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Alltagstrott

156
17.02.24 21:13
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Ich glaube diesen Text habe ich verfasst, als ich erst kurz in Rente war. Ich weiß es nicht mehr so genau. Das Original zeigt ein Bearbeitungsdatum aus dem Jahr 2015 an. Da war ich aber schon über zehn Jahre Rentner. Das wird dann sicher auch nur eine Überarbeitung gewesen sein, denn was ich in der Geschichte formuliert habe, kann nur unter dem frischen Eindruck meiner Arbeitswelt entstanden sein.

Das Rentnerdasein lässt viel vom Frust der Arbeitswelt verblassen. Viele Erinnerungen werden im Nachhinein geschönt dargestellt - geradezu verklärt. Fünfundvierzig Jahre Berufstätigkeit sehen verklärt aus, wie die gute alte Zeit. Der Mensch erinnert sich eben lieber an die schönen Dinge, die er im Laufe seines Lebens erlebt hat. Wenn ich nun meinen damaligen Text lese, bringt mich das Lesen ganz schnell in die damalige Wirklichkeit zurück.

Bis auf einige Passagen ist die Geschichte nicht biografisch. Es sind Gefühle, die ich hier beschrieben habe. Gefühle, die wohl jeder kennt, der im Berufsleben steht.

Das Original dieser Geschichte gibt es hier:
erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=alltagstrott.pdf

     Der Tag war lang gewesen. Seine Frau musste zur Frühschicht und so hatte bereits um fünf Uhr der Wecker geklingelt. Wie immer war er mit ihr aufgestanden und hatte die Kaffeemaschine in Gang gesetzt. Der Abschied war ein flüchtiger Kuss, dann stand er allein in der Küche und hatte sich in die Zeitung vertieft. Um Halbsieben hatte er seinen Sohn geweckt, der war wie immer unwillig und er musste noch einmal energisch nach ihm rufen, bevor dieser sich ins Bad bequemte. Um sieben war es für ihn Zeit geworden loszufahren. Ein schier endloser Tag hatte begonnen…

     Abends auf der Rückfahrt war es bereits dunkel. Er hatte seinen Gedanken nachgehangen, während er in einem der zu dieser Tageszeit üblichen Staus stand. Freude auf den Feierabend überwog; er hoffte auf einen gemütlich ausklingenden Abend. Vor ihm lag auf einmal ein freies Stück Autobahn. In einem Anfall wilder Wut drückte er das Gaspedal bis zur Bodenplatte durch. Mit aufheulendem Motor beschleunigte der Wagen. Das Gefühl des schnellen Fahrens ließ seine Wut so schnell vergehen, wie sie gekommen war. Nach einer kurzen Strecke staute sich der Verkehr bereits wieder. Er musste mit aller Macht auf das Bremspedal treten, um rechtzeitig vor dem Ende des Staus zum Stehen zu kommen. Lauthals fluchend versuchte er sein seelisches Gleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Zu Hause angekommen fand er seine Frau beim Putzen, der Sohn hatte es sich vor dem Fernseher bequem gemacht. Er hatte nur kurz gegrüßt und sich frisch gemacht; Ärger über den faul herumhängenden Nachwuchs stieg in ihm auf. Da seine Frau im Schlafzimmer zu tun hatte, beschäftigte er sich mit Waschbecken, Badewanne und Duschkabine. Das Bad auf Hochglanz bringen, war eine Beschäftigung, die er gerne ausführte und bei der er seine Gedanken ordnete. Eigentlich hatte er gehofft, er sei so spät dran, dass ihm der Essensduft in die Nase steigen würde, wenn er zur Tür hereinkäme. Stattdessen roch es nach Putzmittel und seiner Frau klebten strähnig die Haare am Kopf.

     Nachdem das Bad poliert war, fragte er seine Frau, ob er das Essen vorbereiten solle. Bitte schäle die Kartoffeln, wir könnten Bratkartoffeln machen, oder hast du eine andere Idee? Nein, nein, antwortete er und ging zur Küche. Als er am Wohnzimmer vorbeikam, lümmelte sich darin immer noch sein Sohn herum. Er unterdrückte seinen Ärger, sich jetzt noch zusätzlich mit seinem Sohn zu fetzen, war das, was er sich am wenigsten wünschte. Er schälte Kartoffel für Kartoffel mit Hingabe. Mit Akribie stach er aus jeder Kartoffel die Augen aus und als seine Frau ihm in die Küche folgte, hatte er einen ziemlichen Berg Kartoffeln auf der Spüle angehäuft. Die Frau lehnte sich kurz an ihn, stellte sich danach an den Herd und schnitt die Kartoffeln in Scheiben, die sie direkt in die Pfanne fallen ließ. Je weiter der Bratvorgang fortschritt, umso verführerischer war der Duft, der der Pfanne entwich. Der Mann deckte den Tisch, seine Frau sagte, das Essen ist fertig, ruf schon einmal den Jungen. Er wollte seine Frau bitten, selbst den Sohn zu rufen, um weiterem Ärger vorzubeugen, aber das Problem erledigte sich von selbst. Angelockt vom Duft gebratener Kartoffeln, erschien der Sohn in der Küche. Der Mann hatte eine bissige Bemerkung auf den Lippen, die er sich in letzter Sekunde verkniff. Das Essen verlief still. Er versuchte dabei seinem Sohn etwas über seinen Tagesablauf zu entlocken. Der aber war ausgesprochen maulfaul und sein Desinteresse am Gesprächsversuch des Vaters war deutlich an seinem Gesicht abzulesen. Nach dem Essen verdonnerte er den Sprössling zum Abtrocknen, damit die Frau sich zum Frisch machen ins Bad zurückziehen konnte. Auch beim Abwasch widerstand der Sohn all seinen Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen.

     Nach dem Spülen bohrte es in ihm, ihm war, als wäre ihm die Luft zum Atmen gestohlen worden. Verbitterung überkam ihm, warum das alles, für wen? Er und seine Frau waren sich zutiefst zugetan und er meinte alles dafür getan zu haben, seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Warum finde ich keinen Zugang zu diesem Kind? Wir haben das Kind mit Liebe und Leidenschaft gezeugt, wir haben alles getan, um es zu fördern und ihm trotzdem genug Freiräume für eigene Interessen gelassen. Mein Gott, wo haben wir versagt? Voller Groll schnappte er sich den Abfalleimer und ließ seinen Sohn, ohne ihm ein weiteres Wort zu gönnen, mit dem noch abzutrocknen Geschirr allein zurück. Müde und ausgelaugt fühlte er sich. Warum tu ich mir das alles an, dachte er. Jeden Tag die gleiche Mühle, Freizeit Fehlanzeige. Trotz der trüben Gedanken raffte er sich auf, auch um nicht weiter seinem, heute besonders mürrischem Sohn ausgesetzt zu sein. Ich bringe nur noch eben den Müll nach draußen, rief er seiner Frau zu, die er im Bad vermutete. Zieh eine Jacke über, sonst bist du durchnässt, bevor du an den Tonnen ankommst, schallte es aus dem hinteren Teil der Wohnung. Er tat wie geheißen und ging, obwohl es wie aus Kübeln goss, gemächlich in Richtung der Mülltonnen.

     An den Tonnen spürte er es, in der Jacke war alles, was nötig war, um das Ganze hinter sich zu lassen. Sämtliche Papiere und die EC-Karte, sowie seine Kreditkarte steckten in der Innentasche der Jacke. In der Hosentasche konnte er die Autoschlüssel fühlen. Wenn ich zur Bank fahre und mir ein paar Mark aus dem Geldautomaten ziehe und danach einfach losfahre – immer Richtung Süden, dann erreiche ich morgen schon das Meer. Übernachten kann ich im Auto; und wenn der Tag graut, fahre ich weiter, immer weiter, um nie wieder zurückkommen. Er fuhr mit der Hand in die Hosentasche, klimperte mit den Autoschlüsseln, die Idee war verführerisch. Er lehnte sich an die Hauswand, hing weiter dem Gedanken nach, tiefe Niedergeschlagenheit überkam ihn dabei. Dann stieß er sich von der Wand ab, entleerte er mit entschlossenem Griff den Mülleimer in die Tonne, machte sich auf den Rückweg ins Haus. Er spürte wie der Regen von den Haaren in den Kragen tropfte. Ihm kam es vor, als würde ihm alles entgleiten, was er sich jemals erträumt hatte.

     Zurück im Haus zog er sich aus, zog den Bademantel über, ging ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Sein Sohn hatte sich auf dem Teppich ausgestreckt, schaute irgendwelche blöde Werbung bei einem Privatsender und zappte ab und zu mit der Fernbedienung zu einem anderen blöden Programm. Er gönnte seinem Sohn demonstrativ keinen Blick. Das Flackern der Fernsehbilder wirkte ermüdend, im Hintergrund hörte es seine Frau im Bad rumoren. Ihm fielen kurz die Augen zu. Schon fast eingeschlafen spürte es, dass sich seine Frau neben ihn auf die Couch setzte. Er öffnete die Augen, sah auch sie hatte den Bademantel übergezogen und sie hatte dem Sohn die Fernbedienung abgenommen. Auf dem Bildschirm hatte die Tagesschau begonnen, aber statt sich dem Weltgeschehen zu widmen, betrachtete er unauffällig seine Frau. Wie immer war er erstaunt, wie schnell sie ihr Aussehen verändern konnte. Abgespannt, fast ausgemergelt hatte er sie am Abend angetroffen, kein Vergleich zu dem was er jetzt sah. Eigentlich wie immer bemerkte er keinerlei Spuren von Make-up an ihr, sie wirkte einfach nur frisch. Irgendwie war es, als hätte sie Energie getankt. Sie spürte seinen Blick und legte ihre Hand auf seine, ein Wall von Wärme durchströmte seinen Körper er schloss mit einem zufriedenen Seufzer die Augen.

     Etwas von der Energie der Frau übertrug sich auf den Raum. Mit einer kurzen Bemerkung brachte sie ihren Sohn dazu, sich halbwegs gesittet hinzusetzten und nach der Tagesschau griff sie entschlossen zur Fernbedienung und schaltete den Fernsehapparat aus. Der Sohn blickte erstaunt auf und sie machte ihm klar, wenn er auf seinen Vater weiter mit Desinteresse reagiere, könne er auch gleich auf sein Zimmer gehen. Nein, eine abendliche Diskussion lag ihr fern, aber sie fand, ihr Mann hatte es verdient, mit Respekt behandelt zu werden. Der Sohn hatte eine pampige Antwort auf den Lippen, knicke aber unter ihrem strengen Blick ein. Die Frau griff zur Fernbedienung, erklärte ihrem Sohn, sie wolle zusammen mit ihrem Mann einen Film ansehen, ob mit oder ohne Sohn, das wäre ihr scheißegal. Irritiert über die harten Worte seiner Mutter signalisierte der Sohn, er wolle bleiben. Deine Entscheidung, kommentierte die Mutter das. Ihrem Mann entlockte ihr Verhalten ein fast unmerkliches Lächeln. Als der Sohn nach einiger Zeit austreten ging, sagte sie, nach dem Film schicken wir ihn zu Bett. Da morgen Samstag ist, können wir länger schlafen, also nichts hindert uns daran noch ein wenig auf der Couch unseren Gedanken nachzuhängen.

     Der Film war interessant und spannend, nur bekam der Mann nicht viel davon mit. Immerhin reichte es noch nach dem Film zu einer kurzen Diskussion über den Inhalt. Danach bedeutete die Frau ihrem Sohn unmissverständlich, es wäre Zeit zu Bett zu gehen. Unwillig erhob sich der Junge, er verabschiedete sich mit einem Gutenachtkuss von seiner Mutter, seinem Vater klopfte es auf die Schulter und murmelte dabei etwas, was bei genauem Hinhören wie, gute Nacht Papa klang. Als der Sohn verschwunden war, erhob sich die Frau und stellte zwei Weingläser auf den Tisch. Der Mann nickte, ging in die Küche und holte eine angebrochene Flasche Wein aus dem Kühlschrank. Sie trank einen kleinen Schluck Wein, wandte sie an ihren Mann zu, nimm dir das mit dem Jungen nicht so zu Herzen, der kommt schon wieder zu sich, sagte sie dabei. Der Mann zuckte kurz mit den Schultern, auch er griff nach seinem Glas, nahm einen kräftigen Schluck und stellte das Glas ziemlich heftig auf den Tisch zu zurück. Was kommt denn noch im Fernsehen, fragte er. Nichts Vernünftiges, meinte seine Frau. Lassen wir uns einfach berieseln und genießen den Abend, schließlich wir können ausschlafen, er streckte bei dieser Bemerkung die Beine unter dem Tisch aus und ließ sich auf der Couch zurückfallen.

     Im Fernsehen startete ein erotischer Film. Die schwerfällige Handlung mit ihren dümmlichen Dialogen wirkte auf beide einschläfernd. Nach kurzer Zeit legte sich die Frau lang auf die Couch. Ihren Kopf legte sie dabei auf die Beine ihres Mannes und nach kurzer Zeit merkte er an ihrem ruhiger werdenden Atem, dass sie eingeschlafen war. Er hatte jetzt den Eindruck, sie befände sich im Zustand völliger Entspannung. Vorsichtig, um seine Frau nicht zu wecken, griff der Mann nach seinem Glas Wein. Er nahm nur einen kleinen Schluck, behielt das Glas aber weiter in der Hand. Das Getue auf dem Bildschirm ödete ihn an, er stellte sein Glas möglichst vorsichtig auf den Tisch zurück. Die zähflüssige Handlung auf dem Fernseher wirkte jetzt auch auf den Mann zunehmend ermüdend und ohne, dass es ihm bewusst wurde, fielen ihm die Augen zu.

     Als der Mann nach einiger Zeit wieder erwachte, fühlte er sich etwas desorientiert. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen und sich zu orientieren, der Druck des Kopfes seiner schlafenden Frau auf seinen Beinen brachte ihn die Wirklichkeit zurück. Im Fernsehen lief immer noch der gleiche Quatsch und obwohl die beiden Darsteller jetzt zur Sache gekommen waren, fand er, dass denen auch nichts Neues einfiel. Die Bewegungen waren eben immer die Gleichen und um sie schön und interessant zu finden, brauchte es Leidenschaft. Wie sollten diese Stümper auf dem Bildschirm, denn Leidenschaft simulieren? Es sah aus, als hätten sie keine Ahnung von dem, was sie trieben. Vielleicht haben die wirklich keine Ahnung, kam ihm in den Sinn. Er streichelte vorsichtig über die Haare seiner Frau, um sie so sanft wie möglich zu wecken. Nach einiger Zeit schlug die Frau die Augen auf. Komm Schatz, trinken wir unseren Wein aus und gehen zu Bett, sagte er fast flüsternd zu ihr. Sie setzte sich auf und so saßen die Beiden eng beieinander und tranken weiter in kleinen Schlucken an ihrem Wein. Als die Gläser leer waren, fragte die Frau, ob er noch ein Glas Wein möchte. Er schüttelte den Kopf, woraufhin sie mit dem der Fernbedienung den Fernsehapparat ausschaltete.

     Als die Beiden im Bett lagen, umarmten sie sich noch einmal, fast leidenschaftlich. Danach ließen sie sich zurücksinken; der Mann suchte mit seiner Hand nach der Hand seiner Frau, als ihre beiden Hände ineinander lagen, schlief die Frau fast umgehend ein. Der Mann lag noch einige Zeit wach. Er verhielt sich ruhig, damit er den Schlaf seiner Frau nicht störte. Langsam fielen ihm die Augen zu und sein letzter Gedanke war, es ist Wochenende, dann schlief er ein.

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BerndMooseckers Profilbild BerndMoosecker

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Kurzbeschreibung

Ein Mann denkt nach einem stressigen Arbeitstag über den Sinn seines Lebens nach. Er kommt zu keinem Ergebnis, fühlt sich aber geborgen beim Zusammensein mit seiner Liebe.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Familie auch in den Genres Liebe, Alltag und gelistet.

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