Storys > Kurzgeschichten > Fantasy > Der erloschene Drache

Der erloschene Drache

138
1
17.01.17 08:25
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Jhira folgte dem Wehklagen weiter, obwohl ihre Verfolger es schon vor geraumer Zeit aufgegeben haben mussten. Anfangs hatte sie in dieser Höhle nur Schutz gesucht, dann war es aufgetaucht, schien gleichzeitig aus den Tiefen des Berges und in ihr selbst zu klingen. Obwohl unartikuliert, löste es tiefes Mitleid und Verzweiflung in ihr aus. Wie hypnotisiert davon hatte sie nicht auf den Weg geachtet, den sie nahm. Der Gedanke, dass es eine Falle sein könnte, kam viel zu spät. Wie sollte sie jemals wieder nach draußen finden?

Je weiter sie ging, desto deutlicher wurde der Ton, begann, einer Art Stöhnen oder Seufzen zu ähneln. Und mit der Zeit mischte sich sogar ein Fünkchen Hoffnung hinein. War es Hoffnung auf Rettung oder eine Mahlzeit? Wie konnte sie helfen? Nach dem, was dort draußen mit dem Hauptmann der Bärenklauen geschehen war, war sie selbst noch ganz durcheinander. So sehr, dass sie erst spät bemerkte, dass sie nicht durch völlige Dunkelheit wanderte sondern die Wände matt zu schimmern schienen.

Falls es tatsächlich eine Falle war, konnte sie sich vielleicht genauso wehren wie gegen den selbsternannten Ritter. Die bloße Vorstellung machte ihr Angst, aber wenn es keine andere Möglichkeit gab, musste es so sein.

Niedrige, endlos erscheinende Gänge wechselten sich mit Kavernen ab, deren Decken nicht auszumachen waren. Es schien immer tiefer zu gehen und immer kälter zu werden. Mit Kälte hatte sie niemals ein Problem gehabt, ebenso wenig mit der Hitze des Schmiedeofens. Vielleicht hing auch das mit den Geschehnissen draußen zu tun. Doch diese Kälte hier war anders. Sie fühlte sich an wie eine Eisschicht, die sich von innen an Jhiras Haut schmiegte.

Mehr als ein paar Stunden konnte es nicht her sein, dass sie sich gewünscht hatte, das Feuer möge erlöschen. Nun fürchtete sie sich davor.

Ich brenne.

Die fremde Stimme wurde immer mehr zu einem Grollen, das in ihr widerhallte. Es war, als vibrierte sie, als stemmte, die Stimme sich gegen die Kälte. Und sie hatte Erfolg. Jhira hatte das Gefühl, bald am Ziel zu sein.

Während ihres ganzen Wegs unterhalb des Berges hatte sie niemanden getroffen. Keinen Menschen, womit sie gar nicht gerechnet hätte, und auch kein Tier, nicht einmal einen Käfer, eine Fledermaus oder eine Eidechse.

Darum traf sie das, was sie in der nächsten Höhle fand, auch unvorbereitet. Der Raum war niedriger als die letzten, die sie passiert hatte. An einer Wand ragten Stalagmiten am Rande eines Tümpels in die Höhe, dessen Wasser tiefschwarz erschienen. Links von ihr führte ein Gang wieder nach draußen, durch den zwei Heuwagen übereinander gepasst hätten.

An der Wand ihr gegenüber befand sich etwas, das sie auf den ersten Blick für eine seltsame Felsformation hielt. Doch dann erkannte sie den langen, schlanken Hals, einen massigen Leib und einen Schwanz, der um einen Stalagmiten geschlungen war.

Jhira erstarrte. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, zu laut war das Grollen geworden, zu sehr erfüllt war sie von dessen Traurigkeit.

Doch auch dieses Wesen – dieser Drache – rührte sich nicht. Alles um sie herum war still, alle Töne klangen in ihr. Ohne Worte herauszuhören, erkannte sie sie als Bitte, näher zu kommen.

Zögerlich durchschritt sie die Höhle und stand schließlich so nah vor ihm, dass sie die einzelnen Schuppen erkennen konnte. Sein Kopf war so groß wie ihr Oberkörper. Aus stumpfen, steinernen Augen blickte er sie an.

Das Grollen war zu einem flehenden Summen geworden. Plötzlich durchflutete eine Welle an Zärtlichkeit sie, als habe sie es hier mit einem nervösen Gunko zu tun, das man einfach beruhigen konnte, indem man es ganz sacht ...

Ich brenne.

Die Flammen in ihr wallten in dem Moment wieder auf, in dem sie den Hals des Drachen berührte. Doch es war nicht das Gefühl von Kraft, das sie beim ersten Mal verspürt hatte, als sie dem Hauptmann der Bärenklauen aus lauter Furcht und Panik die Hand ins Gesicht gedrückt hatte. Sie fühlte sich, als würde es sie von innen zerreißen, als wolle es aus allen Ritzen aus ihr ausbrechen. Und doch fand es nur den Weg über ihre Hand hinein in den Drachen, unter dessen Schuppen es nun glühte wie Kohlen.

Er brüllte in ihrem Inneren und daraus hörte sie die Flucht vor einem großen Schrecken, die Suche nach Schutz in diesem Berg und lange Einsamkeit. Sie hörte von einem Nest, das beinahe komplett zerstört war. Sie hörte davon, wie er nach zu langer Zeit ohne Sonne immer mehr erlosch und doch irgendwie geschafft hatte, seinen Geist am Leben zu halten, über Tage, Monate, Jahre, bis er ihr Feuer fand.

Es war zu viel. Sie wollte schreien, bekam aber die Kiefer nicht auseinander. Nicht einmal die Hand konnte sie zurückziehen. Hilflos musste sie miterleben, wie sie Gefahr lief, innerlich zu verglühen, und wie die Hoffnung des Drachen, sie könnte ihn zu neuem Leben erwecken, in Verzweiflung und Panik umschlug.

Sie hörte dieselben berstenden Schmerzen, die auch sie selbst erfüllten. Das Gefühl, jederzeit die Besinnung zu verlieren, ohne dass diese Erlösung tatsächlich kam.

Für einen Augenblick sah es aus, als hätte sie doch Erfolg. In das Steinauge kam Leben, es glänzte wie ein geschliffener Edelstein. Das Ei. Knackend schloss sich der Kiefer und der Hals streckte sich langsam hin zu einem Punkt hinter Jhira.

Das letzte Ei.

Jhira spürte ihre Kraft immer weiter schwinden, und mit ihr die Flammen. Das Auge wurde wieder matter und das Glimmen unter seinen Schuppen verging. Ihre Hand fiel von ihm ab, als wäre plötzlich alle Spannung daraus gewichen.

Irgendwie schaffte sie es, nicht umzukippen, und sich zu dem Nest zu drehen, in dem zwischen Schalensplittern ein einzelnes unversehrtes Ei lag. Sie rollte sich darum herum zusammen.

Die Tränen auf ihren Wangen fühlten sich eiskalt an.

Um sie herum herrschte Stille.

Stille und vollkommen Finsternis.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

0
Elenyafinwes Profilbild
Elenyafinwe
M
Am 17.01.2017 um 19:38 Uhr
Hallo,
Du weißt, ich mag diesen Text sehr, nicht nur, weil er diese gewisse Dark Souls Attitüde hat *-* Ok, Drache, das stellt mich in der Regel leicht zufrieden. Ach, ich hätte echt so gern mehr davon! Hattest du da nicht schon was zu gesagt?
LG Auctrix
Sephigruens Profilbild
Sephigruen (Autor)Am 17.01.2017 um 22:12 Uhr
In meinem Kopf liegen immer so viele Projekte im Streit um meine Aufmerksamkeit, dass ich Glück haben muss, wenn sich mal eins so weit nach oben kämpft, dass ich tatsächlich vorankomme. Das hier gehört zu den aufwändigeren, weil ich da Worldbuilding betreiben muss und alles, das ist bei anderen schon weiter fortgeschritten. Aber wenn der Flash mich ergreift, wirst du es zuerst erfahren.

Autor

Sephigruens Profilbild Sephigruen

Bewertung

5 Bewertungen

Statistik

Sätze: 48
Wörter: 1.029
Zeichen: 5.767

Kurzbeschreibung

Jhira, eine Schmiedetochter, rettet sich vor wenig ehrenhaften Rittern in die Tiefen eines Berges. Der einzige Bewohner des Höhlenlabyrinths klammert sich an das letzte Fünkchen Leben.