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Geburtstagsregen

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06.07.18 16:14
Fertiggestellt

Von allem hatte ich schon immer mehr als andere in meinem Alter. Wenn meine Freundinnen mir ihre neusten Lieblingspuppen präsentierten, hatte ich schon drei verschiedene der Sorte - mit passender Garderobe natürlich. Als meine Freundinnen ihr neustes Smartphones mitbrachten, schob ich meine anderen zwei tiefer in die Tasche, unter all den anderen Krimskrams. Und wenn sie sich über das schöne Kleid freuten, dass sie zur Hochzeit eines Verwandten bekommen hatten, beteuerten sie mit einem verlegenem Blick in meine Richtung, dass es natürlich nicht an die Ballkleider herankäme, die bereits in meiner begehbaren Garderobe hingen. Irgendwie wurden sie immer schweigsamer in meiner Gegenwart. Und als ich zu meinem letzten Geburtstag mit der Limousine zum Feiern abgeholt wurde, musste ich feststellen, dass ich gar niemanden mehr hatte, mit dem ich all den Platz hätte teilen können. Zumindest niemanden, der meinetwegen hätte mitfahren wollen.

Das Gebäude war trotzdem randvoll gefüllt. Gelächter schwappte über mich hinweg und ich fühlte den Bass der Musik schon, bevor man mir die Tür öffnete. Sofort drehten sich alle zu mir um und unter einem buntem Feuerwerk wurde ich mit ersten Glückwünschen überschüttet. Ich lächelte jeden höflich an und hoffte insgeheim, eine meiner früheren Freundinnen unter den wechselnden Gesichtern zu entdecken. Oder wenigstens meine Eltern.

Wie eine Fremde fühlte ich mich auf meiner eigenen Feier. Wie aus der Ferne sah ich zu, wie mir einer nach dem anderen die Hand schüttelte, einen Kuss auf die Backe gab oder mich schwungvoll in die Arme nahm. Wie eine Puppe ließ ich all das mit mir geschehen. Eine lächelnde Barbie war ich. Irgendjemand drückte mir einen Cocktail in die Hand: „Auf dich! Und weitere zahlreiche Jahre Freundschaft!“ Irritiert blickte ich in ein fremdes Gesicht und lächelte es an. Ein kurzer Austausch unpersönlicher Nichtigkeiten. Schließlich stand ich auf, strich mein Kleid glatt und entschuldigte mich. Ich brauchte Luft. All die Leute hier schienen mich zu ersticken. Hektisch bahnte ich mir einen Weg nach draußen, weitere Glückwünsche abweisend.

Ein tolles Kleid, das du da trägst, ist das ein Unikat?“

Ja, danke.“

Hey, lange nicht mehr gesehen! Müssen wir nachholen!“

Ja, danke.“

Was hat der DJ denn noch für Lieder?“

Ja, danke.“

Endlich erreichte ich die Tür und stürzte ins Freie. Irgendjemand bot mir noch an, mich zu begleiten, aber ich lehnte höflich ab. Es war ruhiger hier draußen. Ein leichter Nieselregen benetzte die Terrasse und der fröhliche Lärm drang etwas gedämpfter durch die verschlossene Tür. Ich entschied, mir einen Platz etwas abseits zu suchen. Doch offenbar war ich nicht die Erste mit dieser Idee.

Auf den Treppenstufen, mitten im Regen saß ein Mädchen, etwa in meinem Alter. Vermutlich wäre ich sofort umgekehrt, hätte sie sich nicht so stark von den anderen auf der Party abgehoben: Sie trug Jeans und ein schlichtes T-Shirt, zu ihren Füßen lag ein vollgestopfter Rucksack und ihre kurzen Haare waren vom Wetter schon ganz nass und zerzaust.

Noch nie eine Normalsterbliche gesehen?“, spottete sie, ohne sich zu mir umzudrehen.

Unschlüssig stand ich da, nicht sicher, was ich darauf erwidern sollte.

Sie drehte sich leicht in meine Richtung, nur, um mich zu mustern.

Dein Kleid wird noch nass. Und das war sicher teuer.“

Ich zuckte mit den Schultern.

Sie beäugte mich abfällig: „Na klar, sicher von Mami und Papi bezahlt.“

Ich habe nicht darum gebeten.“, brachte ich überrascht über die Lippen. So respektlos hatte mich bisher noch nie jemand behandelt. „Was machst du überhaupt hier, wenn du alles so schrecklich findest?“

Ich bin nicht freiwillig hier“, antwortete sie, den Blick wieder geradeaus gerichtet „Ich kenne dieses Geburtstagsmädchen nicht einmal.“

Ich auch nicht.“, bemerkte ich, ohne darüber nachzudenken und musste feststellen, dass es stimmte. „Und vermutlich könnte ich sie auch gar nicht leiden.“

Damit hatte ich ihre Aufmerksamkeit: „Wer bist du?“

Ich grinste: „Eine Normalsterbliche, so wie du.“

Aha.“ Sie runzelte die Stirn, ließ ihren Blick noch einmal über mich schweifen.

Ich werde nicht ganz schlau aus dir“, stellte sie fest „Ich war schon immer das schwarze Schaf in der Familie, aber wer bist du?“

Langsam setzte ich mich auf die Stufe, neben sie, bewahrte jedoch einen gewissen Abstand. Durch den dünnen Stoff fühlte ich direkt den kühlen Stein unter mir. Das Kleid würde es mir nicht danken und ich konnte mir jetzt schon die entsetzten Blicke vorstellen, wenn ich nach Hause kam. Komischerweise bemerkte ich, dass es mir absolut egal war.

Manchmal weiß ich das auch nicht so genau“, setzte ich vorsichtig an „Aber ich weiß, dass ich das hier“ Ich deutete auf mein Kleid „nicht bin. Vielleicht bin ich ja immer noch auf der Suche nach mir selbst.“

Etwas hatte sich verändert. Das Mädchen schien mich jetzt anders wahrzunehmen. Ihre Augen waren groß und ernst, als sie sich zu mir beugte: „Glaube mir, unter all diesem Klunker wirst du dich niemals finden. Er hilft den Menschen nur, sich mit dem auseinanderzusetzen, was sie nicht sind.“

Weißt du denn, wer du bist?“, wollte ich wissen

Mit der Schuhspitze tippte sie an ihren Rucksack. „Sehe ich etwa so aus?“

Was hast du vor?“

Abzuhauen. Dem zu entkommen, was andere sich wünschen. Echte Begegnungen machen. Wissen, was leben heißt.“

Und wann?“

So bald wie möglich. Noch ein letztes Mal wollte ich den Trubel aus der Ferne beobachten, um zu wissen, ob ich meiner Entscheidung sicher bin. Und ja, verdammt, so sicher, wie ich nur sein kann!“

Ruckartig stand sie auf, wie eine Anführerin, die zu eben eine stürmische Feldrede beendet hat, und hielt mir ihre Hand hin.

Kommst du mit?“

Einfach so?“, fragte ich.

Einfach so.“, sagte sie.

Ich wusste nicht, ob ich es bereuen würde, aber ich wusste, dass das hier eine einmalige Chance war. Schon lange hatte sich nichts mehr so echt angefühlt. Schon so lange hatte ich mich am falschen Platz gefangen gefühlt.

Meine Hand passte perfekt in ihre.

Ich bin dabei.“, sagte ich „Auf in die Freiheit!“

Auf ins Leben!“, entgegnete sie.

Meine High Heels ließ ich auf der Treppe stehen. Und so stiegen wir sie hinab, barfuß, im strömendem Regen. Mein durchnässtes Kleid klebte an mir und mir war bewusst, wie leichtsinnig mein Vorhaben war und was ich alles zurückließ. Doch noch nie hatte ich mich so reich gefühlt.

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Yuki Am 03.10.2019 um 23:10 Uhr
Ja so ist das Leben, hat man viel ist es wenig Wert. Hat man wenig ist es viel Wert. Wie hieß es früher, Freunde sollte man nicht kaufen? Gekaufte Freunde bleiben nur solange wie Geld da ist. Ich find es super, das sie mit dem Mädchen mit geht und sich selber finden will. Super geschrieben.
Gruß Yuki

Autor

Dagnys Profilbild Dagny

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Kurzbeschreibung

Manchmal kannst du alles haben und dich trotzdem arm fühlen... Und dann musst du entscheiden, was du vom Leben möchtest.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Vermischtes auch in den Genres Entwicklung, Alltag, Nachdenkliches und Freundschaft gelistet.