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Last order in Belfast

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27.03.20 09:43
16 Ab 16 Jahren
Fertiggestellt

Als Alkoholiker und Epileptiker mit bipolarer Störung ist Fliegen für mich nicht wirklich empfehlenswert. Trotzdem bestieg ich ein Jahr nach dem “Good Friday Agreement” Friedensabkommen von 1998 ein Flugzeug Richtung Nordirland, das musste einfach sein. 

Im Flughafen Belfast war es dreckig, es stank nach schalem Bier und versiffter Hoffnung. Ich fühlte mich irgendwie zuhause, a sort of homecoming. Niemand sprach. Sie wussten schon warum… 

In der Stadt angekommen und um ein paar Drinks besoffener nahm ich ein Taxi zum Hotel. Auf der Fahrt fuhren wir an einem Friedhof vorbei, wo gerade eine martialische Prozession stattfand. Im Hotel checkte ich ein, ging in mein Zimmer, kotzte, schiss und machte mich frisch. Im hoteleigenen Pub trank ich ein Guinness und einen Gin, nicht nur für meine geistig-seelische Befindlichkeit, sondern auch für einen gesunden Magen-Darm-Trakt. 

Neben mir sass ein Nordire, Adam, ich kam mit ihm ins Gespräch, er schaute immer wieder misstrauisch um sich. Ich konnte seinen Instinkt nachvollziehen, man weiss nie, wer hinter einem steht oder sitzt oder beides, schliesslich waren wir in Belfast! Er fragte mich, ob ich ihn am nächsten Tag an ein Gaelic-Football-Spiel, eine Mischung zwischen Rugby und Fussball, begleiten würde, es sei im Casement Park Westbelfast, nicht weit von hier. Ich willigte ein, freute mich und gab noch einen aus.

Am nächsten Tag fragte ich die Receptionistin, wie ich zum Casement Park käme. Sie erklärte mir den Weg und sagte noch was von “Good luck”. 

“Yes, thanks, honey, see you after, God bless you!”, erwiderte ich mit einem Lächeln. Sie war ziemlich heiss. Ich machte mich also auf den Weg. Armeehelikopter kreisten über mir und Crime Stoppers kamen mir entgegen. Ich bog links ab in die False Road, die über einen Checkpoint in ein Quartier mit Heckenschützen der britischen Armee führte. Mulmig war’s mir schon, aber ich musste instinktiv weitergehen, um mich nicht verdächtig zu machen. An den Wänden prangten die martialischen Gemälde der Märtyrer der IRA, die Hauseingänge waren zum Teil vergittert. Ich befand mich in einem Viertel einer der IRA-Hochburgen. Nach dem Friedensabkommen 1998 war es eine Splittergruppe der IRA, die Real IRA, die nun das Sagen hatte. Ich kam nun zum Casement Park, es begann zu schneien, ich ging in einen Laden, kaufte mir einen Flachmann und fragte ganz nebenbei den Verkäufer, ob das Spiel zwischen Donegal und Belfast denn nicht stattfände. Die würden heute nicht spielen, sagte er gelangweilt. 
“Schade, Scheisse, thanks und cheers,” sagte ich.
“Good luck”, erwiderte er...

Da war ich nun, es schneite mir auf die Glatze, ich fror mir den Arsch ab. Ich versuchte ein Taxi anzuhalten, es blieb beim Versuch, niemand nahm mich mit. Die Taxifahrer konnten mich ja nicht einschätzen, unrasiert wie ich war, mit schwarzem Seemannsmantel und schwarzen Winterstiefeln. Ich ging in ein Pub. Es war vergittert. Um Einlass zu erhalten, musste ich dreimal in einem dunklen Korridor an Türen mit Kameras klingeln. Die wussten warum, alle wussten und wissen das, ich auch. Ich war in einem IRA Pub, bestellte mir einen Gin, niemand sprach mit mir, alle schauten mich nur argwöhnisch an, das verstand ich gut. Ich soff aus, zahlte, bedankte mich und ging dann ins Hotel zurück. Ich machte mir so meine Gedanken, schade, dass ich den Kumpel vom Vorabend im Hotel-Pub nicht sah. 

Ich war eine Woche in Nordirland, soff mit Nordiren und Nordirinnen, die mir ihre Geschichten erzählten, und unternahm Ausflüge mit Bussen und dem Zug. Ich war am Giant’s Causeway. Eine Sage erzählt die Geschichte des Riesen Finn McCool, wie er die treppenartigen Basalttürme hinuntergestiegen war, um seine Geliebte auf den äusseren Hebriden Schottlands zu besuchen. Sehr romantisch. 

Ich war auch in der Grafschaft Armagh, einer Hochburg der IRA. Ich musste dort umsteigen, da ich besoffen, wie ich meist gewesen war, den falschen Bus genommen hatte. Eigentlich wäre die Ortschaft Crossmaglan nicht weit gewesen, ein IRA Dorf, autonom, autark und unerschrocken im Geiste wie das Emmental. Davon zeugen Verkehrszeichen und Piktogramme mit der Warnung “Sniper ahead!” Ich liess es sein, schliesslich hatte ich schon genug gesehen und erlebt.

An meinem letzten Abend in Belfast ging ich ein Pub gegenüber meinem Hotel, besoffen musste ich ja dann nur über die Strasse nach Hause schwanken.
Vorne sassen die Loyalisten, hinten waren die Republikaner, in der Mitte war ich… Und alles war Friede, Freude, Eierkuchen, irgendwie langweilig.
Die Champions League lief, keine Ahnung mehr, wer spielte, scheiss Basel sicher nicht, obwohl wir ihnen den Erfolg in der Schweiz schon gönnen, schliesslich haben sie in Basel auch nichts anderes, und das ist bitter!

Plötzlich kamen fünf Männer rein, der eine fragte mich, wer denn spielen würde, ich sagte, keine Ahnung, meine Mannschaft sei nicht dabei. Ich sprach vom FC Zürich, nicht von Celtic Glasgow, letztere ist ein republikanisches Glaubensbekenntnis, da diese Mannschaft im Jahre 1888 in Schottland von den Iren gegründet worden war. Glaubensbekenntnisse sind in Belfast heikel.
Er fragte mich, wie lange ich denn noch in Belfast bleiben würde. Bis morgen früh, dann ginge es zurück in die Heimat, entgegnete ich mit Wehmut. 

Die Jungs luden mich schliesslich in ein Pub ein. Beim Aussteigen fragte mich der eine, ob ich wüsste, wo ich da sei. Ich verneinte. Das Pub war in East Belfast, einem Loyalisten-Viertel, neben dem Pub war das Rekrutierungsbüro der UDA (Ulster Defense Army), Deckname auch Ulster Freedom Fighters. Jetzt war ich also bei den anderen. Auch dieses Pub war vergittert und mit martialischen Wandbemalungen von loyalistischen Freiheitskämpfern bedeckt. Wir gingen rein, ich wurde allen vorgestellt. Ich fragte nach dem Scheisshaus, pisste, vergewisserte mich, dass man meine keltischen irischen Tätowierungen nicht sah, meine irischen Zigaretten versteckte ich auch, denn diese Jungs waren ganz sicher nicht gut auf die Iren zu sprechen.

Da sass ich nun, mitten in einer illustren Runde von Jungs, die eine andere Sicht der Dinge, ihre Geschichte hatten. Wir sprachen nicht über Politik, wir soffen, lachten und grölten, ein lustiger Herrenabend eben. 

Einer von ihnen spielte Snooker. Er sei mal Weltmeister gewesen, wurde mir gesagt, er hatte schon ziemlich Schlagseite. Er sei eine Schande für East Belfast, sagte mir der Kommandant, sie würden dem nicht mehr lange zusehen. Ich spürte, was das zu bedeuten hatte. Wir sprachen natürlich auch übers Ficken, einer nahm seinen Sexanzeiger hervor und fragte mich, wer mir gefallen würde. Ich wählte eine Nutte aus, sie legten zusammen und begleiteten mich in ein Freudenhaus. 

Das nenne ich Gastfreundschaft!

Wir fuhren irgendwann zurück. Ich musste natürlich davon erzählen, schliesslich hatten die Jungs auch mein Gastgeschenk bezahlt. Der Abend neigte sich dem Ende zu, ich gab noch einen aus, das lehnten sie zuerst ab, ich bestand aber darauf. Der Barkeeper sagte irgendwann unmissverständlich: “Last call then, you stay, you don’t, you don’t, you stay.” Ich durfte bleiben. Wir soffen noch den edelsten Whisky, aber nicht mehr lange, sie brachten mich zum Hotel und gaben mir ihre Adressen. Ich gab ihnen meine nicht. 

“Bye bye, thank you very much, God bless.” Ich schaute im Hotel auf die Uhr, beschloss packen zu gehen und die paar Stunden unter Aufsicht einer Receptionistin zu verbringen, damit ich nicht einschlief. Wir unterhielten uns, sie nahm eine Flasche Whiskey hervor und schenkte mir ein. “Thanks, Sweetheart!”

Irgendwann nahm ich das Taxi zum Flughafen, verabschiedete mich von Belfast und flog nach Zürich. 

Eine Woche später war ich wieder in der Klapse...

 

Auszug aus dem E-Book Titten, Tränen, Gin & Tonic​​​​​​​– Das manische Antlitz hinter dem Horizont der Psychiatrie

 

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