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Sätze: | 38 | |
Wörter: | 702 | |
Zeichen: | 4.214 |
Geschrieben für snow white. blood red. tar black.
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leafless treetops in the snow
views of death and bitter cold
(Missio: "The Darker the Weather")
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Kreideweiß verwischt mit Rabenschwarz, dazwischen Grau und Grau und anderes Grau und mehr Schwarzweiß, zerlaufen wie warme Butter, am Himmel. Sansa denkt, es sieht aus wie Schnee und Erde, verschwommen hinter einem Schleier aus Tränen, der ihrer Umgebung alle Konturen nimmt. Schwarz, Weiß, Grau, wo hört das eine auf, wo beginnt das andere? Kaum mehr erkennbar, kaum mehr wichtig, genauso schwer zu trennen wie Erinnerung, Albtraum und Wirklichkeit, und der Winter ist da —
Sansa schließt die Augen. Sie spürt dem Zittern nach, das durch ihren Körper fährt, ohne sich sicher zu sein, ob es nach außen gedrungen ist oder ob nur sie es wahrnehmen kann, irgendwo in ihrem Inneren, leise und doch widerhallend. Da ist klaffende Leere, wo ein Gefühl sein sollte, Trauer, Schmerz, Panik, irgendetwas, doch da ist nichts, nur ihr verebbendes Frösteln, die schwarz-weiß-verschwommene Szene im verschneiten Wald driftet davon als sei sie ein Wolkenfetzen in der Ferne und hinterlässt den gleichen bitteren Geschmack auf ihren Lippen, der auch den halbwahren Worten Ich kann mich nicht mehr erinnern anhaftet.
Winterluft strömt durch ihre Atemwege; sie zwingt sich dazu, das zuzulassen. Kalt und klar und nie genug, egal, wie lange sie zählt, während sie einatmet, egal, wie bewusst und langsam sie ausatmet, es wird nie wieder genug Luft in ihren Lungen sein um das Engegefühl in ihrer Brust für immer zu besiegen. Sansas Lider heben sich wieder. Träge. Widerwillig. Sie kann sich nicht ewig verstecken, Wenn ich dich nicht seh, siehst du mich auch nicht, sie blinzelt Schneeflocken aus ihren Wimpern und da ist wieder das verwaschene Schwarzweiß des Himmels vor ihr. Nicht ganz schwarz, eigentlich. Die blattlosen Baumkronen, deren magere, nackte Äste sich davor abzeichnen, sind noch dunkler, schwärzer als die lange Nacht selbst, schwärzer als Krähengefieder, schwärzer als der Rauch brennender Leichenberge auf gespenstisch still gewordenen Schlachtfeldern und —
Mit der nächsten Schneeflocke blinzelt Sansa eine Erinnerung weg, die vollständig wäre, die sie aber nicht vollständig sehen will. Nicht sehen kann, ohne dass es zu viel wäre. Atmen. Zählen. Nicht denken, das beschleunigt nur den Puls, das beschwört nur herauf, was sie jetzt nicht ertragen kann. Die Lady von Winterfell zerrt ungeduldig am Kragen ihres Mantels, schlägt den Stoff auf, lässt den Nordwind um ihre zierliche Gestalt und die Stoffe ihrer Gewänder tanzen. Bittere Kälte. Gänsehaut-und-Zähneklappern-Kälte. Genug, um für einen Augenblick alles andere auszublenden und ihre Gedanken neuzustarten. Es hat lange gedauert, bis sie gelernt hat, die Katastrophen in ihrem Inneren zu erkennen, bevor sie ausbrechen, geschweige denn sie abzuwenden, zumindest manchmal, zumindest an guten Tagen, falls es so etwas überhaupt noch gibt.
»Was siehst du dir an?« Aryas Stimme schneidet durch die Stille, die klirrend in Scherben zu Boden zu fallen scheint, unendlich laut, so viele Splitter hinterlassend, die sich anfühlten wie Nadelstiche, träfen sie nicht leblosen Stein, sondern empfindliche Haut.
Sansa dreht sich nicht um. Antwortet nicht. Sie lässt Arya zu ihr aufschließen, ohne sich zu regen, sodass sie nun beide von ihrem Zuhause aus in die zu Eis erstarrte Welt hinaus blicken, als gäbe es dort mehr zu sehen als Krieg und Frost und sterbende Bäume.
»Die verschneite Landschaft?« Als Sansa ihre Schwester ansieht, ziert ein seltsam kühles Lächeln deren Lippen, passend zu ihrem ironischen Tonfall.
Sansas Mundwinkel zucken leicht. Sie zieht ihren Mantel wieder enger um sich, taube Finger greifen nach dem Wolfsfell, das sie wärmen soll, in ihrem Kopf schreit erst sie selbst, dann ein Gemisch von Stimmen, das in der Schlacht zu einer einzigen anzuschwellen scheint, dann Ramsay, und sie denkt: Der Winter ist da. Wird er je wieder verschwinden? »Den Tod«, antwortet sie. »Am Horizont. In den Baumkronen. Unter dem Schnee begraben.« Ihr eigenes Flüstern lässt alles in ihr verstummen, nur der tosende Wind heult noch, wahrscheinlich in Realität, nicht in ihr, doch ganz sicher ist sie sich nicht. »Und du?«
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