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Unbequeme Wahrheiten - Peter Handke und der Nobelpreis

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11.12.19 17:53
Fertiggestellt
Dass über den Preisträger einer wichtigen Auszeichnung teils kontrovers diskutiert wird, ist nichts Neues. Vor allem nicht, wenn es sich hierbei um die höchste Auszeichnung überhaupt handelt, den Nobelpreis, welcher am 10.12.2019 in Stockholm von dem schwedischen König, Carl Gustaf, verliehen wurde. Im Zentrum der Aufmerksamkeit befand sich diesmal die Kategorie der Literatur. Während die Diskussionen sich zuvor zumeist auf fachspezifische Inhalte fokussierten, galt das Interesse bei der diesjährigen Verleihung jedoch der Person an sich.
Der Aufschrei war letztendlich groß, als die Auszeichnung, die im Vorjahr noch wegen Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt wurde, von dem siebenundsiebzig jährigen, österreichischen Schriftsteller, Peter Handke entgegengenommen wurde. Bis zu tausend Demonstranten protestierten wütend gegen die Entscheidung der Akademie, das Internet war voll von Tweets und Kommentaren zu dem Thema. Anlass für diese Empörung war nicht, wie man zunächst annehmen könnte, das Werk des Schriftstellers, welches man für nicht gut genug befunden hatte und die Entscheidung daher angesichts der zahlreichen Konkurrenten auf Unverständnis stieß, sondern das öffentliche Auftreten Handkes. Dieser polarisiert nämlich bis heute aufgrund seiner umstrittenen Haltung während der Balkan-Kriege. Damals hatte der Österreicher mit den Serben sympathisiert und nach Ansicht seiner Kritiker, die von ihnen begangenen Kriegsverbrechen ignoriert und verharmlost. In diesem Zusammenhang lehnte Handke ebenfalls das militärische Eingreifen der NATO im ehemaligen Jugoslawien entschieden ab. Zu allem Überfluss hielt er 2006 bei der Beerdigung des vor dem Den Haager Strafrechtstribunal angeklagten einstigen serbischen Staatschefs Slobodan Milosevic, eine Rede. Journalisten empören sich über Handke und dessen Auszeichnung, nennen ihn einen Befürworter von Massenvergewaltigungen und Völkermord-Leugner.
 
Handke selbst setzt sich gegen diese schweren Vorwürfe zur Wehr, beklagt, dass sich Journalisten nur nach seinen politischen Ansichten erkunden und er somit nicht mehr über seine Bücher sprechen könne. Während der Pressekonferenz vor der Preisverleihung, die in Auszügen in der Tagesschau vom 10.12.2019 ausgestrahlt wurde, berichtete er von einem Stück Klopapier, welches er von einem Kritiker erhalten habe und fügt direkt im Anschluss an, dass selbst dieses ihm lieber sei als die "Scheißfragen" der Journalisten, die er als "leer und ignorant" bezeichnete. Eine Relativierung seiner früheren Aussagen und Handlungen, sucht man allerdings vergebens.
Das Problem, welches sich in diesem konkreten Fall offenbart, ist etwas allgemeiner aufzufassen und spiegelt sich in einer zentralen Frage wider: Soll man das Werk eines Menschen von seinem Privatleben trennen oder handelt es sich hierbei um ein unmögliches Unterfangen? Um auf das vorliegende Beispiel zurückzukommen, lautet die Problemstellung: Steht Peter Handke aufgrund seiner literarischen Tätigkeit der Nobelpreis zu oder ist er aufgrund seiner Person, seinen Charaktereigenschaften und fragwürdigem Auftreten für eine derart wichtige Auszeichnung ungeeignet? Diese Fragen liegen diesem Essay zugrunde und werden im Folgenden untersucht.
 
 
Das Leben eines Menschen, bestehend aus dessen individuellen Erfahrungen und der persönlichen Weltanschauung, prägt das Werk ebenfalls. Eine sorgfältige Trennung von eigenen Ansichten und künstlerischen Produkten, kann selbst unter größten Anstrengungen nicht richtig gelingen. Dafür ist man selbst unterbewusst zu stark von der eigenen Weltanschauung beeinflusst. Außerdem liefern Erfahrungen Erkenntnisse und Inspirationen, die eine künstlerische Tätigkeit regelrecht ernähren und am Leben halten. Für einen Schriftsteller selbst ist die Trennung von Werk und Privatleben somit kaum vorzunehmen, da beides notwendigerweise miteinander verschmilzt und Ersteres Letzteres verarbeitet. Für einen Außenstehenden ist eine Trennung jedoch durchaus möglich, da man, sofern man selbst nicht in dem kreativen Prozess involviert ist, nicht feststellen kann, welche Ansichten beispielsweise welche Passage in einem Text geprägt haben oder was der Autor konkret mit einem bestimmten Zitat im Kopf hatte. Aufgrund dieser Unwissenheit, ist es also in keinster Weise abwegig, Autor und Werk unabhängig voneinander zu beurteilen. Und zwar als unvoreingenommener, neutraler Kritiker.
 
Inwiefern eine Trennung im Fall Peter Handke jedoch erstrebenswert ist, muss noch erörtert werden. Schließlich darf man hierbei nicht vergessen, dass es sich bei dem Nobelpreis um eine Auszeichnung von großer Signalwirkung und Symbolkraft handelt und die Verleihung an einen "Völkermord-Leugner" von äußerst negativer Wirkung sein kann. Betrachtet man die vergangenen Preisträger, so wird ersichtlich, dass es sich vor allem bei dem Nobelpreis für Literatur auch um einen "menschlichen Preis" handelt. Die Auszeichnung ging oftmals mit einer Würdigung der Privatperson als solche einher, da man sich mit ihren Werten stark identifizieren konnte. In diesem Zusammenhang ist der deutsche Preisträger Heinrich Böll beispielhaft zu nennen, der die Kriegsthematik in seinen Erzählungen kritisch aufarbeitete und somit pazifistisch in Erscheinung trat. Inwiefern diese Ansichten zu Bölls Auszeichnung beigetragen haben, ist selbstverständlich nicht abschließend zu klären und bleibt somit spekulativ.
 
Fortschritt, den wir letztendlich alle erstreben, geht oftmals jedoch auch mit unbequemen Wahrheiten einher. Fokussiert man sich auf den Menschen an sich, ist die Wahrscheinlichkeit, auf derartige Tatsachen zu stoßen, deutlich höher, als wenn man ihn von seiner Hinterlassenschaft trennt. Dies liegt schlichtweg darin begründet, dass der Mensch in all seiner Unvollkommenheit und den Abgründen seines Daseins, reichlich Konfliktpotential bietet. Ein Werk, sei es künstlerischer oder wissenschaftlicher Art, ist an sich jedoch neutral und kann dementsprechend auch für sich alleinstehend bewertet werden. Es trägt zum Fortschritt bei und kann keine "unbequemen Wahrheiten" in dem Sinne aufweisen, da es an sich niemandem schadet.
Der deutsche Philosoph Martin Heidegger (1889-1976), gilt als einer der bedeutendsten Denker der Moderne. Er war der wohl wichtigste Vertreter des deutschen Existenzialismus, einer philosophischen Strömung, die in Frankreich ihren Ursprung hatte und hat vor allem in Bezug auf die großen Themen Tod und Zeit heute noch wichtige Erkenntnisse geliefert. Vorgeworfen wird ihm jedoch seine Sympathie für den Nationalsozialismus und seine angeblichen Kontakte zu Hitler und führenden NSDAP-Mitgliedern, von denen behauptet wird, sie hätten Heideggers Karriere maßgeblich gefördert. Wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Theorien tatsächlich ist, bleibt ungewiss. Nichtsdestotrotz gibt es wohl kein besseres Beispiel, um die Notwendigkeit der Trennung von Mensch und Werk zu verdeutlichen.
 
Heideggers politische Ansichten machen seine philosophischen Errungenschaften schließlich nicht zunichte. Gut möglich, dass jemand die Lektüre seines Werkes aufgrund Heideggers nationalsozialistischer Vergangenheit nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, doch dies schmälert die Qualität der Erkenntnisse in keinster Weise. Wenngleich es aus menschlicher Sicht nachvollziehbar ist, Heidegger abzulehnen, so sagt dies nichts über den objektiven Wert seines Werkes aus. Der Mensch Heidegger mit all seinen Schwächen und Ansichten ist längst verstorben. Der nationalsozialistische Heidegger ist tot. Der philosophische Heidegger lebt dagegen weiter und zwar in seinem beeindruckenden Werk. Führt man sich diese Tatsache bewusst vor Augen, so wird ersichtlich, dass die Trennung von Werk und Privatperson ein vollkommen logischer und nachvollziehbarer Schritt ist. Mal angenommen, man lehne Heidegger als Philosophen aufgrund des Heidegger als Nazi ab, wie viel Wissen wäre der Menschheit verloren gegangen? Wissen, welches heute von unschätzbarem Wert ist und womit in den Wissenschaften weitergearbeitet wird, um Fortschritte zu erzielen. Wer eine Trennung ablehnt, der lehnt auch den Fortschritt ab, schließlich kann der Mensch Heidegger uns heute vollkommen gleichgültig sein, nicht jedoch sein Werk! Ein Mensch ist sein Werk aber das Werk ist nicht der Mensch.
 
 
Das Beispiel Martin Heidegger ist hervorragend auf den Fall Peter Handke zu übertragen. Diesem stehen als Mensch gewisse Rechte zu, von denen er, nicht zuletzt auch im Sinne einer pluralistischen Demokratie, Gebrauch machen darf. Dazu zählen in erster Linie die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung, insbesondere jedoch das Recht auf Privatsphäre. Anderen Menschen das Denken vorzuschreiben oder sie auf Schritt und Tritt zu beobachten, ist bei Personen des öffentlichen Lebens zwar Normalität, soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Vorgehen diktatorischen Zuständen ähnelt.
 
In Anbetracht der Tatsache, dass sich die individuelle Persönlichkeit eines Menschen aus unzähligen Aspekten zusammensetzt, ist es, meines Erachtens, überaus ungerecht, selbige auf einen einzigen Punkt zu reduzieren, nämlich die Ansichten über den Jugoslawienkrieg. Darüber hinaus weiß man nichts darüber, was für ein Mensch Peter Handke in Wahrheit ist. Das ist auch gut so, da dies nicht für die Beurteilung seines Werkes vonnöten ist. Auch wenn oft vorgegeben wird, dass man einen Menschen kennt, so kann man eigentlich doch niemals hinter die Fassade blicken. Wir wissen nicht, was Handke zu seinen moralisch zweifelhaften Aussagen bezüglich des Jugoslawienkrieges bewegt hat, welche persönlichen Erfahrungen und dergleichen ihn geprägt haben. Über einen Menschen zu urteilen ist aufgrund der Tatsache, dass wir niemals in Erfahrung bringen können, was in seinem Innern vorgeht, vollkommen unberechtigt und nicht zielführend. Ein Werk dagegen lässt sich nach objektiven Kriterien und Maßstäben dagegen ausgezeichnet analysieren, bewerten, kritisieren, loben und alles weitere.
 
Politische Ansichten in Kategorien wie richtig und falsch einzustufen, ist eine Anmaßung, derer sich für gewöhnlich nur Extremisten bedienen. Der reflektierte Bürger weiß, dass es, immer wenn es um den Menschen geht, absolute Wahrheit nicht existiert und reine Subjektivität vorliegt, die sich aus individuellen Merkmalen ergibt.
 
Auch ich stimme Peter Handkes Ansichten in Bezug auf den Jugoslawienkrieg nicht zu, bin jedoch differenziert genug, sein Werk unabhängig von seiner Person zu betrachten. Über den Menschen erlaube ich mir erst recht gar kein Urteil! Für ihn gilt das gleiche wie für Heidegger. Der "Völkermord-Leugner" wird vergehen, doch Peter Handke der Schriftsteller wird bleiben!
Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Doktorarbeit verfasst! Die notwendigen Informationen haben Sie jahrelang mühsam zusammengetragen, bei der Recherche unzählige Bücher verschlungen, stundenlange Gespräche mit Professoren geführt, in schier endlosen Schleifen voller Selbstzweifel auf die Tastatur gehämmert, um am Ende ein hunderte Seiten umfassendes Werk vorzuweisen. Stellen Sie sich jetzt vor, die Arbeit wird abgelehnt, mit der Begründung, sie seien ein schlechter Mensch. Das Beispiel mag etwas konstruiert erscheinen, im Wesentlichen spiegelt es jedoch die Situation wider, in der sich Peter Handke momentan befindet. Wer verfügt über die Dreistigkeit über Sie als Menschen zu urteilen, sind doch nur ganze wenige Facetten Ihrer Persönlichkeit überhaupt bekannt? Fänden Sie es nicht zutiefst ungerecht, wenn man Ihre Leistungen, das, worum es eigentlich geht, gar nicht erst bewertet, sondern vom Wesentlichen ablenkt, indem Sie auf der persönlichen Ebene attackiert werden?
 
 
Sobald ein geistiges Werk an die Öffentlichkeit gerät, löst es sich vom Verfasser und verdient eine eigenständige Bewertung und Kritik. Angesichts des Leides der Menschen des Jugoslawienkrieges, ist der Unmut der Demonstranten aus menschlicher Sicht definitiv nachvollziehbar. Eine professionelle Akademie, darf sich allerdings nicht von Gefühlen leiten lassen und Objektivität, fernab emotionaler Zustände an den Tag legen. Ansonsten würde sie sämtliche Glaubwürdigkeit einbüßen und die Verleihung des Nobelpreises würde zu einer am linken Mainstream angepassten, seelenlosen und massentauglichen Veranstaltung verkommen. Dabei läuft genau dies der eigentlichen Intention dieser Auszeichnung zuwider. Der Nobelpreis soll eben nicht politisch korrekt und massentauglich sein, was auch immer das heißen mag, sondern objektiv eine erbrachte Leistung würdigen, ungeachtet möglicher Störfeuer. Dass hierbei ein derartiger Nebenkriegsschauplatz eröffnet wurde, beweist nur, dass Peter Handke die Auszeichnung verdient hat, da es an seinem Werk anscheinend nicht viel zu kritisieren gibt und die Kritik daher auf einen anderen Bereich verlegt werden musste und somit unsachlich wird und vom Thema abweicht. Grundsätzlich ist der Akademie also ein großes Lob auszusprechen, dass sie die Ehrung ausschließlich mit der erbrachten Leistung des Werkes rechtfertigten und sich nicht in unprofessionelles Terrain wagten. Prinzipientreue ist schließlich ebenfalls ein essentieller Wert, an dem es unserer Gesellschaft oftmals mangelt, glücklicherweise nicht jedoch in diesem Fall!

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