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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 236 | |
Wörter: | 2.191 | |
Zeichen: | 12.813 |
Der Rhythmus meines Herzens ging polternd und viel zu schnell. Immer wieder sah ich Bruchstücke vor meinem inneren Auge, was in jener Nacht geschah. Ich wollte schreien, all den Schmerz und Ballast abschütteln. Doch ich blieb still. Lag einfach nur da, ruhig und bewegungslos. Das einzige Geräusch in meinem Krankenzimmer, war das piepsen des Monitors neben mir. Der mir Versicherte, dass ich noch lebte. Tat ich das wirklich, leben? Was hatte ich in meinen neunzehn Jahren erreicht? Ich war eine Musterschülerin, aufmerksam und ehrgeizig. Ich war beliebt bei meinen Lehrern und Mitschülern gleichermaßen. Doch während meine Freunde feierten, blieb ich artig zuhause und lernte. Ich hab rein garnicht's wildes vorzuweisen. Sozusagen hatte ich eine reine Weste, strahlend weiß.
Meinen Führerschein hatte ich bereits mit siebzehn gemacht. Auch hatte ich eine Klasse übersprungen. In jeder freien Minute steckte ich meine Nase in ein Buch. Das war für mich das größte auf der Welt. Wenn ich bei Bewusstsein wäre, würde ich mir heute dafür selbst eine reinhauen. Ich hasste mich dafür, dass ich nie wirklich mein Leben auskostete. Jetzt da ich im Koma lag, sah ich das alles mit anderen Augen. Meine Haut war aschfahl und meine schwarzen langen locken umsäumten glanzlos mein eingefallenes Gesicht. Tiefe schwarze Ringe säumten meine Augen und meine Lippen wiesen etliche Risse auf. Sie waren viel zu trocken. Die Ärzte kamen im Stundentakt zu mir. Kontrollierten meinen Puls und Blutdruck und wiesen die Pflegekräfte darauf hin, meine Lippen zu benetzen. Natürlich taten sie es nicht. Aber warum auch? Ich lag im Koma und niemand wusste ob ich je wieder erwachen würde.
Hin und wieder nahm ich Bruchstücke von Gesprächen auf.
„Das arme Ding, ganz schön hart was sie durchgemacht hat. Für sie wäre es besser wenn sie nicht mehr erwachen würde."
Diese Gespräche machten mich wütend. Innerlich war ich kurz vorm zerplatzen. Doch dies sah niemand. Erstaunlich was man als Koma Patient doch alles mitbekommt. Vielleicht war ich aber auch die Ausnahme. Meine Schmerzen die ich verspürte und dass ich mich selbst sah.
Erneut drohte mein Herz in der Brust zu zerbarsten. Ich spürte wie sich jede Faser meines Körpers verkrampfte, sich zusammenzog. Ich hörte den monotonen Piepton des Monitors neben mir. War jetzt etwa der Moment gekommen, in dem ich starb?
Alles ging auf einmal ganz schnell. Stimmenwirrwarr drang zu mir hinein. Ärzte und Pflegekräfte stolperten in mein Zimmer. Dann spürte ich wie eine kühle Flüssigkeit durch meine Adern gepumpt wurde. Der Schmerz schwoll auf ein mir neues unbekanntes Level an. Unkontrolliertes zucken und schütteln durchzog meinen gesamten Körper.
„Paddels aufladen auf dreihundertsechzig Joules! Alle weg!"
Die Angst überrollte mich. Ich wusste was nun folgen würde. Ein Stromstoß drang in mich hinein, mein Herz zog sich zusammen. Das Kribbeln verteilte sich bis in die Zehen. Ein Feuer, so verheerend brannte vor meinem inneren Auge. Das war neu. Es zeigte unser Haus, dass lichterloh in Flammen stand. Ehe die Bilder wieder verschwanden.
„Noch mal, Paddels aufladen auf dreihundertsechzig Joules! Alle weg!"
Erneut zog sich mein Herz unter dem Schock zusammen. Ich konnte es fühlen, so klar wie schon lange nicht mehr. Das Licht der Lampen über mir, nahm ich plötzlich durch meine flatternden Augenlider deutlich wahr. Panik überkam mich. Irgendetwas hinderte mich am Atmen, ich spürte einen starren Gegenstand in meiner Luftröhre. Meine Hände gehorchten mir wieder. Augenblicklich schlug ich um mich.
„Fixieren Sie ihre Arme, wie es scheint haben wir Sie zurück! Entfernt den Tubus und geben Sie ihr ein Sedativum!"
Meine brennenden Adern wurden innerhalb Sekunden herunter gekühlt. Ich wollte mich weiter wehren, jedoch war mir dies nun nicht mehr möglich. Wie ein Schleier legte sich eine schwere über mich. Die Schmerzen verebbten allmählich, ehe ich in ein tiefes Schwarzes Loch glitt. Ich hörte keine Stimmen mehr, auch meinen Herzschlag vernahm ich nicht mehr. Ich schlief, tief und fest. Dennoch träumte ich von jener Nacht. Die Nacht die mich aus meinem Leben riss.
Ich saß wie immer in der Küche und laß mein Buch, während meine Mutter das Essen zubereitete. Es duftete herrlich nach Curry und Kokosmilch. Mein Vater war dabei, Ben das lesen beizubringen. Während der Woche übte ich mit Ben, am Wochenende jedoch hatte ich frei. Meine Eltern wollten das ich meine Jugend genieße. Ich war voll und ganz in mein Buch vertieft. Plötzlich änderte sich die Stimmung. Mein Traum verformte sich. Ich vernahm einen Schatten, blitzschnell. Dann Flammen. Lodernde riesige Flammen die alles zu verschlingen drohten. Ich hörte spitze, schmerzerfüllte schreie. Gefolgt von einem lauten Knall. Dann herrschte Stille.
Mein Traum begann erneut.
Immer und immer wieder erlebte ich die Szene in der Küche und das Flammenmeer. Ab und an blitzten die Gesichter meiner Familie auf. Meine Mutter, mit ihren wundervollen grünen Augen und dunkel gelockten Haaren. Mein Vater, mit seinen grauen Augen und seinem Bart, der sich mittlerweile grau färbte. Und Ben, mein kleiner Bruder. Dessen grinsen so frech war, dass man sicher sein konnte, er habe etwas angestellt. Was genau war nur geschehen? Und was noch viel wichtiger war, warum war niemand aus meiner Familie bei mir am Krankenbett gewesen? Waren sie ebenfalls verletzt? Mein herz legte noch einen Zahn zu, bei diesem Gedanken.
Wie kam es zu diesem Feuer? War es ein Unfall?
So viele Fragen, die dringend eine Antwort benötigten.
Plötzlich drang eine Stimme zu mir durch, sanft und doch bestimmend. Sie hallte in meinem Kopf nach.
„Miss Jaspis können Sie mich hören? Miss Jaspis?!"
Mein Traum verebbte allmählich und die Lebensgeister kehrten in mich zurück. Schmerz. Jeder noch so kleine Millimeter meines Körpers schmerzte. Langsam versuchte ich meine Augen zu öffnen. Doch das grelle Licht der Neonröhre über mir, blendete mich. Mein Kopf pochte. Mein Herz schlug mehrere Takte schneller, ich japste gierig nach Luft. Was höllisch schmerzte, da mein Hals einer Wüste glich. Das Zimmer um mich herum begann sich zu drehen. Ich hatte den starken Drang mich zu übergeben. Dann öffnete ich meine Augen.
Ich war zurück, zurück im Leben.
Als ich die Augen aufschlug, übermannte mich erneut der Schwindel. Das Licht war viel zu grell für meine Augen. Verschwommen formte sich ein Schemen vor mir. Als ich endlich klar sehen konnte, sah ich dem Jungen Arzt direkt in die Augen. Ich schätze, er war so Mitte vierzig.
Sein freundlicher aber müder Blick, sagte mir dass er eine anstrengende Nacht hinter sich hatte. Behutsam nahm er meine Hand.
„Willkommen zurück, Miss Jaspis. Ich bin Doktor John. Sie befinden sich im Sankt Elisabeth Klinikum. Sie hatten massive innere Blutungen und mehrere Knochenbrüche als sie eingeliefert wurden. Sie lagen Einhundertsechsundfünfzig Tage im Koma."
Ungläubig sah ich ihn an. Lag ich wirklich fünfeinhalb Monate im Koma?
Meine Gedanken überschlugen sich. Es dauerte einen Moment, sie alle wieder zu ordnen.
Ich spürte dass mein Herz schneller zu schlagen begann. Mir fehlten einfach die Worte.
Das Glas Wasser auf meinem Tisch erregte meine Aufmerksamkeit. Was mich dazu verleitete, über meine trockenen Lippen zu lecken.
„Miss Jaspis? Verstehen sie was ich sage?"
Erneut fand mein Blick den seinen. Ich öffnete meinen Mund, doch mehr als ein ächzen brachte ich nicht hervor. Ich hatte Durst, schrecklich Durst. Zittrig griff ich nach dem Glas Wasser. Es war unglaublich schwer, oder ich einfach noch zu schwach. Ich musste meine zweite Hand dazu nehmen. Da das Wasser sonst überall, aber nicht in meinem Mund gelandet wäre. Vorsichtig nahm ich einen kleinen Schluck. Unglaublich wie gut Wasser schmecken konnte. Es dauerte eine Weile bis ich es schlucken konnte. Mein Hals schmerzte sehr. Ich nahm einen weiteren Schluck und stellte das Wasser wieder zurück auf den Tisch.
Erneut startete ich einen Versuch zu sprechen.
Die Stimme die aus meinem Mund zu kommen schien, hörte sich überhaupt nicht nach mir an.
„Können sie mir sagen was genau geschehen ist? Befinden sich meine Eltern und mein Bruder ebenfalls hier im Klinikum?"
Doktor John sah erleichtert und gleichzeitig benommen aus. Seine Reaktion machte mich nervös. Ein ungutes Gefühl verbreitete sich rasend schnell. Ich war in höchster Alarmbereitschaft. Erneut griff er nach meiner Hand.
„Miss Jaspis, es gab einen schrecklichen Unfall. Erinnern sie sich denn an nicht's?"
Seine Gegenfragen begannen mich tierisch zu nerven. Was ist an „können Sie mir sagen was geschehen ist" nicht zu verstehen? Wenn ich es noch genau wüsste, würde ich ja nicht fragen. Der Schwindel nahm mich wieder in seinen Bann. Kurz schloss ich meine Augen, ehe ich ihm antwortete.
„Ich erinnere mich an das Curry, was meine Mum zubereitete. Dann ein Feuer. Mehr weiß ich leider nicht. Ich würde jetzt gerne zu meinen Eltern und meinem Bruder."
Kaum merklich nickte Doktor John und senkte seinen Blick. Eine Pflegerin kam rein und checkte meinen Blutdruck. Als sie das Zimmer wieder verlassen hatte, brach Doktor John das Schweigen.
„Miss Jaspis, sie müssen zuerst verstehen, dass es ein sehr schwerer Unfall war. Ihr Bruder ist stark, er liegt ebenfalls im Koma auf der Kinder Intensivstation. Er kämpft um sein Leben. Wir versuchen alles was in unserer Macht steht um sein Leben zu retten."
Der Schock saß tief. Ich wollte mir nicht vorstellen wie mein kleiner Bruder um sein Leben kämpfte. Adrenalin pumpte durch meinen Körper. Das war auch bestimmt der Grund, warum meine Eltern noch nicht bei mir waren. Ich konnte das verstehen, Ben war erst sieben Jahre alt.
„Kann ich zu ihm? Sind meine Eltern bei ihm?"
Quälend lange suchte er nach den richtigen Worten. Ich ahnte bereits, das dass was jetzt kommen würde, mein Leben komplett veränderte.
„Mia, hören sie. Als die Rettungskräfte bei Ihnen zuhause eintrafen, hatten die Flammen das Haus schon völlig zerstört. Sie und ihr Bruder wurden durch die Druckwelle der Explosion heraus geschleudert. Für ihre Eltern allerdings, kam jede Rettung zu spät. Es tut mir sehr leid ihnen das mitteilen zu müssen."
Ich konnte und wollte das nicht glauben. Das war bestimmt nur ein böser Traum, oder lag ich noch immer im Koma? Ich spürte wie mich eine Kälte durchzog. Tränen bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche. Ich begann panisch nach Luft zu schnappen. Ich war ja kaum fähig, mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Wie sollte ich da meinen kleinen Bruder betreuen? Doktor John unterbrach meine Gedanken.
„Mia, ich weiß das ist im Moment alles sehr viel für sie. Bevor sie sich Gedanken darüber machen wie es weiter geht, sollten sie zuerst vollends genesen. Wenn Sie möchten, bringe ich sie nun zu ihrem Bruder."
Unter Tränen nickte ich ihm schwach zu. Meine Trauer saß tief. Ich fühlte mich schuldig. Meine Eltern waren tot. Ich konnte mich weder von ihnen verabschieden, noch ihrer Beerdigung beiwohnen. Ein Pfleger kam hinein und half mir in den Rollstuhl. Zum gehen war ich noch viel zu schwach. Erst jetzt bemerkte ich die vielen Narben, die meine Beine und Arme zierten. Was mir aber in dem Moment völlig egal war. Doktor John fuhr mich durch etliche Gänge bis hin zum Fahrstuhl.
„Mia wenn sie fragen haben, ich stehe Ihnen jeder Zeit zur Verfügung. Sie sind nicht allein, ich werde Ihnen helfen."
Dankend nickte ich ihm zu. Als wir auf der Kinder Intensivstation ankamen, beschleunigte sich mein Herzschlag. Der Flur war mit bunten Bilder bemalt worden. Zeichnungen von Kinder hingen an den Wänden. Solche, die auch Ben hätte malen können. Mum hatte etliche in einer Mappe abgeheftet. Erneut kamen mir die Tränen. Ich versuchte sie runterzuschlucken. Vor der Tür mit der Nummer dreizehn blieben wir stehen.
„Bitte erschrecken sie sich nicht, die Monitore dienen zur Überwachung seiner Lebenszeichen. Sie können ruhig mit ihm reden, ich bin mir sicher das Koma Patienten stimmen wahr nehmen. Erst recht wenn es stimmen aus der Familie sind. Bereit?"
Natürlich war er an etliche Geräte angeschlossen, das wusste ich. Trotz allem verspürte ich wahnsinnige Angst. Ich atmete einmal tief ein.
„Okay, ich werde es versuchen."
Dann schob Doktor John mich in Ben's Zimmer. Augenblicklich schluckte ich schwer.
Ben lag auf seinem Bett. Etliche Kabel führten zu den drei Monitoren. Sie hatten ihn an die Herz- Lungenmaschine angeschlossen. Seine Haut war aschfahl und mit mehreren Brandwunden überzogen. Sie hatten ihm den Kopf rasiert, dort war ein riesiges Pflaster zu sehen. Tränen liefen meine Wangen entlang.
Ich musste meinen Blick abwenden. Doktor John fuhr mich näher an sein Bett, während er sanft meine Schulter drücke.
„Ich werde euch jetzt alleine lassen. Wenn du zurück auf dein Zimmer willst drücke einfach die Klingel."
Ohne ein weiteres Wort verschwand er aus dem Zimmer und ließ mich mit meiner zerbrochenen Welt alleine.
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