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Sätze: | 72 | |
Wörter: | 1.121 | |
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Und am Ende kommen die Wölfe
Der Regen fiel vom stahlgrauen Himmel und ließ das hellgraue Fell des Wolfes fast schwarz wirken. Die Augen des Tieres waren gelbbraun, der Blick, der über die Landschaft schweifte, aufmerksam. Er hob den Kopf und schnupperte, doch der Regen verdeckte viele Gerüche. Die Luft wirkte elektrisch aufgeladen, trotz der Nässe prickelte die Umgebung. Ein Gewitter war im Anmarsch.
Unwillig schüttelte sich der Wolf die Regentropfen aus den Augen und schlich mit gesenktem Kopf in die Richtung eines Panzers, der auf der Wiese stand. Sein Rudel folgte ihm, leise und geduckt. Das Rudel war nicht groß. Es bestand aus den beiden Eltern, drei Jährlingen und den beiden Jungen. Die Fähre hatte eigentlich fünf Junge gehabt, doch drei waren bereits tot. Die zwei verbliebenen Welpen huschten hinter ihrer Mutter her, die sie immer wieder mit einem gedämpften Knurren zurückrief, wenn sie sich zu weit entfernten. Doch jetzt war dies nicht mehr nötig. Als sich das Rudel seinen Weg über die Wiese, zwischen den Panzern suchte, blieben die Jungen mit ängstlich eingezogenem Schwanz nah bei ihrer Mutter, immer wieder die riesigen Metallmonster anschauend. Sie waren einschüchternd.
Man konnte Wasser gluckern hören. Quer über die Wiese führte ein Bachlauf, in dem die Wölfe zum ersten Mal seit langem frisches Wasser fanden. Der Bach kam aus unwirtlichem Gebiet, welches nicht von den Menschen vergiftet worden war. Und hier am Anfang der Wiese war das Wasser noch klar. Weiter vorne, fast am Ende stand ein Panzer mit einem Teil der Kette im Wasser und immer noch floss an dieser Stelle Öl in den Bach. Doch hier oben war es noch sicher. Mit einem gedämpften Knurren gab der Rüde den Weg frei und die drei Jährlinge näherten sich dem Bach und tranken, nachdem sie kurz geschnuppert hatten.
Lange war das Rudel gewandert. Immer weiter war es zurückgedrängt worden, von Kriegen der Menschen, von Menschen, die es verfolgten, die es jagten, zunächst aus Abwehr, dann aus Hunger. Die jahrzehntelangen Kriege hatten die Weltbevölkerung stark dezimiert. Und gleichzeitig auch die Erde zerstört. An vielen Orten war die Landwirtschaft zum Erliegen gekommen, da Saatgut zerstört war. Nötige Maschinen fehlten, genauso wie die dafür notwendigen Fachkräfte. Die verbliebenen Menschen hatten um ihr Überleben gekämpft. Doch dann waren die Seuchen gekommen, verbreitet durch verseuchtes Trinkwasser, kontaminierten Fisch, verschmutztes Fleisch. Und hatte auch den Rest dahingerafft. Bis auf den Letzten.
Es war nicht einfach gewesen für die Tiere. Die Welt war vergiftet worden, das Wasser in vielen Bächen zur tödlichen Falle geworden. Auch unser Rudel war nicht verschont worden von den Folgen. Das Junge, welches es nicht geschafft hatte, war verkrüppelt gewesen, hatte eine verdrehte Schnauze gehabt, die es ihm unmöglich gemacht hatte, zu saugen. Und schließlich war es verhungert, nur Tage nach der Geburt. Die anderen beiden waren bereits tot geboren worden.
Doch die Welt würde sich erholen. Die Tiere sich anpassen. Pflanzen und Tiere hatten jetzt schon die Städte in Beschlag genommen, Efeu dicke Hausmauern gesprengt. Eines Tages würden die Giftstoffe von Bakterien zersetzt worden sein. Und dann würde die Welt wieder neu aufleben. Und nichts würde mehr an die Herrschaft der Menschen erinnern. Man erkannte diesen Wandel schon jetzt. Man musste nur genau hinschauen. Vögel, die zurückkehrten an Orte, von denen sie durch die Menschen vertrieben wurden. Wildtiere, die Plätze in Besitz nahmen, die ihnen einst von den Menschen genommen wurden.
Der Rüde schnupperte an einem der Panzer. Das Kanonenrohr hing zu Boden, halb aus der Verankerung gerissen. Flechten bedeckten die unteren Teile, das Metall selbst war fleckig vor Rost. Mit zwei Sätzen sprang der Wolf auf das Dach, beinahe verlor er den Halt auf dem vom Regen rutschigen Metall. Doch schließlich stand er oben und richtete seinen Blick in die Ferne. Dort ragte ein Gebirge auf. Just in dem Moment, als der Wolf den Blick abwandte und in Richtung der beiden Welpen sah, welche am Bachlauf spielte, ehe er den Kopf hob und wieder in die Ferne blickte, zuckte ein Blitz über den fernen Bergen auf. Das Gewitter entlud sich.
Eines der beiden Jungtiere überwand den Bach mit einem Satz und begann neugierig, an dem Soldatenhelm zu schnuppern, der dort lag, vergessen, zurückgelassen. Er stupste ihn interessiert mit der Schnauze an und schob den Kopf darunter.
Sein Bruder jedoch gähnte mit weit geöffnetem Maul, man konnte sehen, dass die bleibenden Zähne gerade erst durchbrachen. Mit staksenden Schritten trottete er zu seiner Mutter, welche unter einem der Panzer Schutz vor dem Regen gesucht hatte.
Zwei der Jährlinge trotteten über die Wiese, jeder ein Kaninchen im Maul. Sie kamen zurück, die Beutetiere, die durch den Lärm der Menschen vertrieben worden waren. Kamen zurück und ermöglichten es den Wölfen, zu überleben. Die Familie labte sich an dem Fleisch, das Junge, das mit dem Helm gespielt hatte, hüpfte zurück, um sich an dem Mahl zu beteiligen. Als ein weiterer Blitz über den Himmel zuckte und der Donner krachte, fuhr er zusammen und schoss unter den Bauch seiner Mutter.
Der erwachsene Rüde leckte sich noch über die Schnauze, als sich das Rudel auf den Weg über die Wiese in Richtung des angrenzenden, lichten Waldes machte. Ruinen von Wachtürmen säumten den Waldrand und Erdwälle erschwerten den Wölfen das Vorankommen. Immer wieder rutschten sie aus. Die Krallen stießen klackernd an zurückgelassene Patronenhülsen, welche halb im Schlamm vergraben waren. Am Waldrand hob einer der Wölfe das Bein und hinterließ seine Markierung am Stamm einer alten Birke. In deren Rinde konnte man immer noch die Furchen erkennen, die fliegende Kugeln hinterlassen hatten.
Unter den Bäumen war das Rudel etwas geschützter vom Regen. Im Gänsemarsch folgten sie einem Trampelpfad, welcher nicht zugewuchert war, offenbar wurde dieser immer noch als Wildwechsel verwendet. Und dies bedeutete Nahrung. Sie wanderten tiefer in den Wald hinein.
Zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände. Verrostet, verrottet, zugewuchert. Verborgen von der Natur. Das Rudel verteilte sich, erforschte die Umgebung. Einer der Wölfe schnupperte an mehreren weißen Knochen, die Überreste eines Brustkorbes, beinahe gänzlich abgenagt. Kopf und Gliedmaßen waren längst von anderen Tieren verschleppt worden.
Dann legte er den Kopf in den Nacken und heulte, ein langgezogener lauter Ton, der von seinen Rudelmitgliedern aufgenommen wurde, kilometerweit zu hören war. Das laute Geheul sprach vom Ankommen, von der Inbesitznahme des Gebietes. Einst ein Schlachtfeld, doch nun von der Natur als Zuhause rückerobert.
Denn am Ende kommen die Wölfe.
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