Autor
|
Bewertung
Statistik
Sätze: | 60 | |
Wörter: | 721 | |
Zeichen: | 4.379 |
Ein wohliger, heisskalter Schauer lief über Mortimers Rücken, als sie seinen Arm ergriff.
Clementine Greenes pfauenblaues Seidenkleid raschelte leise als sie die Stufen des Theaters hinab stieg. Das flackernde Licht der Gaslaterne tauchte die Perlen ihres Schmucks in einen geheimnisvollen goldenen Glanz.
„Nun, Miss Greene, möchten Sie noch einen Nachtspaziergang nach Hause unternehmen oder soll ich uns eine Droschke besorgen?“, fragte Mortimer sanft.
Auf Clementines Wangen legte sich eine zarte Röte. Verschämt, schlug sie die Augen nieder, doch bevor sie etwas sagen konnte, ruinierte Mrs. Palgrave, ihre Anstandsdame, einen weiteren, scheinbar perfekten Moment.
„Besorgen Sie eine Droschke, Mr. Crawford. Es ist schon spät und ungewöhnlich kühl heute“, forderte sie mit ihrer unangenehmen, kratzigen Stimme.
„Eigentlich“, sagte Clementine leise, „würde ich sehr gerne noch ein wenig mit Mr. Crawford spazieren gehen.“
„Kommt gar nicht in Frage. Sie werden sich erkälten“, beharrte Mrs. Palgrave entrüstet.
„Aber nein, es ist doch noch so warm.“ Clementine lächelte strahlend.
„Sind Sie sicher, Miss Greene?“, fragte Mortimer, der die feine Gänsehaut, die sich trotz des Mäntelchens auf ihren blossen Schultern und ihrem Nacken ausgebreitet hatte, bemerkt hatte. „Es wäre mir sehr unangenehm, würden Sie meinetwegen krank werden.“
„Aber nicht doch. Lassen Sie uns nach Hause laufen.“, sagte sie und ging mit einer Forschheit, die Mrs. Palgrave leise aufstöhnen liess, an ihm vorbei.
„Ihr Wunsch soll mir Befehl sein, Miss.“ Mortimer konnte nicht anders als zu schmunzeln. Bestimmt sah die Anstandsdame Miss Greenes Kühnheit als einen schier unverzeihlichen Akt der Rebellion gegen die guten Sitten. „Und sollte es uns doch allzu kalt werden, werden wir auch unterwegs sicherlich noch eine Droschke auftreiben können“, sagte er dann versöhnlich.
Obwohl es ein langer Weg vom Theater zurück zum Haus der Greenes war, verging die Zeit für Mortimer und Clementine wie im Fluge, während sie Arm in Arm durch die Septembernacht schlenderten.
„Sagen Sie, Miss Greene“, begann Mortimer verlegen, als sie vor der Haustüre standen und Mrs. Palgrave schon ungeduldig darauf wartete, ihren Schützling endlich nach drinnen bringen zu können. „Ich werde in zwei Wochen wieder nach Shanghai aufbrechen und habe mich gefragt, ob Sie mich davor wohl noch einmal zum Abendessen begleiten möchten. Mrs. Palgrave ist selbstverständlich auch eingeladen.“
„Das wäre wundervoll, Mr. Crawford“, hauchte Clementine.
Mortimers Gesicht leuchtete vor Freude.
„Wäre es Ihnen am 14. recht? Es ist ein Mittwoch, wenn ich mich nicht irre“, sagte er und Clementine nickte scheu.
Bevor Mrs. Palgrave etwas zu der Sache sagen konnte, öffnete sich die Tür und das Hausmädchen beanspruchte ihre Aufmerksamkeit. Offenbar verlange Mrs. Greene sie unverzüglich zu sehen.
„Nun denn, auf Wiedersehen, Mr. Crawford“, sagte sie und zog Clementine ohne ein weiteres Wort mit sich ins Haus.
Einen Moment lang stand Mortimer verblüfft vor der Tür. Dass Mrs. Palgrave ihn nicht mochte, hatte er längst bemerkt - vermutlich lag es an seinem Ruf als Sonderling. Dass sie jedoch so unverfroren sein würde, das junge Fräulein mitten im Gespräch zu entführen, damit hatte er nicht gerechnet.
Er wollte gerade gehen, als die Tür sich wieder öffnete und Miss Greene mit trippelnden Schritten auf ihn zukam. Das Mäntelchen hatte sie abgelegt und das fahle Licht auf der Veranda brach sich funkelnd in den grünen Alexandriten ihres Colliers, schimmerte sanft auf den Perlen ihrer Ohrringe.
„Ich wollte Ihnen noch etwas sagen“, erklärte sie rasch und spähte hastig durch die Tür nach Mrs. Palgraves. „Nur, wenn ich Sie nicht zu sehr aufhalte, natürlich.“
Mortimer lächelte sie an. „Aber nicht doch, fahren Sie fort, bevor Ihr Wachhund sie wieder davon zerrt.“
Verlegen trat sie näher. „Wenn Sie mir vielleicht ein bisschen entgegenkommen wollten“, bat sie.
Er beugte sich zu ihr hinab, in der Annahme, sie wolle ihm etwas zuflüstern.
Stattdessen legte Clementine ihre Hand federleicht an sein Revers, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen zarten Kuss auf die Wange hauchte.
„Gute Nacht, Mortimer.“
Kaum dass sie die Worte gesprochen hatte, war sie auch schon verschwunden.
„Gute Nacht... Clementine...“, murmelte er, zugleich verblüfft und selig, ehe er sich erfüllt von einem jähen Glücksgefühl auf dem Heimweg machte.
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!
0
|
Larlysia • Am 23.09.2019 um 19:04 Uhr | |
Awwww, wie süß! Ich bin gerade noch mal über die Geschichte gestolpert und finde sie super! *-* | ||
|