich, „es ist schon nach elf, bist du müde?“
     „Nein, aber du solltest schlafen.“

     „Das macht kaum noch Sinn, die Nacht ist fast vorbei für mich. Komm zieh dich aus und ziehe den Morgenmantel über. Ich hatte noch keine Möglichkeit dich darin zu bewundern.“
     „Solange du mich nicht im Overall bewundern willst, ist mir alles recht“, sagte Hannah, während sie sich auszog.
     Hans setzte ein breites Grinsen auf. „Das machen wir ein andermal“, sagte er, während er Hannah in den Morgenmantel half.

Hans hielt Hannah mit ausgestreckten Armen bei den Schultern und betrachtete wohlgefällig die junge Frau in ihrem Morgenmantel. Dann öffnete er die Schleife des Gürtels, mit dem der Mantel zugehalten wurde, verschob den Mantel so, dass Brüste und Scham unbedeckt waren, griff unter den Mantel und zog Hannah zu sich heran. Sie drückte ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. „Wollen wir uns hinlegen?“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Ohne zu antworten, drückte Hans Hannah auf das Bett und legte sich neben sie. Er streichelte leicht ihre Brüste, was bei ihr einen glücklichen Gesichtsausdruck hervorrief und nach einigen Minuten zu einem Stöhnen führte, was Hans dazu verführte seine Hände in Richtung ihrer Scham zu führen. Als Hannah es nicht mehr aushielt, drehte sie sich so, dass sie Hans an den Innenseiten der Oberschenkel streicheln konnte. Sobald sie sich seinen Hoden näherte, barg sie diese in einer Hand und kraulte mit der anderen Hand seine Schamhaare. Sie wunderte sich darüber, dass im Gegensatz zu seinem Haupthaar und der Körperbehaarung sein Schamhaar bereits vollständig ergraut war. „Möchtest du, dass ich das Licht ausmache?“ „Nein, Süßer, oder kann man uns beobachten?“ „Nein.“ „Gut, ich möchte dich erkennen. Du kennst die Formel meines Volkes, für das, was wir tun?“ „Ja, Schatz. Ich sagte ja bereits, dass ich eine Schwäche für jüdische Frauen habe.“ Sie schwiegen nun wieder und Hannah hockte sich über ihn. Hans streifte ihr den Morgenmantel von den Schultern. Er half Hannah dann dabei den Penis einzuführen. Er legte seine Hände auf Hannahs Hüfte, während sie ihren Schoß rhythmisch hob und senkte. Als er spürte, dass er zum Höhepunkt kam, zog er Hannah zu sich herunter. Ein Zittern lief durch ihren Körper, während sich ein tiefer Seufzer seinen Lippen entrang. Sie lagen danach schmusend beieinander, bis Hans meinte, er müsse jetzt aufstehen. Auch Hannah erhob sich, setze Teewasser an und zog sich dann den Morgenmantel über. „Bitte, lass den Gürtel offen, liebste“, sagte Hans und küsste sie auf den Nacken. Hannah goss das kochende Wasser in die Tasse, drehte sich zu Hans um und schmuste sich bei ihm an. „Ich glaube, meine Eltern wären entsetzt, wenn sie mich so sähen.“ „Ich bin nicht entsetzt“, antwortete er mit breitem Grinsen. Hans setzte sich auf die Bettkante, während er seinen Tee trank. Er klopfte auffordernd mit der Hand auf die Matratze, bis Hannah sich zu ihm setzte.

„Liebste, ich habe eine Überraschung.“
     Hannah guckte verunsichert, „ich hoffe, es ist eine angenehme Überraschung.“
     „Ja sicher! Ich habe für heute ein Auto gemietet.“
     „Wozu?“
     „Du bist vielleicht eine süße Maus. Wir machen einen Ausflug.“ Hans drückte Hannah an sich, nachdem er seine Tasse geleert hatte.
     Hannah schmuste sich heftig an Hans an, „und wohin fahren wir?“
     „Ich möchte dir zeigen, wo es einen wirklich großen Wechsel zwischen Ebbe und Flut gibt. Wir fahren nach Regnéville.“
     „Ist das weit?“
     „Es geht, um die achtzig Kilometer – aber du wirst staunen.“ Noch einmal drückte Hans Hannah an sich. Dann stand er auf.
     Auch Hannah erhob sich, „ich freue mich. Ich freue mich sogar sehr.“
     „Dann guck, dass du gleich wieder ins Bett kommst, sonst bist du nicht ausgeschlafen. Wir fahren direkt nach dem Frühstück.“

Hans drückte Hannah auf das Bett, küsste sie leidenschaftlich und machte sich auf den Weg zur Boulangerie. Hannah war ziemlich aufgekratzt und so dauerte es eine Weile, bis sie einschlief. Sie erwachte, als ihr etwas an der Nase kitzelte. Unwillig versuchte sie die lästige Fliege zu vertreiben, stieß aber gegen etwas Größeres. Erstaunt riss sie die Augen auf. „Aufwachen, du Schlafmütze“, schallte es ihr entgegen. Umgehend schmuste sie sich bei Hans an und schloss wieder die Augen. „Süße, es ist Frühstückszeit. Die Sonne lacht und wir wollen einen Ausflug mit dem Auto machen.“ Hannah brummte etwas Unverständliches und schmuste sich heftiger an ihn an. Hans lachte, „keine Lust auf Autofahren?“ „Doch!“ „Dann aber raus aus dem Bett, sonst kitzle ich dich.“ Immer noch etwas brummig, erhob sich Hannah, schmuste sich noch einmal an und begann dann damit, sich zurechtzumachen. Hans setze derweil Wasser für den Tee an, öffnete eine Tüte mit Croissants und brach sich ein Stück von einem Baguette ab, während seine Blicke lustvoll zu Hannah schweiften. Sie war mit der Morgentoilette fertig, als er das Teeei aus dem Stieltopf zog. Beide aßen aneinander gelehnt und als sie gesättigt waren, schob Hans die übrig gebliebenen Croissants zurück in die Tüte. „Für den Fall, dass wir unterwegs Hunger bekommen“, bemerkte er dazu, nahm Hannah bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer. Auf der Straße stand ein vornehmes zweisitziges Cabriolet, auf das Hans zusteuerte. Er riss den Schlag auf und bat Hannah einzusteigen. Ziemlich verdutzt setzte sich Hannah auf den Beifahrersitz, während sich Hans hinter das Steuer klemmte.
     Als Hannah sich von ihrer Überraschung erholt hatte, fragte sie, „wie kommst du denn an diesen Wagen?“
     „Auch Illegale haben Gönner“, lachte Hans und startete den Motor.
     „Das glaub ich nicht!“
     „Doch Hannah, durch François bin ich mit vielen Leuten in Kontakt gekommen. Es kann von großem Vorteil sein, noch Verbindungen nach Deutschland zu haben und die Größe von seinem Freundeskreis kennst du – zumindest ansatzweise.“
     „Du bist ein Filou!“
     „War das jetzt positiv oder negativ gemeint?“
     „Positiv“, lachte Hannah, während Hans den Wagen aus der Stadt hinauslenkte.

Sobald sie die Stadt verlassen hatten, fuhren sie meist an von Hecken eingeschlossenen Weiden vorbei. Über ihnen zogen hohe Wolken auf und jedes Mal, wenn Hans kurz zu Hannah blickte, lächelte diese ihn glücklich an. Zum ersten Mal sah es für Hans so aus, als hätte sie ihre Sorgen vergessen. Zwischendurch stellte er sich vor, wie sie in ihrer neuen Berufskleidung wirken würde. Der Gedanke brachte ihn zum Grinsen. Hannah knuffte ihn leicht am Arm, „was grinst du so unverschämt?“ „Deine Berufskleidung bringt mich zum Grinsen.“ „Du bist fies.“ Hans lächelte sie an, „nein, ich bin verliebt.“ Hannah lächelte zurück und Hans beschleunigte, um einen Lastzug zu überholen. Danach mäßigte er wieder das Tempo und gemächlich rollte der Wagen über die nur wenig befahrene Landstraße dahin. Als sie sich Saint-Lô näherten, fragte Hans, ob sie dort eine Pause einlegen wollten. „Nein Schatz, ich möchte immer weiter mit dir fahren, bis ans Ende der Welt“, antwortete Hannah, ihr Gesicht strahlte. Hinter Saint-Lô wurde es noch stiller auf der Straße und Hans fuhr etwas schneller. Nach gut eineinhalb Stunden näherten sie sich Regnéville und der letzte Teil der Fahrt verlief über stille Nebenstraßen. Im Ort parkte Hans nahe der Église Notre-Dame und zeigte auf die gegenüber liegende Burgruine. „Das schöne Häuschen gehörte einmal Karl dem Bösen. Zum Glück ist der zurück nach Navarra.“ „Können wir nicht unseren Freund in Berlin dahin schicken?“ „Den müssten wir schon zu Hölle schicken, um Frieden zu haben. Komm, ich zeige dir das Innere der Kirche – alles uralt“, antwortete Hans. Im Inneren war es recht kühl und Hannah lehnte sich an Hans an. Das Modell eines Segelschiffs hing über der Apsis. Hannah wünschte, sie könne zusammen mit Hans auf ein Schiff steigen und dem Flüchtlingsschicksal entkommen. Sie nahm sich vor, die Zeit, die ihnen blieb, zu genießen und Hans nicht weiter mit der Bitte zu belasten, dass er sie nicht fortschicken möge. Sie wollte sich einfach einreden, sie hätte es Christine versprochen und dabei bliebe es. Wieder vor der Kirche nahm Hannah noch einmal die Burgruine intensiv in Augenschein.

„Ob die Zerstörungen in Gernika ähnlich sind?“
     „Der Unterschied ist, dass hier eine Ruine aus dem Mittelalter steht, von der wir nicht wissen, ob Kampfhandlungen oder der Zahn der Zeit den Zustand des Gemäuers verursacht haben. Gernika und seine Bürger sind einem Luftangriff zum Opfer gefallen.“
     „Weißt du, warum die Stadt bombardiert wurde, Hans?“
     „Da kann ich nur spekulieren, mein Schatz. Vielleicht wollte man nur einmal die neuen Waffen ausprobieren.“
     „Das wäre noch furchtbarer als es sowieso schon ist. Eine Stadt zu zerstören, nur um Waffen zu testen“, Hannah schauderte.
     Hans nahm sie in den Arm, „Komm Hannah, lassen wir die Probleme der Welt hinter uns. Wir essen den Rest unserer Croissants und dann sehen wir nach, ob das Wasser schon kommt.“

Hans nahm Hannah bei der Taille, hob sie hoch und setzte sie mit dem Rücken zur Kirche auf die Mauer, die den Kirchgarten umschloss. Er schwang sich dann selbst auf die Mauer und setzte sich neben Hannah. Er hielt ihr die Tüte hin, Hannah entnahm ihr ein Croissant, Hans tat das gleiche und beide bissen von ihren Croissants ab. Ab und zu lächelte Hannah ihn glücklich an. Sie aßen jeder noch ein Croissant, dann waren die Vorräte verzehrt und er half ihr von der Mauer. Sie ließ sich in seine Arme fallen und Hans küsste sie auf die Stirn. Er nahm sie bei der Hand und gemeinsam schlenderten sie den kurzen Weg zur Bucht. Hannah schaute interessiert über die weit geschwungene Bucht, aber alles, was sie sah, waren kleine Rinnsale zwischen großen Sandbänken. Auf den Sandbänken lagen an ihren Ankerketten befestigt gestrandete Boote. „Und wo ist das Wasser?“ „Wir haben bestimmt noch eineinhalb Stunden Zeit, Süße. Es gibt ein verschwiegenes Restaurant, da können wir einkehren. Die Bucht haben wir von dort aus im Blick. Komm!“ Sie nahmen sich bei den Händen und Hans führte sie durch den stillen Ort zum Restaurant. Die Wirtin, eine tatkräftig wirkende Frau mit glühenden Augen, begrüßte ihn mit Wangenküssen. Hannah war erstaunt, dass Hans im Restaurant bekannt war. „Florence, das ist Hannah, wir lieben uns und wir leben zusammen.“ Auch Hannah wurde mit Wangenküssen begrüßt. „Bitte ein Tisch mit Aussicht auf die Bucht, Florence. Hannah soll das Auflaufen des Wassers nicht verpassen.“ „Sucht euch einen Tisch aus, du siehst, ihr seid die einzigen Gäste. Die Ferien gehen zu Ende.“ Als Hans und Hannah saßen, brachte Florence ohne auf die Bestellung zu warten zwei Gläser Pommeau als Aperitif. „Was bietet die Küche, Florence?“ „Als Vorspeise hätten wir Jambon blanc und als zweiten Gang empfehle ich Bar.“ „Was meinst du, Hannah?“ „Gerne, können wir uns das denn leisten?“ „Sicher, wir folgen deiner Empfehlung, Florence. Ein leichter Weißwein dazu wäre genau das Richtige.“ „Gut Hans – und nun trinkt den Aperitif.“ Hannah reichte eine Hand über den Tisch und Hans legte seine Hand auf ihre.

Nachdem sie gegessen hatten, bat Florence sie, vor der Rückfahrt noch einmal vorbeizukommen. Beide stimmten zu und traten vor die Tür, sie sahen, dass das Wasser jetzt mächtig in die Bucht strömte. Hand in Hand gingen sie zurück an das Ufer der Bucht. Er legte Hannah einen Arm um die Schulter, während sie auf das steigende Wasser schauten. Noch lagen die Boote träge auf den Sandbänken. Hannah folgte hoch interessiert dem Geschehen. Das steigende Wasser zwang sie, sich derweil höher auf das Ufer zurückzuziehen. Hannah war jetzt fasziniert, eng drückte sie sich an Hans, während die ersten Boote aufschwammen. Nach wenigen Minuten verschwanden die letzten Sandbänke in den Wassermassen. Die jetzt wieder frei schwimmenden Boote zerrten im reißenden Gezeitenstrom heftig an ihren Ankern. Wieder mussten sie sich ein Stück vor dem weiter steigenden Wasser zurückziehen. Hannah hatte den Eindruck, das Wasser würde immer weiter steigen, bis der Ozean alles Land verschlungen hätte.

Sie drückte sich fest an Hans, „ist das schön. Ich hätte nie geglaubt, dass die Flut derart hoch steigen kann.“
     „Obwohl ich schon oft hier war, bin auch ich immer wieder tief beeindruckt.“
     „Und wie kommt es dazu, dass das Wasser derart rasant in die Bucht schießt?“
     „Zu Zeiten Karls des Bösen war Regnéville ein wichtiger Hafen, später ist die Bucht versandet. Vor dem Zugang zum Meer liegt eine mächtige Sandbank, vor der sich das auflaufende Wasser staut und wenn es dann über die Sandbank schwappt, läuft die Bucht wohl blitzschnell voll. Meine Darstellung ist sicher nicht wissenschaftlich, aber so stelle ich es mir vor. Wenn du möchtest, fahren wir an der Pointe d’Agon vorbei. Vom Leuchtfeuer aus haben wir einen guten Überblick über die Mündung der Bucht in den Ozean.“
Hannah lächelte Hans an, „gerne, Liebster!“
     „Dann machen wir das so.“
     „Woher kennst du Florence, Hans?“
     „Ihr Mann war ein Kamerad von François und mir. Er fiel in der Endphase des Bürgerkrieges. François hat nach dem Krieg Kontakt zu ihr aufgenommen. Nachdem mir die Flucht aus dem Lager geglückt war, hat sie mich einige Zeit hier versteckt.“
Langsam verringerte sich die Strömung, Hans nahm Hannah wieder an Hand und sie gingen zurück zum Restaurant, das jetzt geschlossen war. Sie betraten die Gaststube über den Hintereingang. Florence stand hinter der Theke und spülte Gläser.
     „Nun, genug gesehen?“, wandte sie sich an Hannah.
     „Ja, am liebsten möchte ich für immer dem Wasser zusehen, wie es steigt und fällt.“
     „Nun ja, das schleift sich mit der Zeit ab. Solange ich mich erinnern kann, sehe ich täglich auf die Bucht. Hast du Arbeit?“
     „Ja, ich helfe dem Tierarzt. Das heißt, ab morgen helfe ich ihm.“
     Florence nickte, „Wird es Krieg geben, Hans?“
     „Es wird Krieg geben – und zwar bald, Florence.“
     „Und was macht ihr dann? Ich vermute doch richtig Hannah, dass du auch eine Illegale bist?“
     „Ja, Florence, auch Hannah ist illegal. François versucht sie nach England zu bringen. Wenn die Nazis kommen, ist sie als Jüdin in Gefahr.“
     „Ich könnte euch beide verstecken.“
     „Danke Florence, aber Hans hat mich überzeugt, nach England zu gehen, wenn François eine Möglichkeit findet.“
     „Wenn es nicht klappt, dann kommst du zur mir! Und was ist mit dir, Hans?“
     „Im Kriegsfall ist es gefährlich für einen illegalen Flüchtling sich zu verstecken. Trotzdem Florence, wir danken dir für dein Angebot und für Hannah wäre das im äußersten Notfall vielleicht die letzte Möglichkeit. Dann wäre es aber auch für dich lebensgefährlich – nicht nur für sie.“
     „Wenn es doch nur keinen Krieg gäbe. Mein Vater fiel in den Jahren der Grande Guerre, mein Mann ging nach Spanien in den Bürgerkrieg und kam nicht zurück. Jetzt droht ein weiterer Krieg. Ich will das nicht.“
     „Florence, Menschen wie wir werden nicht gefragt!“
     „Ich weiß, aber ihr wisst, ich würde versuchen euch zu schützen. Kommt, ich koche uns noch einen Kaffee, bevor ich das Abendgeschäft vorbereite.“

Nachdem sie sich von Florence verabschiedet hatten, steuerte Hans das Cabriolet gemächlich um die Bucht herum in Richtung Pointe d’Agon. Das letzte Stück der Zufahrt zum Leuchtturm erwies sich als arge Holperstrecke und so waren sie ziemlich durchgeschüttelt, als Hans unterhalb des Turms anhielt. Er nahm Hannah bei der Hand und sie stiegen auf eine Düne, von wo sie einen guten Überblick über die Bucht und den Ärmelkanal hatten, der sich hier in Richtung Westen zum Atlantik öffnet. Sie setzten sich zwischen dem Strandhafer auf den Sand. Hans legte einen Arm um Hannahs Schultern, während sie sich bei ihm anlehnte. Lange saßen sie so nebeneinander, schauten dem Spiel der Wogen zu und freuten sich über ihre Nähe.

Als sie zurück nach Bayeux kamen, dunkelte es. Ein Junge stand vor der Haustür. „Bonsoir, Mademoiselle. Sind sie Mademoiselle Schwarz?“
     „Ja, warum?“
     „Docteur Beaudoin bittet sie so schnell wie möglich zu ihm zu kommen. Er hat gesagt, sie mögen sich bitte vorher umziehen.“
     „Ist gut Junge, geh zurück und sage Docteur Beaudoin, ich käme sofort.“ Der Junge nickte und trabte los.
     Oben angekommen drückte sich Hannah an Hans, „traurig?“
     „Nein, es muss sein, zieh dich um und ich bringe dich mit dem Auto zu Docteur Beaudoin. Danach bringe ich den Wagen zurück. Vielleicht geht es ja schnell und dann sehen wir uns noch bevor ich zur Boulangerie gehe. Wenn nicht, sehen wir uns morgen Vormittag.“

Hannah zog sich aus und stieg dann in den Overall. Danach zog sie die Gummistiefel an. Sowohl Overall, als auch die Stiefel waren für die schmale Hannah einige Nummern zu groß. Hans brach in Lachen über Hannahs Bekleidung aus. Sie streckte ihm die Zunge heraus. Er warf ihr die Gummihandschuhe zu und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinab. Im Auto drückte sich Hannah an Hans und er steuerte das Cabriolet durch die dunklen Straßen der Stadt zur Praxis von Docteur Beaudoin.

Docteur Beaudoin begrüßte Hannah mit einem kurzen Nicken, fügte dann aber hinzu, „danke, dass sie gekommen sind, Mademoiselle Schwarz. Mein heutiger Gehilfe hat leider zu tief ins Glas geschaut. So stelle ich mir Bereitschaft nicht vor.“ Umgehend nahm er dann seine Arzttasche und ging mit Hannah zum Auto. Er steuerte den Wagen hinaus aus der Stadt über eine stockfinstere Landstraße, von der er bald auf einen holprigen Weg abbog. Nach einiger Zeit fuhren sie durch ein Hoftor. Ihre Fahrt endete vor einem Stall, rechts davon lag ein Wohnhaus, aus dem eine Frau in einer Kittelschürze eilte. „Bitte machen sie schnell Docteur Beaudoin! Mein Mann ist im Stall, der Kuh geht es schlecht.“ Ohne weiter auf die Frau einzugehen, nahm Docteur Beaudoin alles, was er für die Behandlung als wichtig empfand, aus dem Kofferraum und drückte einen Teil der Gerätschaften Hannah in die Arme. Dann nahm er seine Arzttasche und lief mit Hannah im Schlepptau in den Stall, der, bis auf eine einzige Kuh, neben der ein älterer Mann stand, leer war. Hannah stieg der intensive Geruch von Dung in die Nase. Was sie an Ausflüge auf das Land erinnerte. Ihr fiel ein, dass sie im Kreise der Cousinen und Cousins eine Art Mutprobe entwickelt hatten, die darin bestand, barfuß in einen frischen Kuhfladen zu treten. Docteur Beaudoin begrüßte den Mann kurz und stellte Hannah vor. „Ein Glück, dass du endlich da bist, Paul“, war die einzige Reaktion des Mannes darauf.

Docteur Beaudoin zog sich seine Gummihandschuhe über und als er sah, dass Hannah ihm gleich tat, nickte er zufrieden. „Halte die Kuh fest, Bernard! Sie nehmen den Kälberstrick Mademoiselle Schwarz und kommen mit mir.“ Docteur Beaudoin stellte sich seitlich hinter die Kuh, ergriff den Schwanz und zog ihn nach oben. „Halten sie ihn fest, Mademoiselle Schwarz.“ Hannah fasste nach dem Schwanz oberhalb der Quaste und hielt diesen über den ausladenden Hüften des Tieres fest. Der Arzt stellte sich jetzt hinter die Kuh und führte seinen behandschuhten Arm in die Vagina ein. Die Kuh wurde unruhig, Bernard sprach beruhigend auf sie ein. Docteur Beaudoin stand nach kurzer Zeit der Schweiß auf der Stirn. Hannah tupfte ihm mit einem Lappen, den sie in einer Tasche des Overalls gefunden hatte, die Stirn ab, als er einmal innehielt, um Luft zu holen. Dann ging alles ganz schnell, ein Bein kam zum Vorschein. Der Arzt fummelte noch etwas in der Vagina herum und zog ein zweites Bein hervor. „Schnell, den Strick, Mademoiselle Schwarz.“ Hannah hielt Docteur Beaudoin den Strick hin, den dieser mit einer Schlinge um die aus der Vagina ragenden Beine schlang. „Nehmen sie den Stick in beide Hände und stellen sie sich hinter mich. Ziehen sie, wenn ich das Kommando dazu gebe.“ Hannah tat wie geheißen. Hinter seinem breiten Rücken stehend, konnte Hannah nicht sehen, was Docteur Beaudoin tat, so stand sie angespannt und wartete auf das Kommando. „Ziehen, ziehen sie, Mademoiselle!“ Hannah zog mit aller Kraft, während Docteur Beaudoin direkt an den herausragenden Beinen zog. Mit einem schmatzenden Geräusch kam das Kalb zur Welt. Hannah verlor den Halt und stürzte rücklings auf die stark mit Dung durchtränkte Streu, erhob sich aber sofort wieder. Docteur Beaudoin befreite das Kalb von der Fruchtblase und half ihm auf die Beine. „Nehmen sie Stroh, reiben sie das Kalb ab und schieben sie es anschließend zum Maul der Mutter, Mademoiselle.“ Hannah tat wie geheißen, während sich Docteur Beaudoin um die Kuh kümmerte. „Alles in Ordnung, Bernard“, sage er nach einiger Zeit. Man sah, dass Bernard der sprichwörtliche Stein vom Herzen fiel.

Bernard ging vor die Tür und rief nach seiner Frau. „Bring Calvados mit, rief er ihr entgegen“, als sie vor die Haustür trat. „Da müssen sie jetzt durch, Mademoiselle Schwarz. Trinken sie bitte das Glas auf ex.“ Hannah nickte. Nach kurzer Zeit erschien Bernards Frau mit vier Gläsern und einer Flasche Calvados. In ihrem Schlepp liefen drei Kinder, die sich hinter ihr versteckten, sobald sie Hannah erblickten. „Keine Angst Kinder. Mademoiselle Schwarz beißt nicht“, sagte Docteur Beaudoin mit seiner dröhnenden Stimme. Bernard füllte die Gläser und verteilte sie. Er erhob sein Glas und leerte es in einem Zug, Docteur Beaudoin tat ihm gleich. Hannah nahm ihren ganzen Mut zusammen, leerte ihr Glas in einem Zug und unterdrückte erfolgreich den Hustenreiz, den das hochprozentige Getränk bei ihr auslöste. Docteur Beaudoin schaute noch einmal nach der Kuh.
     „Eine Färse tut sich schon einmal schwer beim Abkalben, du hättest mich früher rufen sollen, Bernard!“
     „Zuerst sah alles ganz normal aus. Nur als nach Stunden immer noch keine Beine zum Vorschein kamen, habe ich nach dir gerufen und du weißt selbst, Paul, Bargeld ist knapp bei uns.“
     „Ja, das weiß ich. Aber ich habe weder dir, noch deinen Kollegen jemals das Fell über die Ohren gezogen.“
     „Wir wissen alle, dass wir in dir einen guten Freund haben. Glaub mir das. Die Kuh hat keinen Schaden genommen?“
     „Nein, alles in Ordnung. Die Nachgeburt verlief ohne Probleme. An der wirst du noch lange Freude haben.“
     Bernard nickte, „eine tüchtige Gehilfin hast du. Ist sie neu bei dir?“
     „Ja, ich bin auch froh, dass ich Mademoiselle Schwarz habe.“
     „Sie sind Deutsche, Mademoiselle?“
     „Ja, Monsieur.“
     „Wird es Krieg geben?“
     „Ich hoffe nicht, aber ich befürchte, der Krieg ist unausweichlich.“
     „Dann gnade uns Gott.“
     „Bernard, da wird uns Gott nicht helfen können.“ Docteur Beaudoin hielt ihm zum Abschied die Hand hin. Von der Frau verabschiedete er sich mit Wangenküssen.

Sie fuhren zurück in die Stadt. Hannah antwortete auf Fragen von Docteur Beaudoin nur wortkarg und so wurde nicht viel gesprochen. Als sie ankamen verabschiedete sie sich und wollte aussteigen. „Langsam Mademoiselle! Sie bekommen noch ihren Lohn.“ Docteur Beaudoin drückte ihr einen größeren Geldbetrag in die Hand.
     Hannah reagierte erstaunt, „das ist sehr viel Geld, Docteur Beaudoin!“
     „Reden sie nicht. Gute Arbeit bringt gutes Geld und sie haben außerhalb ihrer Dienstzeit gearbeitet.“ Docteur Beaudoin Stimme klang ärgerlich und Hannah meinte, dass das Dröhnen seiner Stimme in diesem Moment etwas furchterregend klang.
     „Ich wollte sie nicht verärgern, Docteur Beaudoin.“
     „Ich bin nicht über sie verärgert, Mademoiselle Schwarz. Dass ich sie rufen musste, obwohl jemand anderes Bereitschaft hatte, ärgert mich.“
     „Wenn ich da bin, dürfen sie mich jederzeit rufen. Ich brauche das Geld und mir gefällt die Arbeit.“
     „Ja, sie haben sich geschickt angestellt. Wenn die Zeiten besser wären, würde ich ihnen vorschlagen, von Human- auf Veterinärmedizin umzusatteln. Aber die Zeiten sind eben ungünstig. Ich hoffe, François findet rechtzeitig vor Kriegsausbruch ein Boot, dass sie mitnimmt.“
     „So schnell wird der Krieg nicht kommen“, Hannah nickte, wie zur Verstärkung, zu ihren Worten.
     „Wenn sie sich da nicht täuschen, Mademoiselle. Aber ich hoffe für sie, dass der Krieg erst im Herbst kommt. Dann hätten sie noch ein wenig Zeit, die sie mit Hans verbringen können.“ Hannah schossen Tränen in die Augen. Docteur Beaudoin legte beruhigend eine Hand auf ihren Arm, „nun, nun, es wird schon werden.“
     „Eine Freundin von Hans hat mir angeboten, mich zu verstecken“, sagte Hannah, mit einem Hauch Hoffnung in der Stimme.
     „Florence?“
     „Ja!“
     Docteur Beaudoin dachte einen Moment nach. „Sie ist eine gute Seele, aber eine Illegale im Kriegsfall zu verstecken, finden die Behörden bestimmt nicht lustig und ich gehe davon aus, wenn der Krieg kommt, wird es genug Denunzianten geben. Dabei ist das noch das geringere Übel, denn wenn die Deutschen kommen, müssen sie als Jüdin um ihr Leben fürchten und auch Florence käme in größte Gefahr.“
     „Ich verstehe“, alle Hoffnung war aus Hannahs Stimme verschwunden.
     „Sie denken daran, morgen ab acht beginnt ihre Bereitschaft. Ich hoffe, dass für diese Nacht Ruhe herrscht.“ Docteur Beaudoin drückte Hannah noch einen kleineren Geldbetrag in die Hand. „Ist für die Bereitschaft“, sagte er, als er Hannahs fragenden Blick bemerkte.

Als Hannah die Treppe hinauf stieg, schlugen die Glocken der Kathedrale Mitternacht. Ganz, ganz vorsichtig öffnete sie die Tür. Hans schlief fest und rührte sich kaum. Hannah schloss die Tür, sie trat leise zum Bett, horchte und merkte, dass Hans nichts von ihrem Kommen bemerkt hatte. Vorsichtig legte sie sich auf den zerschlissenen Läufer vor dem Bett und schlief bald ein. Sie erwachte, als Hans beim Aufstehen gegen sie stieß. Hans kniete sich neben sie und küsste ihre Stirn, dann ging er zur Tür und drehte am Lichtschalter. Hannah war einigermaßen desorientiert. Sie setzte sich mühsam auf, während Hans bei ihr in die Hocke ging.
     „Süße, was machst du denn? Warum hast du dich nicht ausgezogen und bist ins Bett gekommen?“
     Hannah gähnte ausgiebig, „ich wollte dich nicht wecken.“
     „Schatz, tu das bitte nie wieder, auch du brauchst deinen Schlaf.“
     Hannah schmuste sich bei Hans an, „ich hätte mich vorher waschen müssen.“
     „Das stimmt, aber das war mir klar. Du riechst ganz schön heftig nach Kuhstall.“
     „Ich habe nachher Zeit zu schlafen. Meine Bereitschaft beginnt erst um acht.“
     Er erhob sich und ging ans Waschbecken. „Komm, zieh die Klamotten aus, du kannst dich waschen, sobald mich rasiert habe“, sagte Hans, während er Rasierschaum schlug.
     „Ich setze Tee an“, antwortete Hannah unter erneutem Gähnen.
     Während Hannah sich mit dem Tee beschäftigte, setzte Hans erneut zu sprechen an. „War Paul zufrieden?“
     „Oh ja. Guck zum Tisch, da liegt das Geld, das er mir gezahlt hat.“
     Hans guckte, nickte anerkennend, „Paul ist ein Ehrenmann.“
     „Er ist sehr nett, nur furchtbar förmlich in seinen Umgangsformen.“
     „Mit seinem Personal pflegt er einen sehr förmlichen Umgang. Ich habe davon gehört. Was gab es denn dringendes?“
     „Eine Kuh hatte Probleme ihr Kalb zu gebären. Ich musste mit einem Seil ziehen, damit es herausfand. Dabei bin ich rücklings in den Mist gefallen.“
     „Du, wir müssen versuchen einen Platz für deinen Overall finden. Wenn er hier im Zimmer lüftet, verbreitet er ein herbes Parfüm.“
     „Ich weiß, ich kann doch nichts dafür. Möchtest du, dass ich ausziehe?“
     Hans drehte sich spontan um, „Hannah! Was sagst du da? Du bleibst bei mir, solange du mich liebst! Oder hast du schon genug von mir?“
     Hannah brach in Tränen aus. „Nein, ich liebe dich“, schluchzte sie.
     Hans kam auf sie zu, nahm sie in seine Arme, „was ist denn Hannah? Ich werde morgen einen Platz für deinen Overall finden. Das ist doch kein Drama und für diese Nacht hängen wir ihn an die Wäscheleine vor dem Fenster.“

Immer noch weinend hing Hannah das Teeei in das kochende Wasser, dann zog sie sich aus und als Hans die Reste des Rasierschaums abgewaschen hatte, nahm er sie in die Arme. Ihr Schluchzen ließ nach. Gemeinsam tranken sie Tee, dann zog sich Hans an. Hannah wusch sich, während Hans auf der Bettkante saß und mit Freude Hannah bei ihrer Tätigkeit zusah. Er stand auf, öffnete das Fenster und befestigte den Overall an den außen angebrachten Wäscheleinen. Hannah zog ihren Morgenmantel über, setzte sich auf den Stuhl und zählte ihr Geld. „Das sind ja umgerechnet über sieben Reichsmark inklusive des Geldes für die morgige Bereitschaft“, staunte Hannah. Hans drückte Hannah an sich, „ich sag’s ja, Paul ist ein Ehrenmann.“ Er hielt sie weiter fest und streichelte ihr über den Rücken, wieder kam ihm der Gedanke Hannah nicht weg zu schicken, er verwarf ihn aber schnell, da er solche Gedankenspiele für sinnlos hielt. Er zog an der Schleife, mit der Hannah den Gürtel des Morgenmantels geschlossen hatte, legte die Hände um ihre Taille und küsste sie auf die Stirn, „ich muss jetzt gehen und du kuschelst dich unter die Bettdecke. Ich hoffe, du wirst nicht gestört, bevor ich zurück bin.“ Hans ließ Hannah los, ging zum Bett, hob die Bettdecke an und Hannah legte sich auf die Matratze, nachdem sie den Morgenmantel abgelegt hatte. Hans deckte sie zu, drückte ihr einen Kuss auf den Mund, schaltete das Licht aus und ging zur Boulangerie.

Hannah konnte nicht sofort einschlafen. Sie dachte zurück an Frankfurt. Als Kind war sie oft an der Hand ihres Vaters über den Eisernen Steg gegangen. Sie durfte vom Steg aus in den Main spucken, ihre Mutter regte sich darüber auf, wenn sie dabei war. Als sie größer wurde, spuckte sie nur noch dann ins Wasser, wenn die Mutter nicht dabei war. Das war ein Geheimnis, das sie und ihr Vater jahrelang sorgfältig gehütet hatten. Erst als Hannah erwachsen war, hatten sie ihrer Mutter davon erzählt. Trotz der langen Zeit, die seither vergangen war, hatte sie es für unpassend gehalten. Bei Hannah hatte diese Reaktion Fröhlichkeit ausgelöst und ihr Vater hatte die beiden Frauen in den Arm genommen und gedrückt. Hannah machte sich jetzt Sorgen um ihre Eltern, obwohl sie die Gefahr, die Hans sah, absolut nicht teilte. Sie war stolz darauf, Deutsche zu sein und glaubte fest daran, dass die Nazis nach einigen Jahren abgewirtschaftet hätten und davon gejagt würden. Wenn die Nazis nun wirklich in den Krieg zögen, würde das ihren Untergang nur beschleunigen. Sobald der Spuk vorbei war, würde sie zurückgehen und ihr Studium wieder aufnehmen. Ihre Gedanken wanderten zurück nach Bayeux. Ihre Lage war alles andere als rosig, wenn sie auch hier einen Zipfel des Glücks erwischt hatte. Noch nie hatte sie eine solche Zuneigung zu einem Mann empfunden, wie jetzt zu Hans. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, mit einem ihrer früheren Verehrer das Bett zu teilen. Bei Hans war das anders, er schliefe vielleicht immer noch im Schuppen hinter der Boulangerie, hätte sie ihn nicht aufgefordert zu bleiben. Ob ihre Mutter das ähnlich unpassend finden würde, wie das Spucken? Hannah lächelte bei diesem Gedanken. Sie glaubte eher, ihre Mutter wäre der Meinung, dass ungewöhnliche Situationen, außergewöhnliche Entscheidungen erforderten. Sie selbst hatte auf jeden Fall keinerlei moralische Bedenken, bei dem, was sie tat. Ihr kam der Gedanke, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie ihre Kontakte zu zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair beibehalten hätte. Damals wie heute hielt sie nichts von der Idee der Alija. Sie dachte deutsch und sie fühlte sich als Deutsche, nein sie war Deutsche und sie würde es bleiben. Danach wurde sie schläfrig und die letzten Gedanken, bevor sie einschlief, galten Hans.

 

Hannah erwachte, als Hans von der Arbeit kam. Sie war leicht desorientiert, bis ihr Blick auf das Geld auf dem Tisch fiel. Voller Zärtlichkeit schaute sie auf den Mann, der seine Schuhe auszog und sich dann zu ihr auf das Bett setzte. Ihr kamen die Gedanken der Nacht in den Sinn, nie wieder glaubte sie auf solch einen Menschen, wie Hans treffen zu können. Wärme war das Gefühl, dass sie empfand, solange Hans in ihrer Nähe weilte.
     „Liebster, wie schön, du bist zurück.“
     „Hattest du Zweifel, Süße?“
     „Nein, nicht wirklich.“
     „Wir werden jetzt zuerst einmal frühstücken. Danach überlegen wir, wie wir mit deinem Bereitschaftstag umgehen.“ Hans streichelte Hannah über die Wange und hielt ihr einen Schlüssel hin.
     „Was ist das für ein Schlüssel, Hans?“
     „Das ist der Schlüssel zum Dachboden, da kannst du deinen Overall lüften. Du benötigst einen weiteren Overall, denn ab und zu musst du ihn sicher waschen.“
     „Ob Overalls teuer sind?“ Hannahs fragender Blick wirkte unsicher.
     „Keine Sorge, du bekommst einen zweiten. Ich habe mit Paul gesprochen.“
     „Du solltest mir nicht jede Sorge abnehmen. Ich bin es gewohnt meine Belange selbst zu regeln.“ Liebevoll lehnte sich Hannah bei Hans an, „aber ich lasse mich gerne verwöhnten, es ist ja nur für kurze Zeit.“
     Tränen traten in Hannahs Augen. Hans wischte ihre Tränen ab, „Süße, wir haben uns zu einem schlechten Zeitpunkt kennengelernt. Das ist unser Schicksal. Trotzdem, bitte, wir sollten in der wenigen Zeit, die uns bleibt, unsere Liebe leben.“
     „Ja mein Schatz. Ich werde tapfer sein.“
     „So ist es Recht, meine Liebste. Es ist der Rest von Frieden, den wir gerade erleben. Wir sind bereits Teil der Katastrophe.“
     „Setzt du Tee an, während ich mich wasche?“

Hans nickte, stand auf und setze Wasser für Tee auf die Kochplatte, während sich Hannah nackt an das Waschbecken stellte. Hans verspürte große Lust auf intimes Zusammensein mit ihr, befürchtete aber, sie würden durch einen Einsatz gestört. Während des Frühstücks klopfte der Junge, den Docteur Beaudoin gestern geschickt hatte und brachte Hannah einen weiteren Overall. Hannah bedankte sich und fragte ihn, ob er ein Croissant nehmen würde. Dieser nickte schüchtern.
     „Komm, setz dich zu mir aufs Bett und lang zu“, Hans winkte den Jungen zu sich heran.
     „Danke Monsieur, aber Docteur Beaudoin erwartet meine Rückkehr.“
     „Du darfst ruhig kurz mit uns frühstücken, Docteur Beaudoin wird nichts dagegen haben.“ Hans blieb beharrlich.
     „Aber nur für ein paar Minuten, Monsieur.“
     Hannah hielt ihm die Tüte hin, „nimm ruhig zwei Croissants. Monsieur Donrath hat mehr davon mitgebracht, als wir in drei Tagen essen können.“
     „Danke Mademoiselle Schwarz“, der Junge griff zwei Croissants und ließ sich das erste sofort schmecken.
     „Wie heißt du denn?“, fragte Hans.
     „Patxi.“
     „Ein sonderbarer Name“, lachte Hans und der Junge lachte mit.
     „Mein Vater ist Baske, daher der Name“, antwortete der Junge artig.
     „Und du machst den Boten für Docteur Beaudoin?“
     „Ja, Monsieur Donrath, wenn ich keine Schule habe.“
     „Dann werden wir uns jetzt wohl öfters treffen“, lachte Hans.
     „Ich muss jetzt aber gehen. Darf ich?“, fragte der Junge voller Respekt.
     „Natürlich Patxi, du bist unser Gast, nicht unser Gefangener.“
     Wieder breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Jungen aus. „Danke und au revoir“, sagte der Junge und ging.

Als Patxi gegangen war, stellte sich Hans hinter Hannah und legte ihr die Hände auf die Schultern. Dann ging er zum Fenster, öffnete, nahm den Overall von der Leine und roch daran. „Ist ganz gut ausgelüftet, du kannst ihn noch einmal anziehen. Wenn du wieder in den Mist fällst, stinkt er eh wieder.“ Hannah lachte, nahm den Overall, faltete ihn und legte in zu den Gummistiefeln. Dann machte er den Vorschlag, einkaufen zu gehen, damit sie nicht verhungerten während der Bereitschaft. „Eine ganz schön langweilige Beschäftigung“, meinte Hannah. „Weißt du was, ich gehe bei Paul vorbei und sage, wo Patxi uns findet, wenn wir nicht hier sind, daran hätte ich eben denken können“, Hans klopfte sich selbst vor die Stirn, dann ging er. Hannah blieb zurück. Sie suchte nach einem Blatt Papier und einen Bleistift, damit sie etwas zu schreiben hatte, falls sie schnell wegmusste. Papier hatte sie schnell gefunden und nach einiger Zeit fand sie auch einen Bleistiftstummel mit abgebrochener Spitze. Mit einem der wenigen Messer, das sehr stumpf war, spitzte Hannah mühsam den Stummel an. Dann wartete sie darauf, dass Hans zurückkam.

Hans war einigermaßen bepackt, als er zurückkam. Er baute seine Beute auf dem Tisch auf. „Ich habe nur für diese Nacht Proviant besorgt. Paul weiß Bescheid, wir essen am Mittag im Restaurant. Er meinte nur, es wäre besser, wenn du deine Arbeitskleidung dabei haben würdest. Umziehen könntest du dich in der Praxis.“
     „Mein Gott, Schatz! Du bist ein einmaliger Spinner.“
     „Wenn es sonst nichts ist, Süße, dann gibt es wohl keine Probleme.“

Die Zeit bis Mittag verbrachte Hannah damit, das Zimmer zurechtzumachen. Hans versuchte ihr zur Hand zu gehen, stellte sich aber möglichst ungeschickt dabei an. Hannah war völlig gelöst an diesem Vormittag, die Gedanken an die Trennung hatte sie verdrängt. „Gibt es hier denn keinen Putzeimer und keinen Putzfeudel?“, fragte sie nach einiger Zeit. „Ich habe hier noch nie so etwas gesehen.“ Hannah pustete vor Lachen. „Dann besorge fix einen Eimer und einen Lappen, sonst setzt's was.“ „Ja, Frau General“, Hans lachte Hannah frech ins Gesicht, ging aber ohne weitere Kommentare aus dem Zimmer. Nach einiger Zeit kam er mit dem Gewünschten zurück. Hannah füllte den Eimer mit Wasser, kniete sich auf den Boden und schrubbte diesen mit dem Putzfeudel. Schließlich sagte sie, „schiebst du bitte das Bett zur Seite?“ „Muss das sein?“ Hans gab Hannah einen Klaps auf den Po. „Ja, es muss sein. Los mach schon.“ Hannah streckt ihm die Zunge heraus. Als Hannah fertig mit Wischen war, stellte sie sich auf, reckte sich einmal und betrachtete zufrieden ihr Werk. Hans trat zu ihr, nahm sie in die Arme und küsste sie leidenschaftlich. „Mein Gott, so plötzlich bin ich jetzt verheiratet.“ „Du Spinner, ich kann mich an keine Hochzeit erinnern.“ „Ich aber, wir haben zusammen geschlafen.“ „Ja, mein Mann.“ Hannah wusch den Putzfeudel aus und legte diesen zum Trocknen über den Eimer. Danach zog sie auf dem Bett das Laken glatt und schüttelte die Bettdecke auf. Schließlich machte sie sich noch einmal am Waschbecken frisch und richtete am teilweise blinden Rasierspiegel ihre Frisur. Hans verschnürte derweil Hannahs Arbeitskleidung zu einem handlichen Bündel.

Als sie auf die Straße traten, schlug die Uhr der Kathedrale Notre-Dame eins. Hans legte Hannah einen Arm um die Schulter und aneinander gelehnt gingen sie zu einem kleinen Restaurant in der Altstadt. Zusammen speisten sie ausgiebig und gut. Zum Menü war ihnen ein trockener Wein empfohlen worden, der beiden vorzüglich schmeckte. Hannah hielt sich beim Wein zurück, denn sie wollte nicht angeheitert zu einem eventuellen Einsatz kommen. Während des Desserts lächelte Hans Hannah an.
     „So lässt sich die Bereitschaft doch gut ertragen, mein Schatz.“
     „Ja, mein Liebster. Aber der Tag und die Nacht sind lang. Ich kann ja nicht ständig putzen.“
     „Wag dich das nur nicht. Schließlich möchte ich noch etwas anderes von dir“, er deutete über den Tisch einen Kuss an.
     „Du Spinner, als bekämst du nicht genug Liebe von mir.“
     „Doch Hannah, schon lange habe ich mich nicht mehr so wohlgefühlt.“
     Hannah lächelte ihn an, „und dazu gehört sicher auch ein ordentliches Zimmer.“
     „Ja, ja! Ich werde später alles allein in Schuss halten. Alte Meckertante.“
     „Ich würde gerne weiter für dich sorgen.“ Hannah war nach diesen Worten den Tränen nahe.
     Hans blickte schuldbewusst, „das tut mir jetzt leid, Hannah! Ich wollte dich nicht an unseren Abschied erinnern. Wir werden für immer verbunden bleiben, auch wenn wir getrennte Wege gehen müssen.“ Er reichte seine Hände über den Tisch und Hannah ergriff diese dankbar.
     „Ich werde dich nie vergessen, mein Schatz. Darf ich dich etwas fragen?“
     „Das weißt du doch!“
     „Hans, wenn es Krieg gibt, wirst du dann wieder in den Kampf ziehen?“
     „Das weiß ich nicht. Bei Kriegsausbruch werde ich mit Sicherheit interniert. Was danach passiert ist schwer abzuschätzen. Wenn die Nazis siegen und davon können wir ausgehen, wird Frankreich sicherlich besetzt werden. Dann liegt alles Weitere daran, ob die Lager zeitig genug aufgelöst werden.“
     „Warum willst du unbedingt bleiben?“
     „Ich werde nie wieder weglaufen. Ich werde jede Gelegenheit nutzen den Nazis zu schaden. Wenn es gelingt dich vor den Nazis zu retten, ist das der erste Stein in einem Mosaik. Jeder weitere Stein bringt die Nazis ihrem Untergang näher. Sie haben Chawa auf dem Gewissen, das kann ich weder mir, noch ihnen verzeihen.“
     „Aber du bringst dich doch selbst in Gefahr. Ich habe Angst um dich.“
     „Das Leben ist gefährlich. Ich bin dennoch davon überzeugt, wir werden uns wiedersehen – nach dem Krieg. Wir werden uns dann wahrscheinlich nicht mehr lieben, aber wir erinnern uns immer noch an die Tage von Bayeux.“
     „Ha Shem wird dich schützen“, Hannah drückte seine Hände jetzt fester. „Wenn ich ein paar Bücher hätte, könnte ich die Bereitschaft besser ertragen.“
     Hans reagierte einigermaßen überrascht auf den Themenwechsel. „Wir gehen gleich kurz bei der Bibliothek vorbei, du leihst dir dort etwas zu lesen. Gute Idee?“
     „Oh ja, danke mein Schatz.“

In der Bibliothek grüßte Hans die Bibliothekarin mit Wangenküssen. „Alais, das ist Hannah, kann sie auf meine Lesekarte Bücher ausleihen?“
     „Ja sicher, Bonjour, Hannah. Sieh dich um. Höchstens drei Bücher lautet die Vorschrift und höchstens für vier Wochen kannst du sie ausleihen.“
     „Danke, Alais, sehr freundlich“, Hannah wirkte unsicher, ging dann aber in die Regalreihen und kam kurz darauf mit Reisebilder von Heinrich Heine zurück.

Hans legte seine Lesekarte vor, Alais trug das Buch in die Ausleihkarte und die Lesekarte ein und drückte einen Stempel mit dem Tagesdatum auf die dafür vorgesehene Rubrik. Ein interessantes Buch, meinte sie dazu, sie verabschiedete beide mit Wangenküssen. Sie kamen am Büro der Gendarmerie vorbei. Hannah reagierte ängstlich, Hans nahm sie in den Arm. „Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind hier die einzigen Flüchtlinge weit und breit. Uninteressant für die Behörden, solange wir nicht auffallen und für uns selbst sorgen. Das wird sich leider bald ändern.“ Hannah nickte, war aber doch froh, als sie an der nächsten Ecke abbogen. Hans hielt sie kurz zurück und streichelte ihr die Wange. Nur Mut, meinte er dazu. Wieder auf dem Zimmer standen sie einige Zeit aneinander gelehnt und schauten aus dem Fenster. Hannah überlegte, wie sie Hans dazu überreden könne allein etwas zu unternehmen. Sie hielt es für Unsinn, sich gemeinsam zu langweilen. Eng an ihn gelehnt, wollte ihr aber keine Idee kommen. Die Wärme, die die Nähe zu Hans bei ihr verbreitete, verhinderte, dass sie ihre Gedanken ordnen konnte. So löste sie sich von Hans und bereitete Tee zu. Als sie das Teeei in das kochende Wasser hängte, kam ihr die zündende Idee.
     „Hans, liebster, ich bin ja bis morgen früh ans Haus gebunden. Fahr doch zu François, er ist doch immer gut informiert. Es ist dann nicht so langweilig für dich und vielleicht erfährst du etwas Neues.“
     „Du willst mich wohl loswerden“, lachte Hans.
     „Ich sag‘s doch, du bist ein Spinner! Nein, ich will dich nicht loswerden, aber langweilen kann ich mich gut allein.“
     „Gut Süße. Du hast mich überredet. Ich nehme den Omnibus nach Arromanches und bevor ich zurückkomme, gucke ich bei Christine in die Töpfe und wenn ich da etwas Gutes für uns finde, bringe ich es mit. Das schont unsere Vorräte.“

Nebeneinander auf der Bettkante sitzend tranken sie ihren Tee. Hannah suchte die Nähe von Hans, beide hatten das Gefühl tiefer Verbundenheit. Als es Zeit war zum Omnibus zu gehen, erhob sich Hans. „Soll ich nicht doch lieber bleiben?“ „Nein, ich werde mich auf das Bett setzen und lesen, bis du wiederkommst.“ Sie umarmten sich und Hannah schaute Hans nach, als er die Treppe hinunterging. Sie machte es sich auf dem Bett bequem und las Seite für Seite. Die Sprache fand sie etwas altmodisch und die Beschreibungen der besuchten Orte, waren wohl längst überholt, aber sonst fand sie die Erzählung der Harzreise durchaus lesenswert. Nach einiger Zeit hatte Hannah sich so in das Buch vertieft, dass sie das trostlose Zimmer und ihre widrigen Lebensumstände fast vergaß. Sie dachte zurück an Frankfurt. Ihr Deutschlehrer am Lyzeum war ein glühender Verehrer Heines und hatte immer wieder versucht das Interesse seiner Schülerinnen für dessen Dichtkunst zu wecken, aber im Backfischalter haben Mädchen einfach andere Interessen, als Deutsche Literatur. Hannah war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie nicht sofort reagierte, als es an der Tür klopfte. Als sie es dann wahrnahm, erhob sie sich und öffnete die Tür. Zu ihrem Erstaunen stand die Vermieterin vor der Tür.
     „Bonjour, Madame Meister. Monsieur Donrath ist nicht da, kommen sie doch bitte am Abend wieder.“
     „Nein, ich möchte mit ihnen sprechen.“
     „Oh, dann treten sie bitte ein.“ Hannah trat zur Seite und schloss die Tür hinter ihr.
     Die Vermieterin sah sich im Zimmer um, „man merkt sofort, dass jetzt eine Frau hier wohnt. Sehr ordentlich, Mademoiselle Schwarz.“
     Hannah überhörte die Bemerkung, „und womit kann ich ihnen dienen, Madame Meister?“
     „Ich bin Witwe und auf das Geld angewiesen und nun ist es so, da das Zimmer jetzt von zwei Personen bewohnt wird, steigen die Strom- und Wasserkosten. Mehr frische Handtücher werden auch benötigt und ich habe ihnen frische Bettwäsche gegeben, als sie eingezogen sind. Sie verstehen?“
     Hannah stellte sich dumm, „nein, ich verstehe nicht, was ihr Anliegen ist, Madame Meister.“
     „Sie wissen doch sicher, dass die Vermietung an illegale verboten ist, Mademoiselle Schwarz? Es besteht die Gefahr, dass ich für meine Gutheit bestraft werde.“
     „Sie möchten mehr Geld, Madame Meister?“
     „Ja, das werden sie doch sicher einsehen, Mademoiselle?“
     „Darauf kommt es nicht an, das müssen sie mit Monsieur Donrath besprechen.“
     „Nein, ich will nicht die Miete erhöhen. Nur für den Mehrverbrauch und die zusätzliche Wäsche möchte ich bezahlt werden. Und bedenken sie, sie sind eine Illegale.“
     „An welchen Betrag haben sie denn gedacht?“
     „Jetzt wo sie bei Docteur Beaudoin arbeiten, können sie sich doch fünf Franc am Tag mit Sicherheit leisten.“
     Hannah nickte, „ich werde das nachher mit Monsieur Donrath besprechen und ihnen dann Bescheid geben, Madame Meister.“
     „Oh, ich möchte eigentlich, dass wir das unter uns abmachen, Mademoiselle Schwarz.“
     Hannah sah eigentlich ein, dass sie in der Falle saß, wollte es ihr aber nicht zu einfach machen, „fünf Franc am Tag sind für mich viel Geld, Docteur Beaudoin zahlt nur, wenn wirklich Arbeit anfällt. Wie wäre es denn mit zwei Franc am Tag?“
     „Mademoiselle! Fünf Franc, mein letztes Wort!
     Hannah blieb ganz ruhig, „gut Madame Meister, ich bespreche das mit Monsieur Donrath. Er gibt ihnen dann Bescheid.“
     Die Vermieterin reagierte unwillig, „Mademoiselle Schwarz, drei Franc, mein letztes Wort!“
     „Einverstanden! Ich zahle für eine Woche im Voraus“, Hannah zählte einundzwanzig Franc ab und reichte sie der Vermieterin.“
     „Danke Mademoiselle Schwarz und au revoir“, sagte die Vermieterin mit verkniffenem Gesicht.
     Hannah konnte sich nur schwer das Grinsen verkneifen, antwortete aber mit gespielter Höflichkeit, „au revoir, Madame Meister und ich wünsche ihnen weiterhin einen schönen Tag.“

Ohne weiter auf Hannah einzugehen, verließ Madame Meister das Zimmer. Hannah setzte sich wieder auf das Bett, nahm ihr Buch und sagte dann, „blöde Kuh.“ Sie las weiter, bis am Abend Hans nach Hause kam. Er trug ein Einkaufsnetz, in dem sich ein Topf befand und war in aufgeräumter Stimmung. Hannah hatte den Besuch der Vermieterin bereits verkraftet und erzählte Hans grinsend davon. Er schüttelte den Kopf, meinte die Alte sei eine ausgemachte Schlange und war verwundert, wie eiskalt Hannah die Meister heruntergehandelt hatte.
     „Das Abendessen stellt Christine, das wärmen wir jetzt auf. Wir essen direkt aus dem Topf und danach ist für mich Zeit ins Bett zu gehen.“
     „Ich kuschle bei dir, bis du aufstehen musst. Es sei denn, Docteur Beaudoins Bote kommt. Morgen, mein Süßer, da kommt kein Bote, dann werden wir uns lieben können. Hatte François Neuigkeiten?“
     „Nein Schatz. Er bittet uns morgen zu kommen. Christine hat Geburtstag, wir sind eingeladen.“

Im Bett kuschelte sich Hannah an Hans an, der liebkoste sie noch etwas und schlief dann schnell ein. Hannah benötigte länger, bis der Schlaf über sie kam. Sie träumte, sie ginge über den Eisernen Steg vom Römerberg nach Sachsenhausen. In einer Kneipe trank sie mit Freunden Apfelwein und alle waren in heiterer Stimmung. Der Traum endete abrupt, als der Wecker rasselte. Entschlossen stand Hannah auf und setzte Teewasser an. Hans, der etwas benommen erwachte, ging zum Waschbecken und goss sich Wasser ins Gesicht, er schüttelte sich kurz, nahm ein Handtuch und trocknete sich ab. „Gar nicht so übel, einen dienstbaren Geist im Haus zu haben“, sagte er danach. „Ich sag’s doch, du bist ein Spinner. Zuerst behauptest du, wir seien verheiratet und jetzt degradierst du mich zu einem dienstbaren Geist. Sonst noch was?“, Hannah konnte kaum ihr Lachen unterdrücken, versuchte aber ein böses Gesicht zu machen. Hans zog Hannah an den Revers ihres Morgenmantels zu sich heran und schmuste an ihrem Gesicht. Seine Bartstoppeln kitzelten sie an der Wange, so sagte sie nach kurzer Zeit, „du solltest dich jetzt rasieren Liebster.“ Hans ließ sie sie los, streichelte ihr über die Wange und ging zurück zum Waschbecken. Gemeinsam auf der Bettkante sitzend, tranken sie zusammen eine Tasse Tee. Hannah schmuste sich noch einmal an, dann ging Hans zur Boulangerie. Hannah löschte das Licht, legte sich wieder ins Bett und schlief bald ein. Sie erwachte, als es heftig an die Tür klopfte. Sie zog ihren Morgenmantel über und öffnete die Tür einen Spalt breit. Vor der Tür erkannte sie den Botenjungen.
     Hannah öffnete die Tür ganz, „Oh, du bist es. Bonjour Patxi.“
     „Bonjour Mademoiselle Schwarz. Docteur Beaudoin bittet sie dringend, schnell zu kommen.“
     „Gut, ich ziehe mich nur an, sag ihm ich komme sofort.“
     „Nein, ich habe den Auftrag zu warten. Docteur Beaudoin meint, die nächtliche Straße wäre nichts für Mademoiselle. Ich erwarte sie auf der Straße.“
     „Bitte warte nur kurz vor der Tür, ich ziehe nur eben den Overall über.“
     „Ja, Mademoiselle Schwarz.“
     Hannah zog den Overall über und bat Patxi ins Zimmer. Sie wusch sich kurz durchs Gesicht, schrieb für Hans eine Nachricht, zog die Gummistiefel an und nahm die Gummihandschuhe. „Wir können gehen, Patxi“, sagte Hannah und verließ mit dem Jungen das Zimmer. Auf der Straße gingen sie mit flotten Schritten in Richtung Praxis.
     „Sollten Jungen in deinem Alter um diese Zeit nicht im Bett liegen?“
     „Finden sie, Mademoiselle Schwarz?“
     „Oh ja, sonst würde ich das nicht sagen.“
     „Vielleicht haben sie recht, aber wir brauchen das Geld und Docteur Beaudoin versucht in der Nacht auch immer auf meine Dienste zu verzichten. Heute kam aber noch spät ein Patient in die Kleintierpraxis und so hat er mich geschickt. Darf ich etwas sagen, ohne dass sie böse werden, Mademoiselle Schwarz?“
     „Ich werde nicht böse!“
     „Sie sind eine wunderschöne Frau, Mademoiselle Schwarz.“
     „Findest du?“
     „Ja wirklich. Sie sind die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe. Ich glaube, sie sind die schönste Frau der Welt.“
     Hannah schüttelte den Kopf, „wenn du nur ein wenig älter bist, wirst du eine Frau erkennen, die für dich noch viel schöner ist.“
     „Ich werde nie eine Frau haben“, antwortete Patxi traurig.
     „Oh doch, darauf leiste ich einen heiligen Eid.“
     „Wirklich?“, fragte Patxi mit wenig Hoffnung in der Stimme.
     „Ja, wirklich! Wie kommst du denn darauf, dass du nie eine Frau haben wirst?“
     „Ich mag ein Mädchen aus der Nachbarschaft, aber egal, was ich mache oder sage, sie beachtet mich nicht. Ich bin einfach Luft für sie. Danke, dass sie nicht böse geworden sind, Mademoiselle Schwarz.“
     „Eine Frau wird nicht böse, wenn sie ein Kompliment erhält und du hast etwas sehr Schönes zu mir gesagt. Das, was du beschreibst, kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht ist das Mädchen einfach noch nicht so weit, dass es einen Freund haben möchte.“ Bevor Hannah in die Praxis ging, drehte sie sich um und küsste Patxi auf beide Wangen. Der Junge errötete.

Docteur Beaudoin packte gerade die erforderlichen Gerätschaften, die bei der Geburtshilfe eines Kalbes hilfreich sind, als Hannah in die Praxis kam. Hannah packte, so gut sie konnte, direkt mit und so waren sie innerhalb weniger Minuten bereit, zu ihrem nächtlichen Einsatz zu fahren. Sobald sie aus der Stadt heraus waren, sagte Docteur Beaudoin, „es geht wieder um eine Färse, bei der die Geburt des Kalbes nicht vorangeht. Ich vermute, da wurde wieder zu lange gewartet uns zu rufen.“ Hannah sagte nichts dazu, sondern hoffte, dass sie nicht wieder in den Dung fiel, wenn sie am Kälberstrick zog. Die Fahrt dauerte diesmal länger. Sie waren schon eine ganze Zeit in der Dunkelheit unterwegs gewesen, bevor Docteur Beaudoin auf die Zufahrt zu einem Hof einbog. Als sie ausstiegen, befanden sie sich auf einem stockfinsteren Hof, an dessen Ende ein mattes Licht aus einer offen stehenden Stalltür drang. Im Dunkeln tastend nahmen sie ihre Instrumente aus dem Wagen und gingen in den Stall. Im Stall standen der Bauer, seine Frau und einer seiner Gehilfen hilflos neben der abkalbenden Färse. „Ein Glück, dass sie da sind, Docteur Beaudoin“, sagte der Bauer, als er der beiden Eintretenden gewahr wurde. Der Arzt reagierte wütend, „Sie hätten mich vor Stunden rufen sollen, vielleicht ist es jetzt zu spät.“ Die Färse machte einen jämmerlichen Eindruck auf Hannah, die beiden Vorderbeine des Kalbes ragten bereits aus der Vagina. Ohne sich weiter um die Umstehenden zu kümmern, rief Docteur Beaudoin Hannah zu sich heran und begann umgehend damit, die Färse zu untersuchen. Leise und präzise erteilte er Hannah Anweisungen, die diese so gut es ihr möglich war, ausführte. „Legen sie jetzt den Kälberstrick an, Mademoiselle Schwarz“, sagte er nach einiger Zeit. Hannah tat es so, wie sie es beim letzten Einsatz bei Docteur Beaudoin gesehen hatte. Der Tierarzt nickte anerkennend, dann wartete Hannah auf das Kommando zu ziehen. Sie hatte die Füße diesmal so gestellt, dass sie hoffte nicht wieder in die Streu zu fallen. Docteur Beaudoin führte noch einmal einen Arm in die Vagina der Färse ein, dann kam sein Kommando, „ziehen sie, Mademoiselle.“ Hannah zog, auch Docteur Beaudoin zog mit am Strick. Sobald der Kopf des Kalbs aus der Vagina austrat, hörte Hannah wieder das schmatzende Geräusch. Sie wappnete sich, im richtigen Moment mit dem Ziehen aufzuhören, damit sie nicht wieder hinfiel, wenn der Körper des Kalbs aus der Vagina heraus flutschte. Hannah geriet im entscheidenden Moment zwar ins Straucheln, konnte sich aber auf den Beinen halten. Sie kümmerte sich umgehend um das neugeborene Kalb, das bereits versuchte auf die Beine zu kommen, während Docteur Beaudoin sich wieder um die Färse kümmerte. Hannah unterstützte das Kalb beim Aufstehen, entfernte die Reste der Fruchtblase und rieb es mit Stroh ab. Sie schob das Kalb zum Maul der Mutter, die es ableckte. Docteur Beaudoin wartete auf die Nachgeburt, als diese vollzogen war, untersuchte er den Mutterkuchen auf Vollständigkeit und nickte danach zufrieden. „Das ist noch einmal gut gegangen, Mademoiselle Schwarz. Sie sind mir eine große Hilfe.“ Anerkennend klopfte er Hannah auf die Schulter.

Vor dem Haus drückte Docteur Beaudoin Hannah ihren Lohn in die Hand. „Ich hoffe, dass ich sie bis um acht nicht mehr störe. Wir können jetzt beide Schlaf gebrauchen“, sagte er dazu. Hannah bedankte sich und ging ins Haus, die Uhr der Kathedrale schlug sieben, als sie ins Zimmer trat. Da sie Hans erst am späteren Vormittag erwartete, zog sie sich aus, wusch sich, zog ihren Morgenmantel über und brachte den Overall zum Lüften auf den Boden. Sie kroch ins Bett, wo sie alsbald einschlief. Hans kam kurz vor zehn und fand Hannah fest schlafend vor. Auf dem Tisch lag immer noch die von Hannah geschriebene Mitteilung. So verhielt sich Hans still, setzte sich auf den Stuhl und betrachtete seine ruhig atmende Liebe. Als Hannah sich nach einiger Zeit bewegte, berührte er vorsichtig ihre Hand. Hannah öffnete die Augen und schmuste sich an seiner Hand an, ein tiefer Seufzer kam über ihre Lippen, dann setzte sie sich auf die Bettkante.

„Du bist schon zurück? Ich wollte doch alles für das Frühstück vorbereiten, bevor du zurückkommst.“
     „Süße, du hast doch sicher eine schwere Nacht hinter dir.“
     „Du weißt?“
     „Ja, dein Zettel liegt noch auf dem Tisch“, Hans streichelte ihr über die Haare.
     Hannah erhob sich, er drückte sein Gesicht gegen ihren Leib. „Ich setze jetzt Teewasser an und mache mich zurecht. Wann sollen wir bei Christine sein?“
     „Zum späten Nachmittag, wir haben noch massig Zeit. Bist du wieder in den Mist gefallen?“
     „Nein, ich habe den Overall auf den Boden gehängt und die Gummistiefel dazu gestellt. Bis Mittwoch kann alles auslüften. Ich hätte früher nach Bayeux kommen sollen. Noch nie habe ich so gut verdient wie hier und ich habe dich gefunden.“

Voll leidenschaftlichem Verlangen zog Hans Hannah zu sich heran. Diese löste sich sanft aus seiner Umarmung, versetzte ihm einen leichten Schlag vor die Brust, „nach dem Frühstück, Liebster“, sagte sie dazu. Sie setzte Teewasser an und wusch sich dann gründlich am Waschbecken. Hans füllte derweil Teeblätter in das Teeei, das er in den Topf hängte, als das Wasser kochte. Während der Tee zog, schaute er voll Vorfreude Hannah beim Waschen zu. „Starr mich nicht so schamlos an, bitte“, sagte Hannah nach einiger Zeit. „Dass meine Blicke schamlos sind, ist eine böse Unterstellung, mein Schatz. Ich gucke verliebt.“ „Du bist ein einmaliger Spinner“, frotzelte Hannah, als Hans das Teeei aus dem Wasser nahm. Hannah kam mit der Körperpflege zu Ende, sie zog ihren Morgenmantel über, ließ den Gürtel aber offen, da sie wusste, dass Hans das gerne hatte. „Du bist mit frisch machen dran, Süßer. Ich baue derweil den Frühstückstisch auf.“ Hannah versuchte mit den wenigen Ausstattungsgegenständen einen freundlich wirkenden Frühstückstisch zu decken, dabei rückte sie den Tisch so zurecht, dass sie ihn leicht von der Bettkante aus erreichen konnten. Die Croissants verteilte sie auf dem einzigen Suppenteller, den sie besaßen. Zwei abgestoßene Dessertteller und die beiden nicht minder demolierten Tassen stellte sie an die dem Bett am nächsten gelegene Tischseite. Auf jeden Dessertteller legte sie ein Messer, zwischen den beiden Gedecken legte sie ein angebrochenes Päckchen Butter bereit. Sie ging um den Tisch herum, betrachtete ihr Werk, zog das Butterpäckchen etwas weiter von der Tischkante zurück und nickte danach anerkennend. Hans unterbrach das Waschen, trat hinter sie und küsste sie auf ihren schön geschwungenen Nacken. Sobald Hans sich gewaschen hatte, setzten sie sich gemeinsam auf die Bettkante.
     „Wenn uns das Schicksal noch einmal zusammenbringen sollte, kaufe ich für dich eine Leinentischdecke und das schönste Kaffeegeschirr von Rosenthal, dazu Silberbesteck und dann deckst du für uns den Tisch. Oder ich decke den Tisch, während du noch schläfst.“
     „Es gibt keine Zukunft für Menschen wie uns“, Hannah stiegen Tränen in die Augen, sie lehnte sich an Hans an.
     „Aber, aber, wir lieben uns, wir lieben uns bis zum Ende! Wenn das keine Zukunft ist!“ Hans legte seinen Arm um Hannahs Schultern.
     Hannah versuchte ihrer Tränen Herr zu werden, was ihr nur unzureichend gelang. „Ich werde dich immer lieben“, sagte sie noch unter Tränen.
     „Du wirst andere Männer kennenlernen! So schwer es mir fällt, dich loszulassen, diese simple Wahrheit macht es mir leichter und wenn ich dich in Sicherheit weiß, dann ist es mir gelungen, zumindest eine der beiden Frauen, die ich geliebt habe, zu retten. Bitte weine nicht, Hannah.“
     „Nein Hans, ich weine nicht mehr. Ich werde wieder weinen, aber nicht jetzt.“
     „Komm Süße, nimm ein Croissant. Wir haben jetzt zwei Tage Zeit. Heute am Nachmittag fahren wir nach Arromanches und morgen fahren wir mit den Fahrrädern in den Forêt de Cerisy, dort machen wir ein Picknick.“
     „Hast du denn Fahrräder für uns?“
     „Für dich habe ich mir das Rad von Madame ausgeliehen. Ich leihe mir das Rad von Jean, dem Wirt.“
     Hannah schmuste sich an, „ich freue mich auf die beiden Tage.“

Eng nebeneinander sitzend aßen sie Croissants und tranken Tee. Als sie mit dem Frühstück fertig waren, wollte Hannah abräumen und das Geschirr abspülen. Hans hielt sie jedoch fest, streifte ihr den Morgenmantel von den Schultern und drückte sie auf das Bett. Mit seinen Fingerspitzen streichelte er Hannahs Brüste, bis sie stöhnte und ein Zittern durch ihren Körper lief. Hans zog sich aus, legte sich neben sie, Hannah kraulte seine Schamhaare während sie sich an Hans‘ Seite ankuschelte. Sie spielten miteinander und alle Sorgen fielen von ihnen ab. Als ihre Leidenschaft befriedigt war, lagen sie noch lange, sich an den Händen haltend, nebeneinander auf dem Bett. Hans versuchte Hannah am späteren Mittag zum Aufstehen zu bewegen. Diese reagierte zuerst brummig, dann schmusend darauf, um die Zeit im Bett zu verlängern. Schließlich gab sie seinem Drängen nach, stand auf und machte sich nackt am Waschbecken stehend zurecht. Hans war begeistert von ihrem geschmeidig wirkenden Körper, es tat ihm ein wenig leid, dass er Hannah zum Aufstehen gedrängt hatte. „Aufstehen oder ich kitzle dich“, schallte es vom Waschbecken her, als Hannah fertig war. Lachend stand Hans auf und zog sich an. Da Hannah immer noch nackt war, schnappte er sie sich und kitzelte sie ausgiebig. Da Sonntag war und warmes Sommerwetter herrschte, war der Omnibus gut besetzt mit Tagesausflüglern, die sich auf einen Nachmittag am Meer freuten. Hannah und Hans fanden wieder Sitzplätze auf der Sitzbank direkt im Heck des Wagens. Sie saßen still beieinander und hielten sich an den Händen. Etwas von der fröhlichen Stimmung der Tagesausflügler übertrug sich auf die beiden Liebenden. Als beide an der Promenade standen, lehnte sich Hannah an Hans an, „Liebster, es ist unser fünfter gemeinsamer Tag und der vierte Tag unserer Liebe. Wie viele Tage haben wir noch?“ Hans legte ihr einen Arm um die Schultern, „ich weiß es ehrlich nicht.“ Seine Stimme stockte, am liebsten hätte Hans gesagt, dass sie für immer bei ihm bleiben könne, aber das war unrealistisch, vor allem da er Hannah vor den Nazis retten musste. ‚Hannah kriegen sie nicht‘, ging ihm durch den Kopf. Hans legte Hannah eine Hand um die Hüfte und sie ließen sich im Gedränge der Ausflügler in Richtung Tracy-sur-Mer treiben. Dort ließ das Gedränge merklich nach und sie nahmen sich bei den Händen. Sie legten jetzt einen flotten Schritt vor und erreicht schon bald das Ende der Promenade. Dort wendeten sie und gingen in Richtung von François‘ Bar.

„Liebster, mir ist es eigentlich peinlich, dass wir nicht einmal eine kleine Aufmerksamkeit für Christine haben.“
     „Ich habe eine Aufmerksamkeit, ich bringe dich mit.“
     Hannah versetzte Hans einen Knuff, „du bist und bleibst ein Spinner.“
     „Sprichst du eigentlich ausreichend Englisch?“
     „Ich glaube, das ist kein großes Problem, obwohl mein Französisch schon immer besser war. Die Sprache mag ich einfach lieber.“
     „Dann ist es gut, sonst hätten wir gemeinsam noch etwas geübt.“
     „Nein! Mit dir spreche ich nur Deutsch oder Französisch, eine andere Sprache verträgt unsere Liebe nicht. Wenn wir uns einmal wiedersehen sollten, dann mein Schatz bringst du mir Spanisch bei. Wenn du mir das versprichst, habe ich etwas, auf das ich hoffen kann.“
     „Ja, das machen wir und wenn der Faschismus besiegt ist, reisen wir nach Extremadura, dort war ich während des Krieges.“
     „Während des ganzen Krieges?“
     „Nein, danach war ich in Madrid und zum Schluss war ich im Katalonien.“
     „Und da möchtest du nicht hin?“
     „Doch, wir werden oft nach Spanien reisen, sobald der Faschismus besiegt ist.“ Sie kamen bei der Bar an.
     „Ah, Christines Gäste trudeln ein“, begrüßte François die beiden. „Ein Bier zur Einstimmung, Christine hat noch zu tun. Paul erwarten wir auch.“
     Hans schaute Hannah fragend an. „Ja gern, François“, antwortete sie.

Sie setzten sich an einen Tisch nahe der Theke, damit sie weiter mit François sprechen konnten. In der Bar waren um diese Zeit noch keine weiteren Gäste, nur einmal kam ein älterer Mann herein, der eine Tasse Kaffee trank, er und François begrüßten sich freundschaftlich mit einer Umarmung. In der übrigen Zeit führten die Drei ein lockeres und unbeschwertes Gespräch. Hans legte dabei Hannah wieder einen Arm um die Schultern, sie schien an diesem Nachmittag alle Ängste vergessen zu haben. Nachdem sie ihr Bier geleert hatten, meinte François zu Hannah, sie könne schon einmal nach hinten gehen, vielleicht könne sie Christine zur Hand gehen. Kaum war Hannah gegangen, setzte sich François zu Hans an den Tisch.
     „Es gibt Gerüchte, die Deutschen würden ihre Flotte mobilisieren. Es scheint ernst zu werden.“
     „Kriegen wir Hannah vor dem Krieg noch heraus?“
     „Ich habe alles sondiert, Dienstag in einer Woche fährt mein Freund Félix in Richtung England. Er ist sehr zuverlässig, du kennst ihn.“
     Hans nickte, „ja, und wie viel will er haben, wenn er Hannah mitnimmt?“
     „Er macht es kostenlos, aus Freundschaft. Die Engländer, die Hannah übernehmen, sind natürlich weniger selbstlos.“
     „Wie viel?“
     François schüttelte den Kopf, „nichts, Paul zahlt.“
     „Wie bitte?“
     „Ja, er meint, dass Hannah das wert sei.“
     „Ich glaube nicht, dass Hannah das Recht ist.“
     „Man muss nicht alles weiter sagen, was man weiß! Sage Hannah noch nichts davon, es könnte noch schiefgehen und das Glück, das sie im Moment verspürt, wollen wir doch nicht zu früh zerstören?“
     „Nein, natürlich nicht.“
     Paul und seine Frau Georgine kamen durch die Tür. François erhob sich und zapfte für beide ein Bier. Paul klopfte Hans auf die Schulter und setzte sich neben ihn. „Wie geht’s, Hans?“
     „Nun ja, es ist nicht so toll seine Frau über das Meer nach England zu schicken.“
     „Ich kann dich verstehen, Hans, aber du hast die richtige Entscheidung getroffen. Die Nazis werden kommen und dann geht es den Juden schlecht. Dir übrigens auch.“
     „Mich müssen sie zuerst einmal erwischen, vorausgesetzt, man lässt uns früh genug aus den Lagern.“
     Paul nickte, „noch ist Zeit. Noch kannst du über den Kanal.“
     „Nein, ich bleibe, ich laufe nie wieder weg. Nur Hannah muss gerettet sein, ich will und kann nicht noch eine Frau an die Nazis verlieren. Paul, ich bin voller Hochachtung für das, was du für Hannah tust.“
     „Nicht der Rede wert, Mademoiselle Schwarz ist meine Assistentin, ich fühle mich verpflichtet für mein Personal zu sorgen. Ich habe ihr vorgeschlagen im Studium auf Veterinärmedizin umzusteigen, aber ein weiteres Studium steht wohl für sie in den Sternen.“
     „Ach, lasst doch heute eure Probleme weg, schließlich hat Christine heute Geburtstag“, sagte Georgine, als François das Bier für sie und Paul auf den Tisch stellte. Es setzte sich wieder und nahm seine Schwägerin kurz in den Arm.
     „Du hast recht, mein Schatz! Hans, ihr habt noch gut eine Woche, nutzt die Zeit“, sagte Paul, nachdem er an seinem Bier getrunken hatte.

Hannah hatte in der Küche Christine gratuliert, die beiden Frauen hatten sich herzlich umarmt. Christine putze gerade Gemüse und Hannah bot ihr an, ihr zur Hand zu gehen. Eine Zeit lang arbeiteten die beiden Frauen schweigend. Dann überließ Christine Hannah den Rest des Gemüses und nahm Fische aus. Plötzlich wandte sie sich zu Hannah um. „Behandelt dich mein Bruder nett?“
     „Ja sicher, nur sehr distanziert. Aber er zahlt sehr gut.“
     „Ich meinte mit meiner Frage eigentlich, ob du mit seinem distanzierten Getue umgehen kannst.“
     „Ich finde es zwar etwas seltsam, aber eigentlich ist er nett, das ist die richtige Bezeichnung dafür, wie er mich behandelt.“
     „Andere haben da mehr Schwierigkeiten und können nicht damit umgehen.“
     „Vielleicht habe ich es da einfacher, weil ich Deutsche bin, da ist das üblich.“
     „Für mich ist das Getue. Dabei ist Paul sonst ganz locker. Nur mit seinen Angestellten macht er so ein Getue.“
     „Er zeigt und erklärt mir alles ganz genau und seine Anweisungen sind absolut präzise. Ich lerne viel bei ihm. Letztens meinte er, ich solle mit meinem Studium auf Veterinärmedizin umsteigen, aber das Studium hat sich für mich ohnehin erledigt.“
     „Das war wohl das höchste Lob, das er zu vergeben hat.“ Beide Frauen lachten.
     „Wenn die blöde Warterei bei der Bereitschaft nicht wäre, würde mir die Arbeit richtig Spaß machen.“
     Plötzlich stand Docteur Beaudoin in der Küche. „Die Damen sprechen über mich, ich hoffe nur Gutes“, sagte er mit seiner dröhnenden Stimme. Er drücke seine Schwester und gab Hannah förmlich die Hand.
     „Man klopft an und wartet, bis man hereingebeten wird, du Büffel!“, war Christines schnippische Antwort.
     „Nicht doch, Schwesterherz, wir lieben uns doch. Nun zu ihnen, Mademoiselle Schwarz, ich habe ein Angebot für sie. Meine Assistentin in der Kleintierpraxis muss zu ihrer erkrankten Mutter nach Cherbourg. Sie fährt Dienstag nach Praxisschluss. Wenn sie möchten, können sie mir ab Mittwoch in der Praxis helfen, möchten sie das?“
     „Ja gern, Monsieur.“
     „Und es wird ihnen nicht zu viel? Denn die Bereitschaft muss natürlich weiterlaufen. Deshalb habe ich sie schließlich eingestellt, Mademoiselle Schwarz.“
     „Ich weiß, Monsieur! Ich schaffe das! Solange ich in der Praxis bin, ist die Bereitschaft nicht so furchtbar langweilig.“
     „Gut, die Praxis öffnet um neun. Von eins bis drei ist Mittagspause, Schluss ist abends um sieben. Samstagnachmittag und sonntags ist die Praxis geschlossen.“
     „Danke Monsieur, ich hoffe, ich kann ihre Anforderungen erfüllen.“
     „Da bin ich mir sicher, Mademoiselle Schwarz.“
     Christine konnte sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen. „Mein Gott, seit mir nicht böse, aber an meinem Geburtstag würde ich gerne über freundlichere Sachen sprechen. Paul, geh an die Bar, trink ein Bier und lass uns Weiber etwas tratschen. Du nimmst doch sicher Hans und Hannah am Abend mit nach Bayeux?“
     „Ja sicher, sonst kommen sie ja nicht mehr aus eurem Kuhkaff heraus.“
     „Seebad, mein lieber Bruder und jetzt sei so gut und geh!“
     Nachdem Docteur Beaudoin gegangen war, schnaufte Christine verächtlich, „Mademoiselle Schwarz, noch hochgestochener kann man in meiner Küche wirklich nicht reden.“
     „Nicht doch Christine, ich kann das ab“, Christines Wut brachte Hannah zum Lachen.
     Auch Christine lachte. „Ich habe dich gerne in meiner Nähe und Paul hegt, glaube ich, die gleichen Gefühle, tut aber, als sei er der König der Normannen.“ Sie holte tief Luft und sagte dann, „heute am Sonntag wird sich die Bar schnell leeren. Ich richte das Essen so, dass wir um halb neun essen können. Wir haben jetzt Zeit uns zu den Männern zu setzten. Für Hans bist du ein wahrer Glücksfall.“
     „Wie kommst du denn da drauf?“
     „Dem hat eine Frau gefehlt, die ihn auf Vordermann bringt. Schade, dass du nicht bleiben kannst.“
     „Ich würde gerne bleiben, aber das geht nicht, sagt Hans zumindest.“
     „Hans hat recht und vielleicht geht alles gut und ihr kommt wieder zusammen.“
     „Ja, vielleicht…“

Schon vor acht leerte sich die Bar merklich. Hans hatte Hannah, nachdem diese mit Christine aus der Küche gekommen war, neben sich auf die Bank gezogen und einen Arm um ihre Taille gelegt. In Hannah machte sich tiefe Zufriedenheit breit. Die Gespräche plätscherten munter dahin. Docteur Beaudoin war sehr locker und alberte mit seiner Schwester herum, nur wenn er Hannah ansprach, wurde er, wie immer bei ihr, förmlich. Christine verdrehte dann genervt die Augen. Schon kurz bevor die letzten Gäste gingen, zogen sich die beiden Frauen wieder in die Küche zurück, auch Georgine folgte ihnen. Sobald der letzte Gast gegangen war, schloss François Tür und Läden der Bar. Christine und Hannah deckten einen der Tische mit Christines feinstem Porzellan ein, während Georgine die Bestecke verteilte, danach servierten sie gemeinsam die Vorspeise.

Hans kam heran, legte Hannah einen Arm um die Schultern und drückte sie. „Eine vielseitig begabte Frau habe ich mir eingefangen.“
     „Und ich habe nur einen unverbesserlichen Spinner abgekriegt“, antwortete Hannah und versetzte ihm einen Knuff.
     „Statt dumme Sprüche zu klopfen, solltest du diese Frau auf Händen tragen, du hast so ein Schmuckstück gar nicht verdient.“
     „Christine, wie kannst du so etwas sagen? Ich bin doch ein netter Kerl.“
     „Du bist ein Quatschkopf und ein Spinner, Hannah hat dich durchschaut.“
     „Nein, ich bin ein nachdenklicher Mensch!“
     „Mag sein, nur von vernünftigen Gedanken habe ich bei dir noch nie etwas bemerkt.“
     Aus dem Hintergrund gesellte sich Paul zu ihnen, „hört auf zu quatschen, schließlich haben wir Hunger.“
     Hans hob Hannah hoch und setzte sie auf einen Stuhl, „der erste Gast sitzt schon. Die Tafel ist eröffnet.“ Alle lachten.

Nachdem Paul die beiden vor der Haustür abgesetzt hatte, zauberte Hans noch eine Flasche Cidre hervor. „Damit beschließen wir den Tag. Für morgen im Forêt de Cerisy habe ich auch noch eine Flasche.“ Hannah saß bereits auf der Bettkante, während Hans die Flasche öffnete. Sie berichtete ihm von Docteur Beaudoins Angebot und auf seine Frage, ob sie zugesagt hätte, antwortete sie mit einem Kopfnicken. Hans stellte die geöffnete Flasche auf den Tisch, zog sie zu sich hoch und gab ihr einen Kuss.
     „Du bist nicht böse?“
     „Böse? Worüber?“, Hans reagierte verdutzt.
     „Weil ich dich nicht gefragt habe.“
     „Hannah, wir sind gleichberechtigte Partner, wenn auch leider nur auf Zeit und nicht zu vergessen, wir sind ein Liebespaar. Was du auch machst oder entscheidest, du bist eine erwachsene Frau und brauchst niemanden um Erlaubnis zu fragen.“
     Hannah kuschelte sich an, „ich bin ungeübt in solchen Dingen. Ich weiß nicht wie sich Paare verhalten. Du bist schließlich mein erster Mann.“
     „Ich würde dir jetzt am liebsten antworten, du wärst ein Dummerchen. Aber das bist du natürlich nicht. Du bist schließlich allein von Frankfurt bis Bayeux gekommen. Dazu bedarf es Intelligenz und Durchsetzungsvermögen.“ Hans goss Cidre in das Glas und eine Tasse, beide tranken vom herben Apfelschaumwein.
     „Du darfst mich nennen, wie du willst, wenn du mich nur liebst“, sagte Hannah, nachdem sie das Glas abgesetzt hatte.
     Hans goss nach und antwortete, „dann sage ich jetzt einfach mein Schatz zu dir.“
     Beide saßen auf der Bettkante und tranken an ihrem Cidre. „Morgen kaufen wir zwei Gläser. Das hat einfach keinen Stil“, bemerkte Hans nach einiger Zeit.
     Hannah schmiegte sich an, „Illegalität und Stil schießen sich aus.“
     „Eigentlich nicht, Stil ist auch, dass wir beide jede Möglichkeit wahrnehmen zu arbeiten, während andere sich treiben lassen und über die Ungerechtigkeit der Welt brüten oder jammern.“

Hannah drängte sich näher an Hans, sie hatte das Gefühl ihre Sehnsucht nicht mehr ertragen zu können. Er reagierte umgehend auf ihr Drängen und schob ihren Rock vorsichtig nach oben. Hannah fingerte an seinem Hemd, öffnete die Knöpfe und kraulte ihm die stark behaarte Brust. „Möchtest du, dass wir uns jetzt ausziehen?“, flüsterte Hannah Hans ins Ohr. Er streichelte ihr sanft über den Rücken. „Soll ich weggucken?“ Hannah schüttelte den Kopf, „nein, du bist mein Mann, du darfst gucken.“ Umgehend stand Hannah auf und zog sich aus. Hans wartete bis sie nackt im Zimmer stand, dann erhob er sich von der Bettkante, schlug die Bettdecke zurück, nahm Hannah auf die Arme, legte sie auf das Bett und deckte sie zu, zog sich selber aus und kroch ebenfalls unter die Decke. Hannah kuschelte sich an und streichelte Hans intensiv zwischen den Oberschenkeln. Er stöhne lustvoll auf und versuchte sie am Bauch zu kitzeln. Als das nicht klappte, legte er sich auf Hannah und hinderte sie so daran ihn weiter zu streicheln. Eng umschlungen lagen sie so einige Zeit beieinander, bis Hannah damit begann ihn statt zwischen den Beinen an den Pobacken zu streicheln. Wieder stöhnte Hans, was Hannah dazu verleitete, mit einer Hand nach seinem Penis zu greifen und diesen zu massieren. Er drang vorsichtig in sie ein, anfangs bewegten sie sich kaum, umso intensiver tauschten sie Küsse aus. Danach wurde das gegenseitige Drängen heftiger, er drehte sich um, sodass sie auf ihm zu liegen kam. Hannah hockte sich auf ihn, sie hob und senkte rhythmisch ihren Schoss. Hans zog sie zu sich herunter, als sie fast gleichzeitig zum Höhepunkt gelangten. Noch lange lagen sie wach. Später stand Hans auf und knipste das Licht aus. Noch einige Zeit lagen sie sich an bei den Händen haltend nebeneinander, dann kuschelte sich Hannah wieder bei ihm an und bald danach schliefen beide ein.

Als Hannah erwachte, schien die Sonne durch das Fenster und ließ sie blinzeln. Sie tastete nach Hans, sie merkte, dass sie allein im Bett lag. Als sie sich aufsetzte, sah einen Zettel auf dem Tisch liegen. Hannah griff nach dem Zettel und las: Meine Liebste, hast Du gut geschlafen? Ich hole nur die Fahrräder, bringe Croissants und Baguette mit und besorge auch noch einiges für unser Picknick im Forêt de Cerisy. Ich liebe und ich küsse Dich. Hannah erhob sich, wusch sich, setzte Wasser zum Kochen auf und füllte Tee in das Teeei. Sorgfältig kämmte sie sich die Haare und zog ihren Morgenmantel über. Als Hannah den Tee zum Ziehen von der Kochplatte genommen hatte, kam Hans zur Tür hinein. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. „Hey, mach deinen Mann nicht kaputt“, sagte Hans, bevor er sie in die Arme nahm. Als der Tee gezogen war, goss Hannah ihn in die beiden abgestoßenen Tassen, öffnete die Tüte mit den Croissants und legte diese so auf den Tisch, dass sie sie von der Bettkante aus erreichen konnten. Die Tassen stellte sie nebeneinander auf den Tisch, sodass auch diese von der Bettkante aus erreichbar waren. Dann nahm sie Hans bei der Hand, zog ihn in Richtung Bett, drehte sich noch einmal kurz um, drückte ihm einen Kuss auf den Mund und ließ sich dann auf der Bettkante nieder. Hans setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. Sie saßen eng aneinander gelehnt auf der Bettkante und genossen ihre Nähe. Hans gab Hannah einen leichten Stups. „Wir sollten essen, sonst werden die Croissants alt und wir sollten uns stärken für unsere Radtour zum Forêt de Cerisy.“ Hans reichte Hannah ein Croissant, nahm selbst vorsichtig einen Schluck von seinem noch heißen Tee und aß dann auch ein eins. Danach brach er ein Stück von einem Baguette ab und kaute andächtig daran. Hannah erhob sich und spülte die Tassen, Hans stellte zwei Gläser auf den Tisch. „Die habe ich besorgt, wir nehmen sie mit, denn daraus trinken wir beim Picknick unseren Cidre.“ Hans hatte bei Madame einen Picknickkorb ausgeliehen, in den er jetzt die Vorräte packte. Er nahm den Picknickkorb in die eine Hand, mit der anderen wollte er Hannah aus dem Zimmer ziehen. Sie widersetzte sich, „ich kann doch nicht im Morgenmantel mit dir zum Forêt de Cerisy radeln.“ Beide lachten und nahmen sich in die Arme.

Kaum hatten sie die Stadt verlassen, fuhren sie nebeneinander über stille Landstraßen. Es war sehr still auf dem Weg zum Forêt de Cerisy. Außer einigen Fuhrwerken und dem Omnibus, der von Cerisy-la-Forêt nach Bayeux unterwegs war, trafen sie auf keinerlei Fahrzeuge. Hans betrachtete ab und zu die neben ihm fahrender Frau und wenn sie es bemerkte, stieg Wärme in ihr auf und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie waren bereits über eine Stunde unterwegs, als sich vor ihnen die Silhouette des Waldgebietes abzeichnete. Die Straße führte mitten in den Forst und nach einiger Zeit fuhr Hans langsamer. Sie kamen zu einem Waldweg, in den sie einbogen. Der Weg führte sie zu einer Lichtung, auf der sie von den Rädern stiegen. Schön hier, bemerkte Hans dabei und Hannah sah ihn verliebt an. „Wir müssen mit Zeitungen zum Sitzen vorlieb nehmen, eine Decke konnte ich nicht auftreiben.“ Hannah gab Hans einen Kuss, breitete die Zeitungen aus und baute das Picknick auf. Sie saßen danach eng beieinander auf dem Zeitungspapier, Hans öffnete den Cidre und goss diesen in die Gläser. Sie genossen die Wärme des Sommertages, aßen ab und zu von ihren Vorräten und tranken in kleinen Schlucken vom Cidre. Als die Sonne weiter nach Süden drehte, geriet die Stelle, an der sie saßen, mehr in den Schatten. Hans fragte, ob sie zu einem sonnigeren Platz umziehen sollten, Hannah schüttelte aber den Kopf. Nachdem sie ihre Vorräte fast verzehrt hatten, brach bei Hannah leidenschaftliche Sehnsucht aus. Vorsichtig führte sie eine Hand in Richtung seines Geschlechts und massierte Hans dort sanft. Daraufhin zog Hans ihren Kopf auf seinen Schoss und zog mit einem Finger die Formen ihres Gesichts nach. Unerwartet ereilte Hannah Verlustangst. Tränen stiegen ihr in die Augen.
     „Warum, mein Liebster, müssen wir in diesen unsicheren Zeiten leben?“
     Hans wischte ihr die Tränen ab, „nicht traurig sein, Liebste, wenn die Nazis weg sind, sehen wir uns wieder, wir gründen eine Familie und lieben uns bis zum Lebensende.“
     Hannah schüttelte den Kopf, „diesen Traum haben die Nazis verboten.“
     „Wir müssen diese Hoffnung leben bis zum Ende, sonst sind wir für immer verloren. Wenn du nach dem Krieg Kontakt zu mir herstellen willst, wende dich an François. Ich werde ihm immer mitteilen, wo du mich finden kannst. Wenn du einen anderen Mann findest, mein Schatz, dann vergiss mich.“
     „Ich weiß nicht, was wird, Süßer. Aber nach dem Krieg, da gehe ich zu François. Schließlich habe ich Schulden bei dir.“
     „Du schuldest mir nichts. Du bist meine Frau, Mann und Frau ist so etwas Besonderes, da gibt es keine Schulden.“
     „Ich liebe dich und nach dem Krieg sehen wir uns wieder“, Hannah drückte ihr Gesicht fest auf seinen Schoß.

Sie tranken den Rest des Cidres und lagen danach sich an den Händen haltende im Gras. Über ihnen zogen, von der Sonne angestrahlte hohe Wolken über den blauen Himmel. Hannah drängte sich nach einiger Zeit heftig an die Seite von Hans. Hans strich ihr über die Haare und schlug dann vor nach Hause zu fahren. Sie nickte und so packten sie ihre Sachen zusammen und stiegen auf die Räder. Sie hatten den Wind im Rücken und Hans wählte die Strecke vorbei am Château de Balleroy. Auf dieser Straße war es noch ruhiger, als auf der Hinfahrt. So fuhren sie nebeneinander her und selbst, als sie die Silhouette von Bayeux am Horizont auftauchen sahen, nahm der Verkehr nicht zu. Das sind die letzten Tage des Sommers und die letzten Tage des Friedens, kam es Hans in den Sinn. Einmal spielte er kurz mit dem Gedanken, doch zusammen mit Hannah nach England zu gehen. Er verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder, er wollte und musste bleiben, bis die Nazis besiegt waren. Ihm war klar, dass das Jahre dauern könnte, aber es musste getan werden. Hannah vor den Nazis zu retten war genauso wichtig und wenn Félix Hannah in der nächsten Woche wirklich nach England brachte, hatte er zumindest eine Sorge weniger. Der Gedanke an die Trennung erzeugte in ihm Traurigkeit, aber er überspielte diese Stimmung, sodass Hannah nichts davon mitbekam.

In Bayeux hielten sie bei Jean an und Hans gab ihm das Rad zurück. Jean, der gerade nichts zu tun hatte, lud beide auf ein Glas Bier ein. Die beiden Männer sprachen über die Kriegsgerüchte, die überall herumschwirrten. Jean war der Meinung, die Deutschen würden sich die Finger verbrennen, wenn sie Frankreich angriffen. Hans widersprach, aber Jean wollte nicht glauben, dass die deutsche Kriegsmaschine sein stolzes Land besiegen könne. Hannah stand still dabei. Wie immer, wenn jemand die Meinung vertrat, die Nazis würden besiegt werden, keimte in ihr die Hoffnung auf, es könne alles gut werden. Nur glaubte sie inzwischen fest daran, dass Hans besser informiert war. Hans würde sie niemals drängen zu gehen, wenn er nicht sicher wäre, dass die Nazis siegen würden. Nachdem sie sich von Jean verabschiedet hatten, hängte Hans den Picknickkorb an den Lenker von Madames Rad, stieg auf und Hannah setzte sich seitwärts auf den Gepäckträger. Sie umfasste Hans mit den Armen und lehnte sich an seinem Rücken an.

„Bringen wir das Rad nicht zu Madame zurück?“, fragte Hannah, als Hans vor der Haustür zu seinem Zimmer anhielt.
     „Nein Süße, ich gebe das Rad zurück, wenn ich zur Arbeit muss. Komm, wir gehen nach oben und lassen den Tag ausklingen.“
     Im Zimmer drängte sich Hannah an Hans, „bitte Liebster, sag mir, was du gestern mit François besprochen hast.“
     „Nichts Wichtiges, Süße.“
     „Bitte Hans, lass mich nicht im Ungewissen, das haben wir nicht verdient.“
     Hans drückte Hannah fest an sich, „ich wollte nicht lügen, Süße. Es ist noch nicht ganz sicher, deshalb waren François und ich der Meinung, du brauchtest es noch nicht zu erfahren.“
     Hannah brach in Tränen aus. „Wann?“, fragte sie schluchzend.
     Hans wiegte sie in seinen Armen und versuchte erfolglos ihre Tränen zu trocknen. Seine Stimme klang rau, „nächste Woche Dienstag.“
     Hannahs Weinen verstummte nach einiger Zeit. „Ich werde tapfer sein, Hans. Nur lass mich bitte nie mehr im Ungewissen.“
     „Ja Süße, ich verspreche es. Du bist kein kleines Mädchen, sondern eine sehr kluge Frau, das hatte ich übersehen. Es wird nie wieder vorkommen.“ Hans zog Hannah heftig an sich.
     „Ich möchte, dass wir die verbleibenden Tage in Liebe verbringen. Wenn wir auseinander gehen, hoffen wir, unsere Liebe wird den Krieg überdauern.“

Für Hans völlig überraschend zog Hannah sofort ihre Kleidung aus. Nackt legte sie sich auf das Bett ohne sich zuzudecken und rekelte sich. Hans lehnte sich an das Fußende und betrachtete die nackte Frau auf dem Bett. Bisher hatte er Hannah noch nie so genau auf der Matratze liegend betrachtet, zuerst weil er Hannah versprochen hatte wegzusehen, wenn sie sich auszog und später hatte Hannah immer sofort die Decke hochgezogen, sobald sie auf der Matratze lag. Ein paarmal hatte er ihr beim Waschen zugesehen, aber immer nur kurz, denn er wollte Hannahs intime Momente nicht durch seine Blicke entweihen. Das Bild seiner Frau nackt auf dem Bett liegend, hatte etwas Provozierendes. Er studierte ihre Formen ausgiebig und merkte, dass Hannah das genoss. Hans setzte sich zu ihr auf die Bettkante, streichelte ihre festen Brüste und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Dein Benehmen ist schamlos“, flüsterte er, während seine Hand zu ihren Schamhaaren wanderte. „Du bist wirklich ein Spinner. Wir haben uns schon mehrmals erkannt, da können wir miteinander gar nicht mehr schamlos sein“, sich rekelnd schmuste sich Hannah an Hans an. Sie zog Hans das Hemd aus dem Hosenbund und führte eine Hand unter das Hemd zu seinem Rücken. Er reagierte damit, dass er sich das Hemd auszog und sich neben sie auf das Bett fallen ließ. Leidenschaftlich schmuste Hannah und schob eine Hand unter seine Hose. Hans erhob sich noch einmal kurz und zog sich die Hose aus. Sie vereinigten sich zärtlich und besonders liebevoll.

Als am Dienstagmorgen um zwei der Wecker rasselte, erwachten die Beiden eng umschlungen unter der Bettdecke liegend. Nur ungern lösten sie sich voneinander. Immer noch nackt setzte Hannah Teewasser an, erst danach zog sie ihren Morgenmantel über. Nachdem Hans gegangen war, kuschelte sie sich schnell wieder unter die Decke und schlief fast umgehend ein. Sie erwachte zeitig, machte sich fertig und ging einkaufen. Sie empfand, dass Hans ihrem Leben so etwas wie Normalität gab. Eine tiefe Zufriedenheit stellte sich bei ihr ein, während sie Butter, Konfitüre und Obst kaufte. Sie ging suchend durch die Stadt, bis sie ein Geschäft für Haushaltswaren fand. Hannah erstand dort zwei Tassen, eine Teekanne und Servietten. Als sie zurück im Zimmer war, richtete sie das Bett, kehrte aus, setzte den Tee an und bereitete den Frühstückstisch vor. Da Hans noch auf sich warten ließ, richtete sie sorgfältig ihre Haare.

Hans kam von der Arbeit. „Ich glaube es nicht! Meine Frau macht aus unserem öden Zimmer ein gemütliches Zuhause.“
     „Ich will, dass mein Mann es gemütlich hat, wenn er von der Arbeit kommt.“ Sie nahm Hans die Tüte mit den Croissants und die beiden Baguettes ab. Die Croissants legte sie auf den Suppenteller, ein Baguette teilte sie in handliche Stücke.
     Hans goss Tee aus der Teekanne in die neuen Tassen, dann zog er Hannah zu sich heran. „Du bist ein Goldstück“, sagte er und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
     „Ich tue das, weil ich dich liebe und bevor ich morgen zu Docteur Beaudoin gehe, richte ich den Tisch für dich her und in der Mittagspause koche ich für dich.“
     Hans drückte Hannah auf den Stuhl. „Nein, ich führe dich in der Mittagspause aus“, sagte er dabei.
     „Nein, bitte Hans, lass mich für dich kochen. Was wünschst du dir heute zu Mittag?“ Hannah erhob sich vom Stuhl und setzte sich auf die Bettkante.
     Hans setzte sich neben sie, küsste sie und sagte, „Hannah liebes, wollen wir nicht lieber ans Meer fahren? Heute ist es windig, wir könnten uns den Wind ins Gesicht blasen lassen.“
     „Nur wenn ich morgen Mittag für dich kochen darf.“
     „Nein, dann koche heute, wir gehen am Nachmittag spazieren und morgen darf ich dich ausführen.“
     „Abgemacht“, antwortete Hannah und biss ein Stück von einem Croissant ab. „Du ruhst dich nach dem Frühstück aus und ich gehe auf den Markt.“
     „Nein Schatz, wir gehen gemeinsam auf den Markt und wenn du eingekauft hast, trage ich das Einkaufsnetz. Wir kehren auf dem Rückweg bei Jean ein und trinken ein Bier.“

Hannah spülte nach dem Frühstück, während Hans hinter ihr stand, das abgewaschene Geschirr annahm und abtrocknete. Nach dem Spülen wischte Hannah mit dem ausgewrungenen Feudel den Tisch ab und stellte die Tassen und den Suppenteller in das einzige Regal des Zimmers. Sie zog ihren Trenchcoat über, nahm das Einkaufsnetz, drehte sich nach Hans um und sagte, „Liebster, willst du dich nicht doch lieber etwas ausruhen.“ „Nein, ich möchte mit zum Markt.“ „Dann komm“, Hannah zog Hans aus dem Zimmer. Auf dem Markt gingen sie Hand in Hand entlang der Stände. „Magst du Eintopf, Süßer?“, fragte Hannah und fügte hinzu, „sonst wird es schwierig, da wir nur eine Kochplatte und auch nur einen Topf haben.“ „Ja, gerne.“ Hannah suchte einen chou vert aus, dazu kaufte sie Kartoffeln und eine Zwiebel. „Können wir uns etwas Gehacktes leisten, Schatz?“ „Ja sicher, Süße! Wir gehen gleich beim Schlachter vorbei.“ Hannah lehnte sich an ihn an und lächelte. Als alle Einkäufe im Netz verstaut waren, nahm Hans Hannah bei der Hand und gemeinsam gingen sie zu Jean. Dieser stand hinter dem Tresen und zeigte sich hocherfreut, als er die beiden Gäste erkannte.
     „Was für ein Glanz in meiner bescheidenen Hütte“, Jean setzte ein breites Grinsen auf. Er begrüßte Hannah mit Wangenküssen.
     „Hannah ist leider noch zu gehemmt dir gegenüber, so sage ich dir, was sie normalerweise jetzt sagen würde – du bist ein Spinner.“
     „Gut, das sehe ich ein! Was gibt es bei euch zu essen, bin ich eingeladen?“
     „Hannah möchte kochen, aber es wird schwierig. Wir haben nur eine Kochplatte.“
     Jean wiegte den Kopf, „ich habe noch einen Kocher mit zwei Kochplatten. Den brauche ich zurzeit nicht. Ich leihe ihn dir, Hannah.“
     „Danke, das ist lieb Jean, das hilft aber leider nicht weiter, denn wir haben auch nur einen Kochtopf.“
     „Macht nichts, Hannah, dann leihe ich dir auch noch einen Kochtopf. Wartet einen Moment“, Jean wandte sich ab, drehte sich aber gleich wieder um und grinste, „fast hätte ich euch verdursten lassen. Ich zapfe euch zuerst ein Bier und hole dann den Kocher und den Topf.“

Hannah und Hans blieben mit ihrem Bier am Tresen stehen, Hannah lehnte sich bei Hans an und hing ihren Träumen von einem Leben in Geborgenheit nach. Sie wunderte sich über sich selbst, nach dem Abitur und während des Studiums hatte sie immer von einem unabhängigen Leben geträumt und das auch jeden jungen Mann, der sich für sie interessierte deutlich spüren lassen. In unsicheren Zeiten, ändern sich wohl die Prioritäten, war die Erklärung, die sie dazu fand. Hans legte wieder einen Arm um ihre Schultern und erntete einen dankbaren Blick dafür. Jean kam wieder in die Gaststube, auf seinen Armen trug er einen noch gut erhaltenen Elektrokocher und einen Kochtopf. Er stellte beides auf den Tresen, „so ihr beiden Täubchen, das ist jetzt eure Kochausstattung. Noch ein Bier?“ „Gerne, aber nur für mich, Hannah kann vielleicht nicht mehr kochen, wenn sie zu viel trinkt.“ Hans erhielt einen Knuff, „du hast zwar recht Süßer, aber ich kann schon allein entscheiden.“ Hans streichelte Hannah über die Wange, „sei gut, liebste, ich habe es nicht böse gemeint.“ Hannah schmuste sich wieder an ihn an, während Hans ein zweites Bier trank. Das Gespräch während dieser Zeit drehte sich, wie so oft, um die Kriegsgerüchte. Jean war immer noch optimistisch, er glaubte Frankreich gut gerüstet. Hans widersprach, stieß aber bei Jean wieder auf taube Ohren. Hannah wusste nicht mehr, was sie glauben sollte, hielt aber die Argumente von Hans und François für durchaus nachvollziehbar und somit einen Krieg für wahrscheinlich. Als Hans sein Bier geleert hatte, nahm er den Kochtopf und steckte diesen in das Einkaufsnetz, dann verabschiedete er sich von Jean, nahm den Elektrokocher und reichte Hannah das Netz. Hannah verabschiedete sich von Jean mit Wangenküssen. „Danke für den Kocher und den Topf“, sagte sie dazu. „Nicht der Rede wert, Mädchen“, Jean setzte wieder sein Grinsen auf.

Zu Hause angekommen, baute Hans den Elektrokocher auf und schloss ihn an den Strom an, während Hannah das Gemüse putzte und Zwiebeln und Kartoffeln schälte. Als der Kocher betriebsfertig war, setzte sich Hans auf die Bettkante und schaute Hannah beim Kochen zu. So, wie sie dabei hantierte, machte es auf Hans den Eindruck, als hätte sie nie etwas anderes getan. Je weiter die Fertigstellung des Eintopfs fortschritt, umso verführerischer wurde der Duft, der sich im Zimmer ausbreitete. Hannah bat Hans zwischenzeitlich das Fenster zu öffnen, was dieser eigentlich für überflüssig hielt. Als Hannah fertig mit dem Kochen war, stellte sie den Suppenteller auf den Tisch, legte einen Löffel dazu und strahlte Hans an. „Bitte liebster, setz dich“, sagte sie und füllte den Teller auf. „Und du?“ „Ich esse direkt aus dem Topf“ „Nein, das will ich nicht.“ Hannah versuchte einen strengen Blick, „wir machen es so, wie ich es sage, schließlich habe ich gekocht.“ Hans lachte und gab nach. Er probierte und fand, dass er schon lange nicht mehr so einen guten Eintopf gegessen hatte. Nach dem Essen spülten sie wieder gemeinsam und setzten sich anschließend zusammen auf die Bettkante.

Den Nachmittag verbrachten sie mit einem weiten Spaziergang außerhalb der Stadt. Sie gingen entlang der Hecken, die Weiden und Streuobstwiesen begrenzten. Hans lenkte seine Schritte zuerst in Richtung Vaux-sur-Aure und schwenkte dort über die Aure in Richtung Sommervieu. Auf der Brücke über den Bachlauf hielten sie kurz an. Hannah schaute auf das Wasser, während Hans ihr einen Arm um die Schulter legte. Der Weg nach Sommervieu verlief sehr einsam über eine schmale Straße, deren beide Seiten von Hecken gesäumt waren. In dem kleinen Dorf fragt Hans, ob sie in der Bar einkehren wollten. Hannah verneinte, sie hatte den Wunsch, die Zeit mit Hans allein zu verbringen. In Bayeux kauften sie ein Baguette, ein Stück alten Käse und ein großes Stück Pont l’Evêque. Sie spazierten danach noch etwas ziellos durch die Stadt, als sie zum Wehr der Wassermühle an der Aure kamen, verspürte Hannah Trauer in ihrem Herzen, sie erinnerte sich daran, dass Hans ihr hier eröffnet hatte, dass sie keine gemeinsame Zukunft hatten. Hans spürte ihre veränderte Stimmung und umfasste sie fest um die Taille, als sie weitergingen. Sie kamen zur Kathedrale und Hans zog Hannah in das Innere. Dort zog er sie weiter in die Krypta. Hannah bewunderte die jahrhundertealten Fresken. Sie schaute sich einmal um, als sie sicher war, dass sie allein in dem unterirdischen Gewölbe waren, drückte sie Hans einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund und sagte danach, „ich hätte direkt nach Bayeux kommen sollen, statt mich in Paris zu verstecken.“ „Ach liebste, machen wir uns keine Gedanken darüber. Wir haben uns hier ineinander verliebt und wir wollen unsere Zeit nutzen.“ Sie gingen wieder nach oben und besichtigten den dreischiffigen Kirchenbau. Wieder auf dem Zimmer teilte Hannah das Baguette in mehrere Teile und verteilte den Käse auf dem Suppenteller. Sie setzten sich wie gewohnt auf die Bettkante und aßen Käse und Brot.
     „Liebster, an einem meiner letzten Tage in Bayeux gehen wir noch einmal in die Kathedrale. Vielleicht hilft es, damit wir uns eines Tages wiedersehen.“
     „Ich glaube nicht an so etwas, aber es kann ja nicht schaden.“
     „Ich bin auch nicht religiös, aber wen, außer Gott, könnten wir sonst um Hilfe bitten?“
     Hans streichelte Hannah über die Haare. „Du als Jüdin solltest aber in einer Synagoge Gott um Hilfe bitten.“
     „Gibt es denn eine Synagoge in Bayeux?“
     „Nein, aber in Deauville. Möchtest du, dass wir zu dieser Synagoge fahren.“
     „Nein, ich glaube, Gott ist in jedem Gotteshaus anwesend. Ich habe auch nicht vor zu beten, denn das wäre Heuchelei.“
     „Hannah, wir gehen in die Kathedrale und hoffen auf Hilfe. Wir werden uns nach dem Krieg wiedersehen, da bin ich ganz sicher.“
     „Ich hoffe darauf.“

Nach dem Essen war es Zeit für Hans ins Bett zu gehen. Sie lagen eng beieinander und schliefen bald ein. Als Hans in der Nacht zur Boulangerie gegangen war, hatte Hannah den Wecker gestellt, um pünktlich bei Docteur Beaudoins Praxis zu sein. Sie wurde aber lange vor dem Rasseln des Weckers wach. Nachdem sie sich frisch gemacht hatte, deckte sie für Hans den Frühstückstisch und nahm dann ein Blatt Papier. Mit einem Bleistiftstummel schrieb sie: Liebster, ich wünsche Dir einen angenehmen Vormittag, lasse Dir Dein Frühstück schmecken und setze dich dabei bitte an den Tisch. Ich freue mich auf unser Wiedersehen am Mittag. Ich küsse und umarme Dich, Hannah. Sie lehnte den Zettel an die Tasse und packte Overall, Gummistiefel und Handschuhe zu einem Paket. Da sie Hunger verspürte, aß sie die Reste des inzwischen ausgetrockneten Baguettes und machte sich dann umgehend auf den Weg zur Praxis.

Hans kam von der Arbeit mit einer Tüte Croissants und einem Baguette unter dem Arm. Er staunte nicht schlecht über den gedeckten Tisch, nahm Hannahs Zettel und las ihn. Säuberlich faltete er ihn danach zusammen und verbarg ihn in der Innentasche seiner Jacke. Er kochte das Teewasser ab und füllte es in die von Hannah vorbereitete Teekanne. Er goss den Tee in die Tasse, nachdem dieser gezogen war und brach sich ein Stück vom mitgebrachten Baguette ab. Eigentlich wollte Hans am Fenster stehend essen, besann sich dann aber eines Anderen und folgte Hannahs Wunsch. Er setzte sich an den Tisch, schnitt das abgebrochene Stück des Baguettes auf und bestrich es mit Konfitüre. Langsam und bedächtig aß Hans das Brot, trank ab und zu schlürfend am Tee und füllte die Tasse noch einmal auf, nachdem er sie geleert hatte. Aus der Tüte zog er ein Croissant und aß auch dieses. Hans erwischte sich wieder dabei, dass er daran dachte, Hannah nicht wegzuschicken. Gewaltsam beendete er diesen Gedankengang, sollte es überhaupt jemals eine Zukunft für ihn und Hannah geben, dann musste Hannah jetzt in Sicherheit gebracht werden. Sorge stieg in ihm auf, Hannahs Flucht könne misslingen. Auch diesen Gedanken schob er beiseite, Félix war bei François im Wort und er würde am kommenden Dienstag Hannah in Sicherheit bringen. Um sich abzulenken, widmete er sich wieder intensiv seinem Frühstück, nahm ein weiteres Croissant und schüttete den Rest Tee in seine Tasse. Da ihm einfiel, dass es vor dem Sonntag kein gemeinsames Frühstück mit Hannah geben würde, beschloss er, sich ab morgen eine Zeitung zum Frühstück mitzubringen. Er erhob sich und wusch die Tasse im Waschbecken ab, dann entfernte er mit dem feuchten Feudel die Krümel vom Tisch, genauso so, wie Hannah es machte.

Hans setzte sich auf das Bett und nahm sich das von Hannah ausgeliehene Buch zur Hand. Er wusste, auch Chawa hatte Heinrich Heine und seine Gedichte sehr geschätzt und oft daraus zitiert. Es selbst mochte Heine eher, weil er ihn für einen aufrechten Demokraten hielt. Teile des von Hannah ausgeliehenen Buchs hatte er oft und gerne im Unterricht benutzt. Damit war Schluss, als die Nazis die Macht übernahmen. Verbitterung stieg in ihm auf, er empfand, dass die Nazis sein Leben zerstört hatten. Er dachte voll Liebe an Chawa, aber auch Wut stieg in ihm auf, weil sie gesprungen war. Er schämte sich für diese Wut, konnte sie aber nicht unterdrücken. Die Nazis hatten sie auf dem Gewissen, dafür würden sie büßen und er würde dabei helfen, ihren Untergang herbei zu führen. Seine Gedanken wanderten zu Hannah, die Liebe zu ihr vertrieb seine Rachegelüste. Leider nur eine Liebe für kurze Zeit – kam ihm in den Sinn. ‚Hannah kriegt ihr nicht!‘, sagte er zu sich, danach fielen ihm für einige Zeit die Augen zu. Als er wieder aufwachte, fühlte er sich erfrischt und unternehmungslustig, er beschloss auf dem Markt etwas für den Abend zu besorgen und danach Hannah in der Praxis abzuholen. Er wusste, Hannah legte keinen Wert auf koschere Ernährung, er hätte ihr aber gerne eine Freude damit gemacht. Innerlich verfluchte er sich, dass er es immer Chawa überlassen hatte, für das Essen zu sorgen, so hatte er keinerlei Vorstellung davon, was koscher war und was nicht. Schwein war nicht koscher, das wusste schließlich jeder. So kehrte er bei Jean ein.
     „Ich brauche etwas Koscheres zum Abend.“
     Jean stutzte, „bist du krank oder trittst du zum Judentum über?“
     „Nein, Hannah ist Jüdin und ich will ihr eine Freude machen.“
     „Daher weht der Wind“, Jean setzte das ihm typische Grinsen auf. „Ich frage bei Delphyna, ob sie dir etwas einpacken kann.“ Jean ging in die Küche. Sein Grinsen hatte sich verbreitert, als er zurückkam. „Delphyna packt dir die Reste von einem Brathühnchen ein. Das dürfte euch für den Abend reichen, wenn du ein Baguette dazu kaufst.“
     „Danke, drücke bitte Delphyna einen Kuss auf den Mund.“
     „Trinken wir ein Bier?“
     „Nein, ich hole am Mittag Hannah bei Paul ab, da möchte ich keine Fahne haben.“
     „Was macht sie bei Paul?“
     „Sie arbeitet dort aushilfsweise.“
     Delphyna kam mit den säuberlich verpacken Hühnerteilen aus der Küche. „Jetzt kannst du ihr selbst einen Kuss geben“, grinste Jean.
     Delphyna und Hans begrüßten sich mit Wangenküssen. „Du hast eine Liebe, wie ich höre?“, sagte Delphyna danach.
     „Ja! Hannah ist meine Liebe, sie ist Jüdin und ich möchte ihr eine Freude machen.“
     „Stellst du mir Hannah vor?“
     „Gerne, wir waren schon einige Male hier, aber da warst du nicht da.“
     „Dann lade ich euch jetzt zum Mittag ein. Mehr koscheres, als das, was ich dir eingepackt habe, habe ich aber nicht im Haus.“
     „Hannah ist nicht zimperlich, eine illegale Réfugiée achtet nicht sehr auf koscheres Essen.“
     Jean nahm Delphyna in den Arm und setzte sein breitestes Grinsen auf, „dann mach dich auf den Weg, seine Liebe sollte man nicht warten lassen.“
     „Bis gleich“, Hans wandte sich zur Tür und ging auf die Straße.

Hans brachte das Essenspaket auf sein Zimmer und ging dann beschwingt zur Tierarztpraxis. Als er in die Praxisräume trat, waren Paul und Hannah noch mit dem Verbinden eines Hundes beschäftigt. Die Hundehalterin, eine alte Frau, die Hans flüchtig kannte, mochte sich gar nicht beruhigen und war froh in Hans einen geduldigen Zuhörer für ihre Sorgen gefunden zu haben. Hannah blickte einmal kurz auf und schenkte Hans ein Lächeln. Schließlich nickte Paul zufrieden. „Das haben sie gut gemacht, Mademoiselle Schwarz“, lobte er Hannah. „Danke, Docteur Beaudoin“, antwortete Hannah. Paul erklärte der Hundehalterin, wann sie wieder kommen solle und tätschelte ihr die Wange. Hannah beschäftigte sich derweil mit dem Hund und streichelte ihn. Der Hund schien Hannah zu mögen. Dann übergab sie den Hund an die alte Frau, die sich überschwänglich bedankte und danach die Praxis verließ.
     „Bonjour Paul, wie geht’s?“
     „Bonjour Hans, danke der Nachfrage. Bei der Hilfe muss es mir gut gehen.“ Hannah errötete.
     „Ihr habt gut zu tun, wie ich sehe.“
     „Manchmal zu gut. Nicht wahr, Mademoiselle Schwarz?“
     „Das kann ich noch nicht beurteilen, Docteur Beaudoin. Ich bin ja heute den ersten Tag in der Praxis.“
     „Recht so, aber sie machen das wirklich gut, Mademoiselle Schwarz. Hans holt sie wohl zur Mittagspause ab?“
     „Ja, Docteur Beaudoin.“
     „Dann bis drei.“
     „Au revoir, Paul.“
     „Sagst du Docteur Beaudoin noch, wohin wir gehen, Schatz? Du weißt Bereitschaft.“
     „Wir sind bei Delphyna und Jean. Ich bringe dir Hannah pünktlich zurück, Paul.“
     „Au revoir und guten Appetit.“ Hannah nahm ihr Paket mit dem Overall. „Das können sie ruhig hierlassen, Mademoiselle Schwarz. Ich will ja nicht, dass sie sich in der Kneipe umziehen.“
     „Danke, Docteur Beaudoin! Au revoir.“

Auf der Straße legte Hans Hannah einen Arm um die Taille und ohne Eile gingen sie durch die Stadt. Hannah bewunderte die alten Häuser in den engen Gassen der Altstadt, sie freute sich jedes Mal, über die alten Bauten, heute aber, mit Hans‘ Arm um die Taille träumte sie davon, einmal in einer solchen Stadt gemeinsam mit Hans zu leben. Hans spürte in sich die tiefe Zuneigung, die er für sie empfand, ein tiefes Wärmegefühl stieg in ihm auf, während sich Hannah vertrauensvoll an ihn anschmiegte. Sie traten in Jeans Kneipe ein und Hannah begrüßte Jean mit Wangenküssen.
     Jean grinste, „du machst deinen Mann wohl gerne eifersüchtig.“
     „Willst du wirklich, dass Hannah dich einen Spinner nennt?“, lachte Hans.
     Hannah versetzte Hans einen Knuff, „du bist selbst ein Spinner.“ Hans hob Hannah hoch, drehte sich einmal mit ihr um die eigene Achse und setzte sie ab, ohne sie loszulassen.
     Delphyna kam in die Gaststube. „Was ist denn hier los?“, fragte sie mit verschmitztem Gesichtsausdruck.
     „Ich bringe meine Frau zur Räson.“
     „Aha, ich dachte schon, ihr wollt hier ein Tanzlokal eröffnen.“ Sie wandte sich an Hannah zu. „Du musst Hannah sein, ich bin Delphyna.“ Die beiden Frauen begrüßten sich mit einem Kuss auf jede Wange.
     „Schön, dass wir uns kennenlernen, mit Jean hatte ich ja schon das Vergnügen.“
     „Nah, ob das ein Vergnügen ist?“ Alle lachten. „Jean, schließ ab, wir wollen in Ruhe essen. Hilfst du mir bitte beim Tischdecken und Auftragen, Hannah?“
     „Ja gerne.“

Die beiden Frauen verschwanden in der Küche, Jean schloss die Tür ab und zapfte dann für Hans und sich ein Bier. „Jetzt brauchst du keine Angst mehr vor einer Fahne haben“, beide lachten. Während sie ihr Bier tranken, drehte sich ihr Gespräch wieder um die Kriegsgerüchte. Jean und Hans beurteilten die Lage, wie immer, total unterschiedlich. Nicht einmal das Argument von Hans, dass er Hannah bestimmt nicht wegschicken würde, wenn sie nicht in Gefahr wäre, verfing bei Jean. So war Hans froh, als Delphyna sie zum Essen rief. In Anwesenheit der beiden Frauen verkniffen sie es sich ihren Disput weiter fortzusetzen und so verlief das Essen anfangs schweigsam. Ab und zu tuschelten Delphyna und Hannah miteinander, während die beiden Männer kräftig zugriffen und schon bald Delphyna auffordernd ihre Teller hinhielten, um einen Nachschlag zu erhalten.
     „Können sich die Herren der Schöpfung jetzt schon nicht mehr selbst die Teller füllen?“, fragte Delphyna kopfschüttelnd.
     Jean setzte wieder sein Grinsen auf, „oh doch, meine liebste Delphyna. Wir wollten nur eure Tuschelei beenden.“
     Während Delphyna beiden nachlegte, schüttelte sie den Kopf und sagte dann, „wenn die beiden Herren so maulfaul sind und nichts zur Unterhaltung beitragen können, müssen wir uns eben allein unterhalten.“
     „Wir würden ja gerne etwas zur Unterhaltung beitragen, mein Schatz. Dann müsstet ihr aber lauter sprechen.“
     „Das könnte euch so passen, Männer brauchen nicht alles zu wissen!“
     „Du hast Geheimnisse vor mir?“, Jean konnte das Grinsen nicht lassen.
     „Und ob, du bindest mir ja auch nicht alles unter die Nase. Und jetzt ist Schluss mit der Diskussion, schließlich haben wir Gäste!“
     „Du hast auch Geheimnisse vor mir, Hannah?“, fragte Hans.
     „Noch nicht, Süßer. Dazu sind wir noch zu neu miteinander.“

Hans legte, wie er es gerne tat, Hannah einen Arm um die Schultern, zog sie etwas in seine Richtung und drückte ihr einen Kuss auf die Haare. Während sie zu Ende aßen, unterhielten sie sich locker weiter. Nach dem Essen half Hannah Delphyna beim Abräumen. Als sie beim Abwasch helfen wollte, wehrte Delphyna ab, „nein Hannah, wir trinken noch einen Kaffee und danach ist es Zeit für dich zu gehen.“ Hannah wollte widersprechen, Delphyna machte aber abwehrende Handbewegung und begann sofort damit den Kaffee zu brühen. Hannah stellte vier Tassen bereit, in die Delphyna den frisch gebrühten Kaffee füllte. Als die Frauen wieder an den Tisch kamen, hatten sich die beiden Männer in ihr Lieblingsthema verhakt. Die beiden Frauen unterhielten sich daraufhin über ihre eigenen Themen. Delphyna erkundigte sich ausgiebig über die früheren Lebensumstände von Hannah und über die Umstände, die zu ihrer Flucht geführt hatten. Hannah war tief bewegt über die Freundlichkeit, mit der sie von vielen Menschen hier in Bayeux, aber auch in Arromanches aufgenommen worden war. Inzwischen hielt sie es für einen groben Fehler, soviel Zeit in Paris vergeudet zu haben. Hans war ein besonderer Gewinn für sie. Wäre ihr Leben normal verlaufen, hätte sie Hans niemals ihren Eltern als ihren Mann oder auch nur als ihren Freund präsentieren können. Einen Goj hätten ihre Eltern wohl nicht begeistert, aber doch klaglos akzeptiert, aber einen Mann, der fast so alt wie ihre Mutter war, das wäre zumindest schwierig geworden. Ihr Leben war nicht normal verlaufen, das war nicht ihre Schuld. Sie würde mit ihren Eltern die Umstände, die zu ihrer jetzigen Lebenssituation geführt hatten, besprechen. Nur sie wusste nicht, wann das jemals möglich sein könnte. Sobald es Krieg gab, würde jeder Kontakt nach Deutschland auf unabsehbare Zeit abbrechen. Sie nahm sich vor, in der Nacht ihren Eltern einen ausführlichen Brief zu schreiben. Hans würde in diesem Brief kein Thema sein, das konnte sie nur von Angesicht zu Angesicht mit ihnen besprechen. Wohl aber würde sie schreiben, dass sie in der Normandie Unterstützung gefunden und diese Menschen sie in ein sicheres Land bringen wollten. Ihre neue Adresse in Bayeux hatte sie den Eltern bereits kurz nach der Ankunft ohne jede Namensnennung auf einer Ansichtskarte mitgeteilt. Sie hoffte noch vor ihrer Abreise eine Nachricht aus Frankfurt zu erhalten. All diese Gedanken teilte Hannah nach und nach mit Delphyna. Diese legte nach einiger Zeit Hannah eine Hand auf den Arm, „Mädchen, deine Eltern würden deine Gründe Hans zu lieben verstehen und billigen, aber du hast recht, bis zu eurem Wiedersehen muss das dein Geheimnis bleiben.“ Hannah nickte und lächelte dann, es wurde Zeit zurück zur Praxis zu gehen.

Hans verabschiedete sich von Hannah vor der Praxis und versprach sie am Abend abzuholen. Er besorgte Wein und Brot für den Abend. Auf seinem Zimmer setzte er sich wieder auf das Bett und las die Zeilen eines Gedichts aus dem ersten Kapitel der Harzreise.

     Schwarze Röcke, seidne Strümpfe,
     Weiße, höfliche Manschetten,
     Sanfte Reden, Embrassieren –
     Ach, wenn sie nur Herzen hätten!

Hans hatte mit halbem Ohr mitbekommen, was Hannah mit Delphyna besprochen hatte. Es stimmte ihn traurig, dass er wohl nie der Mann sein konnte, den Hannah ihren Eltern vorstellen würde. Dabei glaubte er, dass es ihr inniger Wunsch war, mit ihm das Leben zu verbringen. Die Zeiten waren für den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft einfach nicht geeignet. Er hoffte nur, dass Hannahs Flucht nach England gelingen würde. Seine Liebe zu ihr empfand er als die einzig wirklich positive Entwicklung nach seinen Bürgerkriegserlebnissen. Er wollte nicht ungerecht sein, die Freundschaft zwischen ihm und François war tief und echt. Durch ihn hatten sich weitere Verbindungen ergeben, die die Liebe zu einer Frau nicht ersetzen konnten. Bevor er auf Hannah traf, waren seine Träume von Liebe und Zuneigung immer von Chawa besetzt gewesen. Der Schmerz über diesen Verlust hatte ihm in einsamen Stunden fast die Kehle zugeschnürt. Erst durch die Liebe zu Hannah war er zu der Erkenntnis gekommen, dass das Leben weiterging. Er glaubte, Chawa würde es verstehen, wenn sie davon wüsste. Die Gedanken an Chawa und Hannah stimmten ihn ruhig und solange er die Hoffnung hegen konnte, dass Hannah lebte, war ein Wiedersehen in besseren Zeiten möglich.

Am Abend um sechs holte er Hannah bei der Praxis ab. Vorher hatte er den Tisch gedeckt, so gut das mit den beschränkten Mitteln seiner Behausung möglich war. Auf dem Weg zu Praxis kaufte er eine Flasche Cidre. Gerade als er die Praxis betreten wollte, kam Hannah aus der Tür, unter dem Arm trug sie das Paket mit ihrer Arbeitskleidung. Nachdem sie sich umarmt hatten, fragte sie „Süßer gehen wir nach Hause? Du weißt, ich habe noch bis Freitagmorgen um acht Bereitschaft.“ „Oh ja, du brauchst Paul nicht Bescheid zu geben. Wir verbringen den Abend zu Hause.“ Hannah kuschelte sich bei Hans an. „Ich bin gerne mit dir allein“, sagte sie dazu. Hans gab ihr dafür als Dank, einen Kuss auf den Hals.
     „Was ist denn hier los?“, fragte Hannah überrascht, als sie ins Zimmer trat.
     „Ich habe gebratenes Huhn zum Abendessen geschnorrt, da ich weiß, dass es koscher ist. Für das Brot habe ich etwas Butter zum Bestreichen besorgt, das ist dann nicht mehr koscher. Ich weiß, fleischige und milchige Speisen müssen getrennt sein. Cidre habe ich auch besorgt, der ist sicher koscher. Komm, leg ab, dann essen wir.“ Hans schüttete Cidre in die bereitgestellten Gläser.
     „Du bist ein Filou, Hans“, sagte Hannah, während sie sich setzten. „Aber du hast recht gut behalten, was zu koscherem Essen erforderlich ist. Chawa hat dich gut angelernt.“
     Die Erwähnung von Chawas Namen versetzte Hans einen Stich ins Herz, trotzdem antwortete er aufgekratzt, „ich mag zwar ein Filou sein, aber ich bin ein lieber Filou.“
     „Ich weiß – mein Mann.“ Spontan umarmte Hannah ihn.

Nachdem Hans in der Nacht zur Boulangerie gegangen war, schrieb Hannah einen langen Brief an ihre Eltern. Mit den Bleistiftstummeln erwies sich das als mühsam, was Hannah aber ignorierte. Sie versuchte ihre Lage und ihre bevorstehende Ausreise nach England so positiv darzustellen, wie es ihr nur möglich war. Über ihre Liebe zu Hans verlor sie kein Wort, berichtete aber ausführlich, wie gut Hans sie unterstützte und zusammen mit François ihre Ausreise möglich gemacht hatte. Sie beschrieb die Beiden als verlässliche Freunde und berichtete auch vom guten Verhältnis zu François‘ Frau Christine. Da ihr einfiel, dass sie in der Nacht zu einem Einsatz gerufen werden könnte, legte sie sich nicht sofort zum Schlafen nieder, als sie den Brief kuvertiert und adressiert hatte, sondern deckte für Hans den Frühstückstisch. Einen Bleistift und einen Zettel legte sie auf dem Tisch bereit, um Hans eine Nachricht zu hinterlassen, falls sie gerufen wurde.

Sobald sie das Licht gelöscht hatte, schlief Hannah fast umgehend ein. Als sie durch Klopfen an der Tür geweckt wurde, war es noch finstere Nacht. Auf ihre verschlafene Frage, was los sei, antwortete Docteur Beaudoin durch die geschlossene Tür, „kommen sie schnell Mademoiselle Schwarz, ich brauche sie.“ „Einen Moment bitte, Docteur Beaudoin“, antwortete Hannah, nachdem sie sich gefangen hatte. „Ich warte unten“, rief Docteur Beaudoin durch die geschlossene Tür und Hannah hörte, wie er über die Treppe nach unten ging. Hannah schlüpfte in den Overall und in die Gummistiefel, dann schrieb sie eine Nachricht für Hans und eilte nach unten. Docteur Beaudoin startete den Wagen und steuerte den Wagen hinaus aus der Stadt über die dunkle Landstraße Richtung Barbeville.

Als Hans am Morgen das Zimmer betrat, las er zuerst Hannahs Notiz und sah sich dann um. Da Hannahs Kleidung sauber gefaltet im Regal lag und der Overall fehlte, nahm er an, dass Hannah noch bei ihrem Einsatz war. Er setzte Teewasser auf und verteilte die Croissants auf dem Teller. Nachdem er den Tee zum Ziehen aufgegossen hatte, widmete er sich der mitgebrachten Zeitung. Eine Meldung ganz unten auf der ersten Seite elektrisierte ihn. Er las, dass seit gestern britische Handelsschiffe angewiesen waren, keine deutschen Häfen mehr anzusteuern. Er beschloss diese Nachricht vorerst vor Hannah geheim zu halten und am Nachmittag zu François zu fahren. Als er Hannahs Schritte vor der Tür hörte, faltete er die Zeitung so, dass sie das Titelblatt nicht sehen konnte. Hans nahm die zweite Tasse aus dem Regal, während Hannah durch die Tür trat. Sofort breitete sich intensiver Stallgeruch im Zimmer aus. Hannah küsste Hans nur ganz kurz und zog sich aus. Sie wollte sofort ihren Morgenmantel überziehen und den Overall auf den Dachboden hängen. Hans hielt sie zurück, „lass das, liebes, ich erledige das, mach dich frisch und danach frühstücken wir.“ Er nahm Overall und Gummistiefel in die eine und den Schlüssel in die andere Hand. Hannah lächelte ihn an, während er den Raum verließ. Sie wusch sich und als Hans zurückkam, hüllte sie sich gerade in ihren Morgenmantel. Nebeneinander setzten sie sich auf die Bettkante. Hannah trank vorsichtig am heißen Tee und biss dann herzhaft in eins der Croissants. Sie machte auf Hans einen müden Eindruck.
     „Süße, du siehst müde aus.“
     „Ich bin müde, es war eine anstrengende Nacht. Docteur Beaudoin wollte mir heute freigeben. Ich habe es abgelehnt.“
     „Ich glaube, du hättest auf Paul hören sollen, schon wegen deiner Bereitschaft bis morgen früh.“
     „Nein, ich habe versprochen seine Assistentin zu vertreten und was ich verspreche, das halte ich.“
     „Du bist deutscher, als deutsch, mein Schatz“, lachte Hans und legte Hannah einen Arm um die Schultern.
     „Ich will und ich muss. Ich kann nicht anders“, Hannah lehnte sich an Hans an.
     Hans zog Hannah fester an sich, „musst du sofort weg?“
     „Nein, Docteur Beaudoin hat gesagt, ich solle mir Zeit lassen.“
     „Gut, dann mache ich den Vorschlag, wir gehen zusammen einkaufen, trinken danach noch einen Kaffee bei Jean und dann gebe ich dich bei Paul ab. Je nachdem, was wir kaufen, bereite ich danach alles vor, damit du am Mittag kochen kannst – oder wollen wir essen gehen?“
     „Oh nein, ich koche für uns. So war es ausgemacht.“
     „Gut, gut, du hast gewonnen.“ Beide lachten.

Als sie nach dem Einkauf bei Jean einkehrten, hatte Hans den Eindruck, Hannah hätte sich etwas von ihrer nächtlichen Aktion erholt. Sie tranken am Tresen stehend ihren Kaffee und unterhielten sich über dieses und jenes, bis Delphyna erschien. Sie begrüßte Hans und Hannah mit Wangenküssen, ließ sich von Jean auch eine Tasse Kaffee zubereiten und gab Hannah einen Knuff, als der Kaffee fertig war, „komm lassen wir die Männer quatschen, setzen wir uns in Küche.“ Hannah nickte und folgte Delphyna in die Küche, wo sie sich an den Tisch setzten.
     „Du siehst müde aus, Hannah, schlecht geschlafen?“
     „Nein, Docteur Beaudoin hat mich für eine Behandlung in der Nähe von Barbeville aus dem Bett geholt.“
     „Und jetzt hast du frei?“
     „Nein, ich gehe gleich in die Praxis.“
     „Ich glaube, Paul ist doch ein Ausbeuter“, Delphyna lachte.
     Auch Hannah lachte, „nein, es ist meine Entscheidung. Die Bereitschaft ist furchtbar langweilig, wenn ich zu Hause sitze. Auch jetzt bin ich nur hier, weil Docteur Beaudoin gesagt hat, er würde mich in Ruhe lassen, bis ich in der Praxis erscheine.“
     „Jean hat mir erzählt, dass Hans dich nach England bringen will. Schade, du passt so gut in unseren Kreis.“
     „Ich habe alles versucht, Hans dazu zu bringen, mich bei sich zu halten. Aber er hat mich davon überzeugt, dass es zu gefährlich für mich sei, wenn der Krieg ausbricht.“
     „Jean träumt davon, dass es gut ausgeht. Ich bin da skeptisch. Hans tut das Richtige, er ist einer der klügsten Menschen, der mir je über den Weg gelaufen ist. Du solltest ihm vertrauen.“
     „Ich vertraue ihm und ich liebe ihn. Nur hat unsere Liebe keine Zukunft. Ich habe nicht einmal die Hoffnung, Hans jemals wiederzusehen.“
     „Ach, Hannah, die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Beide Frauen mussten lachen und gingen zurück in die Gaststube.

Pünktlich um eins holte Hans Hannah an der Praxis ab. Hand in Hand gingen sie heim. Hannah sah, dass Hans alles zum Kochen vorbereitet hatte. Da sie jetzt zwei Kochplatten zur Verfügung hatte, ging ihr das Zubereiten leichter von der Hand. Auf der einen Platte setzte sie die Kartoffeln zum Kochen an. Auf der anderen Platte schwitze sie gehackte Zwiebeln an, fügte die von Hans geschnitzelten Bohnen hinzu, füllte mit Wasser auf und ließ das Ganze bei geschlossenem Deckel schmoren. Hans fühlte sich so richtig wohl, ein Leben nach Chawa hatte er sich lange nicht vorstellen können. Nun aber war etwas geschehen, was er zwar erhofft, aber nie geglaubt hatte: Eine Frau war in sein Leben getreten und hatte ihn glücklich gemacht, und das wollte er so lange wie möglich genießen.

Nach dem Essen saßen beide noch einige Zeit auf der Bettkante. Wie er es gerne tat, legte Hans einen Arm um Hannahs Schultern. Er lobte sie für ihre Kochkünste, woraufhin sie ihm einen Knuff versetzte und meinte, er sage das nur, um sich bei ihr einzuschmeicheln. Hans bestritt das und kitzelte Hannah ausgiebig, beide ließen sich lachend auf die Matratze fallen. Es wurde Zeit für Hannah zur Praxis zu gehen, Hans sagte ihr, er wolle zu François fahren und würde sie am Abend bei der Praxis abholen. Sie gingen gemeinsam nach unten, vor der Haustür drückte ihm Hannah einen Kuss auf die Wange und verschwand in Richtung Praxis. Hans beeilte sich zur Omnibusstation zu kommen und erreichte gerade noch den Omnibus nach Arromanches. Als er die Bar betrat, standen Christine und François gemeinsam hinter der Theke. Erfreut begrüßten sie Hans.
     „Dein Kommen hat nicht zufällig etwas mit Hannah zu tun?“, fragte François zweifelnd.
     „Doch hat es!“
     „Du hast also die Zeitung gelesen?“
     „Ja, seit Hannah Pauls Gehilfin vertritt, habe ich viel Zeit am Vormittag.“
     „Ach du Ärmster, du könntest dich nach der Arbeit eine Runde aufs Ohr legen.“
     „Nein, Hannah deckt für mich den Tisch und deshalb frühstücke ich ausgiebig, bevor ich für die Mittagspause einkaufe.“
     Christine schüttelte den Kopf, „du wärst der ideale Mann, wenn du nur nicht so zurückhaltend wärst. Aber Spaß beiseite, wo drückt der Schuh.“
     „Ich wollte eure Meinung zu der Anweisung der Briten an ihre Handelsflotte hören.“
     François schaute Hans ernst an, „das sieht nicht gut aus. Die Regierung in London rechnet offensichtlich mit einem baldigen Krieg gegen das Reich.“
     „Wie bald.“
     „Ich glaube im Moment nicht, dass das Reich im Westen angreift. Der erste Schlag wird gegen Osten geführt werden. Aber genaues kann niemand sagen.“
     „Wird Félix Hannah noch nach England bringen können?“
     „Félix kommt zwar erst am Sonntag zurück, aber wie gesagt, ich gehe von einem Schlag im Osten gegen Polen aus. Das ist ein Angriff auf ein mit England und Frankreich befreundetes Land und deshalb werden beide Länder dem Reich den Krieg erklären. Zu dieser Zeit werden die Nazis noch nicht in der Lage sein im Westen anzugreifen. Das Reich läuft eher in Gefahr, dass es vom Westen her angegriffen wird. So sehe ich das und von daher reicht die Zeit für Hannah. Nur es muss geschehen, bevor alle Deutschen hier als feindliche Ausländer interniert werden. Auf Félix ist Verlass, du kannst beruhigt sein.“
     „Mein Gott, Mann! Merkst du nicht, dass Hans voller Sorge ist und du klopfst Sprüche! Hans, ich beteilige mich nicht an Spekulationen, aber in einem Punkt bin ich ganz sicher, Félix bringt Hannah nach drüben.“ Christine legte Hans eine Hand auf den Arm, um ihre Worte zu unterstreichen und um ihn zu beruhigen.
     Hans lächelte, „danke, ich bin eigentlich nur gekommen, um meinen Grübeleien zu entgehen. Ich musste Hannah übrigens von Dienstag berichten. Sie hat sich selbst einen Reim darauf gemacht, dass wir am Sonntag allein sprechen wollten.“
     Christine nickte, „und wie hat sie darauf reagiert?“
     „Sie war sehr traurig, aber sie hat mir versprochen beim Abschied tapfer zu sein.“
     „Sie ist eine sehr kluge und liebenswerte junge Frau. Wir mögen sie sehr. Es ist schade, dass sie gehen muss.“
     „Ja, niemand weiß das besser als ich.“

Gemeinsam mit François trank Hans noch ein Bier, bevor er sich verabschiedete. Als er um sechs an der Praxis ankam, erfuhr er von Patxi, Pauls Botenjungen, dass Paul und Hannah zu einem Notfall in Saint-Vigor-le-Grand gerufen worden wären. So ging er auf sein Zimmer, um auf Hannah zu warten. Die Zeit zog sich, da er nicht wusste, wann sie zurückkam, sich aber auch nicht aus dem Haus traute, da er sie auf keinen Fall verpassen wollte. So setzte er sich auf das Bett und las in Hannahs Buch. Ihm kam dabei in den Sinn, dass er Hannah versprochen hatte, sie nie wieder im Ungewissen zu lassen. So beschloss er, mit ihr über die Neuigkeiten zu sprechen, am besten wäre es, sie käme so früh, dass sie noch ausgehen konnten. Hannah kam kurz darauf ins Zimmer. Hans wunderte sich, dass sie nicht im Overall kam. Dann fiel ihm ein, sie war in Straßenkleidung, mit Overall und Stiefeln zum Paket verpackt aus dem Haus gegangen. Das Paket hatte sie auch jetzt wieder unter dem Arm, es roch zu seiner Überraschung nicht nach Dung.

Hannah gab ihm einen Kuss, „guten Abend, mein Schatz.“
     „Guten Abend, meine Süße“, antworte Hans und zog sie in seine Arme. „Du riechst heute nicht nach Stall.“
     „Zum Glück nicht! Wir sahen heute beide ziemlich wüst beschissen aus. Docteur Beaudoins Frau hat mir das Badezimmer angeboten, ich habe mich in die Wanne gelegt und Docteur Beaudoin hat mir einen frischen Overall gegeben.“
     „Liebste, bist du sehr müde?“
     „Ja schon, aber schlafen möchte ich noch nicht. Wieso fragst du?“
     „Ich möchte, dass wir ausgehen, denn ich bin erst um sechs aus Arromanches zurückgekommen und habe nichts zum Essen gekauft.“
     „Können wir uns das leisten?“
     „Ich zahle, das weißt du doch.“
     „Nein Hans, jetzt wo ich eigenes Geld verdiene, will ich nicht ausgehalten werden.“
     Hans reagierte beleidigt, „ich halte dich nicht aus, ich liebe dich.“
     Hannah legte Hans beruhigend eine Hand auf den Arm, „ich wollte dich nicht verärgern, Liebster.“
     „Gut, ich führe dich aus!“ Hans zog Hannah zu sich heran.

Nachdem Hannah bei Docteur Beaudoin hinterlassen hatte, wo sie zu erreichen war, führte Hans sie durch die Stadt zum Restaurant. Um sie nicht weiter zu verärgern, hatte er ein preiswertes Restaurant gewählt, von dem er aber wusste, dass dort gut gekocht wurde. Hannah war anlehnungsbedürftig an diesem Abend und Hans legte ihr, als sie im Lokal nebeneinander am Tisch saßen, einen Arm über die Schultern. Es war ihm klar, dass er ihr sein Wissen jetzt weitergeben musste, sprach aber noch nicht, da er diesen Augenblick der Nähe nicht zerstören wollte. Während sie aßen, gab Hans sich einen Ruck.
     „Hannah, es hat etwas in der Zeitung gestanden“, Hans wusste nicht recht, wie er ihr die Neuigkeit mitteilen sollte, ohne sie in zu große Sorge zu versetzen.
     Hannah reagierte elektrisiert, „was stand in der Zeitung, Schatz?“
     „Gestern hat die britische Handelsflotte von der Regierung in London die Anweisung erhalten, ab sofort keine deutschen Häfen mehr anzusteuern.“
     „Es gibt Krieg?“
     „Ja Süße, es sieht so aus.“
     Hannahs Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an, „was heißt das für dich? Bist du in Gefahr?“
     „Ich habe mich mit François besprochen, wir sind der Meinung, der erste Schlag wird im Osten erfolgen. Deine Ausreise ist nicht gefährdet.“
     „Liebster, du redest am Thema vorbei! Du bist in Gefahr!“
     „Süße, alle sind in Gefahr. Bitte, ich rede nicht am Thema vorbei, zumindest will ich das nicht. Mein ganzes Denken kreist darum, wie ich dich retten kann. Nur das kann auch mich retten.“
     Hannah stiegen Tränen in die Augen, „werden wir uns jemals wiedersehen?“
     „Wir müssen glauben und hoffen, das ist unser Schicksal.“ Hans wischte Hannah die Tränen ab und fügte hinzu, „wenn wir fest daran glauben, wird es ein Wiedersehen geben.“ Hans drückte Hannah an sich.
     „Ich werde glauben und hoffen, mein Schatz!“
     „Dann ist es gut, meine Süße.“

Wieder im Zimmer legten sich beide zu Bett. Hannah schmuste sich bei Hans an und er umschloss sie mit seinen Armen. Wie gewohnt klingelte um zwei der Wecker. Während Hans sich wusch, setzte Hannah das Teewasser an und zog erst dann den Morgenmantel über. Hans verabschiedete sich liebevoll von Hannah, nachdem er seinen Tee getrunken hatte. Er streichelte sie über das Haar. „Ich hoffe, mein Schatz wird in dieser Nacht nicht gestört“, sagte er dazu. Hannah nickte, auch sie hoffte, bis zum Morgen ungestört schlafen zu können. Sobald er aus der Tür war, deckte sie wieder den Frühstückstisch für ihn und legte Papier und Bleistift bereit. Sie lag noch einige Zeit wach, bevor sie einschlief. Dabei dachte sie über den kommenden Krieg nach. Sie machte sich Sorgen wegen ihrer Eltern. Sobald der Krieg ausbrach, saßen sie in der Falle. Sie hätten dreiunddreißig Deutschland verlassen sollen, war ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief.

In dieser Nacht blieb Hannahs Schlaf ungestört. Als sie erwachte, fühlte sie sich ausgeruht und voller Tatendrang. Sie machte sich für die Praxis bereit und bevor sie ging, begutachtete sie noch einmal den für Hans gedeckten Frühstückstisch. Auf den diesmal ungenutzten Notizzettel schrieb sie ein paar liebe Worte für ihn, bevor sie das Zimmer verließ. Als sie fast bei der Praxis war, kam Hans ihr entgegen. Sie umarmten sich und am liebsten hätte Hannah mit Hans gemeinsam gefrühstückt. Aber sie kuschelte sich nur noch einmal kurz bei Hans an, streichelte ihm über die stoppelige Wange und eilte dann zur Arbeit. Hans schaute ihr nach, bis sie in der Praxis verschwand. Die kurze Begegnung brachte ihn zum Lächeln. Im Zimmer fiel ihm sofort Hannahs Notiz auf, er las ihre liebenden Worte, faltete den Zettel sorgfältig und stecke ihn zu Hannahs anderem Zettel in die Innentasche seines Jacketts. Am Frühstückstisch sitzend las er ausgiebig die Tageszeitung. Außer den üblichen Gerüchten über irgendwelche Truppenbewegungen gab es an diesem Tag nichts zu lesen, was ihn zusätzlich beruhigen konnte. Ihm fiel ein, dass er es versäumt hatte, mit Hannah zu besprechen, was er zu Mittag einkaufen sollte. So beschloss er sie auszuführen. Er stellte sich vor, wie sie wiederum dagegen protestieren würde, aber er würde ihr den Mund einfach mit Küssen verschließen. Er war noch nicht ganz zu Ende mit seinem Frühstück, als es an der Tür klopfte. Eins der Lehrmädchen von Madame kam ins Zimmer, nachdem er herein gerufen hatte.
     Hans reagierte überrascht, „Bonjour Thérèse, was führt dich her? Soll ich zu Madame kommen?“
     „Nein Monsieur Donrath. Madame hat einen Anruf von Monsieur François erhalten, er hatte gehofft sie noch zu erreichen. Madame hat aufgeschrieben, was er von ihnen wollte.“ Thérèse hielt Hans die mehrfach gefaltete Notiz hin.
     Hans nahm ihr den Zettel ab, „danke Thérèse, möchtest du eine Tasse Tee?“
     „Nein danke, Monsieur Donrath. Madame hat gesagt, ich solle mich sputen und auf der Stelle zurückkommen.“
     „Sie ist wohl sehr streng zu euch Mädchen?“
     „Ja, Monsieur, aber wir haben es trotzdem gut bei ihr.“
     Hans nickte, „ja, ich weiß Thérèse, ich weiß sogar, dass sie trotz ihres barschen Tons ein Herz aus Gold hat. Welche andere Patronne würde einem kleinen Commis eine Apprentie mit einer Nachricht schicken?“
     „Ja, Monsieur, da haben sie recht. Aber jetzt muss ich gehen.“
     „Au revoir, Thérèse.“
     „Au revoir, Monsieur Donrath“, antwortete Thérèse mit einem Knicks und ging.

Hans faltete die Nachricht auf und las: Monsieur Donrath, François hat etwas Wichtiges mit ihnen zu besprechen und bittet sie zusammen mit Mademoiselle am Abend nach Arromanches zu kommen. Er sagte, für ihre Rückfahrt sei gesorgt. Cordialement. Hans war beunruhigt. Er überlegte krampfhaft, wie er Hannah vom ungeplanten Besuch in Arromanches berichten sollte, ohne sie unnötig in Sorgen zu stürzen. Ihm fiel aber nichts ein, er wollte ihr einfach sagen, was François ihm mitgeteilt hatte, schließlich hatte er ihr versprochen, sie nie wieder im Ungewissen zu lassen. Hans war traurig und auch Hannah würde wohl nicht freudig reagieren, wenn sie von dem Besuch in Arromanches erfuhr. Schließlich hatten sie sich beide auf den freien Abend gefreut. Aber ihm war bewusst, dass es etwas Wichtiges sein musste, wenn François sie auf diesem Weg zu kommen bat. Nach dem Frühstück nahm Hans das Heinebuch und las auf dem Bett sitzend darin. Nach einiger Zeit fielen ihm die Augen zu, so ließ er sich auf das Bett zurücksinken und schlief bald ein. Er erwachte erst wieder, als Hannah ihm einen Kuss auf die Stirn drückte.
     „Oh liebes, ich habe verschlafen. Ich wollte dich doch von der Praxis abholen“, Hans gab ihr einen Kuss.
     „Das ist doch kein Problem, Schatz! Ich finde den Weg auch allein.“
     Hans schnappte sie sich und kitzelte sie ausgiebig, „aber jede Minute, die ich ohne dich verbringe, ist eine verschwendete Minute.“
     „Wenn ich abgereist bin, wird eins in meinem Gedächtnis bleiben, ich habe meine Jugend an einen Spinner verschwendet.“
     „Och Schatz, ich bin doch ein so ernster Mensch.“ Hans begann wieder damit Hannah zu kitzeln.
     „Aufhören, bitte hör auf“, jammerte Hannah. Als Hans still hielt, fügte sie hinzu, „mein Schatz hat wohl vergessen für unser leibliches Wohl zu sorgen, oder?“
     „Nein, habe ich nicht, ich führe dich aus. Aber zuerst muss ich dir etwas sagen.“
     „Etwas Schlimmes?“, Hannahs wirkte besorgt.
     „Ich weiß es nicht, mein Schatz. François hat mir eine Nachricht zukommen lassen, wir sollen heute am Abend zu ihm kommen.“
     „Wir hatten uns doch so auf den freien Abend gefreut.“
     „Ich weiß, Schatz, aber es muss etwas Wichtiges sein, sonst hätte François nicht Madame gebeten, die Nachricht an mich weiterzuleiten. Komm Schatz, sei nicht traurig. Lass uns jetzt zum Essen gehen.“
     „Nein Hans, bitte nicht, wir haben noch vertrocknetes Baguette, das reicht am Mittag. Wir verbringen die Pause besser mit kuscheln. Essen können wir am Abend in Arromanches.“ Hannah zog sich umgehend aus.
     Hans drückte seine nackte Frau zu sich auf das Bett. „Du schamloses Geschöpf“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Hans erhob sich sofort, auch er legte seine Kleidung ab. Sobald er sich wieder auf das Bett legte, schmuste sie sich bei ihm an. Er drehte sie so zu sich, dass er ihren Rücken streicheln konnte. Ansonsten hielt er sich ganz still und schloss die Augen, während Hannah sich intensiv mit der Erforschung seines Körpers beschäftigte. Hans stöhnte auf, als Hannah ihn an seinem Hoden mit den Fingerspitzen kraulte. Er drückte sie fester an sich, küsste sie und legte sich auf sie. Sie liebten sich intensiv und liebevoll. Nachdem sie ihre Lust befriedigt hatten, blieb er regungslos auf ihr liegen. Hannah umarmte ihn und drückte ihn fest an sich. Hans schlummerte noch einmal kurz ein und als er erwachte, wurde es für Hannah Zeit zurück zu Praxis zu gehen. Er setzte sich nackt auf die Bettkante, während sie sich wusch und sich danach ankleidete.
     „Guck nicht so lüstern!“, Hannahs Gesicht nahm einen schelmischen Ausdruck an.
     „Es fängt damit an, dass du mich bittest wegzugucken, wenn du dich ausziehst und nachdem ich jetzt dabei zusehen darf, da soll ich beim Anziehen weggucken. Wo ist da die Logik?“, Hans lachte laut.
     „Ich bin eine Frau, das hat nichts mit Logik zu tun. Nein, mein Schatz, das ist alles Quatsch! Du darfst gucken, soviel du willst.“
     Hans zog Hannah zu sich heran, nachdem sie angezogen war, „du bist lieb und ich liebe dich. Ich hole dich um sechs an der Praxis ab, wir erreichen leicht um halb sieben den Omnibus nach Arromanches.“
     Hannah versuchte etwas Abstand zu gewinnen. „Vorsicht liebster, du hast dich noch nicht gewaschen. Flecken auf dem Rock wären mir peinlich.“
     Hans ließ Hannah los und lachte, „du hast noch einen Moment Zeit. Ich wasche mich, dann kann ich dich drücken, bevor du gehst.“

Hans erhob sich, ging zum Waschbecken und wusch seinen Penis, danach drückte er Hannah zum Abschied. Hannah flüsterte ihm ins Ohr, „bis sechs Liebster.“ Dann löste sie sich von Hans und ging auf den Flur. Hans folgte ihr immer noch nackt. Hannah schüttelte den Kopf, „was sollen die Leute von dir denken.“ Beide lachten, während sie über die Treppe nach unten eilte. Zurück im Zimmer zog sich Hans gedankenverloren an. Seine Sehnsucht nach Hannah bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Seit Chawa von der Brücke gesprungen war, hatte er mit keiner Frau mehr geschlafen, bis Hannah in sein Leben trat. Alle vorherigen Versuche sich einer Frau zu nähern, waren an seinen Schuldgefühlen gescheitert. Kaum hatte er sich einer Frau genähert, stieg ein Gefühl von Schuld und Verrat in ihm auf. Bei Hannah war das anders, Hannah hatte sich ihm anvertraut und wenn sie zusammen über Chawa sprachen, gewann er den Eindruck, sie fühle sich als jüngere Schwester von Chawa. Obwohl er inzwischen viel über Chawa erzählt hatte, gab es bei Hannah weder ein Gefühl von Eifersucht auf die Frau vor ihr, noch versuchte sie irgendwie so zu sein wie Chawa. Hannah war anders, sie liebte ihn um seiner selbst willen. Er verfluchte ihre widrigen Lebensumstände und die Zeit, in der sie zu leben gezwungen waren. Welcher nur halbwegs gescheite Mann würde eine Frau wie Hannah freiwillig gehen lassen? Aber die Zeiten waren nun einmal nicht so, dass er mit ihr an einer gemeinsamen Zukunft bauen konnte. Er beschloss nicht weiter über diese Dinge nachzudenken und in die Stadt zu gehen. Als er an der Bücherei vorbeikam, kam ihm die Idee Alais einen Besuch abzustatten.
     „Bonjour, Alais“, sagte er, als er an den Tresen trat. Alais stand auf und kam hinter dem Tresen hervor. Sie begrüßten sich mit Wangenküssen.
     „Hans, was treibt dich in die Bücherei? Ist dir deine Braut mit dem Buch durchgebrannt?“
     Hans lachte, „Hannah brennt mir nicht durch, aber du hast mich auf eine Idee gebracht, was würde es mich kosten, wenn ich das Buch nicht zurückgebe?“
     „Du musst das Buch zurückgeben!“
     „Ich weiß, Alais. Aber einmal angenommen ich verliere es, was kostet es dann?“
     „Es ist ein wertvolles Buch. Hundertfünfzig Franc. Jetzt rück raus mit der Sprache! Was führst du im Schilde? Ich durchschaue dich!“
     „Es ist so Alais, Hannah ist Jüdin und genau wie ich, hält sie sich illegal in Frankreich auf. Ich versuche sie nach England zu bringen, natürlich ist auch das illegal und da dachte ich mir, ich könnte ihr als Andenken das Buch schenken“, Hans setzte ein verschmitztes Lächeln auf.
     „Mein lieber Hans, das wäre sehr illegal“, antwortete Alais lachend. „Aber ich weiß von nichts und ich habe noch eine illegale Idee…“ Alais unterbrach ihren Satz, um einen Kunden zu bedienen.
     „Und welche illegale Idee hast du?“, fragte Hans, nachdem der Kunde gegangen war.
     Alais sprach leise und vergewisserte sich, dass sie keine Mithörer hatten. „Die vier Wochen sind noch lange nicht um, vorher werden die hundertfünfzig Franc nicht fällig und wenn sich alles so entwickelt, wie du es darstellst, befinden wir uns dann im Krieg. Du wirst als feindlicher Ausländer interniert. Das Buch ist unauffindbar und dich zieht keiner mehr zur Verantwortung, da auch du unauffindbar bist.“
     „Deine Ideen sind hochgradig illegal“, Hans konnte sich vor Lachen kaum noch halten.
     „Jetzt einmal im Ernst, Hans. Du bist bis über beide Ohren verliebt, warum versuchst du nicht zusammen mit Hannah über den Kanal zu entkommen?“
     „Es ändert nichts, auch drüben werden wir interniert und hier habe ich vielleicht die Chance den Nazis das zu geben, was sie verdient haben.“
     „Ich weiß, du willst Chawa rächen, aber vergiss nicht, du hast jetzt wieder eine Liebe.“
     „Nein, das vergesse ich nicht, aber es gibt für uns keine gemeinsame Zukunft. Wenn Hannah den Nazis in die Hände fällt, ist sie verloren. Ich will nicht noch eine Frau an diese Menschen verlieren. Lieber bleibe ich einsam ohne Hannah in der Gewissheit, dass sie in Sicherheit ist. Ich muss meinen Weg gehen, ich kann nicht anders.“
     „Ich weiß.“ Alais kam wieder um den Tresen herum, drückte Hans und gab ihm einen Wangenkuss, „ich finde es großartig von dir, dass du dich um sie bemühst und da ich von Natur aus optimistisch bin, glaube ich fest daran, dass ihr eines Tages gemeinsam leben werdet.“
     Hans gab Alais einen Kuss auf jede Wange, „dein Wort in Gottes Ohr.“

Wieder auf der Straße fühlte Hans sich erleichtert. Die Gefühle für Hannah überwältigten ihn zwar erneut, aber dass er ihr etwas mitgeben konnte, ließ ihn zur Ruhe kommen. Inzwischen freute er sich auf den gemeinsamen Abend bei François. Er erwischte sich zwischenzeitlich schon wieder bei dem Gedanken Hannah nicht wegzuschicken. Als er an die Wassermühle an der Aure kam, dachte er daran, wie er hier Hannah auf die bevorstehende Trennung vorbereitet hatte. Auch diesmal blieb er auf der Brücke stehen und schaute von dort auf das tosende Wasser. Ein paar Tage mehr hätte er sich und Hannah trotz allem gewünscht. Warum ist sie nur so lange in Paris geblieben? Hans zuckte mit den Schultern, man muss sein Schicksal lieben, kam ihm dabei in den Sinn. Er ging weiter und als er zur Kathedrale kam, ging er kurz entschlossen in den Innenraum. Im rechten Seitenschiff setzte er sich auf eine der Bänke. Kurz darauf schlug die Uhr fünf und Hans beobachtete eine vor ihm in der Bank kniende Frau. Diese betete inbrünstig den Rosenkranz. Er vermutete, dass gläubige Menschen es einfacher haben, Spiritualität scheint den Menschen das Leben erträglicher zu machen, kam ihm in den Sinn. Im Endeffekt glaubte er aber, dass Glaube im Wesentlichen auf Verdrängen der Realität beruht. Hannah glaubte nicht und doch wollte sie Gott um Hilfe bitten. Es musste wohl an der besonderen Situation liegen, in der sie sich befanden. Hannah träumte den Traum vom Zusammenleben wohl mindestens genauso intensiv, wie er selbst. Er glaubte fest daran, dass sie unter anderen Vorzeichen eine große Zukunft gehabt hätten.

Pünktlich um sechs kam Hans zur Tierarztpraxis. Da die Räume noch hell erleuchtet waren, vermutete Hans, dass Hannah noch beschäftigt war. So ging er durch die Tür und sah, dass es so war, wie er vermutete. Paul und Hannah standen über einen Jagdhund gebeugt. Von Paul kamen präzise Anweisungen, die Hannah geschickt umsetzte. Nach getaner Arbeit reckte Paul sich, während Hannah sich noch mit damit beschäftigte, dem Hund den Verband anzulegen.
     Paul wandte sich zur Tür und erblickte Hans, „ah Hans, du willst Mademoiselle Schwarz abholen?“
     „Ja, aber sie soll sich Zeit lassen, der Omnibus nach Arromanches fährt um Halbsieben.“
     „Leider habe ich noch etwas anderes zu erledigen, sonst würde ich euch fahren. Ich komme aber später nach und bringe euch auch zurück nach Bayeux.“
     „Prima Paul.“
     „Es ist extrem ungerecht, dass du Mademoiselle Schwarz über den Kanal schickst, noch nie habe ich eine so gute Hilfe gehabt. Sie könnte gut und gerne meine Nachfolge antreten.“
     Hannah war fertig mit der Versorgung des Hundes und richtete sich auf, „Docteur Beaudoin übertreibt, Hans.“
     „Nein Mademoiselle, ich meine das im Ernst. Sie haben nicht nur gute medizinische Kenntnisse, sondern auch ein besonderes Einfühlungsvermögen bei der Behandlung von Tieren und dabei ist es ziemlich gleichgültig, ob es sich um ein ausgewachsenes Rind oder ein Schoßhündchen handelt.“
     „Ich bitte sie, Docteur Beaudoin, hören sie auf.“
     Hans griff sich Hannah, „ich wusste doch, dass ich mir einen besonderen Schatz angelacht habe.“
     „Recht so, Hans und nun haut ab, sonst ist der Omnibus weg.“
     „Au revoir, Paul. Komm Hannah“, Hans nickte dabei und zog Hannah zur Tür.
     Hannah rief von dort, „au revoir, Docteur Beaudoin!“

Auf der Straße hakte Hans Hannah unter und eng aneinander gelehnt gingen sie zum Omnibus. „Du musst nicht alles für bare Münze nehmen, was Docteur Beaudoin sagt.“ „Oh doch Hannah, was Paul sagt, sollte man immer für bare Münze nehmen.“ Hannah schüttelte den Kopf, hielt kurz an und küsste Hans auf die Wange. Als sie in den Omnibus stiegen, kaufte Hans zwei Billetts. Kaum hatten sie Platz genommen, setze sich der Omnibus mit dröhnendem Motor in Bewegung. Wie immer am Abend war der Omnibus gut besetzt und hielt an jeder Haltestelle, anfangs, um weitere Fahrgäste aufzunehmen, später auf dem Land, um die Fahrgäste nach und nach an ihren Heimatorten abzusetzen. Hans und Hannah stiegen erst an der Endstation aus. Der Omnibusfahrer, der Hans inzwischen kannte, nickte ihnen freundlich zu.
     „Ach Hans, wieder zu François unterwegs?“
     „Sicher William!“
     „Ah, da sehen wir uns gleich. Stellst du mir Mademoiselle vor?“
     „Gerne, das ist Hannah, wir lieben uns.“
     William lächelte, „Hans, du hast einen ausgesprochen guten Geschmack. Wirklich, Hannah, sie sind eine ausgesprochen hübsche Person.“
     Hannah errötete, „danke William, sie sind sehr freundlich.“
     „Nichts zu danken, ich freue mich auf jeden Fall, dass wir uns kennengelernt haben.“
     „Komm Hannah, wir sehen William gleich bei François“, Hans zog Hannah aus dem Omnibus.
     Hannah lachte, sobald sie auf der Straße standen. „Du bist wohl eifersüchtig, mein Schatz“, sagte sie und knuffte Hans in die Seite.
     „Nein, bin sich nicht“, Hans griff sie und gab ihr einen Kuss auf den Mund.

Während sie die Promenade entlang gingen, schmiegte sich Hannah an Hans an. Ihr kam die bevorstehende Trennung in den Sinn, Tränen stiegen in ihre Augen. Hans hielt an und wischte ihr die Tränen ab. „Nicht weinen, mein Schatz“, sagte er dazu. Als Hannah nickte, fügte er hinzu, „wenn du weinen musst, dann weine jetzt, wo wir noch zusammen sind. Nachdem wir getrennt sind, kann ich dir die Tränen nicht mehr abwischen.“ Hannah versuchte ein Lächeln und Hans drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor sie weitergingen. „Ich werde tapfer sein, liebster Hans“, sie reichte ihm die Hand und so gingen sie Hand in Hand zu François. Christine war hinter der Bar beschäftigt, als die beiden durch die Tür traten. Sie schaute auf und lächelte, als sie das Liebespaar Hand in Hand kommen sah. Aus dem Privatbereich erschien François und rief fröhlich, „ah, die beiden Turteltauben.“ Die vier begrüßten sich herzlich und Christine entführte Hannah in Richtung Küche. „Lassen wir unsere beiden Philosophen zuerst einmal allein diskutieren“, bemerkte sie dazu.

François schüttete für Hans und sich ein Bier ein. Beide tranken, während die Frauen in der Küche verschwanden. Hans war beunruhigt, da in ihm der Verdacht aufstieg, dass es zwischen François und Christine abgesprochen war, dass Christine Hannah in die Küche lotste.
     „Was ist François? Es hat doch einen Grund, dass Christine Hannah sofort in die Küche entführt hat!“
     „Ja, ich wollte zuerst mit dir allein sprechen. Keine Angst, ich weiß, dass wir vor Hannah nichts verbergen dürfen.“
     „Dann heraus damit!“
     „Es ist so, ich habe heute früh die Information erhalten, dass gestern das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt unterzeichnet haben, Ribbentrop ist deshalb nach Moskau geflogen. Morgen wird es in allen Zeitungen stehen. Was das genau bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Es bedeutet aber auf jeden Fall, dass der Krieg in unmittelbare Nähe gerückt ist.“
     Hans nickte, „das sehe ich auch so und was bedeutet das für Hannah?“
     François wiegte den Kopf, „es sind ja nur noch vier Tage. Das wird reichen, hoffe ich. Es geht aber jetzt nicht um Hannah, es geht um dich.“
     „Um mich?“
     „Ja, wenn du bleibst, wirst du interniert.“
     „Ich weiß!“
     „Hans, mach keinen Quatsch, verschwinde noch vor Kriegsausbruch. Geh doch mit Hannah, auch Portugal wäre eine Option. Dort wartest du ab, was passiert; oder du bemühst du dich um ein Visum für ein amerikanisches Land.“
     „Nichts zu machen, François! Ich bleibe!“
     „Und wie stellst du dir das vor?“
     „Ich werde verhaftet und komme in ein Lager. Nach einem Sieg der Wehrmacht, werde ich sicher eine Möglichkeit finden unterzutauchen. Danach muss der Widerstand aufgebaut werden.“
     Hannah steckte den Kopf durch die Küchentür, „Essen ist fertig. Schluss mit Quatschen.“

Christine und Hannah deckten den Abendtisch in der Gaststube, damit noch eventuell späte Gäste bedient werden konnten, ohne das Essen zu unterbrechen. Zu viert unterhielten sie sich über dies und jenes, der Cidre sorgte für eine lockere Stimmung. Nur Hannah war unruhig, es konnte doch nicht sein, dass François sie so dringend herbestellt hatte, einfach um einen fröhlichen Abend mit ihnen zu begehen. Nach dem Hauptgang goss Christine Kaffee auf und stellte anschließend die Kaffeekanne auf den Tisch.
     „Hans, du hast versprochen mich nie mehr im Ungewissen zu lassen. Nach der dringenden Aufforderung von François nach Arromanches zu kommen, gehe ich davon aus, dass wir nicht zum fröhlichen Zusammensein hierhergekommen sind“, platzte es aus Hannah heraus, während sie die Tassen auf dem Tisch verteilte.
     „Liebste, bitte, ich habe es versprochen und ich werde dieses Versprechen halten. Komm, setzt dich zu uns, François wird dir gleich berichten, was vorgefallen ist, es betrifft dich nicht direkt, es geht um mich.“
     François nickte, „Hannah, es ist so, das Reich hat einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion abgeschlossen. Gestern in Moskau. Ribbentrop und Molotow haben den Pakt in Anwesenheit Stalins unterzeichnet.“
     „Und was bedeutet das?“, fragte Hannah.
     „Das bedeutet, dass wahrscheinlich ein Angriff des Reichs auf Polen unmittelbar bevor steht. Wenn das geschieht, werden Frankreich und England dem Reich den Krieg erklären. Für dich dürfte das im Moment keine Bedeutung habe. Du wirst zwar interniert werden, aber in England.“
     „Und Hans?“
     „Ich habe ihm geraten, mit dir zu gehen. Nach Portugal zu flüchten wäre auch eine Option. Dort kann er abwarten, was passiert, aber er will nicht weg.“
     Hannah zuckte mit den Schultern, „ich weiß, das wird er nicht tun. Bitte Hans, mein Liebster, ich bitte dich, geh weg, solange du noch kannst.“
     „Nein, Hannah, wir haben das besprochen. Bitte bedränge mich nicht.“
     Hannah nickte, „auch wenn ich es mir so sehr wünsche, ich verstehe deine Gründe.“ Ihr schossen wieder Tränen in die Augen.
     „Noch ist ja nichts entschieden, mein Schatz. Vielleicht kommt alles nicht so schlimm und die Nazis siegen nicht.“
     Noch mit Tränen in den Augen verzog Hannah ihr Gesicht zu einem spöttischen Lächeln, „Liebster, was du da sagst, glaubst du doch selbst nicht. Ich will und ich werde dir vertrauen, aber erzähle mir nicht auf einmal das Gegenteil von dem, was du bisher gesagt hast.“
     „Du hast recht Hannah!“, mischte sich Christine ein, „seit Monaten versuchen die beiden Kerle mich vom Sieg der Nazis zu überzeugen und jetzt, wo es wahrscheinlich zur Katastrophe kommt, da versucht Hans dir Sand in die Augen zu streuen. Hans, das sage ich dir, sei ehrlich zu Hannah, sonst kriegst du es mit mir zu tun.“
     „Nein, nein, mit dir lege ich mich lieber nicht an“, Hans zog Hannah zu sich heran, „tut mir leid, Liebste. Ich dachte, ich könnte es dir so leichter machen.“
     Hannah schmiegte sich an ihn, „ich weiß, mein Schatz.“
     In diesem Moment kam Paul mit seiner Frau Georgine im Gefolge polternd durch die Tür. „Oh, die beiden Turteltauben hocken beieinander“, sagte er dabei. „Entschuldigung Mademoiselle Schwarz, ich wollte nicht aufdringlich sein. Nur als ich sie und Hans so vertraut hier sitzen sah, hat es mich überwältigt.“
     Hans lachte, „Paul, jetzt hab dich nicht so. Hannah ist ganz locker. Stimmt doch Süße?“
     „Es gibt kein Problem, Docteur Beaudoin. Hans und ich, wir sind nun einmal verliebt.“

Christine stellte für Paul und Georgine je einen gefüllten Teller auf den Tisch. Während Paul kräftig zulangte, aß Georgine langsam und andächtig. François erhob sich, ging zur Bar und schenkte für jeden ein Bier ein. Christine folgte ihm, stellte die Gläser auf ein Tablett, das sie anschließend zum Tisch trug. Die drei Männer waren schnell wieder in eine Diskussion über die Weltlage vertieft, während die Frauen ihre Gläser leerten und anschließend den Tisch abräumten. Sie trugen das Geschirr gemeinsam in die Küche und Christine nahm den Wasserkessel mit heißem Wasser vom Herd, füllte dieses in die Spülschüssel und ließ aus dem Wasserhahn kaltes Wasser dazu laufen. Christine spülte und reichte Hannah jedes gespülte Teil zum Abtrocknen, Georgine räumte die abgetrockneten Teile in die Regale. Die drei Frauen verstanden sich ohne Worte und Hannah fühlte sich hier in der Normandie zum ersten Mal wieder geborgen, seit sie das heimische Frankfurt verlassen hatte.
     „Du machst einen zufriedenen Eindruck, Hannah. Ich hoffe für dich, dass du etwas von dieser Zufriedenheit behalten kannst, wenn du uns verlässt.“
     Hannah schossen Tränen in die Augen, sie sagte aber beherrscht, „das hoffe ich auch Christine. Nein, ich hoffe es nicht, ich bin sicher, die Zeit in Bayeux und Arromanches hat mein Leben für immer verändert.“
     „Hannah, ich weiß, du hast mit Hans dein Glück gefunden und durch deine Anstellung bei meinem Bruder bist du auch finanziell abgesichert.“
     „Ich bin Docteur Beaudoin unendlich dankbar, dass er mich eingestellt hat.“
     „Quatsch, sie sind ein Glücksfall für Paul“, warf Georgine ein.
     Hannah lachte, „nun übertreiben Sie bitte nicht, Madame Beaudoin. Es ist aber so, außer der Trennung von Hans, die ich kaum ertragen kann, fällt es mir schwer diese Arbeit zu verlieren. Docteur Beaudoin hat recht, wenn je wieder ich studieren könnte, würde ich vielleicht von Human- auf Tiermedizin umsteigen. Das wird aber nichts werden, in diesen Zeiten geht es eher um das nackte Überleben, als um Pläne für das weitere Leben.“
     Christine schüttelte den Kopf, „Hannah! Man soll niemals, niemals sagen. Wer weiß schon wie das Leben verläuft.“
     „Trotzdem Christine, alles ist ungewiss, nur eins weiß ich, Hans zu verlassen ist schmerzhaft und wenn es jemals zu einem Wiedersehen kommen sollte, werde ich dem Schicksal dafür dankbar sein.“
     Hans steckte den Kopf durch die Tür, „komm mein Schatz. Paul möchte fahren und ich muss wohl langsam zu Bett.“

Christine legte ihren Feudel beiseite und umarmte Hannah spontan. „Du wirst uns allen fehlen“, sagte sie dazu. Hannah stiegen wieder Tränen in die Augen, sie nannte sich selbst eine Heulsuse, dann erwiderte sie Christines Umarmung und ging zu Hans. Er nahm sie bei der Hand, nachdem Christine sich mit Wangenküssen von ihm verabschiedet hatte.

Auf der Rückfahrt nach Bayeux sprachen sie nur wenig. Paul erzählte Hans von seiner Jugend und wie er sich als Kind immer mit Christine gestritten hatte. Er lächelte in sich hinein, als er erklärte, dass er nie gedacht hätte, dass aus dieser dürren Bohnenstange jemals eine richtige Frau werden könne. Er hielt vor der Praxis an, da Hans der Meinung war, er und Hannah könnten nach dem ausgiebigen Essen noch gut ein Stück zu Fuß zurücklegen. Hannah war das auch recht, nur Paul nörgelte etwas, was nach ‚ihr Turteltauben‘ klang. Auf dem Zimmer legte Hannah noch Overall, Gummistiefel und Handschuhe bereit, bevor sie sich auszog. Sobald sie nackt war, zog Hans sie zu sich heran, küsste sie stürmisch und drückte sie auf das Bett. Hannah wurde von ihren Gefühlen zu Hans überwältigt und als er sich über sie beugte, schlang sie ihre Arme um ihn. Einen Moment hatte sie den Eindruck, die Erde würde erzittern, als Hans, während er sie liebkoste, sein Gesicht auf ihre Scham drückte. Eng umschlungen schliefen sie ein, nachdem ihre Lust befriedigt war.

Als Hannah am Mittag Feierabend hatte, kam ihr Hans entgegen, kaum dass sie die Praxis verlassen hatte. Sie begrüßten sich mit einem Kuss, nahmen sich bei den Händen und gingen in Richtung ihres Zuhauses. Trotz der Angst vor der bevorstehenden Trennung stieg Wärme in Hannah auf und sie versuchte so eng wie irgend möglich neben Hans zu gehen. Hans gab ihr nach ein paar Schritten einen Schubs, „wenn wir so weiter machen, landen wir in der Gosse, statt auf unserem Zimmer.“ Beide lachten, Hans ließ Hannahs Hand los und legte ihr den Arm um die Schultern. Ein frischer Wind wehte unerwartet durch die Straßen. Hannah hatte den Eindruck, der Sommer neige sich endgültig dem Ende zu und sie sei zu leicht bekleidet. Es schien ihr, der um ihre Schultern gelegt Arm wäre das einzige, was ihr auf diesem Weg Wärme spendete.
     Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, schmiegte sich Hannah eng bei Hans an. „Warum lernen wir uns gerade jetzt kennen? Unsere gemeinsame Zeit sollte so lange dauern, wie wir uns lieben, darauf haben Liebende einen Anspruch! Stattdessen endet unsere Zeit, weil ein kleiner Mann in brauner Uniform Menschen wie uns ihr Glück nicht gönnt.“
     „Hannah, nicht doch. Bitte lass uns unsere wenigen gemeinsamen Tage genießen. Wir müssen unsere kurze Zeit so leben, als sei es ein ganzes Leben. Wenn wir das tun, werden wir uns bis an das Ende unserer Tage an diese Tage der Liebe erinnern“, Hans schlang seine Arme heftig um Hannah.
     „Ich werde dich nie vergessen.“
     „Ich weiß, Süße. Aber wenn du eine neue Liebe findest, dann verschließe die Erinnerung an mich tief in deinem Innersten. Ich möchte nicht, dass eine mögliche neue Beziehung von unserer Liebe überschattet wird.“
     „Es wird keine neue Liebe geben!“
     „Ach Süße, du bist noch so jung. Ich möchte nicht, dass das jetzt dein Leben gewesen ist. Versprich mir offen für eine neue Liebe zu sein.“
     „Das kann ich nicht, aber ich weiß, dass das geschehen kann. Aber diese Tage mit dir haben für immer mein Leben verändert.“

Heftig zog Hans Hannah wiederum an sich. Sie wurde ganz weich unter seiner Umarmung. „Komm mein Schatz, ich habe Verlangen, bitte lass uns zu Bett gehen“, flüsterte Hannah in sein Ohr. Hans trennte sich von Hannah und begann an ihrer Bluse zu fingern. Nach und nach entledigten sie sich ihrer Kleidungsstücke und als sie nackt waren, hob Hans Hannah hoch und legt sie auf das Bett. Hans streichelte leicht über Hannahs Brüste, was ihren Körper erzittern ließ. Hannah drehte sich leicht zur Seite und begann damit, in seinen Schamhaaren zu kraulen, was bei Hans zu einem genussvollen Stöhnen führte. Sobald sein Penis die nötige Festigkeit erreicht hatte, hockte Hannah sich auf Hans. Sie nahm ihre Hand zu Hilfe, um den Penis in ihre Vagina einzuführen. Rhythmisch hob und senkte Hannah ihren Schoß, Hans stöhnte leise. In diesem Moment klopfte es heftig an der Tür. Erschrocken hielt Hannah inne und ließ sich zur Seite fallen. Hans legte einen Finger an den Mund, zum Zeichen, dass Hannah still sein sollte. Er stieg aus dem Bett, zog die im Zimmer verstreuten Kleidungsstücke an sich und stellte sich so hinter die Tür, dass er nicht gesehen werden konnte, wenn die Tür geöffnet wurde. Wieder gab er Hannah ein Zeichen.
     „Wer ist da?“, fragte Hannah unsicher.
     „Ich bin’s, Patxi“, kam als Antwort.
     „Warte bitte einen Moment, ich ziehe mich gerade an“, antwortete Hannah. Hans biss sich auf die Unterlippe, um sein Lachen zu unterdrücken.
     „In Ordnung“, antwortete Patxi.
     Hannah zog den Morgenmantel über und öffnete die Tür einen Spalt weit, „braucht Docteur Beaudoin mich?“
     „Ja, Mademoiselle Schwarz.“
     „Gut Patxi, ich ziehe mich an und komme sofort.“
     „Nein Mademoiselle Schwarz. Ich soll sie zur Rue de Saint-Patrice bringen. Sie treffen Docteur Beaudoin dort.“
     „Gut Patxi, warte bitte, ich brauche nur einige Minuten.“

Hannah schloss die Tür und legte ihre Arbeitskleidung an. Hans betrachtete dabei die geschmeidigen Bewegungen der jungen Frau, immer noch musste er mühsam das Lachen unterdrücken. Hannah schüttelte den Kopf, „was gibt es denn da zu lachen?“ Jetzt konnte sich Hans kaum noch zurückhalten. „Ich ziehe mich gerade an. Eine dreiste Lüge!“, feixte er. Derweil war Hannah eingekleidet, drängte sich an ihn und während sie ihm leicht den Penis massierte, flüsterte sie ihm ins Ohr, „wenn ich wiederkomme, kitzle ich dich tot.“ Heftig zog Hans sie in seine Arme und drückte ihr einen Abschiedskuss auf die Lippen. Dann ließ er sie los. Hannah wandte sich ab, nahm ihre Handschuhe und öffnete die Tür. Patxi wartete auf dem Treppenabsatz auf sie. Sobald sie auf der Straße waren, konnte er seine Neugierde nicht mehr zähmen.
     „Sie waren nicht allein im Zimmer, Mademoiselle Schwarz?“
     „Nein, natürlich nicht. Es ist das Zimmer von Monsieur Donrath.“
     „Ich habe sie also gestört?“
     Hannah hielt inne, „das ist eine sehr indiskrete Feststellung, Patxi.“
     „Entschuldigung Mademoiselle Schwarz, ich wollte nicht indiskret sein. Es tut mir nur leid, dass ich sie gestört habe.“
     „Du machst dir vielleicht Gedanken. Ich habe doch Bereitschaftsdienst, da muss ich mit Störungen rechnen.“
     „Sie sind nicht böse über das, was ich gesagt habe? Ich weiß, dass das indiskret war, aber darüber zu schweigen ist doch auch doof.“
     „Schon gut, Patxi, ich bin dir nicht böse. Weißt du, warum Docteur Beaudoin mich nicht zur Praxis bestellt hat?“
     „Nein, aber ich kann es mir denken, Mademoiselle Schwarz.“
     „Ja und?“
     „Es gibt überall Leute, die etwas gegen Réfugiés haben. Ich vermute, Docteur Beaudoin will sie schützen.“
     Abrupt blieb Hannah stehen, „machst du Scherze, Patxi?“
     „Nein, Mademoiselle Schwarz, über so etwas würde ich keine Scherze machen. Ich kriege mit, was so in der Nachbarschaft vorgeht und illegale Réfugiés sind nicht bei allen gern gesehen und sie sind doch eine Illegale, oder?“
     „Ja, Patxi, ich bin eine Illegale.“
     „Keine Angst, ich werde sie beschützen, Mademoiselle Schwarz – und Monsieur Donrath auch.“
     „Das ist lieb von dir, Patxi.“ Patxi warf ihr einen dankbaren Blick zu.

Als sie in die Rue de Saint-Patrice einbogen, stand Docteur Beaudoins Auto bereits am Straßenrand. Hannah streichelte Patxi über die Wange und stieg zu Docteur Beaudoin in den Wagen. Der Arzt startete sofort und steuerte den Wagen aus der Stadt hinaus in Richtung Vaucelles. Im Dorf bog er auf einen holprigen Weg ab und hielt schließlich auf einem abgelegenen Hof. Man merkte den beiden an, dass sie inzwischen ein eingespieltes Gespann waren, ohne viele Worte zu wechseln, nahmen sie alle benötigten Ausrüstungsgegenstände aus dem Auto und gingen in Richtung Stallungen. Hannah warf bewundernde Blicke auf das schlossähnliche Anwesen, zu dem sich Wirtschaftshof und Stallungen öffneten. Docteur Beaudoin, der Hannahs Verwunderung über die Größe des Hofes bemerkte, erklärte ihr, dass es sich hier wohl um den größten Gutshof weit und breit handele, der sich im Besitz einer steinreichen Familie aus Paris befinde. Im Stall trafen sie auf den Verwalter.
     „Wo brennt’s, Jean-Paul?“, rief Docteur Beaudoin mit seiner dröhnenden Stimme.
     „Bonjour, Paul. Soviel Zeit muss sein“, witzelte der Verwalter grinsend.
     „Gut, gut, du hast gewonnen. Bonjour, mein lieber Jean-Paul. Darf ich dir meine Assistentin vorstellen? Mademoiselle Schwarz. Mademoiselle Schwarz, das ist mein Freund Monsieur Durant.“
     „Mein Gott, Paul! Die ganze Zeit sprichst du mich mit dem Vornamen an und bei der Vorstellung nennst du mich ganz umständlich Monsieur Durant. Wenn es sie nicht stört, Mademoiselle Schwarz, ich heiße Jean-Paul.“
     Hannah errötete unbewusst, „nein, Jean-Paul, es stört mich nicht. Ich heiße Hannah.“
     „Gut, Hannah, ich vermute, sie sind Deutsche – illegal?“, antwortete Jean-Paul grinsend.
     Nachdem, was Patxi gesagt hatte, wurde Hannah unsicher. „Ja“, antwortende sie verlegen.
     „Keine Sorge, Mademoiselle Schwarz, Jean-Paul hat nichts gegen sie, die Eigentümer des Guts sind Juden, die ursprünglich aus Deutschland stammen. Aber jetzt zum geschäftlichen Teil, wo brennt’s Jean-Paul?“
     „Die Stute der Baronesse lahmt.“
     „Dann lass sie am besten auf den Hof bringen. Ich glaube, ich habe sie unnötig gestört, Mademoiselle Schwarz, das hätte ich allein erledigen können.“
     „Docteur Beaudoin, nur wenn sie mich mitnehmen, kann ich etwas lernen. Vielleicht wird es ja doch noch etwas mit dem Studieren.“
     „Recht so, Mademoiselle Schwarz!“ Docteur Beaudoin zwinkerte Hannah zu.
Jean-Paul gab einem der Stallknechte den Auftrag, das Pferd auf den Hof zu führen. Zu dritt gingen sie danach selbst auf den Hof und warteten auf den Stallknecht, der das Pferd führte. Docteur Beaudoin gab dem Stallknecht ein Zeichen, die Stute auf dem Hof hin und her zu führen.
     „Nun, was meinen sie Mademoiselle Schwarz?“
     „Ich habe nicht die große Ahnung von Pferden, Docteur Beaudoin, aber ich habe als Kind und Jugendliche Reitunterricht gehabt. Ich glaube, das Hufgelenk der rechten Hinterhand ist entzündet.“
     „Prima, Mademoiselle! Überlegen sie sich das mit dem Studium, sobald sie wieder in sicheren Verhältnissen leben. Kommen sie mit und schauen sie zu, wie ich das Bein anhebe und das Gelenk betaste.“ Der Knecht hielt die Stute am Halfter, während sich Docteur Beaudoin mit dem rechten Hinterbein beschäftigte. Was er machte, sah für Hannah hochprofessionell aus. Nach einiger Zeit trat er zurück. „Mademoiselle Schwarz hat die richtige Diagnose gestellt, Jean-Paul. Ist nicht so schlimm, etwas Ruhe an den nächsten Tagen, Salbe und bandagieren müssten schnelle Linderung bringen. Es wäre gut, wenn du die Stute an den Strand bringen könntest, das Salzwasser würde ihr guttun.“
     „Es wird so gemacht, wie du es vorschlägst, Paul. Danke, dass du so schnell gekommen bist.“
     „Ich kam nur, damit Mademoiselle Schwarz etwas lernen kann“, Docteur Beaudoin lachte laut nach dieser Antwort, Hannah errötete.
     „Paul ist ein Mann, der gerne dumme Sprüche drischt, Hannah. Kein Grund verlegen zu sein. Sie sind bei ihm in guten Händen.“
     „Ich weiß, Jean-Paul.“
     „Wenn sie Lust haben, kommen sie nächste Woche Sonntag vorbei, ich stelle sie dann der Baronesse vor.“
     Hannah schüttelte den Kopf, „da bin ich leider bereits abgereist.“
     „Schade, da kann man nichts ändern, aber wenn sie wieder einmal in der Gegend sind, melden sie auf jeden Fall bei mir. Insbesondere, wenn sie dann Tierärztin sein sollten.“
     „Das mache ich auf jeden Fall, Jean-Paul.“
     „Schluss jetzt mit dem Gesäusel, Jean-Paul. Mademoiselle Schwarz ist bereits gebunden“, dröhnte die Stimme von Docteur Beaudoin.

Als sie zurück in der Stadt waren und Docteur Beaudoin Hannah bei Hans absetzten wollte, standen zu ihrer Überraschung Hans und Patxi auf der Straße und warteten auf sie. Docteur Beaudoin kurbelte die Scheibe herunter, „was ist los?“ „Sie sollen so schnell wie möglich nach Monceaux-en-Bessin kommen, Docteur Beaudoin“, antwortete Patxi. Docteur Beaudoin nickte bedächtig. „Möchten sie hier bleiben, Mademoiselle Schwarz? Ich kann das verstehen.“ „Nein, ich habe die Stelle bei ihnen angenommen und ich halte mein Wort.“ „Sie sind eine echte Deutsche“, Docteur Beaudoin lachte laut. „Hans, ich muss dir deine Liebste noch einmal entführen.“ „Kein Problem, Paul. Morgen hat Hannah Ruhe vor dir. Ich fahre so lange nach Arromanches.“ Docteur Beaudoin nickte, startete den Wagen und lenkt ihn in Richtung Monceaux aus der Stadt.

„Nun Patxi, was hast du denn am Nachmittag vor?“, fragte Hans, nachdem Docteur Beaudoins Auto hinter einer Straßenecke verschwunden war.
     „Weiß nicht, Monsieur Donrath.“
     „Hast du Lust, mit nach Arromanches zu kommen?“
     „Ja, aber ich muss zu Hause Bescheid sagen, dass ich später komme und ich habe kein Geld für den Omnibus.“
     „Wir gehen bei dir vorbei und den Omnibus spendiere ich dir.“
     „Danke, Monsieur Donrath.“
     „Ich gehe noch einmal kurz nach oben und schreibe eine Notiz für Mademoiselle Schwarz, damit sie nachkommt, wenn es ihre Zeit zulässt.“
     „Sie haben Mademoiselle Schwarz wohl sehr lieb?“
     „Ja, Patxi.“
     „Und warum lassen sie, Mademoiselle Schwarz dann weggehen?“
     „Woher weißt du das, Patxi?“
     „Ich habe es aufgeschnappt, Monsieur Schwarz. Nicht böse sein.“
     „Ich bin dir nicht böse. Du bist ein aufgeweckter Junge. Mademoiselle Schwarz ist in Gefahr, wenn sie hier bleibt.“

Hans klopfte Patxi auf die Schulter und ging nach oben auf sein Zimmer, um die Notiz für Hannah zu schreiben. Hans und Patxi sprachen nicht viel, bis sie im Omnibus saßen. Dann siegte bei Patxi die Neugier. „Wenn Mademoiselle Schwarz in Gefahr ist, dann stimmt es also, dass es Krieg gibt?“
     Um die Sache nicht zu hoch zu hängen, antwortete Hans ausweichend, „es ist möglich, dass es Krieg gibt.“
     „Es ist aber so wahrscheinlich, dass sie Mademoiselle Schwarz deshalb wegschicken?“
     „Patxi, es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme!“
     „Alle behandeln mich wie einen kleinen Jungen, niemand spricht offen mit mir, sie auch nicht.“ Patxi klang verbittert.
     „Patxi, ich will offen zu dir sein, aber auch keine falschen Vorhersagen verbreiten. Also höre zu, ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns in wenigen Tagen im Krieg befinden. Menschen wie Mademoiselle Schwarz und ich kommen dann in ein Lager. Das möchte ich ihr ersparen. Mehr noch, wenn die Deutschen kommen sollten, wäre sie in allergrößter Gefahr. Da du mit einem wachen Geist ausgestattet bist, hast du sicher mitbekommen, dass ich als Soldat in Spanien gekämpft habe, ich weiß also, was Krieg bedeutet. Ich muss Mademoiselle Schwarz davor schützen.“
     „Wir könnten sie beide verstecken, damit sie nicht ins Lager müssen.“
     Hans lächelte, „Patxi, das geht nicht. Wenn sich Frankreich mit unserem Heimatland im Krieg befindet, wäre es sehr unklug, sich zu verstecken.“
     „Das verstehe ich nicht, Monsieur Donrath. Wenn sie sich gemeinsam verstecken, könnten sie zusammen bleiben. Sie haben doch selbst gesagt, dass sie Mademoiselle Schwarz sehr lieb haben.“
     „Wenn man so etwas macht, läuft man in Gefahr als Spion erschossen zu werden, sobald man erwischt wird. Das ist nun wirklich nicht das, was ich mir für Mademoiselle Schwarz wünsche.“
     „Ist Mademoiselle Schwarz in Gefahr, weil sie Jüdin ist?“
     Hans schüttelte den Kopf, sagte aber, „dir bleibt wohl nichts verborgen.“
     „Es gibt Menschen, die sagen, die Juden sind schlecht und raffsüchtig. Das kann aber nicht sein. Mademoiselle Schwarz ist hilfsbereit und nett.“
     „Patxi, was diese Menschen sagen, ist sehr dumm, es gibt keinen Unterschied zwischen uns und den Juden. Alle Menschen sind Kinder der gleichen Schöpfung und sind von daher von gleichem Wert.“
     „Bitte Monsieur Donrath, gehen sie doch mit Mademoiselle Schwarz weg, das ist für besser sie und sie können Mademoiselle Schwarz weiter beschützen.“
     „Das geht nicht, ich habe hier noch etwas zu erledigen, ich muss sie wegschicken. Bitte lassen wir das Thema fallen, es ist schmerzhaft von Mademoiselle Schwarz zu sprechen.“
     Patxi nickte, sagte aber nichts mehr.

Der Omnibus fuhr in Arromanches ein und an der Endhaltestelle stiegen sie aus. Hans war erstaunt, als er erfuhr, dass der Junge noch nie in dem Seebad gewesen war. So spielte er, so gut es ging, den Fremdenführer. Patxi zeigte sich hoch interessiert an allem, was Hans ihm erklärte. Nach einiger Zeit konnte er aber wiederum seine Neugier nicht zähmen.
     „Aber sie waren doch sicher nicht immer Soldat, Monsieur Donrath. Darf ich sie fragen, was sie vorher gemacht haben?“
     Hans biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen und antworte, „ich war Lehrer in Deutschland. Ich habe als Deutsch- und Englischlehrer gearbeitet.“
     „Ich würde gerne eine fremde Sprache lernen, wenn es keinen Krieg gäbe, könnten sie mir Deutsch beibringen.“
     „Ja, Patxi, das wäre eine gute Idee. Lernt ihr denn keine Fremdsprache in der Schule?“
     „Nein, ich gehe auf die Volksschule, da lernt man keine Fremdsprachen und im kommenden Jahr werde ich aus der Schule entlassen.“
     „Du sprichst nur Französisch?“
     „Nein Monsieur Donrath, ich spreche auch Normannisch“, ein gewisser Stolz klang aus Patxis Stimme.
     „Siehst du, es ist so Patxi, da du bereits zwei Sprachen sprichst, wirst du es später leicht haben weitere Sprachen zu lernen, aber vorerst ist es doch sicher wichtiger, dass du einen Beruf erlernst. Weißt du schon, was du nach der Schule machst?“
     „Nein Monsieur, viele Möglichkeiten gibt es hier auf dem Land nicht.“
     „Wenn du möchtest, mache ich dich mit meinem Freund François bekannt. Der betreibt eine Bar hier in Arromanches und hat sicher genug Bekannte, die einen aufgeweckten Jungen wie dich einstellen würden und Docteur Beaudoin kannst du bestimmt auch ansprechen. Der kennt auch jede Menge Leute. Wenn du im Leben etwas erreichen willst, musst du mit den Leuten sprechen. Docteur Beaudoin anzusprechen wäre eine gute Übung.“
     „Ich werde mir alles merken, was sie gesagt haben und versuchen es so zu machen, Monsieur Donrath.“

Sie erreichten am späteren Nachmittag die Bar von François. Nachdem Hans Christine und François begrüßt hatte, stellte er Patxi vor und brachte auch gleich sein Anliegen, eine Arbeit zu finden, zur Sprache. François nickte bedächtig und versprach dann, sich umzuhören. Danach berichtete François, dass Paul angerufen hätte und gesagt hatte, dass Hannah mit dem nächsten Omnibus nach Arromanches käme. François ging hinter den Tresen, zapfte für sich und Hans zwei Gläser Bier und schüttete für Patxi ein Glas Limonade ein. Christine bat Patxi mir ihr nach hinten in die Küche zu kommen. Sie wusste, die beiden Männer hatte mit Sicherheit etwas zu besprechen, was nicht für Patxis Ohren bestimmt war. Kurz darauf öffnete sich die Tür und Hannah trat ein.
     Hans erhob sich, ging ihr entgegen und umarmte sie. „Schön, dass du nachkommen konntest. Ich vergehe vor Sehnsucht.“
     Hannah versetzte Hans einen Knuff in die Seite. „Docteur Beaudoin hat mir für heute Nachmittag freigegeben. Er meint, nach zwei Einsätzen reiche es zuerst einmal und wenn ich mit dem letzten Omnibus zurückkäme, würde er sich im Notfall bis dahin mit jemand anderem behelfen. Wo ist Christine?“
     „Christine ist in der Küche, du kannst gerne nach hinten gehen“, antwortete François, nachdem auch er Hannah begrüßt hatte.
     Hans hielt sie noch einmal zurück, strich ihr über die Haare, „ich freue mich so, dass du kommen konntest.“ Hannah küsste ihn kurz und verschwand in der Küche.

Hans und François steckten die Köpfe zusammen und gingen noch einmal alle Schritte durch, von denen sie meinten, sie seien nötig, um Hannah sicher außer Landes zu bringen. Zum Schluss vereinbarten sie, François würde am Sonntag bei Paul anrufen, sobald sich Félix bei ihm gemeldet hatte. Sie tranken noch gemeinsam ein weiteres Bier, dann kamen Hannah, Christine und Patxi aus der Küche. Sie wechselten noch ein paar Worte, danach meinte Hannah, es wäre Zeit zum Omnibus zu gehen.

In Bayeux machten Hannah und Hans einen Schlenker durch die Stadt, um Patxi bis zur Tür zu bringen, was dieser für unnötig hielt. Seine Mutter stand im Hausflur und wischte den Boden, als die drei ankamen. Patxi verabschiedete sich, dankte Hans für den schönen Ausflug und ging ins Haus. Hannah und Hans führten noch ein kurzes Gespräch mit Patxis Mutter, verabschiedeten sich aber auch schnell, da sie von der Sehnsucht allein zu sein erfüllt waren.

Hans und Hannah waren kaum auf dem Zimmer und waren gerade dabei sich einen Tee aufzugießen, als es bereits wieder klopfte. „Heute ist nicht unser Tag“, bemerkte Hans, wobei er grinsen musste. Er ging zur Tür und öffnete.
     „Hallo Patxi, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen“, er behielt aber das Grinsen bei, damit Patxi seine Worte nicht ernst nahm.
     Trotzdem war Patxi verlegen, geriet ins Stottern und wurde rot im Gesicht, „Entschuldigung, dass ich störe, Monsieur Donrath. Docteur Beaudoin schickt mich.“
     „Es ist schon in Ordnung Patxi, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Komm herein“, sagte Hans, während er die Tür freigab.
     Patxis Verlegenheit steigerte sich, sobald er Hannah sah. „Mademoiselle Schwarz, Docteur Beaudoin bittet sie, sich fertig zu machen und nach unten zu kommen, er holt sie in zehn Minuten ab.“
     „Ist in Ordnung, Patxi. Monsieur Donrath wird dich nach Hause begleiten. Ich möchte nicht, dass du zu dieser Tageszeit unnötig allein draußen herumläufst.“
     „Das ist nicht nötig, Mademoiselle Schwarz!“ Patxis Stimme klang entrüstet.
     „Patxi, es ist nicht nötig, aber ich fühle mich wohler, wenn du nicht allein auf der Straße bist.“
     „Nun, wenn es ihnen dadurch besser geht, dann kann Monsieur Donrath mich nach Hause bringen.“
     „Danke Patxi und nun geht, ich muss mich umziehen.“

Hans gab Hannah einen Kuss und Patxi sagte, „au revoir“, bevor Hans die Tür schloss. Hannah zog sich um und beeilte sich nach unten zu kommen. Sie stand bereits in der Tür, als der Wagen von Docteur Beaudoin um die Ecke bog und direkt vor der Haustür anhielt. Hannah stieg ein und Docteur Beaudoin fuhr umgehend ab. Sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, meinte Docteur Beaudoin, „das ist hoffentlich das letzte Mal, dass ich sie störe, Mademoiselle Schwarz. Bis sie das nächste Mal Bereitschaft hätten, sind sie hoffentlich unterwegs nach England.“ Hannah antwortete nicht darauf und versuchte den Gedanken an ihre Abreise zu verdrängen. So verlief die Fahrt durch die Dunkelheit in beiderseitigem Schweigen. Einmal verfuhr sich Docteur Beaudoin und als er es bemerkte, wendete er den Wagen, wobei er leise fluchte. Als sie auf dem Gehöft ankamen, erwartete die Bäuerin sie bereits am Tor, trotz des nur trüben Lichts, das eine Sturmlaterne in ihrer Hand verbreitete, war unschwer zu erkennen, dass sie besorgt war. Docteur Beaudoin stoppte auf dem Hof, beide stiegen aus und suchten ihre Ausrüstung zusammen. Die Bäuerin versuchte die Sturmlaterne, so zu halten, dass etwas Licht in den Kofferraum fiel. Docteur Beaudoin reichte Hannah den Kälberstrick und dann folgten sie der Bäuerin in den Stall.

Es war ein kleiner Stall, in den sie eintraten. Rechts befand sich der Schweinekoben und links standen zwei Kühe und ein Zugochse. Der hinteren Kuh ging es offensichtlich schlecht und der Bauer bemühte sich um sie. Docteur Beaudoin stieß ihn zur Seite und gab ihm zu verstehen, dass er solle das Tier beim Kopf halten solle. Sofort begann er mit der Untersuchung. „Verdammt! Warum habt ihr mich nicht früher gerufen, Mathéo?“ Der Bauer zuckte mit den Schultern. „Wir haben kein Geld, Paul“, antwortete stattdessen die Bäuerin, während sie die Sturmlaterne hochhielt. Schweigend arbeitete Docteur Beaudoin weiter, während Hannah bereitstand ihm zu helfen. Inzwischen lief ihm der Schweiß von der Stirn, einige Male schüttelte er den Kopf, dann fluchte er wieder, „Mathéo, seit ihr von allen guten Geistern verlassen, die Kuh ist doch bestimmt schon vierundzwanzig Stunden in den Wehen, oder?“ „Länger“, gab der Bauer kleinlaut zu. Dann ging es auf einmal ganz schnell, Hannah reichte dem Arzt den Kälberstrick und sobald es Docteur Beaudoin gelungen war, diesen um die Vorderbeine des Kalbs zu winden, zog Hannah mit aller Kraft daran. Das Kalb fiel mit schmatzendem Geräusch ins Stroh und Hannah taumelte gegen den Schweinekoben, an dessen Wand sie herunterrutschte. Sie erhob sich sofort wieder und begann damit, das Kalb mit Stroh abzuwischen, aber Docteur Beaudoin schüttelte den Kopf, das Kalb war tot.
     „Mathéo, habe ich euch jemals bedrängt, wenn ihr nicht zahlen konntet? Allein durch den Verkauf des Kalbs hättet ihr so viel Geld gehabt, dass ihr mich leicht hättet bezahlen können und ihr hättet noch reichlich Geld für euren Bedarf gehabt. Jetzt habt ihr gar nichts, das wäre nicht nötig gewesen!“
     „Paul, bitte hör auf. Durch dein Schimpfen wird das Kalb auch nicht mehr lebendig, wir zahlen, sobald wir können“, wieder antwortete die Bäuerin, während ihr Mann ziemlich geknickt an der Wand lehnte.
     Docteur Beaudoin wollte sich aber nicht beruhigen, „wir kennen uns seit zwanzig Jahren, ich kann nicht verstehen, warum ihr mir nicht vertraut. Im Moment könnt ihr noch von Glück reden, dass die Kuh überlebt hat.“
     Inzwischen hatte sich der Bauer wieder gefangen. „Du hast ja recht Paul, aber es ist nun einmal geschehen. Kommt mit ins Haus, Louise schüttet uns einen Calvados ein.“

Auch die Küche, die sie gemeinsam betraten, machte auf Hannah einen ärmlichen Eindruck. Louise ging zu einem Bord, nahm vier Gläser und eine Flasche Calvados herunter und goss ein. Erst jetzt fiel Docteur Beaudoin ein, dass er Hannah nicht vorgestellt hatte, was er umgehend nachholte. Warm ran der Calvados durch ihre Kehlen, danach wechselten sie noch einige Worte, dann machten sich Docteur Beaudoin und Hannah auf die Rückfahrt. Docteur Beaudoin war immer noch wütend, zeigte sich aber jetzt gesprächig.
     „Das sind jetzt wirklich arme Leute, sie haben zu wenig Land, um mehr Vieh zu halten und auf einem Hektar betreiben sei etwas Ackerbau, das bringt nicht viel mehr Ertrag, als das, was sie für sich selbst benötigen und das verlorene Kalb ist für sie eine Katastrophe. Die einzige Möglichkeit sonst noch zu Geld zu kommen, sind die Äpfel. Sie wachsen auf ihrer Weide und werden an die Destilliere verkauft, viel Geld gibt es dafür nicht.“
     „Das Anwesen machte auf mich einen sehr ärmlichen Eindruck. Die meisten Höfe, die ich mit ihnen besucht habe, sahen dagegen eher wohlhabend aus.“
     „Ja, das stimmt, Mademoiselle Schwarz. Aber es gibt natürlich auch eine Menge Kleinbauern, die sich kaum über Wasser halten können.“
     „Und wie bezahlen diese Leute sie?“
     „Oft mit Naturalien, Mademoiselle Schwarz. Ein Sack Kartoffeln, eine Trage Möhren, ein paar Kohlköpfe.“
     „Docteur Beaudoin, ich glaube, sie sind ein guter Christ.“
     „Papperlapapp Mademoiselle Schwarz. Religion ist nicht mein Ding. In den Gräben von La Grand Guerre habe ich jeden Glauben verloren.“
     „Sie tun viele Sachen, von denen sie keinen Vorteil haben, an irgendetwas müssen sie doch glauben.“
     „Woran ich glaube? Dass ich das tun muss, was getan werden muss. Wenn ich diesen Menschen nicht helfe, wer hilft ihnen dann? Also tu ich es.“
     „Und was ist mit mir? Sie hätten mich nicht einstellen müssen? Sie haben doch auch vorher ihre Arbeit bewältigt.“
     „Ich habe eben eine Schwäche für illegale. Wenn ich ihnen nicht helfe, zugegeben, gemeinsam mit einigen anderen, dann sind sie der Willkür der Gendarmerie, der Vermieter und anderen skrupellosen Geschäftemachern ausgesetzt. Bei ihnen ist es aber etwas anderes, ich brauchte wirklich Ersatz für jemand anderes und als meine Gehilfin in der Praxis ausfiel, war ich froh, dass sie einspringen konnten. Das hat nichts mit einem guten Werk zu tun“, Docteur Beaudoin lachte.

Als Docteur Beaudoin Hannah in Bayeux absetzte, war es bereits lange nach zwei Uhr, so fand Hannah das Zimmer verlassen vor. Sie zog sich aus, zog ihren Morgenmantel über und hängte ihren Overall auf den Dachboden zum Lüften. Zurück auf dem Zimmer wusch sie sich gründlich und las danach noch etwas in Heines Reisebildern. Nachdem sie das Licht gelöscht hatte, schlief sie fast umgehend ein. Hannah erwachte, als Hans sie leicht an der Nase kitzelte. Noch mit geschlossenen Augen zog sie Hans zu sich herunter und küsste ihn auf den Mund. Dann stieg ihr der Duft von frischem Baguette und Croissants in die Nase. Hans erhielt einen Knuff. „Lass mich aufstehen, ich habe einen Mordshunger.“ Hans ließ von ihr ab und Hannah setzte sich, noch in die Decke gekuschelt, auf die Bettkante, während Hans Wasser für den Tee erhitzte.
     „Ist es bei dir sehr spät geworden, mein Schatz?!“, rief er über die Schulter.
     „Ja, oder besser gesagt früh. Es war fast drei, als mich Docteur Beaudoin abgesetzt hat.“
     „Und war der Einsatz erfolgreich?“
     „Nicht so richtig, das Kalb kam tot zur Welt. Die Kuh hat die Geburt nur knapp überlebt.“
     „Wo wart ihr denn?“
     „Ich weiß nicht, irgendwo auf dem Land. Die Frau heißt Louise und der Mann heißt Mathéo.“
     „Ah, die kenne ich. Sie haben einen kleinen Hof in Le Quesnay. Zu wenig zu leben und zu viel zu sterben.“
     „Docteur Beaudoin war ziemlich wütend, dass sie ihn nicht früher gerufen hatten.“
     „Ich kann mir denken, warum sie ihn nicht gerufen haben, sie können ihn nicht bezahlen.“
     „Können sie wirklich nicht. Ich glaube, Docteur Beaudoin hätte am liebsten um sich geschlagen. Er hat mir später erklärt, dass solche Leute in Naturalien bezahlen.“
     „Ich sage es immer wieder, Paul ist ein Ehrenmann.“ Hans setze sich neben Hannah, nachdem er den Tee in die Tassen gefüllt hatte.
     Hannah pustete auf den heißen Tee, lehnte sich bei Hans an und sagte, „schade, dass ich nicht weiter bei Docteur Beaudoin arbeiten kann.“
     Hans streichelte Hannah. „Vielleicht nach dem Krieg, Süße“, flüsterte er ihr in Ohr und reichte ihr ein Croissant.
     Hannah lächelte, „ja, nach dem Krieg, vielleicht.“

Nachdem sie gefrühstückt hatten, kuschelte sich Hannah heftig bei Hans an. „Heute stört uns bestimmt niemand“, flüsterte sie, bevor sie sich wieder auf die Matratze gleiten ließ. Hans zog sich aus und schob die Bettdecke nach unten, Hannah rekelte sich wohlig, während er sich neben sie setzte. Sie setzte sich auf, leckte mit ihrer Zunge an seinem Rücken, den sie anschließen sanft massierte. Stöhnend ließ er sich auf die Matratze fallen und zog sie so zu sich herunter, dass sie mit ihren Brüsten auf seinem Brustkorb zu liegen kam. Er umschloss sie mit seinen Armen und so lagen sie einige Zeit bewegungslos auf dem Bett. In Hannah stieg eine wohlige Wärme auf, sie vergaß den Kummer, den ihr der bevorstehende Abschied bereitete. Sanft küsste sie Hans auf den Hals, was diesen animierte den Griff etwas zu lockern und ihr mit einer Hand über den Rücken zu streicheln. Dann führte er die Hand weiter nach unten und streichelte ihr über den Po. Hannah ließ sich auf die Matratze gleiten, sobald Hans sie freigab. Hans legte sich so, dass er zwischen ihren Beinen zu liegen kam und drückte seine Lippen sanft auf eine von Hannahs Brüsten, ein Gurgeln rang sich aus ihrer Kehle. Sie vereinigten sich, als ihre Lust nicht mehr zu steigern war, danach lagen sie erschöpft, aber glücklich nebeneinander und hielten sich bei den Händen.
     „Wie gestalten wir den Tag, mein Schatz? Ich habe frei, bis Dienstag um zwei Uhr morgens“, sagte Hans nach einiger Zeit und nahm Hannahs Ohrläppchen zwischen seine Lippen.
     Hannah gähnte und antwortete, „ich würde gerne mit dir im Forêt de Cerisy spazieren gehen. Oder wir könnten Florence besuchen, dann kann ich mich von ihr verabschieden.“
     „Um nach Regnéville zu kommen, muss ich versuchen ein Auto zu leihen. Dazu musst du jetzt meine Hand loslassen“, Hans lachte über seine eigene Formulierung.
     „Möglichst nicht wieder einen solch vornehmen Wagen, wie beim letzten Mal.“
     „Ich werde mir alle Mühe geben, kann aber für nichts garantieren, mein Schatz.“
     „Dann musst du dir eben mehr Mühe geben, Liebster.“ Hannah konnte sich vor Lachen kaum halten.
     „Komm Süße, wir machen uns auf die Socken – aufstehen!“

Hans wusste ganz genau, wohin er sich wenden musste, tat aber so, als wäre er unsicher, wer ihm ein Auto leihen würde. So gingen sie Hand in Hand durch die Stadt und nach einiger Zeit bog Hans in einen Torweg ein. Auf dem Hof trafen sie auf Mann undefinierbaren Alters, der gebeugt unter der geöffneten Motorhaube eines kleinen Sportwagens stand und am Motor schraubte. Er trug einen ölverschmierten Schlosseranzug, auch seine Hände und sein Gesicht waren ölverschmiert. „Bonjour Gérard, das ist Hannah, hast du ein Auto für mich?“ Der Mann, den Hans Gérard genannt hatte, warf Hannah einen anerkennenden Blick zu, sagte aber nichts. Er kratzte sich am Kopf und blickte sich um. Mit dem Kopf wies er auf einen Renault Juvaquatre. „Den kannst du haben.“ Ohne sich weiter um die beiden zu kümmern, beugte er sich wieder über den Motor. „Merci Gérard, au revoir.“ Dieser nickte nur und arbeitete weiter. Hans zog Hannah zum Auto und drängte sie auf den Beifahrersitz. Er zwängte sich hinter das Lenkrad, startete den Motor und fuhr langsam vom Hof. Gérard schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Sie fuhren noch einmal zu ihrem Zimmer, steckten den Rest der Croissants ein und machten sich auf den Weg.

Auf der Landstraße schüttelte Hannah den Kopf. „Schatz, was war das denn vorhin? Der Gérard ist für mich außerhalb jeder Vorstellungskraft.“
     „Gérard ist immer so, aber wir sind wirklich befreundet. Wir stehen für einander ein. Ein paarmal hat er mich versteckt, wenn es nötig war. Ich glaube, er ist ein begabter Autoschlosser. Motoren, die niemand mehr zum Laufen kriegt, erweckt er wieder zum Leben.“
     „Aber so, wie der sich benimmt, da geht doch jeder Kunde laufen.“
     „Sein Können hat sich weit herumgesprochen. Der hat mehr zu tun, als er bewältigen kann.“
     „Auf jeden Fall ist er großzügig, mein Süßer.“

Hans lachte und steuerte den Wagen über schmale Landstraßen in Richtung Regnéville. Bevor er endgültig Regnéville ansteuert, fuhr er zur Pointe d’Agon. Dort hielten sie an, setzten sich auf das Trittbett des Renaults und aßen die mitgebrachten Croissants. Hans drückte Hannah an sich. Er verspürte den fast unerträglichen Drang, mit Hannah den Rest seines Lebens zu verbringen. Ein Gefühl von Trauer stieg in ihm auf, aber er wusste, wenn er Hannah retten wollte, musste er sie wegschicken; und sei es noch so schwer. Noch eine Frau an die Nazis zu verlieren, würde er sich nie verzeihen. Wenn Hannah gerettet war, gab es Hoffnung, dass die Nazis am Ende besiegt werden würden. Sein eigenes Leben war ihm nicht mehr wichtig. Hannah war jung, sie würde einen anderen Mann finden, der sie glücklich machen würde. Dieser Gedanke beruhigte ihn, er freute sich, dass bei diesem Gedanken keinerlei Eifersucht in ihm aufstieg, er wusste, er würde Hannah für immer in seinem Herzen bewahren. Er dachte voll Trauer an Chawa, warum war sie gesprungen? Er wusste es, aber er wollte es nicht zugeben. Ab und zu gab er sich selbst die Schuld an ihrem Tod. Sie hätten gemeinsam fort gehen müssen, er hatte nichts in dieser Richtung unternommen und nun war es zu spät. Er ballte eine Faust, während er Hannah weiter an sich drückte. Hannah wurde ganz weich unter dem Druck seines Armes, sie war völlig entspannt und hatte die bevorstehende Trennung wohl verdrängt, Hans nahm das mit Freude wahr. Sie fuhren weiter, als die Croissants verzehrt waren. Als sie in Regnéville ankamen, öffnete Florence gerade ihr Restaurant. So wie sie die beiden erblickte, kam sie freudig auf sie zu.
     „Ah, meine stille Liebe schaut wieder einmal vorbei“, sagte sie in flapsigen Ton. Sie begrüßte Hannah mit Wangenküssen, „nicht böse sein, Hannah. Das war Spaß.“
     „Ich weiß, ich bin nicht eifersüchtig“, Hannah lachte bei diesen Worten.
     Hans grinste. „Ein wenig Eifersucht stände dir sicher ganz gut, mein Schatz.“
     „Ich habe schon immer geahnt, dass ich mich in einen Sprücheklopfer verliebt habe.“
     „Wollt ihr euch jetzt streiten? Ich dachte, ihr seid gekommen, um mich zu besuchen.“
     Hans machte einen Schritt nach vorn, stellte sich zwischen die Frauen und legte jeder einen Arm um die Hüfte. „Wer mit zwei solchen Goldstücken gesegnet ist, muss ein glücklicher Mann sein.“
     Florence pustete, „deine Liebe hat recht, du bist ein unverbesserlicher Sprücheklopfer. Komm, mach dich lieber nützlich. Es ist ein schöner Tag, du darfst die Gartenmöbel aufbauen.“
     „Zum Arbeiten bin ich nicht hergekommen, es ist mein freier Tag.“ Alle lachten.

Hannah half Hans die, zum Schutz vor Regen schräg gestellten Tische und Stühle gerade zu stellen. Danach holte sie aus der Küche einen Feudel und wischte die letzten Feuchtigkeitsspuren von den Möbeln. Florence meinte, da die Saison vorbei sei, würden sich wohl nicht viele Gäste nach Regnéville verlaufen und so hätte sie genügend Zeit, mit den beiden zu plaudern. Sie bat die Beiden im Garten an einem Tisch direkt unter dem offenen Küchenfenster Platz zu nehmen, wo sie sich dann weiter unterhalten könnten. Die Bedienung brachte zwei Gläser Pommeau als Aperitif, ohne dass sie bestellt hatten. „Geht aufs Haus, wie alles, was ihr heute hier verzehrt“, rief Florence aus der Küche. Hannah und Hans dankten und tranken von dem fruchtig süßen Apfelsaftgetränk, das eine feine Säure auf der Zunge hinterließ, wenn man es einen Moment im Mund behielt. Durch das Fenster reichte ihnen Florence ein paar Knabbereien dazu. Hans reichte eine Hand über den Tisch, Hannah legte lächelnd ihre Hand auf seine Hand. Das Getränk rann ihr warm durch die Kehle und verstärkte die Wärme, die die liebenden Gedanken an Hans in ihr auslösten. Florence stellte sich ans Fenster, nachdem ihre Vorbereitungen abgeschlossen waren. Sie schüttelte den Kopf, „zwei Liebende sollte man eigentlich stören, aber da vorerst die Gäste ausbleiben, könnte ich mich zu euch setzen. Es sei denn ich störe.“ „Wer spricht hier von stören, kommt, setz dich zu uns“, antwortete Hannah. Florence nickte und ging in die Gaststube. Es kamen einige Gäste, die aber nur an die Bar wollten. So überließ sie der Bedienung die Gäste an der Bar und ging hinaus in den Garten, ein leeres Glas und eine Flasche Pommeau brachte sie mit.
     „Nun ihr beiden, ihr kommt nur so vorbei?“, sagte sie, nachdem sie die Gläser gefüllt hatte.
     „Nein, Florence, ich wollte nicht abreisen, ohne mich von dir zu verabschieden.“ Hannah drückte ein paar Tränen weg.
     Florence nickte, „das ist lieb von dir und sei nicht traurig. Es ist die richtige Entscheidung. Nur noch wenige Tage trennen uns vom Krieg. Die zu Ende gegangene Saison wird für eine lange Zeit die letzte Saison gewesen sein.“
     „Vielleicht ist der Krieg schnell vorüber.“
     „Als mein Vater in La Grande Guerre fiel, war ich noch ein kleines Kind, ich kann mich kaum an ihn erinnern. Meine Mutter hat es mir erzählt, alle waren überzeugt, der Krieg sei bis Weihnachten vorüber, alle hatten zum gleichen Gott für den Sieg gebetet, an jeder Front segneten die Priester die Waffen; und dann hat sich der Krieg sechs Jahre dahin gezogen und am Ende haben alle verloren. Die Knochen meines Vaters ruhen im Beinhaus von Verdun – wenn er Glück gehabt hat, andernfalls modern sie immer noch im Schützengraben. Für euch beide hoffe ich, der Krieg ist in ein paar Wochen vorüber, mein Verstand sagt aber, er dauert Jahre und wird Millionen Menschen verschlingen.“
     „Sei nicht so pessimistisch, Florence“, Hans versuchte zu lächeln.
     „Für euch würde ich mir wünschen, der Krieg bliebe aus und ihr würdet verliebt irgendwann im Greisenalter sterben.“
     „Wenn es keinen Krieg gäbe, würde ich Hannah noch heute bitten, ihr Leben für immer mit mir zu teilen. Da der Krieg aber in Kürze ausbrechen wird, muss ich Hannah bitten unsere Liebe zu vergessen und am Dienstag wird sie Félix außer Landes bringen.“ Beruhigend legte er einen Arm um Hannahs Schultern. Wieder traten einige Tränen in Hannahs Augen, aber sie hatte sich im Griff und lächelte Hans an.
     „Ich richte euch jetzt die Vorspeise an, ich reiche sie euch direkt durchs Fenster und langt kräftig zu – ihr wisst, es geht aufs Haus.“

Hannah schmuste sich bei Hans an, während Hans sie kräftig an sich drückte. Sie fühlte sich weich an seiner Seite an, oberflächlich hätte Hans das Gefühl haben können, Hannah sei völlig unbeschwert, aber leider wussten sie es beide besser. Insgeheim kam manchmal der Gedanke in ihm hoch, es wäre ihnen viel erspart geblieben, wenn er Hannah in Arromanches nicht angesprochen hätte. Aber diesen Gedanken verbannte er sofort, denn auch ohne sich in Hannah zu verlieben hätte er ihr helfen müssen und niemand konnte ahnen, dass sie sich ineinander verlieben würden. Die Liebe, die Hannah ihm in den wenigen Tagen geschenkt hatte, würde er für immer in seinem Herzen behalten und so empfand er es als sein höchstes Glück, dass er Hannah an der Promenade angesprochen hatte. Heute am Sonntag würden sie ihre letzte gemeinsame Nacht miteinander verbringen. Morgen würden sie mit Reisevorbereitungen beschäftigt sein, danach würden sie noch ein paar Stunden das Bett teilen, dann musste er in die Boulangerie und den Dienstag würden sie irgendwie gemeinsam überstehen, bevor er Hannah im Omnibus nach Arromanches begleiten würde. Ein kurzer Abschied, wahrscheinlich in François Kneipe oder vielleicht beim Boot und der Traum einer wachsenden Liebe war ausgeträumt. „Nehmt ihr beiden Liebenden mir gnädigerweise vielleicht die Teller ab?“ Florences Worte rissen Hans und Hannah aus ihren Träumen. Hannah erhob sich, ging zum Fenster und stellte die beiden gefüllten Teller auf den Tisch. Sie ging noch einmal zum Fenster zurück und ließ sich von Florence das Besteck anreichen.

Florence hatte jedem je eine Scheibe Leberterrine und eine Scheibe Ententerrine auf den Teller gegeben. Beide aßen mit großem Appetit und als Florence in der Nähe des Fensters erschien, fragte Hans gutgelaunt, ob sie gemästet werden sollten. „Nein, Verliebte benötigen eine kräftige Ernährung“, antwortete sie und verzog sich wieder in den hinteren Teil der Küche. Zum Hauptgang reichte Florence Filet vom Barsch und als Dessert servierte sie Crème brûlée. Hannah hielt sich den Bauch, nachdem sie aufgegessen hatten. Nach einiger Zeit kam Florence wieder aus der Küche und setzte sich zu ihnen.
     „Nun, meine beiden Lieben. Ich hoffe, ihr seid zufrieden, wenn ihr nach dem Krieg wiederkommt, habt ihr mein Restaurant hoffentlich überall weiterempfohlen. Sonst gibt es nichts mehr aufs Haus.“
     „Das machen wir gerne, Florence. Überall auf der Welt werden wir von dem hervorragenden Restaurant in Regnéville berichten. Du wirst anbauen müssen.“
     „Du redest Unsinn, mein lieber Hans. Trinken wir noch zusammen eine Tasse Kaffee oder müsst ihr schon zurück?“
     „Eine Tasse Kaffee geht noch, danach müssen wir zurück. Wir wollen die Zeit nutzen, solange ich das Auto von Gérard habe, sind wir beweglicher. Bevor wir es zurückbringen, werden wir noch kurz bei François vorbeischauen.“

Florence ging an den Tresen und bestellte drei Tassen Kaffee. Als die Bedienung serviert hatte, saßen sie noch einige Zeit plaudernd beieinander. Als die Tassen geleert waren, drängte Hans zum Aufbruch, obwohl Hannah gerne noch etwas geblieben wäre. Die beiden Frauen umarmten sich inniglich zu Abschied, beide brachen in Tränen aus.

Als Hannah und Hans bei François ankamen, stand Christine hinter der Theke. Sie begrüßte die Beiden freudig. Hans fragte nach François und erfuhr, dass dieser sich mit Félix am Boot treffen wollte, um letzten Einzelheiten für Hannahs Flucht zu besprechen. Hannah zuckte zusammen, als Christine das Wort Flucht aussprach. So hatte sie ihre Fahrt über den Kanal bisher nicht interpretiert, gestand sich aber ein, dass es tatsächlich so war – wieder einmal. Hans, der Hannahs Zusammenzucken bemerkt hatte, legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern. Polternd ging die Tür auf und Docteur Beaudoin betrat den Raum.
     „Oh, damit habe ich nicht gerechnet, dich und Mademoiselle Schwarz hier zu treffen. Aber gut, dann kann ich es direkt sagen, meine Praxishilfe ist zurück, Mademoiselle Schwarz. Ich brauche sie also morgen nicht.“
     Hans, der bisher verdrängt hatte, dass Hannah morgen hätte arbeiten müssen, reagierte erfreut, „wir haben also morgen Ruhe vor dir, denn Bereitschaft hat Hannah auch nicht, oder irre ich da Paul?“
     „Nein, zur nächsten Bereitschaft wird es nicht mehr kommen, bis dahin ist Mademoiselle bereits abgereist. Ein echter Verlust für mich.“ Docteur Beaudoin öffnete sein Portemonnaie, entnahm ihm einige Geldscheine und hielt diese Hannah hin. „Ihr ausstehender Lohn“, bemerkte er dazu.
     „Das ist zu viel, Docteur Beaudoin“, wehrte Hannah ab.
     „Mademoiselle Schwarz, als eine Réfugiée sollten sie nehmen, was ihnen angeboten wird. Bescheidenheit können sie üben, wenn sie in Sicherheit sind.“
     Hans nickte Hannah aufmunternd zu, sie nahm das Geld an sich. „Danke, Docteur Beaudoin“, sagte sie dazu.
     „Nichts zu danken, sie haben es sich ehrlich verdient.“ Pauls Stimme klang fast verärgert. Er schob dann aber beruhigend hinterher, „Mademoiselle Schwarz, ich war sehr zufrieden mit ihnen. Schade, dass sie nicht bleiben können.“
     Hannah fühle sich jetzt, da sie nicht mehr für ihn arbeitete, lockerer im Umgang mit Docteur Beaudoin, sie grinste, „sie übertreiben, Docteur Beaudoin. Ich war doch nicht mehr als ein Zauberlehrling.“
     Auch Paul grinste, „Mademoiselle Schwarz, etwas mehr Selbstbewusstsein bitte!“

Alle lachten, während François durch die Tür trat. „Habe ich etwas verpasst?“, rief er in das allgemeine Gelächter hinein. Christine schüttelte den Kopf, „nein du Quatschkopf, du hast nichts verpasst.“ François griff sich Christine, zog sie an sich und küsste sie auf den Mund. „Hau ab, du Wüstling“, sagte Christine zu ihm und versetzte ihm einen Stoß. François wandte sich Hannah zu und begrüßte sie mit Wangenküssen, seinem Schwager und Hans gab er nur einen freundschaftlichen Stoß und meinte dazu, „es ist praktisch, dass ihr vorbeigekommen seid, da brauche ich nicht hinter euch her zu telefonieren.“ Er ging nach hinten in die Küche und kam mit einem zusammengerollten Seesack zurück. Er erklärte, er hätte ihn von Félix, Hannah solle ihr Gepäck darin verpacken und wenn irgend möglich bis morgen nach Arromanches bringen, weil Félix meinte, es sei unauffälliger, wenn er den Sack allein im Boot verstaue. Hans fand, das sei eine gute Idee und sie kämen gerne zu Mittag vorbei. Ungewollt trieben diese Worte Hannah die Schamröte ins Gesicht. Hans streichelte ihr über die Haare, „du brauchst dich deshalb nicht zu genieren, Schatz. Die kennen mich hier.“ „Aber man lädt sich doch nicht selbst ein, Süßer.“ Hans verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Christine nickte und meinte, sie würde etwas Besonderes kochen, wenn sie zum Essen kämen. „Siehst du, mein Schatz, man freut sich über unseren Besuch. Komm, wir müssen Gérard den Renault zurückbringen.“ Hannah schmuste sich an, schüttelte immer noch ungläubig über Hans’ Benehmen den Kopf und gab ihm deshalb einen kräftigen Knuff in die Seite.

Im Auto entspannte Hannah sich, sie zog ihre Beine auf den Sitz und gab sich ihren liebenden Gedanken zu Hans hin. Sie hoffte inständig, dass nicht gerade in dieser Nacht etwas dazwischen kam, zu blöd, wenn Docteur Beaudoin doch noch, aus welchen Gründen auch immer, auf sie zurückgreifen müsste. Ihr war klar, dass er das eigentlich nicht tun würde, aber schon einmal hatte er sie außerplanmäßig um einen Einsatz gebeten. Sie waren schon weit vorangekommen, am Horizont tauchten bereits die Türme von Bayeux auf, als Hans sich an Hannah wandte. „Sollen wir essen gehen oder reicht uns das Mittagessen bei Florence?“ „Ich möchte mit dir allein sein“, antwortete Hannah kurz und bündig. Sie fuhren bereits durch einen der Vororte, als Hans wieder sprach, „wir haben aber nur Brot, Tee, eine angebrochene Flasche Wein und Calvados im Haus.“ „Das dürfte uns nach diesem opulenten Mal reichen. Bitte lass uns allein bleiben. Wir gehen noch etwas spazieren und gehen dann nach Hause, ja?“ Hans nickte, lächelte Hannah an und steuerte den Renault auf den Hof von Gérard. Dieser saß auf einer Bank und rauchte.
     „Nun, ein guter Wagen! Willst du ihn kaufen?“
     „Nein, was soll ein Réfugié mit einem Auto?“
     „Weiterverkaufen“, Gérard pustete Rauch aus.
     „Du hast vielleicht Ideen! Vielleicht haben wir im Laufe der Woche Krieg, was soll ich im Lager mit dem Auto?“
     „Ich nehme es zurück. Die Armee konfisziert alle Privatwagen und das Geld, das ich dafür bekomme, gebe ich dir, wenn du wieder frei kommst.“
     „Wieso sollte ich vor Kriegsende wieder frei kommen?“
     „Die Nazis gewinnen den Krieg und vorher wird man die Internierten freilassen.“
     „Hoffentlich tun sie das. Man könnte uns auch den Nazis ausliefern.“
     Hannah erschrak, „das werden sie doch nicht tun, Hans?“
     Hans nahm Hannah bei den Schultern, „nein Liebste, sicher nicht.“
     „Also, was ist, Hans? Überleg dir meinen Vorschlag. Wenn sie dich internieren, werden sie dir dein Geld abnehmen.“
     „Ich denke darüber nach, Gérard. Aber ich kann mein Geld doch auch direkt bei dir ihn Verwahrung geben.“
     „Ja, aber so ist es sicherer. Das Auto ist offiziell verkauft und das Geld legal in meiner Kasse.“
     „Wie gesagt, Gérard. Ich denke darüber nach.“

Gérard stopfte seine Pfeife und machte eine Kopfbewegung, die wohl bedeutete, dass alles gesagt war. Hans grüßte mit einem Nicken und zog Hannah vom Hof. „Was war das denn?“, fragte Hannah, nachdem sie ein Stück weit gegangen waren. „Seine Geschäfte sind nicht immer ganz sauber, aber er hat ein gutes Herz. Ich werde über seinen Vorschlag nachdenken.“ Hannah drückte seine Hand fester. In liebevollem Sehnen lehnte sie sich bei Hans an. Als sie bei der Kathedrale vorbeikamen, sagte sie, „morgen oder am Dienstag gehen wir in die Kathedrale, bitte Hans.“ „Ja Süße, wenn es dir hilft, hilft es auch mir.“ Am Wehr der Wassermühle an der Aure hielten sie an. Beide dachten an den Tag, als sie sich ineinander verliebt hatten, auch da hatten sie auf das tosende Wasser geschaut.
     „Hans, wenn ich weg bin, wirst du mich dann verachten?“
     „Dich verachten – wie kommst du auf diesen Schwachsinn?“
     „Weil ich direkt mit dir ins Bett gegangen bin.“
     Hans fasste sie fest am Arm. „Hannah! Was sagst du da! Ich liebe dich und ich werde dich niemals vergessen. Schlimm genug, dass wir bald getrennt sind, aber du wirst für immer einen Platz in meinem Herzen haben. Wie kommst du auf diese abwegigen Gedanken?“
     „Ein Mädchen soll sich für den Mann aufbewahren, der es heiratet, so wurde es mir beigebracht.“
     „Ich wäre glücklich, wenn du mich heiraten würdest. Liebste! Männer, die Frauen verachten, weil sie mit ihnen geschlafen haben, sind schlimme Heuchler. Ich liebe dich, ich würde dich sofort heiraten, ich verfluche die Zeit, die uns daran hindert.“ Hans lockerte seinen Griff und zog Hannah jetzt ganz zärtlich in seine Arme.
     „Es wird andere Frauen in deinem Leben geben, du wirst mich vergessen.“
     „Ob es noch einmal eine andere Frau in meinem Leben geben wird, steht in den Sternen. Aber eins weiß ich mit Sicherheit, ich habe Chawa nicht vergessen, als ich dich kennenlernte und ich werde dich nicht vergessen. Du hast mich erkannt, das ist keine Sünde oder sonst etwas Schlimmes. Sich zu erkennen ist ein Geschenk, dass sich zwei Menschen machen.“
     Hannah standen Tränen in den Augen, Hans versuchte ihr die Tränen zu trocknen. „Liebste, wir haben nichts Unrechtes getan. Sich zu lieben, ist das größte, was mit zwei Menschen geschehen kann.“
     Hannah versuchte zu lächeln, es gelang ihr nicht ganz. „Ich weiß nicht, ob ich dich nach der Trennung für immer lieben kann.“
     „Ich weiß, Schatz. Ich möchte es auch gar nicht, dass du den Rest deines Lebens im Zölibat verbringst. Wir lieben uns, wir könnten uns weiter lieben, wenn die Zeiten anders wären. Die Zeiten sind aber so, wie sie sind. Du bist jung und du wirst deinen Weg im Leben finden. Bei uns sagt man, et kütt, wie et kütt.“

Hans nahm Hannah bei der Hand und führte sie auf einem stillen Weg entlang der Aure. In einem weiten Bogen gingen sie zurück in die Stadt. Als sie zu Hause waren, setzte Hannah Wasser auf und füllte Tee in das Teeei. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, kuschelte sie sich bei Hans an. Der streichelte ihr sanft über den Rücken, was Hannah mit einem lustvollen Knurren beantwortete. Als der Tee gezogen war, setzten sie sich nebeneinander auf die Bettkante und tranken langsam aus ihren Tassen. „Ich packe erst morgen“, sagte Hannah nach einiger Zeit. „Kurz und schmerzlos“, Hans rutschte näher an Hannah heran. Sie stellte ihre Tasse auf den Tisch, nahm Hans seine Tasse ab und stellte sie neben ihre Tasse, dann kuschelte sie sich bei Hans an. „Ein Calvados, meine Süße?“ Hannah schüttelte den Kopf, „nein Hans, nimm mich. Meine Sehnsucht nach dir zerreißt mich.“ Hans drückte sie an sich, öffnete dann ihre Bluse und als er durch ihren Büstenhalter versuchte ihre Brüste zu ertasten, reagiert Hannah kitzlig. Sie stand auf, legte Bluse und Büstenhalter ab und hockte sich vor Hans auf den Boden. Vorsichtig streichelt sie ihn zwischen den Beinen an den Innenseiten der Oberschenkel. Hans fasste nach ihren Händen, erhob sich und zog auch sie nach oben. Als sie beiden standen, fasste Hans Hannah bei den Schultern, hielt sie etwas auf Abstand und betrachtete zuerst ihr Gesicht, dann glitt sein Blick tiefer über ihren wohlgeformten Hals zu ihren kleinen hübschen Brüsten. Er schaute lange auf sie, wieder bedrückte ihn der Gedanke, dass er gerade diese Frau wegschicken musste. Er zog Hannah zu sich heran, küsste sie auf die Schulter und flüsterte ihr ins Ohr, „komm Süße, wir ziehen uns aus.“

Hannah hatte inzwischen jedes Schamgefühl in Bezug auf Hans verloren, sobald sie sich von ihm gelöst hatte, legte sie ihre restliche Kleidung ab und streckte sich dann umgehend auf dem Bett aus. Hans legte sich neben sie. Sofort wandte sie sich ihm zu und streichelte ihn, wie bereits vorher, an den Innenseiten der Oberschenkel. Hans stöhnte auf, als ihre Hände seinen Hoden erreichten. Sie umschloss daraufhin mit einer Hand seinen Hodensack, sodass die Hoden darin geborgen waren, in Hans verbreitete sich ein Gefühl tiefer Zufriedenheit. Mit der anderen Hand umschloss sie seinen Penis und bewegte, einen leichten Druck ausübend, ihre Hand auf und ab. Hans hielt es schließlich nicht mehr aus, legte sich auf sie und drang in sie ein. Er versuchte so vorsichtig wie möglich vorzugehen, um die innigste Form der Leidenschaft zu verlängern. Als er zum Höhepunkt kam, lief ein Zittern durch Hannahs Körper. Während sich sein Samen in sie ergoss, schlang Hannah ihre Arme um ihn. Ein tiefer Seufzer kam über ihre Lippen, bevor sie ermattet ihre Arme auf die Matratze sinken ließ. Sie lagen eng umschlungen beieinander, nachdem ihre Leidenschaft befriedigt war. Langsam dunkelte es und Hans schlief kurz ein. Hannah hielt ganz still und gab sich der Wärme hin, die sie in seiner Nähe empfand.
     „Liebes, reicht dir wirklich unser Rest Brot zum Abend?“, fragte Hans nach einiger Zeit verschlafen.
     „Ja Süßer, lass uns den Abend und die Nacht gemeinsam im Bett verbringen. Wir trinken unseren Rest Wein, kauen dabei unser fast vertrocknetes Brot und ab und zu trinken wir vom Calvados. Wir halten uns in den Armen und morgen früh gehen wir einkaufen.“ Als Hans etwas entgegnen wollte, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen, „ich weiß, morgen ist Montag, mein Schatz. Da haben wir nicht viel Auswahl, aber ein Baguette und ein paar Croissants werden reichen. Du weißt, du hast uns zu Mittag bei Christine eingeladen.“
     Hans nickte, „ich stehe zeitig auf und besorge alles, was wir zum Frühstück benötigen und wenn ich zurückkomme, küsse ich dich wach.“
     „Ach, du bist ein süßer Spinner.“
     Hans stand auf, drehte das Licht an und schnitt das Brot in Stücke. Dann füllte er den Wein in die Gläser und es blieb noch ein Rest in der Flasche. „Das Dinner ist angerichtet, gnädige Frau.“
     Hannah konnte sich vor Lachen kaum halten, setzte sich auf die Bettkante und zog Hans zu sich herunter. Als sie nackt nebeneinander auf der Bettkante saßen, kuschelte sich Hannah an. „Ich habe noch nie einen solchen Spinner kennengelernt, aber süß bist du trotzdem.“

Sie kauten an ihrem vertrockneten Brot und spülten mit Wein nach. Hannah erhob sich von der Bettkante und setze noch einmal Teewasser an. Voller Sehnsucht guckte er auf ihren Rücken. Die Rundungen ihrer nackten Pobacken schimmerten verlockend im schummrigen Licht, das die kahle Glühbirne verbreitete. Sobald sie den Tee zum Ziehen angesetzt hatte, kletterte Hannah auf das Bett und drückte sich mit gespreizten Beinen an den Rücken von Hans. Der leichte Druck, den Hannahs Brüste auf seinen Rücken ausübten, löste in Hans sehnsuchtsvolle Gedanken aus. Sie umschlang ihn mit ihren Armen. Eine Hand ließ sie nach unten gleiten und kraulte ihn an den Schamhaaren. Als Hans leise stöhnte, erhob sich Hannah und füllte den Tee in die Tassen und setzte sich wieder neben Hans auf die Bettkante. Wieder kauten sie an den harten Brotstücken und tranken nun Tee dazu. Immer wieder glitt Hannas Hand zu seinen Schamhaaren, Hans stöhnte dann leise und voller Lust. Als die letzten Brotreste verspeist waren und sie noch einmal mit Tee nachgespült hatten, kraulte Hannah wieder in seinen Schamhaaren. Er ließ sich unter Stöhnen zurück auf die Matratze fallen. Hannah führte beide Hände in massierenden Bewegungen zuerst über seinen Brustkorb und dann um seinen Bauchnabel. Hans reagierte ausgesprochen kitzlig und versuchte seinerseits Hannah zu kitzeln, aber da sie neben dem Bett hockte, konnte er ihre empfindlichen Stellen nicht erreichen. Er wand sich auf der Matratze, Hannah griff nach seinem Penis und kitzelte ihn mit der anderen Hand zwischen den Beinen am Damm. Hans konnte es kaum noch aushalten, als das Kitzeln aufhörte und Hannah begann, mit ihren Lippen und ihrer Zunge seinen Penis zu bearbeiten. „Bitte Süße, komm“, stöhnte Hans schließlich, woraufhin Hannah von ihren Bemühungen abließ. Er robbte so auf die Matratze, dass er auch mit den Beinen auf dieser lag. Hannah hockte sich auf ihn, rhythmisch hob und senkte sich ihr Schoß, bis Hans seinen Höhepunkt erreichte. Wieder lief ein Zittern durch ihren Körper, als Hans sie auf dem Höhepunkt seiner Lust fest an sich drückte. Noch lange lagen sie fest aneinander gedrückt bei einander.
     „Süße, möchtest du schlafen?“
     „Nein Hans, wir haben noch etwas Wein und wir haben Calvados. Lass uns schmusen und trinken, danach wollen wir uns umarmen und schlafen bis zum Morgen, wenn doch diese Nacht nie enden würden.“
     „Alles, was geschieht, wird für immer in uns bleiben und so wird diese Nacht erst enden, wenn wir beide gestorben sind.“
     „Wir werden uns niemals wiedersehen, wenn das geschieht, was du befürchtest“, Hannah war aufgewühlt, hatte sich aber unter Kontrolle.
     „Süße, ich bin mir sicher, dass das, was ich befürchte, kommen wird. Da wir aber Menschen sind, ist es uns nicht gegeben in die Zukunft zu blicken. So haben wir immer die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet und genauso, wie ich sicher bin, dass es so kommt, wie ich es befürchte, bin ich mir sicher, dass die Nazis untergehen werden.“
     „Ich werde versuchen auf dich zu warten.“
     „Warte nicht auf mich, wenn du dich neu verliebst, vergiss mich, reiße mich aus deinem Herzen, du hast alles recht zu lieben.“
     Hannah rollten ein paar Tränen über die Wangen, „es wird nie mehr einen Mann geben, den ich so lieben werde wie dich.“

Abrupt stand Hannah auf und füllte den restlichen Wein in die Gläser. Sie setzte sich auf die Bettkante, während Hans lang ausgestreckt liegen blieb. Liebevoll betrachtete er ihre weiblichen Rundungen und nannte sich zum wiederholten Male einen Idioten. Hannah erhob sich wieder, da ihr fröstelte. Sie zog ihren Morgenmantel über und setzte sich wieder auf die Bettkante. Hans robbte zu ihr heran, bis er so lag, dass er den feinen Duft wahrnahm, den ihre Haut verströmte. Er legte eine Hand auf ihren Oberschenkel und drückte seine Lippen fest gegen ihren Morgenmantel, wobei er vergnügte Brummlaute ausstieß. Hannah schüttelte den Kopf, griff nach seinen Haaren und massierte ihm die Kopfhaut. Er konnte davon gar nicht genug bekommen und brummte munter weiter. Sie versetzte ihm einen Stoß, „wir wollten Wein trinken, vergessen?“ Hans setzte sich auf, zog Hannah von der Bettkante hoch auf die Matratze und griff nach den Gläsern. Aneinander gelehnt, mit angezogenen Beinen auf dem Bett sitzend tranken sie Schluck für Schluck aus den Gläsern. Nachdem der Wein ausgetrunken war, goss Hans Calvados nach. Weiterhin auf dem Bett sitzend, tranken sie in ganz kleinen Schlucken von dem sehr alten Apfelschnaps, ab und zu rochen sie intensiv an ihren Gläsern und sogen den betörenden Duft des Getränks tief durch die Nase ein.

Hans wurde früh am Morgen wach, Hannah hatte sich fest an ihn geschmiegt und atmete mit leisem Röcheln. Sofort stieg in ihm ein Gefühl von Wärme und Zufriedenheit auf. Er löste sich vorsichtig von der Schlafenden, um sie möglichst nicht zu stören. Hannah gab einen knurrenden Laut von sich, schlief aber weiter. Der Calvados hat wohl gewirkt, dachte Hans, während er sich möglichst leise anzog. Als er auf die Straße trat, dämmerte es gerade erst und als er von seinen Besorgungen zurückkam, erhob sich eine dunstig verschleierte Sonne über dem Horizont. Es schien ein schöner Spätsommertag zu werden. Er öffnete so leise wie möglich die Zimmertür und sah, dass Hannah immer noch schlief. So lautlos wie möglich ging er zum Tisch, legte Croissants, Baguette und die Butter darauf ab und setzte sich auf den Stuhl. Hannah hatte sich in die Bettdecke eingerollt und ab und zu bewegte sie ein Bein oder einen Arm, sonst lag sie ruhig atmend mit dem Kopf auf dem Kissen. Die Gedanken von Hans wanderten zu Chawa. Es verletzte ihn, dass sie ihn allein gelassen hatte. Die liebenden Gedanken an sie waren das einzige, was ihm von ihr geblieben war. Rational konnte er ihren Sprung von der Rheinbrücke nachvollziehen, aber er wusste auch, es hätte einen Ausweg gegeben. Sie hätten gemeinsam emigrieren können, sie hätten es vielleicht nach Amerika geschafft. Oder sie wären zusammen nach Palästina gegangen. Chawa war eine glühende Zionistin gewesen, warum sind wir nicht dorthin gegangen? Fragen über Fragen und keine Antwort. Nur mühsam gelang es Hans sich von diesen Gedanken loszureißen. Er versuchte sich vorzustellen, ob Chawa gefallen an Hannah finden könnte. Er tat den Gedanken als unsinnig ab, kam aber trotzdem zu der Überzeugung, dass Chawa seiner neuen Liebe zugetan gewesen wäre. Die Zeit verstrich nur langsam, während er darauf wartete, dass Hannah erwachte, ihm verging die Zeit es trotzdem zu schnell. Von einer gemeinsamen Zukunft mit Hannah zu träumen, traute er sich nicht. Er fürchtete, er könne in seinem festen Plan Hannah nach England zu schicken sonst nicht zu Ende bringen. Je heller es im Zimmer wurde, desto unruhiger wurde Hannahs Schlaf, schließlich tastete sie mit einer Hand das Bett ab und öffnete dann erstaunt, aber verschlafen die Augen. Sie rekelte sich ein paar Mal, dann war sie vollends erwacht.
     „Du bist schon auf, Liebster?“ Mit aufgeblähten Nasenflügeln sog sie den Duft von Croissants und Baguette ein.
     „Ja Schatz, ich war schon einkaufen“, Hans beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn.
     „Warum hast du mich nicht geweckt? Ich hätte Tee kochen können.“
     „Es ist noch früh, Süße. Wir können es langsam angehen lassen und du hast so ruhig geschlafen, warum sollte ich dich stören?“
     Hannah erhob sich und setzte sich nackt auf die Bettkante. „Ich mache mich frisch und dann koche ich Tee.“
     „Nein Süße, mach dich frisch, in der Zwischenzeit kümmere ich mich um alles.“
     „Bitte Hans, ich möchte so gerne eine richtige Frau für dich sein, solange wir noch zusammen sein dürfen.“
     „Du bist mehr als eine richtige Frau, mein Schatz. Wir leben zusammen und wir lieben uns, was sollte mir noch fehlen?“
     „Ich möchte für dich die Wohnung putzen und den Ofen heizen, damit du es gemütlich hast, wenn du von der Arbeit nach Hause kommst. Ich koche für dich und wenn du gegessen hast, werde ich dir eine Kanne Tee auf den Tisch stellen und du trinkst davon, während du die Zeitung liest.“
     „Gut, dann bleibe ich jetzt hier sitzen, du bereitest den Tee zu und dann frühstücken wir gemeinsam. Aber eigentlich möchte ich an den Tagen, an denen ich freihabe, dich verwöhnen.“
     „Es ist ja nur noch heute und morgen, Liebster. Bitte sei so gut, diese beiden Tage möchte wie eine Ehefrau verbringen.“ Tränen traten in Hannahs Augen, aber sie hatte sich im Griff.
     Er hatte es aber trotzdem bemerkt, stand auf und nahm sie in die Arme. Da Hannah immer noch unbekleidet war, kraulte er sie an den Brüsten, die er anschließend mit Küssen bedeckte. Dann gab er ihr einen Klaps auf den Po, drückte sie noch einmal fest an sich und flüsterte ihr ins Ohr, „wenn meine Frau sich jetzt beeilen würde, ich habe einen Mordshunger.“ Hannah versetzte ihm einen Knuff, ging zum Waschbecken und während sie sich gründlich wusch, warf ihr Hans verliebte Blicke zu.

Als Hannah sich zurechtgemacht hatte, setzte sie das Teewasser an und zog sich in der Zwischenzeit, an. „Ich dachte, du bleibst nackt“, sagte Hans mit breitem Grinsen. „Du alter Lüstling“, war die prompte Antwort. Zur Verstärkung ihrer Bemerkung erhielt er einen Knuff gegen den Arm. Sobald der Tee gezogen war, servierte Hannah ihm den Tee und verteilte Teller auf dem Tisch, auf die sie die Croissants legte. Sie schnitt das Baguette in Stücke und platzierte die Butter auf einer Untertasse. Als Hans vom Stuhl auf die Bettkante wechseln wollte, wehrte Hannah ab. Mein Mann soll auf dem Stuhl sitzen, meinte sie dazu. Hans schüttelte den Kopf, folgte aber widerspruchslos Hannahs Anweisung. Hannah saß während des Frühstücks in etwas krampfhafter Haltung auf der Bettkante, aber von ihrem Gesicht ging ein Strahlen aus, das Hans dahin schmelzen ließ. Nach dem Frühstück spülte Hannah, während Hans abzutrocknen durfte. Danach machte sie sich daran, ihre Sachen in den Seesack zu packen, wobei sie ihre Selbstkontrolle verlor. Zum ersten Mal nach Tagen weinte sie hemmungslos ihren Trennungsschmerz heraus. Hans war tief betroffen, half Hannah, so gut es ging beim Packen und versuchte ihr zwischenzeitlich die Tränen abzuwischen. Als sie sich wieder gefangen hatte, schaute sie Hans verliebt an.
     „Süßer, ich möchte meinen Morgenmantel bei dir lassen.“
     „Warum das, Hannah? Was soll ich damit?“
     „Bitte verwahre ihn für mich, bis wir uns wiedersehen.“
     „Hannah, das geht nicht, so gerne ich es täte. Ich komme in ein Lager, da kann ich fast gar nichts mitnehmen. Alles, was ich habe und nicht verschenke, fällt Madame Meister in die Hände. Möchtest du das?“
     Hannah hob abwehrend die Hände, „Oh Gott, alles, nur das nicht.“
     „Siehst du. Wenn du den Morgenmantel trägst, dann ist etwas von mir bei dir.“
Hannah kuschelte sich an Hans, „ich werde nicht mehr weinen, Liebster. Ich sehe, es tut dir weh.“
     „Nicht doch, Süße! Wenn du weinen musst, dann weine, ich halte das für dich aus und wir werden uns wiedersehen. Nach dem Krieg wendest du dich an Christine und François, ich werde sie immer wissen lassen, wie du mich erreichen kannst.“
     Hannah kuschelte sich an, „ja, Hans, das mache ich.“

Hannah legte den Morgenmantel fein säuberlich zusammen und legte ihn als letztes Teil in den Seesack. Hans reichte ihr Heines Reisebilder. Hannahs fragenden Blick beantwortete er mit einem Kuss und sagte dann, „nimm das Buch mit, es ist ein Geschenk. Ich habe alles mit Alais besprochen.“ Wortlos legte Hannah das Buch auf den Morgenmantel und kuschelte sich dann bei Hans an. Er streichelte ihr über die Haare. Nachdem sie sich wieder von ihm gelöst hatte, bat sie ihn, mit ihr zur Kathedrale zu gehen. Hans nickte und streichelte Hannah intensiv über den Rücken. Hand in Hand gingen sie zur Kathedrale. Der hohe Innenraum des gotischen Gotteshauses machte Hannah beklommen, trotzdem stand sie still, konzentriert und versuchte, mit Gott zu kommunizieren. Sie glaubte eigentlich nicht an Gott, meinte aber, dass es nicht schaden könne, höhere Mächte um Hilfe zu bitten. All ihre flehenden Bitten, die sie wortlos gegen die gewölbte Decke des Kirchenraums sandte, galten Hans, für sich selbst zu bitten, hielt sie für unwürdig und unangemessen. Hans stand etwas hinter ihr und obwohl ihm Religion nichts bedeutete, sandte auch er eine Bitte gegen die Decke der Kathedrale: ,Wenn es dich geben sollte, dann beschütze bitte Hannah.‘ Als Hannah sich umwandte, nahm er sie bei der Hand, sobald sie den Vorraum der Kirche betreten hatten, hielt Hans sie zurück und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

In Arromanches legte Hans den Seesack auf die Brüstung der Promenade. Obwohl der Tag warm und sonnig war, befanden sich nur noch wenige Besucher am Strand. Die Ferien waren vorüber und der Ort schien wie in einen Dornröschenschlaf gefallen. Hannah lehnte sich bei ihm an. Sie wirkte ruhig und gefasst, nur ihre Augen drückten ihre Trauer aus. Sie schauten einige Zeit dem Treiben auf dem Strand zu. Als Hans ihr schließlich einen Arm um die Schultern legte, rannen ihr wieder Tränen über die Wangen. Er rieb diese vorsichtig von ihren Wangen ab. Er schulterte den Seesack und ging mit ihr an der Hand langsam an der Promenade entlang. Sie beide waren jetzt von Verlustängsten geplagt und so bemühten sie sich, in liebenden Gedanken einander nahe zu sein. Sie betraten die Bar, Christine stand allein hinter dem Tresen. Sobald sie die beiden wahrnahm, ging sie um den Tresen herum und begrüßte zuerst Hannah und dann Hans mit Wangenküssen. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie dann Hannah in den Arm und drückte sie. Aus der Küche kam François, er legte Hans zur Begrüßung kurz die Hand auf die Schulter und begrüßte Hannah mit Wangenküssen. Nachdem die Begrüßungszeremonien erledigt waren, kam François unmittelbar zum geschäftlichen Teil.
     „Den Seesack habt ihr dabei, gut so. Félix kommt auch zum Essen, so hast du die Möglichkeit ihn kennenzulernen, Hannah. Er nimmt dann nachher auch deinen Seesack mit.“
     „Danke für deine Mühe, François“, Hannahs Augen wurden wieder feucht.
     „Papperlapapp, es ist mir eine Ehre.“
     „Mein Mann ist ein unverbesserlicher idiot (Blödmann). So ein aufgesetztes Gequatsche. Das hier hat nichts mit Ehre zu tun, das ist ein reiner Freundschaftsdienst.“
     „Ma chère épouse, sicherheitshalber stimme ich dir zu, sonst habe ich wochenlang nichts zu lachen“, François konnte sein Lachen nicht mehr zurückhalten.
     „Ich sagte es doch – ausgemachter imbécile (Quatschkopf). Ich glaube, ich sollte mich jetzt ums Essen kümmern, Hannah hilfst du mir bitte?“
     „Ja sicher, gern Christine.“
     „Wenn ihr zwei über uns tratscht, dann bitte nur Gutes“, rief Hans den Frauen hinterher.
     „Ich wüsste nicht, was wir über euch sprechen sollten; und Gutes fällt uns zu euch sowieso nicht ein“, Christine lachte Hans frech ins Gesicht.

In der Küche arbeiteten die beiden Frauen Hand in Hand, wobei Hannahs Augen immer noch feucht waren. Christine versuchte ihr Mut zuzusprechen und langsam gewann Hannah ihre Fassung zurück. Als Christine einigen Lärm in der Gaststube bemerkte, guckte sie kurz durch die Tür. „Félix ist eingetroffen, möchtest du ihn begrüßen?“, sagte sie danach zu Hannah. Diese verneinte und sagte, sie ginge lieber nachher zusammen mit ihr in die Gaststube. Christine nickte zustimmend und verteilte Kabeljaufilets in den Pfannen. Den Fisch hätte Félix gespendet, erklärte Christine. Während sie Hannah bat Brot aufzuschneiden, beschäftigte sie sich intensiv mit dem bratenden Fisch. Hannah deckte den Tisch in der Küche, da Christine meinte, zu dieser Zeit kämen nach der Saison eh keine Gäste mehr. Als alles vorbereitet war, rief sie in die Gaststube, François möge die Tür abschließen und anschließend sollten sie zum Essen in die Küche kommen. Zusammen mit François und Hans kam ein breitschultriger, vierschrötig wirkender Mann durch die Tür, der genüsslich an seiner Pfeife sog. „Das ist mein Freund Félix“, sagte François. Der Mann zog weiterhin an seiner Pfeife und murmelte etwas, was so ähnlich wie Bonjour klang. Dann verließ er wieder die Küche und kam ohne seine Pfeife zurück. Ohne weitere Worte zu verlieren, taxierte er Hannahs Figur. Hannah fühlte sich unwohl.

Dann sprach der Mann, „keine Sorge junge Frau, ich beiße nicht. Ihre Kleidung ist wohl kaum für einen Ausflug mit meinem Boot geeignet, ich überlege gerade, was aus meinen Vorräten für sie das Passende wäre. Ihrer Größe und Statur nach, gehen sie gerade noch als Schiffsjunge durch. Ich werde etwas für sie finden.“
     Hans mischte sich ein, „Félix, lass gut sein, deinen Ton nach versuchst du gerade aus meiner Frau eine Comtesse zu machen. Sie heißt Hannah, ich glaube, was ich gerade sage, ist in ihrem Sinn.“
     Hannah nickte, dass Hans sie seine Frau genannt hatte, hatte sie erröten lassen, Wärme stieg in ihr auf, „ja, Hans hat recht. Sag bitte einfach Hannah zu mir, ich käme mir doof vor, wenn ich dich Monsieur nennen würde.“
     So etwas wie ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als Félix antwortete, „ist in Ordnung. Wir treffen uns morgen Abend hier, du hast Zeit dich umzuziehen und wenn Christine uns gnädig gestimmt ist, kocht sie vielleicht noch einmal für uns.“
     „Unverschämt bist du wohl nicht“, zischte Christine.
     „Nö, ich finde es normal, wenn du für uns kochst. Ich hätte noch Bar im Angebot.“
     „Das Angebot kann ich nicht ablehnen, morgen Abend essen wir noch einmal in der gleichen Runde.“
     „Hör zu Hannah, es geht morgen wie folgt. Wir alle essen gemütlich zusammen und genießen Christines Kochkünste. Vielleicht spendet François von seinem Wein, bevor ihn noch die Nazis trinken. Danach ziehst du dich um. Deine Kleidung nimmst du mit, die ziehst du an, wenn ich dich absetze. Wir laufen mit auflaufendem Wasser aus, das ist kurz vor Mitternacht. Du solltest dich hier von Hans verabschieden, es ist unauffälliger, wenn zwei Fischer zum Boot gehen, als wenn ein Mann in Zivilkleidung mitkommt. Verstanden?“
     „Ja Félix!“
     François konnte sich vor Lachen kaum halten. „Das war die längste Rede, die Félix je gehalten hatte“, pustete er heraus.

Alle lachten, nur Hannah konnte sich nicht zu mehr als einem gequälten Lächeln durchringen. Hans bemerkte das und streichelte ihr über die Wange. Sie trank einen großen Schluck Wein und lächelte ihn dankbar an. Auch Christine bemerkte Hannahs Stimmung, sie erhob sich, als die Vorspeise gegessen war, „bitte Hannah, hilfst du mir beim Auftragen des Hauptgangs.“ „Ja gerne, Christine.“ Die beiden Frauen gingen zum Herd, auf dem der Kabeljau warm gestellt war. Sobald sie weit genug vom Tisch entfernt waren, gab Christine Hannah einen Knuff, „du bist sehr tapfer, Hannah. Wenn es geht, halte das durch, du hilfst Hans damit.“ Hannah nickte, „ich versuche es, Christine.“ Hannah ging noch einmal zum Tisch zurück und räumte die Vorspeisenteller ab. Dann nahm sie frische Teller aus dem Regal, auf die Christine die Kabeljaufilets legte. Hannah trug das Brot zum Tisch und füllte danach Bohnen vom Topf in eine Schüssel, auch diese stellte sie auf den Tisch. Anschließend servierte sie alle fünf Teller gleichzeitig. Alle waren erstaunt. „Du bist Kellnerin?“, fragte François verwirrt. „Nein, ich bin eine illegale Réfugiée.“ Dieses Mal gelang es Hannah in das allgemeine Lachen einzustimmen.

Als das Liebespaar die Bar verließ, hatte auflaufendes Wasser den Strand bereits stark schrumpfen lassen und ein paar letzte Feriengäste zog es in Richtung Promenade, um diesem Schauspiel zuzusehen. Hans lenkte seine Schritte auch in diese Richtung und nahm Hannah bei der Hand. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und weinte leise. Auf der Promenade angekommen stellten sie sich an die Brüstung und blickten auf die heran rollenden Wogen. Hans legte seinen Arm um Hannahs Schultern. Auch er kämpfte mit den Tränen. In Gedanken ging er noch einmal die Möglichkeiten durch, sie bei sich zu halten – alle seine Gedankenspiele endeten wie immer in einer Sackgasse. Nein, es gibt keinen Ausweg, Hannah muss mit diesem Boot Frankreich verlassen!

Im Zimmer angekommen sagte Hannah, „nur noch dieser kurze Abend – und dann sehe ich dich nie mehr wieder!“ Die letzten Worte glichen fast einem Schrei und sie brach in heftiges Weinen aus. Hans zog sie an sich und ließ sich mit ihr auf das Bett sinken. „Hannah, wir bleiben wach bis ich zur Arbeit gehe. Ich komme dann so schnell wie irgend möglich zurück. Dann haben wir noch den ganzen Tag und fahren mit dem letzten Omnibus nach Arromanches.“ Er drehte sich auf die Seite und versuchte ungeschickt ihre Tränen zu trocknen. Hans rang um Fassung, er erhob sich vom Bett und angelte die Flasche mit dem Calvados vom Regal. Andächtig füllte er in die beiden neu gekauften Gläser jeweils einen großen Schluck und reichte Hannah ein Glas. Hannah trank die angenehm braun schimmernde Flüssigkeit in kleinen Schlucken. Hans schüttete den Inhalt des anderen Glases in sich hinein, sofort spürte er, wie sich eine angenehme Wärme in ihm ausbreitet. „Komm, trinken wir noch einmal, sonst muss ich den Rest alleine trinken.“ Hannah reichte ihm wortlos ihr Glas. Er nahm die offene Flasche vom Tisch und goss diesmal für beide eine Daumenbreite des hochprozentigen Getränks ein.

Hans lag regungslos auf dem Rücken und hielt die Frau mit seinen Armen eng an sich gedrückt. Ihr Kopf ruhte auf seiner Brust und sie atmete ruhig. Er spürte die weiche Haut ihres Rückens an seiner Handfläche, während er ab und zu auf die Uhr schaute. Unaufhörlich rückten die Zeiger vor; es wird Zeit zur Arbeit zu gehen. Hannah atmete ruhig, sie war schon vor einer Weile eingeschlafen. Er versuchte vorsichtig seinen Arm unter ihr wegzuziehen und ihren Kopf auf das Kissen zu betten. Hannah knurrte leise und unwillig im Schlaf. Er versuchte es noch einmal – Hannah erwachte. „Musst du gehen, Hans?“ „Ja Schatz, schlaf weiter, ich komme bald zurück.“ Hans zog sich an und wendete sich zur Tür. Bevor er die Tür schloss und das Licht löschte, schaut er noch einmal zurück zum Bett; über Hannahs Gesicht rannen Tränen. Vor Trauer spürte es fast körperliche Schmerzen, während er in der Dunkelheit über die menschenleeren Straßen der Boulangerie entgegeneilte.

Der Omnibus hatte sich wie immer rumpelnd in Bewegung gesetzt und die Stadt verlassen. Da es für diesen Tag die letzte Möglichkeit war, Arromanches oder die auf dem Weg liegenden Weiler mit dem Omnibus zu erreichen, waren alle Plätze belegt. Hans und Hannah hatten nur einen Stehplatz im Gang gefunden. Er hatte sich mit einem Arm an eine der Haltestangen geklammert. Den anderen Arm hatte er um Hannah geschlungen. Ihre Nähe tat ihm gut und es gelang ihm sogar zeitweilig nicht an die bevorstehende Trennung zu denken. Die Fahrt zog sich hin, da der Omnibus an jeder Haltestelle hielt, um Fahrgäste aussteigen zu lassen. Je mehr sich der Omnibus Arromanches näherte, umso weniger Fahrgäste befanden sich im Omnibus. Schon weit vor Arromanches hatte sich der Omnibus so weit geleert, dass beide sich auf eine der mit grünem Kunstleder bezogenen Sitzbänke drücken konnten. Hans fand die grünen Sitze im Omnibus merkwürdig. Er dachte zurück an seine letzte Fahrt mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof von Düsseldorf. Die Sitzbänke der Straßenbahn hatten einen ähnlichen Bezug, vielleicht in einem etwas dunkleren Grün. Die Omnibusse der Rheinischen Bahngesellschaft hatten Sitze aus rotem Kunstleder – er empfand Grün im Omnibus als Stilbruch. Innerlich musste er über seine Gedankengänge lachen. Was bin ich doch für ein Narr, ich sitze hier im tiefsten Frankreich mit meiner Liebe im Omnibus und mache mir Gedanken über die Farbe von Sitzbezügen, kam ihm in den Sinn. Seine Gedanken schweiften ab und er dachte an die vergangenen Tage. Hans drückte Hannah an sich, während der Omnibus durch die schnell heraufziehende Dunkelheit Arromanches entgegenschaukelte.

Hans war noch vor der Morgendämmerung wieder zurückgekommen, er hatte Madame gebeten früher gehen zu dürfen und sich auch gleich für die kommende Nacht freigenommen. Hannah hatte noch fest geschlafen, als er das Zimmer betrat. Der Calvados hatte wieder gewirkt, wie er mit Befriedigung festgestellte. Er hatte sich müde gefühlt und sich vorsichtig neben Hannah auf das Bett gelegt. Nur nicht wecken, hatte er dabei gedacht, der Tag würde noch lang genug werden. Als Hans erwachte, war es heller Tag. Hannah schlief immer noch und er war vorsichtig aufgestanden. Ein Blick aus dem Fenster hatte ihm gezeigt, dass der Himmel fast wolkenlos war und an dem einzigen Baum, dessen Krone man vom Fenster aus sehen konnte, hatten sich die Blätter nur leicht im Wind des Spätsommertages bewegt. Wenigstens das Wetter scheint mitzuspielen, hatte er gedacht, während er das Teewasser aufsetzte. Obwohl er sich möglichst leise bewegt hatte, war Hannah erwacht. Er hatte ihr zugelächelt und erleichtert festgestellt, dass sie sich beruhigt hatte. Sie hatte sich aufgesetzt und die Bettdecke hochgezogen, um ihre Brüste zu bedecken. Wie ein scheues Reh war ihm dabei in den Sinn gekommen.

Als Hannah aufstand, hatte sie sich in die Bettdecke gehüllt, die sie mit ihrer linken Hand zusammengehalten hatte, da es sie in der Kühle des Morgens leicht fröstelte. Mit der rechten Hand hatte sie ihre Wäsche geprüft, die sie auf einer quer durch den Raum gezogenen Leine zum Trocknen aufgehängt hatte, nachdem sie diese gewaschen hatte, bevor sie sich am Abend hingelegt hatten. „Liebster, ich möchte mich waschen – bitte guck nicht wieder so lüstern.“ „Nein, ich lege mich hin und kehre dir den Rücken zu, aber dass ich lüstern blicke, ist eine böse Unterstellung.“ Hans war hinter sie getreten, hatte sie leicht auf den Nacken geküsst und damit begonnen sich auszuziehen. Dabei achtete er peinlich darauf, seine Kleidung fein gefaltet über den Stuhl zu legen, um die von Hannah eingeführte Ordnung des Zimmers nicht zu zerstören. Er hatte sich dann wie versprochen hingelegt und sich zur Wand gewendet. Er hatte noch gehört, dass Hannah am Waschbecken den Hahn aufdrehte und war dann eingeschlafen.

Hans war erwacht durch Hannahs Atem, der den Flaum auf seinem Rücken in eine leicht kitzelnde Bewegung versetzt hatte. Ihre Körper waren eng beieinander gewesen und Hannah hatte leicht mit ihrer Hand seine Brust gestreichelt. Verschlafen hatte er sich auf den Rücken gedreht und Hannah zu sich herangezogen. Von der Scheu des Vormittags war nichts mehr zu spüren. Hans konnte diese ungewohnte Scheu nur mit ihrem Trennungsschmerz in Verbindung bringen, aber mit ihm zusammen unter der Decke hatte sie sich bereitwillig auf ihn eingelassen. Irgendwann waren sie dann wieder eingeschlafen und als Hans erneut erwachte, kam ihm das leichte Röcheln der schlafenden Frau wie das leise Schnurren Katze vor. Seine Hand hatte auf ihrem Leib geruht und er hatte gefühlt, wie eine wohlige Wärme in ihm aufstieg. Später am Tag waren sie durch die Stadt gegangen und Hannah hatte noch einmal die normannischen Stadthäuser in der Rue Saint-Martin bewundert. Es war schon später Nachmittag, als sie an der Wassermühle die tosenden Wassermassen betrachtet hatten, die durch das halb geöffnete Wehr schossen und noch einmal an den Anfang ihrer Liebe gedacht. „Hannah, wir sollten langsam wieder zurückgehen, damit du deine restlichen Sachen holen kannst.“ Sie hatte genickt und Hans auf der Brücke über die Aure heftig umarmt. Ohne besondere Eile waren sie zurück in die Stadt gegangen.

Als der Omnibus hinunter nach Arromanches rollte und sich dem Zielort näherte, war es endgültig dunkel geworden. Hans schaute versonnen auf das sich vor der Stadt abzeichnende Meer. Noch einmal machte er sich Gedanken über die unpassenden grünen Sitze. In Arromanches angekommen schauten sie von der Strandpromenade auf den Strand und hingen ihren Gedanken nach. Der Abend war warm und windstill. Nach einiger Zeit legte Hans den Arm um Hannahs Schulter und lenkte sie sanft, aber mit Nachdruck in Richtung Bar. François blickte sie lächelnd an, als sie durch die Tür traten, „Zwei Bier?“ Hans nickte. François stellte die beiden gefüllten Gläser vor ihnen auf den Tresen, „Félix ist bereits bei Christine in der Küche, aber trinkt zuerst einmal in Ruhe euer Bier, es ist noch viel Zeit, wir essen, sobald die Bedienung kommt.“ François füllte noch ein Glas für sich selbst und gemeinsam tranken sie, während sie Belanglosigkeiten austauschten. Als die Bedienung für den Abend kam, gingen sie gemeinsam in die Küche.
     „Ah, da seid ihr! Hannah, ich kann Hilfe gebrauchen“, sagte Christine, als sie durch die Tür traten.
     „Ich komme und helfe dir.“ Hannah begrüßte zuerst Félix mit Wangenküssen, obwohl dieser in einer Wolke vom Qualm seiner Pfeife gehüllt aussah, als säße er in einer Nebelbank.
     „Du bist bereit?“, fragte Félix, während er weiter voll Genuss seine Pfeife rauchte.
     „Ja, Félix, ich bin bereit“, antwortete Hannah, während sie zu Christine an den Herd ging.
     „Deckst du bitte die den Tisch, Hannah. Zur Feier des Tages gibt es Pommeau, die passenden Gläser holt François aus dem Gastraum. Und bring auch Weingläser mit, du hast sicher noch im Ohr, was Félix gestern gesagt hat.“
     „Ja, ja, ich bin nicht senil.“

Félix machte eigentlich einen unwilligen Eindruck, als Christine zu Tisch bat. Er wollte sich wohl gerne noch etwas seiner Pfeife widmen, aber sein Blick hellte sich auf, als er die mit Pommeau gefüllten Gläser sah. Alle setzten sich rund um den Tisch, wobei Hannah und Hans ein mulmiges Gefühl hatten. Es gelang ihnen aber, das zu überspielen. Der von François angebotene Wein schmeckte hervorragend zu dem von Félix gespendeten Bar. Die lockere Stimmung während des Essens und der Wein überspielte den Abschiedsschmerz des Liebespaares. Noch einmal servierte Hannah, nachdem Christine die Crème brûlée flambiert hatte. Es war inzwischen nach zehn und Félix meinte, es wäre für Hannah Zeit sich umzuziehen. „Geht nach hinten, Kinder. Dort kann sich Hannah umziehen und ihr könnt euch in Ruhe voneinander verabschieden“, Christine wies mit dem Kopf zur Tür im hinteren Teil der Küche. Félix reichte Hannah ein Bündel Ölzeug, Hans nahm sie bei der Hand und zusammen verschwanden sie durch die Tür. Völlig verändert kam Hannah zurück. Sie trug die Kluft eines normannischen Fischers, die ihr um einiges zu groß war. Die Haare hatte sie zusammengebunden und unter einer Mütze versteckt. Gemeinsam mit den anderen gingen sie und Hans in die Gaststube.
     „Wir haben uns ausgiebig verabschiedet. Keine Angst, Hans, ich werde nicht mehr weinen“, sagte sie und versuchte dabei zu lächeln.
     „Hannah, ich hätte dir noch so viel zu sagen.“
     „Nein Hans, es ist alles gesagt und ich hoffe, wir werden uns wiedersehen.“
     „Lebe wohl Hannah, wir werden uns gewiss wiedersehen und es ist ein Segen, dass wir uns ineinander verliebt haben.“
     „Baruch ha Shem. Das ist Iwrit und bedeutet auf Deutsch so viel, wie Gott sei Dank; und so empfinde ich, wenn ich an unsere Zeit zurückdenke“, sagte Hannah.
     Hans versuchte ein fröhliches Gesicht zu machen, was ihm gründlich misslang, „ich weiß Hannah, ich sagte es ja bereits, ich habe eine Schwäche für jüdische Frauen und die Redewendung heißt eigentlich, gepriesen sei der Name. Du siehst, ich habe gut aufgepasst, mein Schatz. Masal-tov.

Hannah verabschiedete sich mit Umarmungen von Christine und François. „Nun, dann wollen wir mal los“, damit gab Félix das Kommando zum Aufbruch, wobei er wieder heftig an seiner Pfeife zog. Noch einmal drückte Hannah Hans einen Kuss auf den Mund, dann nahm sie ihre zusammengebundene Alltagskleidung und ging zur Tür, gefolgt von Hans und Félix. Hans erkundigte sich lediglich noch, wann Félix zurückkommen wollte, was anscheinend für Freitag frühmorgens geplant war. Hannah sah nicht mehr zurück, als sie neben Félix in die Dunkelheit hinein ging. Für einen unbedarften Beobachter sah es so aus, als wären zwei Fischer unterwegs zu ihrem Boot. Hans schaute hinter ihnen her, aufkommender Nebel entzog die beiden schon nach wenigen Metern seinen Blicken.

François goss zwei Gläser Calvados ein und schob eins davon zu Hans, als dieser zurück in die Gaststube kam. „Bleib hier, bis Félix zurück ist. Was willst du in Bayeux? Warte einfach hier bei uns.“
     „Wenn es dir recht ist, François, bleibe ich diese Nacht hier, es fährt heute sowieso kein Omnibus mehr nach Bayeux. Morgen fahre ich mit dem ersten Omnibus zurück. Ich habe noch einiges zu packen und Madame erwartet, dass ich kommende Nacht wieder in der Boulangerie arbeite.“
     François nickte und beide tranken, „du bist ein typischer Deutscher. Du tust deine Pflicht, bis sie dich abholen.“
     Hans rang sich ein Grinsen ab, „ja, da magst du recht haben.“

Zurück in Bayeux machte sich Hans umgehend daran seine wenigen Sachen zu packen. Er wollte vorbereitet sein, für den Fall, dass er inhaftiert wurde. Sorgsam achtete er darauf, dass er die von Hannah eingeführte Ordnung nicht zerstörte. Obwohl er eigentlich am Tag so gut wie nie harte Getränke zu sich nahm, schüttete er sich den letzten Rest Calvados aus der Flasche in ein Glas. Während er weiter packte, trank er ab und zu am Glas. Seine Gedanken kreisten um Hannah. Da Félix am Freitagvormittag zurück sein wollte, schätzte er, dass er Hannah an diesem Abend irgendwo am Strand der englischen Kanalküste absetzte. Hoffentlich waren dann auch die Helfer auf der englischen Seite zur Stelle, denn ohne Hilfe würde es Hannah in einem fremden Land schwerfallen unterzutauchen. Ihm war klar, sobald England in den Krieg eintrat oder von den Nazis angegriffen wurde, würde sie sich den Behörden stellen. Zurückschicken konnten sie Hannah dann nicht mehr. Es würden wahrscheinlich lange Jahre im Lager werden, die Hannah durchleben musste. Er beschloss am folgenden Tag direkt nach der Arbeit zurück nach Arromanches zu fahren. Vielleicht war das Warten auf Nachrichten dort leichter. Außerdem konnte er zwischenzeitlich etwas in der Bar helfen, so würde der Tag schneller vergehen.

„Dich treibt es wohl an den Ort deiner Untat zurück“, sagte Christine, die hinter dem Tresen stand, als Hans am Donnerstag die Bar betrat.
     „Von welcher Untat sprichst du?“, Hans bekam es hin, zu grinsen.
     „Die Frau, die du liebst, wegzuschicken.“
     „Das war keine Untat, das musste sein und es war eine Tat der Nächstenliebe.“
     „Hans, mein Freund, das verstehen wohl nur Männer, du hättest mitgehen sollen. Aber ich kenne deine Gründe und ich habe Hannah gut zugeredet, damit sie geht.“
     „Christine, das war lieb von dir. Ich hätte Hannah notfalls gesagt, dass ich sie nicht mehr liebe, nur damit sie geht.“
     „Hans! Du bist ein Unmensch, so etwas darfst du nicht einmal denken! Du hättest Hannah das Herz gebrochen.“
     „Es ist ja zum Glück nicht so weit gekommen. Aber egal wie, noch eine Liebe zerstören mir die Nazis nicht, wenn nötig, hätte ich es selbst getan.“
     „Ist gut Hans, ich wollte mich nicht mit dir streiten“, Christine stellte Hans ein Bier auf den Tresen und wandte sich ab, um ihre Reinigungsarbeiten fortzusetzen.
     Hans trank einen großen Schluck, dann fragte er möglichst beiläufig, „irgendetwas erfahren habt ihr nicht?“
     „Nein, wir erwarten Félix erst morgen.“
     „Das beruhigt mich, wenn ihr heute etwas wüsstet, wäre das schlimm.“

François kam herein, stellte sich neben Hans, auch ihm reichte Christine ein Bier. François erkundigte sich, ob Hans Lust hätte, ihm beim Streichen der Gartenmöbel zu helfen. „Warum nicht, ich langweile mich jetzt am Tag sowieso.“ François grinste, „ja, ich weiß, so ganz ohne Frau.“ Beide lachten. Im Garten besichtigten Hans und François die zu streichenden Tische und Stühle. Sie einigten sich darauf, dass Hans die Möbel schmirgelte und François dann parallel dazu alle bereits geschmirgelten Möbelstücke vorstreichen würden. So kamen sie gut voran, bis Christine zum Essen rief. Anschließend machten sie weiter und verabredeten sich für den kommenden Vormittag zu weiteren Anstreicharbeiten. Hans nahm bei Einbruch der Dunkelheit den Omnibus nach Bayeux. Zu Hause legte er sich frühzeitig ins Bett. Er tat sich schwer beim Einschlafen, in seinen Gedanken war er bei Hannah. Um zwei stand er auf und ging zu Boulangerie.

Als Hans Donrath am Morgen des 1. September zurück in sein Zimmer kam, legte er sich noch einmal auf sein Bett und schlief bald ein. Als er erwachte, fühlte er sich gut ausgeruht und blinzelte in das Licht der durch das Fenster scheinenden Sonne. Er wunderte sich, dass er so lange geschlafen hatte. Gestern war er den ganzen Tag von Unruhe getrieben gewesen. Sodass es ihm gerade zu Recht gekommen war, dass François Beschäftigung für ihn gehabt hatte. Heute war er ruhiger, denn Félix kam heute zurück und er würde erfahren, ob Hannah gut angekommen war. Als er in Arromanches ankam, wanderte er zuerst ein Stück entlang der Steilküste in Richtung Longues-sur-Mer, um sich etwas die Beine zu vertreten. Aber schon nach einer kurzen Strecke kam wieder Unruhe in ihm auf, sodass er zur Gaststätte eilte. Dort angekommen empfing ihn François mit besorgtem Blick.
     Hans fragte beunruhigt, „Ist Félix zurück.“
     François nickt, „Ja es ist alles gut gegangen, du kannst beruhigt sein. Er kommt nachher vorbei und berichtet dir alles.“
     „Und was macht dir Sorgen, François?“
     „Heute Morgen haben die Nazis Polen angegriffen. Hans, du musst weg – am besten du versuchst dich umgehend nach Portugal durchzuschlagen.“
     „Ich gehe nirgends mehr hin, François. Hannah ist in Sicherheit, es ist alles gut. Noch besteht keine Gefahr für mich. Noch befindet sich Frankreich nicht im Krieg mit dem Reich.“
     François zuckte mit den Schultern und schob Hans eine Tasse Café au Lait über den Tresen. „Du bist in Gefahr, Hans. Überlege es dir! Wenn du hier bleibst, werden sie dich internieren. Geh nach Portugal.“
     Hans schüttelte verneinend, den Kopf: „Mein Entschluss steht fest. In dieser Situation zu fliehen, ist gefährlich. Frankreich wird dem Reich bald den Krieg erklären und als feindlicher Ausländer aufgegriffen zu werden, ist kein Vergnügen.“ Er trank den Kaffee aus und stellte die Tasse zurück auf den Tresen.
     „Noch eine Tasse?“
     „Nein François, ich helfe dir weiter beim Streichen und warte auf Félix. Ich bin ihm unendlich dankbar.“

Sie arbeiteten stetig und fast ohne Pause, wieder, bis Christine zum Essen rief. Hans wartete unruhig darauf, dass Félix kam. Dringend wollte er Näheres erfahren, hatte aber Verständnis dafür, dass Félix zuerst einmal ausschlafen wollte. Sie saßen bereits nach dem Essen bei einem Kaffee, als Félix eintrat. Hans erhob sich und drückte ihm dankbar die Hand. Dieser tat das als überflüssig ab und bat um eine Tasse Kaffee.
     „Du hast eine tolle Frau, mein Freund“, sagte Félix, nachdem er die Tasse abgesetzt hatte. Er zog seine unverzichtbare Pfeife aus der Tasche und zog genüsslich daran, als er sie angezündet hatte.
     „Wieso?“
     „Wir hatten schwere See auf dem Kanal. Sie wurde nicht ein bisschen seekrank und zupacken kann sie, die riecht, wo die Arbeit ist.“
     Christine nickte, „so ähnlich drückt sich Paul auch aus.“
     „Und Hannah ist gut an Land gekommen?“
     „Ja sicher, hattest du Zweifel daran?“
     „Nein, Félix, aber bei solchen Aktionen kann einiges schiefgehen.“
     „Nun schon, aber diesmal war alles perfekt. Wir kamen zeitig bei auflaufendem Wasser an die Küste. Als es dunkel war, blinkten die Helfer, dass die Luft rein war. Ich ließ das Boot am Strand auflaufen, Hannah hat sich dann umgezogen und die Helfer haben sie an Land gebracht. Sobald das Wasser hoch genug gestiegen war, schwamm das Boot auf und ich bin zurückgefahren, das war alles.“
     „Danke, Félix.“
     „Quatsch, ich tat es aus Freundschaft zu euch.“
Félix verabschiedete sich und ging. Hans atmete tief durch, Christine nahm ihn in die Arme. Danach gingen die beiden Männer wieder an ihre Anstreicharbeit. Am späten Nachmittag machten sie Feierabend. François ging hinter den Tresen und bediente einige Gäste, Hans unterhielt sich derweil mit Christine bis es Zeit für den Omnibus wurde.
     „Kommst du morgen wieder?“, fragte Christine.
     „Nein, wir werden uns wahrscheinlich so schnell nicht wiedersehen. Ich vermute, ich werde bald verhaftet und bevor mir das auf offener Straße passiert, bin ich lieber zu Hause, da kann ich wenigstens meinen Koffer mitnehmen.“
     François kam mit feuchten Augen hinter der Theke hervor und drückte Hans an sich. „Au revoir, François. Wenn ich mich nicht selbst melden kann, die Freunde in Bayeux werden wissen, wo ich bin“, sagte Hans, als François ihn losließ.
     „Au revoir, Hans und halt die Ohren steif.“
     Christine umarmte Hans und brach in Tränen aus. Hans drückte sie, „nicht traurig sein, Christine. Wir sehen uns wieder – nach dem Krieg.“
     „Ja Hans, au revoir, bis nach dem Krieg.“ Christine nahm Hans‘ Kopf in beide Hände und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Er wendete sich zum Ausgang und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.

Hans kam am Sonntagmorgen erst spät von der Arbeit, er fühlte sich müde und zerschlagen. Er legte sich auf sein Bett, ohne sich auszuziehen und schlief fast umgehend ein. Kurz vor Mittag wurde er wach und beschloss zu Jean zu gehen. Er zog sich aus, machte sich frisch und zog sich um. Die abgelegten Kleidungsstücke legte er säuberlich in der Ecke ab, die Hannah dafür reserviert hatte. Als Hans bei Jean ankam, standen dieser und Delphyna an der Bar. Nach einer freundlichen Begrüßung fragte er seine Freunde: „Ihr seht besorgt aus. Ist etwas passiert?“
     Jean nickte, „es kam vorhin im Radio, dem Reich wurde der Krieg erklärt, du hast leider recht gehabt.“
     Hans nickte, „dann gebt mir noch ein Bier, es wird für mich für lange Zeit das letzte Bier sein.“
     „Du bist zum Essen eingeladen. Zum Abschied“, sagte Delphyna traurig.
     „Gern, danach muss ich nach Hause, ich werde wohl noch heute verhaftet.“
     „Das glaube ich nicht.“
     „Jean, das ist keine Glaubensfrage, ich bin nun endgültig ein feindlicher Ausländer. Es muss getan werden.“
     „Ein Grund mehr, dass wir noch einmal zusammen essen“, antwortete Delphyna.

Sie hatten sich nach dem Essen herzlich und mit Tränen in den Augen voneinander verabschiedet. Hans bat noch darum François zu benachrichtigen, falls er verhaftet wurde. Sobald er in die Straße einbog, in der er wohnte, sah er einen Gendarmen gemeinsam mit Madame Meister vor dem Eingang stehen. Neben dem Hauseingang lehnte das Fahrrad des Gendarmen an der Mauer. „Monsieur Donrath, ich muss sie als feindlichen Ausländer festnehmen. Packen sie ihre Sachen!“ „Du brauchst nicht förmlich zu sein, Emile. Ich weiß, du tust nur deine Pflicht.“ „Wo ist die Frau, Monsieur Donrath?“. „Ich habe keine Frau, Emile. Das weißt du doch.“ Madame Meister schaute ziemlich entrüstet, als sie diese Antwort vernahm. Daher weht also der Wind, dachte Hans. „Es wurde uns gemeldet, dass sie mit einer Frau zusammenleben. Wo hält sie sich auf, Monsieur Donrath?!“ „Emile, böse Menschen sagen einem alles Mögliche nach, das sind Wichtigtuer. Dieser Ansicht sind sie doch sicher auch Madame Meister – oder irre ich mich? Ich gehe jetzt nach oben!“ Hans stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, ohne sich weiter um Emile und Madame Meister zu kümmern. Der Gendarm folgt ihm. „Es dauert nicht lange, Emile. Ich habe bereits fast alles gepackt. Wo bringst du mich hin?“ „Ich soll dich nach Caen bringen, Hans. Mehr weiß ich auch nicht“, war die Antwort. Jetzt, da sie alleine waren, hatte er seinen amtlichen Ton abgelegt. Nach dem sich Hans einige Zeit mit seinem abgewetzten Koffer beschäftigt hatte, drängte Emile zum Aufbruch. Sie stiegen gemeinsam die steile Treppe hinab. Madame Meister hatte sich derweil verzogen, was ihm ersparte, sich von ihr zu verabschieden. Emile nahm sein Rad und nebeneinander gingen sie durch die Rue Saint Jean. Hans dachte beim Betrachten der normannischen Giebel daran, wie oft er die letzten Tage mit Hannah durch die Gassen der Altstadt gegangen war. Der Gedanke daran zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. In der Wache angekommen, kehrte der Gendarm wieder zu seinem amtlichen Ton zurück: „Setzten sie sich auf die Bank, Monsieur und warten sie.“ Hans stellte den Koffer auf den Boden und setzte sich auf die abgewetzte Holzbank in der Wachstube. Durch das trübe Fenster betrachtete er das Spiel von Licht und Schatten in den Zweigen einer Kastanie.

Hans wurde die Zeit lang, während er darauf wartete, dass es weiter ging. Die Stunden verstrichen und er versuchte so wenig wie möglich zu grübeln. Wenn seine Gedanken zu Hannah wanderten, fühlte er Wärme in sich aufsteigen, fast so, als ob sie bei ihm wäre. Einmal bat Hans Emile austreten zu dürfen. Dieser nickte und wollte ihn auf den Hof begleiten. Hans hielt ihn zurück, „ich reiße nicht aus Emile, mach dir keine Sorgen.“ Emile nickte wiederum und ließ ihn alleine nach draußen auf den Hof. Einige Zeit später kam der Gendarm und forderte ihn auf mitzukommen. Hans nahm seinen Koffer und ging hinter Emile nach draußen. Auf der anderen Straßenseite stand ein Mannschaftswagen, sie überqueren die Straße und stiegen auf die Ladefläche. Die Ladefläche verfügte über vier Sitzbänke, je eine entlang der seitlichen Bordwände und zwei mit den Rückenlehnen gegeneinander in der Mitte der Ladefläche. Überspannt war die Ladefläche von einer dunkelgrünen Segeltuchplane, wodurch es so wirkte, als ständen Sitzbänke in einer halbdunklen Höhle. Hans und Emile setzten sich gegenüber, direkt an der Ladekante, wo es hell war. Emile wollte die Plane schließen, doch Hans bat ihn, das nicht zu tun. Er wollte auf der Fahrt noch einmal über die Wiesenlandschaften mit den typischen Apfelbäumen blicken. Der Wagen rollte aus der Stadt hinaus und nahm die Nationalstraße nach Caen. Eine Zeit lang saßen die beiden schweigend auf gegenüber liegenden Sitzbänken und blickten auf die sich entfernenden Stadtmauern von Bayeux. Als die Silhouette der Stadt hinter dem Horizont verschwand, wendete sich Hans Emile zu.
     „Emile, du brauchst dir wegen der Frau keine Sorgen mehr machen, sie hat das Land verlassen.“
     Emile nickte, „das macht die Sache für mich einfacher, ich schreibe in das Protokoll, die Person ist meinen Ermittlungen nach, illegal ausgereist.“
     „Weißt du jetzt, wo es für mich hingeht, Emile?“
     „Ich habe gehört, dass sie dich von Caen aus nach Gurs bringen werden.“
     „Nie gehört. Wo soll das sein?“
     „Irgendwo im Südwesten, ein Kaff in der Nähe der Pyrenäen.“
     „Egal, Lager bleibt Lager.“

Wieder schwiegen sie, während links und rechts der Straße abwechselnd Apfelbäume und Weiden mit braunen und braun bunten Rindern vorüberzogen. Der Wagen überholte eine schier endlos erscheinende Militärkolonne und Hans ahnte, dass es einen Krieg geben würde, der alle bisherigen Kriege in den Schatten stellte.

Es war bereits Ende September, als François und Christine ein Brief ohne Absenderangabe erreichte. Beim Öffnen des Kuverts fiel ein weiteres geschlossenes Kuvert auf den Boden. Christine hob es auf, auf dem Kuvert las sie – Pour Hans. Dann nahm sie einen gefalteten Bogen Papier aus dem geöffneten Kuvert und las vor.

Liebe Christine, lieber François,

nachdem ich eine Unterkunft in einem Vorort von London gefunden habe, möchte ich Euch über den Stand der Dinge unterrichten. Die Helfer haben mich verabredungsgemäß am Strand in Empfang genommen und mich am folgenden Tag an ein deutsch-jüdisches Paar übergeben, das legal in England lebt. Dieses Paar hat mir über die ersten schwierigen Tage hinweggeholfen. Sobald bekannt wurde, dass England dem Reich den Krieg erklärt hatte, habe ich mich den Behörden gestellt. Ich wurde wegen illegaler Einreise inhaftiert und in einem Schnellverfahren zu einer Woche Gefängnis mit anschließender Ausweisung verurteilt. Da mich und meine Leidensgenossen wohl kein mit England befreundetes Land aufnehmen wird, besteht trotz des Ausweisungsbeschusses keine Gefahr für mich. Einmal in der Woche muss ich mich bei der Polizei melden, sonst gibt es keine Auflagen. Obwohl die Deutschen bisher in England nicht interniert wurden, habe ich einige Schwierigkeiten. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht legal arbeiten darf. Das Paar, das mir anfangs geholfen hat, hat mir eine Stelle als Zugehfrau verschafft. Die Stelle bringt gerade so viel ein, dass ich mir eine schäbige Unterkunft unter einem zugigen Dach leisten kann. Aber ich bin gesund und munter.

Da ich weiß, dass die Deutschen in Frankreich bereits interniert sind, habe ich den Brief an Hans nicht an seine Adresse in Bayeux geschickt. So bitte ich Euch, den Brief an Hans weiterzuleiten, sobald ihr dazu eine Möglichkeit findet. Ich bin Euch für alles, was Ihr für Hans und mich getan habt, unendlich dankbar. Bitte gebt meinen Dank auch an Félix weiter. Ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden, es ging alles viel zu schnell, als er mich absetzte.

In Liebe und Dankbarkeit
Hannah

Es dauerte noch Wochen, bis Hans das Kuvert im Lager von Gurs endlich in Händen hielt. Er las die wenigen Sätze, die Hannah geschrieben hatte, fast täglich und als das Blatt zu sehr zerfleddert war, um es weiter in den Händen zu halten, verbarg er es samt des Kuverts unten in seinem Koffer bei den beiden Mitteilungen, die Hannah ihm in Bayeux auf den Tisch gelegt hatte. Noch einmal, am Weihnachtstag, holte er den Umschlag heraus und las, was Hannah ihm geschrieben hatte.

Geliebter Hans,

das Schicksal hat uns getrennt und jetzt, da Krieg herrscht, ist es mehr als ungewiss, dass wir uns in absehbarer Zeit wieder in den Armen halten können. In Gedanken bin ich bei Dir. Ich weiß, Du wurdest, wie alle Deutschen, in Frankreich interniert. Ich weiß nicht, wo und ich weiß nicht, wie Du untergebracht bist. Ich würde alles dafür geben, Dich in diesen schweren Zeiten zu begleiten, bin aber trotzdem froh, dass Du den Mut und die Stärke hattest, mich loszulassen. Die Deutschen hier in England rechnen auch täglich damit interniert zu werden, noch sind aber alles nur Gerüchte. So habe ich die Hoffnung, zumindest vorerst noch in Freiheit zu bleiben.

Schlimm für mich ist, dass etliche der Deutschen auf der Insel offen mit den Nazis sympathisieren. Einige davon sind äußerst antisemitisch eingestellt. Aber die Jüdische Gemeinde hat mich freundlich aufgenommen, obwohl ich, wie Du weißt, nicht gläubig bin.

Liebster, leider bin ich inzwischen auch zu der Überzeugung gelangt, dass die Nazis siegen werden – vorerst, denn sie werden untergehen, das ist gewiss. Wenn die Deutschen kommen, wird man Euch sicher früh genug freilassen. Ich weiß, was Du dann tun wirst, aber ich flehe Dich an, sei vorsichtig, bei allem, was Du dann tust. Unsere Liebe wird Dich schützen.

Ich werde, solange es geht, weitere Briefe an Christine und François senden. Selbst wenn Dich meine Briefe nicht erreichen, wirst Du durch sie erfahren, wohin es mich verschlagen hat.

Ich küsse und umarme Dich
Deine Hannah

Am 10. Mai 1940 startete der deutsche Angriff im Westen. Nachdem die Niederlande, Belgien und Luxemburg überrannt waren, zeichnete sich schnell ab, dass auch Frankreich nicht lange widerstehen konnte. Christine und François schlossen für einen Tag die Bar, um Florence zu besuchen. Voll Sorge saßen sie in Regnéville in der Stube beisammen. Allen war klar, dass Frankreich bald die Waffen strecken würde und sie machten sich Sorge um Hans und die anderen Internierten. Sie waren bereit und wollten Hans helfen in der Normandie unterzutauchen. Sollten die Internierten nicht rechtzeitig vor der Niederlage freigelassen werden, wollten sie Hans aus Gurs befreien. Sie waren sich einig, dass François möglichst bald in das Baskenland reisen solle, um für beide Fälle vorbereitet zu sein. Tief besorgt, machten sie sich am Abend auf die Rückfahrt nach Arromanches. Im Mai kam ein letzter Brief von Hannah. Diesmal lag kein zweites Kuvert im Innern, sondern neben dem Brief an Christine und François waren einige wenige Zeilen am Ende des Briefs für Hans hinzugefügt. Wieder las Christine vor.

Liebe Christine, lieber François,

ich schreibe in Sorge und bin in höchster Eile. Alle deutschen Männer sind bereits interniert. Jetzt sollen auch alle Frauen interniert werden. Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, werden wir auf die Isle of Man gebracht. Da wohl Frankreich vor der Niederlage steht, wird dies vielleicht für lange Zeit das letzte Mal sein, dass ich Euch schreiben kann. Bitte sagt Hans, dass ich ihn über alles liebe und ich hoffe, ihn, sowie Euch, nach dem Krieg wieder in die Arme schließen zu können.

In Liebe grüßt Euch
Hannah

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Autor

BerndMooseckers Profilbild BerndMoosecker

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Kapitel: 21
Sätze: 4.191
Wörter: 56.082
Zeichen: 325.939

Kurzbeschreibung

Eine junge Frau und ein Mann im mittleren Alter sind auf der Flucht vor den Nazis in der Normandie gestrandet. An einem Sommertag treffen sie auf einer Strandpromenade aufeinander. Die junge Frau ist völlig verzweifelt, mittellos und sieht keinen Ausweg mehr. Er hat Mitleid mit ihr und bietet seine Hilfe an. Vor dem Hintergrund des aufziehenden Krieges verlieben sie sich ineinander. Bald müssen sie erkennen, ihre Liebe hat keine Zukunft - sie sind bereits Teil der sich anbahnenden Katastrophe.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Drama auch in den Genres Liebe, Krieg, Historik und Erotik gelistet.

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Réfugiés
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Von BerndMoosecker

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