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Abbilder

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06.12.18 20:39
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Die Gläser klirrten, die Teller und das Besteck klapperten. Schweinebraten wurde verspeist, Wein getrunken. Die Gesellschaft war in heiterer, ausgelassener Stimmung. Es war Heiligabend. Franz war auf die Weihnachtsfeier Leos, seines alten Jugendfreundes eingeladen. Dieser hatte zahlreiche Gäste eingeladen, Freunde, zum Teil auch Verwandte und andere nahestehende Menschen.
Man unterhielt sich miteinander, tauschte interessante Anekdoten aus, bemühte sich dem Anlass entsprechend nur über positive Ereignisse zu sprechen und dabei gekonnt die Tatsachen zu verdrehen und lachte miteinander.
Das Übliche eben, dachte Franz. Das Weihnachtsfest bereitete ihm tatsächlich mehr Unbehagen als Freude. Die Scheinheiligkeit der Menschen war ihm zuwider. Immer lachen sie alle, sind so glücklich. Dabei setzen sie doch nur eine Maske auf, um von ihrem Innern abzulenken. So ticken die Menschen heutzutage.
Franz saß zwischen Leos Mutter, einer sehr altersschwachen, jedoch würdevollen Dame und einem guten Freund Leos. Wie war doch nochmal sein Name? Er erinnerte sich nicht mehr. An den Gesprächen nahm Franz nur sporadisch teil. Er war abgelenkt. Ständig warf er einen neugierigen Blick in die Richtung des Gastgebers. Neben Leo saß V. Die drei waren damals zusammen in der Schule und schon lange eng befreundet. Wie lange lag die Zeit schon zurück? Er erinnerte sich nicht mehr.
Wie gerne würde ich neben ihr sitzen, dachte Franz. Dieser Gedanke kam ihm vollkommen beiläufig in den Sinn. Was machte es schon einen Unterschied, neben wem er saß. Leos Mutter und der andere Mann (wie war nochmal sein Name?) waren schließlich nette Leute. Er konnte doch genauso gut neben den beiden sitzen. Doch irgendwie war es nicht das gleiche. Er wollte neben V. sitzen, aus welchen Gründen auch immer, er vermochte es selber nicht zu sagen.
Warum ärgert es mich so, dass sie neben Leo und nicht neben mir sitzt? Franz gab sich alle Mühe diesen völlig sinnfreien, ja komplett banalen Gedanken beiseite zu schieben und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Stück Schweinebraten, das sich auf seinem Teller befand und nur darauf wartete, verspeist zu werden.
"Haben Sie eigentlich eine Frau", fragte der Mann (wie war nochmal sein Name?) Franz.
Franz schüttelte nur den Kopf. Mit vollem Mund darf man schließlich nicht reden. Der Mann redete weiter auf ihn ein, doch er vernahm die Worte nicht mehr. Er hörte nur Geräusche, belanglose, inhaltsleere Geräusche. Alles war belanglos wenn man V. gegenübersaß. Jedoch nur gegenüber. Nicht direkt neben ihr. Was soll das denn jetzt schon wieder? Sei nicht albern und konzentriere dich auf das Gespräch! Franz nickte nur stumm, ohne den Mann überhaupt verstanden zu haben. Dieser schien sich mit dieser Reaktion jedoch zufriedenzugeben, denn plötzlich wandte er sich ab und suchte das Gespräch mit einem anderen. Gut so, soll er mich doch in Ruhe lassen!
V. und Leo schienen gut miteinander auszukommen. Sehr gut sogar. Natürlich tun sie das, sie sind schon seit vielen Jahren befreundet! Und dennoch verkrampfte sich Franz Magen als er sah wie seine beiden Freunde sich angeregt unterhielten, lachten und sich ständig scheinbar beiläufig an der Hand oder den Schultern berührten. Und ich werde vollkommen ignoriert. Um Gottes willen, was dachte er da schon wieder? Man konnte sich doch nicht immer nur mit ihm unterhalten, schließlich war er nicht der Mittelpunkt der Welt. Leo musste sich schließlich noch um seine anderen Gäste kümmern. Außerdem hatte er selbst soeben doch ein Gespräch mit dem Mann (wie war nochmal sein Name?) ausgeschlagen. Warum beschwerte er sich also dann? Naja, es war nicht dasselbe. Eigentlich wollte er nur gerne mit V. sprechen. Komisch, dass Leo sich nur um sie kümmert und nicht um seine anderen Gäste. Immer diese Vorwürfe!
Franz wurde das beklemmende Gefühl nicht los. Der Schweinebraten kam ihm auf einmal vor wie Hundefutter und daher schob er fast schon angewidert den Teller von sich weg. Der Appetit war ihm aus irgendeinem Grund völlig vergangen. Ja, aus irgendeinem Grund.
Niemand schien zu bemerken, wie Franz sich in seinem Stuhl zurücklehnte, zu zittern begann und V. fortan seine volle Aufmerksamkeit widmete. Warum ist dir eigentlich früher nie aufgefallen wie schön sie ist? Aber war sie das wirklich? Sah sie nicht einfach nur ihrem Alter entsprechend aus? Wahrscheinlich kommt sie mir nur so schön vor, weil ich selbst so hässlich bin. Ja, das musste es sein. Eigentlich war sie gar nicht so schön. Verdammt hässlich!
V. und Leo begannen miteinander zu tuscheln und beide grinsten überaus schelmisch dabei. Also ihre langen schwarzen Haare sind schön, das bestreite ich nicht. Und, naja, also das Gesicht eigentlich auch. Ja, doch, sie ist schön. Besonders ihr Lächeln und ihre Stimme, wenn sie lacht. Warum sollte sie nur schön sein, weil ich hässlich bin? Wir sind doch unabhängig voneinander. Sie ist schön und ich bin hässlich. So ist das eben. Nichts weiter.
Franz sah, wie V. Leos Hand ergriff und sie zärtlich streichelte. Ihre beiden Gesichter näherten sich. Außer ihm schien keiner der anderen Gäste etwas davon mitzubekommen. Alle waren in ihre oberflächlichen Gespräche verwickelt. All diese scheinheiligen, oberflächlichen Menschen. Nur er wusste, was wirklich vor sich ging, weil er auf die wichtigen Dinge achtete, auf die wichtigen Details. Ja, die entgingen ihm nicht. Wie zum Beispiel, dass V. und Leo sich doch tatsächlich küssten. Und dann auch noch auf den Mund. So etwas ziemt sich doch nicht in der Öffentlichkeit.
Das sieht aber nach mehr aus als "Freundschaft". Beim nächsten Mal etwas diskreter bitte. Ihr seid schließlich nicht alleine. Noch nicht! Oh Gott, was denkst du da schon wieder?
Franz schüttelte sich und trank einen kräftigen Schluck Wein. Er musste sich einen Rülpser verkneifen. In meinem Rucksack habe ich doch noch ein Geschenk für sie. So lange haben wir uns doch schon nicht mehr gesehen. Ich muss es ihr noch überreichen. Und dann sagst du ihr endlich...Was sagen?
Leos Hand glitt langsam an V.s Körper herab und verschwand schließlich unter den Tisch. Wohin nur? Nein, das wollte er so genau gar nicht wissen. Widerliches Schwein, kam es Franz unwillkürlich in den Sinn. Oh Gott, was denkst du da schon wieder. Er ist dein Freund. Und sie nur eine alte Schulkameradin. Eine Frau wie jede andere auch. Nichts weiter. Naja, sie sah schon ziemlich gut aus. Verdammt hässlich! Und ihr Lächeln! Nichts weiter.
Franz fragte sich, was es wohl zum Nachtisch geben würde. Den Blick konnte er nicht von V. abwenden. Und Leo. Pudding? Ihr Lächeln. Eis? Sie ist schon ziemlich schön. Verdammt hässlich!
Ohne dass irgendeiner der Gäste Notiz davon nahm (oberflächliche und scheinheilige Menschen!), standen V. und Leo auf und verließen Arm in Arm das Zimmer. Sie schlossen die Tür hinter sich. Man hörte sie die Treppen hochlaufen. Wahrscheinlich gehen sie den Nachtisch holen. Franz bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Auf einmal hatte er das Gefühl, kurz vor einer Panikattacke zu stehen. Das Gefühl kannte er. Kurz vor seiner Abschlussprüfung war er derart aufgeregt, dass er ebenfalls glaubte, jeden Augenblick zusammenzubrechen. Doch diesmal war es anders. Das Gefühl, es war irgendwie anders als damals bei der Abschlussprüfung. Mach dir nichts vor. Natürlich gehen sie nicht den "Nachtisch" holen. Du weißt genau, wo sie hingegangen sind und was sie gerade tun. Die Treppen führen zu Leos Schlafzimmer und dort hat er wohl kaum den Pudding stehen lassen. Oder war es etwa doch Eis?
Wäre es nicht aus irgendeinem Grund so verdammt traurig, hätte Franz fast schon über diese Ironie lachen können. Wie dumm waren die  beiden nur? Als würde ihm so eine offensichtliche Tatsache entgehen. Hielten sie ihn etwa für blöd? Jetzt endlich wusste Franz auch, warum er derart emotional aufgewühlt war. Es ist ihr Verhalten. Sie lässt alles mit sich machen. Das gehört sich schließlich nicht für eine Frau. Unter Gästen muss man sich einfach diskreter verhalten. Man kann sich doch in Gegenwart von einem dutzend Menschen nicht derart gehen lassen. Was würde den Menschen denn dann noch vom Tier unterscheiden? Ja, das war es. Das ungewohnte Gefühl in seinem Innern war Scham. Er schämte sich für V. und Leo, dafür, dass zwei erwachsene Menschen anscheinend keinen Anstand haben und sich wie Tiere präsentieren. Nichts weiter.
V. und Leo kehrten so schnell  nicht wieder. Seit ihrem plötzlichen Verschwinden war mittlerweile eine halbe Stunde vergangen. Ob ich sie "überraschen" sollte? Franz stellte sich vor, wie er leise und auf Zehenspitzen die Treppe hinaufschlich, die Tür zum Schlafzimmer aufriss, die beiden dort erblickte, sie auslachte und sich in sadistischer Freude an ihren schockierten Gesichtsausdrücken ergötzte. Er musste bei dem Gedanken lächeln. Was, wenn ich es Leo so richtig heimzahle? Dieses unartige Verhalten muss bestraft werden! Plötzlich kam ihm ein neuer Gedanke. Er stürmte mit einem Messer ausgestattet in das Schlafzimmer, entledigte sich seines Freundes und dann gehörte V. ihm. Oh Gott, was denkst du da schon wieder?
Franz schämte sich zutiefst für seine unmoralischen Fantasien und konnte sie dennoch nicht abstellen. Es war genau wie mit dem pinken Elefanten. Wenn man sich ihn nicht vorstellen soll, muss man sich ihn erst recht vorstellen. Was würde Kant dazu sagen? Unfassbar, wie konnte er in einer solchen Situation nur auf Kant kommen? In seinem Philosophiestudium hatte er sich die Werke des Königsberger Philosophen zu Gemüte führen müssen. Sie ignoriert mich, zieht meinen Freund mir vor und ich denke plötzlich an Kant. Das Gehirn ist schon ein seltsamer Apparat.
Die Zeit verging und V. und Leo kehrten immer noch nicht zurück. Die lassen sich aber viel Zeit. Mit jeder Minute, die verstrich wuchs Franz Hass auf Leo immer weiter bis selbiger schließlich ins Unermessliche gesteigert wurde. Er konnte es sich nicht erklären, hegte er doch für gewöhnlich nie einen derartigen Groll gegen seine Mitmenschen, erst recht nicht gegen seine Freunde. Es ist wegen ihr!
Wenn er an V. dachte, wurde sein Herz förmlich zerrissen vor Schmerz und mit einer schier unerträglichen und mit nichts zu vergleichenden Sehnsucht erfüllt. Sie ist schon ziemlich schön. Nichts weiter. V. war mehr als nur schön. Sie war die schönste Frau, die er kannte. Und die klügste. Und die gutherzigste. Sie war früher schon so ein toller Mensch. Schon immer gewesen. So toll kann sie gar nicht sein. Sonst hätte sie nicht etwas mit deinem Freund angefangen. Großartig! Da haben wir den Salat! Was hat er nur, was ich nicht habe? Voller Schwermut wurde sich Franz just in diesem Augenblick wieder bewusst, wie hässlich er doch war. Verdammt hässlich! Leo war schon attraktiver als er, das musste er zugeben. Und die Menschen heutzutage sind schließlich alle (oberflächlich und scheinheilig!). Wer legt schon heute noch Wert auf den Charaker, auf die inneren Werte, auf die es schließlich ankam? Außer ihm wohl niemand! Sie war schon ziemlich schön. Nichts weiter.
Die Luft, die er atmete, war wie Schwefel. Er glaube, zu ersticken. Das Zimmer, in dem er sich befand, war wie ein Gefängnis. Hier saß er nun, ganz alleine und vollkommen isoliert in einer Gruppe Menschen. Ihm war heiß und kalt zugleich. Furchtbarer Schwindel bemächtigte sich seiner. Schließlich hielt Franz es nicht mehr aus. Ich muss frische Luft schnappen! Also erhob er sich, teilte der Gemeinschaft mit, dass er nur kurz für wenige Minuten nach draußen gehe und entfernte sich dann (niemand hat mir zugehört, sie interessieren sich nicht für mich!).
Nicht weit von Leos Haus entfernt, befand sich ein kleiner Park, den Franz aufzusuchen gedachte. Ich muss frische Luft schnappen. Nichts weiter. Mir geht es gut. Er taumelte durch die Dunkelheit. Die Straßen waren nur schwach beleuchtet. Die Weihnachtsdekoration an den Häusern leuchtete ungleichmäßig. Flackerte kurz auf, erlosch dann wieder und flackerte kurz auf, immer im Wechsel. Kurz darauf erreichte er den Park, doch zuvor musste er eine Brücke überqueren. Er blieb stehen, starrte hinab in die Strömung des Flusses. Aus irgendeinem Grund, er erinnerte sich nicht mehr, hatte er seinen Rucksack mitgenommen. Vermutlich falls ich es mir anders überlege und gar nicht mehr zurückgehe, sondern sofort den Weg nach Hause antrete. Von Schmerz und unerfüllter Leidenschaft gepeinigt, beugte sich Franz weit über die Brücke und spielte mit dem Gedanken, sich hinabzustürzen. Wie ist es wohl, wenn ich nicht mehr bin? Den Schmerz spüre ich dann nicht mehr. Außerdem vermisst mich doch ohnehin niemand. Sie vermisst micht nicht, hat schließlich Leo und braucht mich gar nicht. Doch ich brauche sie. In Franz Augen bildeten sich Tränen. Reiß dich zusammen! Du bist ein erwachsener Mann und stellst dich an wie ein Teenager. Du dämlicher Idiot kannst dich doch nicht wegen einer Frau umbringen. Wegen einer verdammten Frau! Was ist schon so besonders an ihr?
Unwillkürlich musste Franz erneut an Kant denken. Hatte der nicht auch gesagt, dass wir die Dinge niemals so sehen, wie sie sind, sondern nur, wie sie uns erscheinen? Hatte er, Franz, nicht gar mal einen Aufsatz über dieses Thema verfasst. Wie lange war es schon her? Wenn dem so war, sah er V. also nur, wie sie ihm erschien und nicht wie sie wirklich war. Also war sie in Wahrheit doch gar nicht so schön, gutherzig und was auch immer? Was hatte das zu bedeuten? Hatte die Liebe ihm etwa einen üblen Streich gespielt? War V. nur eine Projektion seines Unterbewusstseins, seiner verborgensten Wünsche, Träume und Sehnsüchte. Übertrug er diese Sehnsüchte etwa auf eine vollkommen beliebige Person, nur damit seine Sinne über ein entsprechendes Objekt der Begierde verfügten? Nur damit seine Bedürfnisse gestillt waren? War dieses Objekt der Erscheinung nicht völlig austauschbar? Nein, sie ist anders!
Franz wich zurück. Nein, er würde nicht springen. Er war schließlich vernünftig! Von hinten ertönte plötzlich eine Stimme. "Frohe Weihnachten!" Schlagartig drehte er sich um und sah sich einer attraktiven Frau gegenüber, die er jedoch nicht kannte. Etwas beschämt und leicht stotternd erwiderte er die Begrüßung und sah der Frau hinterher, bis sie in der vollkommenen Dunkelheit entschwunden war. Außer ihr und ihm war weit und breit niemand zu sehen. Vermutlich feierten alle mit ihren Familien und Freunden zusammen. Genauso wie Leo und V. auch gerade "feierten". Seltsam, dachte Franz. Diese Frau erinnerte ihn irgendwie an V. Warum auch immer. Der Gedanke an V. machte ihn melancholisch und wütend zugleich. Jetzt überwog jedoch die Wut! Hektisch öffnete er seinen Rucksack, nahm das Geschenk, das er V. im Laufe des Abends eigentlich zu überreichen gedachte und schleuderte es wutentbrannt in den Fluss. Es versank augenblicklich in der reißenden Strömung. Irgendwie musste er einfach seine Wut äußern. Was war nochmal drin? Er erinnerte sich nicht.
Nach einem kurzen Spaziergang, kehrte Franz entgegen seiner ursprünglichen Absicht, direkt nach Hause zu gehen, zu Leo zurück, nur ohne Geschenk. Das hat sie jetzt auch nicht mehr verdient. Wenn sie mich nicht will, hat sie mich auch nicht verdient. Ihr Pech! Die weiß doch gar nicht, was ihr entgeht.
Er gesellte sich wieder zu den anderen. Man schien keinerlei Notiz von ihm zu nehmen. Es vermisst mich doch ohnehin keiner. Nachtisch stand noch nicht auf dem Tisch. Und V. und Leo waren immer noch nicht zurück. Diese Tatsache versetzte Franz in schier unermessliche Raserei. Sein Entschluss stand fest. Er musste diesem Spuk ein Ende bereiten! Sein jetzt ehemaliger Freund stand seinem Glück im Weg. Ihrem auch! Doch er, Franz, würde V. retten. Er würde sie von der sinnlichen Verführung durch Leo bewahren und sie retten. Sie gehörte ihm und sonst niemandem. Nur mir, nur mir allein! Voller Entschlossenheit ergriff Franz das Messer, das in den Resten des noch auf dem Tisch stehenden Schweinebratens steckte. Ein feines Messer. Groß und scharf. Genau richtig! Franz leckte sich die Zähne. Mit irrrem Blick, das Messer fest umklammernd schlich er langsam die Treppe hinauf. Gleich habe ich dich, du elender Verräter! Mit einem kräftigen Tritt zertrümmerte der Wahnsinnige die Tür zum Schlafzimmer und schrie lauthals: "ERWISCHT!!!"
Der sich ihm botende Anblick, ließ ihn jedoch erschaudern. Niemand befand sich in dem Zimmer. Das frisch bezogene Bett war leer, es machte nicht den Anschein, als wäre es kürzlich benutzt worden. Stattdessen befand sich in der Mitte des Raumes ein großer Wandspiegel. Franz starrte, als er hineinkam in sein eigenes Abbild. Vor Schreck ließ er das Messer fallen. Ungläubig näherte er sich dem Spiegel. Zweifelsohne, das war er selbst, sein eigenes Gesicht, das ihm dort verdutzt entgegenblickte. Was ist das für ein Fluch? Mit der Hand strich er über den Spiegel und betrachtete dabei sein (verdammt hässlich!) Gesicht. Sein bereits vorzeitig ergrautes Haar hing in fettigen Strähnen vom viel zu groß geratenen Schädel herab, das ausdruckslose Gesicht war mit Pockennarben übersät. Franz sah seinem Spiegelbild tief in die Augen. Die grauen Augen, so leer, dieser Blick, so müde, so erschöpft. Ich sollte mir wirklich nochmal beim Friseur die Haare färben lassen. Und gegen meine Hautunreinheiten sollte ich auch endlich mal Maßnahmen ergreifen. Die Zeit drängt.
Völlig verwirrt trottete Franz die Treppe hinunter. Tausend Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf, wovon ihm übel wurde. Wie kann ich nur das Denken abschalten? Einfach nur aufhören zu denken. Raus aus meinem Kopf! Ich will Ruhe haben. Hört ihr denn nicht?! ICH WILL RUHE HABEN!!!"
Franz riss die Tür zum Wohnzimmer auf. Die Gesellschaft war dort nach wie vor versammelt. Eine muntere Runde. Er konnte es zunächst nicht glauben, hielt es für bloße Einbildung, einen schlechten Witz, einen Alptraum. Dort saßen doch tatsächlich V. und Leo! Auf dem Tisch standen Pudding und Eis, über den sich die Gäste, gierig wie sie waren, hermachten.
V. blickte auf einmal von ihrem Teller auf und sah Franz, der dort in sich zusammengesackt und mit aufgerissenen Augen und Mund im Türrahmen stand und die Welt nicht mehr begriff.
"Da ist er ja endlich", verkündete sie freudig mit ihrer ach so lieblichen Stimme. Sie ist schon ziemlich schön. Nichts weiter. "Willst du dich nicht zu uns gesellen, Franz? Es gibt Pudding und Eis."
Mechanisch nahm Franz auf dem Stuhl direkt neben V.´s Platz, den sie ihm offeriert hatte. Jetzt saß er doch neben ihr. "Frohe Weihnachten", sagte sie und küsste ihn.

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