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01
Duft von Whiskey
Kühl und vertraut lag die eiserne Türklinke in der Hand des in schwarz gekleideten Mannes. Er nahm einen tiefen Atemzug der kalten Luft. Er öffnete die schwere Eichentür, trat ein. Er nahm einen weiteren Atemzug und diesmal erfüllte schwere, rauchige Luft seine Lunge. Tränende Augen, von Geräuschen gefüllte Ohren, der Geruch von Schweiß und Alkohol in der Nase. Das war seine Heimat, seine Sicherheit. Die Schiebermütze tief ins Gesicht gezogen schlängelte er sich gekonnt durch die Körper. Mit den Meisten, dickbäuchige, betrunkene Männer mit blutunterlaufenen Augen und schmierigen Händen, wollte er jeglichen Kontakt vermieden, doch hin und wieder fand sich auch eine hübsche Frau in der Menschenmenge, welchen er gerne etwas weniger gekonnt auswich. Keiner sah sein Gesicht, doch wer er war wussten sie ohnehin alle. Es war nicht seine Kleidung oder seine Statur die ihn von dem Rest abgehoben hätte. Es war sein Gang. Immer aufrecht, jeder Muskel gespannt wie die eines lauernden Pumas, den Kopf erhoben, doch das Gesicht durch die tief sitzende Mütze verdeckt. Wer genau hin sah bemerkte, dass er das rechte Bein nie so belastete wie das Linke, wodurch seine Schritten eine unberechenbare Ungleichmäßigkeit erhielten. Gerüchte umgaben sein hinkendes Bein wie eine schützende Schiene, doch die Wahrheit würde er niemals preisgeben. Wahrheiten machten verwundbar. Wahrheit, Verwundbarkeit, Schwäche, Vertrauen. Wörter wie die einer fremden Sprache. Das dumpfe Klirren des Whiskey Glases auf dem Tresen, das leise Plätschern des in das Gefäß fließenden Alkohols, die brummige, heisere Stimme des Barkeepers. Das war seine Sprache, Musik in seinen Ohren. Ungeduldig leerte er das Glas in einem Zug, stellte es gewollt hörbar wieder auf den Tresen und griff nach wenigen Sekunden über diesen hinweg um sich selbst nachzuschenken. Erst nach dem dritten Glas beruhigte sein Puls sich, die Gedanken, die wie Hornissen durch seinen Kopf gejagt waren, wurden klarer und seine in der linken Manteltasche zur Faust geballten Hand lockerte sich. Doch seine Wut brannte weiterhin lichterloh, ein unbändiger Feuerball in seiner Brust. Er blickte auf die Whiskey Flasche und schnaubte entrüstet. Wie konnte man es wagen ihm dieses Heiligtum streitig zu machen? Die Flasche in der linken Hand, das leere Glas in der Rechten, ging er zu einer Tür am hinteren Ende des Pubs. Das dumpfe, gelbe Licht verlor hier den Kampf gegen die Dunkelheit, doch selbst als einst Blut sein Gesicht überströmt und ihm die Sicht genommen hatte, hatte er jeden Zentimeter seiner Kneipe erkannt. Das hatte ihm sein Leben gerettet.
Sie waren alle da, an ihren gewohnten Plätzen um den Stammtisch, welcher den Großteil des Hinterraums ausfüllte. Sobald er eingetreten waren verebbten die Gespräche und die Tür fiel geräuschvoll ins Schloss, sodass aus dem Lärm der Kneipe nur noch ein unterschwelliges Dröhnen wurde. Er atmete durch, stellte Flasche und Glas laut auf den Tisch und schaute in die Runde. Als er den Mund öffnete war seine Stimme heiser und trocken, spröde vor Wut. „Was ist das?“, fragte er gefährlich ruhig. Ein mancher schaute verwirrt, doch ein Mann antwortete mit vor Trunkenheit triefender Stimme: „Der Zaubertrank, der deine Frau hübscher und deinen Feind schwächer macht.“ Einige der Männer lachten, doch andere kannten ihn gut genug um im richtigen Moment den Mund zu halten. Nachdem Stille wieder von dem Raum Besitz ergriffen hatte beantwortete er seine Frage selbst. „Whiskey.“ Er umgriff den Hals der Flasche mit der rechten Hand und erhob sie, als wolle er anstoßen. Einige Männer erhoben ebenfalls ihre Gläser, doch sie alle zuckten zusammen, als er mit Schwung die Flasche gegen die ihm gegenüberliegende Wand schleuderte. Mit lautem Klirren zerbarst die Flasche in tausend Scherben, Whiskey benetzte die Gesichter der Männer, die das Pech hatten am nächsten an der Wand zu sitzen und der herbe Duft des alkoholischen Getränks erfüllte den totenstillen Raum. Jetzt waren sie alle hellwach, alle ebenso angespannt wie der wütende Mann vor ihnen, der begann am Kopfende des Tisches auf und ab zu tigern. „Das ist der beste verdammte Whiskey der Stadt!“, schrie er nun, warf seine Mütze in die Mitte des Tisches und enthüllte so sein vor Anspannung verzerrtes Gesicht. Während er weiter sprach glitt sein Blick über jeden der siebzehn im Raum anwesenden Männer, von einem zum anderen, bis er in den Augen von jedem Einzelnen die aufrichtige Loyalität gesehen hatte, die er jetzt brauchte. „Dieser Whiskey bringt die Männer, und Frauen, von den Straßen in unsere Pubs. Es ist nicht das Bier das wir ausschenken, es sind nicht die Frauen die für uns arbeiten oder gar...“, er lachte trocken: „...die höchst exklusive Innenausstattung die wir bieten. Nein, es ist immer der Whiskey gewesen, den sie nur hier bekommen. Der Beste der Stadt. Der Beste unserer Stadt.“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, als wolle er seine Worte in das Holz einhämmern. Dann wurde seine Stimme wieder leiser, beunruhigend leise. „Und wer es sich erlaubt einen anderen Whiskey zu verkaufen, auf den Straßen vor meinen Pubs, an meine Kunden, und ihnen so das Geld aus der Tasche zu ziehen, welches rechtmäßig in meinen Taschen hätte landen sollen, wer sich das erlaubt… Dem werden wir zeigen was es bedeutet sich mit unserer Ordnung in unserer Stadt anzulegen!“
Mysteriöser Whiskey auf den Straßen Bristols
Bristol, 11. Mai. Seit einigen Tagen verstößt eine unbekannte Whiskey Brauerei mit dem Namen ‚Willy‘s Whiskey‘ gegen das Spirituosen-Gesetz, welches vorschreibt, dass Spirituosen nur nach einer staatlichen Prüfung und von eingetragenen Unternehmen an die Bevölkerung verkauft werden dürfen. Doch trotz der fragwürdigen Herkunft des illegal gebrannten Getränks ist es in kürzester Zeit der gefragteste Whiskey der Umgebung geworden. Die Whiskeybrennerei Davies, welche seit Jahren die Nummer Eins des Whiskey Marktes ist, hat sich bisher nicht geäußert, doch im Hinblick auf die Geschichte der Familie Davies wirkt eine heftige Auseinandersetzung unvermeidbar. Dass eine kleine Brennerei gegen das gewaltige Monopol der Davies, welche inzwischen auch einige der bekanntesten Pubs Bristols erworben haben, ankommt scheint unmöglich. Auch die Polizei ermittelt bereits, soll aber auf der Suche nach dem Eigentümer oder gar dem Standort der Brennerei im Dunkeln tappen. Verkauft wird der Whiskey vor allem von arbeitslosen Witwen, welche, laut Angaben einer der Verkäuferinnen, einmal die Woche einen Brief mit Ort und Datum erhalten um neuen Whiskey abzuholen. Dort ließen sie dann auch das Geld, können aber einen eigenen Anteil behalten, berichtet die Verkäuferin. Diese ziehen mit Wägen von Pub zu Pub und verkaufen die Flaschen günstig, so günstig, dass die Kneipenbesitzer selbst kaum noch Whiskey verkaufen. Doch wer hinter diesem ausgeklügelten Verkaufskonzept steckt bleibt weiterhin ein Rätsel. Bei Hinweisen jeglicher Art bittet die Polizei um die Unterstützung der Bürger.
Weiß zeichneten sich seine Knöchel unter der Haut ab, so fest umgriff er die dünnen Seiten der Bristol News. Er hasste sie, die Reporter, die mit ihrer aufdringlichen Ausdauer darauf aus waren so viel über ihn und seine Familie zu berichten wie möglich. Natürlich war dieser neue Skandal, für den er ausnahmsweise nicht einmal etwas konnte, gefundenes Fressen für die hungrigen Pressehaie. Es war seine Absicht diese Angelegenheit im Keim zu ersticken, bevor sie größere Auswirkungen auf sein Vermögen oder gar seine bisher so unantastbare Autoritätsrolle im Nachtleben Bristols haben konnte. Nachdenklich ließ er die Zeitung sinken und zündete sich eine Zigarette an. Alle siebzehn seiner loyalsten Männer hatten ihm gestern Nacht ihre Unterstützung versichert und warteten nur auf Anweisungen von ihm. Lautes Klopfen an der Haustür ließ ihn zusammenzucken, aus Gewohnheit umgriff seine rechte Hand wie von selbst in sekundenschnelle den Griff seiner Waffe, die gut verborgen unter seinem Mantel darauf wartete von ihm gezückt zu werden. Im selben Moment erkannte er die beiden tiefen Stimmen und ließ die Männer eintreten. „Dean, Vater.“ Er nickte ihnen zu, sie nahmen Mäntel und Mützen ab, hingen sie über die Garderobe, nahmen Platz in seinem Kaminzimmer. „Ich habe nie verstanden, warum du nicht mal in deinem eigenen Haus den Mantel ablegst.“, stichelte sein Bruder. Er blickte Dean nachdenklich an, dieser räkelte sich bereits seelenruhig in seinem Sessel, so als könne ihn nichts und niemand auf der Welt auch nur zu einem Fünkchen Sorge bewegen. „Was habt ihr in Erfahrung gebracht?“, fragte er, anstatt die Frage seines Bruders zu beantworten. „Vorausgesetzt wir haben überhaupt etwas raus gefunden...“, brummte Dean und mit seinen Worten verließ Zigarettenrauch seinen Mund. „Bei euch beiden erübrigt sich die Frage ob ihr etwas heraus gefunden habt. Und ich habe weder die Zeit noch die Geduld dir jede Information einzeln aus deiner krummen Nase zu ziehen.“ Seine Stimme klang scharf, Dean öffnete den Mund, doch Alan unterbrach die Konversation seiner beiden Söhne. „Eine der Verkäuferinnen ist gewillt zu reden.“; sagte dieser, schob seinem älteren Sohn einen Zettel mit Name und Anschrift über den Tisch und lehnte sich dann wieder zurück. Der Name der Frau sagte ihm nichts, doch er erkannte den Straßennamen. Keine besonders gute Gegend, doch eine in der er sich bestens auskannte. Es war der Stadtteil Bristols in dem man die Dinge bekam, die man nicht in Läden kaufe konnte. Der Stadtteil, in den sich die Polizei nur traute, wenn es unbedingt nötig war. Und vor allem der Stadtteil, in dem man nur wohnte wenn die einzige andere Option Obdachlosigkeit war. „Cole?“ Er schaute auf, sein Bruder und Vater schauten ihn erwartungsvoll an. Vermutlich hatten sie ihn etwas gefragt, aber er hielt es nicht für nötig nachzuhaken. „Sie ist gewillt zu reden?“ Selbst er hörte die Skepsis in seiner Stimme. „Sie ist es jetzt.“, erklärte Alan schlicht. Mehr gab es nicht zu sagen, mehr wollte Cole auch gar nicht wissen. „Heute Abend im White‘s. Alle sind anwesend.“, ordnete er an. Sein Bruder nickte genervt. Sein Vater nickte zustimmend. Er nickte zum Abschied, griff seine Mütze und verließ das große Backsteinhaus.
Immer wieder wunderte Cole sich, warum Polizisten so unfähig waren. Denn daran, dass sie sich an die Gesetze hielten lag es definitiv nicht. Das Gespräch mit der Verkäuferin war einfach gewesen, fast schon zu einfach. Vielleicht sollte er versuchen zu akzeptieren, dass nicht immer alles schwer und kompliziert sein musste, doch sein Inneres sträubte sich vehement gegen diese Erkenntnis. Er war in Gedanken versunken als er seinen Pub betrat, doch es entging ihm nicht, dass weniger Menschen als sonst an dem massivem Bartresen standen und auch der Barkeeper war nicht so rotbäckig und verschwitzt wie gewöhnlich. „Nicht mehr lange und dir wird dein verdammter Whiskey in der Kehle stecken bleiben...“ verfluchte er den Schuldigen dieser ganzen Unannehmlichkeit, ohne zu wissen mit wem er es zu tun hatte. Die Angst, die Unwissenheit meist mit sich bringt war Cole fremd, doch als er ein Fenster am hinteren Ende des Pubs öffnete und draußen eine alte Frau beobachtete, welche fleißig Whiskey Flaschen an schon längst zu betrunkene Männer verkaufte, spürte er nicht mehr nur die Wut in sich, sondern auch die altbekannte Erregung, die lauernde Gefahr in ihm hervorrief. Er schloss das Fenster und betrat den Hinterraum. Cole genoss es zu wissen, dass es er war auf den die Männer warteten. Ein Mann der wusste wie man sich in Szene setzte brauchte ein Publikum vor dem er es tun konnte. Heute Abend waren sie sein Publikum, bald würden es die sein, die Willy‘s Whiskey brauten. Und er würde der letzte Auftritt sein, dessen Publikum sie sein würden. Dean und Alan bauten sich links und rechts neben Cole auf, zusammen gaben sie ein beeindruckendes Trio ab. Dean‘s Gleichgültigkeit verunsicherte jeden, der es wagte sich mit ihm anzulegen. Alan‘s kurz angebundene Art erstickte Gespräche im Keim. Er griff ohnehin lieber zur Waffe. Cole‘s angespanntem Charakter entging nicht das kleinste Detail, hinter vorgehaltener Hand spekulierte man, ob er gar die Zukunft kenne. „Whiskey hat einen großen Vorteil“, setzte Cole an, beinahe so als würde er mit sich selbst sprechen. Alle hingen an seinen Lippen, zwischen denen eine Zigarette klemmte. Er griff in seine rechte Manteltasche, zog eine Schachtel Streichhölzer hervor. Es zischte leise als er Eines entfachte und die kleine flackernde Flamme aufmerksam beobachtet. Mit einem langen Schritt stand er vor dem Tisch, ließ das Streichholz in ein halb leeres Whiskey Glas fallen. Zufrieden betrachtete er die große züngelnde Flamme, die sich von dem alkoholischen Getränk ernährte. Lächelnd fuhr er fort: “Er brennt gut.“ Mit aller Ruhe wartete er, bis die Flamme erloschen war. „Die nächsten Tage brauche ich alle auf Abruf. Jeden von euch. Eine Informantin wird mir im Laufe der nächsten Woche den Ort und Zeitpunkt der nächsten Whiskey Lieferung mitteilen. An diesem Ort werden die Verkäuferinnen ihr Geld ablegen, wir werden dort warten, bis dieses abgeholt wird. Und genauso wie das Geld seinen Weg zu dem Eigentümer von Willy‘s Whiskey finden wird werden auch wir das tun. Bloß wird ihn unser Anblick weniger erfreuen als der des Geldes.“ Ein zustimmendes Grölen erfüllte den Raum, Flaschen wurden geöffnet, Zigaretten angezündet. Der Anfang einer langen Nacht. Der Anfang des Endes für Willy's Whiskey.
Erste Sonnenstrahlen begannen die Häuser Bristols wach zu kitzeln und den Raureif langsam von den Grashalmen zu vertreiben. Draußen hörte Cole bereits das Poltern der hölzernen Kutschenräder auf den unebenen, gepflasterten Straßen. Die letzten Nächte hatte er unruhig geschlafen, war immer wieder aufgeschreckt, in der Annahme, ein Klopfen an seiner Haustür gehört zu haben. Doch bisher war die Frau nicht gekommen, seine Ungeduld flüsterte ihm bereits ins Ohr, dass ein weiterer Besuch bei ihr eine gute Idee wäre. Seufzend schlug er die Bettdecke zurück, stolperte beinahe über die leere Flasche neben seinem Bett, fluchte. Genervt schob er sie mit dem Fuß unter sein Bett, mit einem leisen Scheppern stieß sie gegen die anderen Flaschen, die bereits das gleiche Schicksal erlitten hatten und nun eine stetig wachsende Staubschicht auf sich ansammelten. Wenig später hatte der junge Mann seine morgendliche Trägheit abgeschüttelt, eine Handvoll eiskaltes Wasser hatte den Schlaf aus seinem Gesicht vertrieben. Gekleidet in seinen schwarzen Anzug, den schwarzen, knielangen Mantel und seine Schiebermütze, die Waffe griffbereit, eine Zigarette zwischen den Lippen, war er bereit für alles was dieser Tag mit sich bringen mochte. Schwungvoll öffnete er die Tür, trat hinaus in das noch kühle Sonnenlicht und stieß beinahe mit der kleinen Witwe zusammen, die mit zum Klopfen erhobener Faust vor ihm stand. Erstaunt blickte sie mit ihrem von Falten und Müdigkeit gezeichneten Gesicht zum ihm hoch, ließ die Faust sinken. „Der Brief ist da.“, krächzte sie und griff zwischen die Falten ihres sauberen doch abgenutzten Kleides, in denen sich eine Tasche zu verbergen schien. Hastig zog sie ein Stück Papier hervor und streckte es ihm hin. Nachdem er die wenigen Worte überflogen hatte nickte Cole ihr knapp zu. Erleichtert hastete sie die Steinstufen vor seinem Haus hinunter und verschwand eilig hinter der nächsten Ecke, so als wäre sie erst wieder in Sicherheit, wenn sie seinen durchdringenden Blick nicht mehr auf ihrem von Arbeit geschundenen Körper spüren konnte. 16. Mai, verlassener Schuppen bei den Ruinen im Schlosspark. Heute war der Morgen des 15. Mai, es blieb mehr Zeit als erwartet. Ein Telefonat genügte um alle seine Männer zu informieren, um alles in Bewegung zu setzten. Beinahe entspannt ließ der Ältere der beiden Davies Brüder sich in einen Sessel in seinem Kaminzimmer fallen.
Längst war die Nässe durch die Schichten seiner Kleidung gekrochen, aber der kalte Regen prasselte weiterhin unbarmherzig auf Cole und seine Männer nieder. Kein untypisches Wetter für die südwestenglische Stadt, jedoch standen sie bereits stundenlang versteckt zwischen den uralten Mauern des Schlosses, hinter ebenso alten Bäumen, unter den wie zufällig im Schlosspark verteilten Büschen. Er wusste, dass ihre Beine immer steifer und ihre Laune immer schlechter wurde. Solange sie ihre Missmut am Ende nicht an ihm sondern dem Eigentümer dieser lästigen Brennerei ausließen störte ihn das nicht. Über den Tag verteilt waren immer wieder Frauen mit Eseln und Holzkarren gekommen, hatten diese mit Flaschen beladen, Umschläge mit Geld in den Schuppen gelegt, um dann wieder zu verschwinden. Nun standen sie vermutlich auf den Straßen vor seinen Pubs und brachten ihn um seine Kunden. Seit Stunden war keine von ihnen mehr gekommen, der Schuppen war inzwischen geleert von Flaschen und stattdessen gefüllt von Umschlägen mit Geld. Langsam wurde es dunkler, die schemenhaften Umrisse der Schlossruinen ragten jetzt unheimlich neben dem kleinen Holzschuppen in den schwarzen, wolkenverhangenen Himmel. Es war eine dunkle Nacht, Mond und Sterne verdeckt, und das rhythmische Trommeln des Regens dämpfte jegliche Geräusche. Die Zeit schien stillzustehen. Wäre nicht der Regen gewesen, hätte der Wind nicht die Baumkronen dazu gebracht wie ungeduldige Riesen von einer Seite zur anderen zu schaukeln, dann hätten die Männer nicht sagen können, ob die Zeit nicht einfach stehen geblieben war. Plötzlich störte etwas die gespenstische Stimmung. Eine kleine, gebückte Gestalt hastete auf den Schuppen zu, eine Laterne in der rechten Hand, einen ledernen Koffer in der Linken. Cole‘s kalten, grauen Augen folgten ihm wie die eines Jägers, der seine Beute verfolgt. Jetzt öffnete seine Beute die klapprige Holztür und verschwand hinter den morschen Holzbrettern. Der Jäger pfiff, das Geräusch durchdrang den schweren Regenvorhang schneidend wie ein scharfes Messer. Silhouetten begannen sich aus Steinmauern, Bäumen und Büschen zu lösen, glitten geräuschlos durch den Regen auf den Schuppen zu. Wie durch eine unsichtbare Hand geführt umkreisten sie den alten Holzverschlag, richteten ihre Waffen auf diesen und verharrten regungslos. Cole stand vor der angelehnten Tür, Dean und Alan flankierten ihn. Regentropfen liefen ihre Gesichter herunter und in die Krägen ihrer Mäntel. Seine Gänsehaut auf diese kalten Eindringlinge zu schieben wäre eine Lüge gewesen, denn Cole wusste genau, dass es die ungeduldige Vorfreude jemandes war, der sich sicher war, dass er gewinnen würde. Immer. Mit einem gezielten Tritt gegen die Tür krachte diese gegen die Innenwand des Schuppens, das Geräusch von splitterndem Holz erfüllte die Nacht. Erschrocken ließ der in einen zu großen Anzug gekleidete Mann die Umschläge fallen, die er eben eingesammelt hatte und erfror in der Bewegung. Das schwache Licht seiner Laterne erleuchtete drei Gestalten die bewegungslos vor dem schmalen Türrahmen standen. Keiner der vier Männer rührte sich bis der Mann schließlich genug Mut angesammelt hatte, um zu sprechen. Oder war ihm einfach die Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst geworden? „Was wollt ihr von mir? Geld?“, fragte er mit der belegten Stimme eines Mannes der Angst hat, diese aber zu überspielen versucht. Erfolglos. Mit einem großen Schritt betrat Cole den Schuppen, seine Präsenz schien den ganzen Raum auszufüllen. Aufmerksam wanderten seine Augen über den Körper des Geldlieferanten. Schweißperlen auf der Stirn. Weit geöffnete Augen. Zu Fäusten geballte Hände. Weiße Knöchel. Unruhiges Wippen. Schneller Atem. Angst. „Dieser Schuppen...“, begann Cole schließlich mit bestimmter Stimme, während er sich theatralisch umschaute. „Dieser Schuppen hat erstaunlich viele Ähnlichkeiten mit einem Sarg, finden Sie nicht auch? Das Holz, die Dunkelheit, die Enge.“ Er seufzte mitleidig. Der Mann schluckte unbehaglich. „Das Geld interessiert mich nicht. Viel spannender ist es wohin Sie es bringen.“, fuhr er fort. Schon bevor er die Antwort hörte, wusste er, dass es eine Lüge war. „Ich nehme es mit nach Hause, zu meinen Kindern und meiner Frau.“ Mit einer kaum sichtbaren Kopfbewegung nickte Cole Alan zu, welcher umgehend seine Waffe zog und mit wenigen Schritten bei dem verängstigten Geldlieferanten war. Der kalte Lauf der Pistole, der sich gegen die Schläfe des Mannes drückte, schimmerte im Laternenlicht. Alan spannte die Waffe und das metallische Klicken jagte den Männern einen Schauer über den Rücken. Einem von ihnen aus Angst, den anderen aus Spannung. „Eine Chance haben Sie noch, bevor meine Geduld erschöpft ist.“, sagte Cole. „Wohin bringen Sie das Geld?“ Schweigen. Auch er näherte sich nun ihrem Opfer, sodass er nur Zentimeter von ihm entfernt stand und zu ihm herunter schauen konnte. Der Mann roch Zigarettenrauch in dem kalten Atem, den er jetzt auf seinen Wangen spürte. „Frau und Kinder, hm?“, wisperte Cole ihm zu. Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn schon längst hatte der Geldlieferant Bilder seiner kleinen Familie vor Augen und der Gedanke sie im Stich zu lassen, sie nie wieder zu sehen, war unerträglich. „Westlich von Bristol liegt Failand...“, begann er, doch wurde von Alan unterbrochen. „Wir wissen wo Failand ist.“, ungeduldig spuckte er auf den staubigen Boden. Hastig nickte der Mann. „Kurz vor dem Dorf auf der linken Seite, da ist ein Schild. Aus Holz. Tremblay‘s Farm steht darauf, es ist dann noch eine Meile oder so bis zu dem Anwesen. Dort… Dort bringe ich das Geld hin.“ „Dann habe ich erfreulich Nachrichten für Sie.“, verkündete Cole. „Der Weg zu Tremblay‘s Farm bleibt Ihnen heute erspart. Das Geld werden wir diesmal liefern.“ Wenig später stolperte der Mann aus dem Schuppen, dieses Mal nur noch mit der Laterne, jedoch ohne den Koffer. Zwei Männer folgten ihm, doch er war so sehr darauf konzentriert dem Park zu entkommen, ehe einer der Davies es sich anders überlegte, dass er es nicht bemerkte. Sie folgten ihm bis zu seinem Haus, denn falls er doch nicht die Wahrheit gesagt hatte, dann würden sie ihn nicht so einfach davon kommen lassen. Nun, da sie wussten wo er wohnte, gingen die Beiden zu dem vereinbarten Treffpunkt am Stadtrand Bristols.
Es hatte aufgehört zu regnen und der Mond kämpfte sich immer wieder zwischen Wolkenfetzen hindurch, beleuchtete die nächtliche Landschaft unter ihm spärlich. Ließ man die letzten Häuser am westlichen Rand Bristols hinter sich und überquerte dann die Clifton Suspension Bridge, dann fand man sich am Flussufer des Flusses Avon wieder. Nachts war die Natur hier sich selbst überlassen, erholte sich von den Spaziergängern und Bauern, die sie tagsüber belästigt hatten. Doch heute wurde sie in ihrem Schönheitsschlaf gestört. Auf einer Wiese, nicht unweit des Flusses, standen zwanzig in dunkle Mäntel gehüllt Männer. Der Wind ließ ihre Mäntel geisterhaft um ihre Körper wehen. An Zügeln führten sie Pferde, die schnaubend und stampfend nervös tänzelnden. Atemwolken bildeten sich vor ihren Nüstern und vor den Mündern der Männer. Außer ihnen schien alles um sie herum bei diesem schaurigen Anblick den Atem anzuhalten. Einzig das Flusswasser plätscherte mit unbeschwerter Gleichgültigkeit vor sich hin. Ein zweites Mal in dieser Nacht ertönte ein abrupter Pfiff, Bewegung kam in die Körper der Männer, die sich von statuenhaften Körpern in geschmeidige Jäger verwandelten. Sie saßen auf, stillschweigend. Ein sanfter Druck in die Seiten genügte, um die energiegeladenen Tiere von ihrem nervösen Tanz zu erlösen. Stürmisch preschten sie über das nasse Gras, feine Wassertropfen wirbelten um die Hufen der Pferde, sodass ein mystischer Schleier die Reiter umgab. Den Fluss hinter sich lassend ritten sie gen Westen, an Feldern, Wiesen und kleinen Höfen vorbei. Das unbarmherzige Hämmern der Hufe untermalte die Szene wie ein Orchester einen Theaterauftritt. Für einen Moment wiegte Cole sich in dem Gefühl der Freiheit, das man einzig auf dem Rücken eines Pferdes spüren kann, doch das Geräusch der neunzehn Reiter hinter ihm trieb die Bestimmtheit zurück in seine Brust. Er kniff die Augen zusammen, doch der Wind ließ sie tränen. In der Ferne konnte er die ersten Häuser Failands erkennen, die sich zwischen Bäume und sanft geschwungene Hügel duckten, als wollten sie sich verstecken. Seine Ungeduld ließ ihn das Pferd weiter antreiben, erst als er das schiefe Holzschild am Wegesrand sah, verlangsamte er das halsbrecherische Tempo. Mit einem Blick über die rechte Schulter vergewisserte er sich seiner Begleiter dicht hinter ihm, dann bog er in den von Pfützen übersäten Feldweg ein. Eine tiefe Ruhe erfüllte ihn, als das Farmhaus am Horizont stetig größer wurde. Es war, bis auf einen schwachen Schimmer aus ein paar wenigen Fenster, nicht beleuchtet. Rauch stieg aus dem Kamin. Cole schloss die Augen und atmete tief ein, der Wind trieb die Luft von dem Haus in seine Richtung. Und mit ihm brachte er einen unverwechselbaren Geruch. Duft von Whiskey. Ein Lächeln breitete sich auf Cole‘s Gesicht aus, er öffnete die Augen und griff in seine Manteltasche, in der sich eine Schachtel Streichhölzer befand, als müsse er sich vergewissern, dass sie noch da waren. Kurz vor dem Anwesen zügelte er sein Pferd. Links und rechts von ihm tauchten die restlichen Männer auf ihren Pferden auf, ritten an ihm vorbei, verteilten sich um den Hof, brachten seine Bewohner in Bedrängnis, ohne das diese es ahnten. Als sich der Teufelskreis wie die Schlaufe eines Galgens um das Gebäude gelegt hatte, saßen Cole, sein Bruder, sein Vater und fünf weitere Männer ab und schritten auf die Haustür zu. Jeder seiner Muskeln war bis aufs Äußerte angespannt, sein Atem ging flach. Alle Sinneseindrücke schienen plötzlich eindrücklicher, stärker zu sein. Das Rauschen der Baumkronen im Wind war betäubend laut, der Geschmack von Tabak auf seinen Lippen streng und bitter. Seine rechte Hand umgriff seine Waffe, mit der Linken drückte Cole sanft die Türklinke nach unten. Die Tür war unverschlossen und schwang geräuschlos auf. Ein warmer Lichtschein ergoss sich aus dem Innenraum in die dunkle Nacht. Der Raum, den die acht Männer betraten, war das Herzstück des Hofes. Das Licht stammte von alten, eisernen Kronleuchtern, in denen einfache Kerzen steckten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums flackerte ein einladendes Feuer in dem großen, steinernen Kamin. Cole ließ seinen Blick schweifen. Wie zufällig ausgewählte Teppiche bedeckten den Fußboden und jedes Möbelstück schien seine eigene Geschichte zu erzählen, so unterschiedlich waren sie alle. Außer dem herben Geruch, der alles wie eine leichter Schleier überziehen zu schien, ließ nichts auf eine Whiskey Brennerei schließen. Doch er war sich sicher, dass das wahre Geheimnis ein Stockwerk tiefer, im Keller des Hofes, liegen würde. Über einem der beiden dunkelgrünen, abgewetzten Ohrensessel, die vor dem Kamin mit der Rückseite der Lehne zur Haustür zeigend standen, stieg eine sich schlängelnde Wolke Zigarettenrauch auf. Acht Pistolenläufe richteten sich unvermittelt auf den Sessel. Eine zierliche Gestalt erhob sich daraus, zog erneut an der Zigarette und drehte sich schließlich um, sodass sie den Männern jetzt gegenüber stand. Ihnen war die Überraschung ins Gesicht geschrieben als sie die junge Frau vor sich musterten. Gehüllt in grobe, braune Arbeitsklamotten ließen sich die Konturen ihres Körpers kaum erahnen, doch das schmale Gesicht, die großen, braunen Augen und die sanft geschwungenen Lippen ließen keinen Zweifel zu. Ihre langen, schwarzen Haare ergossen sich wie ein Wasserfall über ihre Schultern, seelenruhig musterte sie die Störenfriede, deren schmutzige Stiefel braune Abdrücke auf ihrem Boden hinterließen. Die auf sie gerichteten Waffen schienen sie nicht zu stören. Schließlich schaute sie den Mann an, der unweigerlich der Anführer sein musste. Die Mütze saß zu tief in seinem Gesicht, um seine Augen zu sehen, doch die entschlossen zusammengekniffenen Lippen und die aufrechte Haltung genügte ihr um zu wissen, wer da vor ihr stand. „Ich habe euch schon erwartet. Den Gerüchten zufolge hätte es mich nicht gewundert, wenn ihr mich nicht schon früher gefunden hättet.“ Ihre Stimme war zugleich seidig weich und vorwurfsvoll. Dann lächelte sie die Männer belustigt an.
„Mein Name ist Lilly Wetherby. Die Eigentümerin von Willy‘s Whiskey.“
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Mira • Am 11.03.2023 um 13:07 Uhr | |
Hallo Becky, Ich finde deine Art zu schreibe wirklich toll! Vor allem die zahlreichen Metaphern gefallen mir sehr gut :) Ich hatte beim Lesen einen durchlaufenden Film in meinem Kopf. Viele Grüße Mira |
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