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30 Jahre Deutschland - Eine Abrechnung

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01.08.19 22:51
Fertiggestellt

Ich bleibe an der Haustür steh’n
Um mich verstohlen umzuseh’n
Die Tür ist zu, die Wohnung leer
Da fällt der Abschied halb so schwer

 

30 Jahre Deutschland und
Schon wieder hat man allen Grund
Den Kopf hart im 4/4-Takt
Gegen eine Wand zu schlagen
Im Keller hat man sie verbracht
Mit Weißbierfest und Rausch-Ausschlafen

 

So lockt die reine Gegenwart
Bevor es uns verlegen macht
Die Leugnung, die sie stets enthält
Mit klarem Durchblick einzusehen
Hat Wohligkeit sich eingestellt
Die Spannung für sich einzunehmen

 

Dem kollektiven Vergessen
Folgt der Wunsch nach fehlerfreiem Denken
Nach unhinterfragten Geschenken
Vereinnahmung durch einen lenkenden
Sich mit uns schmückend-verrenkenden
Staat, an den man sich schmiegen und messen
Soll
Kein Reiben, kein Widersetzen
Replace disciplin with control

 

So wird mein Ich zum Kerker und
Die Welt zur Wand, die Wand nur bunt
Als Feigenblatt und Trotz zum Stolz
Vielfalt zum Schubladendenken
Das hat niemand je gewollt
Harmlos ist das Fähnchen-Schwenken

 

Ein Strudel aus Bestätigungen
Verspäteter Entschädigungen
Der sich selbst zerstören wird
Kann für Ende und Erlösung sorgen
Wenn er trennt, bevor da stirbt
Was unheilig verbunden wurde

 

Mit Erwartungen aufgeladen
Nur ein X für alle und keinen
Ohne Bezug nach Außen verweilend
Die Seele verkaufen und teilend
Mit allem und alles verzeihend
So lange der Kunde noch zahlen
Kann
Keine Schwäche und kein Verzagen
Mein Schicksal, ich arbeite dran

 

Von allen Gedanken schätz ich doch am meisten, die von den anderen
Ich trete zurück hinter mein Werk
Entleere, was sich noch verbirgt
In meiner zerfressenen Seele
Wo Sehnsucht nach Maß und Mitte
Einer friedvoll, behäbigen Szene
Die Grenzen zwischen Befehl und Bitte
Zerfließen und vergehen lässt
Selbst Journalismus ist Geschäft

 

Nationen als Schicksalskörperschaften
Den Zustand uns verkraften lassen
Der Solidarität ersetzt
Und körperlos sich auf und legen
Will und uns dabei verletzt
Aus Angst, wir könnten uns erheben

 

Ich vernagel die Fenster meiner Seele
Mir reicht es, wenn an meiner Stelle
Jemand mich repräsentiert
Persönliche Beteiligungen
Sind maßlos nur, so scheint es mir
Ein Leben mit Bescheinigung

 

Liberal bis zur Versklavung
Keine Fragen, nur noch Deutung
Selbstverantwortliche Leugnung
Zurückgezogene Vergeudung
Harmoniesucht ohne Zeugen
Vertrauen birgt die Angst vor Strafen
Wenn
Die Freiheit, nichts zu sagen
Uns zum Schweigen bringen will

 

Kein Bezug zu Deutschland, doch
Je öfter man es wiederholt
Gibt man ihm eine Existenz
Zu der man sich zu verhalten sträubt
Kritik ist nicht nur Instrument
Auch dem Opfer stets ein Zeuge

 

Der Nation zuvorgekommen
Auf Werte auch Bezug genommen
Moral ist auch ein Argument
Aus Angst, man könnt’ sie falsch besetzen
Aus Angst, man werden bloßgestellt
Denn dieser Raum hat keine Ecken

 

Vorauseilender Gehorsam
Faschismus aus Angst vor Faschismus
So nehmen sie dich in Gewahrsam
Europa – einig im Konservatismus
Und friedlichem Liberalismus
Das freundliche Grinsen
Des verinnerlicht-alternativlosen
Marktkonformen Verschwindens
Der Solidarität
Zu Gunsten der starren, in sich verharrenden Identität
Die dir als Gefängnis und Rückzugsort dient
Von Heldenmythen träumend ergibst
Du dich in den Gedanken
Zumindest bist du nicht allein missverstanden

 

30 Jahre Deutschland und
Schon wieder hat man allen Grund
Bis zur Unerträglichkeit
Den Druck neu aufzubauen
Kunst, die sich im Ergebnis gleicht
Ist immer zu misstrauen

 

Ökonomisch angeeignet
Wiederholt sich ewig Gleiches
Niemand, der sich streiten will
Widerspruch als Fortschritt deutet
Wer Anpassung als Tugend fühlt
Wird systematisch ausgebeutet

 

Ich und du und wir und man
und alle sind niemand und keinem bekannt
Niemand wird hier angesprochen
Niemand wird hier ausgeschlossen

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