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Sätze: | 165 | |
Wörter: | 1.814 | |
Zeichen: | 10.937 |
Sandra saß auf der kleinen Veranda und starrte auf den zwölf Zoll Monitor ihres Laptops. Kapitel 1 stand dort geschrieben.
Der Cursor blinkte unaufhörlich und trieb sie zum weiterschreiben an, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. Sie nippte an ihrem Cappuccino. Es war der fünfte. Wenn sie einen Koffeinschock vermeiden wolle, müsste sie allmählich vorwärts kommen. Aber das Thema, das für den Wettbewerb gewählt worden war, war wirklich nicht einfach. Prinzipiell fiel es ihr schwer, sich an Vorgaben zu halten, die sie in ihrer eigenen Kreativität einschränkten. Es wirkte irgendwie immer falsch, so als hätte jemand anderes diese Geschichte geschrieben. Doch sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Wenn sie jemals als Autorin ernst genommen werden wollte, dann musste sie an diesen Ausschreibungen teilnehmen, und im besten Fall, auch gewinnen.
„Ich hätte mir ja denken können, dass du hier steckst.“ Sandra schaute auf und blickte in das freundliche Gesicht ihrer besten Freundin.
„Maria?“, entgegnete sie überrascht. „Was machst du denn hier?“
„Sag mir nicht, dass du es vergessen hast.“ Maria setzte einen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Heute ist Ring-Night!“
Sandra seufzte. Das hatte sie ja ganz vergessen. Das Open-air Kino am See zeigte heute die Herr der Ringe Trilogie. Schon vor Monaten hatte sie sich mit Maria und Lars verabredet. Immerhin war dies ihr Lieblingsfilm. Doch eigentlich verspürte sie nicht wirklich Lust auszugehen. Außerdem fühlte sie sich meist wie das dritte Rad am Wagen. Bei jeder Szene zwischen Aragorn und Arwen schmolz Maria erfahrungsgemäß dahin und es folgte eine Knutschorgie zwischen ihr und Lars. Nein, darauf hatte sie nicht wirklich Lust.
Wie aufs Stichwort erschien Lars auf der kleinen Veranda. Er hatte seine kurzen blonden Haare zu einem Igel nach oben gegelt und trug ein dunkles T-Shirt mit der Aufschrift 'I'm not short – I'm a Hobbit'. „So, ich habe Bier, RedBull und Chips eingepackt“, begann er. „Doch ich denke, wir müssen noch einmal beim Supermarkt vorbei, wenn ihr Mädels lieber Sekt trinken wollt.“
„Seid ihr beide mir böse, wenn ich nicht mitkomme?“, fragte Sandra zögerlich. „Ich muss das hier fertig kriegen.“
Maria seufzte. „Ehrlich gesagt, hätte es mich überrascht, wenn du mitgekommen wärst“, antwortete sie mit einem Lächeln und streichelte ihrer Freundin sanft über das braune kurze Haar. „Du bist halt unverbesserlich.“
Sandra lächelte verlegen. Ihre Freunde wussten um ihre Leidenschaft und das sie manchmal stundenlang in ihre Geschichten abtauchen konnte. Sie bezweifelte zwar, dass sie das wirklich verstanden, aber sie warfen es ihr niemals vor. Auch dann nicht, wenn sie deswegen eine Verabredung absagte.
„Woran arbeitest du denn gerade?“, wollte Lars wissen. Doch er wartete nicht auf ihre Antwort und griff stattdessen nach dem weißen DINA4 Blatt, das auf dem Tisch lag.
„Eine Ausschreibung des Greyne Verlags“, begann er. „Das Thema ist: Eine Dunkle Bedrohung, und bei dem Protagonisten muss es sich um einen Elben handeln. “ Dann schaute er zu Sandra. „Das ist doch nicht so schwer. Du schreibst einfach über einen elbischen Prinzen, der mit seinen Freunden in den Krieg zieht!“
Sandra rollte mit den Augen und riss Lars das Papier aus der Hand. „Ich schreibe keine Herr der Ringe Fan-Fiction!“, stellte sie entschieden klar.
„Was ist eine Fan-Fiction?“ Lars wirkte verwirrt, doch keine der beiden Frauen machte Anstalten seine Frage zu beantworten.
„Prinz ist gar keine schlechte Idee“, sagte Maria stattdessen. „Nur wie wäre es, wenn dieser Elb, unwissend seiner Herkunft und fernab von seiner Heimat, als Sohn eines Bauern aufwächst?“, versuchte sie zu helfen.
„Ein elbischer Bauer?“
Maria nickte eifrig. „Ja! Aber das Beste kommt jetzt.“ Sie legte nachdenklich einen Finger an ihr Kinn. „In Wirklichkeit ist er der Sohn des Königs von … hm … von irgendwas. Egal, auf jeden Fall birgt er ein großes Geheimnis und ungeheure Macht in sich, von der er noch nichts ahnt und die er auch noch nicht kontrollieren kann.“
„Natürlich“, kommentierte Sandra leise und ahnte schon worauf das hinaus laufen würde.
„Ja, aber im Hintergrund plant ein Dunkelelb, das Königreich zu stürzen“, führte Lars die Gedanken seiner Freundin fort. „Ein mächtiger Gegner, der die Welt in ewige Finsternis stürzen will! Dafür hat er in seinen dunklen Feuern eine Halskette geschmiedet, die er ...“
„Moment“, unterbrach Sandra ihn. „Statt eines Ringes, ist es diesmal eine Halskette?“ Sie nickte anerkennend. „Wie kreativ.“
Lars grinste sie fröhlich an. „Findest du?“
„Nein“, sagte sie trocken und sein Lächeln schwand abrupt. Innerlich musste sie schmunzeln. Ironie setzte ein gewisses Maß an Intelligenz beim Empfänger voraus, und Lars war eher von der einfachen Sorte. Nicht zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass er ein Dreizehnjähriger gefangen im Körper eines Zwanzigjährigen war.
Maria machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Vergessen wir die Halskette, aber der Rest gefällt mir schon ganz gut.“
Sandra beäugte ihre Freunde mit einem skeptischen Blick. „Okay, also dieser Bauern Elb ist dann natürlich auch der Auserwählte, und als Einziger in der Lage die Welt vor dem sicheren Untergang zu bewahren?“
„Ja, woher weißt du das?“, wollte Maria wissen.
„War nur so ne Ahnung.“
„Ich finde die Idee cool“, sagte Lars. „Kannst du den Helden nach mir benennen? Lars der elbische Schlächter!“
„Ja, stimmt“, begann Sandra ironisch. „Lars ist ein sehr verbreiteter Name unter den Elben, hatte ich ganz vergessen …“ Sie rollte mit den Augen. Manchmal fragte sie sich ernsthaft, was ihre Freundin an ihm fand.
Maria runzelte die Stirn. „Ach Blödsinn. Er heißt Eleandor und eines Tages zieht er aus, weil er seinen Vater suchen will. Damit beginnt sein Abenteuer.“
„Und wie kommt er darauf, einfach auszuziehen und einen Vater zu suchen, von dem er nichts weiß?“
„Wie wäre es mit einem Traum?“, schlug Lars vor.
„Gute Idee! Durch diesen Traum erfährt er dann auch von seinem Schicksal!“, Maria klatsche euphorisch in die Hände. „Aber wie wär's, wenn sein Vater auch gleichzeitig sein Lehrmeister ist?“
„Ja! Das wäre gut“, Lars nickte. „Aber dann muss der Vater auch theatralisch sterben, damit dieser Elenor ...“
„Eleandor“, korrigierte Maria ihn.
„Ja, Elandor, oder so. Damit der halt Rache üben will und alles kurz und klein schlägt. Wie bei Troja! Da töten sie Patroklos, und dann rastet Achilles vollkommen aus! Das war genial!“
Sandra zog eine Augenbraue hoch und beobachtete ihre Freunde interessiert, wie sie die Geschichte weitersponnen. Jedes einzelne Detail, das sie hinzufügten, feierten sie, als wäre niemand vorher jemals auf eine solch kreative Idee gekommen.
Sandra seufzte. „Es ist irgendwie echt süß, dass ihr mir helfen wollt, aber das ist mir alles zu Mainstream.“
„Funktionieren diese Geschichten nicht so?“, sagte Lars.
„Der Held, der nichts von seiner Gabe oder Herkunft weiß, aber als einziger in der Lage ist, die Welt vor dem Untergang zu bewahren? Und zu allem Überfluss stirbt auch noch sein Lehrmeister, der gleichzeitig sein Vater ist, damit er von Rache getrieben den Antagonisten töten will?“ Sandra schüttelte den Kopf. „Ich glaub schlimmer geht’s nicht. Das sind nur Klischees. Fantasy ist weit mehr als das. Eine gute Geschichte braucht neben einer spannenden Handlung auch einen glaubwürdigen Protagonisten, mit dem man mitfiebern kann. Vorzugsweise, ohne die Geschichten anderer Autoren nur mit neuen Protagonisten zu erzählen.“
„Siehste? Also jetzt widersprichst du dir ja selber“, entgegnete Lars. „Was könnte spannender sein, als der Weltuntergang. Und was könnte einen Helden interessanter machen, als wenn er der Einzige ist, der die Macht hat das Böse zu besiegen?“
Sandra klappte resignierend ihren Laptop zu. „Das ist das Problem bei euch Teilzeit-Fantasy-Fans. Ihr kennt nur diese Geschichten, weil ihr euch mit der ganze Materie überhaupt nicht beschäftigt.“
„Herr der Ringe, Harry Potter und sogar Krieg der Sterne“, zählte Lars die Filme mit Hilfe seiner Finger auf. „Überall gibt es einen Helden, der die Welt retten muss. Diese Filme waren nicht zu unrecht so erfolgreich.“
Sandra atmete einmal tief durch und bemühte sich um einen ruhigen Ton. „Lars, ich will nicht die nächste Tolkien werden. Für den Anfang würde es mir schon reichen, wenn ein Verlag meine Geschichte überhaupt in Betracht ziehen würde.“ Dann schaute sie zu ihrer Freundin. „Du hast sie doch gelesen, was meinst du?“
„Ich finde sie wirklich gut. Doch glaubst du tatsächlich, dass dir jemand die Chance gibt, deine eigenen Ideen zu verwirklichen, wenn du nicht in der Lage bist, dich nach dem Publikum und dem aktuellen Trend zu richten?“
Sandra schaute sie unsicher an. „Und du glaubst wirklich, dass ich mit einem Werk heraussteche, das die Welt schon hundert Mal gelesen hat?“
Maria lächelte. „Wenn es dir gelingt neue Aspekte drunter zu mischen, ja. Deine Geschichte ist klasse, doch vielleicht bist du deiner Zeit etwas voraus.“ Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Manchmal muss man eben einen Schritt zurück gehen, wenn man vorwärts kommen will.“ Dann ging sie auf sie zu und umarmte sie. „Lass dich nicht unterkriegen. Du schaffst das schon, aber wir müssen jetzt los.“
„Danke“, flüsterte Sandra.
Als ihre Freunde gegangen waren, fiel ihr Blick auf den braunen Umschlag, der auf dem Tisch lag. Es war ein Exposé ihres Buches, das sie heute noch wegschicken wollte. Sandra senkte den Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf. Bei unzähligen Verlagen hatte sie ihr Buch bereits eingereicht. Wenn sie überhaupt mal eine Antwort bekommen hatte, war diese stets negativ gewesen.
Ihre Protagonistin war keine Heldin. Weder konnte sie Magie nutzen, noch ein Schwert führen. Sie war Teil einer größeren Geschichte, die von anderen gelenkt wurde, und doch nahm sie Einfluss auf die Geschicke des Reiches. Seit drei Jahren arbeitete Sandra an dieser Welt. Es war ihr wichtig, dass sie etwas erschuf, das man so noch nicht gelesen hatte. Sie verzichtete bewusste auf Prophezeiungen, den einen Auserwählten und den Weltuntergang. Trotzdem war es ihr gelungen eine spannende Geschichte zu schreiben, zumindest dachte sie das. Doch allmählich begann sie daran zu zweifeln.
Interessierte sich wirklich niemand für ihr Buch? Vermutlich wäre es anders, wenn ihre Protagonistin eine Vampirin wäre, das würde wenigstens zum aktuellen Trend passen. Wobei ja auch dieser allmählich abflaute.
Doch vielleicht hatte Maria recht. Vielleicht musste sie zuerst beweisen, dass sie all die geforderten Klischees erfüllen konnte, bevor man ihr die Chance gab, sich selbst zu verwirklichen. Welcher Verlag unterstütze schon gerne neue Ideen eines unbekannten Autors. Das Risiko war viel zu groß. Denn am Ende ging es nur ums Geschäft.
Mit einem Seufzen klappte sie den Laptop auf und begann die Zeilen zu schreiben, die ihr die Hoffnung gaben, irgendwann ihre eigenen Ideen verwirklichen zu können.
Eleandor erwachte an diesem Morgen aus einem unruhigen Traum …
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BernardBraegan • Am 06.03.2017 um 14:43 Uhr | |||
Eine Kurzgeschichte wie man sie schnell mal nebenbei liest und ins Grübeln kommt - sofern man selbst schreibt. Der letzte Satz ist schon genial - und Ironie pur! |
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