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Sätze: | 89 | |
Wörter: | 909 | |
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Hast du gewusst, dass ich damals Feuer und Flamme für dich war? Sie lächelte ihn an. Schon etwas angetrunken, ritt sie auf einer Welle unbekümmerter Heiterkeit. Er erwiderte ihren Blick, schmunzelt, breiter als üblich. Sie wusste, dass auch er den Alkohol spürte. Sicher habe ich’s gewusst, sagte er dann. Man spürt doch, wenn eine Schülerin auf einen steht. Sie gluckste leise hinter vorgehaltener Hand. Seine Offenheit irritierte sie nur in den hintersten Kammern ihres Bewusstseins. Und wie war das für dich?, wollte sie wissen. Er neigte sich über den Tisch, stippte seine Zigarette in den Aschenbecher, sah ihr tief in die Augen. Du hast jedenfalls Geschmack bewiesen, gab er zurück und zwinkerte ihr kokett zu. Du! In gespieltem Empören ballte sie die Hand zur Faust. Doch ehe sie sie auf den Tisch niederfahren lassen konnte, ergriff er sie, öffnete sie und berührt sie leicht an der Innenseite. Sie gluckste erneut und zog dabei die Schultern leicht hoch. Sie mochte ihn noch immer so sehr. In der 11. und 12. war er ihr Klassenlehrer gewesen. Frisch von der Uni, hatte er sie in Deutsch und Staatsbürgerkunde unterrichtet. Sie war nicht die Einzige, die in ihn verliebt gewesen war. Aber sie war diejenige, der er die meiste Beachtung geschenkt hatte – und das nicht, weil sie die Beste gewesen wäre. Es waren schon Gerüchte herumgegangen.
Über 30 Jahre war sie nun aus der Schule raus. 89 hatte sie in seiner Klasse gesessen und ihn dafür bewundert, dass er ihnen keine Phrasen eingeblasen, sondern sie zum Selberdenken angeregt hatte. Eine verrückte Zeit damals. Sie nahm seine Hand, lächelte ihn an. Warum nur hatte sie sich nicht viel früher bei ihm gemeldet? Klar, als sie das Abitur hatte, waren neue Dinge auf sie eingestürmt: die Freiheit, endlich überall hin reisen zu können, dann die Wiedervereinigung, das Medizinstudium in Heidelberg und nicht wie geplant in Berlin, so, wie ihr Opa dereinst, dann die kinderlose Ehe mit Lars, die Scheidung, dafür die eigene Praxis … Irgendwann hatte sie kaum noch an die Vergangenheit gedacht. Doch dann, vor einigen Wochen das Klassentreffen. Fast alle waren gekommen. Sie hatten sich wiedergesehen, sich aus ihrem Leben erzählt. Wie geht’s dir? Was machst du? Nur er hatte gefehlt. Tage später – auch angeheizt durch Gespräche mit ihren Klassenkameradinnen: Weißt du noch, der Stefan Schmoll? Der war richtig dufte, findeste nicht? Und gut sah der aus … – da hatte sie sich ein Herz genommen, ihn mit Hilfe des Telefonbuchs ausfindig gemacht, ihn angerufen und etwas in den Hörer gestammelt. Er hatte gelacht: Marie? Marie Wenzel? Das ist ja ein Ding. Wie geht’s Ihnen denn? … Ja, natürlich können wir uns auf einen Kaffee treffen. Ich wäre ja auch zum Klassentreffen gekommen, aber man gab mir nicht Bescheid …
Als sie sich gegenüberstanden, war’s ihr so, als sei sie wieder seine Schülerin, doch er hatte sie gleich bei den Armen genommen und sie mit seinem freundlich-offenen Lächeln begrüßt. Später, der Wein war schon geflossen, hatte er ihr das Du angeboten. Dann auch die Fragen, die man sich nach all der Zeit so stellt: Was hast du nach der Wende gemacht? Bist du an der Schule geblieben? Also hast du dann statt Staatsbürgerkunde Politische Weltkunde unterrichtet. Hier, an unserer Schule? Jetzt ist sie ja ein Gymnasium? Verheiratet? Nein?
Sie war rot geworden – und hatte es zum ersten Mal in ihrem Leben genossen, wohl auch getragen vom Wein. Sie hatte gelächelt, denn ein leichtes Ziepen war in ihr erwacht – eine Erinnerung an all die Träume, die sie damals in der Schule geträumt hatte. Und dennoch verabschiedeten sie sich an jenem Abend mit Handschlag, versicherten sich jedoch, dass sie sich recht schnell einmal wiedersehen wollten. Doch ehe er sich zum Gehen wandte, verharrte er noch einen Moment, den Finger an der Unterlippe, und schien zu überlegen. Wie geht es eigentlich Holger Scheithauer? Der saß doch neben dir. Dieser große, dunkelhaarige Junge. – Ja, ja, Holger. Aber ich weiß nicht, erwiderte sie. – War der nicht da? – Nein. Einer derjenigen, die nicht auffindbar gewesen sind. – Was?, schnappte er. – Warum fragst du?, wollte sie wissen. – Nun, weil … er war damals Feuer und Flamme für den Lehrerberuf gewesen. – Ja, ja, warf sie ein, jetzt, wo du’s sagst. Ich erinnere mich. War etwas anders, speziell ... – Er wollte unbedingt Deutschlehrer werden, fuhr er fort. Daher hatten wir noch einige Zeit lang Kontakt. Dann ging er zur Armee. Ich habe mich oft gefragt, was aus ihm geworden sein mag. Er hatte es ja auch nicht ganz leicht mit einem Alkoholiker als Vater, der die Mutter prügelte. – Ach so?, fragte sie und zog die Brauen hoch, das wusste ich ja gar nicht. – Ja, ja, fuhr er ihr ins Wort. Er hatte sich mir damals anvertraut. Schon während der Schulzeit. Und nun dachte ich, dass ihr mehr wüsstet. – Nein, nein, haspelte sie verwirrt, jedoch zu keiner Frage fähig, da vom Alkohol umnebelt. – Wir haben uns damals recht häufig gesehen, fuhr er fort, nach eurem Abitur. Er hatte sich auch Bücher von mir ausgeliehen. Aber dann war er einfach verschwunden. – Er sah auf den Gehsteig zu seinen Füßen, sagte: Er war ein ganz lieber Junge, zuckte mit den Schultern, hob dann den Kopf, nickte ihr mit zusammengepressten Lippen zu: Na, dann mach’s gut.
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