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Ein Freund

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08.04.17 22:13
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

15. Tag im Sonnenmonat, 231 

Das Warten wird in dieser Zelle wirklich zur Qual. Ich weiß, dass Jahanna alles tut, damit ich hier gut behandelt werde, aber das ändert nichts daran, dass es hier kalt und feucht ist und mir nichts weiter als ein Eimer und eine Holzpritsche zur Verfügung stehen. Zudem gibt es hier keinerlei Beleuchtung außer einem schmalen Schlitz in der Wand. Zum Glück hat Jahanna meiner Bitte entsprochen und für den Wucherpreis einer goldenen Münze eine Kerze für mich ausgehandelt. Wenn jetzt die Nacht hereinbricht, versinkt die Zelle wenigstens nicht in vollständiger Düsternis. 

Es gibt hier nicht viel zu tun, deshalb habe ich die Zeit genutzt, unsere Reise von Grünhafen bis hierher in die Hauptstadt zu kartographieren und fehlende Einträge in meinem Tagebuch zu ergänzen. Das alles erscheint sinnlos angesichts der Tatsache, dass ich eventuell die nächste Woche nicht mehr erlebe, aber noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben. 

Ich weiß, was ich getan habe ist unverzeihlich. Vielleicht ist es sogar ganz zu spät, jetzt noch etwas zu ändern. Aber ich schwöre, wenn es jemand gibt, der Voskan noch aufhalten kann, dann sind es nicht Mira, Valter und Jahanna allein. Wenn sie ihn wirklich aufhalten wollen, dann muss ich dabei sein, verdammt. 

Natürlich sieht der König das anders. Natürlich hat er auch nur widerwillig zugestimmt den Lichtkristall zu übergeben, also sieht er die Schuld natürlich allein bei mir. Hätte ich gewusst was passieren würde, dann hätte ich ihn nicht dazu überredet. 

Hätte, hätte... meine Gedanken scheinen die ganze Zeit nur darum zu kreisen, ob ich es eher hätte wissen sollen. Ich hätte ahnen müssen, dass Voskan uns verraten würde. Vielleicht macht der reine Glaube, jemand zu kennen, gerade blind. Valter hat mich gewarnt. 

Valter... er war gestern kurz hier, das habe ich gar nicht mehr aufgeschrieben. Ich war zu müde, ich konnte mich nur noch fallen lassen und schlafen. Er kam herein und setzte sich einfach wortlos auf meine Pritsche. Er hatte wieder dieses undurchdringliche Gesicht, bei dem man nicht weiß, woran man ist. Also setzte ich mich neben ihn und wartete darauf, was er zu sagen hat. Es hat wohl eine ganze halbe Stunde gedauert, bis er anfing zu reden – er war schon immer schweigsam, aber so habe ich ihn noch nie erlebt. Jedes Wort schien ihn zu quälen. Er fragte mich, warum ich es getan habe, warum ich Voskan laufen ließ. 

Ehrlich gesagt habe ich diese Frage inzwischen satt. Mira und Jahanna, der König, sein oberster Richter, sie haben mich alle das selbe gefragt, und ich kann nur immer wieder sagen: Voskan war mein Freund. Ich weiß, das ist keine gute Erklärung dafür, dass ich ihn mit dem Lichtkristall laufen ließ, als sein Verrat offenbar wurde. Ich lenkte Miras Pfeil ab, der Voskan hätte treffen müssen. Jahanna hatte ihn mit einem Lichtblitz geblendet, und Valter hatte ihn mit seiner Axt festgenagelt. Aber ich kann nur immer wieder sagen: Er war mein Freund. Wir kennen uns so lange, wie ich zurückdenken kann. 

Das habe ich auch Valter gesagt. Er sah mich an, mit diesem starren Blick, den niemand deuten kann. Schließlich murmelte er: „Er war auch mein Freund.“ Das allerdings war mir neu, ich habe ganz verdutzt nachfragt, was er damit meinte. Ich glaube kaum, dass man jemand, den man ständig kritisiert, hinterfragt, überprüft und rügt, als seinen Freund bezeichnen kann. Aber er zuckte nur mit den Achseln und verabschiedete sich einfach. 

Dieses Achselzucken... das hasse ich besonders. Manchmal kommt es mir so vor als würde ich hier drin versauern, weil es den anderen gleichgültig ist. Ich bin der Schuldige, der Sündenbock, der für alles verantwortlich ist, aber was ich getan habe, habe ich nur getan weil 

Ich musste einen Moment meine Hand beruhigen. Ich sollte aufhören mich so aufzuregen. Jahanna sagt dasselbe. Sie ist noch am optimistischsten, dass der König mir eine zweite Chance gibt. Sie meinte wirklich fest überzeugt, dass es nicht meine Schuld wäre und ich nichts dafür könne. Ich habe schon davon geschrieben, dass mich ihre Worte wirklich aufbauten, und das tun sie jetzt noch. Sie sagte auch, dass Voskan mich am einfachsten blenden konnte, weil wir uns nahe standen. Dazu zitierte sie einen Vers: "Am tiefsten schmerzen Wunden, uns geschlagen, von Menschen, die der Freundschaft Maske tragen." 

Obwohl Jahanna versuchte mich aufzuheitern, scheinen sie selbst schwere Schuldgefühle zu plagen, sie hat wie ich Voskan oft gegen Valter und Mira verteidigt. Diese Tatsache muss sie jetzt sehr belasten. Es scheint mir auch, dass sie sich von den anderen beiden zurückgezogen hat. Sie schien zumindest mit Mira endlich Freundschaft zu schließen. 

Mira... sie wird mich jetzt wohl hassen. Ich weiß, dass wir nie besonders gut miteinander auskamen. Sie war einfach gewohnt, unabhängig zu sein – dass Voskan und ich unsere Truppe anführten, hat sie nur widerwillig akzeptiert. Als ich sie das letzte Mal sah, das war... 
Es ist tatsächlich schon zehn Tage her. Seit meiner Gefangennahme habe ich sie nicht gesehen. Jahanna sagt, sie säße jetzt die meiste Zeit irgendwo in einer Schenke am Stadtrand und wolle niemanden sehen. 

Alle scheinen nur noch zu grübeln. Ich glaube nicht, dass es an meiner bevorstehenden Strafe liegt. Es wäre schön, wenn ich mir das einreden könnte, aber das ist es nicht. Es liegt wie immer nur an Voskan. Ich wünschte er wäre hier, ich wünsche es mir wirklich. Egal was passiert ist, jetzt seine Stimme zu hören würde alles besser machen. 

Man konnte Voskan einfach nie böse sein. Wenn Valter ihn getadelt hat oder eine seiner Entscheidungen kritisiert hat, hat er das immer mit einem Lächeln getan. Mira boxte ihn manchmal in die Rippen und nannte ihn einen echten Schuft. Und wie Jahanna immer errötet ist, wenn er sie mit ihrem Titel angesprochen hat. „Lady Illuminaris“ - niemand sonst kann das so sagen, dass es gleichzeitig wie eine Ehrung und freundlicher Spott klingt. 

Die Wahrheit ist, sie haben ihn wirklich alle geliebt. Aber niemand hat ihn so geliebt wie ich. Deshalb bleibe ich hier sitzen und warte. Es ist mir eigentlich auch egal. Wenn sie ohne mich gehen, dann werde ich Voskan nicht aufhalten müssen. Und wenn sie versagen, denn das werden sie ohne mich, wird es niemand geben müssen, der ihre Schuld auf sich nimmt. 

Miras Pfeil… ich musste ihn nicht ablenken. Er flog weit vorbei, ein sinnloser Warnschuss für jemand, der nicht mehr gewarnt werden konnte. Der helle Lichtblitz, den Jahanna beschwor, er fuhr in die falsche Richtung, denn sie wollte ihm nicht wehtun. Und Valter, er stand nur da, fassungslos. Und ich, ich habe gezögert. Und so floh er. 

Aber so oder so wird das nie jemand erfahren, denn ich bin nicht wie Voskan. Ich verrate nicht die Menschen, die auf mich angewiesen sind, um einen Nutzen daraus zu ziehen. 

Vielleicht sollte ich diese Seite einfach wegwerfen. Das ist sicher die beste Lösung. 

Ich bin müde. Ich will nicht schlafen, die Zeit erscheint mir so knapp, aber ich kann die Augen nicht mehr offen halten. 
Mit Sonnenaufgang wird sich entscheiden, ob ich hängen werde.

Autorennotiz

Das ist der Beitrag zu einem kleinen Schreibwettbewerb. Ziel war, einen Tagebucheintrag zu entwerfen, wie er auf einer heraus gerissenen, weg geworfenen Seite zu finden sein könnte. Damit war für mich auch klar, dass Anfang und Ende dieser Kurzgeschichte offen sein müssen, dass es der Beitrag eines Ich-Erzählers sein muss, und dazu habe ich drei vorgegebene Worte eingebaut. Das Ergebnis gefällt mir gut, und deshalb reposte ich es hier.

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Autor

Tristans Profilbild Tristan

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Sätze: 100
Wörter: 1.233
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Kurzbeschreibung

Ich weiß, was ich getan habe ist unverzeihlich. Vielleicht ist es sogar ganz zu spät, jetzt noch etwas zu ändern. Aber ich schwöre, wenn es jemand gibt, der Voskan noch aufhalten kann, dann sind es nicht Mira, Valter und Jahanna allein. Wenn sie ihn wirklich aufhalten wollen, dann muss ich dabei sein, verdammt. 

Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch in den Genres Liebe, Drama und Freundschaft gelistet.