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„Nein, das wirst du nicht machen! Du hast nicht den Mumm dazu“, grinste der junge Mann übers ganze Gesicht. „Ich kenne dich und du bist und bleibst ein Feigling.“
„Und wenn doch?“, fragte die junge Frau. „Was ist, wenn ich in dieses Haus gehe?“
„Es steht schon seit Jahrzehnten leer“, bemerkte eine andere. Ihre blonden Haare trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Rote Wangen leuchteten aus ihrem apfelförmigen Gesicht. „Man sagt, dass es dort spukt.“
„Eben. Deshalb wird unsere Pia eine Nacht dort verbringen, um zu beweisen, dass sie kein Angsthase ist - ohne eine Verbindung nach draußen, ohne Handy.“ Kevin zwinkerte der blonden Frau zu.
„Das ist keine gute Idee“, bemerkte diese kopfschüttelnd. Zweifel standen in ihr Gesicht geschrieben. „Ein Handy solltest du ihr schon lassen.“
„Lena, die Sache gilt als nicht bestanden, wenn Pia ununterbro- chen mit Freunden chattet. Das verstehst du doch“, meinte Kevin eindringlich.
Lena nickte halbherzig, trotzdem schien sie nicht sicher sein. „Aber“, begann Kevin im nächsten Augenblick theatralisch zu Pia hin, „Du darfst selbstverständlich deinen Köter mitnehmen.“ Er deutete auf Pias Schoßhund, einen schneeweißen Malteser. „Ohne Jenny würde ich ohnehin nicht gehen“, seufzte Pia und strich sich nachdenklich die Haare aus der Stirn. Sollte sie es wagen? Sie ließ die Finger über den Henkel der Teetasse gleiten. „Und?“, fragte Kevin ungeduldig. „Hast du deine Entscheidung bereits getroffen?“
Pia blickte unschlüssig auf ihre Tasse.
„Pia, also, ich würde es nicht tun“, stellte Lena fest. „Aber wie ich dich kenne, wirst du es nicht lassen können.“
„Ja das stimmt. Das glaube ich auch. Mache es für dich, Pia“, flö- tete Kevin und lächelte die junge dunkelhaarige Frau an. Seine grünen Augen funkelten, als das Licht der untergehenden Sonne sich in seinen Pupillen reflektierte.
Pia fasste einen Entschluss. Sie nickte, trank ihren Tee aus.
„Du kannst gleich von hier aus starten, wenn du willst“, bemerkte Kevin verschmitzt. „Die Villa ist in der Nähe und die Sonne wird bald untergehen. Alles was du brauchst, kannst du dir von Lena ausborgen, nicht wahr?“
Er schaute zu Lena, die ihm einen für Pia nicht deutbaren Blick zuwarf, danach wandte er sich der kleinen Malteserhündin zu. „Ja, Jenny, du wirst dein Frauchen begleiten und auf sie aufpassen, gell?“ Er strich ihr sachte über den flauschigen Kopf. Pia blieb noch bei Tisch sitzen. Still und nachdenklich.
„Was?“, stammelte Pia und hielt sich den schmerzenden Kopf. Ächzend setzte sie sich auf und schaute sich um. Pechschwarze Finsternis umfing sie. Nichts, an dem sie sich orientieren konnte. Was war geschehen? Pia rieb sich die Augen, aber die Schwärze rund um sie herum verschwand nicht. War sie blind? „Hallo?“, fragte sie zaghaft mit zitternder Stimme. „Jenny?“ Ihre Hündin war immer bei ihr und wich nie von ihrer Seite. „Komm, Jenny!“ Doch Pias Stimme versagte, als ein tiefes Brummen einsetzte, das die Erde beben ließ. Pia richtete sich panisch auf, stolperte mit aus- gestreckten Händen nach vorne, griff ins Leere, strauchelte und stürzte zu Boden. Mit ihr ein Regal, an dem sich Pia versucht hatte, festzuhalten. „Au!“, schrie sie laut auf. Brennende Schmer- zen in ihrem rechten Arm trieben ihr Tränen in die Augen. Das Brummen verstummte augenblicklich und quälende Stille setzte ein. Pia rappelte sich auf, wischte sich über die Wangen und hielt keuchend ihren schmerzenden Arm. Ein modriger Geruch stieg in ihre Nase und damit Erinnerungsfetzen, was sie die letzten Stun- den gemacht hatte. Lena und Kevin. Die Mutprobe. Die Geister- villa? Um Himmels willen, befand sie sich in diesem Haus? War sie womöglich in einem Verlies, einem Kerker, irgendwo unter der Erde, unterhalb der Villa? Oh mein Gott! Von Geistern ver- schleppt? Geht denn das? Fröstelnd schaute sich Pia erneut um, lauschte in die Stille. Kein Licht, kein Ton. Nur nicht der Panik Raum geben! Sie atmete einige Male tief durch, versuchte, im Kopf klarer zu werden, sich zu konzentrieren, sich an jedes Detail der vergangenen Stunden zu erinnern. Irgendwie war sie in diesen Keller gekommen und somit würde es auch einen Weg hinaus geben. Oder? Eine Welle von Furcht drohte sie zu überrollen.
Das Letzte woran sich Pia erinnern konnte, war, dass sie durch ein zerborstenes Fenster in das Haus einstieg. Danach ist sie mit ihrem Hund am Arm durch die Zimmer geschlendert. In der Abenddämmerung. Das war nicht weiter schlimm. Ein schönes Haus. Die Einrichtung teilweise noch in Takt. Gerümpel, aber inte- ressant. Vor einer verschlossenen Türe hat sie Pause gemacht und Tee getrunken. Danach konnte sich Pia an nichts mehr erinnern. Eigenartig. Aufgewacht in diesem finsteren Loch. Wer hatte sie hier her gebracht? Geister!, lautete die spöttische Ant- wort ihrer inneren Stimme. Pia schüttelte den Kopf, sie wollte nicht weiterdenken. Sie musste einen Weg nach draußen finden. Verdammt! Sie konnte es in ihrem Zustand nicht. Denn Pia zit- terte am ganzen Leib, war unfähig auch nur einen Schritt zu machen. Ihr Herz raste, sie holte keuchend Luft. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als in ihrer Position zu verharren, starr vor Schreck. Als wäre das nicht genug, streifte sie irgendetwas am Bein. Sachte. „Ahhh!“, schrie Pia auf. Hörte sie ein leises Knurren oder irrte sie sich? Jenny? Eine kühle feuchte winzige Nase stupste sie an. Kleine Hundepfoten versuchten, an ihr hoch zu krabbeln. „Jenny!“, krächzte Pia erleichtert. „Hallo, mein Schatz!“ Sie nahm das Hündchen hoch und streichelte es liebevoll. Der Hund drückte sich an sein Frauchen und leckte ihm das Gesicht. „Oh Jenny!“, seufzte die junge Frau. Die Anwesenheit ihres Hundes, eines Lebewesens, gab ihr Hoffnung und Kraft. „Jetzt müssen wir mal hier raus, okay?“ Mutig tastete sich Pia vorwärts. Zumindest glaubte sie das. Sehen konnte sie ja nichts, absolut nichts. Außerdem herrschte Totenstille, sie hörte nur das Rau- schen ihres Blutes in den Ohren. Die Hündin auf ihrem Arm zit- terte unentwegt. „Ruhig“, flüsterte Pia, hatte jedoch selbst damit Schwierigkeiten.
Wie hatte sie sich nur auf diese Sache einlassen können? Pia presste die Lippen zusammen. Wie dumm sie war! In einer Geis- tervilla übernachten! Wem wollte sie imponieren? Kevin, dem Angeber? Nein, ihr selbst, gab sie sich die Antwort.
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie plötzlich nicht mehr weiter konnte. Vor ihr befand sich eine Steinmauer. Pia tastete die kühle Wand ab. Grober Putz blätterte ab. Gut, jetzt nach rechts weiter gehen, bis zu einer Türe. Die musste es ja hier unten geben.
„Eindringling!“, stöhnte eine Stimme hinter ihr. Pia gefror das Blut in den Adern. Jenny machte keinen Mucks. Hatte der Hund denn nichts gehört?
„Eindringling!“, wiederholte die Stimme. Jetzt knurrte der Malteser, strampelte und hüpfte von Pias Arm hinunter. „Jenny!“, kreischte Pia. „Nein!“ Sie hörte, wie sich das Tier entfernte. Dann war es wieder still. Pia wagte es nicht, sich umzudrehen. Sie blieb sekundenlang stehen, mutterseelenalleine mit einem Geist? Keinen Ton machen, nicht auffallen!
Ein knarrendes Geräusch zerschnitt die Stille. Pias Fluchtinstinkt erwachte. Keine Sekunde würde sie länger hier bleiben! Sie hetzte seitlich an der Wand entlang. Schritt um Schritt. Bebend, keuchend, die Ohren gespitzt. Plötzlich versperrte ihr irgendetwas den Weg. Es hörte sich hohl an, als sie mit dem Fuß dagegen stieß. Eine Holzkiste? Rasch tastete sie sich mit klammen Fin- gern an der Kiste vorbei und – was war das? Ein mannsgroßer Rahmen? Eine Türe. Endlich! Nichts wie raus! Aber was ist, wenn draußen noch mehr Geister warteten? Eine Horde? Wieder knarrte es. Das Geräusch war näher gekommen. Pia suchte panisch nach der Schnalle, fand einen Knauf und drehte, rüttelte ihn. Zugesperrt! Nein! Pia rang nach Luft. Sie hatte das Gefühl jeden Augenblick ohnmächtig zu werden.
„Ich hole dich!“, wisperte die Stimme plötzlich knapp hinter ihr. Im nächsten Augenblick, Pia hatte keine Zeit zu reagieren, wurde sie gepackt. Pia brachte keinen Ton hervor, auch wehrte sie sich nicht.
Als die Stimme ein: „Hab ich dich!“, hauchte, wurde Pia ohnmächtig. Sie bemerkte nicht mehr, dass das Licht anging.
„Was ist mit ihr!“, kreischte Lena . „Du Idiot!“, schimpfte sie ihren Freund.
„He, sie ist sicher nur ohnmächtig“, entschuldige sich Kevin. Lena bückte sich über ihre Freundin und tätschelte ihr Gesicht. „Wach auf, Pia. Es ist alles gut. Bitte.“ Jenny hatte inzwischen damit begonnen, ihr Frauchen überall abzulecken, als wollte sie sagen: „Los, aufstehen! Zeit zu spielen.“
Nach wenigen Minuten erwachte Pia mit einem leisen Seufzen. Wo war sie? Verwirrt sah sie sich um. Im Keller? Mühsam setzte sie sich auf. Ihr Kopf schmerzte furchtbar, das Licht tat in den Augen weh. „Was ist passiert?“, stammelte sie. „Wuff!“, freute sich die kleine Malteserhündin und krabbelte auf ihren Schoß.
„Du wurdest ohnmächtig“, bemerkte Kevin. „Ich habe wohl über- trieben.“ Er schaute sie mit einem schiefen Lächeln an. „Das mit deinem Arm tut mir leid. Wir hatten alles weggeräumt, damit du nicht irgendwo anläufst, aber anscheinend haben wir auf das da vergessen.“ Er deutete auf ein zerstörtes Regal am Rande des Raumes. „Du hast dich beim Sturz schlimm aufgeschürft.“
Pia betrachtete für einen Augenblick ihren verletzten Arm. Oh, sie hasste Blut. Angeekelt wandte sie sich ab. Langsam begann sie eins plus eins zusammenzuzählen. „Soll das etwa heißen, dass
ihr beiden mir diesen Streich gespielt habt?“
Lena nickte und biss sich auf die Lippen.
„Es war deine Mutprobe und du hast sie bestanden.“ Kevin klopfte ihr auf die Schulter.
Pia ließ minutenlang alles Revue passieren.
„Ich sollte euch anzeigen“, stammelte sie immer noch leichen- blass und strich ihrem Hund übers seidenweiche Fell.
„Wieso denn?“
„Frag nicht so scheinheilig!“, keuchte Lena. Sie saß neben Pia am Boden. „Du hast ihr mit deiner Idee einen Wahnsinnsschrecken eingejagt.“
„Und du hast bereitwillig mitgemacht“, ätzte Kevin. „Ist ja nichts passiert“, setzte er nachdenklich fort. „Außerdem, wer hat wohl Hausfriedensbruch begangen und ist in ein fremdes Haus ein- gebrochen, hm?“
Pia wandte ihren Blick ab. Farbe stieg ihr ins Gesicht.
„Wie habt ihr mich in den Keller geschleppt?“, fragte sie, während sie sich umsah. Ein mittelgroßer Kellerraum, grob verputzt mit Regalen an den Wänden, einer Werkzeugbank, Spinnweben, einem Steinboden und einer einsamen Glühbirne, die von der niedrigen Decke hing. An sich kein Platz, an dem man sich fürch- ten musste.
Kevin sah kurz zu Lena, diese zischte ein: „Sag es ihr!“
„K.O. Tropfen“, erklärte der junge Mann emotionslos. „Erinnerst du dich? Du hast auf deiner Erkundungstour durch die Geistervilla eine Thermosflasche mit Tee mitgenommen, so wie es deine Art ist. Nur war sie präpariert. Genial, was?“ Wieder grinste er.
„K.O. Tropfen? Seid ihr wahnsinnig?“, keuchte Pia. „Wolltet ihr mich vergiften?“
„Nur eine geringe Dosis, aber die hat dich voll umgehauen.“
Pia schüttelte wütend den Kopf. Das alles durfte nicht wahr sein. „Und das Brummen?“, fragte sie wenig später.
„Welches Brummen?“ Lena sah Pia verständnislos an.
„Jetzt sagt nicht, dass ihr nichts gehört habt!“ Die junge Frau sah überrascht von einem zum anderen.
„Nö, haben wir ehrlich nicht. Wir waren auch nicht ununterbro- chen bei dir. Nach den Tropfen warst du ziemlich lange bewusst- los. Das war langweilig. Irgendwann haben wir Jenny zu dir gelassen und dann hat der Spaß angefangen.“
„Sehr witzig!“, schimpfte Pia. „Ihr habt nichts gehört?“, wieder- holte sie in Gedanken.
„Eine Leitung, ein Rohr, oder weiß Gott was. Das ist ein altes Haus“, versuchte Lena eine Erklärung zu finden.
„Oder ein Geist“, erklärte Kevin und tat so, als wäre er zu Tode erschrocken.
„Lass das!“, keifte Lena.
„Schon gut!“ Kevin kramte in seinem Rucksack, reichte Pia eine Mineralwasserflasche. „Nichts für ungut, mutiges Mädchen. Trink mal was und steh endlich auf, damit wir von hier wegkommen. Wir bringen dich erst mal zu einem Arzt.“
Pia sah ihn schweigend an, nahm das angebotene Wasser, roch daran und trank einige Schlucke.
„Du kannst die Tropfen nicht riechen“, grinste Kevin und zwinkerte ihr zu.
„Halt endlich dein Maul!“, fauchte Pia ihn an und erhob sich äch- zend. Sie hatte Probleme das Gleichgewicht zu halten, wollte jedoch keine Sekunde länger in diesem Haus bleiben. Lena stützte sie, sorgte dafür, dass sie nicht zu Boden stürzte. Als Kevin die Türe öffnen wollte, wandte er sich überrascht an die jungen Frauen. „Sie ist verschlossen“, stammelte er.
„Lass das endlich!“, schrie ihn Lena an und griff nach dem Knauf. Tatsächlich ließ er sich nicht drehen. Die Türe war verriegelt. In diesem Augenblick flackerte der Schein der Glühbirne.
„Was ist das?“, fragte Lena schreckensbleich.
„Weiß nicht“, erwiderte Kevin und rüttelte mit voller Kraft an der Türe. Unvermittelt winselte Jenny herzzerreißend und kratzte an
der Wand, als wollte sie durch sie hindurch. Lena schrie auf, als die Glühbirne ausging und mit der Finsternis eisige Kälte in den Keller kroch. Noch einmal jaulte die winzige Hündin auf, dann wurde es still und ein tiefes Brummen setzte ein.
„Da ist es“, stammelte Pia. Es war das Letzte, was sie in ihrem Leben sagte. Auch für Lena und Kevin waren es die letzten Worte ...
Die drei Freunde wussten nicht, dass sie beobachtet wurden. Beobachtet von einer Gestalt, die seit Ewigkeiten schon in diesem Haus wohnte, ihre Kindheit verbracht hatte und ihren Lebensabend. Selbst in ihrem Tode war sie dem Haus treu ver- bunden geblieben und sie schätzte Eindringlinge nicht ... Das Brummen war nur eine von vielen Möglichkeiten mit den Leben- den Kontakt aufzunehmen ... Aber bald würde es vorbei sein und wieder Ruhe einkehren. Endlich. Stille. Frieden. Tod.
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