Storys > Geschichten > Mystery > Die Tankstelle

Die Tankstelle

175
13.05.22 12:01
16 Ab 16 Jahren
Fertiggestellt

Derek stellte den Mopp zurück in den eisernen Schrank. Das Neonlicht mit dem Schriftzug „Good Vibes“ flackerte über seinem kahlen Haupt und wieder einmal nahm er sich vor, es beizeiten abzunehmen. Zuerst musste er die unzähligen abgelaufenen Chipspackungen einsortieren, die wild verstreut zwischen den Regalen seiner kleinen Geschäftsfläche vor sich hin staubten. Die kaufte eigentlich sowieso niemand, aber wenn sie nicht wenigstens dekorativ herumlagen, dann sähe es doch danach aus, als hätte seine Tankstelle geschlossen.

Derek musste schmunzeln.

Als ob hier jemals Kundschaft vorbeikäme, die nicht genau wusste, dass er hier war. Als das letzte Stück wieder an seinem Platz war, wischte er sich den Schweiß von der fleckigen Stirn und kraulte durch seine weißen Bartstoppeln. Er machte den Job schon zu lange, war alt geworden. Wenn er genau überlegte, war er nur wegen Frank noch hier.

Ein lautes Bremsgeräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Das musste Paul mit seiner Lieferung für die Forschungseinrichtung sein. Ein letztes Mal sah er sich im Laden um, aber es sah alles ganz normal aus. Paul würde vom Vorfall nichts bemerken.

Also trat Derek durch die automatische Tür, die sich wie immer eine Spur zu spät öffnete, hinaus in die Kälte. Es war Mitte Januar, trotzdem lag kein Schnee trotz der Höhenlage. Er hätte am liebsten gleich umgedreht, um sich eine Jacke zu holen, aber der fette Paul kam ihm bereits in Riesenschritten entgegen. Er hatte seinen gepanzerten Pitbull Truck schief eingeparkt, ein Indiz dafür, dass er nicht vorhatte zu tanken.

Arsch, dachte Derek.

Er wusste genau, dass hier nie jemand vorbeikam, der nicht mit der Forschungseinrichtung zu tun hatte, also könnte er doch sein Spritmonster hier tanken statt auf der Hauptstraße. Früher hatte er die einzige Tankstelle im Umkreis gehabt, da war es egal gewesen, dass sie an einer kaum befahrenen Waldstraße lag, die nirgends hinführte außer auf den Berg hinauf, wo sich die Einrichtung befand. Es fuhr zwar nie jemand zufällig hier entlang, aber die Leute waren eben aus Mangel an Alternativen kurz von der Autobahn abgefahren. Doch seit er Konkurrenz hatte, waren die guten Zeiten unwiederbringlich vorbei.

„Paul, du alter Fettbeutel! Kaffee wie immer?“, fragte er mit aller Freundlichkeit, die er heucheln konnte.

„Immer doch“, grunzte Paul zurück. Er trug seinen Arbeitsoverall und duschte nicht besonders oft. Normalerweise freute sich Derek trotzdem über seine regelmäßigen Besuche, aber heute nicht.

Während er sich also an der alten Kaffeemaschine zu schaffen machte, tat Paul wie immer so, als würde er sich dafür interessieren, eines der Magazine zu kaufen, die seit zehn Jahren schon dort lagen.

„Wie läuft das Geschäft?“, fragte Paul, weil er ein Vollidiot war.

„Das weißt du doch“, antwortete Derek. Wie schaffte er es nur, so ruhig und freundlich zu bleiben? Er war beinahe stolz auf sich. Plötzlich sah er, wie sich Paul auf die Klappe zubewegte, die in seinen Keller führte. Der Schock fuhr wie ein Blitz durch Derek und ließ ihn mit einem Satz vor den dicken Kerl springen.

„Nicht da runter! Dort habe ich, ähm, Gift gesprüht. Du weißt schon, Schimmel macht mir zu schaffen.“

„Mist, ich wollte mir etwas Zucker holen. Hab gesehen, dass du keinen mehr hier oben hast “, meinte Paul enttäuscht, doch zum Glück ließ er es auf sich bewenden. Derek brachte ihm seinen Kaffee und bemerkte, dass seine Dose mit Zuckerwürfeln tatsächlich leer war.

„Bist du nervös?“, fragte Paul plötzlich.

„Nein, wieso?“

„Deine Hand zittert so. Du verschüttest meinen Kaffee“.

„Ach, verzeih. Das Alter...“

Mist, dachte Derek. Er musste sich zusammenreißen.

„Und du lieferst wieder Ersatzteile für die Maschinen?“, versuchte er das Thema zu wechseln.

„Jawohl. Die haben ganz schönen Verschleiß dort oben. Muss heute vor Feierabend noch einmal da hoch. Besser für mich, so hab ich Arbeit. Was denkst du, was die erforschen?“. Paul nahm zwischen den Sätzen große Schlucke, ein Zeichen, dass er lieber schnell weiterfahren wollte, was dem Tankwart heute nur Recht sein konnte. Seine letzte Frage war noch so eine, die er jedes Mal stellte, schon aus Gewohnheit, und Derek gab auch immer dieselbe Antwort.

„Woran man eben forscht. Wissenschaftler und ihre geheimen Labore, was?“

„Ich muss jetzt wirklich weiter, Derek. Schönen Abend noch“.

„Gute Fahrt“, wünschte er, dann war der ungepflegte Fahrer auch schon mit seinem Mördergerät von Truck wieder auf der Straße.

Derek seufzte und setzte sich hinter seinen Tresen. Jetzt noch Frank anrufen, dann war im wahrsten Sinne des Wortes Feierabend.

Er ließ klingeln, das Mobiltelefon am Ohr, aber es nahm niemand ab.

„Verdammt, Frank, wieso gehst du nicht an dein Scheiß Telefon!“

Derek fluchte weiter, bis ihm die Lust verging. Solange er Frank nicht erreichte, waren ihm jedenfalls die Hände gebunden. Kein Feierabend!

 

„So ein Dreck“, schimpfte Derek und legte zum vierten Mal das Telefon weg. Auf seinem unbequemen Drehstuhl hin und her wippend starrte er die schmutzige Decke des Tankstellenladens an. Jetzt war Frank nicht erreichbar. Ausgerechnet heute! Konnte er nicht einmal Glück haben? Es war schon eine Stunde vergangen, seit Paul weg war, und er saß hier immer noch herum. Er wollte es gerade aus Trotz wieder versuchen, als er plötzlich etwas aus dem Augenwinkel sah.

Blitzschnell griff er seine Pistole aus der Lade und zielte auf die Tür.

Hinter den gläsernen Flügeln, die sich wie immer einen Moment zu spät öffneten, stand eine riesenhafte dunkle Silhouette.

„Wenn du gedacht hast, du kannst hier etwas klauen, muss ich dich enttäuschen. Die Kasse ist leer“, rief Derek. Die Gestalt hob die Hände und trat ein. Es war ein Mann in einem weißen Overall, ein richtiger Riese, um einen Kopf größer als der Tankwart und muskulös. Sein Haupt war kahlgeschoren und sein Gesicht eine ausdruckslose Maske, die harten, kantigen Züge fast regungslos. Auf seiner Kleidung waren Blutflecken.

„Bitte, nehmen Sie die Waffe herunter. Ich will Ihnen nichts Böses“, sagte der Mann überraschend ruhig.

„Wie siehst du denn aus? Und wo kommst du auf einmal her?“, fragte Derek, obwohl er es sich bereits denken konnte.

„Ich bin geflohen. Aus dem Labor. Sie machen dort entsetzliche Experimente. Sie experimentieren an Menschen.“

Wie konnte er das so ruhig aussprechen, wenn er behauptete, gerade aus so einer Hölle entkommen zu sein?

„Blödsinn!“, rief Derek aus, obwohl er ihm jedes Wort glaubte. Er selbst hatte nur eine vage Ahnung, was sie dort oben machten. Es gab nichts, was er Forschern in einer abgelegenen Einrichtung nicht zutraute.

„Woher soll ich sonst kommen, barfuß und kaum bekleidet, mitten in dieser Wildnis? Sie haben hier die Tankstelle, Sie müssen doch schon an das Labor gedacht haben, seit ich hereingekommen bin.“

Derek schwieg darauf eine Weile. Das war tatsächlich eine äußerst beunruhigende Entwicklung, mit der er es hier zu tun bekam. Der Mann hatte begonnen, durch den Laden zu streifen, nachdem der Tankwart seine Waffe gesenkt hatte. Stattdessen griff er zum Telefon.

„Wenn das stimmt, was du sagst, und ich entscheide jetzt mal, dir zu glauben, dann sollte ich sofort die Polizei rufen“, schlug er vor. Tausend Dinge schossen ihm durch den Kopf. Der Entflohene suchte die Regale ab, sah auf den Boden, an die Decke. Es schien, als suche er nach etwas. Derek begann zunehmend nervös zu werden. Polizei war das Letzte, was er gebrauchen konnte, aber wie könnte er dem Mann das in dieser Situation abschlagen? Nein, er sollte so tun, als wäre alles ganz alltäglich. Er musste wie ein gewöhnlicher Tankwart reagieren, der gesagt bekam, dass sein Kunde gerade aus einem Labor ausgebrochen war. Obgleich, normal war daran gar nichts.

„Keine Polizei. Bitte. Ich sehe mich nur etwas um, dann gehe ich wieder“.

Derek schnaubte, kam aber hinter der Theke hervor, um den Mann besser im Auge behalten zu können.

„Nun, wenn du nur wegen ein paar Chipspackungen hier hereinspaziert bist, das ist geschenkt. Nehme nicht an, dass du was bezahlen kannst? Ehrlich gesagt habe mich schon gefragt, was du willst, wenn ich nicht die Polizei rufen soll, was übrigens sehr unvernünftig von dir ist. Ich meine, da oben sind doch sicher noch mehr Menschen eingesperrt, oder? Und was willst du jetzt überhaupt machen?“

Derek kam näher an den Mann heran, um zu sehen, was er sich genau ansah.

Er hatte sich gebückt und wischte mit dem Finger etwas vom Boden auf.

Verdammt, dachte Derek. Nicht gründlich genug. So ein Mist.

Blitzschnell, so dass Derek gar nicht merkte, wie ihm geschah, hatte ihn der Mann gepackt und mit Wucht gegen das Kühlregal gedrückt, dass er die Scheibe springen hören konnte. Er hielt ihm den Finger vor sein Gesicht, auf dem verschmiertes Blut zu sehen war.

„Ich wusste doch, dass sie hier war! Du schmieriger Tankwart hast jetzt zehn Sekunden Zeit mir zu sagen was passiert ist, sonst breche ich dir das Genick!“

Derek rang um Luft.

Da war etwas in den Augen dieses Mannes, irgendetwas. Als würde er in einen Ozean starren. Das war keine Iris, sondern eine Spiegelung auf der Oberfläche eines endlos tiefen Gewässers. Halluzinierte er?

„Ich habe ihr geholfen... geholfen...“, japste Derek, bevor ihm die Luft endgültig ausging. Es hatte keinen Sinn, auf stur zu schalten, er war viel schwächer als der Riese.

Der Mann ließ ihn wieder los. Dieses etwas in seinen Augen, unvertrautes Schimmern, falls er sich das nicht eingebildet hatte, war jedenfalls verschwunden. Die Erleichterung, als seine Füße den Boden berührten, war immens. Für einen Moment hatte er geglaubt, es wäre alles vorbei. Der Hüne stützte sich an der gesprungenen Scheibe ab, schien schrecklich erschöpft und schämte sich offenkundig für seinen Ausbruch.

„Verzeiht. Sie bedeutet mir so viel. Wir sind zusammen ausgebrochen, doch ich habe sie verloren. Ich muss sie wiederfinden“, sagte er.

Derek bekam langsam wieder Luft.

„Sie hat dich aber nicht erwähnt. Kam hier hereingeplatzt, vor etwa drei Stunden. Sagte auch was von Experimenten und wollte auch keine Polizei. Sie wollte fliehen, wollte meine Hilfe. Woher weiß ich, dass sie sich nicht auch vor dir verstecken will?“

Der Mann sah ihn durchdringend an. Schon wieder dieses kurze Aufflimmern in seinen Augen, dass Derek zuvor aufgefallen war.

„Ihr Name ist Dalia. Ich... ich liebe sie. Ihre Augen sind grün, sie hat blondes Haar. Also, jetzt ist es geschoren wie meines, aber normalerweise, da hat sie blondes Haar. Sie ist etwas größer als Ihr. Hat sie nicht gesagt, sie will auf jemanden warten? Hat sie nichts gesagt?“

Die Stimme des riesenhaften Mannes wurde immer brüchiger, als er die Hoffnung verlor, verzweifelter. Es war fast mitleiderregend. Derek beschloss, es ihm zu verraten.

„Ist schon gut, ich glaube dir. Ich hab ihr ja auch geglaubt. Sie ist hier, weißt du. Deswegen musste ich sichergehen. Weil ich sie verstecke“, gab er zu.

Der Mann sprang vor Freude fast in die Luft. Derek hatte nie eine solche Erleichterung in seinem Leben gesehen.

„Sie ist hier? Wo ist sie? Wo?“

„Ich hab sie im Keller untergebracht. Die Klappe wo die Treppe hinuntergeht ist direkt hinter dem Tresen“.

Der Mann ließ sich nicht lange bitten, hechtete sofort hinüber.

Derek folgte ihm nach, hörte das Scheppern, als die Öffnung aufgerissen wurde.

„Der Lichtschalter ist direkt über der Klappe“, sagte er, doch der Kerl hatte ihn bereits gefunden und war hinuntergestiegen.

Derek kam hinterher, nahm behutsam eine Treppenstufe nach der anderen. In seinem Alter musste man aufpassen. Sie war natürlich tatsächlich dort unten, die Verletzung an ihrem Fuß, mit der sie den ganzen Boden oben versaut hatte, war noch unversorgt. Die Frau war mit zwei Gurten an eine Pritsche gefesselt und durch Dereks herausragende Knebel konnte sie auch nicht schreien.

„Dalia? Was ist den hier los? Ich verstehe das nicht !?“, rief der Mann.

Bevor sich das arme Versuchskaninchen umdrehen konnte, hatte ihm Derek schon zweimal in den Rücken geschossen. Der massige Körper kippte vornüber und blieb liegen, der Overall saugte sich schnell mit Blut voll.

„Der ist so schwer, den kriege ich alleine niemals wieder nach oben“, beschwerte sich Derek. Als er ganz unten angekommen war, feuerte er noch einen Schuss in den Hinterkopf ab. Die Schweinerei war entsetzlich.

„Ich gehe immer auf Nummer sicher, weißt du? Das ist einer der Gründe, wieso Frank mir vertraut“, sagte er zu Dalia.

„Nur zu, schrei ruhig. Ich habe diese Tankstelle nun schon so lange. Es kommt nie jemand vorbei, der die Schreie von hier unten hört. Aber du kannst es gerne versuchen“.

Mit einem Ruck zog er den Knebel heraus, sodass er das Schluchzen hören konnte. Das arme Ding weinte Sturzbäche. Sie konnte die Augen nicht von der Leiche des Mannes losreißen.

„Wieso?! Wieso tut ihr so etwas?“

Derek seufzte.

„Ich würde ja gerne sagen, er musste sterben, weil ich deine Sauerei oben nicht gründlich genug beseitigt habe. Dann würdest du dich nämlich schuldig fühlen und das wäre wirklich eine Wonne für mich. Aber Tatsache ist, das Einzige was meine erbärmliche Tankstelle vor dem Ruin bewahrt, ist Franks Geld. Er bezahlt dafür, dass ich entlaufene Kaninchen aus dem Verkehr ziehe. Immer wieder kommt ihm eines aus. Sie kommen alle hier vorbei, weißt du, und wollen die Polizei rufen. Ist ja auch die einzige Anlaufstelle weit und breit. Ich rufe Frank an, das ist unsere Abmachung, und dann töte ich die Kaninchen“.

Er streichelte ihr über das Gesicht, was sie angewidert zucken ließ.

„Dann liebt ihr euch also wirklich. Was für eine romantische Geschichte, euer gemeinsamer Ausbruch! Leider geht sie nicht gut aus. Weißt du, ich mache das nicht nur für das Geld“.

Breit grinsend holte Derek sein Telefon hervor und gab ein letztes Mal Franks Nummer ein.

„Wenn er nämlich weiß, dass ich euch habe und er die Verfolgung abbrechen kann, dann gibt Frank Ruhe. Ich sage ihm nicht, wie ich euch töte, welche von euch ich eine Zeit lang behalte, und wie viel Spaß wir zusammen haben“, frohlockte er.

Das Telefon klingelte.

Plötzlich hörte Dalia auf zu weinen.

Das Telefon läutete immer noch.

Derek wurde langsam wütend.

„Geh endlich an dein Telefon, Frank!“, rief er aus.

„Frank wird nicht an sein Telefon gehen.“

Derek erstarrte zu Eis. Das war nicht Dalias Stimme gewesen, sondern etwas anderes. Er konnte den Atem hinter sich spüren.

„Dafür müsste Franks Hand erst einmal seinen Körper finden, wo er das Telefon immer in der rechten Brusttasche trägt, und dann könnten sie sich zusammen auf die Suche nach Franks Kopf machen. Ich glaube nicht, dass das passiert“.

Langsam, von reinem Schrecken gepackt, drehte Derek sich um. Vor ihm stand der Mann, seine Kleidung zerrissen von den Einschüssen und blutgetränkt, aber die Wunden waren allesamt verheilt. Sogar vom Kopfschuss war nichts mehr zu sehen.

Derek wollte nach seiner Waffe auf dem Tisch greifen, er konnte sich nicht rühren. Der Mann stand vor ihm, unversehrt, doch da war noch etwas, diese Augen.

Bevor er auch nur ein Japsen herausbekam, hatte der Riese ihn gepackt und drückte ihn gegen die Wand. Und jetzt endlich sah er es. Das waren keine Augen.

In diesen Augenhöhlen schimmerte die Leere des Kosmos, die Unendlichkeit jenseits des Randes, über den nicht eine Galaxie gewandert ist. In diesem Blick, der keiner war, leuchteten Farben die in dieser Welt keinen Namen hatten, und formten Gedanken, die kein Wesen überhaupt aufnehmen könnte, dass in eine Realität von physischen Gesetzen und Kategorien wie „möglich“ und „unmöglich“ geboren worden war. Nur eines ließ sich verstehen, mehr intuitiv als logisch, nämlich das dort etwas lebte, dass es dort Lebewesen gab. Und sie starrten ihn an, tausende von Augen durch nur diese zwei Höhlen in einem menschlichen Schädel. Und alles, was sie wirklich voneinander trennte, war ein schmaler Film, dünn und durchsichtig und bloß von einer brüchigen Spannung gehalten, wie eine Wasseroberfläche.

„Frank, was hast du nur getan?“, wisperte er, gelähmt von Entsetzen.

„Frank hatte Erfolg, vielleicht mehr als ihm lieb war, oder auch nicht. Aber du stirbst als die erfolglose Ratte die du immer schon warst“, sagte der Riese, aber war das überhaupt er, der sprach?

Derek wurde all seiner Gedanken beraubt, als nicht aushaltende Schmerzen ihn übermannten. Der hünenhafte Mann hatte ihm mit einem wuchtigen Kniestoß ein Bein gebrochen, und bevor sein Schrei verstummt war, brach er ihm auch das zweite und ließ den schmerzgelähmten Tankwart auf den Boden fallen. Derek wimmerte und schrie, die Pein brachte ihn fast an den Rand der Ohnmacht, doch er blieb bei Bewusstsein und sah, wie der Mann zu taumeln begann, als hätte er selbst einen Schlag erhalten. Und dann waren da wieder andere Augen, Menschenaugen.

„Dalia? Dalia, o mein Gott, geht es dir gut?“

Eilig machte sich der Ausbrecher daran seine Geliebte von den Gurten zu befreien.

„Dein Bein! Du bist verletzt“.

„Es wird schon gehen. Wenn du mich stützt. Himmel, Tom, ich hatte gedacht es ist alles aus“.

Sie schlossen sich innig in die Arme, was Derek sogar durch seine betäubenden Schmerzen hindurch ein heiseres Lachen entlockte. Als Dalia bemerkte, dass er noch da war, schien sie ein wilder Hass zu überfallen. Sie griff sich den Revolver und zielte auf sein Gesicht.

„Wer hat jetzt Spaß, du ekelhaftes Schwein!“

„Nur zu, erschieß mich. Flieh mit ihm, flieht wohin ihr wollt. Armes Mädchen, du wirst dir noch wünschen du wärst hier in meiner Tankstelle gestorben!“, spottete Derek.

Es war ausgerechnet der Hüne, Tom, der seine Hand auf ihre legte und Dalia dazu brachte, die Waffe zu senken.

„Lass ihn, es ist schade um die Munition. Komm, wir müssen dein Bein versorgen. Im Labor sind alle tot, und ich habe ein Fahrzeug von so einem fetten Lieferfahrer. Er und die anderen Helfershelfer sind jetzt keine Gefahr mehr.“

Derek seufzte. Also hatte Paul auch einen beschissenen Abend gehabt.

Dalia senkte die Waffe. Er konnte in ihren Augen sehen, dass sie darüber nachdachte es doch noch zu tun, aber Tom brachte sie dazu, sich loszureißen.

„Komm, wir versorgen dich und fahren, es wird uns niemand folgen. Komm jetzt, komm“.

Die beiden nahmen, was sie brauchen konnten aus dem Keller und stiegen die Treppe nach oben. Derek blieb steif vor Schmerzen zurück und konnte das Kratzen hören, als etwas Schweres auf die Klappe geschoben wurde. Der Typ musste Pauls Truck wohl unweit der Tankstelle geparkt haben. Die Telefone und die Waffe hatten sie mitgenommen.

„Verdammt nochmal, Frank. Verdammt nochmal“, raunte Derek heiser. Was für eine Abscheulichkeit hatte Frank bei seinen Experimenten erschaffen? Was hatte er da auf die Welt losgelassen? Er konnte seine Beine nicht einmal ein Stück bewegen, und allein der Versuch jagte ihm Schmerzen durch den ganzen Körper. Aber es könnte schlimmer sein, sagte er sich. Sie hatten ihn am Leben gelassen. Er war immerhin nicht tot. Also hatte er wenigstens eine Chance.

Er brauchte nur darauf zu warten, dass jemand zufällig vorbeikam und ihn rufen hörte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

freneticwriters Profilbild freneticwriter

Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Sätze: 278
Wörter: 3.240
Zeichen: 18.790

Kurzbeschreibung

Derek betreibt eine Tankstelle, die kaum die Kosten decken kann. Es kommt quasi niemals Kundschaft vorbei. Das passt ihm gut, denn er hütet ein finsteres Geheimnis. Doch dann kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt plötzlich ein ungebetener Gast

Kategorisierung

Diese Story wird neben Mystery auch in den Genres Horror, Thriller, Vermischtes gelistet.