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Sätze: | 108 | |
Wörter: | 1.997 | |
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Seit meinen letzten Berichten über den Krimskrams, der im Regal der Erinnerung ruht, sind einige Jahre ins Land gegangen. Es hat sich in diesen Jahren nicht viel am Inhalt des Regals geändert. Einen kleinen grünen Traktor mit Anhänger habe ich nach dem Tod meiner Liebe hineingestellt. Sie mochte diesen Plastiktraktor sehr. Vor viel Jahren habe ich ihn ihr einmal spaßeshalber zum Geburtstag geschenkt. Aber darüber zu schreiben, wäre eine andere Geschichte. In dieser Geschichte geht es um den Fleischwolf. Den Fleischwolf haben wir vor Jahrzehnten geerbt. Wie in der Geschichte über die Vasen meiner Mutter kamen wir zu diesem alten Küchengerät bei einer Wohnungsauflösung. Es war eine besonders aufwendige Wohnungsauflösung, denn es handelte sich um ein komplettes Reihenhaus, erbaut 1924. Seitdem hatten einige Generation an Vorfahren meiner Liebe dort ihre Spuren hinterlassen. Wir entsorgten nach dem Tod der „Erbtante“ fast alles, was sich vom Keller bis unter das Dach, im Haus angesammelt hatte. Ach ja, den ehemaligen Hühnerstall hätte ich jetzt beinahe vergessen. Der war gefüllt mit altem Gerümpel.
Wir fanden Rollos zur Verdunklung der Fenster, Überbleibsel aus dem großen Krieg; Braunkohlebriketts, obwohl ich das Haus nur mit intakter Zentralheizung kennengelernt hatte. Alte Öfen, um die Briketts zu verfeuern, gab es reichlich, aber kein einziger war an einen Kamin angeschlossen. Ich beende hiermit die Aufzählung, es reicht, um sich ein Bild zu machen. Ansonsten gab es eben alles, was zu einem Haushalt gehört. Das Meiste war uralt, ein paar Sachen konnten wir weitergeben, wie die nicht unbedeutende Anzahl an Sammeltassen. Vieles brachte ich mit meinem alten Kombi zum Recyclinghof, den großen Rest stellten wir in mehreren Fuhren für den Sperrmüll auf den Bürgersteig. Nur ganz wenige Stücke konnten wir selbst gebrauchen, denn wir waren schließlich damals bereits viele Jahrzehnte verheiratet und ein altes Ehepaar besitzt eigentlich alles, was im Haushalt benötigt wird.
Wir waren schon ziemlich am Ende der Räumungsaktion, als mir ein Fleischwolf in die Hände fiel. Ein wohl ziemlich alter Fleischwolf! Was also macht man mit einem alten Fleischwolf? Entsorgen! Aber das alte Schätzchen gefiel uns und so nahmen wir es zuerst einmal mit nach Hause und vergaßen dort den Fleischwolf. Er landete in einem unserer Küchenschänke, nur für den Fall, dass wir irgendeinmal etwas durch den Wolf drehen wollten. Ich reinigte ihn, bevor wir ihn einlagerten, denn innen und außen hatte er über die Jahrzehnte des Nichtgebrauchs reichlich Patina angesetzt. Bei der Reinigung stellte ich fest, das Kreuzmesser hinter der Schnecke fehlte, somit war er als Fleischwolf unbrauchbar.
Einige Jahre lagerte dann das Gerät im Küchenschrank. Ab und zu, wurde es zur Seite geschoben, um an dahinter liegende Dinge zu gelangen oder wir nahmen es in die Hand, wenn wir fanden, der Schrank solle wieder einmal ausgewaschen werden. So verging Jahr für Jahr, bis mein Schatz fand, es sei genug. Sie war eine „stadtbekannte Wegwerferin“ und eigentlich wunderte ich mich schon länger, dass sie den Fleischwolf noch nicht entsorgt hatte. Sie sagte mir rundheraus, das Ding nehme nur Platz im Schrank weg, sei zu nichts nütze und käme jetzt in die Mülltonne. Ich hatte eigentlich nichts einzuwenden, gab aber zu bedenken, wir könnten das schwere Metallteil bei unserem nächsten Besuch auf dem Recyclinghof in den Container für Metallschrott werfen. Sie schnaubte verächtlich, sah aber letztendlich ein, dass das die umweltfreundlichste Vorgehensweise ist. So geschah erst einmal nichts, denn bis es sich lohnt zum Recycling zu fahren, geht im allgemeinen einige Zeit ins Land.
An dieser Stelle, muss ich einfügen, dass das Entstauben des Regals der Erinnerung immer zu meinem Aufgabenbereich in unserem Haushalt gehörte. Meine Liebe war der Meinung, sie könne ihre Zeit besser verbringen, als mit dem Staubwischen in einem Regal, das nur unbrauchbaren und überflüssigen Plunder enthält. Es ist nun nicht so, dass sie das Regal nicht mochte, ab und an sortierte sie darin etwas um, nahm Stücke, die sie besonders mochte hinaus und stellte sie dann so wieder hinein, dass sie für sie im richtigen Licht erschienen. Nur Staub darin zu putzen, das verweigerte sie beharrlich. Es macht mir nichts aus, mit dem Staubtuch über das Regal zu wischen, obwohl mir das Stehen auf der Trittleiter inzwischen schwerfällt und so bin ich froh, dass diese Arbeit inzwischen die Putzfee übernommen hat. Was Arbeit macht, ist natürlich, dass jedes dort lagernde Erinnerungsstück, beim Staubwischen bewegt werden muss. Meist kam meine Liebe, nachdem ich meine Arbeit vollendet hatte und schob wieder an ihren Lieblingsstücken herum. Ihr System habe ich nie begriffen, aber seit die Fee meine Aufgabe übernommen hatte, hat sie nie mehr an der Ordnung etwas auszusetzen gehabt.
Bei einer meiner Wischaktionen fiel mir der Fleischwolf ein, der immer noch auf seine Entsorgung wartete. Alte Küchengeräte gab es bisher nicht im Regal der Erinnerung und andere Erinnerungsstücke an die Entrümplung eines ganzen Hauses befanden sich auch nicht darin. So machte ich den Vorschlag, den alten Fleischwolf im Regal unterzubringen, als Erinnerung an die Wochen, die wir mit dem Entrümpeln beschäftigt waren. Mein Schatz war skeptisch, ließ sich aber ohne großen Widerstand zu einem Versuch überreden. So standen wir also kurze Zeit später mit dem Fleischwolf in der Hand vor dem Regal. Er hatte wieder Patina angesetzt, ich ging zurück in die Küche und startete eine umfangreiche Reinigung der Maschine. Danach kam Wegwerfen für mich gar nicht mehr infrage. Wer reinigt schon Sachen, die er wegwerfen will? Wohl niemand, nein, so verrückt kann keiner sein! Beim Reinigen kam mir die, wie ich fand, geniale Idee, den Wolf nicht in das Regal zu legen, sondern ihn mit seiner Klemmvorrichtung an einem der Regalbretter zu befestigen. Ich schaute noch ein wenig hin und her, bis ich den für mich passenden Platz ausgemacht hatte, klemmte den Fleischwolf an ein Regalbrett und rief meinen Schatz, damit sie den neuen Standort des Wolfs begutachtete. Ganz so toll, wie ich, fand sie die Platzierung nicht – der Fleischwolf wurde ein Brett weiter unten angebracht und wir waren beide zufrieden.
Wieder gingen Jahre und Jahrzehnte ins Land, der Fleischwolf hatte seinen Platz gefunden, wurde ab und zu abgestaubt und setzte erneut Patina an. Das war jetzt kein Fehler mehr, denn im Regal der Erinnerung haben viele der ausgestellten Erinnerungen Patina angesetzt. Dann kam dieser furchtbare Tag, als ich, mit sonderbaren Gefühlen und einem wahrscheinlich noch sonderbarerem Gesicht, allein in der Wohnung stand. Mich bewegte vieles an diesem Tag, aber am stärksten überwältigte mich das Gefühl, ich sei verlassen worden. Verlassen von der Frau, mit der ich den größten Teil meines Lebens verbracht hatte. Hinzu kam das Gefühl, unsere Wohnung bestände aus mehreren Sälen. Ich kam mir einfach klein und überflüssig in unseren Räumen vor.
Das Leben ist aber dazu da, gemeistert zu werden. Ich verabschiedete mich von meiner großen Liebe in mehreren Phasen und empfand nach einiger Zeit die Wohnung wieder als das, was sie war: Der Rückzugsort, der uns über die Jahrzehnte Halt und Sicherheit gegeben hat. Nun hat ein alter Witwer mehr Zeit, als ihm lieb sein kann. Zwar übernahm ich wohl oder übel auch die Aufgaben in der Wohnung, die bisher mein Schatz für sich reserviert hatte, aber dazwischen herrschte Leerlauf, den ich mit allerlei, mehr oder weniger sinnvollen, Aktivitäten zu füllen versuchte. Ich wanderte exzessiv. Wandern ist weder ungesund noch ungewöhnlich. Doch ich wanderte fast bis zum Zusammenbruch. Zwanzig Kilometer am Tag waren eher normal, wenn ich sie auch nicht immer am Stück lief, sondern oft auf drei kleinere Wanderungen aufteilte. Ich machte auch das weiter, was ich bisher mit meiner Liebe gemeinsam gemacht hatte. Ich kochte, auch das war exzessiv. Nach einem Monat lief der Gefrierschrank über, ich musste das Kochen beenden.
Da ich ausgesprochen gerne koche, überlege ich bereits am Abend, was ich am Tag darauf kochen könnte. Spätestens morgens vor dem Aufstehen bin ich mit meinen Überlegungen am Ende. So kam es dazu, dass mir eines Tages, auf der Suche nach neuen Herausforderungen, Kartoffelklöße in den Sinn kamen. Kartoffelklöße hatten wir noch nie gemacht. Warum weiß ich nicht, aber wenn wir alle paar Jahre einmal Kartoffelklöße essen wollten, kauften wir Fertigklöße. Vorwiegend Klöße halb und halb von einer Marke, die mit Pf ... anfängt und mit ...i endet. Ein Hit wurden die Klöße bei uns nie, weder Geschmack noch Konsistenz überzeugten, wohl deshalb gab es sie so selten.
Ich suchte im Internet nach einem Rezept und wurde schnell fündig. Ich hatte die Qual der Wahl und entschied mich schließlich für ein Rezept für Klöße aus gekochten Kartoffeln, bei dem ein Ei in der Zutatenliste steht. Was mir fehlte, war ein Gerät, von dem ich nur ungefähre Vorstellungen hatte. Es handelte sich um eine Kartoffelpresse. Ich habe bei einigen Onlineshops nachgeschaut, die Preise für Pressen, die ich für technisch ausgereift hielt, bewegen sich zwischen ca. 20 Euro bis über 30 Euro, das brachte mich ins Grübeln. So viel Geld für ein Gerät, das ich vielleicht nur einmal im Leben nutze, das auch noch sperrig im Schrank herumliegt? Das sah ich beim besten Willen nicht ein. So legte ich das Projekt Klöße zuerst einmal ad acta und widmete mich anderen Kochprojekten.
Jedoch das Projekt Klöße rumorte jedoch weiter in meinem Hinterkopf. Bei einem meiner Wanderexzesse dachte ich intensiv über die Klöße nach. Dabei stieg eine Erinnerung in mir hoch. In meiner frühen Kindheit gab es an fast allen hohen Feiertagen Kartoffelklöße für die ganze Familie, aber an eine Kartoffelpresse kann ich mich absolut nicht erinnern. Ich dachte etwas nach, bis es mir einfiel, zwei Frauen, Mama und Oma, standen am Tisch. Eine drehte den Schwengel eines Fleischwolfs, die andere befüllte den Wolf fleißig mit gekochten Kartoffeln. Das war die Lösung! Einen Fleischwolf besaß ich schließlich.
Wieder zu Hause nahm ich den Fleischwolf in Augenschein, drehte einige Mal am Schwengel und nickte zufrieden. Das Projekt konnte in Angriff genommen werden. Ich nahm das Gerät mit in die Küche und unterzog es einer gründlichen Reinigung. Von außen war nicht viel zu tun, beim Auseinandernehmen stieß ich auf den Staub der Jahrzehnte. Der erste Versuch Knödel herzustellen brachte nicht ganz das erhoffte Ergebnis, der Geschmack beeindruckte mich, für mein Gefühl, schmeckten sie besser, als ich es aus der Kindheit in Erinnerung hatte. Die Konsistenz ließ dagegen zu Wünschen übrig. Meine junge Nachbarin gab mir den entscheidenden Tipp. „Du nimmst zu wenig Kartoffelstärke, Bernd. Meine Mama sagt immer, man braucht von der Stärke ein Viertel des Volumens der gepressten Kartoffelmasse“, sagte sie zu mir und drückte mir dabei ein Paket mit polnischer Beschriftung in die Hand. Sie versicherte mir, sie hätte das Paket Stärke aus Polen mitgebracht und es koste umgerechnet nur wenige Cent. Meinen Versuch zu bezahlen, lehnte sie entschieden ab. Ich lud sie daraufhin zusammen mit ihrem Mann ein. Nein, nicht zum Klöße essen – zum Nachmittagskaffee bei Pastis Landais.
Der Rest ist schnell erzählt, mit diesem Hinweis ausgestattet, brachte der nächste Versuch mit den Klößen das erhoffte Ergebnis. Die Optik der Klöße ist noch nicht optimal. Meine alten Hände schaffen es nicht, aus der dem Teig halbwegs ansehnliche Kugeln zu formen. Aus dem Regal der Erinnerung entfernen, mag ich den Fleischwolf nicht. So wandert er jetzt zwischen Küche und Regal hin und her. So wird es bleiben, bis einmal der Tag erreicht sein wird, an dem das Regel, wie alles andere in meiner Wohnung, den Weg alles weltlichen gehen wird und der Entsorgung zum Opfer fällt.
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