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Die Autorin

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20.05.20 11:54
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Sie war eine Autorin, Mittelklasse würde man sagen. Verdiente Geld mit ihren Büchern mehr schlecht als recht. Nun, es war ja nur ein Hobby, nichts weiter, oder besser: Ein Ausgleich zu den Kindern. Sie hatte vier davon, dazu noch einen pflegeleichten Mann, ein schmuckes Einfamilienhaus mit Garten und Pool, zwei Hunden, einen alten Kater (Sehr anspruchsvoll), zwei Wellensittichen und bald auch einen kleinen Stall mit drei Wachteln. Sie führte ein beschauliches Leben, normal, alltäglich. 

Nun, in ihren Büchern sah das ganz anders aus. Da lebte sie auf, da verschwand sie in Geschichte, befand sich im Geiste mittendrin. Sie teilte Freude und Leid mit ihren Protagonisten. Wörter, Ideen, Buchstaben durchströmten während des Schreibprozesses ihren Körper. 

Zwischendurch, wenn es die Zeit erlaubte, es musste ja auch das Familien – und Haushaltsmanagement erledigt werden, spazierte sie mit oder ohne Hunde durch die Stadt, den angrenzenden Park, den Wald. Sie brauchte einwenig Einsamkeit, etwas Ruhe um sich wieder zu sammeln und die Ideen in ihre Kopf gedeihen zu lassen. 

Diesmal wanderte sie zu einem Naturdenkmal. Es lag keine halbe Autostunde entfernt und sie liebte es. „Der steinerne Stadl“ – eine Natursteinbrücke auf einer Anhöhe inmitten eines Waldes. Wie sie entstanden war? Keine Ahnung. Auf Anraten ihres Mannes hin, hatte sie sich dazu entschieden, ihn als Schauplatz für einen Mord in ihren zweiten Krimi einzubauen. Ja, ein imposanter Platz. 

Die eisigkalt gerufenen Worte: „Ich bringe dich um“, passten ganz gut, dachte sie bei sich so nebenbei. 

„Das wagst du nicht!“, erwiderte jemand. Stille. „Du gehörst ja ins Irrenhaus!“ Danach ein Todesschrei.

Die Autorin blieb stehen. Sie zitterte am ganzen Leib. Sie hatte fast das Naturdenkmal erreicht, eine Kurve trennte sie noch davon. Genau von dort war das Wortgefecht gekommen. Ihr „Steinerner Stadl“? Ein Tatort? So ein Unsinn. Sie hatte geträumt. Ein Tier hatte geschrien, nicht ein Mensch. Sie entschied sich, ihren Weg fortzusetzen. Der Wald lag ruhig da, die sommerliche Nachmittagssonne leuchtete durch die Baumkronen der alten Föhren hindurch. Die Vögel zwitscherten. Nichts schien ungewöhnlich zu sein. 

Sie erreichte die Natursteinbrücke und atmete tief durch, als sie nichts Verdächtiges bemerkte. Was für ein schöner Platz! Sie wollte soeben hindurch gehen, als von oben ein Stein sie knapp verfehlte. Der Kalkstein war porös und ja, es konnte schon sein, dass oben ein Tier war und sich ein Felsbrocken löste und herabfiel. Die Witterung oder so, versuchte sie, sich zu beruhigen. War sie wirklich alleine hier? Sie ging einige Schritte zurück und sah nach oben. Die Felsbrücke war von hohem Gras überzogen, im Laufe der Zeit hatten sich genügsame Föhren am kargen Steinboden angesiedelt und trotzen dem Wetter. Im Frühling wuchsen an manchen Stellen Kuhschellen. Der Bogen war an die zehn Meter breit und sicher dreißig Meter lang. Ein wahres Kunstwerk der Natur. Lange war sie nicht mehr dort oben gewesen, aber nun wurde in ihrer Nervosität auch Neugierde wach. War wirklich etwas geschehen? Von oben würde sie vielleicht was sehen können? Eine Leiche? Die Frau erschauderte, wandte ihren Blick ab und begann die paar Felsen auf die Steinbrücke hinaufzuklettern. Niemand da? Oder doch? Hinter einem Baum? Die Autorin sah sich um, Panik machte sich in ihr breit. Links und rechts von ihr der Abgrund. Doch trotz ihrer leichten Höhenangst kroch die Frau auf allen Vieren an den Rand des Felsenbogens, um hinunterspähen zu können. Nichts. Dort unten war niemand. Gut. Alles nur geträumt, wenn auch verrückt. Aber es gab noch eine andere Seite. Dort war der Abgrund tiefer und das Gelände unwegsam. Abermals schlich die Frau näher an das Ende des „Steinernen Stadls“ und lugte hinunter. „Was?“, stammelte sie verwirrt. „Das kann doch nicht …“ dort unten war eine Frau, eindeutig. Sie hockte bei einem ausgestreckt liegenden Mann und holte aus ihrem Rucksack ein Seil, einen Helm – eine Kletterausrüstung. Sie hatte Handschuhe an, was die Autorin seltsam fand. Der Mann bewegte sich nicht, lag auch bäuchlings im Gras. Wieso war die Frau dort unten so emotionslos beim Anblick eines scheinbar toten Menschen? Musste sie nicht die Rettung informieren, die Polizei, erste Hilfe – Maßnahmen ergreifen?  Die Autorin beobachtete bebend die unwirkliche Szene. Für sie wurde im nächsten Moment alles klar. Diese Frau dort unten war die eiskalte Mörderin ihres Mannes, Lebensgefährten, Freundes, egal. Sie wollte alles als einen Kletterunfall darstellen. Ja, sie wusste von ihren vielen Spaziergängen hier her, dass dieses Naturdenkmal zum Klettern genutzt wurde. Oh mein Gott! War sie jetzt Zeugin? Polizei! Wo war ihr Handy? Nein, sie hatte ja keines mit, weil sie mal komplett die Zeit für sich wollte, ganz ohne Ablenkung. Gut, dann hieß es hier oben warten, bis die vermeintliche Mörderin gegangen war und dann zum Auto zurück und die Polizei verständigen. Ja, so dumm wir ihre Protagonisten würde sie nicht sein! Sie war hier in der Realität und nicht in einemr ihrer Geschichten! Sie zog sich vom Abgrund zurück, lehnte sich an einem Baum und wartete. Nach langen zwanzig Minuten schaute sie abermals zum Tatort hinunter. Sie beugte sich einwenig weiter vor und glotzte auf den Toten, der direkt unter ihr lag. Eine Blutlache hatte sich um seinen Kopf gebildet. Sie konnte die Verfärbung selbst von hier oben aus knappen fünfzehn Metern sehen. 

Oh nein, dieser Mann war ungefähr von der Stelle, an der sie sich jetzt befand, gestoßen worden. Ziemlich exakt sogar, er lag ja direkt unter ihr. Sie hatte die Spuren verwischt, das Gras geknickt und ihre DNA war jetzt überall zu finden. Oder? Wie in ihren Kriminalfällen. Was sollte sie der Polizei erzählen? Ihre Nervosität stieg an. Wo war die vermeintliche Mörderin? War sie endlich gegangen, geflohen? Die Autorin bemerkte nicht, dass sie seit einigen Minuten beobachtet wurde. Eine Frau hatte sich zu ihr gesellt und rief plötzlich: „Was machen Sie da?“ 

Komplett außer sich vor Entsetzen schnellte die Autorin hoch, stolperte und stürzte von der Brücke in den Tod. Diesen Kriminalfall würde sie nicht mehr schreiben ...

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Kurzbeschreibung

Eine Autorin beobachtet einen Mord und wird selbst Opfer