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Die Stadt brannte.
Rauch kräuselte sich aus den Straßen heraus, mehr als den Schornsteinen am Horizont entstieg. An seinen Rändern war der Himmel flammendrot, doch direkt über ihr erstreckte sich eine dunkle Kuppel ohne Sterne, ohne Hoffnung. Die gepflasterten Wege der sterbenden Stadt waren umspült mit Blut, die Fassaden der Häuser gesprenkelt mit rubinroten Spritzern.
„Sie werden sterben!“
Sie sah hinab auf die schwarzen, brennenden Häuser. Asche regnete in wirbelnden Kaskaden um sie herum. Düstere Schemen füllten die Stadt, lebten in den weiten Straßen mit lauten, bestialischen Schreien ihren Kampfrausch aus. Es war ein grausames Crescendo aus Tod und Schmerz.
„Sie werden alle sterben!“
Das Mädchen wollte sich abwenden. Sie wollte sich umdrehen und fliehen, aber sie konnte sich nicht rühren. Voll Grauen und Schuld konnte sie nur zusehen wie die Stadt in Blut und Feuer unterging. Ihre Kehle war trocken, kalter Schweiß lief ihren Rücken hinab und sie atmete keuchend die totgeschwängerte, rauchgefüllte, blutgetränkte Luft ein.
„Und du kannst nichts dagegen tun.“
Mit einem unterdrückten Schrei schreckte Emira aus dem Schlaf. Sie japste, kam kaum zu Atem. Ihre Schlafsachen klebten an ihrem Körper. Panisch setzte sich das Mädchen auf und sah sich in ihrem Zimmer um.
Es war alles gut.
Ihre Augen huschten unruhig durch den hellen Raum.
Es war…alles gut.
Mit einem befreiten Seufzen ließ sich Emira zurückfallen und spürte mit Genugtuung wie ihr leichter Körper auf der Matratze aufkam, ein dumpfer Schlag, der ihr half, vollkommen in die Wirklichkeit zurückzukehren. Ihr Blick fiel durch das Fenster, direkt über ihr in der Dachschräge. Sie liebte es, die Sterne bei Nacht zu sehen, ein beruhigender Anblick vor dem Einschlafen. Sie atmete kontrolliert ein und wieder aus, spürte wie sich ihr Herzschlag wieder normalisierte, als sie in den nun zartblauen Himmel blickte, welcher ihr einen wunderschönen Tag versprach.
Nachdem Emira sich vollständig beruhigt hatte, legten sich ihre dunkelgrünen Augen auf den Wecker neben ihr, ein großes Messingding, dessen sichtbare Zahnräder sich in stiller Präzision umeinander drehten und dessen filigrane, silberne Uhrzeiger eine unmenschliche Zeit anzeigten. Heute würden die großen Doppelglocken stumm bleiben, genau wie gestern, vorgestern und am Tag davor.
Es war viel zu früh. Emira seufzte, ehe sie ihre Decke zurückschlug und aufsprang. Die Aussicht vor ihrer Schwester im Bad zu sein, war verlockend.
Sie schlich über ihren weichen Teppich, der eine achtstrahlige Sonne zeigte, vorbei an ihrem dunklen Bücherregal, welches ihr auch als Raumteiler am Fußende des Bettes diente, vor zum Kleiderschrank. Ihr Dachzimmer war zwar klein, aber sie hatte mithilfe ihrer Schwester aus dem verschnittenen Raum das Beste gemacht, diese hatte ihre unglaubliche Gabe des räumlichen Sehens genutzt und Emira hatte die Wände gestrichen. Eine perfekte Arbeitsteilung.
Das junge Mädchen warf einen Blick zu ihrem mehr als überfüllten Schreibtisch. Sie hatte gestern Nacht einfach zu lange gelernt, daher auch dieser Alptraum, das zumindest redete sie sich ein. Sie wusste, dass dieser Gedanke eine tröstliche Lüge war, solch lebhaften, grauenvollen Träume verfolgten sie schon eine ganze Weile.
Und sie konnte nichts dagegen tun.
Emira nutzte die frühe Morgenstunde, um sich genügend Zeit im Bad zu lassen, das kalte Wasser, das dabei ihre überhitzten Wangen kühlte, war eine reine Erlösung aus ihren düsteren Gedanken. Die restliche Zeit räumte sie auf und überprüfte die Arbeiten für den heutigen Schultag auf Korrektheit. Außerordentlicher Ehrgeiz und Gewissenhaftigkeit waren Haupteigenschaften ihrer Familie, die jeder von ihnen innehatte, ob er nun wollte oder nicht.
Sie räumte ein paar Bücher zurück, zupfte an ihrer weißen Bluse, mit dem Emblem ihrer Schule auf der Brust, alles völlig normale Handlungen, die ganz automatisch abliefen. Sie war nervös, aber das durfte sie nicht zeigen.
Ein weiterer Blick auf ihre klickende Uhr ließ sie aufspringen, sie musste los. Seufzend schnappte sie sich ihre Tasche und die dunkelgrüne Jacke ihrer Schuluniform und machte sich auf den Weg in einen weiteren geladenen Tag.
Noch bevor sie den erfrischenden Geruch von Kaffee wahrnehmen, oder gar einen Blick auf den reich gedeckten, bunten Frühstückstisch werfen konnte, hörte sie den Streit. Und der Morgen hatte noch nicht mal angefangen…
Durch die großen Fenster fiel das frühmorgendliche Sonnenlicht und wärmte die Küche mit ihren weiß getünchten Wänden und den schwarzen Schränken mit den matt schimmernden Messingapplikationen. Ihre Mutter saß bereits am teuren Kjerad-Zedern Tisch und trank Kaffee, während ihre dunkelgrünen Augen die beiden Stehenden musterten.
Emira widmete ihre Aufmerksamkeit ebenfalls dem großen, breitschultrigen Mann und der jungen Frau.
„Das mach ich nicht!“, fauchte diese gerade und Emira zuckt zusammen.
Ariana Sol’Artaire war nicht gerade das, was man ‚umgänglich‘ nannte, aber ihre freche, vorlaute Art zügelte sie normalerweise vor ihren Eltern. Sie war schließlich nicht dumm. Explosive Auseinandersetzungen gab es in letzter Zeit jedoch häufiger.
„Diese Scheiß Werwölfe sind doch an allem schuld was in diesem Land falschläuft!“, knurrte sie und Elektrizität zuckte um sie herum wie bei einer Gewitterwolke. Niemand wusste woher Ariana ihre Kräfte hatte, aber, wie die Beschwörer zu sagen pflegten: ‚Magie wurde nicht vererbt, sondern verschenkt‘.
„Jetzt beruhige dich mal wieder!“ Ihr Vater, Jannis, hatte einen bedrohlichen Ton angeschlagen. In diesem Zustand war er sehr respekteinflößend, nicht umsonst konnte er sich im Rat auch gegen die Werwölfe durchsetzen. So wie sich die beiden gegenüberstanden, konnte Emira fast raten, dass Ariana ihre Magie vielleicht doch von ihrem Vater hatte.
„Du hast doch gar keine Ahnung. Die Werwölfe tun sehr viel Gutes für uns oder willst du lieber, dass ein paar Rebellen, die in ihrem ganzen Leben noch keine einzige Sekunde gearbeitet haben, aber hinterrücks Leute ermorden, die Herrschaft an sich reißen?“
Emira ging lautlos an den Streitenden vorbei.
„Guten Morgen, Schatz“, begrüßte ihre Mutter sie und die beiden küssten sich vertraut, ehe sie sich zu ihr setzte.
„Also die Universität in Maryntrin wurde nicht von den Menschen zerstört, sondern von diesen blöden Drecksviechern!“
Ariana bewegte kurz energisch ihren Kopf zur Seite, um ihre Haare aus ihrem Gesicht zu bekommen. Alle Sol’Artaire Frauen waren gesegnet mit einer schwarzen Lockenpracht Emira war jedoch die einzige von ihnen, deren Haare ihr noch bis auf die Schulter fielen, ihre Mutter hatte sie schon weit vor der Geburt ihrer Kinder kurz geschnitten, und Ariana war ihr mit achtzehn gefolgt, hatte ihre Seiten kurzgeschoren und nur einen vorwitzig lockigen Haarschopf in ihr Gesicht hineinwellen lassen.
„Diesen Unsinn erzählst du jetzt schon seit drei Jahren! Es tut mir wirklich leid, dass die einzige Universität, die dich genommen hätte, abgebrannt ist, aber wenn du woanders hingewollt hättest, hätte dein Abschluss besser sein müssen.“
„Nein! Die nehmen überall nur bevorzugt Werwölfe! Das ist Rassismus! Egal wie gut man ist, als Mensch kommt man da nicht rein! Und das ist auch nicht das Thema!“ Ariana gestikulierte wild vor sich hin. „Das Thema ist diese gottverdammte Veranstaltung! Dieser Sohn einer blutpissenden Hafenhure und seine scheiß Seelenverwandten-Suche! Ich werde mich für diesen Dreck nicht in ein Kleid zwängen!“
Emira belegte sich ein Brötchen mit Schinken und warf ihrer Schwester einen kurzen Blick zu. Ariana trug Kleidung wie eine Rüstung, selbst ihre schlichtesten Stücke brachte sie dazu eine absolut klare Sprache zu sprechen. Ihre lange, schwarze Hose und ihr flammend rotes Korsett gaben den perfekten Eindruck davon, wen man vor sich hatte, wenn es nicht schon die vielen, dunklen Blutergüsse auf ihren Unterarmen taten.
Das letzte Kleid, in dem Emira ihre Schwester gesehen hatte, war eine gelb-schwarze Komposition gewesen, fließend wie ein Wasserfall. Es hatte sich um Arianas Körper geschmiegt, wie eine zweite Haut und sie wie eine stolze Königin wirken lassen. Das perfekteste Abschlussballkleid was man sich vorstellen konnte. Das war nun auch schon wieder drei Jahre her.
„Bei allen Sternen, dann trägst du eben einen Hosenanzug“, meinte ihr Vater. Auch er trug Kleidung als Symbol. Doch neben seinem sauberen, weißen Hemd, der blauen Weste mit den Messingknöpfen und seiner perfekt sitzenden Hose, stach vor allem der Wolfsfellgürtel ins Auge.
Früher hatte sich Emira ein kleines Geschwisterchen gewünscht. Wäre es ein Bruder geworden, hätte Jannis sogar jemanden gehabt, der seinen Namen weitergetragen hätte. In der Kultur der Menschen vermachten Väter ihre Nachnamen an ihre Söhne und Mütter ihren an ihre Töchter. Jannis war jedoch nie ein Mann gewesen den das gestört hätte, er war vollkommen zufrieden mit seinen Kindern und hatte seinen ganzen Ehrgeiz in seine Karriere gesteckt. Eine Karriere, die sich nun in diesem Gürtel aus schlichtem, grauem Fell widerspiegelte.
Arianas Augen begannen zu funkeln, ihre Haare begannen sich aufzuladen und standen schließlich vor Wut ab. Sie holte Luft für ihre nächsten Worte.
„Beruhige dich!“ Er war nicht laut, aber der Satz war durchdringend. Ariana drehte sich um, ihre Schwester konnte sehen, wie sie versuchte ihre Gesichtsmuskulatur zu entspannen, wie sie sich bemühte das angriffslustige Funkeln aus ihren Augen zu tilgen und wie schnell die elektrische Spannung aus ihren Haaren wich. Mit ihrem Vater zu streiten war anstrengend, aber mit Beatrice Sol’Artaire legte man sich nicht an. Selbst Emira, als vollkommen Unbeteiligte, verharrte kurz in ihrer Tätigkeit belegte Brötchen in Papier einzuschlagen. „Es ist nur ein Abend, an dem du dich zusammenreißen wirst.“
Ariana sah ihre Mutter an, unschlüssig was sie nun sagen sollte. „Ich werde mich nicht dahinstellen und mich von diesen räudigen Missgeburten ansabbern lassen wie ein Stück Fleisch!“, bestimmte sie.
Beatrice seufzte und fixierte ihre älteste Tochter. „Ich kann deinen Unmut nachvollziehen, aber du musst auch an uns denken. Niemand entzieht sich dieser Zeremonie. Wie wird dein Vater vor dem Rat aussehen, wenn du nicht auftauchst?“
Ariana holte Luft zu einer bissigen Antwort, schluckte sie aber herunter. „Ich werde die Gefährtin von niemandem. Und niemand sollte es werden. Nur weil er keine Werwolf…“, Ariana machte eine drehende Bewegung mit ihren Fingern, als versuche sie das Wort das sie suchte aus der Luft zu fischen, „…Fähe finden konnte!“
Beatrice verzog ihren Mund zu einem Halblächeln. „Die Wahrscheinlichkeit ist verschwindend gering seine Gefährtin aus einem Meer aus Kreaturen zu fischen. Ich denke ja, dass er die Suche in Esparias abbrechen wird, um seine Gefährtin in den angrenzenden Staaten zu suchen. Unter anderen Werwölfen.“
„Oh Gott, ich wünsche keinem Mädchen diesen Kerl.“
„Du kennst ihn gar nicht.“
„Ich hab Geschichten gehört…“
„Jetzt hör nicht ständig auf dieses Geseier! Wo hast du das überhaupt wieder her, dieses dumme Geschwafel? Du hast keine Ahnung von nichts, aber redest nach was du wer-weiß-wo gehört hast!“, knurrte Jannis, seine Augen glühend vor Wut.
Emira sah ihre Schwester abwartend an, wenn sie jetzt die Augen verdrehen würde, würde sie das Fass endgültig zum Überlaufen bringen.
Ein letzter Funke Verstand hielt Ariana jedoch davon ab. „Ja. Schon gut, Papa.“
„Will ich auch hoffen!“ Damit setzte sich Jannis wieder vor sein, mit Krümeln beschmutztes, Brett und trank die letzten Schlucke seines Kaffees.
Emira warf einen kurzen Blick zur Küchenuhr. „Mama, Papa ich muss los. Ich nehme mir was zu Essen mit, ja?“ Sie wollte sich bereits vom Tisch abstützen und davoneilen, aber die Blicke ihrer Eltern hielten sie unten.
„Wo willst du denn hin?“, fragte ihr Vater neugierig, die Aggressivität vollständig aus seiner Stimme getilgt. „Guten Morgen übrigens.“
„Morgen, Papa“, schmunzelte Emira. „Ich möchte nur kurz zu…“
„Kaden“, säuselte eine spöttische Stimme hinter ihr. Emira warf ihrer älteren Schwester einen bösen Blick zu, die diesen jedoch ignorierte. Ariana war die einzige die noch stand und sie grinste nur, während sie die Reste ihres bis zum absoluten Limit gesüßten Kaffee trank.
„Ja. Genau“, sagte Emira dann bestimmt.
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. „Dann geh ruhig.“
Emira lächelte als sie aufsprang, ihre Essenspakete verstaute und dann zu ihren Eltern sprang, um beide zu küssen.
Ariana hustete hinter ihr, wahrscheinlich hatte sie sich an den Zuckerkristallen am Boden ihrer Tasse verschluckt. „Ich komm mit. Ich brauch frische Luft.“
„Gute Entscheidung“, beschied ihr Vater.
„Ihr beide kommt dann nach der Schule und nach der Arbeit in die Stadt und wir gehen dieses leidige Kleid kaufen, damit wir diese Sache hinter uns haben!“ Beatrice klang so genervt wie ihre älteste Tochter.
„Aber…“, begann Ariana wütend.
Emira packte ihre Schwester an der Schulter und knuffte sie kurz. „Ariana holt mich ab und dann werden wir spätestens halb vier in Caras Boutique sein!“
Beatrice lächelte das zufrieden-sarkastisches Lächeln, das Emira so vertraut war und welches sie so sehr liebte. Ihre Mutter nickte und ehe Ariana wieder Schwierigkeiten machen konnte, hatte Emira sie schon in den, nach Desinfektionsalkohol riechenden, Flur gezerrt.
„Jetzt renn doch nicht so!“, rief ihre ältere Schwester ihr nach, als Emira bereits die Treppe zur Praxis und zum Ausgang hinablief. Sie hatte ihre Halbschuhe schneller zubekommen, als Ariana ihre Stiefel und auf ihre Schwester zu warten, war etwas, was sie schon ihr ganzes Leben lang tat.
Ariana sprang einfach über das Treppengeländer und landete elegant direkt hinter ihrer kleinen Schwester, mit der sie dann nach unten jagte. Im Erdgeschoss angekommen, riss Emira die Tür auf und ging hinaus in den kühlen Morgen Enrhyms. Eine Gänsehaut erfasste ihre nackten Arme, es war eine erfrischende Kälte, nach der sie sich um den Mittag herum ganz sicher sehnen würde. Noch waren alle Blumen geschlossen, die Menschen noch halb am Schlafen oder gerade am Aufstehen. Der Geruch nach Kaffee und frischgebackenem Brot wehte ihr entgegen und sie sog ihn erfreut ein.
Hinter ihr fiel die schwere Haustür ins Schloss und Ariana stellte sich neben sie, scheinbar vollkommen unbeeindruckt von der Kühle und den Düften der Stadt. Sie warf ihren Kopf zurück und starrte in den hellblauen Himmel. „Gott, das wird ein Scheißtag!
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Elenyafinwe M • Am 10.01.2019 um 20:02 Uhr
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Hallo, noch ist mit einem Kapitel noch nicht viel da, aber ich finde es schon einmal spannend, dass du hier anscheinend eine Fantasy Welt erschaffst, die in ihren alltäglichen Dingen wie dem Familienalltag unserer sehr ähnelt. Sie haben ja anscheinend Uhren und die Frühstücksszene wirkte doch sehr alltäglich mit schön eingebundenen phantastischen Elementen. Ich würde hier durchaus vorerst weiterlesen, weil es mich neugierig gemacht hat, wie es mit der Familie weitergeht. Kleine Randbemerkung: Ich persönlich würde Triggerwarnungen immer über der Geschichte/dem Kapitel setzen, weil sie da mehr Sinn machen. lg Auctrix Mehr anzeigen |
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