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Die Krähe

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17.05.20 14:19
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Das alte Haus oder die Krähe

 

 

Eine Krähe. Ein Bote von Dunkelheit und Gefahr? Oder von Pech? Unsinn! Luzia schüttelt den Kopf. Ihr Rüde knurrt und der Vogel flattert auf. Die Sonne ist bereits untergegangen. Ein Frühlingstag neigt sich dem Ende zu. Ein kühler Wind fegt über die Felder. Luzia schreitet schneller voran. Sie hat sich zuviel Zeit gelassen. Ärgerlich, dass sie erst in der Dunkelheit ihr Haus erreichen wird. Handy hat sie keines mitgenommen. Sie findet es unnötig, wenn sie mit dem Hund spazieren geht. 

Luzia verlässt den Feldweg und biegt in die Siedlung ein. Sie liebt diese Gegend, das Viertel ihrer Kindheit. Zwei Gassen weiter hat ihre Großmutter gewohnt. Ein kleines Häuschen, alte Obstbäume, ein duftender Fliederbusch. Der Kirschbaum mit den wunderbaren leicht säuerlichen Kirschen. 

Luzia spaziert in Gedanken versunken an altbekannten Häusern vorbei. Eines, mit geschnitztem Balkon und Dachreiter, danach ein Haus, das an ein englisches Landhaus erinnert. Versteckt hinter Blumen und Sträuchern. Oh, da ist ihr Lieblingsgarten, voll mit Vergissmeinnicht. Herrlich. Das Tageslicht schwindet schnell.

Ein kalter Wind streift Luzia, als sie ihren Weg fortsetzt. Seltsam. Luzia hält inne, als ihr Hund plötzlich in die andere Richtung zerrt. „Was ist denn mit dir los?“, fragt die Frau verwundert. Ihr Blick fällt auf den zum Teil zerstörten Gartenzaun neben ihr. Das Tor ist angelehnt. Luzia starrt hinein. Schattenhaft strecken Sträucher und Bäume ihre Äste im Schein der Straßenlaterne in die Höhe. Ein paar zerbrochene Pflastersteine deuten einen ehemaligen Pfad zum Haus an. Am Rand steht ein Müllbehälter der Stadt. Wurde wohl nie abgeholt. Luzia geht einige Schritte am Zaun entlang. Ein Schacht zur Hälfte mit morschen Holzbrettern abgedeckt. Drinnen Laub, Zweige. Plötzlich schreit eine Krähe direkt hinter ihr. Luzia erschreckt sich fast zu Tode. Wo ist Rumo, ihr Corgi Rüde? Überrascht betrachtet Luzia das leere Halsband. Er ist einfach hindurchgeschlüpft und davon gelaufen. Ja, das macht er hie und da, ist nicht so ungewöhnlich. Trotzdem kann Luzia das Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken, als sie nach ihm ruft. Kein Hund, der auf sie zu trottet. Nichts. Stille.

Abermals das Krächzen der Krähe. Sie sitzt vor ihr auf einem desolaten Zaunpfahl und sieht sie mit ihren glänzenden Augen an. „Verschwinde!“, schreit Luzia. Doch das Tier bleibt sitzen, kaum eine Armlänge von ihr entfernt. Es bewegt den Kopf in Richtung des verwilderten Gartens. Ein Lichtschein ergießt sich durch das Gestrüpp. Luzia entdeckt, dass er vom Haus her kommt. Seltsam. Da wohnt doch schon lange niemand mehr. Nachdenklich beißt sie sich auf die Lippen. Soll sie nachsehen gehen? Der Garten erscheint im warmen Licht nicht mehr so abweisend. In diesem Augenblick beginnt es zu regnen, nicht nur das: ein Wolkenbruch. Wieso? Aus tatsächlich heiterem Himmel? Luzia ist binnen Sekunden bis auf die Haut nass. Dazu der eiskalte Wind. Die Krähe ist verschwunden. Luzia steht noch immer vor dem Garten am verfallenen Zaun. Weit und breit ist keine Menschenseele, das nächste Haus einen Kilometer entfernt und ihr Heim noch weiter weg. Was tun? Dort im Haus ist jemand und sie könnte sich ein Taxi rufen. Oder? Sicher! Luzia schiebt die Gartentüre ein Stück zu Seite. Ein lautes Quietschen. Na fein, denkt sich die Frau, jetzt hat man sie bestimmt gehört. Luzia atmet durch, wischt sich den Regen vom Gesicht und folgt den Pflastersteinen. Sie kämpft sich durch das Gebüsch, umrundet eine alte hohe Tanne und steht plötzlich vor einem kleinen Einfamilienhaus. Es ist tatsächlich verfallen. Der Putz blättert ab, die Fenster sind zum Teil zersprungen, der Schuppen in sich zusammengefallen. Gerümpel so weit das Auge reicht. Wo ist die Eingangstüre? Ach ja, dort vorne. Luzia schleicht um die Ecke und klopft an die steinalte Holztüre. „Hallo!“, ruft sie zaghaft. Keine Antwort. Die Türe gibt nach und Luzia schaut in den dunklen Vorraum. Ein paar Stiegen führen ins kleine Vorzimmer. Sie kann es im flackernden Lichtschein erkennen, denn das Zimmer oberhalb, vermutlich die Küche, ist hell beleuchtet. Luzia ruft ein lautes „Hallo!“ Immer noch kein Mucks. Vorsichtig geht die Frau die Treppe hoch. Ein muffiger Geruch steigt ihr in die Nase. Feucht, schimmelig. Sie nähert sich dem offenen Zimmer. Langsam mit angehaltenem Atem. Unvermittelt hüpft vor ihren Füssen ein schwarzer Vogel ihr entgegen. Die Krähe! Mit ihr kommt erneut eine eisige Kälte, spürbar. Luzia fröstelt und schlingt die Arme um ihren Körper. Sie lugt in das Zimmer, die Krähe noch immer vor ihren Füssen. Niemand da. Jedoch schimmern hunderte Kerzen verschiedenster Beschaffenheit und Größe. Sie erhellen den Raum in warmen Schein. Kein elektrisches Licht, aber das kann Luzia verstehen. Seit langem ist dieses Haus nicht mehr an das öffentliche Stromnetz angebunden. Es steht ja leer, aber wieso die Kerzen? Wer hat sie entzündet? Und wieso? Luzia steht inmitten der Kerzen und sieht sich um. Sie befindet sich in der Küche. Die altmodische Kredenz, ein verschmutzter Gasherd, schmutzige Wände, eine Küchenbank, ein Holztisch und Sessel, in einer Ecke ein Ofen. Eine Türe führt in das nächste Zimmer. Vielleicht ist ja dort jemand. Vorsichtig bahnt sie sich einen Weg durch das Lichtermeer in Richtung der nächsten Zimmertüre. Sie hält inne. Wieso stahlen die Kerzen keine Wärme ab? Es ist ihr noch immer unnatürlich kalt. Ist sie krank? Nein, nur pitschnass, gibt sie sich die Antwort. Irgendetwas ist hier seltsam. Ihr scheint, als würde die Kälte zunehmen mit jedem Schritt, den sie macht. Vorsichtig legt Luzia ihre Hand auf die Türschnalle und drückt sie nach unten. Verschlossen. Luzia atmet aus. Die Krähe? Wo ist sie? Ach was, sie sollte wirklich nach Hause gehen und nicht in diesem Gemäuer rumspionieren. Sie wendet sich um und – Schreien kann sie nicht, dafür ist der Schreck zu groß. Gänsehaut läuft ihr auf, die Haare stehen ihr scheinbar zu Berge. Da, in der Türe gegenüber von ihr steht eine steinalte Frau mit der Krähe auf der Schulter. Sie sieht im Kerzenschein gespenstisch aus. Ihre Hand ist auf einen Gehstock gestützt. Eine schwarze Katze reibt sich an ihren Beinen. Das Gesicht der Alten ist runzelig, ihre Nase zu groß, ihre Lippen zu schmal. Und die Augen, sie leuchten, wie die von der Krähe.

„Ich habe auf dich gewartet“, sagt die alte Frau laut und deutlich. „Luzia.“

Die Kälte wird unerträglich. Was brabbelt dieses Weib? Woher kennt sie ihren Namen? Luzia ist verwirrt und unsagbare Panik steigt in ihr auf. Sie starrt abermals auf die alte Frau. Ihr Gesicht verändert sich. Es wird jünger und schöner. Nein! Luzias verstorbene Freundin Mathilda? Sie ist damals vor Luzias Augen ertrunken. Sie waren erst fünfzehn Jahre alt. Oh mein Gott. Luzia kann es nicht glauben, als zahlreiche Erinnerungen durch ihren Kopf huschen. Mathildas Großmutter hatte hier gewohnt. Sie ist nie über den Verlust ihrer Enkelin hinweg gekommen und bald nach Mathildas Tod verstorben. Sie ist verbrannt. Brennende Kerzen. Luzia schluckt den Kloß im Hals hinunter. Die Großmutter hatte eine zahme Krähe. Luzia starrt auf den Vogel auf der Schulter des Mädchens. Abermals beginnt eine Metamorphose. Sekunden später steht Mathildas Großmutter vor ihr. Gezeichnet von Traurigkeit und Gram. 

„Luzia“, sagt sie mit gebrochener Stimme. „Wieso hast du keine Hilfe geholt?“

„Ich, ich“, stammelt Luzia leichenblass. 

„Du hast Mathilda ertrinken lassen!“ Die Krähe kreischt unerträglich.

Die alte Frau hebt die Hand und die Kerzen erlöschen ohne Vorwarnung. Finsternis. Irgendetwas streift Luzias Beine. Ein Maunzen. Ein Krächzen. Dazwischen unsagbares Wehklagen, ausgesprochen von der Alten. Sie scheint sich ihr zu nähern. Luzia weicht instinktiv zurück, Kerzen rollen über die morschen Dielenbretter. Es knarrt eine Türe. Luzia möchte schreien, aber ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie ringt nach Luft, spürt die Mauer in ihrem Rücken. Es gibt scheinbar kein Entkommen. Das Fenster! Luzia sieht es im Augenwinkel. Es erscheint als helleres Viereck. 

„Luzia“, säuselt plötzlich Mathildas Stimme aus dem Jenseits in ihrem Ohr. „Warum?“

„Ich hatte Angst, ich war wie gelähmt!“, schreit Luzia panisch durch das Zimmer. 

„Nun, dann ist es so“, keucht Mathilda. Wassertropfen prasseln aus dem Nichts auf Luzia nieder. Vor ihr erscheint Mathilda in fahlem Schein. Sie ist sehr blass, aufgedunsen, mit leerem Blick. Sie schwebt durch das Zimmer, hinterlässt eine Spur von Wasser.

Nein! Jetzt oder nie! Luzia mobilisiert ihre Kräfte, springt nach vorne, bereit, jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Zum Fenster! Irgendetwas packt sie an der Schulter. Luzia schüttelt es ab und hechtet durch das Glas. Es zersplittert. Röchelnd landet die Frau im Moos. Blut schießt aus ihrem Hals. Instinktiv presst sie ihre Hand darauf, aber sie weiß, dass sie sterben wird. Sie hat sich an einer Glasscherbe bei ihrem Sprung aus dem Fenster aufgeschlitzt. Irgendwo schreit die Krähe. Es ist eine sternklare Nacht, keine Spur von einer Wolke. Eine Katze huscht durch den Garten. Noch einmal hört Luzia ihren Namen, dann wird es still und dunkel.

 

Das Feuer wird zu spät entdeckt. Das verfallene Haus brennt bis auf die Grundmauern nieder. Unzählige brennende Kerzen in der Küche haben laut Aussage der Feuerwehr den Brand verursacht. Es wird vermutet, dass ein Obdachloser in dem verfallenen Haus gewohnt hat, jedoch vor dem Brand geflüchtet ist. 

Luzias Leiche wird Tage später von einem Hund im Schacht vor dem Garten entdeckt. Man glaubt, dass die Frau in der Finsternis den Schacht übersehen und sich beim Sturz am alten Zaun eine tiefe Schnittwunde am Hals zugezogen hat. Ein tragischer Unfall. 

Auf dem Zaunpfahl sitzt tagelang eine Krähe. Irgendwann fliegt sie mit lautem Krächzen auf, steigt höher und höher. Lässt sich vom Wind tragen. Er ist kalt, zu kalt für diese Jahreszeit.    

 

 

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Reeney Am 21.05.2020 um 16:43 Uhr
Hallo,

mir gefällt die Idee deiner Geschichte und auch der Spannungsaufbau ist gut. Gerade ab dem Zeitpunkt, als die alte Frau auftaucht, wird es schön dynamisch. Das gefällt mir.

Dennoch war es an manchen Stellen etwas schwer, der Geschichte zu folgen.
Insbesondere in dem einen großen Absatz. Dem würden ein paar Zeilenumbrüche gut tun, oder in mehrere Absätze unterteilt zu werden. Daneben erscheinen mir Luzias Entscheidungen darin etwas zu sprunghaft. Sie möchte das Haus betreten, weil sie sieht, dass jemand drin ist, und sie glaubt, dass sie sich so ein Taxi rufen kann. Bevor sie die Person findet, beschließt sie, zu gehen, weil sie nicht herumspionieren sollte. Das passt nicht zusammen. Man kann sich trotzdem denken, dass es ihr zu unheimlich vorkommt, so dass sie ihren Plan verwirft oder dass sie in der aufkommenden Panik ihre eigentliche Absicht vergisst. In letzterem Fall wäre eine kurze Erklärung des Erzählers allerdings schön gewesen. Das hätte ich als Leser angenehmer empfunden.
Auch bei der Szene mit der Großmutter war ich etwas verwirrt, insbesondere bei '"Du hast Mathilda ertrinken lassen!" Die Krähe kreischt unerträglich' fragte ich mich, ob die Krähe nun sprechen kann. Das wäre in so einer Geschichte ja nicht auszuschließen und gerade dadurch, dass dem zwei Absätze für die Worte je einer Person vorangehen, wirkt es, als würde sich dieser Satz mit der Krähe auch auf den Sprecher beziehen. Dabei finde ich es aber gut, dass du an dieser Stelle jedem einen eigenen Absatz gabst, das macht es übersichtlicher. Das wäre auch für den großen Absatz nicht schlecht gewesen.

Viele Grüße
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Kathi71 (Autor)Am 23.05.2020 um 13:50 Uhr
Danke für dein Feedback. Ich habe nicht darauf geachtet, hab die Geschichte vor langer Zeit geschrieben und tja einfach auf Storyhub gestellt. Du liest wirklich genau und gibst wirklich gutes Feedback. Wenn du mal Testleser sein möchtest, schreibe mir.

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Sätze: 215
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Kurzbeschreibung

Eine Krähe und ein altes Haus werden einer Frau, während eines Spaziergangs scheinbar zum Verhängnis.

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