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Flirty! - Zu zweit im Liebesdreieck

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21.02.22 08:19
18 Ab 18 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

Wer behauptet hat, lachen sei gesund, war ein dreckiger Lügner! Ich schwebte nämlich in akuter Lebensgefahr! Blicke versuchten mich zu töten und sämtliche Messerspitzen im Raum schienen auf mich gerichtet zu sein. Ihre Klingen blitzten gefährlich im romantischen Kerzenlicht, während Eros Ramazzotti verheißungsvoll aus einem Lautsprecher säuselte. Ein Mann im grauen Sakko würgte seine Serviette. Eine Blondine zielte bereits mit der Speisekarte  auf mich. Und der Kellner umklammerte die Pfeffermühle wie einen Baseballschläger. Die Atmosphäre erinnerte an eine Kampfarena und nicht etwa an einen besinnlichen Restaurantbesuch am Samstagabend.

Trotzdem lachte ich weiter. Und zwar lauthals. Seit bestimmt zehn Minuten.
Ich prustete herzhaft und immer, wenn ich nach Luft schnappte, quiekte ich wie ein besessenes Schwein auf der Schlachtbank. Saukomisch!
Mich zu beruhigen war vollkommen unmöglich. Da hätte tatsächlich ein Restaurantbesucher nachhelfen und mir die Luft abdrehen müssen, um für Ruhe zu sorgen. Freiwillige gab es ja zuhauf. Doch das war mir sowas von schnurzegal. Schließlich hätte ich diese Welt glücklich verlassen.

Im Gegensatz zu mir wirkte Nina, meine beste Freundin bis zum bitteren Ende, überhaupt nicht glücklich. Ihr Gesicht leuchtete in alarmierendem Rot, als sie mit einem Steakmesser vor meiner Nase herumwedelte und die Kerze auf dem Tisch zwischen uns zum Flackern brachte. "Hör endlich auf zu lachen", zischte sie.

Nix da. Ich schüttelte den Kopf und verschluckte mich, hustete und lachte dabei weiter, hustete, lachte, hustete und lachte, bis mein Bauch anfing, sich zusammenzuziehen. Woher der Begriff Lachkrampf stammte, wurde mir schmerzlich bewusst.

"Edna Marie Thiele!", schimpfte Nina. "Reg dich ab oder ich gehe."

Abrupt wurde ich still. Nicht, dass mich ihre Drohung an sich sonderlich beeindruckt hätte, aber meinen vollen Namen zu hören war selten ein gutes Zeichen. Erst recht nicht aus Ninas Mund. Das Mädel mochte mit ihren goldenen Locken vielleicht aussehen wie ein Engel, doch sobald sie ernst machte, hieß es: In Deckung gehen. Daher riss ich mich zusammen, obwohl mein Zwerchfell weiterhin energisch zuckte. Beschwichtigend hob ich eine Hand. "Sorry, tut mir echt leid."

Tat es nicht und Nina wusste das. Sie krümmte die Augenbrauen so weit, dass sie sich über ihrer Nasenwurzel berührten. "Was genau ist überhaupt so lustig daran?"

Ich sog dringend benötigten Sauerstoff in meine Lungen, ehe ich antwortete. "Eine Flirtapp?"

"Ja, und?"

"Du willst mir echt weismachen, dass du zu solchen Mitteln greifst? Die Dinger sind doch bloß für schnelle Vögeleien gut." Ich wischte mir ein Tränchen von der Wange. "Ohne Scheiß jetzt? Mensch, ich hätte nie gedacht, dass du überhaupt auf die Idee kommen würdest, sowas wie Lovoo oder Tinder -"

"Flirty ist keine Bumms-App!", schnauzte Nina dazwischen und erstarrte sofort, als das ältere Pärchen vom Nebentisch entrüstet keuchte. Mit einem perfekt dosierten Lächeln entschuldigte sie sich, bevor sie sich mit gesenkter Stimme wieder an mich richtete. "Ich rede von Flirty."

Mein Blick sprach wohl Bände über Verwirrung und Unverständnis, denn Nina wechselte in den Akademiker-Modus und dozierte: "Erinnerst du dich nicht? Flirty wurde damals für diejenigen auf den Markt geworfen, die wirklich nur in ihrer eigenen Region einen Partner suchen wollten, statt ganz Deutschland abzugrasen. Die App konnte zwar nie Fuß fassen, weil die internationale Konkurrenz schlichtweg zu groß war, aber trotzdem wurde sie am Leben erhalten. Vielleicht wegen der Werbeeinnahmen, was weiß ich. Das spielt auch keine Rolle. Wichtig ist nur, dass sie weiterhin genutzt werden kann. Von einer überschaubaren Anzahl an Nutzern, was für mich das ausschlaggebende Argument für Flirty ist, da ich glaube, dass aufgrund dessen dort kaum Schindluder getrieben wird."

"Getrieben", gluckste ich.

Nina atmete tief ein, dann so brastig wieder aus, dass die Kerze zwischen uns erlosch. "Natürlich wird das Ding trotzdem von einigen Leuten nur für schnellen Sex genutzt, aber halt nicht von jedem."

Ich nickte. "Schon klar."

"Eddi", mahnte sie und seufzte anschließend wie eine Mutter vor einem wirklich begriffsstutzigen Kind, "du verstehst das halt nicht. Heutzutage muss man eben auf solche Mittel zurückgreifen. Gerade in unserem Alter. Wo soll man denn mit Ende Zwanzig sonst einen Mann fürs Leben finden? Die Zeiten, in denen man über Freunde und Freundesfreunde neue Bekanntschaften gemacht hat, sind vorbei. Deshalb ist man auf professionelle, von Fachleuten entwickelte Hilfe angewiesen."

"Flirty", betonte ich.

Nina ignorierte mich und schnitt lieber ihr Rumpsteak mit bemerkenswerter Präzession in mundgerechte Häppchen. Eines schob sie sich zwischen die geschwungenen Lippen und kaute deutlich länger als nötig.

Ich nutzte die Zeit, um aus meinen Spagetti Bolognese einen Vulkan mit Lavakern zu bauen. Irgendwann hielt ich das Schweigen jedoch nicht mehr aus und hakte erneut und hörbar friedlicher nach: "Flirty? Und das soll gut gehen?"

"Ja." Nina schluckte. "Da bin ich mir sogar sicher. Du wirst schon sehen: Sobald ich mir ein Profil erstellt hab, wird es gar nicht mehr lang dauern, bis ich den Mann meiner Träume finde. Jemanden, der ebenfalls nach einer festen Beziehung sucht, der nett ist und bodenständig, der vielleicht einen interessanten Job hat und zielstrebig ist." Sie nahm einen weiteren Bissen, kaute diesen allerdings schneller und fügte noch hinzu: "Bevor du jetzt klugscheißerst: Die Kerle werden nur so tun als ob, um dich flachzulegen. Klar, solche wird es geben, aber ich bin nicht blöd und werde das schon rechtzeitig durchschauen."

Gebannt beobachtete ich ein Fleischbällchen in der Lava. "Ich zweifle ja nicht an deiner Intelligenz."

Nina beäugte meinen Vulkan ebenfalls. "Aber?"

"Nun ja", ich rettete das Bällchen in meinen Mund und nuschelte mit Hamsterbacken: "Aber manchmal bist du halt viel zu gutgläubig und gibst dich dann mit echt komischen Gestalten ab."

Sie grinste. "Das sehe ich."

"Was soll das denn heißen?" Eigentlich wollte ich schmollen, aber mein Hirn lenkte mich just in dem Moment mit einer Idee ab, für die ich mir am liebsten selbst auf die Schulter geklopft hätte. "Ich hab's!"

"Feuchte Aussprache?" Nina wischte sich Fleischreste von der Wange. "Die hast du wirklich."

"Nein, einen Plan." Verschwörerisch spähte ich durch das Lokal, um eventuelle Zuhörer ausfindig zu machen, ehe ich mich über den Tisch lehnte und flüsterte: "Ich mach mir auch einen Account bei Flirty."

Blaue Augen musterten mich, als wäre ich total durchgeknallt. "Was? Wozu? Ich denke, du findest solche Apps blöd."

"Finde ich auch, aber für dich opfere ich doch jederzeit gern meine guten Vorsätze." Ich erwartete einen Heiligenschein, musste mich jedoch mit der erloschenen Kerze zufriedengeben. Egal. Ich wisperte weiter: "Was hältst du davon, wenn ich dich als dein persönlicher Spamfilter bei der Traummannjagd unterstütze?"

Nina bohrte einen Zeigefinger in meine Stirn und schob mich wieder auf Abstand. "Von wegen unterstützen. Du witterst doch bloß eine Gelegenheit, um mich von der Unsinnigkeit solcher Apps zu überzeugen."

"Ja", gestand ich grienend. "Aber bis du das eingesehen hast, steh ich voll und ganz in deinen Diensten. Wie wär's, wenn ich die Kerle, die sich an dich ranschmeißen werden, auf die Probe stelle? Mit einem bescheuerten Profil schreib ich die an und mach ihnen schöne Augen. Wenn die drauf reinfallen, weißt du, woran du bist. Aber", kündigte ich an, "sobald einer von ihnen standhaft bleibt, zieh ich mich selbstredend zurück und mische mich in eure Romanze nicht weiter ein. Was denkst du?"

"Ich denke, dass du ein echtes Vertrauensproblem hast", murmelte Nina, während ihre Mundwinkel allmählich in die Höhe wanderten. "Andererseits klingt das nicht mal doof. Könnte ganz lustig werden und mir eine Menge Ärger ersparen."

"Eben!" Klirrend landete meine Gabel auf dem Teller, als ich in die Hände klatschte. "Also steht es fest: Wir machen Flirty unsicher." Nina wollte etwas hinzufügen, doch ich winkte ab. "Ja ja, bis du deine wahre Liebe gefunden hast."

Schmunzelnd legte sie ihr Besteck beiseite. "Oder wir beide."

"Wohl kaum", verneinte ich. Dennoch reckte ich ihr eine Hand über den Tisch entgegen. "Deal?"

Sie schlug ein. "Deal."

Im Nachhinein betrachtet, hatte ich mein Schicksal eindeutig zu leichtfertig besiegelt.

Nina ließ mir keine Zeit für ein Dessert. Stattdessen jagte sie mir die Kalorien aus dem Leib.
Seit wir das Restaurant verlassen hatten, hetzte sie mich durch die nächtliche Innenstadt und tat dabei nervigerweise so, als hätte sie es gar nicht so eilig. Von wegen. Sobald ich meinen Schritt verlangsamte, hakte Nina sich freundschaftlich unter meinen Arm und beschleunigte mich wieder. Meine Sneakers quietschten an jeder Ecke, um die ich manövriert wurde. Ninas Pumps hingegen klackerten ununterbrochen über das Kopfsteinpflaster. Echos verfolgten uns von Seitenstraße zu Seitenstraße. Eine Katze floh vor uns in die Schatten eines Hinterhofs. Und irgendwo in der Ferne schepperte Metall.
Wenn all das meinen Puls nicht bereits zum rasen gebracht hätte, dann hätte das wohl Ninas Atem getan, der stoßweise neben meinem rechten Ohr zischte. Ich fühlte mich wie das Opfer, das in einem Horrorfilm von einem Wahnsinnigen durch die Finsternis gescheucht wird.

Tatsächlich war es in der Ziegeleigasse, in die wir gerade einbogen, weil da nun mal meine Wohnung lag, sogar so verdammt finster, dass ich kaum den Hausschlüssel ins Schloss fummeln konnte. Meine Finger fingen an hektisch zu zittern. Im Film wäre dies der Moment gewesen, wo der Schlüssel ins Nimmerwiedersehen plumpst, ehe das Opfer vom Wahnsinnigen gemeuchelt wird. In der Realität hingegen nahm mir die Wahnsinnige den Schlüssel ab, schloss die Tür auf und zerrte mich in den Hausflur, dort zwei Treppenabsätze nach oben und direkt zur Wohnungstür. Nach einer weiteren Schlüsseldrehung schubste Nina mich in den schmalen Flur meiner Zweiraumwohnung. "Hey!"

Nina winkte bloß mit einer Hand ab, während sie mit der anderen ihr Smartphone aus der Jeans zupfte, um es wie einen Geigerzähler vor sich her zu tragen. "Nun mach schon", befahl sie dem Gerät und strahlte dann, als es sich mit meinem Router verband.

Ich kickte die Tür ins Schloss und spottete. "Knauserst du wieder mit deinem Datenvolumen?" Mein Telefon musste ich erst aus den Untiefen meiner Handtasche befreien, kramte, kramte und kramte, bis ich es endlich zwischen Portmonnaie und zwei Deos fand, von denen eines längst aufgebraucht war. Mental schwor ich mir, mich irgendwann von unnötigem Ballast zu befreien, doch noch war die Zeit nicht gekommen. Daher landeten die Sprays erneut in der Versenkung, ehe ich die Tasche neben dem Schuhschrank parkte und links in die Küche abbog.

"Muss ich ja", rief Nina bereits aus dem Wohnzimmer. "Durch die ganzen Hausbesuche in diesem Monat ist mein Volumen total geschröpft, sag ich dir."

"Besorg dir gefälligst einen Vertrag, mit dem du über die Runden kommst." Ich seufzte wohl wissend, dass ich mir den Atem für die Belehrung auch sparen konnte, da Nina sowieso nicht hören würde. Obwohl sie zu den intelligentesten Menschen zählte, denen ich jemals begegnet war, stellte sie sich in punkto Handy schlicht und ergreifend dämlich an.

"Ich kann keinen Vertrag abschließen", maulte sie prompt, "weil die Gefahr besteht, die Nummer aufgeben zu müssen. Das wäre ein Desaster. Meine ganzen Kunden wüssten gar nicht mehr, wie sie mich erreichen könnten."

Der Preis für die Ausrede der Woche ging an Janina Maushake, die vermutlich einzige diplomierte Architektin mit einem Prepaid-Telefon. Natürlich wusste sie, dass man notfalls sämtliche Kontakte über eine neue Nummer informieren konnte. Und ich wusste natürlich, dass genau darin ihr Problem bestand, denn mindestens eine Nummer würde sie nicht informieren wollen. Sich von dieser zu trennen, schaffte Nina allerdings auch nicht.
Verflixte Romantikerin.
"Du bist unverbesserlich, weißt du das?", stöhnte ich auf dem Weg zum Kühlschrank, aus dem ich zwei Coladosen fischte. "Glaubst du ernsthaft, dass Robert sich nach all den Jahren vielleicht mal meldet? Man, Nina, unser Abi war vor zehn Jahren. Selbst wenn er noch deine Nummer hätte -"

"Neun Jahre!"  

Ich verdrehte die Augen und biss mir auf die Zunge.

"Und nein", behauptete sie, als ich ins Wohnzimmer trat, "das glaube ich nicht." Ihr Blick wich meinem aus und floh in Richtung Fenster. In der Reflexion sah ich deutlich, dass sie ihr Gesicht unter Kontrolle zwang, verzichtete aber darauf, ihr das zu sagen. Stattdessen fläzte ich mich neben meine Freundin aufs Cord-Sofa, stellte die Getränke auf den flachen Holztisch und durchforstete mein Handy nach neuen Nachrichten. Es gab keine. Ich war ja so unwichtig.

Mein übertriebenes Seufzen holte Nina von wo auch immer zurück. "Genug davon", meinte sie, "wir sind nicht hier, um über den alten Kram zu quatschen, also los jetzt. Lad dir Flirty runter!"

"Jawohl, Boss." Da die Idee auf meinem Mist gewachsen war, konnte ich schlecht diskutieren, sondern nur fünf lange Minuten quengeln, während sich das Programm installierte. Ninas Geduldsfaden drohte zu reißen und entspannte erst, als ich sagte: "Hab's."

"Endlich."

Wir steckten die Köpfe zusammen und wühlten uns durch Flirtys Benutzeroberfläche. Verglichen mit heutigen Apps erschien diese beinahe primitiv. Statt sich durch Profile zu wischen, musste man eine Liste von Bildern abarbeiten, in der einem andere Nutzer vorgeschlagen wurden. Sobald man angab, nach welchem Geschlecht und Alter man Ausschau hielt, änderte sich die Liste. Wir entschieden uns für männliche, heterosexuelle Partner zwischen 25 und 40 Jahren.

"Wäre ich auf der Suche nach einer lesbischen Beziehung, würde ich dich angraben", sagte ich grinsend.

Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete Nina: "Du wärst mir zu anstrengend."

"Herzlichen Dank auch."

Sie zuckte mit den Schultern und deutete dann auf einen Button. "Ich glaube, hier kann man sein eigenes Profil bearbeiten."

Das stimmte. Hinter dem Button steckte ein Fragenkatalog, der seinesgleichen suchte. "Wow, Flirty ist echt neugierig." Staunend scrollte ich von Zeile zu Zeile und überflog die Angaben, die ich garantiert nicht angeben würde:  Vor-, Nach- und Kosename, detailliertes Aussehen, schulische und berufliche Ausbildung, Interessen, Religion, liebste Reiseziele, Zukunftspläne. Ha! Wozu das denn?

"Außer dem Usernamen muss man nichts ausfüllen", murmelte Nina, während ihre Finger aufgeregt über das Display flogen.

Ich spickte und stellte fest: "Trotzdem machst du es."

"Gar nicht wahr." Wie zu Schulzeiten hielt sie eine Hand auf die Antworten, was ich mit erhobener Augenbraue quittierte. Schließlich meinte sie kleinlaut: "Die richtigen Namen lass ich weg."

"Damit machst du es den Stalkern aber unnötig schwer."

Da flackerte doch glatt ein Zweifel in ihrem Blick auf. "Ich will nur von vornherein Unklarheiten beseitigen. Daran ist nichts falsch, oder?"

"Süße", flötete ich, "was du da reinschreibst, liest sich garantiert kaum einer durch. Auf dein Foto kommt es letztendlich an, ob dich jemand", fast wäre mir flachlegen rausgerutscht, "kennenlernen will."

"Foto?"

Wir glotzten uns überrascht an. "Dir ist schon klar, dass du eins posten musst, wenn du die App für ihren ursprünglichen Zweck nutzen willst, oder? Dein Bild ist das Aushängeschild. Ohne dem wird es schwierig werden."

"Nein", sie räusperte sich, "ich meine ja, natürlich ist mir das bewusst, aber was nimmt man denn da für eines? Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Was zieht man dafür an? Oder soll ich das von meinen Visitenkarten nehmen?"

"Wenn du es auf Spießer oder verklemmte Jungs abgesehen hast, die gern mal von einer streng dreinblickenden Anzugträgerin verhauen werden wollen, dann ja." Lachend wich ich ihrer Faust aus, die sich gerade in meinen Oberarm bohren wollte.

"Mein Foto ist professionell und äußerst angebracht."

"Aber nicht für eine Partnersuche, Dumpfbacke. Da sollte man doch eher nicht wie eine Professionelle aussehen." Zack. Diesmal erwischte sie mich am Oberschenkel. Ich jaulte auf "Aua!", und hechtete ans sichere Sofaende, bevor sie mir noch einen Schlag verpassen konnte. "Warte, warte, warte!" Beschwichtigend hob ich die Hände und wackelte mit meinem Smartphone. "Was hältst du davon, wenn ich dir unser Selfie vom letzten Wochenende schicke? Schneid mich einfach raus und schon hast du das ideale Foto."

Zögerlich akzeptierte sie den Waffenstillstand. "Das aus dem Kino?"

Nickend suchte ich das besagte Bild, um es Nina unter die Nase zu halten. Darauf sah sie wirklich umwerfend aus. Ihre blonden Locken wellten sich auf ihre Schultern und setzten ihr makelloses Gesicht perfekt in Szene - zudem wirkte ihr Dekolletee so verführerisch, dass ich mich selbst bei einem Blick ertappt hatte. "Was sagst du?"

"Hm." Überlegend wiegte sie den Kopf. "Okay, schick mal."

"Hab ich schon." Weil ich verdammt recht mit der Wahl des Fotos hatte und eh keine Widerrede akzeptiert hätte.
Schmunzelnd beobachtete ich Nina dabei, wie sie die Nachricht öffnete und sogleich begann, mich aus dem Bild zu schneiden. Ich schlängelte mich an ihre Schulter und achtete darauf, dass sie es auch wirklich in die App lud.

"Und welches nimmst du?"

Ich sah von ihrem Display auf. "Was meinst du?"

"Na, du brauchst doch auch eins für Flirty." Als wäre das nicht die dümmste Aussage des Abends, blinzelte sie mich fragend an. "Nimmst du das gleiche Foto und schneidest mich raus?"

Ich blinzelte zurück, weil ich dachte, unser wirkliches Gespräch würde momentan aus Morsezeichen bestehen, denn Ninas gesprochenen Worte konnten unmöglich ernst gemeint gewesen sein. Wie sich nach zwei schweigsamen Minuten herausstellte, irrte ich. "Du meinst das ernst!"

"Natürlich", stutzte sie.

Ich lachte. "Hast du sie noch alle? Ich poste bestimmt kein Bild von mir in irgendeiner Vögel-App. Und schon gar nicht das Selfie." Ruckartig hielt ich ihr die ungeschnittene Version des Fotos vor die Nase. "Guck es dir an. Sowas nennt man bad hair day. Allein meine Frisur gehört zensiert, weil sie aussieht wie eine zerbombte Zwiebel. Vom rausgewachsenen Ansatz ganz zu schweigen."

Ninas Blick schweifte vom Display zu meinem Gesicht, als würde sie eines dieser Finde-die-Unterschiede-Rätsel lösen. "Du siehst darauf aus wie immer", sagte sie trocken und nahm eine Cola vom Tisch.

"Eben." Warum sollte ich der Wahrheit widersprechen? "Und deshalb lad ich auch kein Foto hoch. Das wäre total dumm und würde unseren Plan von vornherein kaputt machen. Welchen Kerl könnte ich mit der Visage in die Falle locken, wenn er denkt, dich an der Angel zu haben?"
Der Mund meiner besten Freundin klappte auf. Mit einem Zeigefinger klappte ich ihn wieder zu. "Ich sag das ganz neidlos: Du bist die Sahneschnitte von uns und das ist auch gut so. Mein Charme gleicht das ja aus."

Nun lachte Nina. "Wohl wahr." Spielerisch buffte sie mir gegen die Schulter. "Also der Teil mit dem Charme. Und ich fühle mich natürlich geehrt, dass du diese Superkraft für mich einsetzt, meine Heldin."

Irgendwie schaffte sie es, mein Gesicht anzustecken. Ich griente. "Gerne doch. Und nun mach endlich hinne mit deinem Profil. Wir haben nicht den ganzen Abend Zeit."

"Jawohl", sagte sie in frisch entfachtem Feuereifer, stieß mit mir an und widmete sich wieder ihrem Smartphone. Aus dem Augenwinkel spähte ich auf die Informationen, die sie angab, und stellte zufrieden fest, dass sie nun doch nicht alles von sich offenlegte. Währenddessen erstellte ich rasch einen Account mit dem Nutzernamen LassMiranda, fügte ein Bild mit der allseits beliebten Aufschrift YOLO als Profilbild ein und scrollte dann aus reiner Neugier durch die Liste der Flirtkandidaten, um zu sehen, wer sich diesen Unsinn freiwillig antat. Der Anblick erinnerte an die Fleischtheke im Supermarkt. Nackte Haut, wohin man auch guckte. Blanke Oberkörper sprangen mir förmlich ins Gesicht. Teufel noch eins. Ich seufzte. Offensichtlich hatten es verdammt viele Leute aus unmittelbarer Umgebung nötig, sich zu präsentieren. Muskelbepackte Kerle konkurrierten mit Halbstarken, die unmöglich zur gewählten Altersklasse gehören konnten, und dazwischen ... ich stockte ... fand man tatsächlich auch Fotos, die definitiv nicht jugendfrei waren. Ich hoffte, gerade bloß einen Nacktmull entdeckt zu haben, aber die Hoffnung starb beim genaueren Hinsehen. Schnell wischte ich weiter. Bilder rasten übers Display, bis zum Ende der Liste. Ich stockte erneut, doch diesmal aus ehrlichem Interesse, denn ein Profil unterschied sich auffallend von all den anderen und zog meinen Blick beinahe magisch an. Obwohl hier ebenfalls nackte Haut zu sehen war, gefiel mir das Motiv außerordentlich gut. Irgendwo auf seinem Körper hatte der Unbekannte nämlich eine Jason-Voorhees-Maske tätowiert, daneben einen Löffel in einer Müslischüssel und darunter den Schriftzug Cereal Killer.
Mein Humor. Und das genügte, um mich zu locken.
Ohne darüber nachzudenken, klickte ich auf das Bild und gelangte somit zum Profil des Fremden. Hm. Okay. Der Kerl hielt sich ansonsten ziemlich bedeckt, denn außer des Usernamens AnnoYing gab es keinerlei Informationen. Wer dahintersteckte hätte nicht mal Sherlock Holmes rausgefunden, also ich schon gar nicht. Aber egal. Im Grunde spielte das ja keine Rolle. Kontakte wollte ich eh nicht knüpfen.
Dennoch reizte es mich, dem Unbekannten positives Feedback für seine Selbstdarstellung zu geben, weshalb ich einfach den goldenen Stern neben seinem Namen klickte. Da war nichts dabei.
Dachte ich.

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Kapitel: 2
Sätze: 295
Wörter: 3.529
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Kurzbeschreibung

"Flirty ist keine Bumms-App!" | Das sieht Edna "Eddi" Thiele ganz anders. Sie hält nichts vom Online-Dating und ist dementsprechend nur wenig begeistert, als ihre Freundin Nina auf die Idee kommt, sich bei der regionalen App Flirty anzumelden. Nichtdestotrotz erstellt Eddi ebenfalls ein Profil, um Nina im Kampf gegen notgeile Idioten zur Seite zu stehen. Natürlich lernt sie dort ausgerechnet jemanden kennen, den sie im wahren Leben schon seit langem kennt. Doch geflirtet wird nicht, denn dieser Jemand ist bereits verliebt. In Eddi.