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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 230 | |
Wörter: | 4.741 | |
Zeichen: | 28.244 |
Geschrieben für den Healthy Slam der Uni Augsburg, der am 25.Juni.2015 stattfand. Obwohl ich von Anfang an nicht dachte, dass ich es überhaupt ins Finale schaffe, habe ich nicht nur das, sondern es auch auf den dritten Platz geschafft!
Und hier dann der Text, mit dem ich ins Finale eingezogen bin:
Mir geht es gut. Wenn ich mir das noch drei Mal sage, glaube ich es vielleicht. Der pinke Elefant, der hinter dem Rücken meines Gegenübers steht, ist anderer Meinung. Mein Mantra betrachtet er als langweilig, denkt dass ich es sowieso besser wüsste und vielleicht aufhören sollte, ihm so direkt ins Auge zu starren. Das wäre seltsam.
Mein unfreiwilliges Haustier, welches seiner eigenen Absurdität nicht bewusst ist, ist meinem Gegenüber fremd. Selbst mein Verhalten scheint er nicht wahrzunehmen. Selbst jetzt wo dieses pinke Untier ihm bequem über die Schulter schauen kann, erzählt er immer noch, wie viel er eigentlich zu tun hätte. Ich würde ihm gerne folgen, doch mein pinker Quälgeist meint andauernd dazwischen tröten zu müssen. Ob ich auch an den Termin denke, ob ich auch wirklich die Mail geschrieben habe und nicht doch etwas übersehen hätte, was ganz dringend erledigt werden müsste.
Dabei hätte mein pinker Elefant heute eigentlich frei. Zu den Akten gelegt und vergessen. Also keine Ahnung, warum er meint mir immer noch folgen zu müssen. Er ist kein sonderlich subtiler Stalker. Wäre ich auch nicht, bei den Ohren.
Den ganzen Tag verfolgt er mich, schaut mich durch die Lücken in den Supermarktregalen an und sitzt im Bus genau gegenüber und sobald ich denke ich wäre ihn los, spüre ich auch schon seinen Rüssel auf meiner Schulter und habe ein leises Tröten im Ohr.
Nachts geht er sogar noch einen Schritt weiter, setzt sich auf meine Brust und während langsam die Luft aus meinen Lungen weicht, wird das pink zu grau.
Ich bin nicht gestresst. Wenn ich auch nur anfange diesen Gedanken zu formen, beginnt mein Elefant vor Mitleid laut zu lachen. Er lacht, wenn ich auf Fragen nach meinem Befinden antworte, er lacht, wenn ich mich von Leuten zu etwas überreden lasse und lacht, wenn ich denke ich habe mir für einen Moment Ruhe verdient. Ein Chor aus Gelächter und Getröte folgt mir, selbst wenn ich seinen Forderungen nachkomme. Denn er hat viele Forderungen. Forderungen, die er an die Wände schmiert, die er durch offene Fenster brüllt und sie wie ein unendliches Band wiederholt oder mir aus dunklen Ecken entgegen flüstert. Dabei war er vor einiger Zeit noch so einfach zufriedenzustellen.
Jetzt reichen meine täglichen Aufgaben und Ziele nicht mehr. Seiner Meinung nach soll ich sie höher und höher stecken, meinen Planer weiter füllen und selbst wenn ich das nicht tue, erinnert er mich daran, dass ich einige Dinge schon längst geschafft haben könnte. Selbst wenn Schlaf und Freizeit dadurch nicht mehr existieren. Mein pinker Elefant wird zum persönlichen Sklaventreiber und ich höre auch noch auf ihn. Ohne zu meckern, ohne zu murren.
Ich halse mir nicht zu viel auf. Doch dann drückt mir mein pinker Elefant einen neuen Stapel Arbeit ins Gesicht und beginnt ein eigenes Mantra. So lange, bis ich mir die Ohren zuhalte und zu schreien beginne. Gefolgt von Tagen im Bett, in denen ich nichts tue, meine Ohren und Augen bedecke, nur um am Ende zu entdecken, dass die Welt nicht stehen geblieben ist und mein Elefant noch schneller gewachsen.
Er verfolgt mich weiterhin, wird mich nicht in Ruhe lassen und solange weiterwachsen, bis er mich irgendwann erdrückt.
Aber natürlich rede ich nicht über meinen pinken Elefanten. Sonst wäre er ja nicht pink.
Ich habe eine neue Lebensphilosophie. Nichts Besonderes, aber das sind Lebensphilosophien nie. Jedenfalls habe ich meine Lehren aus den Reihen der Großen entnommen: Bartleby, der Suppenkaspar…
Seitdem besitze ich weder Antrieb, noch Lust und auch keinen Bock mehr. Nicht im Allgemeinen, dazu ist mir die Welt dann doch zu schade. Meine Lebensphilosophie ist stattdessen gelebter Protest, Protest gegen die Selbstverbesserung, gegen die Charakterpolierung und natürlich auch gegen die Selbstoptimierung, vielleicht noch gegen Umweltverschmutzung, wenn ich dafür Zeit habe. So zwischen Sprachtraining und Körperhaltungsworkshop. Die sind schließlich wichtig.
Aber für mich ist jetzt Schluss!
Schluss mit: Ich muss mein Studium zwei Semester vor der Regelstudienzeit beenden. Schluss mit: Ich verbringe meine Mittagspause in der Bibliothek. Und vor allem Schluss mit: Ich kann nicht an irgendwelchen Poetry Slams teilnehmen, ich muss morgen früh in die Uni!
Es werden keine Einladungen mehr ausgeschlagen, Partys werden gefeiert bis der letzte Nachtbus fährt und Vorlesungen werden zum Schlafen genutzt!
Gleichzeitig verlange ich aber auch das Recht auf Null-Bock. Null-Bock auf Partys zu gehen und an Veranstaltungen teilzunehmen. Ich werde dieses und meine anderen Rechte auf die gleiche Art verteidigen, wie ich es sonst auch tue.
Gar nicht.
Denn ich habe das Recht darauf am Wochenende daheim zu bleiben und pseudo-intellektuelle Texte über Leistungsverweigerung zu schreiben!
Ich lasse Leistungen jeglicher Art nun hinter mir. Selbst die Fertigstellung dieses Textes ist Leistung und gegen diese wehre ich mich. Anstatt ihn zu beenden, lasse ich den Schluss weg, ein Ende ohne Sinn und Verstand, mitten im Satz.
Mein Leben wird ein Manifest meiner neuen Philosophie, voller angefangener und nie beendeter Dinge.
Und irgendwann, irgendwann kann ich zurückblicken, auf ein Leben, von dem ich stolz erfüllt sagen kann: "Ich habe nichts erreicht!"
Und es wird Konfetti regnen, Paraden werden zu meinen Ehren abgehalten und mein Gesicht wird in Talkshows gezeigt, als das Gesicht einer Person, die ihre Lebensphilosophie durchzieht.
Was für ein absoluter Schwachsinn das doch ist, nicht?
Warum muss es immer entweder oder sein? Warum nicht ein bisschen aus Topf A und Topf B? Warum nicht ein bisschen hinter Tür C und Tür B schauen? Ich will nicht in allem gut sein, in einigen Dingen reicht mir durchschnittlich vollkommen aus. Also kehren wir das Konfetti wieder zusammen, sagen die Parade ab und gehen auf die Party, lesen einen Text vor, feiern und gehen nach Hause. Dann schreiben wir einen pseudo-intellektuellen Text über Leistungsverweigerung, fallen ins Bett und gehen in die Uni. Und vielleicht ist das genau der Protest den ich brauche. Keine Charakterpolierung, keine Selbstverbesserung keine Selbstoptimierung. Einfach nur ich sein, Bammel haben und sich am Ende doch noch überwinden.
Denn genau das möchte zumindest ich lieber tun. Auch wenn Bartleby und der Suppenkaspar das wahrscheinlich weniger möchten…
Dieser Text wurde beim Kulturslam in der Soho-Stage am 10.12.2015 zum ersten Mal vorgetragen. Ich bin immer noch überwältigt, wie gut die beiden Texte ankamen und was für ein fantastisches Publikum wir alle hatten.
Mir geht es gut.
Aber wir haben es doch gut.
Gut gut gut. Uns geht es also gut. Uns geht es ziemlich nichtssagend, so dass wir gut schon fast ganz mit okay ersetzt haben. Uns geht es durchschnittlich und vergesslich, so dass jedes Gespräch nach dieser einfachen Floskel abbricht. Uns geht es gut gut gut, aber doch nicht so gut, dass wir uns noch freuen können. Wir wollen ein gutes Leben, haben gute Freunde und gute Zukunftsaussichten, liegen aber doch jede Nacht wach und ertrinken in unseren Ängsten, nur um gut wieder mit okay zu ersetzen und so jede einzelne Frage abzublocken, in der Hoffnung, dass sich vielleicht einmal jemand erbarmt und uns unser gut gut gut nicht abnimmt.
Wir sagen gut und reden dabei über das Wetter, ignorieren dabei die Stürme, die in uns toben und ersticken uns jedes Mal ein bisschen mehr. Füllen unsere Hälse mit ungesagten Worten, die es uns unmöglich machen etwas anderes herauszubringen als gut gut gut.
Gut gut gut, bis unsere Hälse platzen und Köpfe explodieren, wir in einer Flut aus Worten untergehen und gut mit vorgehaltener Waffe zwingen, sein eigenes Grab zu schaufeln und okay gleich mitzunehmen.
Und wenn die beiden erledigt sind, beginnen wir auf dem frischen Grab zu tanzen und endlich zu sagen, was wir schon ewig sagen wollten. Wunderbar, armselig, fantastisch, zum Kotzen.
Keine halben Emotionen, keine einstudierten Phrasen und uninteressiertes Wegdrehen mehr. Wir reden frei und ohne Filter. Oder vielleicht auch nicht, sonst frage ich nur wieder, warum es keine deutsche Entsprechung für awkward gibt. Oder warum nicht mehr Leute zugeben, dass sie gerne Quietscheenten sammeln würden.
Auf jeden Fall: Gut ist tot! Lang lebe...ja was eigentlich?
Was benutzen wir jetzt eigentlich um zwischen Äh und Eh zu unterscheiden. So lala? Meh? Oder eine vage Handbewegung, die zwar keiner wirklich beschreiben kann, die aber jeder kennt?
Auf jeden Fall sind wir dieses Wort und seine buckelige Verwandtschaft nun los. Vielleicht müssen wir noch ein paar Mal mit der Schaufel auf den Friedhof, um uns um die letzten Zuckungen zu kümmern. Vielleicht auch um einige Wiederbelebungsversuche.
Und jeder, der sich die leeren Nettigkeiten zurückwünscht, der gerne andere Leute mit "Melde dich, wenn ich dir irgendwie helfen kann!“, an flötet und dann nicht ans Telefon geht, wenn man ihn oder sie wirklich braucht, kann sich gleich die Schaufel reichen lassen. Damit können sie sich dann gleich mal um diejenigen kümmern, die bei wirklich allem Anteilnahme heucheln, so dass man sich fragen muss, warum dieser Person es so unglaublich leid tut, dass man nach sieben Stunden Party müde ist. Genauso diese ganzen „Aha, aha, aha.“-Leute, die nicht einmal merken, dass man ihnen vor mindestens fünf Minuten eine Frage gestellt hat und vor drei Minuten aufgehört hat zu reden.
Nachdem die Schaufel dann endlich einmal im Kreis herumgegangen ist, stehen wir aber vor einem größeren Problem, welches nicht "Was machen wir eigentlich mit den ganzen Leichen?" heißt, sondern uns auf einer ganz anderen Ebene betrifft.
Also lassen wir die Worte wo sie begraben sind, stehen endlich zu dem was wir fühlen und warten einfach mal ab. Warten ab, bis wir anfangen Gefühle zu verletzen, weil wir kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Warten ab, bis ein neues Wort auf den Plan tritt. Annehmbar zum Beispiel. Genauso Wischiwaschi wie zuvor und vergrößert die Distanz noch ein bisschen. Und vielleicht bin ich ein bisschen langsam was das angeht, aber irgendwann kommt der Tag, an dem ich nicht mit Jemandem reden will. Leider habe ich die Worte, die ich normalerweise benutze um Leute abzuwimmeln, auf einem Acker zurückgelassen. Zumindest bis ich sie in einer Nacht und Nebel-Aktion wieder ausgrabe und so tue, als wäre nie etwas passiert und alles gut.
Lassen wir gut also in Ruhe, schauen okay nur ein bisschen schief an und gehen unserer Wege, bis wir genau die Leute finden, die sich auch wirklich für das was in uns vorgeht interessieren. Bei denen wir Worte wie gut wirklich aus unserem Wortschatz verbannen können.
Aber die Schaufel behalte ich. Nur für den Fall, dass mir mal wieder niemand zuhört.
Der zweite Text, der zum ersten Mal beim Kulturslam in Augsburg in der Soho-Stage am 10.12.2015 vorgetragen wurde.
Da sind wir nun, am ersten Tag vom Rest unseres Lebens. Mal wieder.
Und da es nicht das erste Mal ist, gibt es dieses Mal auch keine wirkliche Feier. Keine Luftschlangen und keine Jubelrufe, einfach nur ein anerkennendes Nicken, oder ein Schulterklopfen, welches nur ein kleines bisschen zu hart ist und uns deswegen zum Stolpern bringt.
Aber es ist der Tag der Wahrheit, welcher Wahrheit sei nun einmal dahingestellt, der Tag an dem wir nun endlich eine Antwort auf all unsere Fragen erhalten. Eine Antwort, die nicht 42 ist. Hoffentlich.
Und da ist er. Der Umschlag. Er funkelt im Licht und du bist sicher, dass du Engelschöre hören kannst. Vielleicht auch nur die Aushilfs-Engelschöre, aber im Moment bist du nicht wählerisch, kannst gar nicht wählerisch sein. Du hast es geschafft, hast all diese Jahre an dir gearbeitet, alles Kindliche und Jugendliche abgelegt, um nur einen Blick auf dieses Stück Papier zu werfen. Nach nur einem Blick, so heißt es, wüsste man endlich, das man ein Erwachsener ist. Würde sich auch endlich wie einer fühlen. Und all die Mysterien des Erwachsen-Seins würden sich einem offenbaren.
Und du bist nur wenige Meter entfernt. Ein eigener Umschlag, nur für dich.
Für einen Moment zögerst du und überlegst, ob es so vielleicht nicht besser ist, ohne zu wissen, wie es ist all das zu sein, was man eben sein soll, aber da ist der Umschlag schon offen und du hast das Formular vor dir. Das Formular, dass dir angeblich den Weg zu allem was du wissen willst, ebnen wird. Naja, dann eben nicht gleich alle Antworten, sondern ein Schritt in die richtige Richtung. Soll einen vielleicht in die angemessen erwachsene Stimmung bringen. Bürokratie macht so etwas schließlich mit einem.
Nur will an seinem großen Tag niemand an Bürokratie und Behörden denken, vergisst das Formular somit erst einmal und danach vergisst du es für eine ganze Weile.
Also stolperst du weiter auf einem Weg entlang, von dem du nicht weißt, wo er dich hinführen wird, immer mit dem Gefühl im Nacken, dass du kein richtiger Erwachsener bist, da du dich immer noch nicht wie ein richtiger Erwachsener fühlst. An dem Tag, an dem du einen kritischen Zustand erreicht hast, der dich entweder dazu bringen wird eine Deckenburg zu bauen oder den Rest des Tages mit einem deiner angeblich ach so kindischen Hobbys zu verbringen. Anstatt all diese tollen erwachsenen Dinge zu tun. Du hast zwar keine Ahnung was, aber du hast eine leise Ahnung, dass es entweder um Steuern oder um Briefmarken geht. Und eigentlich willst du es auch nicht herausfinden, aber in dem Moment als dir das Formular in die Hände fällt, beginnst du wieder alles in Frage zu stellen.
So findest du dich also auf der Behörde wieder, in der Hand das glückbringende Formular und keiner Ahnung, was genau du jetzt tun sollst. Zum Glück findest du deinen Weg. Der große Schalter, mit der langen Schlange, direkt gegenüber der Tür, ist wahrscheinlich ein guter Anfang. Anstellen, warten. Dem regelmäßigen Klopfen des Stempels lauschen, einige Schritte nach vorne wackeln. Und gerade, als du dich zu fragen beginnst, ob diese Schlange nicht eine perverse Metapher für dein Leben ist, stehst du am Anfang.
"Formular, bitte!"
Du gehorchst, streckst das Formular hin, welches dir ohne zu zögern aus der Hand gerissen wird. Zwei Stempel, das Geräusch eines Reißwolfs, das Booten eines Druckers und einen ewig langen Druckvorgang später, bekommst du einen neuen Zettel und einen Kugelschreiber in die Hand gedrückt.
"Ausfüllen und bei Schalter 7 abgeben."
Verwirrt wanderst du zur Seite, deinen Blick auf die Buchstaben des Blattes gerichtet. Und genau dort stehen sie: All die Fragen, die du dir schon ewig stellst und auf die du eigentlich eine Antwort haben wolltest. Alle mit einer hübschen geraden Linie, so dass du deine Antworten eintragen kannst.
Was macht Sie glücklich?
Worin sehen Sie den Sinn Ihres Lebens?
Haben Sie alles erreicht, was Sie erreichen wollen?
Drei Seiten voller Fragen. Du verzweifelst einfach nur.
Dann bemerkst du sie.
Die lange Schlange vor Schalter 7. Menschen in allen Altersstufen, die immer noch versuchen nur noch eine Frage richtig zu beantworten. Egal wie.
Auf dem Boden sitzen genauso viele Menschen, alle mit ihrem Passierschein, alle mit missmutigen Gesichtern. Einige Fragen ausgefüllt, einige nicht.
Vielleicht gesellst du dich für eine Weile zu ihnen, vielleicht findest du auch sofort alle Antworten. Vielleicht zerreißt du deinen Passierschein auch einfach und stolzierst lachend aus der Tür.
Und ich?
In einigen Stunden bin ich wieder einen Tag älter. Habe immer noch keine einzige Antwort gefunden. Und immer noch einen unausgefüllten Passierschein A 38.
Und fühle mich kein Stück erwachsen.
Der dritte Text, der zum ersten Mal beim Kulturslam in Augsburg in der Soho-Stage am 10.12.2015 vorgetragen wurde.
Da war ich damals: jung, ambitioniert und immer auf meine Ziele fixiert. Naja, Ziele hatte ich damals keine und mir war einfach nur stinklangweilig.
Aber eins von dreien ist auch nicht schlecht, schließlich kann man sich mit einem freien Wunsch immer noch einen Flaschengeist wünschen, der nicht bei der Gewerkschaft ist und einem vielleicht auch die drei vollen Wünsche erfüllt.
Jedenfalls wollte ich mir eine Beschäftigung suchen, was aber gar nicht so einfach war. Jungs abschleppen war nicht so mein Ding, schließlich war es mit 13 Jahren Männersache, ein Mädchen an den Zöpfen zum Murmelspielen zu schleifen. Wohin man Jungs abschleppen konnte, wusste ich auch nicht, meistens kamen sie schließlich freiwillig mit, wenn es um irgendwas auf dem Spielplatz ging.
Die siebte Klasse war eben eine Zeit voller Exzesse…
Nachdem also Plan Eins nicht zu verwirklichen war, schlussendlich verstand ich nämlich auch nicht, warum die Mädchen das Abschleppen übernehmen wollten, die meisten Jungs hatten ja keine Zöpfe, sondern nur diesen seltsamen Bürstenhaarschnitt, der aus irgendeinem Grund zu dieser Zeit in Mode war.
Plan Nummer Zwei lief auch nicht ganz so reibungslos, weil ich nicht wusste, wie man auf die Schnelle eine Ocean‘s Eleven ähnliche Truppe zusammenstellen konnte. Das war dann zwar einige Jahre später, aber dennoch kannte ich niemanden, der sich für solch moralisch fragwürdige Aktionen begeistern würde.
Heute bekommen wir zumindest die Rollenverteilung in hypothetischen Situationen hin.
Natürlich versuchte ich dann noch andere Dinge. Mein Zeichentalent endete bei Strichmännchen, mein musikalisches Talent führte dazu, dass sich Raben die Watte eimerweise in die Ohren schoben, da meine Stimme damals nur für private Musiknummern ohne Publikum geeignet war. Ist sie heute noch. Meine improvisierte Aufführung von "It's my life" inklusive Luftgitarre, ist wirklich unvergessen. Meine Kuscheltiere schicken heute noch regelmäßig einen Jahresvorrat Alkohol an ihren Therapeuten.
Natürlich probierte ich danach noch andere Dinge, Trainspotting war zu langweilig, Briefmarken sammeln zu aufregend und Lesen war laut dem Hobbyhandbuch (TM) kein richtiges Hobby, das man mit Stolz angeben konnte. Da man aber Hipster sein wollte, als es das Wort in diesem Sinne noch gar nicht gab und wirklich immer mit dem Spruch: "Das mochte ich schon, als das noch keiner kannte", punkten wollte, musste man natürlich besonders originell sein.
Nur war ich nicht besonders originell, so dass ich mich weniger an den populären Hobbys anderer Leute orientierte, um dann zu behaupten, ich würde das schon ewig kennen, sondern versuchte etwas zu finden, dass ich schon ewig tat und als legitimes Hobby angeben konnte.
Minimaler Aufwand, maximales Gefühl der Überlegenheit.
Der Geistesblitz kam dann, als ich von meiner Mutter (wieder einmal) ermahnt wurde, da ich meine Mathehefte lieber für das Schreiben von Geschichten, als das Lösen von Aufgaben benutzte. Da ging dann eben Sailor Moon neben hin gekritzelten linearen Gleichungen auf Abenteuerjagd.
Ab sofort war dann alles klar! Ich würde Autorin, sowie reich und berühmt werden und all diese tollen Dinge machen, die man als Autorin so tat! An dieser Stelle sei vielleicht noch einmal anzumerken, dass ich in der 7.Klasse war, damals wurde man mit allem was man später tun würde, reich und berühmt. Andere Alternativen gab es da nicht. Das Motto Erfolg oder Tod habe ich nie wieder in so einer extremen Form wie damals gesehen.
Kaum hatte ich also diesen Entschluss gefasst, ging ich sofort zur Recherche über. Recherche, wie man ein Buch an einen Verleger brachte, welche Verlage an meinen Romanen interessiert sein könnten und soviel nutzloses Zeug, das mir heute noch der Schädel brummt, wenn ich daran denke.
Irgendwann (einige Jahre später) verstand ich dann auch, dass man vielleicht einen Roman haben sollte, bevor man ans Veröffentlichen dachte. Ich legte also alle Illusionen ab und fand wieder Spaß am Schreiben, einfach weil ich hauptsächlich für mich schrieb.
Mein Hobby hatte ich nun also, auch wenn es weniger in intellektueller Überlegenheit meinerseits endete, sondern in "Die da schreibt in ihrer Freizeit gerne… Voll komisch, nicht?" Dass ich gerne Fantasy schreibe, hilft auch nicht. Es ist eben nichts wirklich intellektuell Überlegenes an der Geschichte eines Teenager-Vollidioten, der auf einmal jede Menge cooler Kräfte auf einem Silbertablett serviert bekommt und jede Menge anderer Idioten verdrischt. Wobei, wenn man irgendwo darin noch einen Drachen auftauchen ließ, war das damals schon ein Bestseller.
Da sich aber nicht nur die Jahreszahl, sondern auch der Stellenwert von Hobbys geändert hatte, wurde die Profilierung durch Freizeitaktivitäten nicht mehr so stark gewichtet. Es sei denn man hatte ein eigenes Pferd oder war Fußballer. Keine Ahnung warum.
16-jährige, die bereits am Türsteher vorbei in den Club durften, hatten im Rudel auf jeden Fall einen sehr hohen Rang.
Ich schrieb weiter vor mich hin, Ideen, Notizen, Kurzgeschichten, Charakterbeschreibungen und was man noch alles zu Papier bringen kann. Dass ich nicht noch anfing Playlists für jedes meiner Projekte zu erstellen, war aber auch schon alles. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte.
Stattdessen sammelten sich Papierberge an, da ich zwar alles aufschrieb, aber nichts beendete. Eines Tages zog ich dann so meine Bahnen durch das Papier, bis ich an meinem Schreibtisch angekommen war, mich an diesem nach oben zog und "Jetzt reicht's!" rief. Danach machte ich genauso weiter.
Irgendwann bin ich dann genau hier, an diesem Punkt gelandet und ein Roman ist immer noch ganz weit hinten am Horizont zu sehen. Aber hey, hierher hab ich's schon mal geschafft.
Und dass, liebe Kinder, ist die Geschichte, wie ich einmal einen Roman schreiben wollte… will, ach egal, und auf einer Slam-Bühne gelandet bin.
Text, der zum ersten Mal beim 3.Kulturslam in Augsburg in der Soho-Stage am 02.06.2016 vorgetragen wurde.
Noch eine kurze Info zum Text: Der Text gehört zu einer Reihe namens "Wie ich einmal...", in dem einige biographische Erlebnisse aufgegriffen werden. Da diesem Text schon seit eineinhalb Jahren ein richtiges Ende fehlte, war es nun endlich einmal an der Zeit, die Reihe zu beginnen. "Wie ich einmal einen Roman schreiben wollte..." ist hoffentlich nur der erste Text von mehreren. "Wie ich einmal einen Roman geschrieben habe..." steht bis auf Weiteres solange in den Startlöchern, bis es dann soweit ist.
Geschrieben für den Diversity-Slam, der gestern am 07.06.2016 in Augsburg in der Kresslesmühle stattfand. Dort auch zum ersten Mal gelesen und prompt ins Finale eingezogen!
Schubladen sind einfach. Schubladen sind sicher.
Person kennen lernen. Schublade raussuchen. Person in die Schublade werfen.
Meinung im Ideal-Fall nie wieder ändern.
Bereits jetzt bin ich durch mein Aussehen, meine Art zu sprechen und tausend andere kleine Dinge bereits in irgendwelchen Schubladen gelandet.
Und ehrlich gesagt, ich habe keine Lust mehr.
Keine Lust mehr mich aus irgendwelchen Schubladen heraus zu kämpfen, eine neue zu finden und mich in diese zu verkriechen. In der Hoffnung, dass diese Schublade jetzt endlich die Richtige ist.
Ich habe keinen Bock 1, 2, oder 3 zu spielen, bis ich endlich weiß ob ich den Hauptpreis gewonnen habe und mein Gegenüber seine Meinung geändert hat. Meist bekomme ich sowieso nur den Zonk. Was ich will ist, das jeder sich eine eigene Schublade baut, eine nur für mich, eine in der ich mich wohlfühlen kann und die genau beschreibt was ich bin.
An diesem Punkt hören die Tagträume auch schon wieder auf. Denn wer bin ich schon, dass ich eine auf mich zugeschnittene Prunkresidenz im Kopf von jedem von euch verlange, wenn ich nicht einmal selbst weiß, wo ich mich einordnen soll? Bin ich der Nerd, die Gamerin, die fette Kuh? Oder doch eher die dauergrinsende Verwirrte, der Bücherwurm, das Plappermaul? Oder bin ich doch eher eine, die auf einmal auf der Bühne steht und euch etwas über Schubladen vorlabbert?
Wo ich bei euch gelandet bin, will ich besser gar nicht wissen. Und ihr wollt auch nicht wissen, in welcher Schublade ihr bei mir steckt.
Schubladen sind einfach und bequem.
Menschen, die es nicht nötig haben sich zu entschuldigen. Unhöflich.
Fahrradfahrer, die klingelnd durch die Fußgängerzone brettern, ohne langsamer zu werden: Arschlöcher.
Diese Schublade wird langsam auch ziemlich voll. Ich überlege schon ob ich auf Deppen umsteige, aber da sind schon die Leute drin, die in Supermärkten an der Kasse sofort nach der Nächsten schreien, weil es zwei Minuten zu lang dauert.
Ja, ich habe sehr spezifische Feindbilder.
Schubladen haben manchmal sogar etwas tröstendes. Man kann Menschen einfach kategorisieren, sie in sein inneres Archiv stecken und wenn man nicht vorhat sie näher kennenzulernen, einfach vergessen. Wenn sie einen enttäuschen, stimmte einfach der erste Eindruck den man von ihnen hatte. Oder man muss seinen innerlichen Archivar zum Umstrukturieren schicken.
Dieser kleine überarbeitete Wicht ist sowieso das zerstreuteste Wesen, das je ein Archiv geführt hat. Leute steckt er nach ganzen fünf Sekunden in Schubladen und hilft ihnen nur widerwillig wieder raus. Manchmal steht er lieber mit dem Besen davor und drückt sie wieder hinein. Man weiß gar nicht, ob er für oder gegen einen arbeitet.
Und nur diese fünf Sekunden braucht er. Denn nach fünf Sekunden haben wir uns ein Bild von einer Person gemacht. Fünf schnelle Sekunden. Ein flüchtiger Blick nach rechts im Café, ein Vorbeilaufen in der Fußgängerzone, das aus dem Weg gehen, um jemanden vorbeizulassen. Sekunde 1: Person schnappen. Sekunde 2 und 3: Schublade auf. Sekunde 4 und 5: Person reinwerfen.
Unser einziger Trost ist dann doch irgendwie die Tatsache, dass wir nur eine von vielen fünf Sekunden sind. Kaum sind wir bei der nächsten Person, haben wir die davor vergessen. Und sollten wir es wirklich schaffen, dass uns eine Person den halben Tag im Sinn bleibt, muss uns diese nur mit ihrer Existenz schon echt heftig den Tag versaut, oder uns auf andere Weise beeindruckt haben. Einen Flitzer sieht man zum Beispiel auch nicht jeden Tag.
Ein Beispiel ist dann heute auch wie bestellt an mir vorbeigelaufen:
Da läuft dann morgens an mir das fleischgewordene Klischee eines BWL-Studentens vorbei. Die Schublade habt ihr nun also schon. Der Typ ist mir nur aus zwei Gründen in Erinnerung geblieben: Weil ich das hier aufgeschrieben habe und weil er so ein lächerlicher Klischee-Typ war, dass sich die gegelten Haare, die Sonnenbrille und der wahrscheinlich brütendheiße Anzug in meine Augäpfel gebrannt hat.
Ich weiß nicht ob er vielleicht doch Jura studiert, ob er nur ein Vertreter war, ein Dozent oder einfach nur drauf steht in Anzügen über den Campus zu laufen, aber diese fünf Sekunden die er brauchte, um an mir vorbeizulaufen, reichten um ihn in eine Schublade zu stecken und in einem Text zu verewigen. Danke BWL-Typ, dass du das perfekte Beispiel für diesen Text abgibst.
Keine Ahnung, ob ich jetzt in einer seiner Schubladen stecke, ist mir aber auch egal. Und wenn ich durch meine Existenz seinen Tag vermiest habe, tut's mir auch nicht Leid. Denn wer sich den Tag von fünf Sekunden so heftig vermiesen lässt, nimmt seine Umwelt eindeutig zu ernst.
Feiert eure Klischees! Wir wissen doch alle, dass wir mehr als der erste Eindruck sind, genauso wie ich nicht nur der Nerd, das Plappermaul, die Möchtegern-Schriftstellerin und der Bücherwurm bin. Denn ich bin all das und noch so viele andere Klischees, Bewohnerin so vieler Schubladen, dass sich nichts davon richtig anfühlt.
Denn Schubladen sind zwar einfach und sicher, nehmen uns aber auch eine Menge Spaß. Also lernt euch kennen, zwingt den inneren Archivar euch neu einzuordnen, oder besser noch: Zwingt ihn neue Kategorien aufzumachen. Werdet Freunde, zerstört Klischees und definiert sie neu. Wir wissen nämlich alle, dass es unmöglich ist, alle Schubladen zu zerstören, aber versuchen können wir es doch zumindest mal. Neue bauen können wir dann immer noch. Und trotz Vorurteile, vorurteilsfrei an eine Person heranzugehen und sie richtig kennenzulernen, nenne ich eine Leistung.
Denn Schubladen sind wirklich sehr bequem und einfach, aber vor allem: Verdammt faul.
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Larlysia • Am 01.10.2019 um 18:46 Uhr • Mit 1. Kapitel verknüpft | |
Ich habe erst den ersten Slam gelesen und fand ihn gut! Bestimmt ist er noch besser, wenn man ihn vorträgt. | ||
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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 230 | |
Wörter: | 4.741 | |
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