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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 707 | |
Wörter: | 8.411 | |
Zeichen: | 50.300 |
Du hast dich hierher nicht verirrt , hast bewusst
Dich hier zu mir begeben, weil du es nun
Erfahren willst, es suchst in dir und
Auch in der Welt, die uns allzeit umgibt.
Auf Erden ist der Mensch das größte Wunder,
Doch sieht er selbst das nicht und strebt die Leere
Zu füllen mit allerlei Dingen:
Krieg, Sex, Speis, Trank, Kunst, Spiel und Religion .
Soll ich dir ein Geheimnis anvertrauen?
Den Himmel findest du nur an einem Ort,
Schau nicht nur raus, auch nicht nur hinein
So wirst du dann dein Paradies entdecken .
Die Welt ist wunderbar und voller Schrecken,
Magst nicht vergessen, dass wir alle uns fürchten
Von Zeit zu Zeit, doch darfst nie stoppen
die schöne, grausame Welt zu sehen.
Zuerst hatte Josua es nur für eine Sternschnuppe gehalten. So wie immer wenn die Wache die Spätschicht hatte, schaute er in den Nachthimmel. Dort oben hatte alles seine Ordnung. Und mochte die Welt um ihn herum auch noch so verrückt sein. Das zu wissen, beruhigte Josua.
Er war nur ein einfacher Soldat und hatte deshalb zu tun, was sein Stammesführer von ihm verlangte. Sein Klan zog von Oase zu Oase um zu überleben. Wasser und Nahrungsmittel waren seltene Güter. Außerdem bestand immer die Chance, dass man auf einen anderen Klan traf und es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kam. Es war eine harte Existenz, dennoch wollte Josua sich nicht beschweren, schließlich hatte er eine Aufgabe, die seinem Leben einen Sinn gab. Andere verließen sich auf ihn. Er war wichtig. Joshua war es, der über den Klan wachte, während die anderen Mitglieder schliefen. Aus genau diesem Grund war er jetzt auch verunsichert.
Was passierte gerade? Statt am Firmament vorbeizuziehen, kam die Sternschnuppe immer näher. Es sah aus wie ein Ball aus Feuer, der den Himmel in ein blutiges Rot färbte. Man sah nicht einen einzigen Stern mehr. So etwas hatte der Wächter noch niemals erlebt.
Als Kind hatte er Geschichten gehört von Städten, auf die es Feuer geregnet hatte, weil sie ihren Gott verärgert hatten. Aber ob das wirklich geschehen konnte oder nicht, war ihm nicht bekannt. Josua entschied sich dazu Hoth, den Anführer seines Klans zu wecken. Er ließ sich von nichts aus der Ruhe bringen und wusste einfach immer was zu tun war. Da der Feuerball inzwischen schon die Größer seiner Faust hatte, vergeudete er keine Zeit mehr.
„Hoth, bitte wach auf! Da geht irgendetwas vor sich!“, rief Josua nachdem er in das Zelt des Anführers gestürmt war. Dieser richtete sich blitzschnell auf, zog sich sein Gewand über und antwortete: „Was genau ist denn passiert? Werden wir angegriffen? Bist du verletzt?“ „Nein, mir geht es gut. Es ist keine Attacke im traditionellen Sinn. Schau es dir einfach selbst an“, bat die Wache und sie verließen das Zelt gemeinsam. Josua zeigte auf den brennenden Flugkörper im Himmel, welcher mit jeder Minute größer wurde. „Was ist denn das?“, fragte Hoth verwirrt. Einen Augenblick starrten sie einander an und dann wieder auf die flammende Kugel, die unaufhörlich auf sie zugerast kam. „Weck die anderen! Wir sollten für den Ernstfall bereit sein“, befahl der Anführer des Klans seinem Krieger.
Dieser nahm das aus dem Hauer eines Schwein gemachten Horn, welches an seinem Gürtel befestigt war, setzte es an seinen Mund und blies fest hinein. Ein markerschütternder Ton erfüllte die Umgebung. Innerhalb weniger Sekunden kamen die anderen Mitglieder aus ihren Zelten und versammelten sich um Hoth. Es war nun deutlich, dass das Objekt ihr Lager nicht direkt treffen würde, sondern in einiger Entfernung einschlagen würde. Dennoch war Vorsicht geboten. „Alle Krieger legen ihre Rüstungen an und machen sich bereit zum Aufbruch. Die Kinder und die Alten verstecken sich in den Zelten. Thomas bleibt zurück und bewacht sie“, gab der Anführer seinem Klan Anweisungen. Die umstehenden Menschen setzten sich sofort in Bewegung.
Josua, der bereits seine Rüstung und Waffen bei sich trug, fragte Edna, welche die Älteste des Klans und Beraterin des Anführers war: „Was glaubst du ist das?“ „Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen“, gab sie zu, „Manche würden es wohl den Zorn Gottes nennen, aber es könnte auch etwas ganz anderes sein.“ „Warum sollte Gott zornig sein?“, wollte Josua wissen. Sie hatten sich doch niemals etwas zu Schulden kommen lassen. Er und sein Klan lebten ein bescheidenes Leben. „Das kann keiner mit Gewissheit sagen. Menschen können die Wege des Herren nie komplett verstehen“, meinte Edna ruhig.
Hoth ermahnte sie: „Hör auf mit diesem Geschwätz. Du setzt dem Jungen nur Flausen in den Kopf. Außerhalb von dieser Erde gibt es nichts. Niemand schaut uns von da oben zu und niemand macht Pläne für uns außer uns selbst.“ „Das mag sein“, erwiderte die Älteste noch immer gelassen, „Doch selbst wenn es so wäre, wüssten wir es vielleicht gar nicht.“ „Blödsinn! Du solltest dich lieber auf das konzentrieren, was sichtbar vor dir liegt“, riet Hoth ihr.
Edna zuckte mit den Schultern und stellte klar: „Ich jedenfalls glaube daran!“ Ihr Anführer rollte nur noch mit den Augen, sagte aber nichts mehr. Joshua wusste nicht was er von diesem Gerede halten sollte. Ein Blick auf den Feuerball, der nun Ausmaße von geschätzt zwei Metern angenommen haben musste, war doch wohl Beweis genug, dass es da draußen noch irgendetwas geben musste.
Hoth wollte gerade weitere Befehle geben, als der Einschlag begann. Die Erde bebte und ein gigantischer Donner entstand. Josua musste sich die Ohren zuhalten, weil er die Lautstärke nicht ertragen konnte. Eine Druckwelle kam auf ihr Lager zugeschossen und riss Josua und die anderen von den Füßen. War dies das Ende der Welt? Es war so plötzlich und unangekündigt gekommen. Doch er durfte in diesem Moment kein Feigling sein! Gerade jetzt musste er kämpfen.
Der Donner war bereits wieder verstummt. Josua stöhnte und stand wieder auf. Für einige Sekunden schossen noch Flammen vom Ort des Einschlags in die Luft, dann wurde es dunkel. Der Himmel hatte seine normalen dunklen Blauton zurück und die Sterne waren wieder sichtbar. So schnell die Zeichen der Apokalypse gekommen waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden. Es sah jetzt wieder nach einer ganz normalen Nacht aus.
Die Wache half der noch immer am Boden liegenden Edna auf die Beine. „Danke mein Junge“, sagte die Älteste und klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. Hoth, welcher sich ebenfalls wieder aufgerappelt hatte, meinte: „Das war ja ein ganz schönes Spektakel. Wer weiß, was das ausgelöst hat. Macht euch bereit Soldaten und Soldatinnen! Das sehen wir uns jetzt genauer an!“ Josua schluckte. Hoffentlich brachten sie damit kein Unglück über ihren Klan.
Während die anderen jungen Männer und Frauen seines Klans sich wieder um den Anführer versammelten, schaute er zu Edna, welche ihn anlächelte und bestärkend nickte. Woher kam nur ihre Ruhe? Er konnte sich nicht erinnern sie jemals aufgeregt erlebt zu haben. „Krieger und Kriegerinnen, es geht los! In Formation“, brüllte der Anführer des Klans. Ohne zu zögern bildeten die Umstehenden mehrere Zweierreihen. Unter Hoths Führung rückten die Krieger aus, dem Ort des Einschlags entgegen.
Er wusste nicht wie lange er gefallen war. Jedenfalls hatte es sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Der Untergrund, auf dem er lag, war sehr hart. Er spannte Arme und Beine an. Zu seinem Glück funktionierten sie noch. Erst danach öffnete er die Augen. Es war Nacht. Über ihm das Sternenzelt. „Er hat also wirklich zugelassen, dass sie mich richten“, sprach er seinen Gedanken einfach aus.
Weil es so ungemütlich war, setzte er sich auf. Dadurch hatte er einen besseren Blick auf seine Umgebung. Sein Einschlag hatte einen Krater geschaffen, der mehrere Meter tief war. Zuerst spielte er mit dem Gedanken sich einfach wieder hinzulegen, aber dann entschied er sich doch anders und stand auf. Den Krater zu verlassen würde kein Problem für ihn sein, schließlich hatte er ja noch seine Flügel. Allerdings wurde ihn in diesem Moment klar, dass er das noch gar nicht überprüft hatte. Er konzentrierte sich und versuchte die drei Paare weißer Flügel, die sich auf seinem Rücken befanden, anzuspannen. Zu seiner Beruhigung gelang auch das sofort. Einige kräftige Schläge und er schwang sich in die Luft. Ohne Schwierigkeiten landete er am Rand des Kraters. Einen letzten Blick warf er hinein in die Aushöhlung, die sein Sturz verursacht hatte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Umgebung zu.
Besonders viel gab es nicht zu sehen, denn um ihn herum schien nur Wüste zu sein. Nichts als Sand. Keine Kakteen. Nicht einmal Felsen. Das war also die Welt, die Er seinen Kindern gegeben hatte. Sie war sogar noch trister als er in Erinnerung hatte. Jedenfalls auf den ersten Blick. Doch was sollte er jetzt tun? An einem Ort wie diesem? Zu seinem Glück musste er nicht weiter über diese Frage nachdenken, denn plötzlich erschien ein Licht am Horizont. Dann noch ein zweites und sogar ein drittes. Sie waren klein und etwa auf Augenhöhe. Das konnten bloß Fackeln sein. Jemand hatte seinen Sündenfall also bemerkt und war jetzt auf dem Weg hierher. Neugierig geworden, beschloss er zu warten.
Glücklicherweise musste er das auch nicht allzu lange tun, denn die Lichter kamen schnell näher. Bald konnte man die Umrisse von Menschen sehen. Es mussten um die dreizehn Menschen sein. Ganz vorne lief ein Mann mittleren Alters. Er trug ein weites Gewand und hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen. Ein roter Bart, der bereits einige weiße Flecken hatte, bedeckte den unteren Teil seines Gesichts. Seine grünen Augen musterten die Umgebung hastig, doch der Rest seines Gesicht ließ sich keine Anspannung anmerken.
Je näher die Gruppe kam, desto mehr Männer und Frauen in ähnlichen Gewändern erschienen. Sie waren alle jünger als der Mann mit dem roten Bart und den meisten sah man die Nervosität deutlich an. Ein Großteil wirkte noch einmal deutlich überraschter als sie ihn sahen. Sie alle waren bewaffnet, es handelte sich also um Krieger oder etwas ähnliches. Er würde es wahrscheinlich gleich erfahren.
Nicht wirklich überraschend war es der Älteste, welcher das Wort an ihn richtete: „Ich grüße dich. Wer oder was bist du?“ „Nennt mich Mephistopheles“, bat er sie. Sein Gegenüber erwiderte: „Ich bin Hoth, Anführer des Shifrin Klans.“ Es entstand eine Pause. Mephistopheles schaute die Neuankömmlinge ausdruckslos an, denn er hatte ihnen nichts zu sagen.
Eine junge Frau schaute ihn ganz besonders neugierig an. Ihre großen braunen Augen waren weit aufgerissen. Unter ihrem Helm schauten lange Strähnen roten Haares hervor, die ihr auch ins Gesicht fielen. Vermutlich waren die Soldaten überstürzt aufgebrochen und hatten keine Zeit gehabt sich richtig vorzubereiten. Sein Sündenfall musste sie ziemlich erschreckt haben.
„Bist du ein Engel?“, fragte die Frauen. Mephistopheles lächelte und antwortete ihr: „Ich bin ein Verdammter, genau wie ihr.“ „Du bist nicht wie wir“, widersprach Hoth. Mephistopheles Lächeln wurde noch etwas breiter. Natürlich hatte sein Gegenüber mit dieser Behauptung recht. Sie waren Wesen des Fleisches, er eine Verkörperung des Geistes. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Die Frau mischte sich erneut ein: „Ich habe dieses Märchenbuch. Es gehörte meinem Ururgroßvater und wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Darin ist das Bild eines Engels, der aussieht wie du. Goldene Haut, silberne Augen und die Flügel. Er hatte eine Robe und keine Rüstung wie du, aber ansonsten passt es ganz genau. Du bist ein Engel, stimmt’s?“ Mephistopheles gab ihr keine eindeutige Antwort: „Engel, das ist ein Wort der Kinder Evas.“ Sie blinzelte mehrere Male verständnislos, wohl weil sie nicht begriff, was er damit meinte.
Schließlich wollte Hoth wissen: „Bist du für diesen Feuerball verantwortlich gewesen?“ „Ich bin in Ungnade gefallen, wurde verurteilt und dann verstoßen“, erklärte er den Kriegern. Diese schienen noch verwirrter als zuvor. Dennoch bat keiner ihn noch genauer zu werden. „Wie konntest du das überleben?“, war dann Hoth nächste Frage, „Du bist wirklich kein Mensch.“ „Das spielt doch alles keine Rolle. Jedenfalls jetzt nicht mehr“, behauptete Mephistopheles kühl. Er verlor langsam das Interesse an dem Gespräch und spielte mit dem Gedanken sich wieder in den Krater zu legen.
„Antworte! Oder ich muss dir wehtun“, forderte Hoth und zog seinen Säbel. Das Lächeln kehrte auf Mephistopheles Gesicht zurück, während seine linke Hand an den Griff seines silbernen Langschwertes wanderte. „Du solltest mir besser nicht drohen! Es wird nicht gut für dich und deine Begleiter ausgehen“, warnte er dem Anführer des Klans. Hoth wirkte jetzt herausgefordert. Wahrscheinlich würde er jeden Moment angreifen.
„Wartet“, bat ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren und einer Narbe, welche sich von seiner rechten Augenbraue über sein gesamtes Gesicht bis zum Kinn hinterzog. Anders als die anderen Männer war er komplett glatt rasiert und seine Rüstung glänzte, weil sie erst vor kurzem poliert worden war. Mephistopheles neigte den Kopf neugierig zur Seite, während der andere aus der Gruppe hervortrat, um sich neben seinen Anführer zu stellen.
Dieser blinzelte mehrere Male irritiert und fragte dann: „Josua, was soll das? Hast du den Verstand verloren?“ „Nein habe ich nicht“, entgegneter der Angesprochene, „Es gibt nur keinen Grund für einen Kampf. Dieser Fremde ist offensichtlich nicht unser Feind, sonst hätte er uns doch schon längst angegriffen.“ „Wir sind deutlich in der Überzahl, deshalb wäre es töricht uns zu attackieren“, widersprach Hoth. Mephistopheles versicherte ihm: „Wenn ich euch töten wollte, dann hätte ich das schon getan. Ihr hättet keine Chance gegen mich.“ „Du bist ja ganz schön arrogant“, meinte Hoth deutlich angewidert. Sein Augen zeigten deutlich die Verachtung, die er für Mephistopheles empfand.
Doch Josua versuchte erneut zu vermitteln: „Aber Hoth, er hat gerade selbst gesagt, dass er nicht unser Feind ist.“ „Was wollt ihr also?“, fragte nun Mephistopheles. Der Anführer des Klans gab zu: „Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass wir auf eine Person treffen würden. Im Grunde habe ich gehofft, dass wir hier irgendetwas brauchbares oder wertvolles finden würden.“ „Vielleicht haben wir das sogar“, warf Josua ein. Hoth schaute ihn genervt an und wollte wissen: „Wie meinst du das?“ „Warum bieten wir Mephistopheles nicht an uns zu begleiten?“ Ein Raunen ging durch die Gruppe.
„Was?!“, entfuhr es dem anderen entsetzt, „Hast du den Verstand verloren? Er ist ein Fremder. Wir können ihm nicht vertrauen.“ Mehrere der anderen Krieger nickte. „Alleine kann er hier doch sowieso nicht überleben. Und wir können sicher noch einen zusätzlichen Krieger gebrauchen“, behauptete Josua. Hoth schien zu überlegen, während seine Krieger wild durcheinander sprachen. Die rothaarige Frau rief so laut, dass es die anderen übertönte: „Ich finde die Idee sehr gut! Dann hätten wir himmlischen Beistand.“ „Sei ruhig, Ethel!“, forderte der Anführer lautstark.
Dann wandte er sich dem Fremden zu und fragte: „Würdest du dieses Angebot denn annehmen?“ Mephistopheles, welcher sich die Diskussion bisher schweigend angehört hatte, dachte über die Idee nach. Im Grunde war es die beste Option, die er hatte. Er teilte ihnen mit: „Das würde ich.“ Hoth sagte kein Wort. Sein Gesicht zeigte keinerlei Emotionen. Ethel legte ihm eine Hand auf die Schulter und bat: „Gib dem Fremden doch eine Chance.“ Er schnaubte, stimmte dann jedoch widerwillig zu: „Einverstanden! Dann komm mit uns.“
„Ich bin von nun an euer Begleiter“, versicherte Mephistopheles ihnen. Da ihr Streit nun beigelegt war und die Krieger herausgefunden hatten, was es mit dem seltsamen Feuerball auf sich hatte, ordnete Hoth an ins Lager zurückzukehren.
Die Gruppe wanderte einige Zeit still durch die Wüste. Keiner traute sich auch nur ein Wort zu sprechen. Trotz ihres neuen Bündnisses lag noch Misstrauen in der Luft. Hoth ging voraus, dann Mephistopheles und Josua und dann die anderen Soldaten. Die Nomaden hielten ihn mit dieser Einteilung unter Beobachtung. So konnte er sie schwerer überraschen, falls er doch einen Angriff plante. Natürlich hatte er das nicht vor, aber das konnte sie ja nicht wissen.
Schließlich richtet Josua doch das Wort an ihn: „Wenn wir bei unserem Lager angekommen sind, dann kannst du etwas essen. Du bist bestimmt hungrig.“ „Ich kenne dieses Gefühl nicht“, gab Mephistopheles zu. Der andere schaute ihn zweifelnd an. „Ist das ungewöhnlich?“, fragte er deshalb. Josua meinte: „Ja schon, wenn man nichts isst, dann hat man Hunger und irgendwann verhungert man.“ „Ich verstehe“, behauptete Mephistopheles, aber das war nicht die Wahrheit, „Und wie fühlt sich das an?“ „Es ist wie ein Loch im Bauch und es grummelt“, beschrieb sein Gegenüber amüsiert. Das klang seltsam.
Jetzt war es Josua, welcher eine Frage stellte: „Du bist wirklich kein Mensch oder?“ Mephistopheles wollte nur ungerne über dieses Thema sprechen, dennoch gestand er: „Ich bin kein Kind der Eva. Ich bin, nein, ich war ein Gesandter, ein Schwert und ein Schild.“ „Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll, aber vermutlich spielt es auch keine Rolle. Ein zusätzliches Schwert kann unser Klan immer gebrauchen“, entgegnete der Krieger verunsichert. Mephistopheles lächelte. Dieser Mann war in Ordnung. Kinder der Eva wie ihn hatte Mephistopheles noch nicht oft getroffen. Die meisten waren selbstsüchtig und fürchteten alles fremde. Er versprach ihm: „Fürs Erste werde ich gerne für dich und deinen Klan kämpfen.“ „Das freut mich. Mach dir keine Sorgen die anderen werden dich früher oder später auch akzeptieren“, sagte der andere. Mephistopheles nickte. Eigentlich war ihm das nicht wichtig. Er brauchte sie nicht, nur wusste er nicht wohin er sonst gehen sollte.
Sie waren inzwischen nur noch wenige Meter vom Lager des Klans entfernt. Einen besonderen Eindruck hinterließ dieses bei Mephistopheles nicht. Fünfzehn kleine Zelte, die aussahen, als hätte man sie aus alten Segeltüchern geschnitten. In der Mitte des Lagers befand sich eine Feuerstelle, welche jedoch in diesem Moment nicht in Betrieb war. „Etwas stimmt nicht!“, rief Hoth alarmiert. Er rannte den Rest des Weges und auch seine Soldaten wurden deutlich schneller. Mit gezogenen Waffen näherten sie sich der Zeltstadt. Mephistopheles hingegen ließ nicht aus der Ruhe bringen. Die Soldaten hatten bereits damit begonnen die Zelte abzusuchen, allerdings ohne Erfolg.
„Sie sind alle weg! Die Tiere, die Kinder und sogar die Alten!“, stellte Ethel fassungslos fest. Auf dem Boden lagen verschiedene Gegenstände. Eine Bratpfanne, ein Buch, ein Spielzeugpferd aus Holz. Nahrungsmittel konnte Mephistopheles nirgendwo entdecken. Die hatten sie wohl auch mitgenommen. Josua fragte in die Runde: „Was ist hier geschehen?“ Hoth zeigte auf eine Spur am Boden, die vom Lager weglief. Es sah aus als seien große Säcke oder vielleicht auch Personen über den Boden geschleift worden. Daneben konnte man hin und wieder auch Fußabdrücke entdecken. „Sie sind entführt worden“, stellte er erschreckt fest. Einer der anderen Männer behauptete: „Das macht doch keinen Sinn! Warum sollte jemand die Alten verschleppen?“
So zynisch diese Bemerkung im ersten Moment auch wirken mochte, so viel Wahrheit enthielt sie auch. Für Sklavenhändler oder einen verfeindeten Stamm war dieses Vorgehen eigenartig. Kinder waren eine begehrte Kriegsbeute. Sie waren wegen ihrer verringerten Größe leichter zu transportieren und wuchsen meist zu brauchbaren Sklaven heran. Die Tiere konnte man ebenfalls als Arbeitskräfte einsetzen und sie notfalls auch essen, aber die Alten waren meist nutzlos. Sie waren am Ende ihrer Kräfte und daher eher schlechte Sklaven. Sie verbrauchten nur Wasser und Nahrung, weshalb sie von Angreifern meist niedergemetzelt wurden. Doch in diesem Lager fand sich kein einziger Tropfen Blut. So als hätte es überhaupt keinen Kampf gegeben.
„Sind sie etwa freiwillig weggegangen?“, wunderte sich Josua. Hoth antwortete genervt: „Denk mal nach! Gäbe es diese Spuren wenn sie einfach weggegangen wären? Alle unsere Besitztümer sind noch da, sie haben nichts mitgenommen, das bedeutet sie sind gewaltsam von hier weggezogen worden.“ „Du hast recht“, gab Josua kleinlaut zu. Mephistopheles betrachtete einfach stumm die Szene. Das hier war ernst. Es ging für den Klan um Leben und Tod. „Wir werden diese Spur sofort verfolgen. Wenn wir die Fährte verlieren, dann sind die anderen verloren“, sagte der Anführer des Klans. Er machte sich wohl Sorgen, auch wenn er versuchte gelassen zu klingen. Mephistopheles entschied sich einzumischen und seine Hilfe anzubieten: „Darf ich einen Vorschlag machen?“
Hoth schaute ihn böse an. Scheinbar war seine Unterbrehung nicht gewünscht. Zu seiner Überraschung sagte der andere dann jedoch: „Was?“ „Ihr wisst nicht was eure Gefährten verschleppt hat. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ihr sie zu Fuß einholen werdet. Ich allerdings habe Flügel und kann damit Entfernungen viel schneller zurücklegen als ihr es könntet. Dadurch könnte ich auskundschaften wer unsere Feinde sind und sie gegebenenfalls schon angreifen“, fasste er seine Idee kurz zusammen. Hoth schien nicht überzeugt zu sein. Er war ein sturer Mann. Mephistopheles hatte schon mehr als einmal miterlebt wie Sturheit und Stolz den Kindern Evas zum Verhängnis geworden waren.
„Das ist eine ausgezeichnete Idee“, meinte der Anführer des Clas dann. Man konnte hören wie viel Überwindung ihn diese Worte gekostet hatten. Er span den Plan weiter: „Wir werden dir folgen. Du wirst sie ausspionieren, aber unter keinen Umständen angreifen. Wir können nicht riskieren, dass sie unsere Brüder und Schwestern töten. Wenn du dir einen Plan gemacht hast gegen wen wir antreten, komm zu uns und wir erarbeiteten eine Strategie wie wir den Gegner ausschalten können.“ „Einverstanden. Ich werde mich zurückhalten und versuchen das Leben der Geiseln nicht zu gefährden“, versprach Mephistopheles. Hoth leckte sich nachdenklich über die Oberlippe, nickte dann jedoch. Es gefiel ihm wohl trotzdem nicht auf einen Fremden zu vertrauen. Allerdings war es in dieser Notlage seine beste Chance.
Er hatte schon seine Flügel ausgebreitet und wollte sich in die Lüfte schwingen, als Josua ihm zurief: „Möge Gott mit dir sein.“ „Darauf würde ich lieber nicht vertrauen“, widersprach Mephistopheles und zwang sich zu einem Lächeln. Die Schläge seiner Flügel wirbelte Staub auf. Seine Füße verloren die Bodenhaftung. Als hätte die Schwerkraft keinen Einfluss auf ihn erhob er sich in den Himmel.
Die Sonne hatte inzwischen ihren Höchststand erreicht und ihre Strahlen fluteten die Umgebung förmlich mit Licht. Es war warm, aber man schwitzte nicht. Die Seenymphen vollzogen einen freudigen Tanz auf der großen Blumenwiese. Ihre geschmeidigen Bewegungen versetzten ihre bläulichen Gewänder in Schwingungen, die an den Wellengang erinnerten. Die Vögel, welche in den die Wiese umgebenden Bäumen saßen, sangen wie im Chor ein Lied für die Naturgeister. Zusätzlich schlug eine Putte auf einer Trommel den Takt.
Aus sicherer Entfernung betrachtete Ariel das mystische Schauspiel von einem Balkon aus. Der Tempel der Winde hatte viele solcher kleiner Balkone, von denen man sich die Umgebung ansehen konnte. Das Gebäude, eigentlich eine runde Basis, aus der Türme hinaus wuchsen, aus denen sich wiederum schmalere Türme abspalteten, war aus Wolkenmasse geformt, die so fest war, dass man darauf laufen konnte, ohne zu fallen. Wie Adern zogen sich große Kristalle durch die Wolkenwände und ermöglichten so Blicke nach draußen und einen Lichteinfall nach Innen. Der Tempel war eine Verkörperung des Elements Luft. Hier entstanden die Winde, welche über die Erde wehten. Im Umkreis lagen hauptsächlich Wiesen, Wälder und Seen. Es war hier niemals windstill, man wurde stets von einem lauen Lüftchen umweht.
Die Seenymphen hatten in dieser Umgebung ihre Heimat. Die meiste Zeit verbrachten sie mit dem Zelebrieren der Schönheit der Natur und der göttlichen Ordnung. Wenn die Seelen von Verstorbenen den Tempel besuchten, führten die Nymphen diese manchmal auch herum und zeigten ihnen die Umgebung. Aber darauf konnte man sich nicht verlassen, denn die Naturgeister waren sehr wankelmütig und taten nur das worauf sie gerade Lust hatten.
Er liebte den Tanz der Seenymphen. Obwohl ihre Bewegungen einfach und Figuren praktisch nicht vorhanden waren, verfügten die Geister über so viel positive Energie und Lebensfreude, dass sie Ariel damit fast immer ansteckten. Eine Weile hatte er sie schon beobachtet, als er gestört wurde. „Sie feiern den Beginn einer großen Flut, welche eine Periode der Fruchtbarkeit einleiten wird“, erklärte Samyaza und kam zu Ariel auf den Balkon.
Der über 2,50 Meter große Mann, dessen Haut ein mattes Silber hatte, schaute ihn mit seinen rubinroten Augen nachdenklich an. Seine mit weißen Federn bedeckten Flügel hatte er eingezogen, um sich besser durch den Tempel bewegen zu können. Er trug ein blaues Gewand, welches ihn als Wächter kennzeichnete. Die Wächter waren eine Gruppe der Boten, deren Aufgabe es war die Kinder Evas zu beobachten und ihre Taten zu protokolieren und zu vermelden. Samyaza war zum Anführer dieser Gruppierung ernannt worden, nachdem sein Vorgänger von einem Dämon der Völlerei verschlungen worden war. Davor war er genau wie Ariel nur ein einfach Krieger und Gesandter gewesen. Die beiden hatten früher oft Seite an Seite gegen die Armeen der Finsternis gekämpft, weshalb sie eine tiefe Freundschaft verband. Kaum einem anderen Boten vertraute er so viel wie Samyaza.
„Ariel, der Löwe! Wie geht es dir?“, begrüßte sein Gegenüber ihn dann erfreut. Der so Angesprochene ignorierte die Frage und wiederholte: „Eine Flut? Will Er etwa schon wieder alles vernichten?“ „Die Folge von Zerstörung ist die Freude der Wiedergeburt“, zitierte Samyaza kühl. Ariel schnaubte verächtlich. Er kannte diesen Spruch nur zu gut. Manchmal kam er ihm vor wie eine lahme Rechtfertigung.
Selbstischer behauptete Samyaza: „Selbst mit der größten Flut könnte man Seine Verfehlungen nicht einfach vom Antlitz der Erde waschen.“ „Ich verstehe Ihn auch nicht“, gab Ariel zu, „Und es macht mich traurig. Es ist ein Gefühl, von dem ich niemals gedacht hätte, dass ich es empfinden würde.“ „Ich teile deinen Schmerz. Mein Schwert hat die Ungläubigen bestraft und ihnen unendliches Leid gebracht. Aber ich kann nicht mehr. Ich frage mich warum das sein muss. Gibt es keinen friedlicheren Weg mit den Kindern der Eva umzugehen?“, fragte Samyaza ohne seine Wut zu verstecken. Ariel zuckte mit den Schultern, weil er keine Antwort darauf hatte.
„Seitdem Er nicht mehr mit uns spricht, weiß ich nicht weiter. Was ist nur geschehen? Hat Er uns verlassen?“, wunderte sich Ariel. Die beiden Engel schauten sich in die Augen. Samyaza wirkte erschöpft, doch dann änderte sich sein Blick, schließlich antwortete er: „Es gibt da einen Gedanken, der mir schon eine ganze Weile durch den Kopf spukt: Vielleicht sollten wir beginnen unsere eigenen Entscheidungen zu treffen.“ „Und unsere Befehle ignorieren?“, schlussfolgerte Ariel schockiert. Der andere nickte. Sein Gegenüber fragte: „Hast du mich deshalb hier in den Tempel der Winde gerufen? Weil du mir das vorschlagen wolltest?“
„Es gibt eine kleine Gruppe von uns, die nicht mehr zufrieden sind mit der Situation. Die Kinder von Eva brauchen eine stärkere Führung. Sie sind vom rechten Weg abgekommen. Es ist nicht nur ihre Schuld. Sie können einfach nicht allein zwischen richtig und falsch unterscheiden. Wir müssen ihnen helfen oder sie sind verloren.“ „Ich weiß nicht“, kommentierte Ariel diese Behauptung. Was sein Gegenüber da vorschlug war Verrat der höchsten Stufe. Schon der Gedanke daran war Blasphemie. Die Bestrafung war Verbannung. Eine Ewigkeit, in der man seine Taten überdenken musste. Wieder und wieder. Ein Schicksal, welches den Tod gnädig wirken ließ. Ariel fürchtete sich davor.
„Wenn es bleibt wie es jetzt ist, dann wird alles vergehen. Die Welt wird in Chaos versinken und das Paradies wird verschwinden“, gab Samyaza eine düstere Prophezeiung ab. Ariel schloss die Augen. Was konnte er schon tun? Er war nur ein Bote und Krieger. Seitdem er begonnen hatte zu existieren, hatte er Befehle befolgt ohne sie zu hinterfragen. Er war eine Kraft des Guten und hatte die kosmische Ordnung aufrecht erhalten. Doch er wusste auch, dass sich etwas verändert hatte. Es war schleichend gekommen. So langsam, dass er es Jahrhunderte gedauert hatte, bis er die Zeichen dafür zum ersten Mal bemerkt hatte.
„Wann ist dir eigentlich klar geworden, dass etwas nicht stimmt?“, wollte er von seinem Gegenüber wissen. Dieser zuckte mit den Schultern und erklärte: „So genau weiß ich das nicht mehr. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, aber als ich darüber nachdachte verstand ich, dass schon vorher nichts mehr richtig war.“ „Es wird alles wieder zum Guten kommen“, hörte Ariel sich selbst sagen.
Samyaza runzelte die Stirn. Deshalb fügte er noch hinzu: „Wir müssen Vertrauen haben! Es ist nicht einfach, aber ist das nicht eine Seiner wichtigsten Botschaften? Dass es nicht einfach ist auf Seine Urteile zu vertrauen, auch wenn sie uns mit unserem vergleichsweise kleinen Verstand unlogisch oder grausam erscheinen?“ „Das gilt für die Kinder Evas, aber doch nicht für uns? Wir sind Stücke Seiner selbst. Bloßer Geist, befreit von Materie“, widersprach sein Gegenüber hastig.
Ariel zeigte auf die Seenymphen, welche noch immer tanzten und sagte: „Dann sind wir also wie sie? Ihnen scheint die Situation nichts auszumachen.“ „Nein, sie sind nicht direkt aus Ihm entstanden. Sie sind Teil der Elemente. Sie stehen deshalb unter uns. Sogar unter den Kindern Evas“, erinnerte ihn Samyaza. Das wusste er natürlich, auch wenn diese Unterscheidung für ihn selbst keine große Rolle spielte.
„Ich sehe schon ich kann dich nicht für meine Sache gewinnen“, stellte Samyaza enttäuscht fest. Ariel schüttelte den Kopf. Dann meinte er: „Ich kann keinen Verrat begehen. Das würde ich mir niemals verzeihen. Ich bin geschaffen um Seine Ordnung zu erhalten.“ „Vielleicht steht Er selbst dieser Ordnung inzwischen im Weg“, warf der andere ein. Ariel blieb der Mund offen stehen, weil er nicht fassen konnte, dass der andere es wagte das laut auszusprechen.
Sein Gegenüber fragte dann: „Wirst du mich verraten?“ „Natürlich nicht. Du tust was du für richtig hältst. Das respektiere ich“, meinte Ariel. Samyaza lächelte, allerdings wollte er ihm eine Sache nicht verschweigen: „Falls man mir eines Tages befielt dich zu bekämpfen, werde ich allerdings nicht zögern.“ „Das verstehe ich. Mach dir keine Sorgen, falls dieser Tag in der Zukunft wirklich kommt, werde ich dir das nicht übel nehmen“, versicherte nun Samyaza ihm. Sie schüttelten zum Abschied die Hände und Ariel erhob sich in die Luft.
Mephistopheles Schwingen erlaubten es ihm schnell der Spur zu folgen. Zu seinem Glück war diese bisher gut erhalten geblieben und dadurch auch aus der Luft noch sichtbar. Die Angreifer mussten einen riesigen Vorsprung haben, wenn er sie jetzt noch nicht eingeholt hatte. Wahrscheinlich hatten sie den Klan beobachtet und nur auf eine Gelegenheit gewartet um ihn zu überfallen. Dass der Großteil der Krieger das Lager verlassen hatte, kam ihnen da wohl genau recht.
Mephistopheles näherte sich langsam den Bergen an. Es machte Sinn, dass die Entführer dort eine eigene Niederlassung hatten, denn sie war durch die geografischen Gegebenheiten leichter zu verteidigen. Tatsächlich erblickte er plötzlich mehrere Gestalten am Horizont, welche Fackeln hielten.
Er musste jetzt aufpassen, dass sie ihn nicht auch entdeckten. Leider gab es in einer Wüste nicht wirklich Versteckmöglichkeiten. Der Himmel war komplett wolkenlos, also würde er sofort auffallen, wenn er in der Luft bleiben würde. Sein einziger Trumpf war, dass es Nacht war. Die Kinder Evas hatten mit ihren unvollkommenen Augen größere Probleme wenn es zu wenig Licht gab, für Mephistopheles war das weniger problematisch, er konnte auch nachts noch gut sehen. Aus diesem Grund brauchte er auch keine Fackel, die ihn vermutlich früher oder später verraten hätte.
Dennoch beschloss er zu landen. Auf dem Boden, war er weniger sichtbar. Sicher war sicher. Leider war er auch langsamer und so lief er einige Zeit den Spuren hinterher, welche die Entführer noch immer zurückließen. Die Wüste verwandelte sich schnell in ein Felsengelände.
Erste Steinbrocken wurden zu massiven Wänden, während Mephistopheles den Berg hinaufstieg. Schließlich führte ihn sein Weg zum Eingang einer Höhle. Da waren sie wohl drin. Was sollte er jetzt tun? Hineingehen und riskieren entdeckt zu werden oder den Rest des Klans herbringen und gemeinsam mit ihnen angreifen?
Er entschied sich das Risiko einzugehen und allein in die Höhle zu gehen. Zur Not würde er schon alleine mit ein paar Menschen fertig. Er hob einen kleinen Stein auf, warf ihn ins Innere der Höhle und schwang sich dann in die Lüfte. Ohne dass es ihn besonders anstrengte hielt er sich an einem Felsvorsprung oberhalb des Eingangs fest und wartete.
Als er sicher sein konnte, dass niemand herauskommen würde, schwebte er sanft zum Boden zurück. Niemand war in der Nähe. Mephistopheles schritt hinein und sah jetzt, dass es einen Gang auf der rechten Seite gab. Ohne groß zu zögern nahm er diesen, wodurch er wieder ins Freie kam. Schnell versteckte er sich so gut er konnte, hinter einer Felsen, der neben dem Ausgang lag und warf einen verstohlenen Blick auf die Umgebung.
Er war in einer Art Tal. Über ihm war der Himmel, so dass er es zur Not auch von oben betreten oder verlassen konnte. Einige Meter von ihm entfernt hatte jemand eine Mauer aus Knochen errichtet. Ob es die Knochen von Tieren oder Menschen waren, konnte Mephistopheles nicht sagen. Jedenfalls verstand er die Warnung, welche ihr Erbauer indirekt ausgesprochen hatte. Mit den Bewohnern dieses Lagers war nicht zu spaßen.
Sollte er noch näher herangehen? Das war riskant, denn es gab nicht keine geeigneten Versteckmöglichkeiten. Wenn er entdeckt würde, waren die Geiseln in Gefahr. Am besten war es wenn er zurückging und die Krieger hierher führte. Allerdings wollte er noch einen Moment bleiben und versuchen herauszufinden, mit wem oder was sie es hier zu tun hatten. Die Mauer blockierte seine Sicht. Was dahinter passierte, konnte er sich bloß vorstellen. Er war auch zu weit weg, um etwas zu hören. Es war wie verflucht.
Als hätte jemand sein Fluchen gehört, öffnete sich plötzlich das Tor. Viel vom Inneren des Lagers konnte Mephistopheles nicht sehen. Es gab eine Art Altar und in einiger Entfernung brannte eine Feuerstelle. Das Auffälligste waren jedoch die Gestalten, die überall herumstanden. Sie waren alle sehr groß für Menschen. Die meisten waren sicher über 2 Meter groß und alle verbargen sie sich unter schwarzen Kapuzenmänteln, weshalb Mephistopheles keine Chance hatte sich eine Vorstellung von ihrem Aussehen zu machen.
Er vermutete, dass es Okkultisten waren. Wenn er damit recht hatte, dann waren die Mitglieder des Klans in größter Gefahr. Ihre Entführer würden sie früher oder später einem Dämonen oder einem dunklen Götzen opfern, in der Hoffnungen ihren Herren so zu besänftigen oder sogar seine Gunst zu gewinnen.
Das durfte Mephistopheles nicht zulassen! Es war eine Perversion, welche die göttliche Ordnung in Frage stellte. Instinktiv war seine linke Hand zum Griff seines Schwertes gewandert. Er ermahnte sich nicht zu vorschnell zu handeln, denn er durfte die Gefangenen nicht in noch größere Gefahr bringen. Erst jetzt stellte er sich die Frage, warum die Okkultisten das Tor überhaupt geöffnet hatten. Erwarteten sie etwa die Ankunft einer weiteren Gruppe? Wenn ja war er in Schwierigkeiten, denn diese würde ihn sofort entdecken, wenn sie durch den Höhlengang ins Tal kam.
Hastig schaute er sich nach einem anderen Versteck um. Tatsächlich gab es nur eine Armlänge von ihm entfernt einen riesigen, verdorrten Baum, der aus einem Spalt in den Felsen gewachsen war. Bemüht so unauffällig wie möglich zu sein, machte er eine Rolle und landete hinter dem Stamm des wahrscheinlich jahrhundertealten Gewächses. Noch immer nervös, machte er sich so klein er konnte. Ein Unterfangen, welches wegen seiner breiten Flügel gar nicht so einfach war. Er konnte nur hoffen, dass ihn niemand hier bemerken würde.
Eine Gruppe aus vier, unter ihren Umhängen verborgenen Okkultisten liefen jetzt wirklich aus der Höhle heraus auf das Lager zu. Einer von ihnen zog eine jüngere, gefesselte Frau hinter sich her. Diese schrie aus voller Kehle nach Hilfe, was ihre Entführer einfach ignorierten. Sie wirkte nicht so als hätte man ihr Gewalt angetan. Ihre Augen waren rot und aufgequollen, wahrscheinlich weil sie geweint hatte. „Ich kann euch geben, was ihr wollt. Alle eure Wünsche werden wahr!“, versprach sie, aber niemand ging darauf ein.
Nachdem sie die Mauer hinter sich gelassen hatten, schloss sich das Tor wieder. Mephistopheles kroch von dem Baum zurück zu dem Felsen und von dort zum Eingang der Höhle. Er musste schnell zu den Krieger des Shifrin Klans zurückkehren und sie in dieses Tal führen, ansonsten waren ihre Brüder und Schwestern verloren. Nachdem er durch die Höhle gerannt war, breitete er seine Flügel aus und ließ sich von ihnen in die Luft heben.
Die Erzengel Michael, Gabriel und Metathron hatten zu einer Versammlung in die Sonnenkammer geladen. Dieser Ort war Seine frühere Residenz gewesen, bevor Er sich zurückgezogen hatte. Obwohl er den Namen „Kammer“ trug, war der Palast weit größer als bloß ein Raum. Es handelte sich um einen gigantischen, symmetrischen Komplex aus purem Gold, welcher um einen zentralen Thronsaal, die eigentliche Sonnenkammer, errichtet worden war.
Um das Gebäude war ein kilometerweite Garten angelegt, der Eden genannt wurde. In diesem wuchsen nicht nur alle Pflanze, die man auf der Erde finden konnte, sondern auch einige, die es sonst nirgendwo gab. Dort unten allerdings gehorchten sie keiner Ordnung, sondern wuchsen wild und ungestüm, hier im Garten der Sonnenkammer dagegen folgten auch sie genaustens Seinem Plan.
Dieser immergrüne Platz, welcher noch nie auch nur einen Winter erlebt hatte, diente Besuchern und Bewohnern gleichermaßen als Ort der Reflexion. Man konnte jahrelang umherwandeln, wenn man das wollte und dabei seine Gedanken schweifen lassen, ohne auch nur einmal dieselbe Stelle zu passieren. Ariel selbst hatte hier oft zur Ruhe gefunden, wenn er einen seiner Aufträge abgeschlossen hatte.
Doch nicht nur das Äußere war eindrucksvoll, auch im Inneren bot die Sonnenkammer mehr als genug Wunder. Der Palast war ein Ort der Kultur. Da gab es zum Einen die große Bibliothek, wo angeblich sämtliches Wissen der Existenz niedergeschrieben war. Mit genügend Zeit und Geduld konnte man angeblich alles herausfinden, wenn man nur wollte. Bisher hatte sich noch niemand die Mühe gemacht das zu überprüfen, denn viele Bücher der Bibliothek waren auch absolut unverständlich für die meisten Leser, weil sie Themen behandelten, welche so esoterisch oder fremdartig waren, dass sie niemand verstehen konnte.
Weiterhin existierte ein Opernhaus, in dessen Inneren an jeder Stelle eine perfekte Akustik herrschte, und ein Museum mit Bildern und Skulpturen, welche in dauerndem Wandel waren, wodurch sie bei jedem Blick, den man ihnen zuwarf, ein Bisschen anders aussahen.
In mehreren Räumen, die verschiedensten Epochen und Plätzen nachempfunden waren, konnte man etwas zu essen bestellen. Natürlich bot der Palast auch kulinarische Angebote, die ihresgleichen suchten. Zu jeder Zeit konnte man Speisen bestellen, welche aus dem himmlischen Mana gemacht waren und dadurch immer den Geschmack des Essenden trafen.
Das eigentliche Herz des Palastes war jedoch der Thronsaal. Von Innen hatte man nicht das Gefühl in einem Raum zu stehen, viel mehr wirkte es als sei der Saal unter freiem Himmel. Genau im Mittelpunkt der Kammer stand ein über fünf Meter hoher Thron, der aus einem goldenen Gerüst bestand, um das mehreren lebendigen Bäumen wuchsen. An diesem Gerüst hatte man Figuren aus Gold, Silber und Edelsteinen angebracht, die Engel, Menschen, Tiere und Pflanzen zeigten. Jede Art war hier abgebildet. Der Thron bezeugte ihre Existenz.
Im Himmel zog die Sonne ihre Kreise. Es wurde niemals Nacht, außer wenn Er es wollte. Die Sonnenkammer diente seit Anbeginn der Zeit als Versammlungsort der Engel. Hierhin wurden sie gerufen, wenn es Befehle für sie gab oder eine wichtige Ankündigung gemacht werden sollte. Heute war letzteres der Fall.
Seitdem Er verschwunden war, hatte eine Dreieinigkeit der Erzengel die Leitung der himmlischen Scharen übernommen. Der Erzengel Michael führte die Truppen. Er war es, der die Engel im Kampf gegen die dunklen Mächte kommandierte. Sein flammendes Schwert verteidigte Paradies und Welt gleichermaßen gegen die Feinde aus der Unterwelt. Seinen muskulösen, ebenholzfarbenen Körper bedeckte eine Ritterrüstung aus Bronze und Silber, die mit Smaragden verziert war. Die dunkelblonden Haare trug er so kurz wie möglich. Seine Flügel waren perlmuttfarben.
Der Erzengel Gabriel koordinierte den Kontakt zwischen Kindern Evas und den Kindern des Himmels. Er entschied welche Nachrichten Boten zur Erde bringen würden und an wen. Seine Aufgabe war es die Kinder Evas zu leiten. Gabriel war eine androgyne Gestalt. Er wirkte fast jugendlich, hatte keinen Bartwuchs und rückenlange, rote Haare, welche er zu einem Zopf gebunden hatte. Er trug eine grüne Robe, die mit ihren Puffärmeln und Verzierungen fast wie ein Ballkleid wirkten. Wie seine Haut hatten auch seine Flügel einen goldenen Stich. Gabriel helle Stimme unterstrichen seine fröhliche Art, doch trotz dieser Leichtigkeit galt er als besonnen und überlegt.
Schließlich war da der Erzengel Metathron. Er war als die Stimme des Einen bekannt. Nur zu Metathron sprach Er noch und auch das nur selten. Es war der Erzengel, welcher Seinen Willen nun verkündete. Metathron war ein alter Mann, dessen faltige Haut weiß wie Alabaster war. Er trug eine einfache graue Leinenrobe. Seine Schwingen hatten einen Ton, welcher mit heller Asche zu vergleichen war. Seine roten Augen blickten einen stets freundlich an, seine tiefe Stimme jedoch entfachte große Ehrfurcht in den meisten Zuhörern.
Obwohl es noch andere Erzengel gab, hatten diese drei in der heutigen Zeit die höchste Autorität. Die anderen Engel folgten ihnen, auch wenn es mehr und mehr Widerspruch gab.
Der erste, der rebelliert hatte war der Erzengel Raphael gewesen. Raphael dessen Aufgabe das Heilen aller Wunden gewesen war, und der in früheren Zeiten als Erzengel den gleichen Rang wie Michael, Gabriel und Metathron innegehabt hatte, wollte sich deren Entscheidungsgewalt irgendwann einfach nicht mehr unterwerfen. Damit hatte er sich angeblich gegen die göttliche Ordnung versündigt. Die drei Vertreter des Einen hatten dadurch keine andere Wahl gehabt, als ihn in die Verbannung zu schicken. Sie hatten ihn aus dem Paradies verjagt und auf die Welt geschickt. Danach hatte lange niemand mehr gewagt aufzubegehren.
Doch jetzt war es wieder so weit. Sie hatten von Samyazas Vorhaben erfahren und ihm den Prozess gemacht. Für die Verkündung des Urteils hatten sie alle Engel eingeladen. Auch Ariel war ihrem Ruf gefolgt. Die dreieinigen Vertreter standen vor dem verlassen Thron. Samyaza kniete vor ihnen. Er war weder gefesselt noch verletzt. Die anderen Engel standen um sie herum.
„Samyaza, Oberster der Wächter. Du wirst für schuldig befunden dich gegen den Einen und Seine göttliche Ordnung versündigt zu haben. Dir wird Verrat und Verschwörung vorgeworfen. Du wolltest dich selbst zum obersten Herrn über Himmel und Erde erheben. Wir erklären dich deshalb für gefallen und entscheiden, dass du verbannt wirst“, teilte Metathron allen Anwesenden ihr Urteil mit. „Ich werde gehen, weil ihr mir keine Wahl lasst, doch ich akzeptiere euer Urteil nicht!“, entgegnete Samyaza trotzig, „Nur Er, Der War, hätte mich auf diese Weise richten können.“
Die Menge, die bisher geschwiegen hatte, begann nun zu flüstern. Die dreieinigen Vertreter wechselten besorgte Blicke, während der Verurteilte selbstzufrieden lächelte. „Ihn so zu nennen ist Blasphemie!“, brüllte Michael erzürnt. Metathron bekräftigte: „Er hat uns niemals verlassen.“ „Warum spricht Er dann nicht mehr mit uns?“, fragte Samyaza. Die Stimme des Einen befahl: „Versuche nicht Ihn zu verstehen. Vertraue einfach!“ „Du hast leicht reden! Mit dir spricht Er ja noch“, meinte der Verurteilte, „Angeblich.“
Den Umstehenden entfuhr ein kollektives Stöhnen. Alle sprachen wie wild durcheinander. Ariel blickte sich um. Er sah nichts als Verunsicherung. „Ich bitte um Ruhe!“, bat Metathron bestimmt. Er klang überhaupt nicht besorgt. Es gelang ihm tatsächlich die Menge zum Schweigen zu bringen. „Danke schön“, fügte er dann noch hinzu. In einem fast mütterlichen Ton sagte Gabriel: „Du, der früher als Samyaza bekannt warst, hast deinen Glauben verloren. Wer nicht glauben kann, der hat keinen Platz in diesem Reich.“
„Ihr macht es euch ziemlich leicht“, hörte sich Ariel plötzlich sagen und bereute es schon in dem Moment, in dem die Worte über seine Lippen gekommen waren. Die Augen aller Anwesenden richteten sich auf ihn. „Möchtest du das ausführen?“, wollte Michael wissen. Was hatte er sich da gerade eingebrockt? Der Engel schaute zu Samyaza, welcher ihm dankbar zunickte.
Jetzt war es sowieso schon zu spät um zurück zu rudern, weshalb Ariel erklärte: „Vielleicht hat Samyaza seinen Glauben verloren, vielleicht hat er auch nur eine Augenblick gezweifelt. Er meint es gut, auch wenn er über das Ziel hinausgeschossen ist. Alles was er tat, geschah mit der Absicht die Kinder Evas zu beschützen.“
„Wie sollte er das tun, wenn er sich gegen die göttliche Ordnung stellt?“, frage Metathron ungläubig. Ariel spürte wie Michael ihn förmlich mit Blicken befeuerte. Samyaza beantwortete diese Frage selbst: „Der Planet stirbt. Die Kinder Evas kämpfen ums Überleben. In ihrer Verzweiflung wenden sie sich Götzen und Dämonen zu. Sein Wort gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Wenn wir nicht handeln sind sie verloren.“
„Schweig!“, befahl Michael zornig. Gabriel richtete sein Wort mehr an die Umstehenden als an den Verurteilten: „Die Kinder Evas werden geprüft. Die Spreu soll vom Weizen getrennt werden. Den Guten wird das Himmelreich gehören.“ Viele nickten, einige flüsterten ein leises Amen.
„Das ist falsch!“, protestierte Samyaza energisch, „Unter diesen Umständen kann man nicht von einem Test sprechen. Es gibt nicht genug Wasser und Nahrung, die Wüsten bedecken mit jedem Tag ein Bisschen mehr von der Welt und alles was ihr tut, ist es hin und wieder eine Plage zu schicken.“ „Die Plagen sind Strafe und Warnung zu gleich. Sie sollen helfen die Kinder Evas auf den rechten Weg zurückzubringen“, stellte Metathron da.
Der Verurteilte begann verächtlich zu lachen. In die Zuschauer kam wieder Unruhe. „Vielleicht gibt es bessere Möglichkeiten sie auf den rechten Weg zu führen“, mischte Ariel sich erneut ein. Gabriel verneinte sofort äußerst freundlich: „Sie sind taub für die Botschaften, die ich ihnen schicke. Oft glaube ich, dass sie gar nicht zuhören wollen.“ „Das es vielleicht an den Botschaften selbst liegt, kommt dir natürlich nicht in den Sinn“, beschuldigte Samyaza ihn.
Er traute sich jetzt, wo er sowieso verbannt, war eine ganze Menge! „Schluss damit!“, forderte Michael und riss die geballten Fäuste in die Luft. Metathron nickte und stellte klar: „Du verstehst es einfach nicht. Mit dir zu diskutieren macht keinen Sinn.“ „Niemand beobachtet die Kinder Evas so genau wie ich! Von allen hier kenne ich sie am besten“, behauptete Samyaza.
Das war eine gewagte These. Mit donnernder Stimme rief Metathron: „Wieder stellst du dich über den Einen! Du hast dich des Hochmutes mehr als schuldig gemacht. Du bist keiner mehr von uns. Verlasse die himmlischen Felder Arkadiens und wandle von nun an auf Erden.“ „Das werdet ihr bereuen! Ihr macht euch einen mächtigen Feind. Ich werde Truppen um mich versammeln, ein mächtiges Reich schaffen und dann werden wir hierher zurückkommen um euch zu unterwerfen“, drohte Samyaza ihnen.
Ariel lief es kalt den Rücken herunter. Was sich hier gerade abspielte, hätte er niemals für möglich gehalten. „Leere Worte aus dem Munde eines leeren Geschöpfes. In dir ist gar nichts, deshalb kannst du auch nichts erschaffen. Alles was du berührst, wird in deinen Händen zu Staub zerfallen“, prophezeite Metathron völlig unbeeindruckt von Samyaza. „Ihr seid Abschaum! Ich werde euch vernichten! Eine Ewigkeit der Qualen erwartet …“, brüllte der Verurteilte, bevor sich der Boden wortwörtlich unter ihm auftat und ihn verschluckte.
In die Sonnenkammer war wieder Stille eingekehrt. „Es ist ein Jammer. Er war ein fähiger Wächter“, meinte Gabriel schließlich. Michael widersprach: „Er war in seinem Inneren verdorben. Es hat nur einige Zeit gebraucht bis diese Verdorbenheit nach außen dringen konnte.“ „Vielleicht hast du recht“, stimmte Metathron, „Lasst euch dies eine Warnung sein. Endet nicht wie der Wächter, der unter dem Namen Samyaza bekannt war. Wendet euch nicht von Ihm ab.“ Bei diesen letzten Sätzen hatte er Ariel direkt angeschaut. Er durfte das wohl als direkte Warnung verstehen. Sein Herz schlug schneller.
Das Schauspiel, das sich gerade vor seinen Augen abgespielt hatte, war ein Weckruf gewesen. Das Paradies war in seinen Grundfesten erschüttert worden. Der Thron war von Mächten beansprucht worden, die ihn nicht verdienten. Samyaza hatte dies erkannt und sich gegen die Tyrannen gestellt. Ariel schämte sich ihm nicht geholfen zu haben. Jetzt war der ehemalige Wächter für die Ewigkeit verbannt worden.
Doch es war noch nicht zu spät! Für die Kinder Evas gab es immer noch Hoffnung. Ariel würde diese Hoffnung sein. Er würde da weitermachen, wo Samyaza aufgehört hatte, um die dreieigen Vertreter zu stürzen. „Wir beenden diese Versammlung hiermit“, entschied Metathron. Die Menge begann sich zu zerstreuen. Ariel beobachtete die drei Erzengel, welche noch immer vor dem riesigen Thron standen und miteinander sprachen. Er fragte sich welche Intrige sie in diesem Augenblick wohl spannen.
Doch dann ermahnte er sich nicht zu auffällig zu sein, schließlich hatte er durch seine Einmischung vorhin schon genug Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Bestimmt würden sie in nächster Zeit ein Auge auf ihn haben. Er musste ganz vorsichtig vorgehen. Ohne sich noch einmal umdrehen, ging er zu einem der Tore und verließ die Sonnenkammer.
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