Kapitel X - Vorwort (what you need to know)
Hallo, ich bin Dany und vor zwei Wochen frische 29 Jahre alt geworden. Es ist schön, dass jemand meine Zeilen liest. Bisher habe ich meine Gedanken, die diese Zeilen ja sind, für mich behalten. Nun möchte ich sie teilen. Weil ich dazu bereit bin und euch mein persönliches Meisterwerk zugänglich machen möchte. Bevor ihr zum Prolog weiterspringt, solltet ihr einige Dinge über die vorangehende Geschichte wissen und über mich. Denn ich bin die Person, die im Zentrum der nächsten, von euch investierten, Stunden steht.
Nun: Dany ist ich und ich bin Dany und wir sind doch nicht dieselbe Person. Genau nach diesem Handlung folgt meine Geschichte. Sie beginnt an einem Punkt in unserer Wirklichkeit, an einem einschneidenden Tag in Danys Leben, meinem Leben und spiegelt unsere Zeit als eine Art Parallelwirklichkeit wieder. In dieser fiktiven Wirklichkeit folgen wir den zeitlichen Geschehnissen von Juli 2016 bis heute. Was letztlich real passierte und fiktiv von mir herbeigeführt wurde, überlasse ich ganz eurer Gabe der Auffassung, scharfen Verstand und bildlichen Vorstellungskraft.
Die Personen und Menschen in meiner Geschichte sind die Äquivalente zu den Personen, die mich in der wirklichen Welt umgeben und existieren. Jede Person sollte als fiktive Figur gesehen werden, dessen wirklicher Charakter sich darin wiederspiegelt. Die Menschen sind also so, wie ich sie kenne, empfinde und interpretiere. Hierzu sei gesagt, als Schriftstellerin dichte ich gerne interessante Fakten hinzu um den Charakteren mehr Tiefe und Hintergrund zu geben. Genau hier folgt meine Geschichte wieder dem Prinzip halb fiktiv, halb real. Also verzagt nicht, wenn ihr euch (vielleicht) in meiner Geschichte wiederfindet und ihr euch fragt wie zur Hölle ihr darin gelandet seid.
Ein weiterer wichtiger Punkt weshalb ich meine Geschichte gestartet habe: Dany und ich sind krank und süchtig. Unsere Krankheit gehört zu den emotionalen Störungen und dort rutschte ich mit Leichtigkeit in den Suchtbereich. Welche Sucht das ist, lasse ich euch selbst herausfinden. Nach einem einschneidenden Vorfall, den ihr gleich durchlesen und vermutlich mit mir durchleben werdet, war ich neben der Spur. Ach was sage ich, ich war nicht mal mehr in der Nähe eines schmalen Pfades, der kaum noch zu erkennen war. Also fing ich an meine Gedanken herauszuschreiben, um wieder den Wald zu sehen und nicht nur Bäume. Wenn ihr versteht was ich meine. Interessanterweise hatte man mir bereits vor Jahren den Tipp gegeben, ein Tagebuch zu führen. Damals ging es explizit um meine Gedanken des Tages, aber ich wäre nicht ich, wenn Dany ihre imaginäre Vorstellungskraft nicht benutzen würde um gewisse Momente und Augenblicke am Tag besser zu verpacken und zu verarbeiten. Auch hier gilt wieder: Es ist nichts so wie es geschrieben ist und alles so wie es tatsächlich war. Dieses Prinzip habe ich (und irgendwie nun auch ihr Leser) meiner Krankheit zu verdanken. Es ist nicht gut, es ist nicht schlecht. Wir wollen ja im Vorwort noch objektiv bleiben.
Nun denke ich, das Grundprinzip meiner Geschichte gut erklärt zu haben. Das erste Buch (ja, das erste!) Wird online für alle einsehbar veröffentlicht. Da ich meine Geschichte ja parallel zu unserer Realität schreibe und plane noch lange daran weiterzuschreiben, strebe ich eine Art Interaktion mit meinen Lesern an. Die meisten von euch wird Dany bestimmt persönlich kennen, zumindest in den heutigen Tagen.
Da sich mein Schreibstil über die lange Zeit hinweg entwickelt hat und zukünftig auch weiterhin verändern wird, kann ich diesem keinen Gerne zuordnen. Um ehrlich zu sein sind mir auch sehr wenige bekannt. Ich lese einiges. Von Fachzeitschriften und online Blogartikeln bis hin zu Büchern von z. B. Stephen King, prägen viele verschiedene Einflüsse Danys Leben und unseren Schreibstil. Ich probiere niemanden zu imitieren, aber es mag sich bestimmt in einigen Zeilen nicht vermeiden lassen eine Hommage an diese Personen oder Menschen in meinem Leben zu erschaffen. Wenn ich so darüber nachdenke, ist Danys ganze Geschichte eine Hommage an die Erde, deren Menschheit und die direkten Einflüsse um mich herum. Verwirrend? Es ist zugegeben etwas Absicht, aber Keine Angst! Es wird besser nach dem Vorwort.
Rechtschreibung, Logik und andere Fehler: Wenn ihr bedenkt, an welchem Punkt ich unsere Geschichte angefangen habe zu erzählen, wird schnell bemerken das einige Kapitel chaotischer strukturiert sind als andere. Das liegt einmal daran, dass einige Zeitpunkte in der Geschichte emotional und körperlich anstrengender waren als andere. Chronologisch gesehen ist natürlich der Prolog das am schwersten verfasste Kapitel. Aller Anfang ist schwer, verzwickt und chaotisch. Ich kann zukünftig nur dazulernen. Gutes, wie schlechtes. Das einzige Ende wird zukünftig Danys Ende sein. Wie morbide.
Was gibt es noch zu wissen? Das meiste möchte ich euch selbst herausfinden lassen. Ich denke auf diese Weise werdet ihr am meisten Spaß haben. Ach ja! Falls ihr euch über die deutsche / englische Betitelung irritiert fühlt: Es ist Absicht. Der deutsche Titel ist die allgemeine Interpretation einer Persönlichkeit und die englische die schnelle imaginäre Auffassung einer anderen. Die Kapitelnummern sind sozusagen die Wurzel, auf der die Kapitel verwoben und entwachsen sind. Auch dies ist kein Zufall, wie ihr später bestimmt feststellen werdet.
Ich hoffe ihr habt meinen Gedankengang und das Grundprinzip zu meiner Geschichte verstanden und das ihr Gefallen an meinen Schreibstil finden werdet. Ich bin sehr gespannt ob meine Rätsel und gesponnenen Wege, in meiner Welt, für euch verständlich sind und es euch Spaß macht was ihr letztendlich daraus zieht und interpretiert.
Das war es von meiner Seite.
Bis zum nächsten Vorwort!
Herzliche Grüße,
Laneida
Kapitel 0 - Prolog (hit the road)
"Oh Shit!" Schrie Dany laut auf als es ihr das Lenkrad verzog und ihr Auto, einen blauen metallic Mini Cooper, in die rechte Seite eines neben ihr fahrendes Busses fuhr. Die Motorhaube an der Beifahrerseite des Minis wurde gewaltsam durch den Aufprall eingedrückt. "Oh mein Gott." Sagte Dany in einem verängstigten hohen Tonfall. Sie versuchte ihr Auto wieder ins Gleichgewicht zu lenken und zog das Lenkrad ihres Minis gewaltsam in die andere Richtung. Ein Teil von ihr war davon überzeugt, diese Situation noch retten zu können. Leider gehörte, in überhöhter Geschwindigkeit in die Seite eines Busses auf einer Autobahn zu krachen bei Circa Null Sicht vor Wasser das in Kübeln vom Himmel schüttete, nicht zu den Situationen die ein Mensch im Schockzustand alleine und einfach mal so kontrollieren, oder beheben konnte.
Als nächstes fuhr Dany ihren blauen metallic Mini in den linken niedrigen Zaun, der die Autobahnspuren voneinander trennte. Das Auto prallte daran ab und schlitterte zurück quer über die Autobahn. Dany hielt das Lenkrad verzweifelt fest, was rein gar nichts zur Rettung der Situation beitrug. Später würde Dany erfahren, dass sie mit dem Lenkrad gar nichts mehr hätte tun können um das Auto auch nur annähernd zu lenken. Der Aufprall hatte die Reifen zerfetzt und der Kontakt zum Lenkrad war vollständig gesprengt worden.
Die Welt drehte sich um Dany, oder war es Dany in ihrem Auto das sich um seine eigene Achse über die nasse Autobahn drehte? Kurz konnte sie einen Blick zu dem Bus erhaschen, als sich alles um sie herum drehte. Der Bus hatte abgebremst und war nun direkt hinter ihr. "Senfgelb." Dachte Dany. "Ich sitze in einem Top Spin, einer dieser wilden Attraktionen die man auf dem Oktoberfest in München fahren konnte wenn man alt genug und sich für cool genug hielt, und der Bus in den ich gekracht bin ist senfgelb!" Dann war da nur wieder Wasser, dass über die Windschutzscheibe ihres Minis lief und Dany die Sicht komplett verwehrte.
Dany überkam blanke Angst und Panik. "War das einer dieser Unfälle, die einem das Leben kosten konnten? Oder einen Arm? Oder ein Bein? Ich bin Webdesignerin, ich brauche meine Hände!" Dany musste sich selbst eingestehen, dass dies in der Tat einer dieser gefährlichen Straßenverkehrsvorfälle sein könnte, wenn er sich so ausspielen würde. Sie umklammerte das Lenkrad und eine Woge an verschiedenen Gefühlen durchströmte ihren Geist. Sie waren so schnell verflogen, wie sie gekommen waren und eine seltsame Leere überkam Dany stattdessen.
Sie realisierte, dass es nicht mehr in ihrer Hand lag, dass sie nichts tun konnte um den Ausgang dieser Situation zu bestimmen oder auch nur zu erahnen. Sie konnte leben oder sterben, ein Körperteil verlieren oder als paralysiertes Gemüse aufwachen. "Vielleicht passiert auch gar nichts." Wagte sie zu hoffen. Diese tiefe Ruhe hatte Dany noch nie empfunden. Jedenfalls konnte sie sich nicht daran erinnern. Dany schloss die Augen, dachte an ihre Schwester, ihre beste Freundin Zuzanna und ihrem Crush aus ihrer Arbeit aus der sie eben geflogen war.
"Naja, ich hatte eine Gute Zeit bis hierhin. Wenn es das jetzt war, kann ich sterben." Dany atmete tief durch und machte sich auf einen weiteren Aufprall gefasst. Dieser ließ nicht lange auf sich warten. Der dritte und vermutlich letzte Aufprall war so stark, dass der Haltegurt ihr in den Hals schnitt. Sie hatte immer noch die Augen geschlossen, aber sie konnte spüren, dass das Auto zum Stillstand gekommen war. Dany konnte ein rhythmisches Ticken hören. Die Blinker des Autos waren angesprungen.
Trotzdem war still, viel zu still. Dany traute sich nicht die Augen zu öffnen, so viel Angst hatte sie davor zu sehen was vor sich ging. Sie hatte alles um sich herum komplett ausgeblendet. Das quietschen der Reifen war verstummt und das Geräusch des Regens, der auf das Autodach hämmerte war in weite Ferne gerückt. Selbst der Rhythmus der Blinker schien verstummt zu sein. Dany saß angeschnallt auf ihrem Autositz und hielt mit den Händen das Lenkrad umklammert, mit beiden Füßen stand sie fest auf Bremse und Kupplung. Der Schutz des Autogestelles um sie herum war völlig verschwunden. Sie saß in einem leerem Raum, der mit einer erdrückenden Stille umhangen war.
Viele Fragen gingen ihr durch den Kopf. Sie sich wunderte sich ob Himmel und Hölle wohl doch real waren und wo sie nun letztendlich landen würde, als eine feine feminine aber deutlich erkennbare männliche Stimme durch den leeren und stillen Raum dröhnte: "Dany! Mach die Augen auf!"
Der imaginäre leere und stille Raum zerbrach um sie herum wie ein Glaskasten auf das Drängen der lauten unbekannten Stimme hin. Erschrocken riss Dany ihre Augen auf und sah erst einmal gar nichts, außer dem vielen Wasser, dass noch immer vom Himmel regnete. Durch die Windschutzscheibe vor ihr konnte sie die Autobahn vor sich erkennen, aber der Anblick war ihr unvertraut. Verwirrt über den ungewöhnlichen Blick auf die Straße, realisierte sie, dass das Heck des Minis wohl hinter ihr an einer der Leitplanken stand und sie nun quer über die Straße bis zur Mittelleitbegrenzung sehen konnte. "Schau nach links!" Wieder war es diese ihr fremde und doch vertraute Stimme, die Dany einen kleinen Push verlieh. Sie sah schließlich nach links.
Was Dany sah, ließ sie vor blanker Angst beinahe wieder erstarren und sie fühlte die wärme aus ihrem Körper weichen. Der senfgelbe Bus, den Dany nach dem ersten Aufprall weit hinter ihr vermutet hatte, wurde immer größer und größer. Sie konnte durch die riesige Windschutzscheibe den Busfahrer sehen, dem der Schock und die Überraschung buchstäblich ins Gesicht geschrieben war. Dann erkannte Dany, dass der Bus immer näher kam und nicht langsamer wurde. "Ich muss hier raus!" Erkannte Dany und schnallte sich ab. "Beweg Dich! Du musst hier raus!" Wieder diese Stimme, doch diesmal reagierte Dany bereits vor der Aufforderung.
Dany schnallte sich ab und wollte die Fahrertür öffnen. Der Bus wurde immer größer und Dany konnte nicht ausmachen mit welcher Geschwindigkeit sich der Bus auf sie zubewegte. Dany balancierte, in Windeseile, auf den Beifahrersitz hinüber und biss ihre Zähne fest zusammen, als sie einen beißenden Schmerz in ihrer Hüftgegend spürte. Dany betätigte den Beifahrertürgriff um die Tür zu öffnen. Sie ließ sich nicht öffnen. Der Türmechanismus war wohl während des Unfalls beschädigt worden und reagierte nicht. Überlegte sie schockiert.
Ein plötzlicher Ruck und Dany prallte gegen die Beifahrertür. Der Bus hatte den Mini jetzt frontal erfasst und schob das Kleinauto einige Meter weiter vor sich her, bis beide Fahrzeuge schließlich zu Stillstand kamen. Das Auto wippte gefährlich auf die Seite, sodass Dany schon dachte es würde gleich zur Seite kippen, aber es hielt stand. Dany war jetzt froh, dass sie die Beifahrertür nicht aufbekommen hatte. Sonst wäre sie wohl eine Musähnliche Substanz am Boden unterhalb der beiden Fahrzeuge gewesen.
Eine Gestalt bewegte sich draußen vor ihrer Windschutzscheibe. Es war der Busfahrer, der mit beiden Hände erhoben hatte, diese über seinem Kopf zusammenschlug. Er sah so aus, wie Dany sich fühlte. Der Mann war kleiner als der Durchschnitt der meisten Männer die Dany kannte, brauner Teint und eine kahl rasierte Glatze. Dany vermutete, dass der Mann Mitte vierzig war, nicht älter als fünfzig Jahre. Sie starrte durch die Windschutzscheibe als er ihr unsicher zuwinkte. Dany winkte zögerlich zurück.
Der Mann, Dany war sich inzwischen sicher, dass er kein Deutscher war, gestikulierte mit den Händen. Er fragte wohl: "Kannst Du raus? Dann steig aus. Es ist gefährlich." Dany versuchte die Beifahrertür abermals zu öffnen und diesmal ging sie mit einem Schwung auf. "Warum nicht gleich so?" Dachte Dany und stieg zögernd aus um sich ein Bild der Gesamtsituation zu machen.
Als Dany sich draußen aufrichtete, waren ihre Beine wackelig. Sie musste sich an der Autotür abstützen, bis sie sicher war ihr Gleichgewicht wieder halten zu können. Zwei junge Frauen in Danys Alter gingen langsam auf sie zu. Sie erkannte, dass die Frauen, aus einem braunen Ford gestiegen waren, der vor ihr auf dem Seitenstreifen geparkt worden war.
Die beiden zögerten kurz und Dany vermutete, ihr starkes Übergewicht hatte die beiden erschreckt. Dann kam eine der beiden auf sie zu. Sie war eine atemberaubende feminine Gestalt mit schulterlangen aschblonden Haaren. Sie trug einen schwarzen Trenchcoat und vermutlich war sie Mitte/Ende dreißig. Erstaunt stellte sie fest: "Das habe ich jetzt nicht erwartet. Du bist ja kaum älter als wir." Die andere Frau war eine langhaarige brünette und trug eine große Brille, die ihrem Gesicht einen leicht unbeholfenen Eindruck verlieh. "Komm da weg!" Sagte sie und zog Dany beinahe gewaltsam einige Meter von ihrem Auto fort. Dany wollte protestieren, doch die junge Frau erwiderte: "Der Tank läuft aus. Du willst doch nicht verbrennen, oder?"
Als Dany sich zu ihrem Auto und den Bus umdrehte klappte ihr der Mund auf. "Ja, das sieht heftig aus." Sagte die aschblonde Dame in sachlichem Ton und hielt Dany ein Mobiltelefon hin. "Du musst den Notruf wählen, die 112 und sie hierher bestellen. Verstehst Du?" Danys Reaktionszeit war verzögert bis nicht mehr vorhanden. Sie antwortete nicht darauf, sondern starrte die Frau mit den hübschen Gesichtszügen nur einige Sekunden lang an. Diese wedelte unruhig mit ihrem Handy in der Luft. Dany riss sich zusammen und zog ihr Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf. Völlig leer im Kopf drängte sich Dany die Frage auf, ob sie gestorben war oder doch vielleicht in einem ihrer lebhaften Träume gefangen war.
Kapitel 1 - Ein neuer Tag (day zero)
"Wissen Sie mit wie viel Glück Sie davongekommen sind?" Dany lag auf einer Trage auf einem Podest im Schockraum des Krankenhauses Wolfratshausen und wurde von ihrem behandelnden Arzt belehrt. Sie war mit dem Krankenwagen in die nächst gelegene Notaufnahme gebracht worden. Bei ihrer unfreiwilligen Anreise wäre beinahe noch ein weiterer Unfall passiert. Auf die Frage des Fahrers vom Krankenwagen: "Ist das das Wasser vom Bach da vorne auf der Brücke?" Antwortete der Nothelfer, der die ganze Fahrt über an Danys Seite gewesen war, mit: "Ja, Jürgen. Fahr bloß vorsichtig!"
Dany musste wegen der Ironie grinsen, wurde aber sofort wieder ernst, als ihr einen bösen Blick zuwarf. "Ich habe Bilder von Ihrem Unfall und dem Auto gesehen." Seinem Teint und der Größe nach zu urteilen musste der Mann indischer Abstammung sein. Er setzte die braune Hornbrille auf seiner Nase zurecht und fuhr fort: "Dass der Airbag nicht aufging ist zwar sehr bedenklich, aber ich denke das Wasser hat sie zusätzlich abgebremst, daher war alles halb so wild." Die Unsicherheit und Scham ließ Danys Wangen rot werden. Sie stand unter Schock und wusste nicht, wie schnell sie tatsächlich gefahren war. Vielleicht wollte Dany sich auch unterbewusst nicht erinnern, weil sie fürchtete es könne ihr mental den Rest geben. Sie überlegte. Es konnten einerseits ca. 120 km/h gewesen sein, aber auch rasante 160 km/h waren durchaus im Rahmen des Möglichen gewesen. Dany verfluchte sich und versuchte sich zu erinnern: "Ich schätze 130 Kilometer die Stunde." Sagte Dany laut, obwohl der indische Arzt sie nicht einmal danach gefragt hatte.
Der Arzt seufzte und beäugte sie weiterhin ernst. Dany vermutete, dass er seine begonnene Predigt weiter abhalten wollte, hielt sich aber wegen ihres Schockzustandes zurück. Ihr war es egal, sie war ihm dankbar. Seine seriöse und gelassene Ausstrahlung ließ Dany langsam auftauen. Sie ging in Gedanken den Tathergang des Unfalls immer und immer wieder durch. Das Szenario ging allerdings immer mit einem anderen Ende aus, was Dany in dem Zustand einer lange andauernden Unsicherheit und Angst gefangen hielt. Sie konnte sich nicht aus den Bildern in ihrem Kopf verstecken oder lossagen. Zwischen den Szenen des immer größer werdenden Busses und ihrem Autowrack auf der Autobahn bahnten sich Stimmen und kurze Ansichten aus ihr fremden Welten durch Danys Verstand. Sie konnte die Bilder nicht zuordnen und durchlebte einfach die Momente und die einhergehenden Emotionen. "Durch den Sturm." Dachte sich Dany .
Nachdem Dany bemerkte, wie der Arzt sie nun noch besorgter begutachtete gab sie sich einen Ruck und fragte nach weiteren Verletzten und wie es dem Busfahrer ging. Sie erinnerte sich, dass der arme Kerl ziemlich ramponiert gewesen war und trotzdem fest entschlossen den Bus weiterzufahren. Heimlich bewunderte Dany ihn. Er hatte kühlen Kopf bewahrt, wo sie sich nicht mal zu einem Schritt bewegen konnte. Glücklicherweise waren der Busfahrer und alle 40 Chinesischen Insassen der Reiselinie namens Gullivers Reisen unverletzt und mit dem Schrecken davongekommen. Dany stellte sich vor, wie ihr Unfall über die Medien verbreitet wurde. Vielleicht war ihr Unfall der aktuellste Twitter Trend. Konnte das sein? Sie schob die Gedanken daran schnell beiseite.
Eine junge Frau betrat, plötzlich und festen Schrittes, den Schockraum. Schwarze Haare, Sidecut und Piercings zierten ihr junges hübsches Gesicht. "Du Dummkopf!" Sagte sie erbost. Auf den fragenden Blick ihres Arztes erklärte Dany: "Das ist meine liebreizende Schwester." Zögerlich hob Dany die Hand und begrüßte ihre Schwester mit einem ausschweifenden winken. "Hi Caro. Schön das Du da bist." Caro weitete ihre Augen und blähte ihre Nüstern auf. "Schön das ich hier bin? Sag mal, schön das Du noch lebst!" Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. "Warum gehst Du nicht einmal in deinem Leben an dein scheiß Handy ran! Seit Stunden versucht man dich zu erreichen."
"Du meinst seit Stunden versuchst Du mich zu erreichen." Sagte Dany bitter. Unter Caros unbehaglichem Starren schluckte sie und schrumpfte innerlich zusammen. "Mein Akku ist im Krankenwagen ausgegangen." Antwortete Dany kleinlaut. Selbst dem Arzt schien es unbehaglich zu werden. "Gut, ich lasse Sie alleine. Ich möchte, dass sie über Nacht hierbleiben." Mit wehendem weißem Kittel, der Dany an Sherlock Holmes sagenumwobenen Mantel erinnerte, verließ er den Schockraum. Dany wünschte, sie könnte der Situation vor ihr genauso einfach entgehen wie der indische Onkel Doktor.
Caro setzte ihre Handtasche am Fußende von Danys Untersuchungsliege ab. "Was genau ist denn eigentlich passiert?" Ma hat mich angerufen und gesagt Du hättest einen Autounfall gehabt." Caro setzte sich neben sie. "Wenn ich nicht nachgefragt hätte wo Du bist, hätte unsere aufgeregte Frau Mutter mir nicht mal gesagt, dass Du in Wolfratshausen bist.
"Mehr nicht?" Fragte Dany schuldbewusst. "Mehr nicht." Bestätigte ihre Schwester. "Ich habe gedacht Du liegst auf der Intensiv-Station mit einem Schlauch in deinem Hals, der für Dich atmet." Dany winkte ab, als sie die Unruhe und Erleichterung ihrer Schwester bemerkte. "Wow! Nein, alles ist gut!" Sie holte tief Luft um den Wortschwall zurückzuhalten, der sich in ihr angestaut hatte. Dany schaute Caro in die Augen und sagte so gefasst wie sie konnte: "Es war beängstigend und sicher eine Lektion für's Leben, aber mehr eben auch nicht." "Es ist nichts passiert, ich hatte Glück." Fügte Dany hinzu, als Caro ihre außerordentlich gut gemachten Augenbrauen hochzog. "Dein Auto ist Schrott!" Stellte diese knapp und in sachlichem Ton fest.
Diese nicht zu leugnende Tatsache nagte bereits an Dany, seit sie aus dem Beifahrersitz aus ihres Mini geklettert war. Sie wusste das es nicht gut aussah, hegte trotzdem die winzige Hoffnung, dass Lizzy noch repariert werden konnte. Caro erahnte Danys Gedanken. "Sag jetzt bitte nicht, dass Du Lizzy vermisst." Ihre Schwester starrte sie böse an. Dany erwiderte sehnsüchtig: "Ich will sie schon wieder befahren und mit Lizzy über die Straßen rauschen." Caro haute Dany fest in die Seite. "Aua, das tut weh!" Sagte Dany und fügte an: "Wofür war das denn?" Dann zählte Dany schließlich eins und eins zusammen. Sie war gerade vor knapp einer Stunde, wegen zu schnellen Fahrens, in eine heikle und lebensbedrohliche Situation geraten. Sie hob die Hände und entschuldigte sich. "Ich habe nicht nachgedacht… ." Caro seufzte.
"Was hattest Du überhaupt um halb ein Uhr nachmittags auf der Autobahn verloren, hättest Du nicht in der Agentur sein sollen? In deiner Arbeit?" Schließlich kehrte Dany damit in die harte Realität zurück. Was sollte sie jetzt sagen. "Ich wollte.. " Caro musste sie nur mit ihren starrenden unbequemen Augen fixieren und schon versagte Danys Mut. "Ich wollte zu meinem Therapeuten. Unterwegs habe ich gemerkt, dass ich meine Handtasche vergessen hatte und bin zurückgefahren. Jedenfalls war das der Plan, ehe dieser Bus vor meiner Windschutzscheibe auftauchte.
"Du bist in einen Bus gedonnert?!" Die Ablenkung wirkte und Caro war nun ganz von ihren eigenen Gefühlen eingenommen. Ihre Angst war zurückgekommen, das störte Dany zwar, trotzdem war es das kleinere Übel. "Naja nicht so ganz." Sagte Dany unbehaglich, als sie ihre Erinnerungen zum Unfall abruft. "Es hat stark geregnet. Ich habe überall Wasser gesehen, dann war da plötzlich der Bus und dessen Wasser war plötzlich auch noch da." Um ihre Aussage zu unterstreichen zeigte Dany aus dem Fenster des Schockraums. Draußen strahlte die Sonne durch einige Bäume direkt in ihr Fenster, an einem wolkenlosen Himmel.
"Aha das viele Wasser, verstehe." Sagte Caro trocken und ihr böser Blick war wieder in ihre Augen zurückgekehrt. "Du kannst die Unfallhelfer fragen, wenn Du mir nicht glaubst. Auf dem Weg hierher wäre einer fast in einen Fluss gefallen." Sagte Dany ärgerlich.
"Du bist in einen Fluss gefahren?!" Fragte Caro sarkastisch übertrieben. Dany verdrehte die Augen und erzählte ihrer Schwester den verbleibenden Unfallhergang. Dabei schönte sie einige Stellen in ihrer Geschichte, damit ihr allseits bekannter Hang zur Dramatik nicht die Überhand gewann. Am Ende saß Caro mit offenem Mund da. "Du hattest krasses Glück!"
Nach einiger Zeit legte Caro ihren Kopf in die Hände und begann zu schluchzen. Dany verdrehte die Augen. "Ist jetzt nicht dein Ernst oder?" Fragte sie und bereute es einen Moment später sich nicht auf die Zunge gebissen zu haben. Das ist Stressabbau für ihre Schwester. Caro nimmt sich die Zeit um ihre unbestätigten Ängste um Dany zu verarbeiten. "Tränen sind kein Zeichen für Verspottung." Hörte Dany in weiter ferne ihre Mentorin aus einem Training ihrer Selbsthilfegruppe sagen.
Beschämt klopfte Dany auf die Schulter ihrer Schwester um sie aufzumuntern. Doch Caro hatte sich schon wieder voll im Griff. "Sorry, dass war unangebracht von mir." Sagte Dany aus Furcht, sie könnte gleich nochmal eine verpasst bekommen. "Ach meinst Du?!" Antwortete Caro darauf, zog ihr Handy aus der Handtasche und prüfte ihr Gesicht in deren Kamerafunktion. Dann sah Caro sie wieder ernst an und sagte: "Weißt Du, Du hättest auch tot sein können." Die Schwestern sahen sich einige Momente lang an. "Ma ist am austicken. Das ist Dir ja wohl klar, oder?" Fragte Caro und verschränkte ihre Arme. "Natürlich." Erwiderte Dany ernst und nickte. "Ich habe ehrlich gesagt selbst nicht geglaubt, dass ich so leicht aus dem Auto und aus der gesamten Situation herauskomme." In ihrem Geist regte sich etwas, als ob ein Teil von ihr soeben erwacht war. Danys Sinne waren geschärft und sie konnte sich aus ihrer eigenen gefühl-ertränkenden chaotischen Welt für einen Moment befreien. Es war als ob jemand eine Mauer eingerissen hätte. Sie genoss den Frieden, der durch Dany hindurchströmte, wie ein Fluss, der sich von seinem Damm befreit hatte.
Diese Stille und Harmonie ihres Geistes dauerte leider nicht lange an. Draußen war plötzlich ein lauter Tumult zu hören. Eine aufgebrachte, hysterisch klingende Dame war zu hören. Sie verlangte laut: "Meine Tochter ist hier irgendwo! Bringen sie mich sofort zu ihr und bringen Sie mir ihren Vorgesetzten gleich mit!" Diesmal war es an Dany die Hände vor dem Kopf zusammenzuschlagen. "Da kommt sie." Sagte Caro und schaute in die Richtung der Stimme. "Ein kleiner Tipp: Lass den Teil weg, wo es Dich mit dem Auto über die Autobahn geschleudert hat. Sonst bekommt sie womöglich einen Herzanfall und wir müssen hier länger bleiben als geplant." Dany nickte und musste grinsen. Wenigstens konnte Caros schwarzer Humor sie immer wieder aufbauen, wenn Dany es alleine nicht vermag.
Kapitel 2 - Die Hölle (frozen in hell)
In einer anderen, weit entfernten, Welt hatte ein junger Mann ganz andere Probleme, von existenzieller Natur. Noch einen Tag zuvor war er sich sicher gewesen, dass es bald aus mit ihm sein würde. Dann hatte er es abermals geschafft Wasser zu finden.
In einer Welt, in der es viele Wolken, Stürme und schwere Unwetter mit Blitzeinschlägen gab hatte es seit er hier war noch nie geregnet.
Außerdem gab es hohe und spitze Gebirge, die seine Welt mit scharfen emporsteigenden Gipfeln wie scharfe Zähne ringsherum einkreisten. Ein ausgestorbenes Tal, dessen verendete Pflanzen und Bäume an einen Dschungel erinnert. Das Geäst war fossilartig eingefroren und vom grünen Charme des damaligen Pflanzenreichtums fehlte jede Spur. Der tote Dschungel endete an den Ufern eines vertrockneten Seebettes. Lange Risse zogen sich durch das orange-rote Steinwüste die in der Mitte des Sees zu einem Turm reichten. Der Turm ragte endlos in den Himmel und durchschlug sogar die Wolkendecke.
Ian war schon dort oben gewesen, als sein Körper und Geist noch ausreichend mit Energie versorgt gewesen waren. Seine Energie zog Ian aus der Luft und den, mit Elektrizität, aufgeladenen Wolken, doch ohne der ausreichenden Zufuhr von Wasser entstand keine richtige Luft. Also hatte diese Welt zwar Luft zum atmen, doch war sie nicht stark genug um Ian eine Möglichkeit zu geben, seinen natürlichen Lebensstil zu leben.
Dann hatte er einen weiteren Tümpel gefunden der Wasser aufwies, zwar verdorben, aber er war auf seine letzten Jahre hin nicht sehr wählerisch. Was für einen Vertreter der Gattung der Wassermänner vielleicht auf den ersten Blick nicht passen würde.
Immerhin musste er zugeben, sie waren wählerisch und auch etwas angeberisch. Seltener hin war er eingebildet, aber nach außen hin konnte sein Charme und seine Selbstsicherheit als eingebildet gelten. Ian umgab die Ausstrahlung eines Einhorns, zumindest hatte er das Fabeltier oft im Zusammenhang mit seinem Zodiac Zeichen, dem Wassermann, gehört. Er hielt diesen Vergleich für sehr passend, denn Seltenheit gebot ihm sein Stil, der meistens alles andere in den Schatten stellte. Sei es nun modern, abstrakt oder sogar morbide.
Aber als dieser Mann, hatte sich Ian schon lange nicht mehr präsentieren können. Hier in dieser Hölle von ausgestorbener Welt konnte er keinen Fuß vor die Tür setzen. Wortwörtlich konnte er das nicht mehr. Denn er war ein Kardinalszeichen der Luft. Das hieß Kommunikation.
Er sprach über 30 verschiedene Sprachen und keine davon half ihm in seiner Abgeschiedenheit. Das Gefühl für Zeit hatte Ian längst verloren. Sein Äußeres war bis auf Lumpen heruntergekommen. Seinen Bart stutze er mit scharfen Steinen die er in der Welt finden konnte und schnitt dann meist eher in sein Gesicht bei dem Versuch die Bart Stubbeln zu stutzen. Seine dunkelblonden Haare wiesen eine erstaunliche Länge, für einen Mann, auf. Darauf bestand er, sie machten ihn einzigartig. Doch auch die Pflege seiner Haare ließ natürlich zu wünschen übrig. So ganz ohne Pflegemittel funktioniert es nicht.
"Das hätte alles ganz anders laufen sollen." Sagte Ian laut zu sich selbst. Immerhin konnte er noch sprechen. Ein kleiner Trost in seiner Gefangenschaft. Er setzte sich auf den toten Flecken Erde an Boden wo er stand und saß doch nicht am Boden. Ian saß im Schneidersitz auf halber Höhe über dem Boden. Ach ja, schweben konnte er auch noch. Dazu brauchte er nicht mal seine Flügel. Nicht das er sie ohne sauberer Luft benutzen konnte, trotzdem fragte er sich manchmal ob er aus dieser Welt mit dem einsamen steinernen Turm entkommen könnte, wenn er nur hoch genug kam.
Ian hatte es bereits ausprobiert und war weit gekommen. Trotzdem hatte er nur begrenzt Energie und damit Zugriff auf seine Flügel. Wenn sie hoch in der Luft verschwanden, würde er unweigerlich in seinen Tod stürzen. Also sparte er lieber seine Energie auf und hoffte auf ein Wunder. Bis jetzt hatte er nicht die geringste Idee, wie dieses Wunder aussehen könnte. Er kannte jemanden der helfen könnte, doch dieser jemand ist im Turm gefangen.
"Zehn Jahre ist es nun her." Sagte Ian laut zu sich selbst und betrachtete dabei sein Handgelenk. Das war sein Fluch. Denn Ian wusste genau welcher Tag heute war und wie viel Zeit er bereits in jener fürchterlichen Welt gefangen war. "Hättest Du damals geahnt wie es letztendlich kommen würde?" Ian stellte seine Frage an die Person im Turm und versank in Bildern der Vergangenheit - Es waren schöne Bilder.
Ein lautes Raunen, gefolgt von einem Beben der Erde führte seinen Verstand zurück in seine Realität. Der Turm ächzte und kleine Steine fielen herab in den versiegten See. Staub wirbelte vom vertrockneten See auf. Ian brauchte einige Momente, bis sein Kopf die plötzliche Aktion realisierte. So wenig war ihm in den letzten Jahren passiert. Er dachte es handle sich dabei um eine Art Fata Morgana, bis sich große Brocken vom Turm lösten und hinabstützten.
Ian ließ sich von seinem Schneidersitz auf den Boden in den Stand gleiten und starrte mit offenem Mund zum Turm hinüber. In seinem Geist erwachte eine Stimme die mahnend und eindringlich sagte: "Der Turm darf nicht fallen. Die Welt darf nicht sterben."
"Katharina?" Fragte Ian verdutzt. Nein, das war nicht die Jungfrau. Ihre Stimme war weicher als die in seinem Kopf.
Weitere große Felsen flogen von weiter oben herab und durchstachen die Wolkendecke, sodass Ian den Himmel dahinter ausmachen konnte. Er konnte Sternenlichter erkennen. "Der Turm darf nicht fallen." Wieder diese vertraute und doch unbekannte mahnende Stimme in seinem Kopf.
Na Gut, dachte er sich und materialisierte seine Flügel indem er seine aufgesparte Energie freisetzte. Ian entledigte sich einige seiner Lumpen und stieß sich vom Boden ab in die Luft.
Er drehte sich einmal um die Achse im Steilflug nach oben und begutachtete seine Flügel. Sie waren genauso heruntergekommen wie er selbst, verschmutzt und bei jedem weiteren Flügelschlag drang Staub aus ihnen. Das Gefieder war in Ordnung, stark und schnell musste er sein. Schön musste es nicht aussehen, es konnte ihn sowieso keiner sehen.
Ian rechnete im Kopf seine Möglichkeiten durch und wie viel Energie er über die Jahre hinweg angesammelt hatte. Würde er damit arbeiten können? Er zog sich mit jedem weiterem Schlag seiner Flügel weiter hoch in die Luft. Große steinerne Brocken fielen hinab, ihm entgegen. Er erzeugte Luftschnitte, indem er sich schnell über Kopf oder die eigene Achse drehte. Diese durch das Licht gebrochenen Speere, konnte mit dem bloßen Auge kaum erkannt werden. Nur die Augen eines Zodiac Zeichen der Luft konnte die Lichtreflektion für kurze Zeit filtern. Die Kraft eines Luftschnitts reichte aus um die Felsen in kleinere Steine zu brechen. Je kleiner die Steine wurden, desto weniger konnten sie das ausgetrocknete Seebett beschädigen, oder den Turm, der darauf stand und zerfiel.
Kapitel 3 - Gerüchte und andere Kleinigkeiten (some things will never change. except everything.)
Dany wurde von Minute zu Minute unruhiger. Es war spät am Nachmittag, sie hatte ein Zimmer im Krankenhaus belegt. Viel lieber hätte sie sich in ihrer kleinen zwei Zimmer Wohnung in München verkrochen. Dany saß aufrecht im Bett, ihre Arme vor der Brust verschränkt. Sie konnte die Uhr unangenehm ticken hören. Tick, Tack. Tick Tack. Das Ticken der Uhr war bei weitem nicht das einzige unangenehme Geräusch im Zimmer. Sie hatte Bettnachbarn. Eine pflegebedürftige ältere Dame lag neben ihr auf einigen der flauschigsten Kissen die Dany je gesehen hatte und vor ihr saß eine Frau auf ihrem Bett. Vermutlich war die Dame Ende vierzig. Die ganze Zeit über diskutierte sie schon mit ihrem Freund. Größtenteils ging es über ihre Schmerzen, sie war einen Tag zuvor mit einem Bandscheibenvorfall eingeliefert worden. Als die beiden kein Wort mehr darüber verlieren konnten, rätselten sie ob sie mit dem Hubschrauber eingeflogen worden war. Zugegeben: Wenn Dany ihre Augen offen gehabt hätte, hätten sie sich wohl gehütet solche haarsträubende Theorien über den Autounfall in lauter Zimmerlautstärke zu posaunen.
Dany stellte sich schlafen, sie konnte nicht anders. Immer noch hegte sie die leise Hoffnung, jede Minute von einem fürchterlich verkorksten Traum aufzuwachen. Danach würde sie einfach in die Arbeit gehen, oder zum Arzt. Je nachdem. Ihrer Wirbelsäule ging es nicht gut. Seit einem erneuten Sturz vor einigen Tagen schmerzte ihr jede noch so kleinste Bewegung.
Als ihre Gedanken zurück zu ihrer Arbeitsstelle flogen, klatschte sie ihre Hände gegen die Stirn und ächzte laut. Sie wollte jetzt nicht daran denken. Zu spät wurde ihr klar, dass sie ihr Versteck vor der Realität verlassen hatte. Alle starrten sie an. Die alte Frau und das laut schwatzende Paar gleichermaßen. Dany fiel nichts anderes ein, als ein zögerliches "Hi!" auszusprechen.
Die pflegebedürftige Dame lachte leise krächzend auf, während die Frau vor ihr sie einfach nur anstarrte. "Gut geschlafen?" Fragte diese. Sie hatte fettig glänzendes schwarzes Haar, das ihr bis zur Brust reichte. In ihrem Krankenhaus Nachthemd wirkte sie leicht legier. Ihr passte es wenigstens. Ihr Partner, ebenfalls in den Vierzigern, kratzte sich seinen kahlen Kopf und schaute abwesend aus dem Fenster. Er wollte sich wohl aus der kommenden Konversation zurückziehen.
Dany fand ihre Stimme schließlich wieder und murmelte verlegen: "Ich habe nicht geschlafen. Nur so getan als ob." Eigentlich wollte Dany mit einer knappen Antwort das beginnende Gespräch im Keim ersticken. Erstaunt stellte Sie fest, dass sie sich ohne der Notlüge besser fühlte. Angreifbar und ungeschützt, aber auf eine gute Weise. So fühlte es sich jedenfalls für sie an.
"Du hast doch den Unfall auf der Garmischer Autobahn verursacht. Die bist Du doch, oder?" Fragte die schwarzhaarige. Dany nickte und zog ihre Knie nah an sich heran. Ein Schutzreflex. Sie war sich bewusst, dass sie dadurch verunsichert wirken musste, aber das war ihr im Moment egal. Dany durchfuhr ein komplett neues Spektrum an Gefühlen, die sie der Situation angemessen verarbeiten musste. "Lieber einmal durch den Sturm, als davor wegzurennen." Hallte die Stimme von Danys Selbsthilfegruppen Mentorin ihr durch den Kopf. Sofort fühlte sie eine leichte Unbeschwertheit bei den Gedanken an ihre ehemalige Schutzpatronin.
"Ich mag keine Menschen, die verantwortungslos im Straßenverkehr handeln." Stellte die Frau auf einmal trocken klar. Ihr Partner verdrehte die Augen, griff aber immer noch nicht in die Konversation ein und schaute weiterhin aus dem Fenster. Dany war geschockt nach dieser sehr direkten und ehrlichen Aussage. Dachte die Frau vielleicht, es mache ihr Spaß ihr Auto bei Regen in irgendwelche Reisebusse zu manövrieren? "Ich bin seit vorgestern hier. Konnte mich plötzlich nicht mehr bewegen." Dany sah verwirrt zu der Frau. "Ach ja, ich heiße Kirsten."
"Bist bei dem Regen in Aquaplaning geraten, was?" Fragte ihr Mann beschwichtigend. Er hatte sich in das Gespräch eingeklinkt. Dany schickte einen stilles Dankgebet gen Himmel. Sie nickte und bejahte die Frage ebenfalls laut und deutlich. "Ich hatte eine Schrecksekunde, die zu lange gedauert hat. Danach hab ich die Kontrolle verloren, war komplett machtlos." Was Dany ja auch war, wenn sie an den Unfall zurückdachte.
"Wo ist dein Sidekick hin?" Fragte Kirsten. "Sidekick?" Fragte sich Dany verwirrt. Sie meinte bestimmt Caro und ihre Mutter. Wahrscheinlich durchsuchten sie gemeinsam ihre Wohnung nach Wäsche, Schlafanzügen und einer frischen Zahnbürste. Dany war zwar damit einverstanden gewesen, dass sie ihr Sachen ins Krankenhaus brachten und trotzdem fühlte sie sich unwohl dabei. Sie hatte nichts zu verbergen und dennoch war es vorgekommen, dass sie über eine dritte Person an zu persönliche Infos zu ihrer eigenen Person gekommen war. Meistens betraf das banale Dinge wie Liebeskummer, gelegentliche Aufenthaltsorte oder Situationen deren man sich anscheinend und am besten todschämen musste. Irgendwann hatte Dany beschlossen: Keiner hat etwas in ihrer Wohnung zu suchen, solange sie nicht dabei war. Nun war das schwer umzusetzen, wenn man so neugierige Familienmitglieder hatte wie sie. Was leider gerne in Frustration endete, für alle Beteiligten.
"Sie holen mir so.. Alltages Zeug." Sagte Dany und ärgerte sich sogleich ihrer Wortwahl. Es kam oft vor, dass die Wörter der eigentlichen Bedeutung nicht zu ihr kamen, wenn sie sie brauchte. Verwundert runzelte Kirsten die Stirn. Ihr Partner lachte laut los und sagte: "Sie meint Wäsche und Zahnpasta, Kirsten. Eben Zeug, dass Du jeden Tag brauchst." "Ich weiß was sie meint Ernst!" Antwortete Kirsten beinahe gereizt. Ein kurzes Schmunzeln hellte ihre ernsten Gesichtszüge auf.
Es klopfte an der Tür und gleich darauf betrat Caro das Zimmer, bepackt mit zwei großen Einkaufstüten. Dany starrte die großen Tüten an. "Da ist aber mehr, als nur Zahnpasta und Kleidung drin." Stellte Kirsten fest und schaute mit großen Augen auf die Tüten. Caro beachtete sie nicht. Dany konnte einen starkes Gefühl der Verärgerung bei ihrer jüngeren Schwester spüren. "Also ey!" Caro ließ die Tüten mit einem lauten Krachen vor Danys Bett fallen und stemmte sich die Hände in die Seiten. Dany zog die Augenbrauen hoch und betrachtete Caro mit wachsender Neugier. "Bitte tu mir den Gefallen und fahr das nächste Mal vorsichtiger. Unsere Frau Mutter ist am durchdrehen und hat beinahe den nächsten Drogeriemarkt aufgekauft!" Schnaubte Caro verärgert. "Der arme Verkäufer hat vermutlich gekündigt." Fügte sie hinzu.
Dany stand auf und schaute in die Tüten. Bei dem Versuch sich zu bücken knackste merklich ihr Rückgrat. Sie beschloss sich lieber wieder auf das Bett zu setzen. Augenscheinlich hatte Caro nicht übertrieben, der Inhalt der Tüten hätte ihr für eine Woche Urlaub gereicht. Sie konnte außerdem neue Unterwäsche, Schlafanzüge und mehrere Zahnbürsten sehen. Dany drehte sich zu Kirsten. "Es sind sogar fünf Zahnbürsten." Diese zog die Augenbrauen hoch und antwortete: "Auf die Begründung bin ich gespannt." Ernst schüttelte grinsend den Kopf und wandte sich abermals der Welt außerhalb des Krankenhauszimmers zu.
"Die kann ich euch geben." Schnaubte Caro mit verschränkten Armen vor der Brust. "Als der zuständige Arzt gesagt hat, er möchte Dich eine Nacht zur Beobachtung dabehalten, hat sie wohl noch einige Nächte dazu addiert." Caro ließ sich mit einem erschöpften Seufzer neben Dany auf das Bett fallen. "Nur zur Sicherheit natürlich." Fügte sie knirschend hinzu. "Eure Mum hat was von einer Helikoptermutter, was?" Fragte Kirsten die Geschwister. Dany und Caro tauschten Blicke und schauten mit einem Ausdruck zu Kirsten, der nur eines bedeuten konnte: "Du hast ja keine Ahnung… ."
"So!" Eine energische Stimme hallte draußen, vor der offenen Tür, durch den Krankenhausflur. Dany und Caro sahen beide ein wenig besorgt aus. "Endlich bin ich da." Die Helikoptermutter hatte das Krankenhauszimmer beteten und brachte eine weitere prall gefüllte Tüte mit sich. Dany war fassungslos: "Ma! Ich habe nicht vor im Krankenhaus einzuziehen. warum in aller Welt bringst Du mir Proviant für den Rest des Jahres mit?" "Weil ich es kann, liebe Tochter und Du hast nichts gescheites in deinem sogenannten Zuhause." Sagte Danys Mutter mit weit vorgeschobenem Kinn und einer alarmierend hohen Stimmlage. "Habt ihr wieder meine Wohnung durchsucht… ?" Fragte Dany gereizt. Einen Moment später bereute sie dies laut gesagt zu haben. "Geht das schon wieder los?!" Ihre Mutter wurde mit jedem Wort noch lauter, bis ihre Stimme wieder auf den Fluren vor dem Zimmer deutlich zu hören war. Caro seufzte und Dany dachte: "Here we go… ."
"Wir haben dir lediglich beim packen geholfen, schließlich ziehst Du in spätestens zwei Monaten aus." Sie hatte Recht, doch so ganz stimmte diese Aussage nicht. Die beiden waren gemeinsam, ohne Danys Wissen und als sie vorsätzlich nicht in ihrer Wohnung war, nach München gefahren und haben angefangen ihre Wohnung auszuräumen. Dany hatte das überhaupt nicht gefallen und leider niemanden in Reichweite gehabt mit dem sie darüber reden konnte. Weil sich in ihrer Familie alle einig waren: Sie waren Helden und man hätte ja nichts falsch gemacht. Leider konnte Dany darauf ihre Wut nicht zügeln, was in einem emotionalen Facebook-Post resultierte. Blöderweise hatten Verwandte ihrer Familie den Post auf Facebook gesehen und dann darauf angesprochen. Leider hatte es Dany noch mehr in Schwierigkeiten gebracht und ihr Selbsthass und ihre Unsicherheit war ins unermessliche gestiegen. Seitdem war das Vertrauen auf beiden Seiten stark gesunken. Wenn Dany ihr seelisches Supportsystem nicht gehabt hätte, wusste sie nicht was sonst passiert wäre. Leider war ihr Supportsystem nicht allgegenwärtig und natürlich auch nicht lückenlos, wie sie nach dem heutigen Tag bitter feststellen musste.
Dany schloss die Augen und bereitete sich auf eine hysterische Szene ihrer Mutter vor. Schließlich waren durch den Autounfall sämtliche Nerven aufgewühlt und angespannt, was die Gesamtsituation natürlich enorm erschwerte. "Sie haben da aber viel eingekauft. Da fühle ich mich ja fast als Ehemann zweiter Klasse." Ernst hatte sie alle gerettet. Caro sah mit einem breiten grinsen erst zu Dany, dann zu ihm herüber. Die Mutter der beiden Geschwister sah verwirrt zu dem Paar hinüber und realisierte, dass sie gar nicht unter sich waren. Ernst sagte: "Ich hab meiner Frau nur ein Paar Schuhe und eine Zahnbürste mitgebracht. Zugegeben war ich auch etwas gestresst, in dem Wissen das Kirsten im Krankenwagen und mit Blaulicht ins Krankenhaus chauffiert wurde."
"Das Gefühl kenne ich." Sagte Danys Mutter und zeigte beiläufig auf ihre ältere Tochter. Die machte ein schuldbewusstes Gesicht. "Sie können sich gerne was von uns nehmen." Ernst stand auf und kam ihr einige Schritte entgegen. "Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bin Ernst und das ist meine Frau Kirsten." Stellte er sich ihnen vor und Kirsten winkte freundlich hinter ihm. "Ich heiße Gabriele." Stellte sich Danys Ma vor. "Darf ich da mal reinsehen?" Fragte Ernst und zeigte auf eine der Tüten. Dany nickte und hielt ihm die Tüte auf. Ernst sah hinein und lächelte. "Gute Frau, Sie haben sich ja auf einen Weltuntergang vorbereitet!" Stellte er fest.
Caro und Dany tauschten einen amüsierten Blick. "Einen guten Mann haben Sie da." Sagte Gabriele zu Kirsten. "Ich weiß." Antwortete diese. "Manchmal ist er etwas frech, wenn er seine Grenzen austestet. Aber es lässt sich gut mit ihm leben." "Es lebt sich mit mir schließlich schon gut seit über 15 Jahren Schatz." Fügte Ernst mit einem aufgesetzten leicht schockiertem Gesicht hinzu.
Es klopfte abermals an der Tür und eine geschäftige Krankenschwester betrat das Zimmer. "So, es ist Zeit für die Blutentnahme." Sagte diese mit einer angenehmen sing-sang Stimme. "Fangen wir gleich bei Ihnen an." Die Krankenschwester ging auf Caro zu und hielt nach zwei Schritten verdutzt inne. "Wo haben sie denn ihr Krankenhausleibchen gelassen?" Fragte sie verdutzt.
"Oh! Ich bin keine Patientin. Da ist die Patientin!" Sagte Caro laut, sprang vom Bett und deutete auf Dany. "Dann setzten sie sich mal, nicht dass Sie mir noch umfallen." Sagte die Krankenschwester und wies auf Danys Krankenbett. "Sie sind ja weiß wie eine Wand, was ist Ihnen denn widerfahren?"
Kirsten übernahm die Antwort: "Der Autounfall auf der Autobahn auf Höhe von Wolfratshausen. Das war sie!" Dany schloss die Augen und hoffte, dass der Tag ganz schnell vorbei gehen würde. "Ach Sie waren das?" Fragte die Krankenschwester, wartete aber keine Antwort ab und sagte: "Naja, solange sie heil geblieben sind, ist alles in Ordnung." Danys Mutter nickte mit Nachdruck und stellte die Einkaufstüten aus dem Weg, damit sie alle sich im Zimmer besser bewegen konnten. "Dann Ärmel hoch." Diktierte die Krankenschwester und verscheuchte Caro von Danys Seite.
Dany setzte sich an die Bettkante. Seitdem sie sich in der Arbeit auf einen Stuhl gesetzt hatte und der unter ihr weggesackt ist, auch noch vor den Augen ihres Schwarms, hatte sie jedes Mal die Befürchtung es könne wieder passieren. Doch zu Danys Verblüffung blieb das Bett natürlich heil. "Jetzt entspannen Sie sich bitte, Sie laufen ja schon blau an." Die Krankenschwester machte sich an Danys bereits gelegten Zugang zu schaffen und hatte in wenigen Momenten 5 Ampullen Blut. Dany wunderte sich wofür sie so viel Blut von ihr benötigte, fragte aber nicht nach. Die werden schon wissen was sie tun, dachte sie. Selbst Caro runzelte verwundert die Stirn, sagte aber nichts. "So, das war's." Stellte die Krankenschwester in ihrer Singsang Stimme fest und ging zu Kirstens Bett hinüber um dort weiterzumachen.
Die Krankenhauskleidung, die Dany seit ihrer Einlieferung anhatte, war für sie als stark übergewichtige Person nicht tragbar, wortwörtlich. Plötzlich wurde ihr klar, warum ihre Mutter Kleidung und Unterwäsche in mehreren Größen gekauft hatte. "Welche Größen haben die Schlafanzüge?" Fragte Dany laut und betrachte nachdenklich die Tüten. Danys Mutter sah sie an und ging abermals voll in ihrer Rolle auf: "Also ich habe mehrere gekauft. Caro! Bring mal die Tüten aufs Bett!" Caro verzog eine Miene, ging der Aufforderung allerdings nach und legte die Sachen aus den Tüten vor Dany auf das Bett.
Dany musterte die verschiedenen Utensilien aus der Tüte. Ihre Mutter sagte etwas, aber sie hörte nicht wirklich zu. Ihre Hände fanden drei verpackte Schlafanzüge. Sie waren alle in einer dunklen Farbe gehalten, einer hatte ein geblümtes Muster und ein anderer hatte einen filigranen Schriftzug auf dem Hemd: "Ich warte nicht auf einen Prinzen. Ich nehme das Pferd!" Daneben war eine Strichzeichnung eines Pferdes und einer darauf sitzenden langhaarigen Frau mit einem breiten Smileygesicht abgebildet. Dany gefiel die Idee hinter dem Gedankengang und schaute auf die Kleidergröße, 62/64. Der würde ihr passen. Sie riss die Verpackung auf. Caro hielt ihr eine Schere für die Etiketten entgegen, sie nahm die Schere und schnitt sie weg.
"Du kannst Dich auf im Bad umziehen." Sagte Caro und nickte mit dem Kopf zur Zimmertoilette hinüber. Dany stand auf, ging langsam in das Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie streckte die Hand aus um die Tür zu verriegeln, hielt dann aber inne. "Voll überzogen!" Dachte sie sich und sah sich im Bad um. Es war sehr geräumig. Neben einer Toilette und einem großen Waschbecken gab es eine hohe Dusche, die behindertengerecht ausgestattet war. Dany war beeindruckt. So eine Ausstattung hätte sie in keinem Krankenhaus vermutet. Sie zog die ihr viel zu kleine Patientenkleidung aus und entschied sich zu duschen. "Wasser ist immer gut." Sagte Dany laut zu sich selbst und hielt die Duschtür auf. Dabei erhaschte sie im Spiegel gegenüber einen kurzen Blick auf ihren beleibten Körper. Bei dem Anblick ihres sich stark ausgedehnten Körpers sank Danys Mut. Sie wandte sich ab und drehte die Wasserhähne der Dusche auf, bis die richtige Kombination aus heißem und kaltem Wasser aus der Brause über ihr strömte. Das Wasser verteilte sich in ihrem Haar und sie genoss, wie das lauwarme Nass auf ihren Körper ergoss. Dabei versuchte sie das Bild von sich selbst, das ihr in den Sinn kam zu verdrängen. Es war kein schöner Anblick und das Bild fühlte sich falsch an. Sie hatte keine Ahnung wie andere Leute in ihrer Haut es schafften sich selbst zu akzeptieren. Viele Diäten hatte sie bereits ausprobiert, aber letzten Endes verfing sie sich nach einer Weile immer wieder in Selbsthass. Einige Momente verharrte sie unter der Dusche, dann blickte sie nach oben. Vorhin schon hatte Dany gegen Tränen kämpfen müssen und befürchtete, dass sie jeden Moment wieder zurückkommen würden. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihr aus. Eine Szene begann sich direkt vor Ihren Augen abzuspielen. Allerdings konnte sie nicht sagen, woher diese Gedanken und Bilder so plötzlich kamen. Sie fühlte sich in Aufruhr und eine eiskalte Angst krabbelte ihr den Rücken hinunter, die sicher nichts mit dem Wasser zu tun hatte, das ihr über den Körper strömte.
"Lass mich hier raus!" Ein lauter Hilfeschrei hallte in Danys Verstand wieder und es fühlte sich an, als ob ihr jemand mit Wucht ins Gesicht geschlagen hätte. Die Stimme klang vertraut in Danys Ohren, doch sie konnte sie nicht zuordnen. Bevor sie überhaupt hätte lange darüber nachdenken können passierte weiteres rätselhaftes. Sie verlor die Kontrolle über ihren Körper. Sie stand neben sich und blickte auf sich selbst. Mal wieder stellte sie mit Entsetzen fest, wie breit sie geworden war. Doch viel faszinierender war, was die Dany neben ihr mit flüsterte: "Der Turm darf nicht fallen." Eine pulsierende leicht rote Aura ging von ihr aus. Plötzlich verstand Dany was vor sich ging: Eine tiefe Trance hatte Besitz von ihrem Körper ergriffen und ihren Geist vertrieben. Sie war in ihren Astralkörper transzendiert. Trotzdem fragte sie sich, warum sich ihr Körper dann regte. Konnte ein Astralkörper nicht nur entstehen, wenn der Körper entweder tiefenentspannt war oder ruhte?
Jetzt fragte sie sich abermals, ob der bisherige Tag doch ein Traum war und ob sie nun jeden Moment aufwachen würde. Die Faszination verschwand. Panik, Hilflosigkeit und Verzweiflung ermächtigte sich ihrer Gedanken und viele Stimmen redeten auf sie ein. Als ob jemand einen Funk angestellt und die Verbindung zu in Leuten in todbringenden Schwierigkeiten hergestellt hätte. Sie sah einige Szenen aus verschiedenen Perspektiven. Einen Turm der zusammenbrach. Sie wirbelte durch die Luft. Große Trümmer flogen auf sie zu, doch bevor sie Dany erreichen konnten zerstoben sie in einem weißen Blitz, einem Windfunken wie ihr in den Sinn kam, zu Nichts. Verwirrt versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, als sich die Szene abermals änderte. Diesmal stand sie in einem pompösen Zimmer. Die Wände um sie herum rissen ein und die Decke fiel herab. Dany vermutete, dass sie sich diesmal in dem Turm befand. Die Deckenbeleuchtung, eine große Öllampe, gab nach und fiel herab. Mit einem großen Satz sprang sie darunter fort in einen anderen Teil des Raums. Dany wäre verwirrt und verwundert gewesen, fühlte stattdessen aber Verzweiflung und große Angst. Das mochte für Dany nicht wirklich zusammenpassen, denn Sie befand sich ja in einem Traum und konnte sich deshalb nicht so bewegen wie sie wollte, oder fühlen was sie fühlen sollte. Vermutete sie.
Ihr Kopf wurde mit einer geführten Bewegung zur Seite gewandt und sie starrte in einen großen an der Wand hängenden Spiegel. Kastanienbraune Augen und das Gesicht einer fremden Frau starrten zurück. Dany kippte innerlich die Kinnlade herunter. Die junge Frau, Dany schätzte sie in ihrem Alter hielt sich selbst im Arm und blickte panisch um sich. Tränen rannen über ihr hübsches feminines Gesicht. Die Symmetrie ihres Gesichtes war beinahe perfekt. Dany stellte fest, dass sie noch nie ein hübschere Frau gesehen hatte: Brünette, kurzes Haar schöner Körperbau und trotzdem wirkte sie nicht gerade petite. Die Frau trug die seltsamste Kleidung, die Dany je gesehen hatte. Insgesamt wirkte Sie allerdings sauber. Ein starker Beschützerinstinkt regte sich in Dany und gesellte sich an die gleiche Stelle wie das Gefühl aus dem Traum aufwachen zu wollen. Sie wollte den Traum so lange nicht verlassen, bis sie die hübsche Frau vor ihr im Spiegel in Sicherheit wusste. Danys Aufmerksamkeit zog sich zu den Lippen der Frau die sich im Spiegel bewegten. Eine Stimme erklang in ihrem Kopf, dieselbe die zuvor den lauten Hilferuf ausgestoßen hatte. Verdutzt betrachtete Dany sich im Spiegel, die körperlich zu der Frau im Spiegel mutiert war. Ihre Stimme hatte eine Art krächzen im Nachklang. Was nicht wirklich zu ihrer bildhübschen Erscheinung passte. "Ich kann nichts sehen." Konnte Dany die Frau verängstigt flüstern hören. Sie erkannte, dass die Frau nichts von ihrer Existenz spüren konnte. Für sie war alles in Ordnung, abgesehen davon, dass ihr Zuhause über ihr einstürzte. "Wo kommt all das Wasser her?" Dany dachte verwirrt an Wasser, dann traf sie die Erkenntnis: Die hübsche Frau im Spiegel fühlte wohl, wie Dany im Krankenhausbad unter der prickelnden Dusche stand. Also bestand die merkwürdige Situation doch auf Gegenseitigkeit.
Dany spürte weiterhin die Angst und Verzweiflung die von der jungen Frau in Wellen ausgingen. Sie hatte empathische Wechselwirkung bereits am eigenen Leib erfahren und trotzdem schoss die Energie mit einer Intensität durch sie hindurch, die Dany noch nie erlebt hatte. Sie konzentrierte sich mit aller Kraft auf ihre eigenen Gedanken, sowie Gefühle und musste sich gegen die reißende Strömung stemmen um nicht im tosenden Gewässer der Emotionen unterzugehen und zu ertrinken.
Von der Decke löste sich ein großer Brocken. Dany verfolgte entsetzt im Spiegel, wie das große Stück direkt auf die Frau und sie selbst herab fiel. Doch die Frau rührte sich nicht von der Stelle. Danys schwache Reflexe reagierten dafür ausnahmsweise sofort und wie von selbst löste sie sich von dem Körper, der sie eben noch beherbergt hatte. Sie rempelte die Frau mit den eindrucksvollen kastanienbrauen Augen um. Verblüfft richtete sie sich auf. Dany war Gesicht an Gesicht auf ihr gelandet. Verdutzte kastanienbraune Augen fanden ihre eigenen und Dany vermutete, dass als sie sich vom Körper befreit hatte die Frau unter ihr wieder in ihren eigenen zurückgekehrt war. Beide starrten sich einige Momente lang verdutzt und erschrocken an.
Ein schweres Gewicht prallte auf Dany. Kurz fühlte sie den Schmerz und schrie laut auf. Die Frau unter ihr berührte Danys Stirn und zog mit dem Zeigefinger eine glatte Linie darüber. Plötzlich stand sie wieder unter der Dusche und krachte rückwärts gegen die Duschkabine. Sie spürte wie das Gefühl in ihren Körper zurückkehrte und gleichzeitig wie ihre Kräfte sie verließen. Keuchend stieß sie die Duschtür auf. Das Wasser plätscherte hinter ihr unaufhaltsam auf den Keramikboden. Sie konnte keinen weiteren klaren Gedanken mehr fassen. Alles um Sie herum drehte sich und sie spürte wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Dann wurde alles schwarz.
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