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Madame Héloïses letzte Fahrt

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25.12.18 02:32
6 Ab 6 Jahren
In Arbeit

Prolog

Reisefrust

"Vater, bitte!" Sophies Stimme war bettelnd und doch lag in ihr noch der Liebreiz des Kindes, das sie nicht mehr war.
"Nein", beharrte Mortimer streng, wenngleich es ihm angesichts des flehenden Gesichtsausdrucks seiner einzigen Tochter schwer fiel. "Du wirst nicht alleine hier bleiben und ganz bestimmt wirst du nicht alleine nach London fahren."
"Aber ich wäre doch gar nicht alleine. Ich hätte doch Miss Binnington bei mir und Tante Dorothea und Onkel Humphrey wären doch auch da", argumentierte sie, nicht ohne einen gewissen Trotz in der Stimme und liess ihre Gabel auf den Teller fallen. "Und es wäre viel besser für mich, während der Saison am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, anstatt mit euch in irgendein Bauerndorf am Ende der Welt zu fahren."
"Liebes, du bist doch erst vierzehn", meinte Clementine, trotz Sophies ungebührlichen Benehmens versöhnlich und bemüht, einen heftigeren Streit zwischen ihrem dickköpfigen Ehegatten und ihrer ebenso dickköpfigen Tochter zu verhindern. "Du hast doch noch viel Zeit um Bälle und irgendwelche Wohltätigkeitskonzerte zu besuchen."
"Du kannst dein Debüt in der Gesellschaft nächstes Jahr geben", stimmte Mortimer zu. "Aber deiner Mutter und mir ist es wichtig, dass wir noch etwas Zeit als Familie verbringen, bevor Victor nach Abingdon ins Internat fährt."
"Aber man kann sein Debüt doch gar nicht früh genug geben! Ich will schliesslich auch jemanden kennen lernen, bevor alle schönen Junggesellen vergeben sind!"
Clementine seufzte und nahm sich vor, ein erstes Gespräch darüber, dass Schönheit bei weitem nicht das wichtigste Kriterium eines guten Ehemannes war, mit ihrer Tochter zu führen.
"Du kommst mit nach Knightsbridge, Sophie, das ist mein letztes Wort." Mortimers Stimme war ruhig und gemessen, besass jedoch einen Nachdruck, der deutlich machte, dass er keinen weiteren Widerspruch duldete. "Solange du dich benimmst wie ein verwöhntes Kind, das die Bedeutung des Wortes 'nein' nicht versteht, bist du ohnehin noch nicht bereit, dein Debüt in der Gesellschaft zu geben." Er wandte sich an Miss Binnington, die Gouvernante. "Bitte begleiten Sie Sophie in ihr Zimmer; sie ist mit dem Abendessen fertig."

"Du hast sie als Kind zu sehr verwöhnt." Clementine sah nicht von ihrem Earl Grey auf und in ihrer Stimme lag kein Vorwurf. Wie so oft stellte sie lediglich nüchtern die Tatsachen fest, während sie mit ihrem Gatten bei der letzten Tasse Tee des Tages in der Bibliothek sass.
"Ach, Sophie ist ein gutes Mädchen", antwortete Mortimer vor dem kalten Kamin stehend, während er das Portrait seiner Kinder mit einem liebevollen Blick bedachte.
"Das mag ja sein, aber es ist erwiesen, dass Kinder eine strenge Hand brauchen. Und unsere Tochter ist, so leid es mir tut, das sagen zu müssen, das beste Beispiel dafür, dass Nachsichtigkeit nur zu Ungehorsam führt." Da war er, der Vorwurf in Clementines Stimme.
"Es ist auch erwiesen, dass ein kräftiger Klaps mit dem Lineal auf die Finger, die Handschrift verbessert. Und du weisst doch, wie meine Geschäftsnotizen aussehen." Mortimer schmunzelte, als er seine Frau über die Schulter hinweg ansah.
Clementine erhob sich und umarmte ihren Mann, schmiege ihren Kopf knapp unterhalb der Schulterblätter an seinen Rücken.
"Aber ich weiss auch noch, wie dein erster Brief an mich aussah. Jeder Buchstabe war so klar und ebenmässig als stamme er nicht aus der Feder, sondern der Druckerpresse, jedes Wort stand in Reih und Glied und der Strich deiner Feder war so fein und elegant, dass ich zunächst glaubte, eine andere Frau würde mir schreiben."
Sanft verwob Mortimer ihre Finger mit den seinen, führte ihre kleine Hand zu seinem Mund und küsste sie warmherzig und zärtlich.
"Du hast keine Vorstellung davon, wie lange es gedauert hat, bis er so aussah."
"Aber doch warst du fähig dazu." Clementine schloss die Augen, genoss den dezenten Hauch von Cologne, der ihren Mortimer umgab. "Ich verlange ja nicht, dass du unsere Kinder weniger liebst. Aber es ist auch deine Pflicht als ihr Vater, sie die nötige Disziplin und Ernsthaftigkeit für das Leben ausserhalb ihrer Kinderstube beizubringen. Versprich mir, dass du dich ein wenig mehr zusammenreissen und sie weniger verwöhnen wirst."
Mortimer seufzte geschlagen.
"Na schön. Ich verspreche es dir." Er drehte sich um und beugte sich hinab um Clementine zu küssen. "Lass uns zu Bett gehen, Tiny.", hauchte er zärtlich in ihr Ohr, so dass sie errötete.

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