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Die Kaiserliche Konkubine

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05.10.23 20:00
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Für die Dragon und ihre Besatzung war das kein Tag wie jeder andere. Das erste Mal war ein Zivilist auf der Brücke! Und die Männer scharten sich um die Frau, anstatt an ihren Kontrollpulten für den Digitalfunk, die Steuerungsdüsen und den Hauptantrieb zu sitzen. Die freudig erregte Stimme des sonst so ruhigen Kapitäns der Dragon konnte man bis auf den Gang hinaus hören, wo der Rest der Mannschaft in der offenen Tür zur Brücke stand und die Hälse reckte, um so viel wie möglich mitzubekommen.

CPO Leuvenhook betrachtete die Szene aus einigen Metern Entfernung mit mühsam zur Schau getragenem Gleichmut. Da er noch eine Sendung in der Feldpost-Verteilerzentrale Luna-Port hatte abholen müssen, war nicht er es gewesen, der die Frau an Bord willkommen geheißen hatte. Er konnte sich nur damit trösten, daß ihm über kurz oder lang jeder Passagier für die Transferdoks Rede und Antwort stehen mußte - denn ein RSN-Kurier war schließlich kein ordinäres Passagierschiff.

"Wie nieeelich!" hörte man den Cheffunker rufen - untermalt von einem hohen Kieksen, das keiner menschlichen Kehle entstammen konnte.

Das Kieksen wurde zu einem Krähen und das Krähen übergangslos zu herzzerreißendem Geschrei. Die Leute an der Brückentür wichen beiseite und ließen MSM Mallah, für den Mutterschaftsurlaub außer Dienst gestellter Zweiter Funker der Dragon, passieren. Sie war etwas runder, als Leuvenhook sie in Erinnerung hatte - und in den Armen trug sie ein kleines, strampelndes Bündel, die Quelle des ohrenbetäubenden Geschreis, das zweifellos das gesamte Hauptdeck der Dragon erfüllte. Wahrscheinlich hatte sie es nur dem Interesse an diesem kleinen Schreihals zu verdanken, daß sie in das Allerheiligste der Dragon vorgelassen worden war.

Ohne ein Wort der Begrüßung, ja ohne auch nur den Blick von dem Kind zu wenden, ging Mallah eiligen Schrittes an Leuvenhook vorbei, den Flur entlang in den 'Postbox'.

Leuvenhook war etwas pikiert, von seiner Kollegin a.D. ignoriert zu werden, aber da ihn seine Pflichten ohnehin in die Funkkabine führten - und Mallah ihn in der Enge der 'Postbox' sicher nicht übersehen konnte - gab es für sie eine weitere Chance, ihn nach dem halben Jahr Abwesenheit von Bord angemessen zu begrüßen.

Mallah hatte in den wenigen Augenblicken Vorsprung bereits die spärliche Ausstattung des Raumes für ihre Zwecke genutzt. Die Schublade unter dem Brett vor dem Lastrefu war herausgezogen, das RTG mit dem Rücken nach oben aufgeschlagen darübergelegt, mit einer gepolsterten Plasticauflage teilweise abgedeckt und nun wurde der Säugling noch auf diesen improvisierten Wickeltisch gelegt.

In dem Moment verstummte das Geschrei so plötzlich, als hätte man es abgestellt. Zuerst reckte sich das Kind, dann bog es den Rücken weit durch, und schließlich half es durch Strampeln, die nassen Windeln loszuwerden. Dabei sah es sich mit weit aufgerissenen Augen um. Nur kurz waren seine Mutter und Leuvenhook von Interesse, denn ein 'ping' des Lastrefu veranlaßte es, den Kopf weit in den Nacken zu legen, um die blinkenden Lichter hinter sich zu sehen.

Als Mallah ihre neugierige Tochter wickelte, erzählte sie von ihrem Mann, der auf einer Ringorsta als Verhüttungs-Ingenieur arbeitete, den letzten Wochen der Schwangerschaft allein auf Terra und den ersten Monaten nach der Geburt, von den Großeltern des Kindes und ihrer Absicht, ihrem Mann nun einen Überraschungsbesuch abzustatten. Dann nahm sie das frisch gewickelte Kind auf einen Arm, rollte die Unterlage zusammen und setzte sie sich auf den Dienststuhl, bevor der verdutzte Leuvenhook protestieren konnte. Die zusammengerollte Unterlage auf dem Oberschenkel, legte sie den Unterarm darauf ab, auf dem das Kind lag, machte mit der anderen Hand ihre Brust frei und begann, das Kind zu stillen.

Leuvenhook dachte zuerst, er sähe nicht richtig, dann zog er zur Ablenkung schnell das Auftragsbuch hervor, um die Entgegennahme der Kaiserlichen Konkubine zu verzeichnen. Der Geruch der Milch erfüllte die ganze Funkkabine.

Während Leuvenhook sorgfältig alle Zellen der Zeile ausfüllte, verdrehte Mallah den Kopf, um auch einen Blick in das Auftragsbuch zu erhaschen. "Lebender Organismus in StaKi?" las sie mit, während Leuvenhook in das neben der improvisierten Wickelfläche aufgeschlagene Auftragsbuch schrieb. "Sind die Dinger nicht wahnsinnig teuer? Wer leistet sich denn sowas?"

"Der Marquis de Saint Julie. Es ist ein Geschenk für einen der Frontgeneräle... Otto von Alten... mark." Leuvenhook mußte für den Namen auf den Begleitpapieren der Kaiserlichen Konkubine spicken. "Deswegen werden wir außerplanmäßig den Raumkreuzer des Generals anfliegen, der irgendwo im Orbit um den Mars sein muß."

Nach einer guten Weile war Mallahs 'Brüstling' - wie sie ihre Tochter nannte - gesättigt und eingeschlafen. Nach Ausfüllen der Transferdoks unterhielten sich Mallah und Leuvenhook darüber, welchen Wandel der heraufziehende Krieg für die Aufgaben eines Verbindungsoffiziers mit sich brachte - und wie teuer reguläre Linienflüge geworden waren. Mallah erzählte, daß es ihr durch ihre guten Kontakte zur Flugplanung der RSN gelungen war, die Mitfahrgelegenheit an Bord der Dragon zu ergattern.

*

Einige Stunden später pfiff es aus der Gegensprechanlage, der Raumkreuzer Gloria Imperatoris sei jetzt in Flextu-Reichweite. Leuvenhook schnappte sich den Quittungsblock und eilte in den Laderaum, um mit der StaKi an Bord des Kreuzers zu gehen. Die Luxus-StaKi hatte natürlich eine Schwebeeinheit, die das problemlose Navigieren durch den Flextu erlaubte. Leuvenhook, der der chromglänzenden Kiste durch die gelbe Plasticröhre folgte, fand, daß das Klebeband mit dem Feldpost-Logo ausgesprochen fehl am Platze wirkte.

Während seines Ganges memorierte Leuvenhook noch einmal den Grußtext, den er auftragsgemäß persönlich vortragen mußte, hoffte aber im Stillen, daß man ihn gar nicht bis zum General vorlassen würde.

Leuvenhooks Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Nach einem Blick auf die Begleitpapiere geleitete man ihn sofort in die Kommandozentrale. Dort saßen der General und seine Stabsoffiziere um einen Geländetisch, schoben Figürchen in imperialen Raumanzügen hin und her und diskutierten darüber, welche Einheit als wievielte Angriffswelle gegen die marsianischen Rebellen zu schicken sei. Leuvenhooks Eintritt wurde zunächst nur durch ein kurzes Aufblicken des Generals quittiert, aber als der Adjutant einige Worte in von Altenmarks Ohr flüsterte, gebot der seinen Offizieren eine Pause, in der sie ihre Pläne noch einmal überdenken sollten und winkte Leuvenhook zu sich.

Leuvenhook gehorchte, ging in Gedanken noch einmal den Text der Grußbotschaft durch, und salutierte dann vor General Otto von Altenmark.

"Seine Exzellenz, der Marquis de Saint Julie, oberster Militärberater und Stratege Seiner Majestät, sendet Euch die herzlichsten Glückwünsche zu Eurem fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläum", deklamierte Leuvenhook feierlich. "Und zugleich sendet er Euch die Kaiserliche Konkubine aus seinem Rosengarten, da Ihr sie bei Eurem letzten Besuch so bewundert habt." Mit der Fernsteuerung lenkte Leuvenhook die StaKi, die er neben der Tür abgestellt hatte, an den Offizieren vorbei und um den rotbesandeten Geländetisch herum, bis sich die gut einen Meter zwanzig hohe Kiste ebenfalls vor dem General befand. Dann senkte er sie ab und löste die Verriegelung des Rollos vor dem Sichtfenster, so daß der in Stasis befindliche Rosenstock mit den gelbweißen Blüten sichtbar wurde.

"Mit den besten Wünschen." Leuvenhook verneigte sich und trat die ihm angemessen scheinenden zwei Schritte zurück.

*

Der General hatte sich über das Geburtstagsgeschenk offenbar tatsächlich gefreut, denn er gewährte Leuvenhook die Gnade eines eigenhändigen Händedruckes und ein nicht unfreundliches "Guter Mann!", bevor er ihn wieder an Bord der Dragon entließ.

* * *

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