CN Nacktheit, implizierte sexuelle Inhalte, Erwähnung von Folter und Verstümmelung, Sklaverei, Tod durch Verbrennen
Noch in dem Moment, in dem Tobirama sein Jutsu aktivierte, wusste er, dass etwas gewaltig schief laufen würde. Es war einer jener Momente glasklarer Gewissheit, in denen er die Katastrophe auf sich zurollen sah und doch nichts dagegen unternehmen konnte. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Sein Chakra wirkte auf die Siegel ein und sie begannen zu arbeiten. Es gab einen blendend hellen Blitz, der sich selbst durch seine zusammengekniffenen Lider in seine Netzhäute brannte. Dann umfing ihn Finsternis.
Stille. Absolut und undurchdringlich. Es war, als hätte die Welt selbst den Atem angehalten.
Es dauerte einen Moment, bis Tobiramas Sinne nach und nach wieder funktionierten. Und als sie so langsam zurückkehrten, beschlich ihn auch mehr und mehr das Gefühl, dass etwas wirklich, wirklich Schreckliches passiert war.
Er blinzelte. Allmählich klärte sich seine Sicht. Er wünschte sich, es wäre nicht so.
Denn nun sah er seine Befürchtung bestätigt. Er war nicht mehr in seinem Labor, umgeben von Siegeln und Schriftrollen, sondern in einer steinernen Kammer, die ihm ganz und gar fremd war. Außerdem stellte er fest, dass er gefesselt auf einem Bett lag und … warum bei allen Göttern war er nackt?!
Er zerrte an den Seilen, die seine Hände und Füße fesselten, doch hielt alsbald darin inne, als er die dunkle Gestalt sah, die über ihm aufragte. Er erstarrte und eine namenlose Furcht ergriff Besitz von ihm.
Der Fremde schien jedoch genauso irritiert zu sein. Verwundert starrte er auf Tobirama nieder und fuhr dann hastig zurück, als ihm wohl aufging, in welch prekären Lage dieser sich befand. Dann sah er auf seine Hände, schwarz verbrannt wie Kohlestücken, und begann dann in immer hastigeren Gesten, seinen Körper abzutasten. Auch er war nackt.
»Scheiße!«, fluchte der Fremde und schlug sich dann erschrocken die Hand vor den Mund. »Oh, verdammte scheiße!«, setzte er dann doch nach. »Wie konnte dieser Bastard Tobirama das nur versauen? Scheiße!«
Was? Tobirama war so verblüfft, dass er sogar über die Beleidigung hinweg hörte. »Wieso kennst du meinen Namen?«
Er zuckte zusammen. Das war nicht seine Stimme, die da aus seinem Mund gekommen war! Panik beschlich ihn. Nicht gut. Er hatte gelernt, in jeder Situation ruhig und besonnen zu bleiben, aber das war definitiv keine alltägliche Situation. Nichts hätte ihn jemals darauf vorbereiten können. Wieder zerrte er an seinen Fesseln, doch sie saßen straff und schnitten recht schmerzlich in sein Fleisch. Jeder Versuch, sich zu befreien, führte nur dazu, dass die Knoten sich noch fester zogen. Was für ein perverses Spiel wurde hier getrieben?
Der Fremde starrte ihn an, als habe er einen Geist gesehen. »Ich habe keine Ahnung, wer du bist.«
»Natürlich weißt du das!«, knurrte Tobirama. Diese fremde Stimme irritierte ihn. »Du hast gerade selbst meinen Namen genannt. Ich bin Senju Tobirama und ich will verdammt noch mal wissen, was hier vor sich geht!«
»Nie und nimmer bist du Tobirama!«, begehrte der Fremde auf. »Die weißhaarige Missgeburt hockt wahrscheinlich gerade in seinem Labor und lacht sich einen ab, dass er das hier angerichtet hat.«
Eine plötzliche Erkenntnis überkam Tobirama. Sie war völlig absurd und bar jeglicher Logik, aber irgendwie doch das einzige, was Sinn ergab. »Madara? Uchiha Madara?«, fragte er verwundert.
»Ja, verdammte Scheiße!«
Definitiv. Niemand fluchte so deftig wie der Uchiha-Bastard.
»Ich bin‘s wirklich. Tobirama. Und jetzt bind mich los«, drängte Tobirama. »Irgendetwas Unerwartetes ist mit dem Jutsu schiefgelaufen und ich weiß nicht, was. Jetzt stecken wir beide in der Scheiße. Na super. Ausgerechnet mit dir.«
Der Fremde, nein, Madara starrte ihn einen Moment ungläubig an. Er machte nicht einmal eine abfällige Bemerkung über Tobiramas momentane Situation, was deutlich davon sprach, wie sehr das hier sie beide aus der Bahn geworfen hatte. Dann machte er sich daran, die Seile zu lösen, die Tobirama an die Bettpfosten fesselten.
Als er endlich frei war, rappelte sich Tobirama eilig auf und raffte die Decke um sich, um seine peinliche Blöße zu bedecken. Dann sah er seine Hände. Nur dass es nicht seine Hände waren. Schockstarr starrte er auf diese fremden Gliedmaßen.
Madara hatte in der Zwischenzeit einen Kleiderhaufen auf dem Boden gefunden und warf sich eilig eine fremdartig anmutende Robe über. Den Rest der Kleidung warf er Tobirama zu, welche dieser auch sogleich anzog. Auch dabei handelte es sich um solch ein Gewand von fremdartigem Schnitt, schwarz und mit stilisierten roten Augen bestickt. Definitiv nichts, was Tobirama normalerweise tragen würde, aber auf die Schnelle nahm er, was er kriegen konnte. Nicht dass er es sich leisten konnte, wählerisch zu sein.
Neben dem Bett hatte er einen Nachtstand ausgemacht, auf dem ein silbernes Tablett stand, das mit Obst und zwei Kelchen bestückt war. Er räumte alles zur Seite, sodass er das Tablett als Spiegel benutzen konnte. Er bereute es sofort.
Das Gesicht, das ihm entgegen blickte, war nicht seines. Es war ebenso fremd wie die Gestalt, in die es Madara versetzt hatte. Goldene Katzenaugen blickten ihm entgegen, eingerahmt von langem Haar in der Farbe des Feuers. Irgendwie … unmenschlich.
Madara riss ihm ungeduldig das Tablett aus den Fingern und betrachtete sich ebenfalls. Er schien nicht minder erschüttert.
»Was auch immer du verbockt hast, Senju«, sagte er, »du hast uns in eine richtig große Scheiße hinein geritten.«
»Dieses eine Mal muss ich dir Recht geben«, gestand Tobirama. Dann sank er zurück auf das Bett und ließ den Kopf in die Hände sinken. Das war schlimmer als alles, was er sich jemals hätte ausmalen können.
Eigentlich hatte er nach einer Heilung für die nachlassende Sehkraft Madaras und Izunas gesucht. In den letzten Jahren war es immer schlimmer geworden und irgendwann hatte nicht einmal mehr Hashirama es völlig aufhalten können. Ihnen war klar geworden, dass sie etwas unternehmen mussten, wenn sie nicht wollten, dass das Mangekyō die beiden Uchiha Brüder erblinden lassen würde. Es einfach nicht zu nutzen, war eine Möglichkeit, doch eine, die sich nicht immer in die Tat hatte umsetzen lassen. Es war eben doch eine zu mächtige Waffe, auf die Konoha nicht verzichten konnte. Eine andere Lösung musste her.
Leider war sie in einer kompletten Katastrophe geendet. Wie er sich so hatte verkalkulieren können, wo er doch mit Izuna und Mito alles doppelt und dreifach geprüft hatte, wusste Tobirama nicht.
»Mairon.«
»Was?« Tobirama hob den Kopf.
»Wer auch immer du vorher warst, er hieß Mairon.«
Tobirama runzelte die Stirn. Plötzlich war es ihm, als würde er ein Echo fremder Erinnerungen hören. Je mehr er sich darauf konzentrierte, umso klarer wurden sie. »Melkor. Und …«
Hier unterbrach er sich eilig, als ihm aufging, was diese fremden Personen im Begriff gewesen waren zu tun, bevor Tobiramas Jutsu ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Sie waren drauf und dran gewesen, Sex zu haben.
Dass er ausgerechnet mit Madara in dieser Situation hatte landen müssen! Irgendjemand musste sehr schlecht auf ihn zu sprechen sein, dass er ihm das hier eingebrockt hatte.
Er rieb mit den Händen über das fremde Gesicht und atmete tief durch. Alle Panik half ja doch nichts. »Also gut«, sagte er dann. Diese fremde Stimme trieb ihn noch in den Wahnsinn! »Die Dinge sind, wie sie sind und wir sollten uns schleunigst daran machen, rückgängig zu machen, was auch immer da schief gelaufen ist.«
Madara sah ihn mit einem mörderischen Blick an, der Tobirama erschaudern ließ. »Das will ich doch hoffen, immerhin hast du es versaut!«
»Drei Leute haben die Siegel mehrfach geprüft! Natürlich bestand noch immer ein Restrisiko und du wusstest das! Aber … argh!« Tobirama gab einen frustrierten Laut von sich. »Das nützt doch jetzt eh nichts. Schau, anscheinend können wir zumindest in einem begrenzten Rahmen auf die Erinnerungen dieser Personen zugreifen. Also lass uns schauen, was wir über sie herausfinden können.«
Madara machte noch immer den Eindruck, als würde er auf irgendetwas einschlagen wollen, aber er nickte.
Also machten sie sich daran, die Erinnerungen der beiden Personen zu durchwühlen, deren Platz sie anscheinend eingenommen hatten. Die Antworten, die sie daraus zogen, warfen jedoch nur noch immer mehr Fragen auf.
»Also sind wir so etwas wie Götter«, schloss Madara nach ihrer ersten Stippvisite.
»Scheint so.«
»Und ich herrsche über eine ganze Welt.«
»Bild dir bloß nichts darauf ein.«
»Und du bist mein Untergebener.«
»Arschloch.«
Madara grinste boshaft und in dieser Gestalt und nach dem, was sie soeben über Melkor und Mairon erfahren hatten, wirkte das nur noch beängstigender.
»Dafür bist du der Vollidiot, der die ganzen anderen Götter gegen sich aufgebracht hat«, betonte Tobirama.
»Anscheinend bin ich durchaus dazu in der Lage, das auch durchzuziehen.«
»Und du bist besessen von drei leuchtenden Steinen.«
»Sagt der Irre, der an Leichen experimentiert.«
»Außerdem haben diese Steine dir die Hände verbrannt. Völlig besessen, definitiv.«
»Dafür haben eine Menge Leute bekommen, was sie verdient haben!«
»Na super. Du warst vorher schon ein zündelnder Irrer und jetzt das hier!«
Sie starrten sich finster an, und Tobirama war sich sehr deutlich bewusst, dass er mehr denn je Madara unterlegen war. Dieser Mairon mochte unvorstellbar mächtig sein, aber gegen einen Gott, der sprichwörtlich Berge umwerfen und Meere entleeren konnte, war selbst er machtlos. Na wunderbar. Madara war nun wirklich der letzte, den man auch nur in die Nähe solcher Fähigkeiten lassen sollte.
Doch plötzlich schien etwas anderes Madara aufzubringen. »Scheiße!«, fluchte er zum wiederholten Male und packte Tobirama beim Kragen. »Was hast du mit meinen Augen gemacht?!«
Tobirama versuchte sich aus Reflex mit einem Jutsu zu verteidigen, musste zu seinem allergrößten Schrecken jedoch feststellen, dass er nicht auf sein Chakra zugreifen konnte. Es war da, doch irgendwie außerhalb seiner Reichweite. Sobald er danach greifen wollte, glitt es ihm durch die Hände wie Wasser.
Stattdessen ging er in Flammen auf.
Zu sagen, dass er brannte, war nicht ganz korrekt. Akkurater wäre zu sagen, dass er das Feuer selbst war. Sein Körper hatte alle materielle Form verloren und bestand mit einem Male aus Flammen und Hitze.
Das war auch der Moment, in dem er lernte, dass Ainur absolut nichts Menschliches an sich hatten. Sie waren sprichwörtlich unsterbliche Wesen, die noch vor Anbeginn der Welt und außerhalb von Raum und Zeit existiert hatten und für die Konzepte einer physischen Form fremd waren. Sie wechselten die Gestalt wie er seine Kleidung, und ihr Geist, eala genannt, brauchte keine Hülle, um existieren zu können.
Doch noch wurde der rationale, wissenschaftliche Teil seines Hirns von Panik dominiert. In blindem Aktionismus versuchte er irgendwie rückgängig zu machen, was er angerichtet hatte. Es war zumindest von teilweisem Erfolg gekrönt, immerhin hatte er wieder eine physische Gestalt. Wenn auch die eines großen Wolfes.
Als Tobirama zu Feuer geworden war, war Madara zurückgewichen, wenn auch mehr aus Schrecken als Schmerzen, denn die Flamen schienen ihm nicht geschadet zu haben. Irritiert starrte er auf den Tobirama-Wolf hinab.
Tobirama gab einen frustrierten Laut von sich, der sich als klägliches Jaulen manifestierte. Er hob die Lefzen und würgte im Versuch, einen auch nur ansatzweise menschlichen Laut hervorzubringen. Sein Fell sträubte sich. Das konnte doch nicht wahr sein!
Also gut, immer mit der Ruhe. Panik brachte ihn nicht weiter. Ainur konnten also die Gestalt wechseln, schön und gut, und Mairon schien eine Affinität für Feuer und Wölfe zu haben. Das musste doch irgendwie rückgängig zu machen zu sein! Als er sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, gelang es ihm beinahe so mühelos wie atmen (nicht dass Ainur atmen müssten).
Noch immer sprachlos starrte Madara ihn an. »Was war das gerade gewesen?«
»Etwas, das jedes Verwandlungsjutsu alt aussehen lässt«, musste Tobirama anerkennend einräumen. Ob er das irgendwie nachahmen konnte? Kein einziges Verwandungsjutsu, das er kannte, veränderte die Gestalt auf solch vollkommene Weise bis zum letzte Molekül. Sie waren immer Täuschungen, wie Kostüme, die man sich überwarf um zu verbergen, was darunter lag.
»Also können wir uns einfach wieder in uns selbst zurück verwandelnd«, überlegte Madara. »Wobei …«
»Du hast gerade versucht, dein Sharingan zu aktivieren«, schlussfolgerte Tobirama.
»Ja.«
»Und es hat nicht funktioniert.«
»Stimmt ebenfalls.«
»Und ich habe versucht, mein Chakra zu aktivieren. Stattdessen ist das hier passiert.«
»Das heißt, meine Idee wird nicht funktionieren.«
»Korrekt. Wir sind jetzt Melkor und Mairon. Und obwohl ich mir sehr gut vorstellen kann, dass dir das durchaus gefallen wird, bin ich doch bestrebt, das schnellstmöglich rückgängig zu machen.«
»Ich kann nicht fassen, dass diese Worte aus meinem Mund kommen, aber ich stimme dir zu, Senju. Und dir sei geraten, das alles wieder gerade zu biegen.«
Tobirama starrte Madara nieder. Zu wissen, dass dieser nicht auf sein Sharingan zurückgreifen konnte, gab seiner Selbstsicherheit einen erstaunlichen Auftrieb. »Das wird nicht von jetzt auf gleich geschehen. Das heißt, wenn wir durch diese Tür da gehen, werden wir unsere Rollen spielen müssen, denn ich will nicht wissen, was passiert, wenn herauskommt, dass wir nicht die sind, für die wir uns ausgeben. Und … versuch nicht alles in Schutt und Asche zu legen.«
Schon wieder stahl sich dieses boshafte Grinsen auf Madaras Gesicht. »So wie ich das sehe, ist das aber genau meine Rolle.«
»Und ich bin derjenige, der hinter dir aufräumen muss.«
»Du bist vor allem mein Statthalter, also wirst du tun und lassen, was ich dir befehle.«
»Toll, freu dich! Endlich kannst du deine Allmachtsphantasien ausleben, jetzt, wo Hashirama nicht da ist!«, fauchte Tobirama. Vielleicht sollte er doch noch einmal versuchen, Madara in Brand zu stecken.
»Fängst du damit schon wieder an!«, knurrte Madara. »Das haben wir schon vor Jahren geklärt!«
Aber jemandem, der einmal seinem Bruder nach dem Leben getrachtet hatte, konnte Tobirama einfach nicht völlig vertrauen. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass Madara mit Hashirama ins Bett stieg. Gesunder Menschenverstand also, nichts weiter.
Jedenfalls war es das, was sich Tobirama einredete, während er gleichzeitig gekonnt ignorierte, dass er eine ganz ähnliche Beziehung mit Izuna führte. Das war schließlich was ganz anderes.
Er gab einen unwirschen Laut von sich, Zeichen seiner Frustration. »Lass das, das bringt doch jetzt nichts«, sagte er stattdessen. »Wir haben gerade dringendere Probleme.«
Madara hörte auf, auf Tobirama niederzustarren. Stattdessen wandte er sich ab und nickte. »Fein. Frieden. Für den Moment.«
Sich neben jemandem so winzig zu fühlen, war definitiv etwas, an das sich Tobirama nicht so schnell gewöhnen würde. Sonst war meist er der größere und kräftiger gebaute, vor allem im Vergleich zu Izuna. Manchmal wirkte Izunas fast schon zierliche Gestalt unter seinen Händen so fragil, dass er fürchtete ihn zu zerbrechen. Jetzt jedoch …
»Also gut«, sagte er schließlich. »Dann lass uns überlegen, wie wir jetzt weiter vorgehen.«
Etwas verloren stand Tobirama in der Schmiede. Sich durch die Erinnerungen eines sprichwörtlich unsterblichen Gottes zu wühlen, war eine Sache. Nun aber dessen tatsächliches Werk vor sich zu haben und mit beiden Händen greifen und fühlen zu können, was ein Gott erschaffen hatte, war etwas völlig anderes. Er hatte die Erinnerungen gesehen, er hatte mit angesehen, wie die Welt in ihre Existenz gesungen worden war. Es war, als wäre er persönlich dabei gewesen, wie Äonen verstrichen. Zeitalter so unvorstellbar lang, dass ein Menschenleben vollkommen nichtig dagegen wirkte, vergingen in bloßen Augenblicken. Ganze Gebirge wurden aufgetürmt und wieder niedergerissen, als wären sie Sandburgen am Strand. Stürmte fegten über die Kontinente, so gewaltig, dass sie die Erde selbst aufrissen, und das Innerste der Welt wurde nach außen gekehrt. Kriege wurden ausgefochten, noch ehe überhaupt das Konzept von Zeit in die Welt getreten war.
Er hatte all das mit angesehen. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass er es auch wirklich begreifen konnte. Anscheinend gab es eben doch Dinge, die über den Verstand eines einfachen Sterblichen hinaus gingen.
Und sie hatten Hashirama für einen Gott gehalten. Zu was Hashirama in der Lage war, war lachhaft im Vergleich hierzu.
Mairon war eine ausgesprochen ordnungsliebende Person, während Melkor, sein Meister, das pure Chaos personifizierte. Eine bemerkenswerte Konstellation. Tobirama behauptete nicht, dass er trotz seiner momentanen Lage verstand, was einen Gott im Innersten bewegte, aber es war doch recht interessant, wie es Melkor geschafft hatte, Mairon sprichwörtlich zu verführen und von seinem früheren Meister Aule fortzulocken. Tobirama hatte beschlossen, dem auf den Grund zu gehen, und diese Person besser kennen zu lernen, dessen Rolle er nun spielen musste. Die Schmiede schien ein guter Startpunkt dafür zu sein.
Er griff nach dem zierlichen Hammer, der auf einem Amboss lag. Ein erstaunlich feines Werkzeug, bedachte man, dass damit sprichwörtlich das Angesicht der Welt geformt worden war. Eher das Instrument eines Goldschmiedes als … was war Mairon eigentlich? Wie würde er sich selbst bezeichnen?
Mairon der Bewundernswerte. Das war nicht der Name, den er sich selbst gegeben hatte, wenn auch der, mit dem er sich am stärksten assoziierte. Er war ihm gegeben worden, vor vielen Äonen, als er noch ein Diener Aules gewesen war, ein ergebener Maia seines Vala. Das hatte ihm den Beinamen Aulendil eingebracht, auch wenn er seit jeher Mairon bevorzugt hatte.
Nun nannte man ihn Sauron den Abscheulichen. Obwohl es sich nicht einmal gegen ihn richtete, spürte Tobirama beinahe körperliche Abneigung, wenn er auch nur daran dachte, dass man ihn so nennen könnte.
Dabei hatte er gesehen, was Mairon im Dienste seines neuen Herrn Melkor alles getan hatte, welche Gräueltaten er begangen hatte. Nicht einmal Madara hatte das kaltgelassen, und im Krieg war Madara nun wirklich nicht dafür bekannt gewesen, Nachsicht mit seinen Feinden walten zu lassen. Sie beide hatten eine ganze Weile gebraucht, um sich von der Erkenntnis zu erholen, dass sie nun anscheinend das personifizierte Böse dieser Welt darstellten.
Tobirama hatte nichts mit dem Schmiedehandwerk am Hut, aber als er diesen Ort betrat, hatte er doch ein sonderbar heimeliges Gefühl. Wie als würde er in seinem eigenen Labor sein. Das war eine interessante Beobachtung, denn das hieß, dass er nicht nur Zugriff auf die Erinnerungen Mairons hatte, sondern auch zumindest bis zu einem gewissen Grad dessen Interessen übernommen hatte.
Es gab gewisse Parallelen zwischen ihm und Mairon, wie er etwas widerwillig feststellen musste. Sie beide waren von Wissensdurst getrieben und waren gewillt, die Grenzen des ihnen Bekannten auszuloten. Der Unterschied war, dass Tobirama dabei niemals ein ganzes Volk durch Folter und Verstümmelung erschaffen hatte. Für ihn gab es eben doch noch Grenzen.
Auf seinem Weg hierher waren ihm einige dieser Orks begegnet, erbärmliche, bemitleidenswerte Kreaturen, die vor Furcht erzittert waren, als sie ihn herannahen sahen. Mairon hätte sie keines weiteren Gedankens gewürdigt, sie waren nur mindere Sklaven, Werkzeuge, die er nach Belieben fortwerfen konnte, wenn sie ihm nicht mehr nutzten. Tobirama hingegen kam nicht umhin, eilig an ihnen vorbei zu hasten, um sie nicht ansehen zu müssen.
Eine leise Stimme in Tobirama wisperte ihm zu, dass er gar nicht so verschieden war, wie er es gern hätte. Er ignorierte sie, aber sie blieb dennoch da und erinnerte ihn an die Zeit des Krieges. Damals hatte er im Verborgenen Uchiha gejagt, gefangen und ihnen die Augen geraubt, um das Geheimnis ihres Sharingan zu erforschen. Viele Stunden hatte er in Geheimverstecken zugebracht, von denen nicht einmal Hashirama etwas wusste, seinen Gefangenen die Augen ausgekratzt und an ihnen Edo Tensei erprobt, alles im Dienste der Wissenschaft. Er betete bis heute, dass weder Izuna noch Madara das jemals herausfinden würden. Nicht einmal Hashirama würde sie dann noch aufhalten können, und wer könnte es ihnen auch verübeln. Es ließ sich eben nicht alles damit entschuldigen, dass es nun einmal Krieg gewesen war.
Aber so weit zu gehen und ein ganzes Volk zu verstümmeln und zu versklaven?
»Hey, Tobirama. Funktioniert das?«, hörte er mit einem Male Madara sagen.
Erschrocken fuhr Tobirama herum. Er hatte gedacht allein zu sein. Aber da war niemand hinter ihm. »Was zum …?!«
»Ha! Funktioniert!« Madaras Schadenfreude war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören.
Da fiel es Tobirama wieder ein. Ainur (und nicht nur diese) waren zu einer Art Telepathie fähig, die es ihnen ermöglichte, über lange Strecken hinweg wortlos miteinander zu kommunizieren. Tatsächlich war den Ainur das Konzept von Sprache zunächst fremd gewesen. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass sie Wesen waren, die keiner Sprache bedurften, um miteinander zu kommunizieren.
»Raus aus meinem Kopf«, knurrte er. »Hast du nicht wichtiges Zeug zu erledigen als selbsternannter Herr über ganz Arda?«
»Nein. Ich langweile mich hier noch zu Tode«, beklagte sich Madara. »Und diese Krone ist die reinste Plage! Mir tut jetzt schon der Nacken weh und ich bin nur einmal zu nahe an die Juwelen gekommen und verdammt, hatte das geschmerzt.«
Diese silmarilli allerdings waren durchaus ein interessantes Thema. Nicht einmal Melkor wusste wirklich, was es damit auf sich hatte, und doch war er vollkommen besessen von ihnen. Auch Mairons Aufmerksamkeit hatten sie erweckt, wenn auch zusätzlich eine nicht unbeachtliche Portion an Neid. Wie es der Zufall so wollte, war es Mairon gelungen, den Sohn des Juwelenschmieds zu fangen, der zudem niemand geringeres war als der Hohe König der Noldor. Ein Thema, das Tobirama am liebsten vermieden hätte, um das er aber nicht drumherum kommen würde.
Aber eines nach dem anderen.
»Jammer irgendwen anders voll, ich hab zu tun«, wies er Madara zurecht.
»Und wen?«, schoss Madara zurück. »Melkor ist nicht gerade für seine gemütlichen Teekränzchen bekannt. Sein ganzer Lebensinhalt scheint daraus zu bestehen, auf seinem Thron zu hocken und vor sich hin zu brüten. Gelegentlich vögelt er noch mit Mairon und das war‘s. Natürlich ist mir langweilig.«
Tobirama fuhr zusammen. »Musstest du das erwähnen? Ich werd garantiert nicht mit dir ins Bett steigen!«
»Ach, sicher? Willst du wirklich nicht wissen, was dein Bruder so toll an mir findet?«
Tobirama konnte sich Madaras selbstgefälliges Grinsen förmlich vorstellen, wie er da im Dunklen auf seinem Thron saß und in sich hinein grinste, während er Tobirama so aus der Bahn warf. Verdammte Uchiha. Er hätte sich nie mit ihnen einlassen sollen.
»Träum weiter«, knurrte er wenig einfallsreich. Dann fiel ihm zum Glück wieder ein, wie er die Verbindung unterbrechen konnte. Nicht dass Madara sich davon aufhalten lassen würde, wenn er wirklich wollte, aber er schien in der Tat Tobirama in Frieden zu lassen.
Tobirama atmete auf. Schreckliches Thema.
Aber damit war er hier auch vorläufig fertig und begab sich auf den Weg zu seinem nächsten Halt: die dunkelsten Verliese von Angband. Zugegebenermaßen übten die Experimente Melkors und vor allem Mairons eine morbide Faszination auf ihn aus. Er würde niemals gutheißen können, zu welchen Extremen sie dabei gegriffen hatten, aber die Fragen, die sie aufgeworfen hatten, und die Antworten die sie gefunden hatten … Das war gefundenes Fressen für ihn.
Also ging er nun einige Drachen besuchen.
Tobirama würde es niemals offen zugeben, aber ein wenig fürchtete er sich schon. Er hatte in Mairons Erinnerungen gesehen, was er alles gezüchtet hatte, und Werwölfe waren noch unter den harmloseren Kreationen. Aber was dort unten in den tiefsten Kavernen Angbands lauerte, waren Kreaturen direkt aus einem Alptraum.
Er erreichte sein Ziel, als gerade einige Orks eine Gruppe Gefangener in die Höhle trieben. In Mairons Erinnerungen hatte er die Eldar in all ihrem Glanz in Valinor gesehen, Wesen, die aussahen wie Menschen und doch etwas völlig anderes waren. Diese armen, gefolterten Personen dort hatten jedoch kaum noch Ähnlichkeiten damit.
Einige der Orks trugen Fackeln bei sich, deren Licht jedoch kaum den Boden jenseits ihrer Füße erhellten. Als würde die Finsternis dieses Ortes alles Licht verschlingen. Sie schubsten die Elben in die Dunkelheit und trieben sie mit langen Lanzen noch weiter vor sich her. Die Handvoll Elben drängten sich ängstlich aneinander und wussten anscheinend, welches Schicksal ihnen blühte. Dennoch ertrugen sie es mit Würde, keiner von ihnen bettelte.
Aber waren sie nicht ohnehin unsterblich? Ihre Körper konnten zerstört werden, doch ihre Seelen, die sie fear nannten, blieben für alle Zeit an Arda gebunden. Anscheinend schloss dies nicht aus, den Tod zu fürchten. Zugegebenermaßen war die Unsterblichkeit der Eldar eines von Mairons interessanteren Forschungsprojekten gewesen.
»Haha, jetzt ist Fütterungszeit!«, johlten die Orks. »Freut euch, Sklaven, denn ihr seid die Hauptattraktion!«
»Für was werden sie bestraft?«, wollte Tobirama wissen.
Die Orks kauerten sich zu Boden, als sie ihn sahen. Sie fürchteten das, was in den Schatten der Höhle lag, doch noch mehr fürchteten sie Mairon.
»Sie wollten fliehen, Meister«, sagte einer der Orks. »Damit.« Er streckte eine fein gearbeitete Lampe empor, die in einem steten bläulichen Licht schien. Die Lampe bestand aus einem feinen Silbernetz, das einen klaren Kristall einfasste. Ebenjener Kristall war es auch, der das Licht abgab. Einige der noldorischen Sklaven besaßen solche Lampen, und Melkor hatte ihnen erlaubt, sie zu behalten, da sie im Licht dieser Lampen effektiver graben konnten und es zu weniger Unfällen kam, die ihn zwangen, die Sklaven zu ersetzen.
Tobirama nahm die Lampe entgegen und besah sie sich. Auch Mairon war von den feanorischen Lampen fasziniert gewesen, hatte jedoch noch keine Gelegenheit gefunden, sie genauer zu erforschen. Vielleicht könnte er das jetzt nachholen, sinnierte Tobirama. Aber halt. Das war nicht sein Ziel. Er hatte anderes zu tun.
Neugierig war er dennoch.
In den tiefsten Schatten regte sich etwas Gewaltiges, geradezu Monströses. Es klang, als würden Ketten rasseln und etwas Schweres über den Boden geschliffen. Der Boden vibrierte von einem tiefen, langanhaltenden Ton. Feuer glomm auf und enthüllte die schemenhaften Umrisse einer riesigen Kreatur.
Nun konnten die Gefangenen ihre Angst doch nicht mehr zurückhalten. Sie warfen sich zitternd und klagend zu Boden. »Gnade!«, bettelte einer von ihnen. »Mairon, du warst doch einst ein Maia Aules, des Freunds der Noldor. Wie kannst du uns das nur antun?«
Tobirama musste sich ermahnen, in seiner Rolle zu bleiben, und wandte sich ab.
Das Feuer loderte auf, der tiefe, vibrierende Ton wurde zu einem Knurren und dann einem Zischen und Fauchen. Und dann ergossen sich Flammen über die Gefangenen. Einige hatten sogar noch Zeit zu schreien und das war überhaupt das Grauenhafteste. Sie verbrannten bei lebendigem Leibe und einige von ihnen lebten lang genug, um zu spüren, was mit ihnen geschah.
Das Feuer enthüllte einen riesigen, schwarzen Drachen. Groß wie ein Haus schälte sich seine massive Gestalt aus den Schatten. Seine Klauen rissen tiefe Furchen in den Fels, als er näher kroch und sein Haupt auf die Leichen der Gefangenen herabsenkte. Seine Nüstern blähten sich, als er an seiner Beute roch. Dann fletschte er die Zähne und machte sich daran, das Fleisch zu verschlingen. Sein Maul war groß genug, dass er einen Elben im Ganzen verschlingen konnte.
»Verdammt, was ist das?«, fluchte Madara. »Ein Bijū?«
»Etwas, das zu etwas viel Schlimmeren heranwachsen kann«, erwiderte Tobirama. »Und … verfolgst du mich? Ich hab dir gesagt, du sollst dich aus meinem Kopf heraushalten!«
»Und ich hab dir gesagt, dass mir langweilig ist!«, giftete Madara. »Also wollte ich sehen, was du treibst.«
Tobirama verdrehte die Augen, auch wenn Madara es freilich nicht sehen konnte.
»Das da ist Ancalagon«, sagte er stattdessen. »Er ist noch ein Baby.«
Für einen Moment sagte Madara nichts. »Ein … Baby«, wiederholte er dann.
»Verwundert dich das wirklich noch nach allem, was wir erfahren haben?«
»Schau dir das Vieh doch einmal an! Die Echse kann locker mit Kyubi mithalten.«
»Er ist nicht der erste seiner Art, aber Mairons bisher ambitioniertestes Forschungsprojekt. Mairon strebt an, Ancalagon so weit hochzuzüchten, dass man mit Fug und Recht von einem fliegenden Berg sprechen kann. Keine Ahnung, ob das wirklich funktionieren kann.«
»Du klingst beinahe, als würdest du ihn dafür bewundern.«
»Auf einer rein theoretischen Ebene sind seine Forschungen zur Subkreation ausgesprochen faszinierend.«
»Und ganz nebenbei versklavt er eine ganze Welt und foltert und verstümmelt ganze Völker. Aber natürlich, spannende Forschung rechtfertigt Massenmord und Folter.«
»Das habe ich nie behauptet!«, knurrte Tobirama ungehalten. »Nur weil ich die Fragen, die er stellt, faszinierend finde, heißt das noch lange nicht, dass ich seine Methoden gutheiße!«
»Sagt derjenige, der an Leichen experimentiert.«
»Du kannst gern Ancalagon als Nachspeise dienen, wenn du es darauf anlegst!«
»Ha, das wollen wir doch erst einmal sehen!«
Dieses Mal war es Madara, der die Verbindung unterbrach. Tobirama atmete auf. Was für ein Arschloch.
Ancalagon hatte indes sein grausiges Mahl beendet. Die Orks hatten sich schon längst aus dem Staub gemacht, um nicht selbst als zweiter Gang zu enden. Damit war Tobirama nun allein mit der Kreatur.
Er wusste, dass Mairon in der Lage war, Ancalagon zu kontrollieren, und er wusste auch, dass Mairon stärker war und ihm daher keine Gefahr drohte. Theoretisch. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, Furcht zu empfinden, als sich der Blick der glühend roten Augen direkt auf ihn richtete.
Ancalagon kroch näher und nahm Witterung auf. Sein Maul befand sich so nahe vor Tobirama, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte und ihn berühren konnte. Aus dieser großen Nähe schlug ihm auf der Gestank von Schwefel und faulendem Fleisch entgegen. Da er die Reste von Ancalagons Mahlzeit zwischen seinen Fängen ausmachen konnte, verwunderte ihn das jedoch nicht allzu sehr. Fänge so dick wie sein Handgelenk …
Er streckte dennoch die Hand aus und war erstaunt, dass sich die Schuppen des Drachen warm unter seinen Fingern anfühlten. Er hatte die kalte Haut einer Echse erwartet.
»Du riechst heute anders«, stellte Ancalagon fest. »Was ist los?«
Wäre Mairon wirklich stark genug, um Ancalagon zu kontrollieren? Und konnten Ainur sterben? Vielleicht war das doch keine so schlaue Idee gewesen, hierher zu kommen … Drachen waren unheimlich kluge und gerissene Kreaturen. Mairon schien sie als eine Art Schoßhündchen zu halten, allerdings schloss das nicht aus, dass Ancalagon nicht erschnüffeln konnte, dass vielleicht nicht alles so war, wie es sein sollte. Tobirama legte keinen Wert darauf, herauszufinden, ob Ancalagon wirklich dazu in der Lage wäre.
»Viel um die Ohren und einiges, worüber ich nachdenken muss«, sagte er ausweichend.
Doch Ancalagon brummte nur desinteressiert. Er gähnte und entrollte eine lange gespaltene Zunge. Der Gestank aus seinem Maul war bestialisch. Tobirama musste an sich halten, um sich nicht angewidert abzuwenden. Ancalagon streckte sich erstaunlich katzenhaft und entfaltete seine gewaltigen Schwingen. Dann rollte er sich um Tobirama zusammen und bettete seinen Kopf auf den Fels.
»Denk lieber darüber nach, mir schmackhafteres Essen zu bringen, Mairon«, sagte Ancalagon. »Sie sind so mager.«
»Sie sind in erster Linie Sklaven, die in den Minen arbeiten.«
»Und mein Futter. Also füttere sie besser. Oder noch besser: Erlaube mir zu jagen.«
Die Zerstörung, die eine Kreatur wie Ancalagon über das Land bringen konnte, war unvorstellbar. Aber das war nicht das, was Mairon erwidert hätte. »Du bist noch zu jung«, sagte Tobirama stattdessen.
Ancalagon hob die Lefzen, aber es war keine ernst gemeinte Drohung. Das würde gänzlich anders aussehen. »Dem alten Wurm Glaurung erlaubst du auch einen eigenen Hort oben in den Bergen. Und ich muss hier unten hocken wie eine lausige Echse.«
»Du bist noch zu jung«, wiederholte Tobirama unnachgiebig. »Deine Zeit wird kommen.«
Und er betete, dass er das nicht mehr würde erleben müssen. Es wäre der Tag der Apokalypse.
Ancalagon schloss desinteressiert die Augen. »Fein. Bring mir wenigstens mehr Schätze. Und gib mir diesen Feanorer zum Fressen. Hab gehört, die sind reich.«
»Du bist ein Drache, du kannst mit all dem Gold doch ohnehin nichts anfangen.«
»Ich kann vor allem nicht dulden, dass Glaurung einen größeren Hort hat als ich, nur weil er älter ist.« Ancalagon schnaubte eine Rauchwolke aus seinen Nüstern.
Einen Drachen zu babysitten, gehörte definitiv nicht zu den Lebenserfahrungen, die Tobirama auf seiner Liste stehen hatte.
Er besah sich den riesigen Leib des Drachen, der rings um ihn herum aufragte, und fragt sich, wie es wohl wäre, auf Ancalagons Rücken zu klettern und mit ihm in den Himmel hinaufzusteigen. Zu fühlen, wie sich diese gigantischen Flügel ausbreiteten und unfassbar starke Muskeln arbeiteten, um der Gravitation zu trotzen. Immer höher und höher zu fliegen, bis die ganze Welt unter ihnen ausgebreitet lag wie eine Karte.
Gefährliche Gedanken. Er riss sich von dem Anblick los. »Ich muss gehen.«
Ancalagon sandte ihm eine kleine Stichflamme nach, die ihm jedoch nicht schadete und lediglich den Saum seines Gewandes ansengte. »Gib mir meinen Hort.«
Tobirama winkte ab. »Eine gute Übung in Geduld.«
Ancalagon knurrte, sagte jedoch nichts mehr.
Eine Station auf seinem Rundgang blieb ihm noch und trotz des Drachens war das die vielleicht unangenehmste. Dieses Mal führte ihn sein Weg aus den tiefen Verliesen hoch hinaus zu den höchsten Gipfeln von Thangorodrim. Hier hing Melkors wertvollster Gefangener: Nelyafinwe Maitimo Russandol, Feanáros ältester Sohn und nach dem Tod seines Vaters der Hohe König der Noldor, Sippenmörder, Geächteter und Verbannter.
Melkor hatte wahrlich teuflische Arbeit geleistet, und Mairon hatte dem die Krone aufgesetzt, als er vorgeschlagen hatte, ihren Gefangenen an der Bergflanke aufzuhängen, um ihn endlich zu brechen. Es war unvorstellbar grausam.
Trotzdem spürte Tobirama Mairons Frustration beinahe als seine eigene, als er sich dem Gefangenen näherte und dieser ihn herausfordernd ansah. Maitimo besaß einen unfassbar starken Willen und eine Flamme brannte hell in ihm. Hell genug, dass er Gefahr lief, daran zu verbrennen, genau wie sein Vater. Selbst für die Eldar war er stark. Umso größer war Melkors Triumph gewesen, als ihm dieser Fang gelungen war.
»Das ist widerlich«, bemerkte Madara. Anscheinend verfolgte er doch noch, was Tobirama tat. »Selbst im Krieg gibt es Regeln.«
»Sagt derjenige, der mehr als nur einmal versucht hat, meinen Bruder umzubringen«, erwiderte Tobirama genervt.
»Und du hast dasselbe mit Izuna versucht und sieh, wohin uns das geführt hat«, hielt Madara dagegen. »Ist dir eigentlich bewusst, dass Hashirama und ich niemals auf Leben und Tod gekämpft hatten? Anders als du und Izuna.«
»Ich höre den Vorwurf. Die kleine Kröte, die du Bruder schimpfst, hatte mir ja auch keine Wahl gelassen!«
»Hey, pass auf, was du sagst! Das ist immerhin mein Bruder, mit dem du ins Bett steigst!«
»Was?! Wir …! Auf gar keinen Fall! Ich will nicht wissen, was zwischen Hashirama, Mito und dir läuft, aber Izuna und ich … Niemals! Behalte deine dreckigen Fantasien für dich! Dass du so etwas auch nur andeutest! Unerhört!«
Madara lachte dreckig. »Erwischt.«
Tobirama versuchte ihn zu ignorieren, während er sich Maitimo näherte. Der Blick dieses Elben war schon schlimm genug, schlimmer als jedes Sharingan (und das schloss Madaras mit ein). Als würde nur ein Blick reichen, um ihn in Flammen aufgehen zu lassen. Er gab sich dennoch gelassen. Das war es, was Mairon tun würde: sich arrogant in seinem Sieg und seiner Überlegenheit suhlen.
Maitimos Körper trug deutliche Spuren der Folter. Zeit war ein etwas befremdliches Konzept in einer Welt, die erst seit wenigen Wochen von einer Sonne beschienen wurde, aber nach dem, was Tobirama unter Jahren verstand, mussten beinahe zwanzig Jahre vergangen sein, seit Maitimo hier hing, und nicht einmal an ihm war das spurlos vorbei gegangen. Dennoch. Jeder andere Mensch wäre schon längst an den Qualen dieser Folter gestorben und wahrscheinlich auch die allermeisten Eldar. Nicht jedoch Feanáros ältester Sohn. Als er seinen Foltermeister herannahmen sah (oder denjenigen, den er dafür hielt), brachte er sogar den Willen auf zu lachen.
Tobirama blieb auf einer Felszinne stehen, die über eine tiefe Schlucht hinausragte. Noch immer trennte der Abgrund ihn von dem gefangenen Elben, der unerreichbar für alle an der Felswand hing. Dann zwang er sich, den gemarterten Körper genauestens anzusehen. Er hatte denjenigen verstehen wollen, dessen Rolle er spielen musste, und dazu gehörte definitiv auch das.
»Na, kommst du, um gemeinsam mit mir die Aussicht zu genießen, Þauron?«, spottete Maitimo. »Ich muss dir danken. Du hast mir den besten Platz geschenkt, um den ersten Sonnenaufgang dieser Welt zu erleben.«
Tobirama fuhr zusammen. Ja, definitiv nicht angenehm, so genannt zu werden. »Du hast kein Recht, mich so zu nennen«, knurrte er.
»Aber das bist du doch, gefallener Maia: eine Abscheulichkeit. Ein Wunder, dass Aule dich nicht schon früher verstoßen hat.«
Man musste Maitimo wirklich lassen, dass er selbst jetzt noch den Willen aufbrachte, seinem Foltermeister so zu begegnen. Vielleicht hatte er ja schon vor langer Zeit mit seinem Leben abgeschlossen. Tobirama wusste, dass Maitimo sechs Brüder hatte, doch keiner von ihnen war bisher zur Rettung des ältesten ihres Hauses erschienen. Er wusste außerdem zumindest bis zu einem gewissen Grad, wie auch Mairon darüber informiert war, über den Zwist unter den Noldor Bescheid. Von dieser Seite würde wohl ebenso keine Hilfe kommen.
Spott war vielleicht das einzige, was Maitimo noch geblieben war im Leben, und ganz ehrlich: Welche schlimmere Folter konnte er noch erleiden, ohne daran nicht zu sterben? Wahrlich ein schreckliches Schicksal. Dennoch musste Tobirama seine Rolle spielen, also versuchte er nicht allzu sehr darüber nachzudenken.
»Es muss ein ziemlicher Schock gewesen sein, plötzlich Arien und Tilion am Himmel zu sehen«, fuhr Maitimo mit seinem Spott fort. »Egal wie sehr dein Meister auch versucht, das Licht zu zerstören, das er nicht haben kann, es wird ihm doch nie gelingen.«
Ja, das war definitiv etwas, über das Tobirama lieber nachsann. Eine Welt, die das Konzept von Sonne und Mond erst seit kurzer Zeit kannte, war eine ebenso fremdartige wie auch faszinierende Vorstellung. Mairon und Melkor waren geschockt gewesen von dem Licht, das plötzlich am Himmel zu sehen gewesen war, und Melkor hatte Angband mit giftigen Dämpfen verschleiert, um dem zu entkommen. Aber Tobirama war neugierig. Was machte es mit einer Welt, wenn sie nur von Sternenlicht beschienen wurde? Und wie konnte es sein, dass Flora und Fauna Äonen hinweg schlummerten, bis erneut Licht auf sie fiel? Die Eldar hatten eine starke Verbindung zu den Sternen, da sie das erste Licht gewesen waren, das sie erblickt hatten. Was bedeutete das für ihre Kultur? Wie hatte sie das geprägt? Sie hatten sich sogar danach benannt: Eldar, das Volk der Sterne.
Aber halt. Er musste seiner Begeisterung schon wieder Zügel anlegen. Stattdessen hielt er die Lampe hoch, die die Orks den Gefangenen abgenommen hatten. Na gut, er musste die Zügel ja nicht allzu fest anziehen.
»Ich dachte, dass wir vielleicht einen Neuanfang versuchen sollten«, sagte er und bemühte sich um einen möglichst freundlichen Ton. In Anbetracht dessen, wen er hier verkörperte, kam das womöglich nicht allzu vertrauenerweckend rüber.
Erwartungsgemäß kaufte Maitimo ihm das auch nicht ab. »Ach, wie hübsch, eine von Vaters Lampen. Gefällt sie dir?«
»Erzähl mir etwas darüber. Was bringt sie zum Leuchten?«, wollte Tobirama wissen.
Doch Maitimo lachte nur spottend. »Hoffst du so, an das Geheimnis unserer silmarilli zu kommen? Nachdem all deine Folter mir doch nichts entlocken konnte, versuchst du es nun auf diesem Wege?«
»Mag sein, dass das Licht der Lampen und die silmarilli nichts miteinander zu schaffen haben. Ich will trotzdem wissen, wieso sie das Licht halten«, blieb Tobirama stur.
»Du kannst es mit Nettigkeiten versuchen, du kannst es mit Folter versuchen. Doch nichts wird mich jemals zum Reden bringen, Schlange«, fauchte Maitimo. »Du kennst unseren Eid, und wenn ich im Namen dieses Eides sterbe, dann sei es so! Nicht einmal das Ewige Dunkel fürchte ich, um den letzten Willen meines Vaters zu wahren. Du aber bist nur ein Diener, ein geringerer Geist, der nach Höherem strebt, indem er Morgoth Nahtamo folgte. Du wirst niemals erreichen, wonach es dich sehnt.«
Da hatte Maitimo durchaus Recht, auch wenn Mairon es ihm niemals zugestehen würde. Er würde es sich wahrscheinlich nicht einmal selbst zugestehen, dass dem so war. Ein wenig bemitleidete Tobirama ihn ja schon. Mairon war in gewisser Weise selbst ein Gefangener, der Gnade seines Meisters vollkommen ausgeliefert. Mairon bewunderte ihn, vergötterte ihn gar und vielleicht konnte man sogar von Liebe sprechen, aber ob Melkor das ebenso sah, war fraglich. Schlussendlich war auch Mairon nur ein Werkzeug, und Gnade ihm, wenn er seine Nützlichkeit verloren hatte.
Tief in seinem Inneren war sich Mairon dessen durchaus bewusst. Er war jedoch sehr gut darin, es zu ignorieren. Und so war er immer tiefer in die Fänge Melkors geraten, bis er eines Tages nicht mehr daraus hatte entkommen können.
»Jetzt wäre das Sharingan ganz nützlich«, bemerkte Madara. »Am Ende würden wir damit Melkor und Mairon noch einen Gefallen tun.«
»Eben. Besser nicht«, hielt Tobirama dagegen. »Außerdem glaube ich nicht, dass es funktionieren würde. Auch wenn er aussieht wie wir, ist er kein Mensch. Mairon hat die Psyche der Eldar erforscht, und sie unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von unserer. Gut möglich, dass euer heiß geliebtes Sharingan gar keine Wirkung auf sie hat.«
»Warum ist alles, was du sagst, eine unterschwellige Beleidigung?«
Bevor Tobirama jedoch etwas erwidern konnte, merkte er, wie sich jemand ihnen näherte. Es handelte sich dabei um eine riesige Fledermaus, die durch das Dämmerlicht flatterte. Rasch durchsuchte Tobirama Mairons Erinnerungen und wurde auch bald fündig. Thuringwethil, ein Vampir und eine nützliche Untergebene Mairons, die ihm in der Vergangenheit oft zur Seite gestanden hatte. Und definitiv niemand, dem Tobirama über den Weg laufen wollte. Sie näherte sich hastig mit übereilten Flügelschlägen und kaum dass sie gelandet war, verwandelte sie sich.
»Herr!«, rief sie ihm noch im Laufen zu, als sie heraneilte. »Schlimme Kunde!«
Hervorragend. Musste er sich auch noch um den Dreck anderer kümmern. »Sprich«, befahl er schicksalsergeben.
»Ein Heer der Noldor nähert sich, sie tragen die Banner Ñolofinwës«, sagte sie aufgebracht.
»Tobirama, mach was! Da stehen eine Menge wütender Leute vor den Toren!«, meldete sich auch sogleich Madara zu Wort.
»Kümmere dich um deinen eigenen Kram!«, fauchte Tobirama ihn an.
»Aber du spielst meinen Statthalter, das ist dein Job!«
Tobirama ignorierte ihn. Warum fiel es immer ausgerechnet ihm zu, hinter den anderen aufzuräumen? Das hier ging ihn nichts an. »Warum hat keiner sie aufgehalten?«, verlangte er stattdessen zu wissen. Das war, was Mairon sagen würde.
Thuringwethil wirkte besorgt. »Weil sie sich nicht aufhalten lassen, Herr. Sie bringen mit sich das Licht des Westens und ihre Stärke hat uns völlig überrascht. Sie sind ungezählt, ihre Schwerter scharf und ihre Schilde hoch. So rasch durchquerten sie die Felder von Dor Daedeloth, dass niemand ihr Kommen hatte sehen können.«
Der laute Klang silberner Hämmer, die gegen die Tore geschlagen wurden, unterbrach sie. Der helle Ton der Trompeten hallte von den Gebirgshängen wieder.
Maitimo regte sich. Er ließ einen lauten Schrei vernehmen, der jedoch im Echo der Trompeten unterging. Verzweifelt versuchte er, sich bemerkbar zu machen, doch vergebens.
»Aure entuluva!«, schrie er ein letztes Mal. Dann brach er in Tränen aus. Seine Stimme verhallte ungehört.
Tobirama wandte sich ab. Er ertrug es nicht länger.
»Du solltest vielleicht etwas gegen unsere ungebetenen Gäste tun«, meldete sich Madara zu Wort.
»Und was? Sie zum Tee hereinbitten?«, knurrte Tobirama.
»Keine Ahnung! Deine neuen Haustiere freilassen zum Beispiel?«
»Bist du irre!«
»Mir liegt nicht viel daran, Melkor und Mairon in die Hände zu spielen, aber mir liegt sehr wohl etwas an meinem eigenen Wohl.«
Tobirama gab einen unwilligen Laut von sich. Thuringwethil musterte ihn besorgt. Er deutete auf den Gefangenen. »Gib ihm etwas zu essen, er wird noch gebraucht.«
»Herr?«
»Na los, mach schon! Ich hab noch andere Dinge, um die ich mich sorgen muss!«
Maitimo sah ihm verzweifelt hinterher, als er ging. Er zwang sich, nicht zurückzublicken. Mehr konnte er nicht tun.
Das Heer der Noldor schlug noch immer gegen die Tore Angbands, als Tobirama den Thronsaal erreichte. Die Grundfesten erzitterten unter den Schlägen, doch noch hielten die Tore. Erstaunlich. Und dann, mit einem Mal, hörte es auf. Er stutzte.
Im Thronsaal hatte geschäftiges Treiben geherrscht, als die Diener Melkors sich bereits auf die Belagerung und den unweigerlichen Kampf vorbereiteten. Sie hoben die Köpfe und lauschten ängstlich. In diese Szene hinein platzte eine große flammende Gestalt, einer der Maiar, die unter die Bezeichnung Valaraukar fielen. Wie war noch mal sein Name? Ach ja. Gothmog. Aufgeregt schwang er eine gigantische schwarze Axt. Einige Orks konnten sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, ansonsten hätte er ihnen sicher im Vorbeigehen die Schädel gespalten.
»Sie ziehen ab!«, brüllte Gothmog atemlos.
»So!« Madara sprang von dem Thron auf und gestikulierte unbestimmt in die Richtung Gothmogs. »Werft ihnen ein paar Steine oder so hinterher, damit sie auch ja fern bleiben.«
Tobirama musste an sich halten, um nicht mit den Augen zu rollen. Na immerhin hatte sich ein Problem gerade von selbst gelöst. Hoffte er. Er atmete auf.
Gothmog sah Madara einen Moment schweigend an, dann nickte er doch und verbeugte sich, bevor er ging, um dafür Sorge zu tragen, dass die Noldor auch wirklich nicht so schnell zurückkommen würden. Tobirama trat zu Madara, welcher sich zufrieden grinsend in dem Thron zurückgelehnt hatte.
»Siehst du, so macht man das«, behauptete er.
Tobirama gab ihm einen langen Blick. »Spiel deine Rolle besser«, zischte er ihm zu.
»Ich finde, ich habe das hervorragend gemacht«, wisperte Madara zurück.
»Grenzwertig. Komm jetzt, wir haben zu tun.«
»Ach, Rundgang beendet und jetzt beehrst du mich mit deiner Anwesenheit? Wie gnädig.«
»Komm jetzt!«, knurrte Tobirama.
Madara warf einen Blick durch den Saal, doch niemand schien ihnen so wirklich Beachtung zu schenken. Sie alle waren mit dem Auftauchen und Verschwinden der Noldor beschäftigt. Melkor würde das sicher nicht schmecken, dass er nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, aber das sollte die beiden in diesem Moment nicht scheren.
Im Moment bedurfte das Geschehen keiner weiteren Aufmerksamkeit, und selbst wenn, wäre es Tobirama egal. Ihm stand wirklich nicht der Sinn danach, sich um Melkors und Mairons Probleme zu kümmern, er hatte eigene Sorgen. Er versuchte, nicht an all die gefolterten und geknechteten Sklaven zu denken, er konnte nichts für sie tun.
Sie zogen sich in Melkors Gemächer zurück, und als Madara die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, atmete Tobirama auf. Endlich! Die ganze Zeit dieses Kribbeln unter der Haut von der Sorge, dass irgendwer sie doch durchschauen könnte. Er rieb sich den Nacken. Madara riss sich die Krone vom Kopf und warf sie in die erstbeste Ecke. Auch er atmete hörbar auf.
»Dieses Ding ist eine Plage!«, schimpfte er und ließ sich seufzend in einen weich gepolsterten Sessel sinken. »Diese Kopfschmerzen die ganze Zeit! Ein Gott zu sein, habe ich mir unterhaltsamer vorgestellt.«
Tobirama hob eine Augenbraue. »Ach.«
»Wir beide wissen, was die Leute über deinen Bruder sagen, und wir wissen auch, dass die Hälfte davon übertriebener Blödsinn ist. Berge kann er nun wirklich nicht versetzen.«
Nun, wie man‘s nahm.
Madara deutete auf sich selbst. »Aber ausgerechnet ich muss an solch einen Irren geraten, der selbst dich bei weitem übertrifft. Völlig besessen.«
Tobirama funkelte ihn an. »Was hat das mit mir zu tun?«
»Keine Ahnung, was du insgeheim alles in deinem Labor ausheckst. Dass Mito da mitmacht, soll mir egal sein, aber dass du da auch Izuna mit hinein ziehst! Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.«
»Sei gefälligst dankbar dafür, dass ich mich überhaupt um das Problem mit euren Augen schere!«
»Und jetzt sieh, wohin uns das geführt hat!«
Tobirama knurrte unwirsch. Er sollte sich diesen Kerl einfach schnappen und Ancalagon zum Fraß vorwerfen! Frustriert ließ er sich an einem Tisch am anderen Ende des Raumes nieder und zwang sich, ruhig durchzuatmen.
»Das bringt doch alles nicht«, sagte er dann. »Lass uns stattdessen noch einmal ganz genau durchgehen, was wir getan haben. Es muss doch irgendwo in der Formel ein Fehler gewesen sein.«
Madara starrte ihn einen Moment lang finster an, doch dann nickte er. »Fein. Schreib alles auf, woran du dich erinnerst.«
»Und du machst dich dabei gefälligst genauso nützlich. Vier Augen sehen mehr als zwei.«
Murrend stimmte Madara dem zu.
Gemeinsam trugen sie Pergament und Tinte zusammen und machten sich an die Arbeit. Tobirama mochte zwar kein Sharingan besitzen, aber trotz allem ein ausgesprochen gutes Erinnerungsvermögen. An die allermeisten Details der Formel konnte er sich erinnern und mit dem Rest konnte Madara ihm aushelfen. Dann rekonstruierten sie minutiös jeden einzelnen Schritt in der Ausführung des Jutsu und bezogen auch alle eventuellen Begleitumstände mit ein. Hatte irgendetwas von außen Einfluss genommen? Hatte irgendetwas einen Störfaktor darstellen können, was sie im Vorfeld nicht beachtet hatten?
Stunden um Stunden saßen sie daran, die meiste Zeit schweigend und nur manchmal ihre Gedanken austauschend. Tobirama merkte schnell, wie ihn die Arbeit vereinnahmte und sämtlichen Platz in seinen Gedanken einnahm. Er vermisste schon jetzt seinen Kaffee, den Izuna ihm in regelmäßigen Abständen vorbeibringen würde. Und eigentlich vermisste er auch Izuna und Hashirama und vielleicht würde er ja sogar Madara vermissen, würde er nicht gerade in diesem Moment mit diesem Mistkerl zusammen in diesem Schlamassel stecken.
Er seufzte. Sie sollten besser zusehen, dass sie das hier ganz schnell lösten. Er wollte nicht länger als unbedingt nötig an diesem Ort festsitzen und all diese finsteren Verliese und grausamen Folterkammern so schnell und so weit wie möglich hinter sich lassen.
»Madara, sag, was denkst du? Empfindet Melkor etwas für Mairon?«
Madara sah von seinen Notizen auf und hob fragend eine Augenbraue. »Bleib bei der Sache, Senju.«
»Kann ich nicht, mir fehlt mein Kaffee.«
Nun kniff Madara die Augen zusammen. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
Tobirama seufzte. »Das hilft mir, mich zu fokussieren. Und hält mich nebenbei wach. Aber hier gibt‘s keinen Kaffee und ja, da fängt mein Hirn nun einmal an, von Idee zu Idee zu springen.«
»Dann konzentier dich halt mehr.« Madara wandte sich wieder seinen Notizen zu.
»Das stellst du dir so einfach vor.«
Madara sah wieder auf und kniff die Augen zusammen. »Ist diese Kaffee-Sache der Grund, warum du dir ständig die Nächte um die Ohren schlägst?«
Tobirama nickte.
»Du hast einen schlechten Einfluss auf Izuna.«
»Hab ich überhaupt nicht! Hast du vielleicht einmal in Erwägung gezogen, dass du deinen Bruder nicht ständig bemuttern kannst und er ein selbstständiger Erwachsener ist, der auf sich selbst acht geben kann?«
»Und dann kamt ihr Senju um die Ecke und habt alles durcheinander gebracht.«
»Also ist es dir lieber, wenn wir uns weiter gegenseitig abschlachten? Kannst du gern haben!«
»Na los, versuch‘s doch!«
Sie starrten sich über den Papierstapel zwischen ihnen hinweg an. Ohne sein Sharingan wirkte Madara mehr wie eine fauchende Katze statt eines knurrenden Tigers.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Tobirama dann.
Das schien Madara den Wind aus den Segeln zu nehmen. Irritiert sah er Tobirama an. Dann lehnte er sich zurück. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Mairon ist für ihn auf jeden Fall mehr als nur eine weitere Eroberung, die er den anderen Valar abringen konnte. Doch wie weit das geht, was er für ihn ist, weiß ich nicht. Das weiß er vielleicht selbst nicht einmal. Aber trotzdem würde er für ihn die ganze Welt in Schutt und Asche legen. Warum fragst du?«
Tobirama schwieg für einen Moment. »Das weiß ich selbst nicht so genau. Es überkam mich einfach so.«
Da war diese Sache, dass er Mairons Emotionen als seine eigenen empfand. Noch konnte er sie voneinander trennen, aber so langsam fragte er sich, ob die Linie immer dünner würde, wo Mairon endete und er anfing. Und das war ein beängstigender Gedanke. Er sah zu Madara und war sich nur allzu deutlich bewusst, was Mairon in diesem Moment empfinden würde. Im besten Falle war diese Situation noch als unangenehm zu bezeichnen.
Fokus. Er sollte wirklich versuchen, sich auf ihre Arbeit hier zu fokussieren, so schwer es ihm auch allmählich fiel. Umso besser sie hier vorankamen, umso schneller konnte er wieder zur Normalität zurückkehren.
Zu seinem Leidwesen brachten sie die nächsten Tage damit zu, ihre Notizen durchzugehen und Ideen hin und her zu wälzen. Der Fehler konnte an allen möglichen Stellen liegen und sie mussten die Fehlerquelle möglichst zweifelsfrei eingrenzen. Tobirama sah zu, dass er möglichst viele von Mairons Aufgaben an andere delegierte, und dass Melkor keinen einzigen Finger krumm machte, schien ohnehin niemanden zu stören. Er gab Gothmog zu verstehen, dass dieser gefälligst dafür Sorge zu tragen hatte, dass die Noldor nicht zurückkämen, und damit war die Sache für ihn erledigt. Sollten sich doch andere die Hände schmutzig machen.
Damit war auch das vom Tisch und er konnte sich um seine eigenen Sorgen kümmern. Je weniger Zeit er mit den Bewohnern Angbands verbringen musste, desto besser.
Und dann, wenige Tage später …
»Heureka!«
Madara fuhr zusammen. »Erschreck mich doch nicht so, Senju!«
»Ich hab’s!«, rief Tobirama und wedelte mit einem Pergament. Er klatschte es Madara vor die Nase. »Sieh hier. Das muss der Fehler sein, dieser Teil der Formel.«
Madara nahm das Pergament und besah sich, was Tobirama ihm zeigen wollte. »Das ist der Teil, der mit Zeit assoziiert ist, aber auch eine Verbindung zu Raum hat.«
»Du hast es erfasst! Wenn wir das umkehren, dann … Sieh her, so.« Aufgeregt kritzelte Tobirama in der Formel herum.
Madara runzelte die Stirn und grübelte über die Änderung nach. »Ein umgedrehtes Bewörungsjutsu.«
»Im Kern ja und daher braucht es auch diese Blutverbindung hier.« Tobirama kritzelte noch einige Linien in die Formeln.
Madara ergriff seine Hände und hielt ihn auf. Er sah ihm fest in die Augen. »Entspann dich, Senju. Es hilft keinem, wenn du jetzt durchdrehst.«
»Ich dreh nicht durch!«, begehrte Tobirama auf.
»Du hat nur seit drei Tagen nicht geschlafen und zudem diesen irren Blick. Besser, wir schlafen eine Nacht darüber.«
Tobirama wollte bereits protestieren, doch dann hielt er inne. Madara hatte Recht. Es nützte niemandem etwas, wenn sie jetzt die Dinge überstürzten. Unvorsichtigkeit hatte sie überhaupt erst in diese Situation gebracht.
Er seufzte. »Fein. Dann setzten wir uns morgen daran.«
Madara stutzte.
Tobirama hob eine Augenbraue. »Was?«
»Seit wann bist du vernünftig?«
»Ich denke eben logisch.«
»Ach, der feine Herr denkt logisch.«
Tobirama kniff die Augen zusammen. »Ich kann wirklich nicht verstehen, warum Hashirama ausgerechnet mit dir ins Bett steigt. Vielleicht lasse ich dich ja einfach hier.«
Madaras Augen sprühten Funken. Sprichwörtlich. »Lass dir versichert sein, dass Izuna dir das niemals verzeihen würde.«
Tobirama setzte schon zu einem giftigen Konter an und ließ es dann doch. Leider hatte Madara Recht und leider wusste er auch sehr wohl, dass Hashirama und Izuna Tobiramas Schwachpunkte waren.
Sie begaben sich zur Ruhe, um Kraft für den nächsten Tag zu sammeln. Dennoch brauchte Tobirama lange, bis er Schlaf fand, und selbst dann warf er sich unruhig hin und her und seine Träume waren wirr. Seine Gedanken kreisten immerzu um die Formel. Immer und immer ging er im Geiste die Details durch und ersann sich alle möglichen Eventualitäten, die auftreten konnten. Es war unmöglich, alle Risiken auszuschließen, noch immer bestand die Möglichkeit, dass irgendetwas schief ging. Im schlimmsten Falle starben sie oder landeten wieder woanders. Nicht dass er jemals die Möglichkeit ausgeschlossen hätte, bei einem seiner Experimente zu schaden zu kommen, aber er legte es nicht wirklich darauf an.
Am nächsten Tag setzten sie sich wieder über den Formeln zusammen. Ernst starrten sie auf die Tintenlinien. Madara sah auf.
»Du bist sicher?«
Tobirama sah ebenfalls auf. »So sicher, wie ich eben sein kann.«
»Ein Restrisiko bleibt.«
»Stimmt.«
»Wir werden es hinnehmen müssen.«
»Korrekt.«
»Nach dir, Senju.«
Tobirama sah von Madara auf das Siegel und dann wieder zu Madara. »Gemeinsam.«
Madara hob spöttisch eine Augenbraue. »Angst?«
Tobirama verdrehte die Augen. »Wenn wir draufgehen, dann wenigstens zusammen. Wir sind zusammen hier gelandet, also denke ich, dass wir auch nur zusammen hier wieder weg kommen.«
Madara schwieg einen Augenblick. »Das könnte durchaus sein. Nun denn. Entweder es funktioniert oder eben nicht, und dann können wir auch nichts mehr daran ändern. Lass es uns machen.«
Tobirama atmete noch einmal tief durch. Dann biss er sich zeitgleich mit Madara in den Daumen und presste sein Blut auf das Siegel. Madara tat dasselbe. Dann schloss er die Augen und betete.
Das Siegel arbeitete. Das Gefüge der Welt wurde neu geordnet. Wieder brannte sich blendend helles Licht in Tobiramas Netzhäute.
Als er seine Augen wieder öffnete, brauchten sie einen Moment, um sich von dem Licht zu erholen. Allmählich erkannte er, dass er sich anscheinend im Hokage-Büro befand und auf dem Schreibtisch saß. Dann sah er, dass jemand ihn fest umschlungen hielt und, was noch schlimmer war, küsste.
Es war Madara und zwar Madara in seiner richtigen Gestalt.
Madara war, wie es schien, von der ganzen Situation ebenso überfordert wie er und starrte ihn groß an.
Hashirama wählte diesen Augenblick, um zur Tür hereinzukommen. Er trug einen Stapel Papiere auf dem Arm. Dann erfasste er die Situation und erstarrte mitten in der Bewegung.
»Oh«, sagte er dann. »Tja, also … Ihr beiden also auch? Irgendwie … wusste ich das nicht.«
Endlich hatte Tobirama seine Sinne wieder beisammen und stieß Madara von sich. Hastig fuhr er sich mit dem Handrücken über die Lippen und versuchte, möglichst schnell das Gefühl von dessen Zunge in seinem Rachen zu vergessen.
»Das ist nicht, wonach es aussieht!«, sprudelte es aus Tobirama heraus.
»Als würde ich mit dem da …! Niemals!«, rief Madara zur gleichen Zeit.
Hashirama sah sie verwirrt an. »Nicht, wonach es aussieht?«, wiederholte er vorsichtig.
»Ja!«, schrien Tobirama und Madara wie aus einem Mund.
»Aha …«
Tobirama scherte sich nicht darum, ob sein Bruder ihm das nun abnahm oder nicht. Er fiel ihm um den Hals und konnte gar nicht in Worte fassen, wie froh er war, Hashirama wiederzusehen. Hashirama gab einen überraschten Laut von sich, als Tobirama ihn so ganz untypisch für ihn umarmte. Doch dann erwiderte er die Umarmung und klopfte Tobirama beruhigend auf den Rücken.
Tobirama atmete auf. Hashirama war es wirklich und wahrhaftig. Der Alptraum hatte ein Ende.
Nahtamo – der Unterdrückende, Tyrann; Ableitung von Vb. nahta-, Quenya Äquivalent zu Bauglir
Aure entuluva! - Es soll wieder Tag werden! (Zitat aus dem Silmarillion)
CN Erwähnung von Folter, Andeutung sexueller Inhalte
Mairon wusste, dass er der Gnade seines Meisters ausgeliefert war. Melkor nahm sich, was er wollte, und er bekam es auch, koste es, was es wolle. Der Raub der silmarilli bewies dies nur wieder einmal mehr. In der Regel hatte auch Mairon etwas davon, und ihm war bewusst, dass er noch mehr davon profitieren konnte, wenn er allem folgte, was sein Meister von ihm wollte. Auch wenn es manchmal schwer war.
Also versuchte er sich nicht allzu sehr zu wundern, als er sich auf einmal fremden Personen gegenüber sah. Wenn es das war, was seinem Meister Freude bereitete …
Als er zu Melkor sah, musste er jedoch zu seinem Erstaunen feststellen, dass sein Meister nicht wirklich zufrieden wirkte mit dem Ergebnis von was auch immer, was er hier angestellt hatte. Tatsächlich machte er gar den Eindruck, als wäre das nicht beabsichtigt gewesen. Das war interessant, vielleicht sogar ein klein wenig beunruhigend.
Ganz am Rande bemerkte Mairon, dass sie beide fanar trugen, die ihm fremd waren. Zumindest er hatte nicht bewusst seine Gestalt geändert, aber dass Melkor eine Form trug, die so gar nicht zu ihm passte, war für Mairon Zeichen genug, dass hier etwas nicht ganz so war, wie es sollte.
»Und, hat es funktioniert? Madara, sag schon, sind deine Augen besser geworden?«
Mairon sah zu dem Sprecher und machte eine ganz und gar verblüffende Entdeckung. Das da war weder ein Ainu noch einer der Eldar oder gar einer von diesen Würmern, die sich Aule ersonnen hatte. Und das ließ nur einen Schluss zu.
»Mairon, kein Wort, bevor ich nicht weiß, was hier los ist«, sprach Meister Melkor mittels osanwe zu ihm. »Aber das da sind Atani, zweifelsohne, und das eröffnet uns einige interessante Möglichkeiten.«
Oh, in der Tat. Und wieder einmal waren sie den Valar zuvor gekommen! Dieses Mal hatte Mairon nicht einmal auch nur einen Finger krümmen müssen, nicht so wie damals, als er insgeheim ganz Arda hatte absuchen müssen auf der Suche nach den Eldar. Er konnte eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken.
Aber … hatte Meister Melkor gerade offen zugegeben, dass er nicht beabsichtigt hatte, was hier geschehen war? Wie konnte das sein? Mairon war hin und her gerissen zwischen Beunruhigung und Faszination. Wer brachte es fertig, den mächtigsten aller Ainur zu etwas zu zwingen, das er nicht beabsichtigte?
Offensichtlich die Person, an deren Stelle Mairon getreten war, ging ihm auf.
Er besah sich die Menschen, die sich mit ihm und seinem Meister in einem Raum befanden. Sie waren den Eldar erstaunlich ähnlich, wenn auch nur, was ihre Äußerlichkeiten betraf. Sie besaßen fear wie diese, auch wenn sie bei weitem nicht so hell strahlten, und noch etwas stimmte an ihnen nicht ganz, auch wenn er den Finger nicht wirklich darauf legen konnte, was es war. Hatte es mit dem dritten Thema der Ainulindale zu tun? Vielleicht sollte er einen von ihnen fangen und aufschneiden, überlegte Mairon. Das hatte schon früher aufschlussreiche Erkenntnisse geliefert.
Der Sprecher stellte sich als hochgewachsener Mann mit sonnengebräunter Haut und dunkelbraunem, fast schwarzem Haar heraus. Er sah Meister Melkor erwartungsvoll an und hielt ihn ganz offensichtlich für jemand anderen. An seiner Seite stand ein schwarzhaariger Hänfling und machte einen mehr oder weniger besorgten Eindruck. Außerdem befand sich noch eine fünfte Person im Raum, die Mairon als weibliches Exemplar der Spezies Mensch identifizierte. Sie schien weniger besorgt als wissenschaftlich interessiert.
Je länger Mairon sie betrachtete, umso klarer wurde ihm, was hier geschehen war und wer diese Menschen alle waren. Wie interessant. Sie hatten ein Experiment durchgeführt und waren sich nicht einmal des Umstandes bewusst, dass es gehörig nach hinten losgegangen war. Stattdessen hielten sie die beiden Ainur für jemand anderes, und dass besagte Ainur sich jetzt anstelle Madaras und Tobiramas befanden, gab ihnen die Möglichkeit, auf deren Erinnerungen zurückzugreifen.
In aller Windeseile durchwühlte Mairon die Erinnerungen des Mannes, dessen Platz er eingenommen hatte, fand das eine oder andere dreckige Geheimnis und eine Menge interessanter Erkenntnisse. Meister Melkor hatte anscheinend dasselbe mit Madaras Erinnerungen getan, denn seine Haltung änderte sich. Die anfängliche Irritation wich einer selbstsicheren Haltung.
»Spiel deine Rolle«, befahl er Mairon.
»Nun sag schon, Big Bro!«, drängte Izuna. »Mach‘s nicht so spannend!«
Menschen stellten sich als enttäuschend schwache Geister heraus. Zusammen mit Meister Melkor hatte Mairon unendlich viel Zeit und noch mehr Fingerspitzengefühl in Feanáro investiert, um ihn auf den Weg zu bringen, den er schlussendlich eingeschlagen hatte. Wobei betonte werden musste, dass es nicht Mairons Idee gewesen war, Finwe zu töten. Das war nicht seine Art, viel zu … direkt. Menschen hingegen … Sie ahnten nicht einmal im Entferntesten, dass Melkor sie täuschte.
Melkor legte ein beruhigendes Lächeln auf. »Ich glaube, es hat funktioniert. Ich bin mir noch nicht endgültig sicher, aber es sieht gut aus.«
»Ha! Ich wusste es!«, jubelte Izuna. »Dann lasst es uns gleich an mir versuchen.«
»Kommt gar nicht in Frage«, hielt Melkor sogleich dagegen, ganz in seiner Rolle. »Das ist mir alles noch viel zu unsicher.«
»Stimmt«, bekräftigte Mito. »Dass es dir nicht sofort die Augen ausgebrannt hat, ist nur bedingt aussagekräftig. Ich schlage vor, wir beobachten das über die kommenden Tage hinweg und testen dein Mangekyō vorsichtig, bevor wir das wiederholen. Irgendwie hab ich da so ein Gefühl.«
Hashirama strahlte. »Tobirama, du bist ein Genie!«
Mairon machte eine beschwichtigende Geste. »Warten wir erst einmal ab und beobachten, wie sich die Dinge entwickeln. Für heute soll es genug sein.«
Sie schienen sich damit zufrieden zu geben und die Runde löste sich auf. Mairon blieb zusammen mit Melkor in dem Labor mit der Begründung, er wollte noch einige letzte Nachuntersuchungen anstellen, für die er aber keine Hilfe benötigte.
Als sie endlich allein waren, ließ Melkor seine Maske fallen. »Mairon, meine kleine Flamme, ist dir eigentlich bewusst, welch Glücksfall dies ist?«
Mairon sah ihn fragend an. Es war ungewohnt, zu ihm herabzublicken. »Wie meint Ihr dies, Herr?«
Ein grausames Lächeln breitete sich auf Melkors Lippen aus. »Diese Welt kennt keine Ainur, und das heißt auch, dass weit und breit nichts von meinem Bruder oder den anderen Valar zu sehen ist. Diese Welt gehört uns allein, von nun an ist sie mein Königreich, und du wirst an meiner Seite regieren.«
Mairons Miene hellte sich auf. »Oh, in der Tat! Ich war zunächst besorgt, dass dies Eure Pläne durchkreuzen würde, doch das ändert alles.«
Melkor machte eine den Raum umfassende Geste. »Ich bin sicher, das hier wird dich interessieren. Es ist zwar keine Schmiede, aber doch ein Ort voller Wissen. Sieh dich um und ich erkunde indes unser neues Reich.«
Mairon nickte. Ihn juckte es in den Fingern, all die Geheimnisse dieses Ortes aufzudecken. Melkor wandte sich ab, um seine eigenen Erkundigungen einzuholen und Mairon machte sich daran, das Labor auf den Kopf zu stellen. Er brauchte nicht lang, um sich in dieser neuen Form einzufinden und sich mit ihren Fähigkeiten vertraut zu machen. Einige davon waren recht nützlich.
In einem besonders gut gesicherten Tresor fand er schließlich das, was ihn besonders interessierte: Edo Tensei, Tobiramas kleines schmutziges Geheimnis.
Wissbegierig öffnete Mairon die Schriftrollen und begann sie zu studieren. Nekromantie war etwas, mit dem auch er sich befasst hatte. Zu oft schon waren ihm wertvolle Testsubjekte unter der Hand weggestorben, die er gern noch weiter verwendet hätte. Mit der Zeit war es lästig geworden, aber das hier könnte sein kleines Problem mit einem Schlag lösen.
Gefundenes Fressen, fürwahr.
Es erstaunte ihn ein wenig, dass Meister Melkor Arda so schnell abgeschrieben hatte. Er hatte es immerhin als sein Königreich eingefordert und viele Kriege darum gefochten. Auf der einen Seite hatte Melkor alles gegeben, um Arda für sich zu gewinnen, aber auf der anderen Seite bot eine Welt ganz ohne andere Ainur ungeahnte Möglichkeiten. Hier würde ihnen niemand ihre Herrschaft streitig machen. Hier konnten sie eine Welt ganz nach ihrem Ansinnen formen.
Mairon verbrachte viele Stunden damit, gleichsam Tobiramas Erinnerungen und seine Forschungen zu durchwühlen und seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. Was Melkor derweil trieb, wusste er nicht, aber sein Meister würde ihn schon rufen, wenn er ihn benötigte.
Dies war schließlich in der Tat der Fall, als Melkor ihn mittels osanwe zu sich rief. Zeit also, eine von Tobiramas Fähigkeiten zu testen. Er bemühte das Hiraishin und fand sich schon im nächsten Augenblick auf dem Kliff wieder, in dessen Schatten das Dorf lag. Melkor erwartete ihn hier bereits. Es war Nacht.
»Ich habe mich also ein wenig umgesehen«, eröffnete er. »Uns diese Welt Untertan zu machen, sollte nicht allzu schwer sein, auch wenn sie Hashirama einen Gott nennen.«
»Ist er das?«
Ein anzügliches Grinsen legte sich auf Melkors Lippen. »Wie man‘s nimmt.«
Mairon sah ihn wortlos an.
»Nun sei doch nicht so pikiert, meine kleine Flamme. Dir hatte ich damals auch deinen Spaß mit Eonwe gegönnt.«
Wohl wahr.
»Allerdings habe ich auch das herausgefunden.« Mit diesen Worten formte Melkor einen Feuerball. Die Flammen erhellten die Nacht. Es war ein enttäuschend kleines Feuer, jeder halbwüchsige Drache war zu mehr fähig.
»Das stellt ein Problem dar«, fuhr Melkor fort. »Diese Körper haben Limitationen, die unserem Ansinnen im Weg stehen. Mairon, es wird deine Aufgabe werden, das zu überwinden.«
Mairon nickte. »Natürlich. Ich werde so bald als möglich damit beginnen. Auch mir ist nicht entgangen, dass etwas mit diesen hroar anders ist, die sie von denen der Eldar unterscheiden. Und so langsam habe ich eine Vermutung, was es sein könnte. Sterblichkeit.«
Melkor nickte. »Ich fühle förmlich den Verfall, wie diese Hülle dahinwelkt und vergeht. Dies zu umgehen, ist ab sofort deine höchste Priorität, kleine Flamme.«
Mairon nickte. »Wie Ihr befiehlt, Herr.«
Melkor sah zufrieden auf das Dorf hinab, das sich zu ihren Füßen ausbreitete. »Ein neues Zeitalter ist angebrochen und nun endlich gehört die Welt mir allein.«
Und so kam es, dass Sauron der Nekromant wurde ...
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