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Wetten, dass du nicht davonlaufen kannst?

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06.01.19 20:12
16 Ab 16 Jahren
Fertiggestellt
Prolog


03. Dezember 2010
Freitagnachmittag in Düsseldorf (Messe Düsseldorf), einen Tag vor der 192. Ausgabe „Wetten, dass…?“



Fröstelnd rieb er sich die Hände aneinander. Michelle, seine Co- Moderatorin, die seit Oktober letzten Jahres mit ihm zusammenarbeitete kümmerte sich gerade noch um die Kandidaten. Wenn sie fertig war war es das dann auch schon mit der Generalprobe vor der Sendung morgen. Thomas war schon oft in Düsseldorf gewesen, wie oft genau konnte er gar nicht mehr an einer Hand abzählen.
Thomas Gottschalk ging zu der Heizung, die in seiner Garderobe hingestellt worden war. Es war zwar eine Heizung, die man lose hinstellen konnte und mithilfe einer Steckdose zum Laufen bringen musste, aber immer noch besser als nichts.
Die Hände aneinanderreihend hielt er diese immer wieder einige wenige Augenblicke an die Heizung, welche ihn nur geringfügig Wärme spendete.
Warum musste es nur so kalt sein? Der Sommer war ihm viel lieber. Sommer. Bei dem Wort dachte er immer noch an die Familie, welche am 12. April 2006 ihr Leben lassen musste. Der Mann Erik starb durch die Hand des Schicksals und die drei anderen Familienmitglieder durch die Macht der puren Verzweiflung.  Noch immer ging dem Moderator dieses Schicksal sehr nahe. Vergessen würde er dies niemals. Der Anblick, den er in der Küche gesehen hatte verfolgte ihn immer noch.
Thomas blickte auf die Armbanduhr, welche an seinem linken Handgelenk prangte. Bald müsste Michelle hier vorbeikommen, denn sie wollten sich noch gerne um die erste gefährliche Wette des morgigen Abends unterhalten. Unbehaglich war dem erfahrenen Moderator schon, wenn er ehrlich war.  Denn dort wettete ein junger Mann, dass er mit Sprungfedern an den Füßen, deren genauer Name Thomas entfallen war, über fünf fahrende Autos springen würde. Der Kandidat brannte regelrecht für seinen Auftritt und es würde ihm bestimmt das Herz brechen, wenn er morgen nicht auftreten dürfte.
Der Moderator bewegte sich langsam, nachdem er sich an der Heizung seines Erachtens nach gut genug gewärmt hatte, in die Richtung wo sein Stuhl stand, auf dem er sich nun auch schon setzte.
Thomas seufzte als er daran zurückdachte, dass Michelle und er den Sportstudenten noch den Helm, den er bei der Durchführung der Wette aufgrund der Sicherheit nun tragen würde, überreden musste. Auch kleinere Autos wollte die Redaktion nehmen. Doch das würde den Ablauf der Wette stark gefährden und eine Änderung in der letzten Minute würden all die Bemühungen, die der Sportler sowie seine Freunde in diese Wette investiert hatten, mit einem Schlag zunichtemachen. Auch der Vater würde morgen eines der Autos fahren. Was für ein Gefühl müsste es für den Vater sein, wenn ihm der eigene Sohn vors Auto läuft? Mit Sicherheit kein angenehmes.
Ein zaghaftes Klopfen riss den Entertainer aus seinen trüben Gedanken, die wie vom Nebel verweht schienen als Michelle nach Thomas eindeutigen Worten des Einlasses in dessen Garderobe getreten war.
„Den Kandidaten geht es gut“, vermeldete Michelle den aktuellen Stand, was Thomas erleichtert in seinem Stuhl zurücksinken ließ.
Thomas nahm dies nickend zur Kenntnis, ehe sich auf seiner Stirn eine tiefe Sorgenfalte abzeichnete. „Wirklich allen? Auch den ersten der morgen auf die Bretter, welche die Welt bedeuten, als erster drauf darf?“, wollte er sich gerne vergewissern.
Nun war es an Michelle, welche nickte und sich auf die kleine olivengrüne Couch setzte, welche gegenüber von Thomas Stuhl stand. „Ich habe ihn nochmal bei Seite genommen und versucht ihn ins Gewissen zu reden. Doch er ist so motiviert und so geladen, einfach so voller Energie, dass er sich nicht von seiner Wette abbringen lässt. Seinen Erzählungen nach haben sie auf diesen Moment morgen monatelang trainiert und sind sich sehr sicher, dass morgen nichts schief gehen wird. Wir müssen ihn vertrauen.“
Thomas schloss die Augen. Vertrauen ist das kostbarste was es auf der Welt gab. „Man sollte gründlich überlegen, wen man sein Vertrauen schenkt, nicht, dass man es den falschen schenkt.“ Damit spielte er auf die Tragödie von vor gut vier Jahren an.
„Wir vertrauen ihnen doch, oder? Thomas ich habe wirklich Angst“, gab Michelle zögerlich zu. Der Moderator verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. „Es wird morgen schon nichts passieren. Keine Sorge! Ich mache diese Sendung nun schon seit über 20 Jahren und ein Beinbruch war bisher das Schlimmste was uns passiert ist“, versucht Thomas die Schweizerin zu beruhigen.
Er stand auf und setzte sich neben sie, sah ihr dabei fest in die Augen. „Ich habe schon einmal Leute bitter enttäuscht und gleich vier Stück auf einmal. Noch einmal wird mir das ganz sicher nicht passieren.“
Michelle wollte am Liebsten den Blick ihres Kollegen, der mit der Zeit zu einem sehr guten Freund geworden und ihr richtig ans Herz gewachsen war, am Liebsten auseichen. Aber schließlich erwiderte sie den Blick, zaghaft, unsicher.
„Wir werden das schon schaffen!“, stimmte sie Thomas zu.  
Entschlossen standen die beiden auf und Thomas nahm seinen Mantel von der Garderobe. Anschließend schaltete er die Standheizung noch aus und zog deren Stecker.
„Morgen wird die beste Sendung aller Zeiten, denn viele werden sich daran erinnern“, prophezeite Gottschalk. Wie Recht er damit haben sollte würde sich jedoch erst morgen zeigen.  

Es sollte der schrecklichste Abend in seiner langen langen Karriere werden.

1. Kapitel


05. Dezember 2010
Sonntagmorgen in einem Hotel in Düsseldorf, Thomas Hotelzimmer



Was zur Hölle war da gestern nur passiert? Thomas konnte es immer noch nicht glauben. Es war kaum in Worte zu fassen.  Unbeschreiblich tragisch. Eine weitere Tragödie in seinem Leben und diesmal konnte er ganz gewiss nicht davonlaufen.
War es seine Schuld, dass sein Wettkandidat verunglückt ist? Ausgerechnet bei dem Auto, welches sein Vater fuhr, misslang ihn der Sprung. Bewegungslos lag er auf den Hallenboden und rührte sich nicht. Im ersten Moment hatte noch der Showmaster in Thomas gezuckt, welcher dachte jetzt stehe er das professionell durch und moderiere die Tragik weg. Leider weit gefehlt.  Da gab es nicht zu beschönigen oder gar schön zu reden. In dem Moment gestern fehlte Thomas Marion Sommer sehr. Natürlich hatte er ihre Ohrfeigen nicht vergessen und fand diese absolut grässlich. Aber sie tat das bestimmt nur um sich selber zu schützen um irgendwie selber klar zu kommen mit sich ins Reine kommen. Was am Ende leider nichts gebracht hat.
Zuerst wurde die Sendung gestern unterbrochen bis sie schließlich nach einem nervenaufreibenden Gespräch mit dem Verantwortlichen der Sendung schließlich beschlossen wurde, die Sendung abzubrechen. Dieser Schritt fiel Thomas unglaublich schwer. Denn kein Entertainer schickt seine Gäste gerne nach Hause. Doch nun stand das Schicksal des Verunglückten im Vordergrund und nicht sein eigenes Schicksal.
Michelle war gestern Abend noch mit ihrer Mutter in den nächsten Flieger nach Hause geflogen. Irgendwie fühlte Thomas sich jetzt sehr im Stich gelassen. Obwohl er Michelles Reaktion mehr als nur verstehen konnte. Wer konnte es ihr verübeln? Denn sie war gestern so richtig im Eimer gewesen was Thomas ganz und gar nicht gefallen hatte.  Selten hatte er seine Kollegin so traurig erlebt. So verzweifelt. Aber war er das nicht auch? Trafen diese ganzen Emotionen nicht auch auf ihn zu? Mit Sicherheit. Thomas wusste nun nicht mehr wohin mit sich. Was konnte er denn jetzt nur tun? Dass der Verunglückte nun Ruhe brauchte und in die fachmännischen Hände der Ärzte gehörte war dem Entertainer mehr als nur bewusst.
Er fuhr sich durch die in alle Richtung abstehenden Locken. Er musste nun Ruhe bewahren und sich überlegen wie es weiter gehen sollte, wie er weiterverfahren wollte.
Am kommenden Mittwoch würde er den Senderverantwortlichen seine Entscheidung mitteilen, ob er am Freitag in Grünwald bei München den ZDF Jahresrückblick „Menschen 2010“ moderieren sollte. Sie würde am Freitag nur aufgezeichnet werden und erst am Sonntag ausgestrahlt werden.
Aber ob er das wirklich machen wollte nach dem gestrigen Unfall wusste er noch nicht.  Mit dieser schweren Entscheidung wollte er sich noch Zeit lassen. Natürlich konnte er sich damit nicht ewig Zeit lassen, das wusste Thomas selber. Was er jetzt gar nicht gebrauchen konnte waren nervige Reporter, die ihn Fragen stellten, auf die er keine Antwort wusste und auch gar keine geben wollte.
Thomas streckte sich und stand von dem Stuhl, der in seinem Hotelzimmer stand auf. Er konnte einfach nicht mehr ruhig sitzen bleiben und tigerte in dem Raum auf und ab.
Die Sendung „Menschen 2006“ war schon schlimm genug gewesen. . Natürlich hatte er dort auch das Drama rund um die Familie Sommer zur Sprache gebracht, da er fand, dass er dies dieser so sympathischen Familie schuldig war.
Ob Thomas jemals wieder glücklich sein könnte? Bestimmt. Aber das benötigte halt eben Zeit. Wie viel er davon benötigen würde würde die Zeit zeigen.
Der Moderator hatte überhaupt keine Lust auf das Treffen mit Manfred, dem Unterhaltungschef des ZDF+s. Aber was sein musste halt eben sein. Thomas gähnte einmal herzhaft und öffnete die Tür von seinem Hotelzimmer, trat durch diese, drehte sich um und schloss diese wieder. Nachdem er sie abgesperrt hatte ging er den Flur entlang. Er war alleine. Thomas bestieg den Fahrstuhl. Auch dort war keine Menschenseele anzutreffen. Die gläsernen Fahrstuhltüren öffneten sich und Thomas trat in die Lobby, grüßte kurz das dort anwesende Personal und nahm sich draußen vor dem Hotel ein Taxi, welches ihn zur Halle in Düsseldorf brachte.
Heute früh hatte Thomas bereits mit der Familie gebetet um ihnen Kraft zugeben. Eine E-Mail sowie einige Telefonanrufe hatte er ebenfalls schon erhalten. So etwas wünscht sich niemand und so was wünscht man niemanden, auch nicht den ärgsten Feind.
Manfred und Thomas würden sich in dessen Büro treffen.  Thomas stieg, als das Taxi endlich vor der Halle hielt aus und ab dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld.
Daraufhin machte er sich auf den Weg zu seinem Chef. Etwas besorgt war Thomas schon was dieses Gespräch bringen sollte.  Hatte er denn überhaupt eine Wahl? Nein. Die hatte er nicht.
Seine Schritte wurden immer langsamer, bis er schließlich vor der Bürotür seines Chefs stand. „Augen zu und durch“, murmelte er und klopfte. Ein müdes „Herein“, auf der anderen Seite war zu vernehmen, welches Thomas eintreten ließ. Der Blick von Manfred sprach Bände. Müde, ausgelaugt und orientierungslos verriet sein Blick Thomas. Aber ging es ihm nicht doch auch genauso? Gut möglich.
„Setz dich“, murrte Thomas Chef. Der Moderator schloss die Tür und setzte sich wie Manfred ihn befohlen hatte.
„Es tut mir so leid…“, begann Thomas. Die Worte sprudelten nur aus ihm heraus. Er fühlte sich verantwortlich, so schuldig, wie noch niemals in seinem Leben zuvor.
Manfred seufzte schwer. „Es muss dir nicht leidtun. Der junge Mann hat die Verantwortung alleine zu tragen, auch wenn das Schicksal nicht spurlos an mir vorbeigegangen ist.“
Thomas fielen fast die Augen aus dem Kopf. Das konnte sein Chef doch nicht ernst meinen! Oder etwa doch?
„Aber…“, versuchte Thomas zu widersprechen, doch dieser Versuch missling ihn. Sein Vorgesetzter hob mahnend die Hand um seinen Moderator zum Schweigen zu bringen. „Ich will nun nichts mehr hören!“
Thomas sank in seinem Stuhl zusammen wie ein kleines Häufchen Asche. Doch plötzlich richtete er sich entschlossen zu seiner vollen Größe auf. „Wir müssen zusammenhalten. Wir…werden das schon schaffen, keine Sorge.“
Manfred brummte etwas Unverständliches und nickte dann. „Hast du schon neue Informationen aus dem Krankenhaus?“ Auf diese Frage folgte nur ein stilles Kopfschütteln.
„Ich erwarte deine Entscheidung bezüglich der Sendung „Menschen 2010“ dann am Mittwoch. Du musst ja noch nach Grünwald bei München reisen und proben.“
Thomas wurde bei dem Gedanken schon am Freitag wieder vor die Kamera treten zu müssen Angst und Bange. „Ich werde mit der Entscheidung zeitnah mitteilen.“ Denn er bereitete sich schon seit längerer Zeit auf eben besagte Sendung vor. Sollte das jetzt alles umsonst gewesen sein? Denn im Inneren tobte ein regelrechter Sturm.
Nach einer für ihn endlose vorkommenden Zeit des Schweigens erhob sich Thomas leise und nickte seinem Chef noch einmal ernst zu. Was er jetzt tun würde wusste er noch nicht. Vielleicht in seinem Zimmer versauern.
„Thomas?“, vernahm der Blondgelockte noch die leise Stimme seines Chefs. Kurz drehte der Moderator sich noch um. „Ich bin stolz auf dich.“
Dieses Lob ließ Thomas wieder etwas Hoffnung schenken, denn noch war nicht alles verloren!

2. Kapitel


11. Dezember 2010
Samstagnachmittag in einem Café in München



Das war wahrlich eine Achterbahnfahrt der Gefühle, ein auf und ab. So ähnlich hatte Thomas seine Anfangsworte zu der gestrigen aufgezeichneten journalistisch aufgearbeiteten Sendung „Menschen 2010“ eröffnet. Leicht fiel ihm der Gang auf die Bühne, obwohl es nur eine Aufzeichnung war wirklich nicht. In Thomas Innersten tobte ein regelrechter Kampf um die beiden Gefühle Angst und Hoffnung. Denn Samuel, seinem verunglückten Wettkandidaten ging es immer noch nicht gut. Heute ist er in eine Spezialklinik eingeflogen worden, welche sich in Nottwil in der Schweiz befindet. Der Moderator würde die Hoffnung niemals aufgeben, auch jetzt nicht. Mit den Eltern von Samuel stand er regelmäßig in Kontakt. Denn ausgerechnet Samuels Vater war es, welcher ihn bestärkt hatte, die Sendung gestern zu moderieren. Die Anspannung hinter der Bühne war zum Greifen gewesen und auch beim Warm-Up welches der Entertainer selber gemacht hatte, wirkte er nicht gelöst, auch über weite Strecken der Sendung wirkte er sehr nachdenklich, war nicht so flapsig wie sonst. Dies war auch seinem Chef Manfred aufgefallen, der ihn darauf heute Morgen angesprochen hatte. Thomas fand seinen Chef jedoch das ganze Gespräch über sehr freundlich und einfühlsam. Eigenschaften, die sein Vorgesetzter in letzter Zeit nicht oft an den Tag legte.
Thomas lehnte sich etwas ins einem Stuhl zurück um die Tür besser im Auge behalten zu können. Denn sein „Gast“ müsste bald hier erscheinen.  Es war schon ein recht kuriose Geschichte, welche zu dem Treffen führte. Denn nachdem letzten Samstag der Auftritt von Justin Bieber abgesagt wurde, was dem verhängnisvollen Unfall geschuldet war, erhielt der Moderator vergangene Woche einen Anruf eines Vaters. Dieser stellte sich als ein alter Schulfreund von Erik Sommer vor. Ein Name, mit dem Thomas nicht nur schöne Erinnerungen verknüpfte.  Der Mann am anderen Ende der Leitung und dessen achtzehnjährige Tochter waren letzte Woche unter den Zuschauern bei „Wetten, dass…?“ gewesen. Thomas dachte nachdem er dies gehört hatte zuerst daran, dass die beiden gerne ein Treffen mit Justin Bieber hätten, denn da Thomas Beziehungen zu den Großen dieser Welt besaß, wäre es für ihn nicht sehr schwierig gewesen, irgendwann ein Treffen mit dem Teenieschwarm zu arrangieren.  Doch Thomas hatte falsch gedacht: Denn der Vater wollte kein Treffen mit Justin Bieber, sondern ein Kennenlernen seiner Tochter die auf den Namen Celina hörte,  mit dem Blondgelockten. Dieser hatte nach reiflicher Überlegung schließlich zugestimmt und ein Treffpunkt war schnell gefunden, nämlich dieses Café in der Mitte von München.
Der Vater klang am Telefon sehr freundlich. Ein sehr zuvorkommender Vater, so empfand zumindest Thomas. Dann eröffnete dieser ihm, dass seine Tochter nicht ganz normal war, denn sie war von Geburt an blind.  Jene Enthüllung hatte den Entertainer schwer schlucken lassen. Aber er ermahnte sich selber, sich ganz natürlich zu verhalten, wie er sich halt immer verhielt, im privaten Umfeld, auf offener Straße, beim Warm-Up oder während einer Sendung. Deren Schicksal lag noch ganz im Ungewissen. Mit deren Schicksal würde er sich befassen, wenn es Samuel besser gehe. Dessen Vater führte am Freitag vor der offiziellen Aufzeichnung ein Gespräch mit Thomas, ohne Publikum um über Samuels derzeitigen Zustand zu informieren. Der Herr wollte sich jedoch heute, was er bereits getan hatte, das Gespräch noch einmal ansehen um dann entscheiden zu können, ob das ZDF es senden könnte oder nicht.
Thomas warf rasch einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, welche am rechten Handgelenk prangte. Das Treffen war für um drei Uhr vereinbart worden.  Hetzen wollte der Moderator Celina nicht. Lieber wollte er ihr alle Zeit der Welt geben. Fragen hatte er sich noch keine überlegt. Denn das Mädchen nach ihrer Behinderung auszufragen wollte der Moderator ungern, da es bestimmt viele Leute gaben, die falsches Interesse vorgeheuchelt haben und sich im Nachhinein ins Fäustchen gelacht haben, was für ein armseliges Leben Celina führt.  
Thomas Blick war fest auf die Glastür vor ihm fixiert, die sich nun öffnete und ein Mädchen mit kastanienbrauen Haaren und grünen Augen das Café betrat. In der rechten Hand hielt sie eine lange weiße Stange, an deren Ende auf den Boden eine sich in rollenden Bewegungen drehende, weiße kleine Kugel befand, die, wenn man genauer hinsah, eine schwarze-rote Unterfläche hatte, wohl um das Mädchen vor möglichen Hindernissen zu warnen. Was sich auch jetzt als äußerst sinnvoll erwies, denn das Mädchen tastete sich langsam, dennoch sicher durch das Café auf der Suche nach ihren Treffen.
Thomas räusperte sich absichtlich um Celina auf seine Fährte zu führen. Diese drehte breit grinsend das Gesicht zu dem Moderator. „Schön, Sie endlich kennenzulernen Herr Gottschalk. Aber Sie hätten sich nicht auf diese Weise anwesend zeigen müssen, denn ich habe Sie an dem kurzen Auftippen Ihres Fußes erkannt.“ Celinas Ohren waren besser als die der normal Sehenden, da ihr eines der wichtigsten Sinnesorgane fehlte und sie sich somit sehr auf ihre Ohren verlassen muss. Denn ohne diese wäre sie definitiv aufgeschmissen. Der Moderator blickte überrascht. Mit dieser Antwort hatte er überhaupt nicht gerechnet. „Es freut mich auch sehr dich kennenzulernen“, begrüßte der Showhase seinen etwas anderen Gast.  Dass er die junge Frau vor ihm duzte sollte eine lockere Atmosphäre schaffen, obwohl Thomas eigentlich nicht zum Lachen zumute war.  Aber dieses Treffen sollte unter gar keinen Umständen unter Thomas momentaner Stimmung leiden. Celinas Vater hatte Thomas nämlich erzählt, wie sehr seine Tochter sich auf das Kennenlernen von Thomas freute und da der Mann ein guter Freund von Erik gewesen war, jedoch nicht mehr im Saarland, sondern in München wohnte, pflegten die beiden keinen regen Kontakt mehr miteinander. Deshalb konnte und wollte Thomas Celina diesen Wunsch einfach nicht abschlagen.
„Setz dich“, bat dieser um die schweigende Stimmung zu durchbrechen, wie das klirrend kalte feste Eis, welches es zu durchbrechen galt.
Celina kam dieser Aufforderung sehr gerne nach. Nervös spielte sie an ihrem Blindenstock, welchen Thomas ihr abnahm und auf die leere Seite der Sitzbank legte, auf der er saß. Das Mädchen nahm gegenüber von Thomas Platz und hängte ihre Handtasche über der Stuhllehne.
„Haben Sie schon etwas zu trinken?“, erkundigte sich Celina. Thomas wollte mit dem Kopf schütteln, ehe er begriff, dass Celina nichts mit seiner stillen Geste anfangen konnte und deshalb erwiderte er: „Nein noch nicht, da ich gerne auf meinen Gast warten wollte.“
Ein leichtes Lächeln umspielte die weichen Züge ihres Gesichts. „Das ist sehr freundlich von Ihnen. Es freut mich sehr, dass es doch noch geklappt hat mit diesem Treffen, auch dass es so kurzfristig ist, da Sie ja momentan andere Dinge um den Ohren haben.“
Thomas konnte ein tiefes Seufzen nicht vermeiden. „Ich bin jetzt ganz für dich da“, erwiderte er ihr ehrlich und entnahm der hölzernen Halterung die Speisekarte. „Soll ich dir die Karte vorlesen?“
Daraufhin schüttelte das Mädchen den Kopf. „Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber nicht nötig, Denn ich bin oft hier in dem Café und weiß was ich möchte. Aber ich kann die Karte auch lesen. Darf ich?“
„Natürlich“, meinte Thomas und legte Celina mit einem sehr fragenden Gesichtsausdruck die Karte hin. „Die Karte liegt vor dir.“
„Danke“, bedankte sich Celina und suchte die Karte mit ihren Händen, schlug diese auf und begann mit ihren Fingern zu lesen. „Hier steht die Überschrift: „Unsere Kaffeespezialitäten: Empfehlungen des Hauses.“
Thomas beugte sich über die Karte und las langsam die auf den kopfstehenden Buchstaben. „Das stimmt. Das ist unglaublich. Wie hast du das denn gemacht?“, erkundigte er sich ehrlich interessiert.
„Durch die Braille Schrift. Diese wurde von dem Franzosen Louis Braille erfunden, da er selber erblindet ist durch einen Unfall und da er gerne wollte, dass auch Blinde lesen könnten entwickelte er die Brailleschrift, welche ihren Namen von ihrem Namensgeber hat. Im Saarland gibt es auch eine Schule die nach Louis Braille benannt ist“, erklärte Celina.
Thomas zeigte sich ehrlich beeindruckt.  „Vielen Dank für die ausführliche Erklärung! Sind das Punkte, die ihr da fühlt?“
Celina nickte bestätigend. „Richtig erkannt, sehen Sie? Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie Punkte. Unser Alphabet besitzt 6 Punkte.“
Thomas beugte sich näher über die Karte und konnte tatsächlich Punkte ausmachen. „Tatsächlich!“, entfuhr es ihm erstaunt.  Probeweise befühlte er einen der Punkte. „Ich kann das nicht lesen“, lachte er. „Aber nicht alle Speisekarten besitzen die Brailleschrift, habe ich recht? Dann musst du dir wohl oder übel vorlesen lassen, oder?“
Erneut erntete der Moderator ein Nicken. „Da liegen Sie genau richtig. Herr Gottschalk?“
Fragend blickte der Angesprochene sie an. „Ja bitte?“
„Darf ich Sie etwas fragen?“, folgte nun auch direkt die Frage. Der Moderator nickte, merkte, dann aber wieder, dass Celina dies recht wenig nützte und bejahte: „Du darfst mich alles fragen.“
„In Ordnung. Wie ist Marion Sommer wirklich gestorben? Denn in den Medien wurde ihr Tod nicht so richtig erklärt.“

3. Kapitel


11. Dezember 2010
Samstagnachmittag in einem Café in München



Es war ein Reflex, eine reflexartige Handlung, unüberlegt, so plötzlich kam Celinas Frage. Das brachte den erfahrenen Moderator ernsthaft aus dem Konzept. Er konnte einfach nicht anders, als scharf die Luft einzuziehen und diese langsam wieder ausatmen zu lassen.
„Das hat mich jetzt wirklich überrascht, denn mit dieser Frage habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich werde sie dir natürlich beantworten, aber dürfte ich dir eine Gegenfrage stellen?“  Thomas warf beunruhigende Wäre es schlau Celinas Frage hier zu beantworten? Ein Blick auf seine Armbanduhr. In nicht weniger als drei Stunden würde er sich mit den Eltern von Samuel am Flughafen treffen, denn diese waren wieder auf den Weg in die Schweiz. Am Freitag nach dem Gespräch mit Thomas bei „Menschen 2010“ reisten die beiden mit Samuels Geschwistern von Düsseldorf nach München, um die Kinder zu Verwandten zu bringen. Heute früh war Samuel dann in die Schweiz geflogen worden und seine Eltern würden heute Abend nachkommen. Früher ging kein Flug mehr.
Thomas besorgter Blick ruhte auf Celina. Hatte sie etwas gesagt? „Sie wirken abwesend Herr Gottschalk. Aber ich wiederhole mich gerne erneut: Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mir eine Gegenfrage stellen.“
Der Blonde konnte ein schweres Seufzen nicht unterdrücken. Zu nahe gingen ihn immer noch die Erlebnisse mit Samuel auch nach einer Woche. War er wohlmöglich für immer gelähmt? Thomas musste gestern bei dem Gespräch mit Samuels Vater um seine Haltung ringen. Fragen über Fragen auf die er noch keine Antwort wusste.  „Das stimmt und das tut mir leid. Ich bin noch nicht ganz auf der Höhe“, antwortete er ehrlich.
„Das ist doch mehr als nur selbstverständlich nach dem schrecklichen Drama vergangenen Samstag. Jeden dem dieses Schicksal kalt lässt besitzt keine Gefühle“, meinte Celina und vernahm Schritte. Das war Marie! Ihre beste Freundin die hier in dem Café arbeitete. Celina erkannt ihre Freundin an ihren Schritten sowie an ihrem Geruch. Das war zwar komisch, aber ohne die Augen war sie auf die anderen noch verbliebenden Sinnesorgane angewiesen.
„Hallo Celina! Ich habe gar nicht gewusst, dass du heute kommst und dann auch noch mit so einem prominenten Gast“, begrüßte Marie ihre Freundin und umarmte sie direkt herzlich.
„Freut mich auch Marie! Wir haben uns diese Woche ja kaum gesehen“, lachte Celina. Sie war glücklich, denn Marie war ihre Stütze in ihrem Leben, ihr Rettungsring in der Not, der rettende Anker, wenn ihr Vater wieder mal am Rad drehte. Denn dass er nur so nett und freundlich war ist nur Fassade. In Wahrheit ist er ganz anders. Kalt und zornig.
Sie räusperte sich und wandte sich dem Entertainer zu. „Entschuldigen Sie bitte Herr Gottschalk! Celina und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten. Es freut mich Sie hier mal begrüßen zu dürfen! Haben Sie schon gewählt?“ Dabei deutete Marie auf die aufgeschlagene Karte vor Celina.
„Verhalten Sie sich wie immer, bitte, ich brauche keine Extrawurst. Ich nehme einen Milchkaffee“, lächelte Thomas, zumindest versuchte er es.
Celina grinste. „Ich nehme wie immer die weiße Schokolade mit extra viel Schaum, den liebe ich einfach“, quietschte sie vergnügt.
Marie notierte sich die beiden Bestellungen. „Gerne es wird nicht lange dauern.“ Thomas blickte Marie nach. Sie sollten doch wie immer arbeiten! Er war doch auch nur ein Mensch und hatte seiner Meinung nach keinen besonderen Staus inne. „Du kannst stolz darauf sein, so eine gute Freundin zu haben“, erlaubte sich der Gelockte diesen Kommentar.
Daraufhin strahlte die junge Frau. Ihre Augen leuchteten wie Mond und Sterne zusammen. „Da haben Sie auf jeden Fall Recht! Ich wüsste nicht, was ich ohne Marie machen würde. Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten und wir vertrauen uns blind.“

„Da geht es euch ähnlich wie mit meiner Frau und mir. Eine Beziehung, egal ob es freundschaftlich ist oder eine Liebesbeziehung baut auf Vertrauen auf. Auch mit Michelle verknüpft mich so ein Band.“ Kurz schwiff sein Blick zum Fenster. Ob Michelle sich inzwischen erholt hatte von dem Schock? Denn sie war wirklich im Eimer gewesen, sehr mitgenommen.
„Kommen wir endlich zu meiner Frage und zwar warum du dich so brennend nach Marion Sommer interessierts? Versteh mich bitte nicht falsch, ich finde es löblich, dass ich nicht der Einzige bin, der oft an die Familie und deren Schicksal denkt, aber dennoch, hat mich deine Frage überrascht um ehrlich zu sein.“
Celinas Augen ruhten auf Thomas. sie war plötzlich ganz still. Die anderen Gäste schnatterten munter weiter. Das Café war wirklich belebt.  „Hat Ihnen mein Vater nichts erzählt? So viel Vertrauen habe ich ihm nämlich entgegengebracht.“ Nun war es an Celina schwer zu seufzen. Thoms vermutete daraufhin, dass Celina es nicht leicht haben könnte mit ihrem Vater. Am Telefon klang er aber so nett! War das vielleicht alles nur gespielt? War er nicht der der er vorgab zu sein? Versteckte er sein wahres Ich hinter einer fröhlichen Maske? Thomas wollte gerade darauf antworten, als Marie mit ihren Bestellungen an ihren Tisch zurückkehrte. „Bitteschön!“, sagte sie, stellte di Tassen auf dem Tisch ab und schlenderte mit Block und Stift zum nächsten Tisch.
Thomas wunderte sich kurz. Niemand der Anwesenden wollte ein Foto oder ein Autogramm mit ihm. Vielleicht aus Respekt, wegen Samuel? Gut möglich, denn Thomas ging es wirklich nicht gut.
„Pardon, aber was sollte dein Vater mir gesagt haben?“, fragte der Moderator nach.
„Wie er zu Erik Sommer stand“, lautete die knappe Antwort. Thomas zog die Stirn in tiefe Sorgenfalten. Jetzt war er wirklich verunsichert wie er dieses Gespräch weiterführen sollte, ohne um Celina zu nahe treten zu wollen. Aber es gab da nur eine richtige Antwort, nämlich die Wahrheit und zwar das was Celinas Vater ihm erzählt hatte. „Dein Vater erzählte mir, dass Erik und er damals gute Schulfreunde gewesen sein. Sie waren zusammen in einer Klasse. Er war damals nicht auf der Beerdigung, oder?“
Celina schüttelte den Kopf. „Die Sache ist die, mein Vater hat Ihnen, was seine und Eriks Verhältnis zueinander angeht, eiskalt ins Gesicht gelogen und das tut mir furchtbar leid Herr Gottschalk.“
Thomas schluckte hörbar. „Das verstehe ich nicht! Sind äh waren die beiden sich etwa näher als ich angenommen habe? Vielleicht waren sie ein Paar?“, spekulierte der Entertainer und fuhr sich durch die Locken.
Er hob seine Tasse an und führte sie zu seinen Lippen. Der Kaffee war nun genau das Richtige. Das brauchte er jetzt. Dringend. Drängend.
Celina zog an ihrem Strohhalm.  „Erik und mein Vater waren Brüder. Aber das Verhältnis der beiden war mehr als nur angespannt.“
Thomas hob überrascht eine Augenbraue in die Höhe. „Warum hat dein Vater denn dann gelogen? Hatte er einen Grund, könntest du dir so etwas erklären?“  Erneut stieß er Luft aus. Das konnte doch nicht wahr sein!
Ein trauriges Kopfschütteln war Antwort genug. „Das genügt mir schon als Antwort. Ähm um nun endlich zu deiner Frage zurückzukommen. Marion konnte den Tod ihres Mannes nicht verkraften und hat ihren Leben deshalb mit einer Plastiktüte…“  Thomas Stimme brach. Weiterreden war nicht mehr möglich.
„Das ist ja schrecklich!“, entfuhr es der geschockten Frau. Sie schlug sich erschrocken die Hand vor dem Mund.
„Es tut mir leid. Ich konnte es nicht verhindern. Ich fühle mich immer noch so schuldig und jetzt auch noch Samuel…“
„Das hätte ich nicht gedacht, dass Sie immer noch an die Familie Sommer denken“, meinte Celina. „Sie müssen sich nicht schuldig fühlen. Es war nicht Ihre Schuld, sondern einfach Schicksal. Geführt von, durch die Hand Gottes“, sagte Celina.
Thomas lachte freudlos auf. „Ha, Gott. Er ist in meinem Nachnamen vorhanden, also ist er schon immer ein Teil von mir gewesen. Meine Familie war sehr gläubig. Aber du hast Recht, an deinen Worten ist durchaus etwas Wahres dran.“
Beide hingen so ihren Gedanken nach, lernte ihre Tassen und bezahlten schließlich bei Marie. Thomas wollte natürlich die Rechnung bezahlen.
Celina gab sich schließlich doch geschlagen: „In Ordnung. Dann zahlen eben Sie, aber im Gegenzug begleite ich Sie dann an den Flughafen, wo Sie Samuels Eltern treffen sollen. Wäre das ein Deal? Nur wenn es in Ordnung geht, denn ich möchte mich nicht aufdrängen.“
Dies zauberte Thomas ein ehrliches Lächeln ins Gesicht. „Ich habe nichts dagegen und dann bringe ich dich nach Hause.“
Celina stand auf und Thomas reichte ihr ihren Blindenstock.  Beide verabschiedeten sich noch von Marie und verließen dann gemeinsam das Café.

Thomas war sich unsicher, ob er Celina vielleicht am Arm nehmen sollte. Doch er ließ es bleiben. Er legte ihr stattdessen die Hand auf die Schulter während die beiden so nebeneinander hergingen. „Du machst das wirklich toll“, meinte der Moderator ohne um zu übertreiben.
Celinas Blick war fragend. „Was meinen Sie genau?“ Thomas ließ von ihrer Schulter ab. „Na, wie du mit deiner Beeinträchtigung umgehst. Ich kenne wenige Menschen, die das tun. Hättest du vielleicht Lust Samuel mit mir später zu besuchen? Also, erst dann, wenn er sich in der Lage fühlt uns zu empfangen. Du könntest ihn bestimmt Hoffnung schenken, ihn Mut machen. Denn das braucht er dringend!“
Celina folgte der Straße nach unten mit Thomas an ihrer Seite und schürzte nachdenklich die Lippen. „Das würde ich sehr gerne machen. Unsere Nummer haben Sie ja.“
Die beiden gelangten an eine strak befahrene Straße. „Vorsicht“, mahnte Thomas. „Hier ist viel Verkehr.“
„Wir gehen die Straße rüber und links müsste die Haltestelle sein. Ich habe einen Behindertenausweis in meiner Handtasche mit dem kann ich ohne etwas zu bezahlen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen und somit lade ich Sie ein“, erklärte Celina und erstarrte. Wo war ihre Tasche?
„Meine Tasche!“, rief sie besorgt.  Thomas sah an Celina auf und ab. „Vielleicht hängt sie noch im Café? Bleib du hier stehen und ich gehe nachschauen.“
„Tun Sie das“, meinte Celina kleinlaut. Ohne ihre Tasche fühlte sie sich wirklich sehr unsicher. Aber noch unbehaglicher fühlte sie sich ohne ihren Blindenstock, welcher ihre Augen darstellte.
„In Ordnung. Ich beeile mich und bin gleich wieder da“, verabschiedete sich Thomas. Seine Schritte entfernten sich.
Der Lärm der Autos war für Celinas Ohren eine Zumutung. So entsetzlich furchtbar laut. Sie drehte ihren Kopf in alle Richtungen und vernahm eine altbekannte Stimme. „Es ist alles frei.“ Das war doch Thomas! Was Celina jedoch nicht sehen konnte war, dass es sich zwar tatsächlich um Thomas handelte, aber eine junge Frau, die gerade mit dem Fahrrad an ihr vorbeifuhr, sich das Warm-Up von Thomas, welches er gestern im Rahmen der Sendung „Menschen 2010“ abgehalten hatte ansah.
Thomas Stimme entfernte sich. Celina vertraute ihm! Die Straße war frei! Das hatte er selber gesagt. Sie setze einen Schritt auf die Straße und spürte zwei Hände an ihrem Rücken. Sie kante diese Hände! Diese hatten sie schon oft angefasst…
Der Lärm war so schlimm! Die Hände drückten an ihren Rücken! Celina schrie, verlor ihren Blindenstock und wurde von den zwei starken Händen nach unten gedrückt. Celina fiel hin, auf den harten Asphalt, auf diese laute Straße.
Etwas bohrte sich in ihre Rippen. Reifen quietschten. Celina spürte Schmerzen. Unerträgliche Schmerzen. Sie vernahm Schreie von Passanten. Dann nichts mehr. Schwärze.


Thomas hastete aus dem Café. „Danke Marie!“, rief er noch ehe er bereits aus der Tür, raus auf der Straße war. Er lief den Bürgersteig entlang, bog um die Ecke.
„Celina?! Ich habe deine Tasche..oh Himmel nein!“ Thomas sah wie durch einen Schleier. Es kam ihn wie ein Traum vor. Er merkte gar nicht wie er die Tasche fallen ließ und auf die Unfallstelle zu hechtete. Dort lag nämlich Celina blutüberströmt.
Eine Frau kümmerte sich um sie, welche Thomas mehr als nur bekannt vorkam. Es handelte sich um niemand geringerem als Samuels Mutter! Dessen Vater saß wie konsterniert hinter dem Steuer. Das durfte nicht wahr sein!  
„Oh Himmel, nein!“, kreischte Thomas und sank neben der Verletzen auf die Knie, nahm ihren Kopf in seine Hände und bettet diesen auf seine Knie.
„Celina. Ich bin da. Ich bin bei dir und lasse dich niemals alleine! Härst du? Du musst nur durchhalten. Wir bringen dich in ein Krankenhaus und da wird dann geholfen. Vertrau mir!“, redete der Moderator so ruhig wie möglich auf das Mädchen ein.
„Versprochen?“, wisperte Celinas dünne Stimme durch den Lärm während Samuels Mutter, die Ärztin war, Celina behandelte so gut es die Umstände zuließen.
„Versprochen! Ich bin da, Celina. Ich bleibe an deiner Seite. Du wirst es schaffen. Du hast doch schon so viel geschafft!“, flüsterte Thomas und sah hoffnungsvoll in die Augen der Ärztin. Diese schloss traurig die Augen und schüttelte den Kopf.
„Nicht! NEIN! Nicht schon wieder!“, brüllte Thomas und strich Celina mit zitternder Hand über das Haar.
„Herr Gottschalk, danke für alles.  Man hat mich geschubst, ich habe Hände gespürt und ich.. die Person hat mich immer angefasst und es war..-“
Celinas Kopf fiel zur Seite. Leblos. Thomas schüttelte die Frau. „Wer war es? Wer hat dich geschubst?“
Samuels Mutter legte Thomas tröstend eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid.“
„Beleben Sie sie wieder! Sie sind doch Ärztin? Nein! Ich lasse das nicht zu. Das darf nicht wahr sein“, kreischte der Entertainer und machte sich keine Mühe seine Tränen zu verbergen. „Erst Samuel und jetzt Celina…“
Er war fix und fertig. Das war noch schlimmer als vor vier Jahren das Drama um die Familie Sommer.
„Samuel geht es besser“, versuchte die Ärztin den Entertainer zu beruhigen.  Doch dieser vergrub sein Gesicht in den Händen und schluchzte los.
Der Vater des verunglückten Kandidaten kam auf Thomas zu. Er war ebenfalls geschockt und sehr betroffen. „Ich habe das Auto gefahren. Sie war so plötzlich da…Ich konnte nicht mehr bremsen.“
Thomas schrie seine Trauer hinaus, ehe er versuchte sich zu beruhigen. „Es ist nicht ihre Schuld Herr Koch, wäre ich bei Celina geblieben, wäre das gar nicht erst passiert. Nun habe ich Schuld! Ich werde Samuel helfen und den Täter finden und dann wird alles gut. Es MUSS gut werden.“
„Danke, wir werden Sie unterstützen so gut es geht“, versprach Herr Koch.
Thomas stand langsam auf und sah einen verzweifelt wirkenden Mann auf ihn zu rennen. War das etwa Celinas Vater?
Der Moderator blickte betreten zu Boden. Voller Schuldgefühle. Aber der Mann war wohl nur ebenfalls ein Arzt. Jemand musste wohl einen Krankenwagen gerufen haben und die Polizei war ebenfalls anwesend.
Diese bewegten sich langsam auf Thomas zu. Einer der beiden Beamten räusperte sich „Ich bin wirklich geschockt, dass ich das mal zu Ihnen sagen muss, aber Sie sind festgenommen wegen dem Mord an Celina Winter!“
Thomas sank auf die Knie. Das war eindeutig zu viel. „Das ist unmöglich!“ Doch kurz nach seiner Aussage spürte er Handschellen um seine Handgelenke.
Gewaltsam wurde er zum Polizeiauto geführt. Welches Spiel wurde hier nur gespielt? Thomas ballte die Hände zu Fäusten. Er würde seine Unschuld beweisen!
Thomas war kein Mörder!

Freudig rieb er sich die Hände. Alles war so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Seine Perrücke, die Thomas blonden Locken zum Verwechseln ähnlich sahen, juckte fürchterlich und wurde kurzerhand auch abgenommen.
Einige Passanten hatten nach dem Unfall die Polizei verständigt und da er mit der Perrücke Thomas stark glich, hatte man den Moderator als Täter angegeben.
Er wollte Rache. Einfach nur Rache.

4. Kapitel


13. Dezember 2010
Montagnachmittag im Gefängnis in München, Besucherraum



Wie konnte es nur so weit kommen? Thomas Leben bestand nur noch aus Scherben. Wie lange würde er diese Zustände noch aushalten? Er war jetzt schon zwei Tage in Haft und zwar in einer engen Zelle. Sein Gesicht hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Müde sah er aus, erschöpft, ausgelaugt und war fertig mit sich und der Welt. Für so eine schreckliche Welt war er nicht geschaffen. Wie lange er hier noch durchhalten würde? Er konnte diese Frage nicht beantworten.   Immer noch war ihn unbegreiflich wie so etwas passieren konnte! Er hatte da auf ganzer Linie, im ganz großen Stil versagt und dies war unverzeihlich.
Wie es Samuels Eltern wohl gerade ging? Bestimmt alles andere als gut. Auch Celinas Vater Simon Winter war sicherlich ebenfalls fix und fertig und geschockt. Hoffentlich war auch er von seiner Unschuld überzeugt. Denn Thomas würde doch niemals einen Menschen umbringen! Er war doch als der schlimme Unfall passierte im Café, wo er sich mit Celina getroffen hatte um ihre vergessene Tasche zu holen. Wenn Marie nicht gewesen wäre. Sie war nun seine einzige Hoffnung! Sie war nun so etwas wie seine Stütze.  Marie kannte schließlich die Wahrheit! Ungeduldig blickte er auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing, genau über der Tür, welche sich öffnete und ein aschfahles Gesicht den Raum betrat. Ein groß gewachsener Mann mit kurzen blonden Haaren und traurigen blauen Augen blickte ihm entgegen. Es musste sich um Simon Winter handeln, Celinas Vater.
Thomas biss sich auf die Lippe. Was sollte er denn jetzt nur sagen? Wie konnte er beginnen? Beschämt, mit gesenkten Kopf starrte er die graue Tischplatte vor sich an. Er hörte wie der Stuhl, der gegenüber von ihm stand zurückgezogen wurde und sich der Besucher darauf fallen ließ.
Thomas schluckte und hob zeitgleich den Kopf, um in diese verzweifelten Augen zu blicken.  Was hatte er da nur bloß angerichtete? Wäre es jetzt besser zu schweigen? Nein, das würde ihn nicht weiterbringen. „Sie haben allen Grund mich zu hassen“, begann der Moderator langsam, versuchte nach Möglichkeit seine Worte sorgsam auszuwählen. Denn diese könnten über alles entscheiden, über Sieg oder Niederlage.
Simons trauriger Blick wich einer zornigen Miene. „Schweigen Sie! Herr Gottschalk, Sie hatten eine, eine verdammte Aufgabe, ein Treffen mit meiner Tochter und jetzt ist sie tot! Können Sie überhaupt etwas richtig machen? Der Unfall Samuels und die Tragödie mit den Sommers vor vier Jahren zeigt ganz deutlich, dass Sie den Tod bringen! Ihre Anwesenheit bringt den Tod!“
Der Moderator wusste darauf nichts zu erwidern. Er musste äußerst vorsichtig mit seinen Antworten umgehen. Er schluckte schwer und schloss kurz darauf die Augen, suchte vergeblich nach den richtigen Worten, welche der Situation angemessenen erschienen, vergebens. Zum zweiten Mal innerhalb einer von zwei Wochen fehlten Thomas Gottschalk die Worte. Das musste man sich mal vorstellen! Langsam öffnete der müde Moderator seine Augen und starrte in die vor Wut lodernden blauen Augen seines Gegenübers.  „Es tut mir so leid. Ein Leben kann man nie wieder wiederherstellen. Was tot ist, bleibt tot.  Jedoch muss ich die Beschuldigung, dass ich der Täter sein soll, der ihre Tochter auf dem Gewissen hat, widersprechen. Denn ich kann es unmöglich gewesen. Zum Tatzeitpunkt befand ich mich in dem Café, in dem Celina und ich uns getroffen hatten um Celinas vergessene Tasche zu holen. Jemand anderes muss sie geschubst und für ihren Tod verantwortlich sein. Bei der Hilfe nach dem Täter bin ich gerne behilflich, jedoch muss man mich dazu endlich freilassen!“
Simon drückte erbost seine beiden Handflächen auf die graue Tischplatte und stieß sich schwungvoll nach oben. Anschließend umrundete er den Tisch und packte den Moderator am Kragen. „Soll ich Ihnen was sagen?“ Langsam hob er den Entertainer nah an sein Gesicht. „Ich tötete Celina!“ Thomas schrie erschrocken auf, riss seine Augen auf. Das war doch nicht möglich! „Dann stellen Sie sich!“, verlangte er und versuchte sich aus dem eisernen Griff Simons zu befreien, jedoch ohne Erfolg.
Die beiden Männer blickten sich zornig an. „Sie haben gerade den Mord an Ihrer Tochter zugegeben! Deshalb verlange ich, dass man mich unverzüglich entlässt! Warum tut ein Familienvater so etwas nur? Es war Ihre Tochter!“
Daraufhin schüttelte Simon nur mit dem Kopf. „Ich habe Celinas Freundin, wie hieß sie noch gleich? Ach ja, Marie. Also ich habe sie zum Stillschweigen gezwungen.  Es waren unvergessliche Nächte.“
Thomas japste laut als Simon ihn bei seinen letzten Worten losgelassen hatte und er auf dem Stuhl zurückgesunken war.
„Sie sind doch krank“, murrte Thomas und rieb sich seinen Hals. „Außerdem weiß ich von Ihrer Tochter wer sie wirklich sind! Sie sind in Wahrheit der Bruder von Erik Sommer und wollten wohl Rache, da Sie denken, dass ich an dem Tod Ihres Bruders sowie dessen Familie schuld bin? Ist es nicht so? Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich die letzten vier Jahre durchmachen musste. Natürlich gebe ich mir immer noch die Schuld an dem tragischen Unglück und jedes Jahr besuche ich das Grab der Familie an ihrem Todestag und lege Blumen auf die vier Gräber. Ich tue etwas zu dem Sie niemals fähig sind. Denn seien wir mal ganz ehrlich: Das Grab sieht, wenn ich diesen einem Besuch abstatte immer genauso aus, wie ich es verlassen habe! Niemand außer mir kümmert sich um dieses Grab! Ich bin verdammt nochmal ein Prominenter und hätte andere Dinge zu tun! Aber nein, wegen meiner Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft besuche ich das Grab Jahr für Jahr, immer und immer wieder!“, redete sich der Moderator in Rage. „Und was tun Sie? Mir einen Mord unterzuschieben, den Mord an Ihrer eignen Tochter! Sie müssen aufwachen! Das… ist doch nicht richtig.“ Der Gefangene seufzte traurig und blickte auf seine Fußspitzen, die er beschämt gegeneinander rieb.
Bevor Simon etwas darauf erwidern konnte stand der Entertainer auf, ging auf ihn zu und zog ihn in eine feste Umarmung. Warum tat er das? Simon war ein Verbrecher! Das hatte Gottschalk doch selber gesagt. Simon verstand es nicht. Die Reaktion des Moderators verwunderte ihn, hielt ihn so sehr gefangen, dass er einfach nicht anders konnte, als seinen Tränen, die er so lange zurückgehalten hatte, endlich freien Lauf zu lassen.
„Warum? Warum tun Sie das?“, wisperte Simon mit schwacher Stimme, die so dünn wie eine gefrorene Eisschicht auf einen zugefrorenen kleinen See war.
Langsam löste Thomas die Umarmung und blickte den Vater mit dem verweinten Gesicht schweigend entgegen. „Denken Sie darüber nach und teilen Sie mir Ihre Entscheidung mit, wenn ich Sie im Gefängnis besuchen komme.“ Der letzte Teil des Satzes war nicht mehr als ein Hauchen.
Simon realisierte was sein Gegenüber da gerade gesagt hatte und klammerte sich an den Moderator. „Nein! Das können Sie nicht tun! Wenn Sie das tun wird Ihre Sendung untergehen!“, drohte er und verzweifelte Schluchzer zerrissen die Stille, welche Thomas immer noch nach al den Jahren so furchtbar schrecklich fand. Er fühlte sich dann immer so allein.
„Meine Sendung wird so oder so bald untergehen“, meinte Thomas und drückte Simon bestimmt von sich.
„Wie meinen Sie denn das schon wieder? Gottschalk, Sie sprechen nur in Rätseln!“, warf Simon diesen vor. „Sie dürfen mich nicht verraten!“
Thomas schüttelte nur traurig den Kopf und ging zur Tür. An diese klopfte er dreimal. Ein Zeichen, welches er mit dem Polizisten, der draußen vor der Tür Wache hielt vereinbart hatte, falls es Probleme geben sollte.
Simon begann zu brüllen, voller Wut. „NEIN!“
Thomas schloss seine Augen atmete tief durch und öffnete die Tür. Vor ihm stand kein Polizist, sondern ein ganz in schwarz gekleideter Mann.
„Wo ist der Polizist?“, war das erste was Thomas perplex hervorbrachte. Der Fremde winkte lässig mit seiner Hand ab. „Dem geht es gut.“
Wie aufs Stichwort versammelten sich viele Polizisten um den Mann. Dieser deutete den Beamten Simon in Gewahrsam zu nehmen, was diese auch prompt umsetzten.
„Ich werde Ihnen alles erklären, wenn die Zeit reif ist. Doch jetzt haben Sie glaube ich dringendere  Verpflichtungen.“
Daraufhin trat der Polizeichef neben den Fremden und nickte. „Durch die Kameras, die im Besucherraum wegen der Überwachung angebracht waren, konnten wir sehen und hören was sich dort zugetragen hatte. Sie haben den wahren Täter fassen können und sind natürlich jetzt entlassen.“
Thomas war etwas überfordert mit der gesamten Situation, nickte jedoch und drehte sich noch einmal zu Simon um, der bald abgeführt werden sollte. „Ich werde wieder komme, versprochen.“

Thomas fühlte sich so gut, als er wieder in seine alten Klamotten wieder anhatte. Auch seine Wertgegenstände, welche er bei seiner Einlieferung abgeben musste verstaute er nun sicher wieder in den entsprechenden Taschen.
Doch der mysteriöse Mann ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wer war er bloß und was hatte sein plötzliches Auftauchen bloß zu bedeuten? Den wieder gesehen hatte er ihn nicht mehr.
Der Moderator würde erstmal seine Familie anrufen und sich dann endlich wieder nach Samuels momentanen Gesundheitszustand erkundigen.
Es hatte das Erlebnis wie, als wenn er auf die große Bühne trat, als er nun die gläsernen Doppeltüren öffnete, die nach draußen, in die Freiheit führten.


Mit einem erleichterten Lächeln wurde Thomas, ohne, dass er es bemerkte von dem Mann ganz in schwarz heimlich beobachtet.
„Er wird der Richtige sein, dessen bin ich mir ganz sicher. Wen sonst außer ihm? Kein anderer käme in Frage. Aber er muss es nur wollen. Diese Entscheidung kann ihn keiner abnehmen…“

5. Kapitel


Unbekannte Zeit, Nottwil in der Schweiz, Paraplegiker-Zentrum


Mit schnellen zielsicheren Schritten durchquerte der Moderator die Eingangshalle des Schweizer Paraplegiker-Zentrums. Dort lag nur eine Person, welche er jetzt unbedingt sehen wollte und es auch musste. Viel zu lange hatte er seinen Besuch schon aufgeschoben.
Da kam es Thomas gerade recht, dass er nach seiner Entlassung  sowieso keinen anderen tiefgründigen Gedanken verschwendete hatte, außer an Samuel. Dessen Eltern müsste es doch jetzt nach dem Unfall schrecklich gehen? Damit meinte Thomas den Unfall mit Celina Winter. Sie war die Tochter von Simon Winter, der jetzt durch Thomas eigenes Verschulden im Gefängnis saß.
Thomas konnte es sich nicht erklären. Aber irgendwie fühlte er sich schuldig. Gab es jedoch einen Grund dafür?  Nicht wirklich, oder? Wenn er ehrlich zu sich selbst war. Ehrlich zu sich war. Etwas, was er in letzter Zeit nicht oft geschafft hatte.
Seufzend hatte er sich inzwischen den Empfangstresen genähert, um sich zu erkundigen wo sich Samuels Zimmer befand. Was ihm aber äußerst spanisch vorkam, war die Tatsache, dass  gar keine Kameras oder sonstige Medienvertreter anwesend waren? Wo waren sie nur bloß?
Die Frau am Tresen blickte von ihren Unterlagen, welche sie gerade sortiert hatte, auf.  „Oh, Herr Gottschalk! Es ist uns eine Freude Sie hier bei uns begrüßen zu dürfen. „
Bevor Thomas jedoch etwas darauf erwidern und sein Anliegen vortragen konnte packte ihn jemand von hinten an der Schulter.  Mit verwirrten Gesichtsausdruck ließ sich der Entertainer herumwirbeln nur um dann in wütend funkelnde Augen zu blicken.
„Wären Sie nur etwas eher gekommen, wäre Samuel jetzt noch am Leben! Er ist tot und es ist ganz alleine Ihre Schuld! Schämen Sie nicht?“, vernahm er die Stimmen der Eltern. Sie klangen aufgebracht, hysterisch, verzweifelt sowie auch wütend.
„Nein, nein, nein…NEEIN!“, kreischte Thomas verzweifelt.  Wie war das möglich? Wie konnte es nur so weit kommen? „Das darf nicht wahr sein. Ich….“, stammelte Thomas und hielt sich seinen Kopf, der auf einmal so unglaublich schwer geworden  war.
„Ihre glorreichen „Wetten, dass…?“ Tage sind vorbei“, erklang es von allen nur erdenklichen Seiten. Woher kamen nur diese Stimmen.
„Nein, das ist nicht wahr! Es darf nicht wahr sein!“, brüllte Thomas.

Erschrocken setzte er sich  im Bett auf. Schweißgebadet zitternd hechelte er wie ein Hund. Das war mit Abstand der schlimmste Alptraum, den er jemals erlebt hatte. Oder war das eben tatsächlich die Wahrheit gewesen? Wenn sich diese Wahrheit tatsächlich bewahrheiten würde, würde er sich das niemals verzeihen können und das musste er mit all den erdenklichen Mittel, die ihn dafür zur Verfügung standen zu verhindern versuchen.
„Das darf niemals passieren“, murmelte Thomas  zu sich selbst, immer noch geschockt über das soeben Geträumte.
Flüchtig warf er einen Blick auf die Digitaluhr, welche auf dem Nachttisch des Hotels stand. Es war gerade mal 3 Uhr früh. Viel zu früh. Ob er sich aus dem Bett quälen sollte? Denn an Schlaf war nun überhaupt nicht mehr zu denken.
Heute war der 15.12, ein Mittwoch. Wie er gestern den Tag überstanden hatte wusste er nicht. Natürlich kamen viele Vertreter der Presse auf ihn zu und baten  eindringlich um ein Statement. Irgendwie dazwischen hatte Thomas es geschafft mit seiner Familie zu sprechen, welche beinah umgekommen wäre vor Sorge. Er vermisste sie. Auch mit Michelle konnte er kurz sprechen, die sich sehr schockiert angesichts der Ereignisse gezeigt hatte. Doch nach Hause ins sonnige Malibu konnte er noch nicht, da ihn Samuel hier quasi festhielt. Auch mit dessen Eltern hatte er telefoniert und ihnen versucht die Schuld an Celinas Tod zu nehmen. War es denn nicht schlimm genug, dass er sich damit herumschlagen musste? Simon hatte schon recht indem er ihn vorgehalten hatte, dass er den Tod brächte und alles, nun zumindest vieles ins Verderben, ins Chaos stürzen würde.
Thomas Gedanken kamen einfach nicht zur Ruhe. Warum musste das alles nur passieren? Gab es da etwa einen tieferen Sinn? Denn, wenn Frank Elstern ihn damals nicht seine Sendung sozusagen geschenkt hatte, wäre er ganz sicher nicht zu dem geworden, der er heute ist. So viel stand fest und dies rechnete er seinen Kollegen hoch an. Aber dann wäre ihm auch der Unfall Samuels, der langsam aber sicher traumatische Ausmaße annahm erspart geblieben.
Als er mit Michelle telefoniert hatte, zeigte diese sich immer noch sichtlich geschockt. Aber um ehrlich zu sein: Genauso ging es Thomas doch auch gerade!
Wütend ließ er sich ins Kissen zurückfallen. Wütend über sich selbst. Dem ewigen Gutmenschen.  Dafür verabscheute er sich selber.
Auch der mysteriöse Mann, der ihn anstelle des Polizisten vor dem Besucherraum erwartet hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Wer war er bloß?
Aber was noch viel wichtiger war: Was wollte er nur von ihm?
Es hatte sehr wichtig, äußerst bedeutend geklungen. Jedoch hatte Thomas den Mann seitdem auch nicht mehr getroffen. Vielleicht hatte er auch vergessen, dass er überhaupt etwas von Thomas wollte? Vielleicht war der Mann auch schon etwas älter? Einige von Thomas Kollegen teilten auch dieses Schicksal, ihn selbst natürlich auch miteingeschlossen. Schließlich hatte er dieses Jahr seinen 60. gefeiert.
Seine Gedanken schweiften kurz zurück in das Jahr 2008 und geradewegs zum Deutschen Fernsehpreis und den damit verbundenen Eklat, ausgelöst von dem Literaturkritiker  Marcel Reich-Ranicki. Dieses Ereignis  hatte jedoch dazu geführt, dass die beiden sich auf freundschaftlicher Ebene nähergekommen waren. Denn Marcel hatte ihm doch tatsächlich  das persönliche ‚Du‘ angeboten, was  der Blondgelockte wie die Absolution des Papstes verstand, die ihm damit erteilt worden war. Das bedeutete Thomas schon sehr viel. Wie es Marcel mittlerweile ging? Bestimmt hatte er von den Ereignissen gehört, die gerade um Thomas herum passierten? Denn so etwas wünscht sich niemand und man wünscht es niemanden.
Denn wenn er ehrlich zu sich sein musste, musste er auch zugeben, dass er in dieser Zeit, seiner ganz persönlichen schwierigen Zeit nicht alleine ist. Niemals alleine gewesen war! Das können nicht viele Leute von sich behaupten. Denn als der Unfall passierte und alles was damit zusammenhing, da war er kein Moderator mehr. Sein erster Reflex war: „Jetzt stehe ich das professionell durch und moderier das weg!“ Aber er lag falsch, oh je und wie er da  falsch lag!
Schwer seufzte er. Er hatte schon viel erlebt, wahnsinnig viel mitgemacht. Würde das jemals ein Ende finden? Er hoffte es so sehr.  Denn etwas Ruhe würde ihn auch ab und zu ganz gut tun.
Der Traum ließ ihn jedoch auch weiterhin nicht los, weshalb er beschloss lieber nicht mehr einzuschlafen.
Murrend warf er die Bettdecke zurück und stand auf, streckte sich ausgiebig und schlenderte dann zum Fenster. Ein schwarzer fast schon nachtschwarzer Himmel, der mit einer handvoll Sterne übersät war blickte ich entgegen. In der sauberen Fensterscheibe blickte ihm sein müdes Spiegelbild entgegen. Er war müde, erledigt, mit den Nerven am Ende. Kein Wunder, dass er so einen Stuss träumte! Sollte er in der Schweiz anrufen und sich erkundigen, wie es ihm ging? Nein, entschied er. Das wäre schließlich alles andere als angemessen und immerhin hatte er ja einen bestimmten Status, ein Image in der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten, da konnte er sich so etwas nicht leisten.
Betrübt blickte r aus dem Fenster in die schlafende Stadt München. Es war hier ja nicht wie in New York, der Stadt, die niemals schläft. Oder war es Los Angeles? Wenn er schon so etwas kleines, banales schon nicht mehr wusste? Was war bloß los mit ihm? War es der ganze Stress, der ihn ermüdete und ihn langsam aber sicher an seine Grenzen brachte? Wie lange würde er das noch durchhalten, trotz der  tatkräftigen Unterstützung seiner Freunde? Dies war momentan noch nicht vorhersehbar und das fuchste ihn am Meisten.
Von seinem Chef hatte er komischerweise noch nichts gehört, was ihn ehrlich gesagt auch nicht sonderlich verwunderte. Denn dieser hatte bestimmt viel Stress, jetzt wo es auch noch dem ‚unverantwortlichen‘ Sender an den Kragen ging, wie die Presse ihn liebevoll betitelte.
E war mehr als nur logisch, dass irgendwann jeder, der in diesem schrecklichen Unfall verwickelt war früher oder später sein Fett wegbekam. Traurigerweise.
Müde rieb er sich über das Gesicht. Er war definitiv zu alt. Oder etwa doch nicht? Erneut ein schwerer, trauriger Seufze und ein hoffnungsvoller Blick zum Himmel.
„Papa, du fehlst mir…“, murmelte er traurig. „Jetzt hätte ich deinen Rat gebraucht…“. Aber Gott hatte ihn seinen Vater genommen durch eine schreckliche Krankheit.
Eine einzelne Träne rollte seine Wange hinab. „Nein, nicht. Reiß dich einmal in deinem Leben zusammen, Thomas!“, ermahnte er sich selber, als es plötzlich klopfte.
Es war mitten in der Nacht! Wer zur Hölle könnte das bloß sein? Langsam ging er zur Tür und blickte in das ernste Gesicht des mysteriösen Mannes.
„Ah, Sie sind wohl schon bereits auf, wenn ich das richtig sehe. Machen Sie sich fertig und kommen dann mit. Denn es gibt viel zu besprechen. Ach und bevor ich es vergesse, stellen Sie keine Fragen, erst am Ende der Story. Denn wir brauchen Sie dringend! Denn Sie sind unsere einzige Hoffnung!“

Epilog


15. Dezember 2010
Mittwochmorgen in München, ein altes Haus mitten im Wald



Mit verschränkten Armen saß Thomas schließlich dem ganz in schwarz gekleideten Mann an einem alten braunen Holztisch gegenüber. Abwartend war der Blick des Moderators. Er wollte Antworten und er würde hier nicht eher weggehen bis er jene auch erhalten hatte. Bis er voll und ganz zufrieden war. Endlich wissen was hier gespielt wurde, falls es überhaupt ein Spiel war.
Diese Hütte im Wald Münchens sprach ja schon von Abgeschiedenheit. Aber vielleicht wurde so auch die Geheimhaltung gesichert? Das war gut möglich sowie auch realistisch.
Thomas seufzte. Fragen waren ja nicht gestattet. Also verbrachte er diese ruhige Zeit damit, seinen Gegenüber abwartend zu mustern.  Er stellte die letzte Hoffnung für sie da. Wer war bloß mit  sie gemeint? Auf jeden Fall mehrere Personen und keine einzelne.  Vielleicht eine Gruppe oder eine Organisation?
Thomas wurde so langsam dem Warten müde. Genervt schloss er die Augen. Er hatte schließlich sehr schlecht geschlafen und hatte Schlaf nachzuholen. Dringend. Drängend.
Er tippte mit beiden Zeigefingern auf seinen Oberarmen herum. Weiterhin schweigend wartend. Still. Wie ihm das nervte! Er brauchte Leute um sich herum, Bewegung, Lärm, etwas zu tun sowie Neuigkeiten, Aufregung, Spannung. Aber bekam er nicht in letzter Zeit genug davon? Ja, eigentlich schon, ja. Jedoch entwickelte sich das alles zu einem großen Drama. In die ganz falsche Richtung.
In die schlechtere, ins Dramatische.
Lange hielt es den Moderator nicht mehr auf seinem Stuhl. Entschlossen stand er auf und begann im kleinen Zimmer auf- und abzugehen. Nervös. Zuletzt war er so nervös vor seiner letzten „Wetten, dass…?“ Sendung gewesen und das ja nicht ohne Grund wie sich später herausstellen sollte. Damals konnte Thomas auch einfach nicht stillstehen. Leicht genervt stieß er Luft nach oben aus.
Der bisher schweigsame andere Mann im Raum hatte ihn wohl ganz genau beobachtet.  Aber Fragen waren ja nicht erlaubt.  Denn auch den langen Weg von Thomas Hotel bis schließlich zu diesem alten Haus mitten im Münchener Wald hatte man schweigend zurückgelegt.
Thomas schloss die Augen und zählte langsam innerlich bis 10, öffnete seine Augen und setzte sich wieder vor dem stillen Mann, der plötzlich alarmierend auf seine Armbanduhr blickte, die seltsamerweise rückwärts zu laufen schien. Vielleicht hatte er einen Timer eingestellt? Diesbezüglich sollte der Entertainer tatsächlich Recht behalten, da ein Alarm ertönte.
Thomas konnte seine Frage, eine einzelne von so vielen nicht mehr zurückhalten: „Was ist hier los?“
Der Mann erhob sich und ging auf den verwirrten Thomas zu, langte in seine Tasche und nahm ein futuristisch aussehendes Gerät heraus, welches einer gewöhnlichen Armbanduhr ähnelte, aber mit Sicherheit keine war und legte diese Thomas um sein rechtes Handgelenk. . Die Zeit lief ebenfalls rückwärts.
„Wollen Sie mich etwa umbringen? Wenn dieses Ding bei Null angelangt ist, explodiere ich?“, fragte Thomas sarkastisch, erntete jedoch nur ein ernstes Kopfschütteln.
„Hören Sie auf zu scherzen! Denn es ist Ernst!“, begann der Mann der einen schwarzen Hut trug, den er tief ins Gesicht gezogen hatte.
„Ach, auf einmal sind wir ja ganz gesprächig! Hören Sie, ich habe die ganze Zeit gewartet, dass Sie mir etwas erklären, haben aber die ganze Zeit geschwiegen und jetzt scheint es zu spät zu sein für Erklärungen, nehme ich an?“, meinte Thomas verwirrt.
„Die Zeit drängt Wir haben keine Zeit mehr“, wiederholte der Fremde und packte Thomas am Handgelenk.
„Woah, woah, woah! Immer langsam mit den jungen Pferden!“, meinte Thomas und der Fremde drückte einen roten Knopf an der Wand, den Thomas erst jetzt bemerkte.
„Der Knopf für den absoluten Notfall, der jetzt leider eingetreten ist“, teilte der Mann mit Hut mit.
Thomas blickte auf ein kleines weißes Licht, welches sich auf der Wand gebildet hatte. Dieses wurde immer größer und formte sich zu einer Art Portal.
Thomas rieb sich die Augen. „Das ist nicht Ihr Ernst! Ich träume bestimmt noch…Ich will Antworten! Was ist hier los?"
„Viel Glück mein Freund. Du wirst es brauchen“, verabschiedete sich der Fremde und trat hinter den Entertainer. „Verzeih mir…“
Nach diesen Worten spürte Thomas zwei Hände an seinem Rücken und danach ein kräftiger Stoß. Er schrie während er durch dieses -war es ein Portal?-fiel.

Thoms wurde nämlich durch die Zeit geschickt, damit er hier niemanden mehr im Wege stand.
„Es tut mir leid mein Freund. So leid. Aber ohne dich fällt uns die Versklavung dieser Welt nicht ganz so schwer!“
Sein Handy klingelte. Umständlich fummelte er es aus seiner tiefen Tasche. „ War die Mission erfolgreich Time-Hunter T?“, ertönte die Stimme seines Chefs.
„Oh ja. Das war sie! Die Time Hunters können ab sofort beginnen dieses Land zu übernehmen, jetzt, wo mein Ich aus der Vergangenheit entsorgt ist! Simon Winter hat hervorragende Arbeit geleistet. Er ist ja schließlich auch ein Mitglied unserer Gruppe, der Time- Hunters“, berichtete der Agent seinen Vorgesetzen.
„Sehr gut. So etwas höre ich gerne. Was ist mit der blonden Göre?“
Der Agent hätte fast sein Handy fallen lassen. „Oh, verdammt!“ Daraufhin schnaubte sein Chef wütend.
„Wir müssen Sie zum Schweigen bringen. Kümmere dich schleunigst darum und verschließe das Portal, damit er nicht mehr zurück kann!“
Damit legte der Chef auf und der Agent drückte erneut auf den in der Wand eingelassenen roten Knopf.
Gottschalks Rückfahrkarte war für immer verloren!

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Kapitel: 7
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Wörter: 10.399
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Kurzbeschreibung

Thomas Gottschalk, Moderator der erfolgreichsten Unterhaltungssendung Europas „Wetten, dass…?“ hatte in den letzten Jahren viel durchmachen müssen. Unter anderem der Tod der vierköpfigen Familie Sommer aus Saarbrücken oder Marcel Reich-Ranickis Eklat beim Deutschen Fernsehpreis 2008. Dies waren nur wenige Beispiele was ihm widerfahren ist. Doch auf das, was im Dezember 2010 passieren sollte war Thomas definitiv nicht vorbereitet. Wird er das Handtuch werfen? (Fortsetzung von „Wetten, dass der Herzschmerz dich besiegt?“,)

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Drama (Genre) getaggt.