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Zwischenmenschliche Barrieren - Die sozialen Lehren des Coronavirus

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16.03.20 22:54
Fertiggestellt

Alle Liebhaber von Science-Fiction und Videospielen werden enttäuscht sein. Die auf so viele verschiedene Arten beschriebene, angebliche Apokalypse, sieht ganz anders aus, als erwartet. Keine Invasion von Außerirdischen, keine Zombie-Apokalypse, sondern ein Virus mit dem Namen COVID-19, besser bekannt als Coronavirus, hält aktuell die Welt in Atem und versetzt Millionen von Menschen in Angst und Schrecken.

Kein Thema nimmt die Medien schon seit Wochen derart in Anspruch wie dieser ursprünglich
Ende 2019 aus China stammende und sich von dort auf der ganzen Welt
ausbreitende Krankheitserreger. Auch Deutschland blieb von der Pandemie nicht
verschont, im Gegenteil, hat sich der Schwerpunkt der Verbreitung doch gar auf
die mitteleuropäischen Länder wie eben Deutschland aber vor allem Italien und
Spanien verlagert. Selbstverständlich geht diese außergewöhnliche Situation mit
erheblichen Einschränkungen in unser aller Leben einher. Wir sehen uns einer
nationalen und internationalen Herausforderung gegenüber, wie sie die
Bundesrepublik Deutschland in ihrem siebzigjährigen Bestehen noch nie gesehen
hatte.

Wenngleich diese aktuelle Thematik diesem Essay zugrunde liegt, so handelt es sich bei
diesem Text dennoch nicht um einen nüchternen Tatsachenbericht. Ich werde in Bezug
auf das Coronavirus an sich keinerlei wissenschaftliche Fakten erläutern und
auch von keinerlei Zahlen und Statistiken Gebrauch machen. Maßnahmen werden
maximal angerissen, jedoch nicht konkret ausgeführt. Dies hat zum einen den
Grund, dass es aus meiner Sicht wenig sinnvoll erscheint, einen derartigen
Bericht zu verfassen, in Anbetracht der Dynamik, welche der Situation zu eigen
ist. Neue Fakten und Zahlen liegen jeden Tag vor und darüber hinaus ist es
äußerst schwierig, an glaubhafte Berichte zu gelangen, da viele Betrüger sich
die allgemeine Panik zu Nutze machen, um gezielte Falschmeldungen zu
verbreiten. Zum anderen jedoch möchte ich einen gänzlich anderen Schwerpunkt
wählen und mich auf die gesellschaftlichen und sozialen Aspekte konzentrieren, die
durch die Pandemie zur Geltung gekommen sind und an diesem Beispiel erläutert
werden können. Die Situation rund um das Coronavirus soll hierbei nur als grobe
Orientierung dienen, da eine gesamtgesellschaftliche Analyse im Vordergrund
steht. Der nachfolgende Text ist folglich unter Berücksichtigung der zuvor
genannten Voraussetzungen zu lesen.

 

Die menschliche Gesellschaft scheint immer kälter und egoistischer zu werden. In
Situationen, die eigentlich als große Möglichkeit aufgefasst werden könnten,
Misanthropen und Skeptiker eines Besseren zu belehren, wird leider immer und
immer wieder diese These bestätigt. In Krisenzeiten offenbart sich stets des
Menschen wahre Natur. Diese Entwicklung spiegelt sich hervorragend in den
Reaktionen auf das Coronavirus wider. Die Handlungsmaxime hierbei lautet: Nach
mir die Sintflut.

Interessanterweise handelt es sich bei dieser Einstellung um ein gesamtgesellschaftliches
Phänomen, welches sich nicht nur auf einzelne Bevölkerungsgruppen reduzieren
lässt, sondern von allgemeiner Gültigkeit zu sein scheint. Konservative werfen
ein solch egoistisches Verhalten oftmals Jugendlichen zu, die Krise rund um das
Coronavirus stellt allerdings eindrucksvoll unter Beweis, dass wir wohl alle
verdammte Egoisten sind.

Sucht man mittlerweile Supermärkte auf, so findet man sich vor leeren Regalen wider.
Hamsterkäufen sei Dank! Und wenngleich die Bundesregierung ausdrücklich
versicherte, dass in Deutschland keine Knappheit in Bezug auf die Versorgung zu
befürchten ist, so ist der an den Sozialdarwinismus erinnernde Kampf um
Ressourcen in unseren Discountern, nicht mehr aufzuhalten. Es wird sich um die
letzte Packung Mehl gestritten, jeder nimmt sich so viel Toilettenpapier, wie
er tragen (und bezahlen) kann. Dieser Anarchismus führte gar so weit, dass
manche Läden bereits die Einkäufe pro Person limitieren mussten.

Warum kauft jemand zehn Packungen Toilettenpapier und dreißig Kilogramm Nudeln, obwohl er
doch genau weiß, dass wir nicht in der DDR leben und somit nicht befürchten
müssen, dass ein Produkt für die nächsten fünf Jahre ausverkauft ist? Warum drängelt
sich jemand mit seinen acht Wasserkisten in der Warteschlange vor und reißt der
schwangeren Frau die vorerst letzte Packung Milch aus der Hand, obwohl er doch
genau weiß, dass für jeden genug da ist, wenn einfach jeder nur das verbraucht,
was er auch benötigt?

Die irrationale Logik des Kapitalismus hat definitiv Spuren bei uns hinterlassen.
Immer mehr und mehr, erst recht, wenn eine Krise und vermeintlicher
Ressourcenmangel vorliegt. Wir sind verwöhnt durch unseren übermäßigen Konsum
und wollen keinerlei Einbußen in Kauf nehmen. Lieber zu viel, als zu wenig.
Lieber ich selbst, als die anderen. Der Kapitalismus hat uns über alle Maßen
egoistisch gemacht. Es war schon immer so, doch erst jetzt in Zeiten des
Coronavirus, wobei dieser durch eine beliebige Krise austauschbar ist,
offenbart sich das wahre Ausmaß unserer Abgründe.

Zu allem Überfluss wünscht sich auch noch der US-Präsident die exklusive Herstellung
eines Impfstoffes für die USA allein. Hiermit hat sich Trump mal wieder selbst
übertroffen. Nationalismus in Zeiten einer globalen Krise an den Tag zu legen,
ist nicht nur absolut unkollegial und populistisch, sondern in erster Linie in
vielerlei Hinsicht gefährlich. Der Mensch lernt in erster Linie durch
Nachahmung. Dieser Strategie haben wir unser Überleben zu verdanken. Und nichts
ist naheliegender als einfach das Verhalten des wohl berühmtesten und
mächtigsten Mannes der Welt zu imitieren. Bei einem Vorbild wie Trump, das
wirtschaftliche Interessen verfolgt in einer Krise, die Menschenleben kostet
und grenzenlosen Egoismus in Form von Nationalismus an den Tag legt, so
verwundert der Egoismus, der „unten“ in den Supermärkten ausgetragen wird, doch
kaum. 

Selten zuvor war das bekannte Brecht Zitat so zutreffend wie jetzt: „Erst kommt das Fressen,
dann kommt die Moral.“

Hatte derPhilosoph Thomas Hobbes (1588-1679) in Bezug auf sein pessimistisches
Menschenbild letztendlich doch Recht? Laut ihm ist der Zustand, in dem sich die
Menschen ohne staatliche Gewalt, also in einem rechtsfreien Raum befinden
würden, gekennzeichnet vom Krieg eines Jeden gegen jeden. Dies ist in der
egoistischen, triebgesteuerten Natur des Menschen begründet, die dazu führt,
dass er seinen Mitmenschen grundlegend mit Skepsis gegenübertritt und sie als
Feinde betrachtet. Ohne Recht und Ordnung würden sich die Menschen wie Wölfe
gegenseitig zerfleischen, daher spricht Hobbes in diesem Zusammenhang: „Der
Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ (Homo homini lupus).

Thomas Hobbes ist ein in heutigen Zeiten nicht besonders gern gelesener Philosoph. Vielleicht
weil man sich vor seinen Erkenntnissen fürchtet und der Wahrheit nicht ins Auge
sehen möchte?

Wir wollen nicht bestreiten, dass es im Menschen auch so etwas wie Mitgefühl und
Nächstenliebe gibt, ganz zu schweigen von unserer Vernunft, auf die wir doch so
stolz sind. Haben wir uns womöglich getäuscht und unseren Verstand ein wenig zu
hoch eingeschätzt? Die Menschen auf der Straße mustern sich tatsächlich aktuell
mit Misstrauen, es herrscht eine eisige Atmosphäre in unseren Städten. Jeder
wird dies aus eigenen Erfahrungen bestätigen können. Liegt dies einfach nur
daran, dass wir an solche Krisen nicht gewöhnt sind und von der Situation
überfordert werden oder ist es nun an der Zeit, unser Menschenbild grundlegend
zu ändern und daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen?

 

Ein Anfang ist hierbei, dass wir die Moral als solche zu hinterfragen haben. Die Moral ist
nichts Natürliches. Auch wenn idealistische Denker wie Kant oder Platon argumentieren,
es gebe ein vom Menschen unabhängig gültiges Sittengesetz, welches moralische
Regeln wie Naturgesetze festlegt oder dass es sich bei unseren Vorstellungen
vom sittlich Guten um eine angeborene Idee handelt, so genügt ein Blick in die
Natur, um diese Ansichten zu widerlegen. Moral ist vom Menschen gemacht und
zwar ausschließlich! Die physikalischen Naturgesetze wirken auf Mensch und Tier
gleichermaßen, an unseren Werten und Normen wird sich aber kein Fuchs, kein
Elefant und kein Reh jemals stören. Die Ethik ist ein rein menschliches
Phänomen, welches sonst in der Natur nirgendwo anzutreffen ist. Dies liegt
darin begründet, dass Tiere so etwas wie Moral nicht nötig haben. Ihr
Zusammenleben erfolgt instinktiv. Instinktiv läuft eine Rudelbildung ab,
instinktiv findet Fortpflanzung statt, instinktiv wird gejagt und die Beute
untereinander geteilt. Tiere brauchen keine Regeln, um miteinander und
gegeneinander zu leben. Alle nötigen Veranlagungen liegen in ihren Genen, ganz
ohne so etwas wie Vernunft zu benötigen. Das große Problem des Menschen ist
schlichtweg, dass ihm ein solcher Instinkt fehlt, der ihm mitteilt, wie er mit
seinen Mitmenschen zusammenleben soll. Zu Beginn unserer Existenz stellte dies
kein Problem dar. Unsere Vorfahren lebten in vergleichsweise kleinen
Populationen und hatten keinen anderen Lebenssinn, als die Selbst-und
Arterhaltung zu gewährleisten. Das hat sich aber schnell geändert. Im Laufe der
Jahrhunderte haben wir gigantische Reiche erschaffen, die Natur uns unterworfen
und in den Naturwissenschaften schier grenzenloses Wissen erreicht. Und dennoch
haben wir nie gelernt, miteinander umzugehen. Je stärker die Bevölkerung wuchs,
was enorm schnell geschah, desto schwieriger fiel uns das Zusammenleben, da uns
eben ein natürlich angeborener Instinkt fehlt. Als Ersatz dafür, ist uns die
Vernunft und der Verstand gegeben worden. Mit dessen Hilfe haben wir versucht,
den fehlenden Instinkt auszugleichen. Aus diesem Grund haben wir Religionen
erfunden, Staaten gegründet, Ideologien betrieben und moralische Gesetze
entworfen. Dies alles dient bis zum heutigen Tag einzig und allein dem Zweck,
unser gemeinschaftliches Zusammenleben zu regeln und dafür notwendige Normen und
Gesetze aufzustellen, an denen wir uns, wie an einem Instinkt, orientieren
können. Die UN-Menschenrechtscharta, die vermeintlich gottgewollte Ordnung des
Islam, die zehn Gebote, die Gründung der USA, der kategorische Imperativ, all
dies sind Kompensationsversuche. Die Kompensation eines großen Nachteils, den
wir den Tieren gegenüber aufweisen.

In diesen Ausführungen liegt der Ursprung der Moral. Vor diesem Hintergrund ist auch
leicht verständlich, warum so viele verschiedene Moralvorstellungen und
Ansichten von Gut und Böse existent sind, warum die einen eine Diktatur
anstreben und die anderen die Demokratie lieben, warum die einen sich von
Nietzsche und die anderen von Kant angezogen fühlen, warum die einen den
Egoismus als unmoralisch verteufeln und die anderen die Ansicht vertreten, dass
es am wichtigsten ist, die eigene Haut zu retten. Weil Moral etwas vom Menschen
erfundenes ist, um unser Zusammenleben zu ordnen und somit niemals von
Allgemeingültigkeit wie ein Naturgesetz sein kann und auch kein
unwiderruflicher Instinkt wie bei den Tieren ist!

Das Problem mit der Moral wurde auch von dem deutschen Dichter Georg Büchner (1813-1837) in
seinem sozialen Drama „Woyzeck“ (1879 posthum veröffentlicht) thematisiert. Das
Theaterstücke handelt von einem Mann aus der untersten Gesellschaftsschicht,
namens Woyzeck, der für höhere Mitgliedern der Gesellschaft arbeitet, um seine
Frau und sein uneheliches Kind zu ernähren. Er wird jedoch stets Opfer von
körperlicher und psychischer Gewalt und sogar von seiner Frau betrogen, was ihn
endgültig in den Wahnsinn treibt. In der fünften Szene des Stückes (Version der
„EinfachDeutsch“ Ausgabe, „Schöningh westermann“, Druck 2018) liegt ein Dialog
zwischen Woyzeck und dem Hauptmann, für den Woyzeck arbeitet, vor. Der
Hauptmann lässt hierbei keine Gelegenheit der Demütigung ungenutzt und
bezeichnet Woyzeck ohne ersichtlichen Grund wiederholt als „unmoralischen
Menschen“ (vgl. Seite 12, Zeile 32: „Woyzeck, Er hat keine Moral!“).

Woyzeck lässt wenig später eine überaus interessante Antwort folgen, die da lautet:
„Wir arme Leut. Sehn Sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld. Wer kein Geld hat. Da
setz einmal einer seinsgleichen auf die Moral in die Welt. Man hat auch sein
Fleisch und Blut. Unseins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt,
ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen“ (vgl. Seite
13, Zeilen 8-13).

Büchner möchte uns mit dieser Passage sagen, dass der Mensch in erster Linie seine
körperlichen Bedürfnisse befriedigen muss. Wenngleich Moral nicht angeboren
ist, so ist es doch in jedem Fall der Selbsterhaltungstrieb. Dies teilen wir
mit den Tieren. Von jemandem, dessen Existenz bedroht ist, kann man moralisches
Verhalten nicht erwarten. Moral ist arrogant und überheblich. Aufgestellt wurde
sie von den Professoren und Intellektuellen unserer Welt, wirklich gültig und
umsetzbar kann sie nur für die Reichen sein, eben diejenigen, die nicht um ihr
körperliches und geistiges Wohl bangen müssen. Moral ist nichts für den kleinen
Mann und die kleine Frau. Allein dies zu verlangen, wäre vermessen und
schlichtweg unrealistisch, denn der Selbsterhaltungstrieb ist ein Instinkt wie
bei den Tieren, ihm muss demgemäß Folge geleistet werden, wohingegen die Moral
ein menschliches Konstrukt ist.

Dem aufmerksamen Leser werden die indirekten Parallelen zu unserer aktuellen
Situation in Bezug auf die Corona-Pandemie aufgefallen sein. Die Menschen
fühlen sich durch den Virus und dessen rasanter Verbreitung in ihrer Existenz
und in ihren grundlegenden Bedürfnissen bedroht. Hierbei spielt es keine Rolle,
ob diese Angst berechtigt und real oder nur imaginiert ist. Die Gefühle des
Einzelnen sind allein ausschlaggebend und wer die Situation als derart
bedrohlich wahrnimmt, für den ist sie das auch, ungeachtet sämtlicher Fakten.
Ängste sind schließlich irrational und schalten somit unseren Verstand aus.
Daher werden die Menschen in dieser Krise auch leichtgläubig und naiv. Fake
News werden in der Panik und Hysterie wie wild verbreitet. Die Fakten werden
nicht mehr geprüft und schnell wird irgendwelchen selbsternannten Heilsbringern
hinterhergelaufen. Verschwörungstheorien in Bezug auf das Coronavirus entstehen
und werden von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung unkritisch und
blind geglaubt. Wenngleich der Vergleich etwas gewagt erscheint, so sehen wir
uns doch mit einer ähnlichen Ausgangslage konfrontiert, wie zu Zeiten des
Nationalsozialismus. Ein derart hysterischer Führerkult, der blind für Fakten
macht, konnte letztendlich auch nur entstehen, weil die Menschen einfach Angst
hatten und unglücklicherweise jemand da war, der diese Panik geschickt
auszunutzen in der Lage war.

Von Egoismusgesteuert, der in gewisser Weise, wie bereits erläutert, natürlich und
nachvollziehbar, wenngleich keineswegs zielführend und in Bezug auf eine
konstruktive Lösungsfindung vollkommen deplatziert und hinderlich ist,
vergessen wir, wie die Zeiten der Ausbreitung des Coronavirus verdeutlichen,
wie es ist, sich in die Lage der anderen Menschen hineinzuversetzen. Unsere
Empathie-Fähigkeit haben wir, vor allem in Krisenzeiten, merklich eingebüßt. In
unserem digitalisierten Zeitalter gibt es viele Entwicklungen, auch in
technologischer Hinsicht, die unser emotionales Abstumpfen mit Sicherheit
gefördert haben. Im zwischenmenschlichen Bereich werden wir mit vielen
Barrieren konfrontiert. Beispielhaft sind hierbei die sozialen Netzwerke zu
nennen, exemplarisch auch ein Ort, der Nährboden für Fake News und
Verschwörungstheorien ist. Aufgrund sozialer Netzwerke bauen wir Barrieren zu
unseren Mitmenschen. Das Internet steht zwischen uns und den anderen. Diese
Barriere führt zu weniger realer Interaktion und folglich auch zu weniger
Empathie, denn wer den Umgang mit real existierenden Menschen da draußen nicht
mehr gewohnt ist, der verlernt Sozialverhalten in gewisser Weise. Stattdessen
lieber weiter Fake News verbreiten und zu der allgemein vorherrschen Panik
beitragen.

Die gleicheProblematik lässt sich zudem auf das Problem des Klimawandels übertragen, wobei
es sich hierbei definitiv um eine existenzielle Bedrohung für uns alle handelt.
Effektiver Klimaschutz kann nicht vom kleinen Mann und der kleinen Frau
erwartet werden. Auf die Umwelt zu achten und nachhaltig zu leben, ist eine
Frage der Moral und die bezieht sich, wie bereits dargelegt, auf die
finanzielle und intellektuelle Elite. Es ist schlichtweg nicht möglich einem einfachen
Arbeiter, der sein zwanzig Jahre altes Auto benötigt, um jeden Tag zur Arbeit
zu fahren, damit er Geld verdient, um seine Familie zu ernähren, beizubringen,
dass sein Verbrennungsmotor schlecht für die Umwelt und er selbst unmoralisch
ist und folglich etwas an seinem Verhalten ändern muss. Genauso wenig wie man
einem in Panik geratenen Rentner erklären kann, dass eine Packung
Toilettenpapier vollkommen ausreichend ist und die anderen schließlich auch
noch etwas davon brauchen. An dieser Stelle ist die Politik gefragt, auch
finanziell attraktive Optionen zu bieten, denn wir dürfen niemals das so
richtige und wahre Zitat von Brecht vergessen, welches ich eingangs erwähnte!

Wir wollen und brauchen Klimaschutz, so viel ist sicher! Aber, er muss sozial verträglich
sein und auch die Schwachen mit in das Boot nehmen. Die Eliten sind in der
Verantwortung! Ihr könnt euch die Moral erlauben, also sorgt dafür, dass auch
wir darauf zurückgreifen können, wenn unsere Grundbedürfnisse erfüllt sind! Das
Unternehmen muss verpflichtet werden, nachhaltig zu agieren, nicht der
Angestellte. Wenn das Unternehmen nämlich seine Aufgabe richtig macht, dann
wird der Angestellte wie einem Kreislauf, ohnehin automatisch folgen.
Klimaschutz ist möglich, jedoch ist er unvereinbar mit einem kapitalistischen
Wirtschaftssystem. Der Kapitalismus muss zuvor überwunden werden, um soziale
Gerechtigkeit herzustellen, die eine Voraussetzung darstellt, für
Nachhaltigkeit und ein für alle besseres Leben.

Neulich bei einem Seminar habe ich ein mögliches Wirtschaftsmodell der Zukunft
kennengelernt, welches sich „Gemeinwohl Ökonomie“ nennt und eine ernsthafte
Alternative zu kapitalistischer Ausbeutung und Umweltverschmutzung darstellt.

In groben Zügen lautet das Modell wie folgt: Rücksichtslose Produktion, also die
Ausbeutung von Mensch und Natur mit dem Ziel, billig produzieren zu können, um
maximalen Profit zu erlangen, was im Kapitalismus das Erfolgsrezept großer
Unternehmen ist, soll benachteiligt, ethisches Handeln dagegen bevorzugt werden,
also eine radikale Kehrtwende der bisherigen Verhältnisse. Um dies
sicherzustellen, soll eine Art Punktesystem für Unternehmen eingeführt werden,
die sich auf mehrere Kategorien beziehen, zum Beispiel, wie gerecht werden die
Löhne verteilt, wie nachhaltig geht die Produktion vonstatten, wie demokratisch
sind die Strukturen innerhalb des Betriebs, wie werden Kunden behandelt, etc.

Punktgewinnegibt es für Nachhaltigkeit, faire Löhne oder gute Arbeitsbedingungen aber
Punktabzüge für Arbeitsplatzabbau und Umweltverschmutzung. Je höher die
Punktzahl eines Unternehmens ist, desto mehr soll es bevorzugt werden, indem es
beispielsweise erheblich weniger Steuern zahlen muss, als ein Unternehmen mit
wenig Punkten. Geringe Abgaben gewährleisten, dass auch die Produkte günstiger
verkauft werden können, wovon natürlich der Kunde profitiert. Er unterstützt
somit Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit und profitiert dabei sogar noch
in finanzieller Hinsicht. Gute Produkte werden billig sein und die schlechten
Produkte, die dann keiner mehr kaufen wird, teuer. Aktuell ist bekanntermaßen
das Gegenteil der Fall.

Bei der „Gemeinwohl Ökonomie“ geht die Initiative von oben aus und erreicht auch die
unteren Schichten. Auf die Art kann ein gesamtgesellschaftlicher Wandel
herbeigeführt werden, von dem sowohl Mensch als auch Umwelt, wie in einer
Symbiose profitieren (aktuell liegt wohl eher Parasitismus von unserer Seite
aus vor). Mit diesem post-kapitalistischen Wirtschaftssystem könnten folglich
endlich auch der kleine Mann und die kleine Frau, zum Wohle aller, moralisch
sein.

Inwiefern dieses Modell tatsächlich umsetzbar ist, muss selbstverständlich noch im Detail
geklärt werden. Eine Überlegung ist es jedoch allemal wert, denn es ist schon
äußerst makaber, dass aktuell ein Virus bedingt durch Flugausfälle und
ähnlichem, mehr zum Umweltschutz beiträgt, als die Regierung!

 

Sollte das Coronavirus wenigstens einen Nutzen für uns alle haben, dann hoffentlich, dass
wir die Zeit in Quarantäne und Einsamkeit wenigstens zu einer kritischen
Selbstreflexion nutzen. Es ist, meines Erachtens, längst an der Zeit, endlich
etwas mehr Dankbarkeit an den Tag zu legen. Wie so oft, ist es wohl auch in
diesem Fall so, dass man die schönen Dinge erst zu schätzen weiß, wenn sie
nicht da sind. Dazu zählen die zahlreichen Freiheiten, die uns in unserer
Demokratie zuteil sind, wie die offenen Grenzen, die uns vollkommene Bewegungsfreiheit
ermöglichen und natürlich das Privileg, jederzeit in den Supermarkt gehen zu
können und einzukaufen, wonach uns verlangt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind
wir berechtigterweise in diesen Freiheiten eingeschränkt. An dieser Stelle muss
ich der oftmals kritisierten Bundesregierung ein großes Lob aussprechen, die
meiner Meinung nach, vollkommen richtig und zum Wohle der Menschen gehandelt
hat. Die Maßnahmen, die überaus schnell und dennoch überlegt getroffen worden
sind, dienen letztendlich nämlich nur dem Schutz des Bürgers, was ich als sehr
verantwortungsbewusst und vorbildlich erachte. Ich würde mir nur wünschen, dass
diese Gefühl von Verantwortungsbewusstsein auch innerhalb der Gesellschaft
etwas mehr Anklang finden würde. Solidarität soll mehr sein als nur ein Wort,
welches gerne von Frau Merkel oder Herrn Steinmeier verwendet wird. Ein
bisschen Moral schadet auch in Krisenzeiten nicht. Wir müssen nicht immer Wölfe
sein, manchmal vielleicht lieber harmlose Schafe oder Kühe oder was auch immer.
Ansonsten sehe ich sowohl für die Zukunft der Menschheit als auch der des
Planeten schwarz. Und das nicht nur im übertragenen Sinne…

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