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Die Tram. Der Tragödie erster Teil.

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02.02.19 18:00
In Arbeit

1. Akt

Ich sitze seit einiger Zeit auf meinem Platz, als die Türen aufgehen und
mehrere 7.Klässler die Bühne auch bekannt als die Tram betreten. Bisher waren
sie damit beschäftigt, einem "richtigen Kevin" Schnee in den Pullover
zu stopfen. Alle lachen herzlich. Kevin weint sogar vor Freude. Die Anführerin
der Gruppe beginnt zu sprechen - nein ihre exaltierten Laute lassen sich eher
als angenehmes Brüllen beschreiben. Sie hält ein Pappschild in der Hand, auf
dem "Clean" steht, eine blaue Welle daneben. Schön, dass auch
Menschen in jungen Jahren Erfolge bei ihrem Abstinenzprogramm verbuchen können.
Sie hält nun ein raffinierten sokratischen Diskurs zu einer grundlegen Frage
des Menschseins: "Wie lange bleibt ein Kaugummi wohl unter der Schulbank
kleben, bevor es herunterfällt?" Der Alpha-Rüde der Gruppe meldet sich -
ein kleiner Junge, der wohl diesen Morgen die Haargeltube mit dem Duschkopf
verwechselt hat: "Eyyyyy, du bist voll schlau." Der Flirtversuch wird
annerkenend mit einem ungewöhnlich lauten Kaugummischnalzen wahrgenommen. Das
wandelnde Haargel fasst selbstzufrieden eine Haltestange an und umschließt mit
seiner Hand treffsicher einen alten Kaugummi. Er schreit: SKRRRR - wohl will er
mit dieser popkulturellen Referenz anmerken, dass sich in genau diesem Moment
alle Viren dieser Welt in seiner Hand befinden. "Haa", schreit das
Mädchen, "morgen hast du Krebs". Mit dieser medizinisch scharfen Beobachtung
wirkt sie auf ihre Außenwelt immer mehr wie Albert Einstein, gefangen im Körper
eines Teenagers, der noch schlechter mit Beauty Produkten umgehen kann als
Horst Seehofer mit der deutschen Sprache. Plötzlich meldet sich Kevin
überraschend, der nach meiner sozialpsychologischen Analyse auch in den
nächsten 5 Jahren nicht über das Selbstwertgefühl einer Hausstaubmilbe
herauskommen wird: Halt, wir müssen aussteigen, und rennt aus der Bahn. Der
Junge, der mit echtem Namen Benedikt Löwe heißt, wird später erfolgreich
werden. Schon heute weist sein erstaunliches räumliches Vorstellungsvermögen
darauf hin. Doch genug des kurzen auktorialen Exkurses, denn auf der Bühne
überschlagen sich nun die Ereignisse nach einem Protagonistenwechsel.

3. Akt (der 2. hat Verspätung)

Ein Ghettoblaster betritt die Bahn. Nach genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass ein blasser dünner Junge das viel zu große Gerät trägt. Sein Freund – Spitzname Brudaa – bedient den Ghettoblaster mit seinem iPhone. Es kommt Lose Yourself von Eminem. Leider hapert es bei den beiden mit Englisch. Nichtsdestotrotz singen sie den Refrain lautstark mit, in dem es nun um Looser mit Uhren geht. Eine Mitvierzigerin mit frecher Kurzhaarfrisur beginnt sich mit schriller Stimme zu beschweren. Nach kurzem Streitgespräch ist klar, wer die Oberhand gewonnen hat. Sybille – die besagte, im Herzen junge Dame – sitzt wieder zufrieden auf ihrem Platz und aus dem Ghettoblaster tönt nun eine Symphonie von Ludwig van Beethoven. Die beiden steigen schließlich aus, natürlich nicht, ohne einmal kräftig zu furzen – ein ausgefallener, unerwarteter Scherz. Es kehrt Stille ein in der Bahn. Totenstille. So muss sie sich anfühlen, die Ruhe vor dem Sturm.
Als sich die Türen an der nächsten Haltestelle öffnen, betritt eine mexikanische Mariachi-Band die Bahn. Die Bandmitglieder entpuppen sich aber nach dem ersten gesprochenen Wort schnell als Italiener. Vielleicht erklärt das ihr leicht stereotypes Outfit mit Hüten höher als Heide Klums Stimme und gestrickten Kleidern bunter als die Welt mit Heroin im Blut. Ihr Geschäftsmodell jedoch ist simpel wie genial: Die deutsche Zivilbevölkerung gegen ein kleines Entgeld in ihren wunderbaren Vorurteilen zur mexikanischen Kultur bestärken. Sie stimmen ihren ersten Song an – Vamos ala playa – doch haben hier die Rechnung ohne Sybille gemacht. Nach einem kurzen Prozess wird die Gitarre in einem Akt ungebändigter Kreativität wie eine Geige unter den Hals geklemmt und die Vokalsektion der Band zum Barockchor. Ich darf die eigenartigste Version von „Freude schöner Götterfunken“ hören, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat. Und auf diesem Planeten lebt Andre Rieu wohlgemerkt. Sybille – die besagte, im Herzen junge Dame – sitzt jetzt wieder zufrieden auf ihrem Platz und wippt mit dem Fuß im Takt mit. Sie sieht selbstzufrieden aus. Leider muss Sybille jetzt aussteigen, genauso wie die Italiener, die schleunigst das Weite suchen.
 
 

 

 

 

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Diese Story wird neben Alltag auch im Genre Humor gelistet.