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Nightmares of Jack

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16.03.20 18:37
18 Ab 18 Jahren
Homosexualität
In Arbeit

Autorennotiz

Ab den vierten Kapitel habe ich eine neue Formatierung für die Lesbarkeit verwendet - ich hoffe, es ist jetzt klarer, wer spricht.

6 Charaktere

Jack von Janitzki

Der Protagonist des Romans. Jack ist am Anfang 13 Jahre alt, etwa 1,58m groß und hat haselnussbraune Haare und grüne Augen. Er interessiert sich für Ägypten, Sport und Krimiromane. Von Natur aus ist er ein Einzelgänger, weshalb ihm Empathie für die Personen um ihn herum fehlt, außerdem ist er etwas schüchtern uns sarkastisch. Durch seine Umgebung und seiner Erfahrung will er einfach nur "normal" sein, denn er stammt aus einer Adelsfamilie. Familie: Richárd von Janitzki/ ?

Richárd von Janitzki

Vater von Jack, 48 Jahre alt, etwa 1,85m groß und hat schwarze Haare und braune Augen. Er ist von Beruf Kinderarzt und besitzt ein Schloss im Süden von einem fiktiven England. Richárd ist ein ernster und strenger Mensch, kann aber auch sehr liebevoll sein, wenn seinem Sohn Jack etwas zustößt. Hat seinen Abschluss in einem Internat für Problemschüler absolviert. Er liebt Klassische Musik. Familie: Jack (Sohn); noch unbekannte Ehefrau

Morpheus

Gott der Träume, wird als Gott des einschlafenden Todes verehrt. Er versucht Jack in dessen Träumen zu töten. Motiv noch unbekannt.Komplett in schwarz gekleidet, hervorstechende Merkmale sind seine Rabenmaske und seine roten Augen. Scheint eine reale Person zu sein. Familie: ???

Daniel Ewans

Privatlehrer von Jack, 38 Jahre alt. Hat haselnussbraune Haare und grüne Augen, etwa 1,89 m groß. Liebt alles, was mit Ägypten zutun hat. Ist eine sehr liebevolle Person, sehr ordentlich und pflichtbewusst. Stammt aus einer wohlhabenden Familie. Familie: ???

Thomas

Bester Freund von Jack seit ihrer Geburt. 13 Jahre alt und eindeutig größer als Jack. Ist von Natur aus sehr beschützerisch und er hegt große Gefühle gegenüber Jack. Spielt als regulärer Spieler in einer Jugendfußballmannschaft.

Jeromé Marcen

Zimmernachbar und Klassenkamerad von Jack im Internat. 14 Jahre alt und 1,78 m groß. Er hat strubbelige braune Locken, eine große Brille und blasse Haut. Mag alles, das was "seltsam" ist. Hat eine schlimme Kindheit hinter sich. Familie: Vater, Mutter, 5 Geschwister

Einige Polizisten stürmten durch die Stadt in der Nähe unseres Schlosses. Alles ging hastig von Statten.

Ihr denkt euch jetzt bestimmt: Was ist das denn für ein komischer Anfang? Nun, aber genauso hat alles begonnen.

Mein Name ist Jack. Jack von Janitzky. 13 Jahre alt. Mein Alltag bestand eigentlich nur aus meinem Privatunterricht, aber… Daniel, mein Lehrer, ist seit einigen Tagen nicht auffindbar. Weder in seinem Haus, noch in einem Hotel oder bei Freunden. Deshalb wurde er vorrübergehend als vermisst eingestuft. Deshalb schnüffelt die Polizei überall nach ihm. Doch bis jetzt hat die Polizei keine Fortschritte gemacht. Ich war der letzte, der ihn gesehen hatte, das war vor zwei Wochen, an einem Freitag-Nachmittag im Unterricht. Was ich wusste, hatte ich den zuständigen Kommissar bereits erzählt. Aber ich wusste genau, dass meine Aussage ihnen nicht viel weiterhelfen würde. Vorerst würde die Polizei nichts finden.

Nun, soweit, so gut. Im Moment saß ich allein in meinem Studienzimmer und blickte aus dem Fenster. Von hier aus konnte man die ganze Stadt unter uns sehen. Sie ist nicht besonders groß, war auch nicht für irgendetwas bekannt. Das einzige Auffallende war unser Schloss, doch es ist nicht für die Öffentlichkeit geöffnet, weshalb fast keine Touristen kamen. Durch diese Tatsache sind die Leute unten auf solchen Trubel gar nicht eingestellt. So auch ich nicht, denn ich war fast die ganze Zeit im Schloss und machte nichts außer meine Schulaufgaben. Und das schon, seit ich fünf zarte Jahre alt bin.

„Jack? Was sitzt du hier so rum? Deine Schularbeiten machen sich nicht von selbst. Genau das passiert, wenn man dich allein in einem Raum lässt. Tagträumer.“

„Ja, Vater…“, seufzend stand ich auf und setzte mich an den alten Buchenholztisch. Vater tippte mit einem Finger auf das Arbeitsblatt vor mir. Ich sollte einen Aufsatz über Goethe schreiben und mich mit ihm auseinandersetzen. (Besser gesagt mit seinen Werken, ugh…) Grummelnd zückte ich meinen Füller und begann zu schreiben. Zufrieden kreuzte Vater seine Arme und setzte sich ebenfalls, auf einen Stuhl an dem Bücherregal rechts von mir. Er hatte ein Buch von Daniel in der Hand und las es sehr interessiert. Aber seien wir mal ehrlich. Welcher Teenager aus den 21. Jahrhundert steht auf Goethe? Also ich könnte mir nicht stundenlang „Faust“ durchlesen, geschweige denn verstehen. Langweilig! Das spiegelte sich auch irgendwie in meinem Aufsatz wieder. Auch wenn man es nicht auf Anhieb bemerkt. Ich bin doch nicht blöd und schreibe sowas direkt in den Text, den mein Vater lesen würde. Er ist zwar kein Lehrer, aber er kannte sich schon ein wenig damit aus.

Nach knapp zwei Stunden war ich fertig und händigte ihm die Blätter aus.

„Gut. Du hast jetzt eine Stunde Pause, nicht länger, hast du verstanden?“ Jauchzend rannte ich eiligst aus dem Raum, bevor mein Vater noch irgendetwas hinzufügen hätte können. Ich hatte vor, in die Stadt zu gehen, und mir ein paar Süßigkeiten in dem Supermarkt in der Nähe von Daniels Haus zu kaufen.

Als ich das riesige Gemäuer verließ, erblickte ich massive Türme und Mauern und ich rannte automatisch schneller durch den Garten. Da war nämlich eine kleine Lücke in der Mauer, versteckt hinter einer großen Hecke. Schnell zwang ich mich durch das Gestrüpp, durch die Mauer, in ein angrenzendes Waldstück mit einem alten, ungepflasterten Weg. Als kleines Kind durfte ich das Schloss nicht verlassen, bis ich dieses Loch gefunden habe. Da habe ich mich einfach rausgeschlichen und mir vorgestellt, ich sei ein Spion des Königs (mein Vater) und erkundete jedes kleinste Detail auf meinen Weg. Wenn ich heute daran dachte, war das ziemlich dumm von mir gewesen, denn ich hatte mich gnadenlos verlaufen. Aber Vater hatte mich dennoch gefunden und mir kräftig den Hintern versohlt. Ah, und ich durfte nicht aus meinem Zimmer für einen ganzen Monat. Das war echt heftig als Kind. Im gleich mäßigen Schritt lief ich die Straße hinunter und war kurze Zeit später unten in der Stadt. Daniels Haus war im Zentrum, so auch der Supermarkt, der Einzige hier in der Umgebung, und ich deckte mich mit Süßigkeiten zu. Als ich mit einem vollen Beutel aus dem Gebäude kam, herrschte ein großer Trubel vor Daniels‘ Haus. Überall Polizisten und Schnüffelhunde. Der Kommissar, der für den Fall zuständig war, stand im kleinen, aber feinen Garten, und unterhielt sich mit der lokalen Polizei. Er kam nicht von hier. Er bekam mich in den Blick und winkte mich lächelnd zu sich.

„Hallo, Junge… Hast wohl eine Auszeit vom alten Herren bekommen?“ Nickend steckte ich mir ein Bonbon in den Mund und drückte es in meine rechte Wange.

„Nur eine Stunde“, nuschelte ich.  Herr Kurater, so hieß er, war asiatischer Herkunft und sehr nett.

„Naja, wenigstens etwas, besser als gar nichts.“ Nickend wippte ich von links nach rechts.

„Wir haben leider nichts Neues erfahren. Tut mir echt leid, Shonen.“ Er benutzte das japanische Wort für Junge, also Shonen. Ein lustiges, aber auch sympathisches Detail.

„Verstehe… Aber wenn Sie was neues Wissen, erzählen Sies mir dann, Kommissar Kurater?“ Er grinste und zündete sich eine Zigarette an.

„Na klar.“, er wuschelte durch mein Haar. Dann kramte er in seiner Hosentasche und streckte mir ein japanisches Bonbon entgegen. „Pass auf, die sind echt sauer.“ Grinsend steckte ich es nun in meine Hosentasche.

„Ich… ähm sollte langsam gehen. Vater wird sonst noch wütend auf mich.“

„Dann las deinen Oto-san mal nicht warten.“ Ich zerbiss das Bonbon auf den Weg nach oben ins Schloss. Dieses Mal ging ich aber auf offiziellen Weg, also durchs Tor, ins Schloss. Pünktlich stand ich vor dem Studienzimmer. Schnell trat ich ein und packte die Süßigkeiten in eine Box, versteckt in einer Schublade. Gerade noch rechtzeitig, da Vater ins Zimmer trat. Er händigte mir ein paar Schulbücher aus, die allesamt was mit Biologie zu tun hatten. Sie waren alle nicht besonders dünn… Aber es waren Klebezettel in jedem Buch angebracht, was heißt, dort wo sie klebten musste ich lesen.

„Vielleicht interessiert dich dieses Thema ja. Es geht um Chromosomen. Les‘ es dir genau durch, das wird in der Überprüfung für dein Zeugnis drankommen.“ Seufzend begann ich die Bücher durchzuackern, so wie er es mir aufgetragen hatte. Dad ließ sich wieder auf den Stuhl in der Nähe fallen und las. Nach knapp einer Stunde wars mir zu blöd.

„Vater?“

„Du sollst deine Aufgaben machen. Wenn du so weiter machst, dann weiß ich nicht, was aus dir mal werden soll.“ Wütend knurrte ich und knirschte mit den Zähnen. Immer dasselbe.

„Es ist einfach nur langweilig! Wofür brauche ich zu wissen, was Goethe geschrieben hat und wie viel Chromosomen ein Hund hat?!“ Ruckartig stand mein Vater auf und trat zu mir an den Tisch.

„Wie oft muss ich dir das noch sagen?! Du musst das wissen. Das ist Allgemeinbildung. Wärst du in einer Schule, müsstest du das auch lernen. Und du weißt, Wissen ist Macht.“

„Aber ich brauche keine Macht! Und es interessiert keinen!“ Ehe ich mich versah, landete eine große Hand auf meiner Wange. Es schallte durch das Zimmer. Trotzig biss ich mir auf Die Lippen.

„Das hat dich sehr wohl zu interessieren. Wer sonst sollte die Verwaltung des Schlosses übernehmen?“

„Ich will das aber nicht! Ich will nicht ewig an dieses Loch gebunden sein!“

Wir schrien uns eine ganze halbe Stunde an. Bis ich nicht mehr konnte und Vater mich in meinem Zimmer einschloss. Wütend hämmerte ich an der Tür.

„Lass‘ mich raus! Mach‘ die Tür auf, Vater!“ Doch er machte keine Anstalten dazu, die Tür aufzuschließen.

„Wenn du dich beruhigt hast. Jetzt hast du genug Zeit, dich mit deinen Fehlern auseinander zu setzen.“

„Was?! Das kannst du doch nicht machen!“ Es war kurz still.

„Denk darüber nach, was du falsch gemacht hast. Heute Abend darfst du wieder raus.“ Entsetzt keuchte ich und rutschte mit geballten Fäusten die Tür hinunter.

 „Verdammt!“ Geschlagen gab ich mich meinem Schicksal hin und setzte mich auf mein Bett. „Blöder Vater! Der hat doch gar keine Ahnung. Aber er hört mir ja gar nicht zu…“ Seufzend vergrub ich mich in ein altes, ägyptisches Buch voller Hieroglyphen. Ägypten interessierte mich brennend. Es war einfach faszinierend, wie Menschen vor vielen tausend Jahren riesige Bauten, medizinisches Wissen und weiter erforscht und erbaut haben. Ohne Maschinen wie heute, ohne Internet oder Bücher. Lächelnd linste ich zu der kleinen Pyramide auf meinen Nachttisch, die mir meine verstorbene Mutter hinterlassen hatte. Langsam ließ ich mich seitwärts ins Bett fallen und schloss meine Augen. Und da passierte es zum ersten Mal.

Mein Handy klingelte mitten in der Nacht. „Wer… zur Hölle ruft mich zu dieser Zeit an?!“ Aus Gewohnheit tippte ich auf das grüne Hörer-Symbol und drückte es an mein Ohr. „Ja?“ Es rauschte kurz. „Wer… ist da?“ Ein ekelhaftes Gelächter dran durch meine Lautsprecher. Da lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Wer zur Hölle sind Sie?“ Es wurde kurz still, doch dann ertönte eine verzerrte Stimme.

„Mein Name ist Morpheus… Wenn dir dein Leben und das deiner Familie am Herzen liegt… dann mach dich bereit… Du entkommst den Fängen Morpheus nicht. Niemand entkommt den Fängen Morpheus, kleiner Jack…“ Es knackte kurz und das Gespräch war beendet.

„Wa-was… zur H-Hölle?“ Ich schaute auf das Display, um die Nummer zu sehen, aber sie war unterdrückt. Logisch, sonst könnte ich ihn bei der Polizei anschwärzen. Aber… war das nur ein blöder Scherz oder meinte er es doch ernst? Morpheus… Irgendwo hatte ich diesen Namen schon mal gehört. Hatte Daniel nicht einmal in einer Stunde darüber geredet? „Hmm, das muss doch hier irgendwo sein?“ Seufzend gab ich auf und entsperrte mein Handy, und startete meinen Browser. In die Suchzeile gab ich kurzerhand „Morpheus“ ein. Wikipedia wird mir bestimmt weiterhelfen? „Aha, der Artikel ist mehrdeutig. Warte…“ Ich scrollte weiter nach unten und sah ein Bild von ihm. Ein nackter Mann und eine Frau? Ein Gemälde von 1811. „Ah, da steht was. Morpheus, griechisch für Gestalt, ist der Sohn des Hypnos, des Gottes des Schlafes, in der griechischen Mythologie. Er ist ein Gott der Träume. Was zur Hölle. Da steht noch mehr. Er kann sich in jede beliebige Form verwandeln? Erklärt die Stimme. Oh mann, er wird als Gott des einschlafenden Sterbens verehrt.“

Ab diesen Moment wusste ich, dass es sich hierbei nicht um einen dummen Scherz handelte. Mit einem echt mulmigem Gefühl legte ich mich zurück in mein Bett und versuchte zu schlafen…

„Es freut mich, dich kennen zu lernen. Schade das diese Freude nicht lange anhalten wird, kleiner Jack.“ Ich drehte mich um. Da sah ich einen groß gewachsenen Mann vor mir. Er war komplett in schwarz gehüllt. Auf dem Kopf, und das machte mir am meisten Angst, trug er eine Rabenmaske, wie sie früher die Ärzte im Mittelalter trugen um sich vor der Pest zu schützen und seine Haare waren schwarz und mittellang, etwas unordentlich. Die Schultern des großen Mannes waren breit, und über sie hatte er einen schwarzen Mantel geworfen, dessen Kragen hochgeklappt waren und sein Kinn verdeckte. Unter dem Mantel hatte er ein graues Kragenhemd an, das von einer Krawatte streng gehalten wurde. Über dem Hemd trug er eine genauso schwarze Weste. Außerdem trug er eine enge, schwarze Jeans und schwarze, glänzende Lederschuhe. Und er hatte wirklich große Füße, mindestens Größe 45! Irre grinsend kam der mir urplötzlich näher und streckte seine Arme aus.

„N-nein… Lassen Sie mich in Ruhe!“ Keuchend drehte ich mich um, kam aber irgendwie nicht vom Fleck. Im meinem Nacken spürte ich schon bald seine Hand, die mich am T-Shirt nach hinten zog. Außerdem kam mir ein beißender Blutgeruch in die Nase, dass ich mich fast deswegen übergeben musste. Doch bevor noch weiteres passieren konnte, wurde ich plötzlich weggerissen. Das nächste was ich sah, war mein Vater, der mich im Nacken gepackt hatte, da ich anscheinend aus dem Bett gefallen war. Meine Nase blutete. Kein Wunder, dass es nach Blut gerochen hat.

„Aufwachen! Jack, hörst du mich?“ Mein Vater rief schon etwas lauter. Im Hintergrund dudelte mein Wecker. Schwer atmend betrachtete ich das Blut, das von meiner Nase auf den Boden tropfte. Mein Vater klang wütend. Doch als ich mein Kopf zu ihm hinter drehte, änderte sich sein Blick sofort. Dicke Tränen flossen über mein blutverschmiertes Gesicht. Dad zog mich hoch und setzte mich auf mein Bett.

„Uhh, P-Papa…“ Ich konnte es nicht leugnen. Im Moment hatte ich riesige Angst, fast Todesangst. Ich konnte noch seine Hand spüren und diese Atmosphäre die er um sich hatte und in dem kleinen Raum meines Albtraumes verbreitet hat. Und dieser Blutgeruch. Zwar blutete meine Nase und es roch ebenfalls nach Blut, aber nicht so… wie er. Sein Geruch war wie… Blut, das mehrere Jahre alt war. Es war richtig ekelhaft, und ich musste mit einem Würgereiz kämpfen.

Vater sah mich besorgt an. Er wischte das Blut von meiner Nase ab, bevor ich mich in sein Hemd krallte und mein Gesicht an seine Brust drückte. So wütend er auch war, umso besorgter war er nun.

„Warum weinst du? Was ist los? Tut deine Nase sehr weh?“ Ich schüttelte mit dem Kopf.

Als erstes traute ich mich nicht, doch als er sanft über meinen Rücken streichelte, platzte es förmlich aus mir heraus: „Da… da war ein Mann… Mit einer Rabenmaske i-in meinem Traum… e-er hat mich festgehalten… und er roch nach Blut… Und e-er hat mich gestern Nacht angerufen… Er meinte, wenn mich das Leben meiner Familie und meines interessiere, solle ich aufpassen…“ Wimmernd vergrub ich mein Gesicht fester in Dads Brust. Er lies mich erst einmal weinen. Er nahm mich auf den Schoß und ich legte meinen Kopf auf seine Schulter.

„Du hast schlecht geträumt… Aber jetzt ist alles in Ordnung, hier kommt keiner ins Schloss… Hier bist du sicher.“

„Hmm, ja.“ Ich blieb noch so für eine Weile, bis ich mir die Tränen vom Gesicht wischte und meinem Vater in die Augen blickte. Er lächelte und wuschelte mir sanft durch mein Haar.

„Deine Nase.“ Ich schaute ihn fragend an. „Sie blutet immer noch. Lass mich mal schauen.“ Nickend ließ ich ihn das machen. Mein Vater war Kinderarzt, der aber zurückgetreten war, als Mama mit mir schwanger wurde. Ab und zu nahm er noch Aufträge aus der Stadt und Umgebung an.

„Hmm, sie ist zum Glück nicht gebrochen. Aber wir stabilisieren sie zur Vorsorge, ja?“ Ich nickte und folgte meinem Vater, immer noch wackelig auf den Beinen. Langsam stieg ich die Treppen neben meinem Bett hinunter und lief meinem Vater ins Bad hinterher.

„Setz‘ dich bitte hin… Ich muss nur noch dem Erste Hilfe-Kasten aus dem Schrank holen.“ Leise seufzend setzte ich mich breitwillig auf den Rand der Badewanne. Vater kam recht schnell wieder zurück und holte ein paar Dinge aus dem Verbandskasten: Pflaster, die man erst zurechtschneiden muss, eine Mullauflage und kleine Tupfer. Zuerst schnitt er die Pflaster zurecht, dann drückte er die Mullauflage auf mein Nasenbein. Danach klebte er die Pflaster fest, wie ein Kreuz, auf meine Nase. Das hielt. „So, fertig. Wenn deine Nase noch weiter wehtun sollte oder sie anschwillt, dann müssen wir ins Krankenhaus.“ Ich nickte unvorsichtig, doch wurde sofort mit Schwindel bestraft. Aber ich riss mich zusammen und ließ mir nichts anmerken.

„Ich… mach mich jetzt fertig. Wenn ich fertig bin, komme ich runter.“

Zustimmend summend lief mein Vater aus dem Bad, nach einem: „Lass es heute etwas langsamer angehen. Es ist schließlich Samstag.“, war er auch schon verschwunden. Naja, jetzt sollte ich auch wirklich das tun, was ich gesagt hatte. Deswegen zog ich mich um.

Mein Vater unterdessen schlich sich in mein Zimmer, nahm sich mein Handy und scrollte durch die Anruferliste. Als er die unbekannte Nummer sah verfinsterte sich sein Blick. Sofort sperrte er die Nummer und legte es an seinen Platz zurück.

Zum Frühstück gab es amerikanische Pfannkuchen mit Ahornsirup. Dazu trank ich Orangensaft. Ich sah meinen Vater schmunzeln, als ich mir einen ganzen Pfannkuchen in den Mund stopfte.

„Iss langsam, sonst verschluckst du dich noch.“

„Aber ich bin hungrig!“ Schmollend drehte ich meinen Kopf auf die andere Seite und aß weiter. „Danke für’s Frühstück.“ Dad lächelte wieder.

„Hast du Pläne für heute?“ Seit wann fragte er mich denn das?

„Ähh, ich wollte in die Stadt runter und ein bisschen Sport treiben, aber das fällt ja wegen meiner Nase ins Wasser. Deswegen werde ich mich wohl mit Thomas und den anderen treffen.“

„So ein Rotz aber auch.“ „!“ …Das war doch jetzt nicht gerade sein Ernst! Da benutzte mein Vater einfach mal so ein Wortspiel… Und es passte auch noch! Was ist denn heute mit ihm los? Hat er was genommen? Wortlos starrte ich ihn an. Er räusperte sich und drückte mir ein 20-€ Schein in die Hand.

„Häh?“

„Nicht „Häh“ sondern „Wie bitte“, soviel Zeit muss sein. Ich war noch nicht fertig. Ich möchte, dass du mir beim Buchhändler ein Buch bestellst, hier ist ein Zettel mit dem Titel.“ Er reichte mir den Zettel, auf dem der Titel, Autor und Preis stand.

„Aber der Roman kostet nur 15€. Soll ich den Rest wieder mitbringen?“ Doch Vater schüttelte mit dem Kopf.

„Das Restgeld darfst du behalten. Aber wehe du kaufst dir davon Süßigkeiten. Du hast dir letztens schon welche gekauft. Dein ganzer Schrank ist voll damit.“ Ugh… Er hatte also wieder in meinem Zeug rumgeschnüffelt.

„Ugh, ja, okay. Ich brauche eh neue Stifte. Naja, bis heute Abend.“ Grummelnd stand ich auf und zog mich am Eingang des Schlosses an. Dieses Mal schlich ich mich nicht durch die Mauer, sondern verließ es auf offiziellem Wege. Gebremst von meiner angebrochenen Nase bewegte ich mich dem Berg hinunter und blickte auf die Stadt.

„Das einzig Gute an dieser Stadt ist, dass sie gut von oben aussieht.“ Genüsslich ließ ich den Berg und das Schloss, sowie Alleen hinter mir, bis mir der Buchladen in die Glubscher geriet. Als ich die Tür vom Laden öffnete, klingelte es über meinem Kopf.

„Willkommen… Ah, hallo Jack. Wie geht es dir?“ Es stand ein älterer Herr hinter einem der Bücherregale. Er sortierte gerade neue Bücher ein.

„H-Hallo. Ich soll ein Buch für meinen Vater bestellen.“ 

„Na das ist ja kein Problem. Ich schau mal in meiner Liste nach. Wie heißt es denn?“ Mitten im Satz war er aus seiner knienden Position aufgestanden und hinter den Tresen gelaufen. Dann schaute er mich auffordernd an.

„Ah, ähh… Hier…“ Ich reichte ihm den Zettel.

Nach einem kurzen Blick nickte er und sagte: „Das kommt nächste Woche. Und dein Vater möchte es vorbestellen?“ Nickend nahm ich den Zettel wieder entgegen. „Das macht dann 15€, junger Mann.“ Sofort gab ich ihm das Geld und er im Gegenzug gab mir das Restgeld. „Vielen Dank. Hier.“ Der Buchhändler reichte mir einen Schein, auf dem stand, welches Buch vorbestellt wurde und wann es eintreffen würde. Es war gleichzeitig ein Beweis dafür, dass ich, beziehungsweise mein Vater es bestellt und bezahlt hatte. „Und wer holt es dann ab? Du oder dein Vater?“ Hmm, das wusste ich nicht genau.

„Das weiß ich noch nicht. Kommt darauf an, wie viel Zeit mein Vater hat. Aber das hier ist sein Name, falls er es abholen sollte.“ Er lächelte mich erneut freundlich an, als ich den Laden verließ.

„Auf Wiedersehen, junger Mann.“ Höflich verabschiedete er sich von mir. 

„So, nur noch neue Stifte kaufen…“ Im Supermarkt in der Nähe kaufte ich mir diese und entschied mich, nochmal beim Sportplatz vorbeizuschauen.

Es gab zwar eine Schule in der Stadt, aber die wurde geschlossen, da es nicht genug Kinder in der Stadt gibt. Und von außerhalb kommt auch keiner. (Denn die Züge fahren nur aller Stunde.) Es gab nur Karo, Michelle, Thomas und mich. Wir werden alle zuhause unterrichtet. Deswegen sahen wir uns recht selten, denn auch ihre Eltern waren recht streng. Meist sah ich sie nur Samstag und Sonntag. Und so wie es aussah hatte ich heute Glück, denn Thomas stand allein auf dem Platz der sportlichen Betätigung.

„Thomas!“ Der Junge drehte sich zu mir und sah mich erstaunt an, sodass ihm fast sein Essen im Halse stecken blieb.

„Hey, Jack. Hat dein alter Herr mal Gnade mit dir gehabt? Aber Alter, was ist mit deiner Nase los? Hat er dir eine…“, er traute sich fast nicht, es auszusprechen.

„Nee, ich bin aus meinem Bett gefallen und hab mir dabei fast meine Nase gebrochen.“ Amüsiert schüttelte er mit dem Kopf und biss von seinem Brot ab.

„Du machst ja Sachen. Aber sag mal, hast du Karo und Michelle gesehen?“ Schnell schüttelte ich mit dem Kopf.

„Dann würden sie wie Kletten an mir hängen, Thomas. Du kennst sie doch.“

„Stimmt, stimmt.“ Kurz dachte ich nach.

„Haben die beiden nicht letztens etwas von einem Familienausflug gesagt? Vielleicht sind sie ja unterwegs. Frag sie doch einfach mal.“ Aber anstatt dies zu tun, zuckte er mit den Schultern.

„Ist doch auch mal schön bloß so zu zweit.“ Seufzend ließ ich mich ins weiche Gras fallen.

„Und? Was wollen wir jetzt machen?“ Sofort, nachdem ich gefragt hatte, breitete sich ein dickes Grinsen auf Thomas‘ Gesicht aus.

„Wie wäre es mit was Abenteuerlichem?“ Uninteressiert zuckte ich mit den Schultern.

„Nun sag schon.“, forderte ich ihn leicht desinteressiert auf.

„Du weißt doch, wo Daniels Haus ist, oder?“

„Ja, und was willst du mir damit sagen?“ Das Grinsen auf seinem sommersprossigen Gesicht wurde um einiges breiter.

„Lass‘ uns dort einschleichen und nach Hinweisen zu Daniels Verschwinden suchen.“ Entsetzt keuchte ich auf und starrte ihn an.

„Du… Du spinnst wohl! Da wimmelt es nur so vor Polizisten! Dort können wir nicht rein. Außerdem, wie gedenkst du in sein Haus zu kommen? Eine Scheibe einschlagen?“ Wie auf Knopfdruck verschwand Thomas‘ Grinsen und er setzte ein Ernstes auf. Und das tat er nur, wenn er sich einer Sache sehr sicher ist. Seine rechte Hand verschwand in seiner Hosentasche und holte ein Schlüsselbund zum Vorschein. „Hey, hey, sag mir nicht, das sind…!“ 

„Oh ja, Daniels Schlüssel. Ein Polizist hat die auf seinem Grundstück fallen gelassen.“ Ich verzog meinen Mund zu einem Schmollmund.

„Sowas kann auch nur dir passieren.“

Thomas‘ Gelächter drang in mein Ohr. „Naja. Und? Kommst du mit?“

Seufzend gab ich mich meiner Neugier hin. Aber ein mulmiges Gefühl hatte ich schon dabei. Nichts desto trotz ging ich mit Thomas zu dem Haus meines einzigen Privatlehrers. Niemand schien uns bemerkt zu haben, auch waren keine der blau-weißen Friedensbeschützer im Haus, noch außerhalb.

„Heute ist Samstag, da haben die frei.“, meinte Thomas knapp und tapste auf Zehenspitzen durchs Haus. „Zieh dir Hausschuhe an, und hier, Handschuhe. Wir wollen doch nicht auffliegen?“ Also echt, Thomas hatte an alles gedacht. Aber planen hatte er es nicht können… „Gehen wir zuerst ins Wohnzimmer.“ Das war auch der erste Raum, der uns in die Augen fiel. Die Wände des Wohnzimmers waren mit ägyptischen Zeichnungen und Skizzen übersehen. In einer Ecke stand ein Esstisch mit 3 Stühlen und eine Pinnwand. Links von uns hatte er ein Sofa stehen, in Blickrichtung zu seinem großen Flachbild-Fernseher.

„Mensch, ist der staubig…“ Er sah definitiv nicht aus, als würde er ihn häufig benutzen.

„In der Küche ist auch nichts Besonderes, die Polizei hat alles schon gründlich durchsucht. Lass und nach oben gehen.“

„Okay.“ Leise liefen wir die Treppe hoch. Mein Herz pochte bei der ganzen Sache wie wild. Wenn Dad das hier herausfinden würde, dann könnte ich mich auf mehr als eine Woche Hausarrest bereit machen. Ich schwitzte, doch wir gingen weiter nach oben.

„Weißt du, was mir gerade einfällt?“ Thomas blickte mich fragend und gleichzeitig auffordernd an.

„Nein, was denn?“ Schluckend blickte ich zurück.

„Daniel hat mir einmal erzählt, er habe 2 Arbeitszimmer. Aber ich sehe hier nur eins… Was bedeutet, die Polizei hat das Zweite noch nicht gefunden!“

„Echt jetzt? Hat er dir außer dem noch mehr erzählt?“ Niedergeschlagen schüttelte ich meinen Kopf.

„Erstmal müssen wir das Zimmer finden. Vielleicht ist ja hier irgendwo ein Hohlraum?“ So klopften wir gegen die kaffeebraunen Holzwände. „Hey, hörst du das? Hier… klingt die Wand dumpf.“ Ich zeigte es ihm und er nickte.

„Aber ich sehe hier keine Möglichkeit, die Tür zu öffnen… Lass‘ uns mal dagegen drücken.“ Mit sanfter Gewalt drückten wir beide gegen die dumpfe Stelle und eine Drehtür öffnete sich ein Spalt breit, der gerade noch so groß war, das wir hineinschlüpfen konnten.

„Rätsel gelöst.“

„Mal sehen, was Daniel zu verbergen hat, Jack.“

Um ehrlich zu sein, war ich jetzt neugierig.

„Vielleicht versteckt er ja seine Schmuddelheftchen hier.“, scherzte ich. Mein bester Freund folgte mir lachend durch den schmalen Gang, durch den ein erwachsener Mann passte, in Daniels zweites Büro.

Was wir dort sahen, ließ unsere Kinnlade nach unten klappen. „Ich weiß, Daniel steht echt auf ägyptischen Kram, aber das hier ist verrückt!“ Langsam schritt ich zu eines der vielen Bücherregalen, in dem massenhaft ägyptische Bücher standen. Eines zog ich heraus.

„Ägyptische Schriften lesen und verstehen. Altertümliche Hieroglyphen.“ Mein bester Freund gluckste und drehte sich zu mir um.

„Uhh, nichts für mich. Daniel und du interessiert euch doch für solches Zeug?“

„Hahaha, da muss ich dir recht geben. Aber alle Bücher zu durchsuchen würde Stunden dauern, lass uns einfach mal in seinen Schreibtisch suchen.“ Thomas stimmte mir zu und wir schlichen leise zum besagtem Möbelstück. Auf dem ersten Blick war nichts Besonderes auf dem hölzernen Tisch zu erkennen. Doch da kam mir Thomas zuvor.

„Hey, da liegt ein Brief unter dem Tisch…“ Der Junge hob ihn auf und hielt ihn mir vor die Nase. Er war schon geöffnet. Der Umschlag wurde ziemlich abrupt aufgerissen.

„Das sieht Daniel gar nicht ähnlich, sonst ist er doch immer so ordentlich… Vielleicht war er irgendwie schlecht gelaunt?“

„Oder nervös… Ist das Geschriebene noch im Umschlag?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm ich mir das zerfledderte Ding und wagte einen Blick hinein.

„Ja… Mal sehen was drin steht… Oh… ok, klingt nicht besonders angenehm.“ Mein Kumpel blickte mich fragend an.

„Was ist? Was steht da drin?“

„Hier steht, dass das Familienoberhaupt, bzw. sein Vater gestorben ist…“

„Oh, stimmt, das ist echt mies. Warte mal, ist Daniels Familie nicht stinkreich? Heißt das nicht, dass er was geerbt hat?“ Zustimmend nickte ich und zeigte ihm die betreffende Zeile im Brief.

„Was?! So viel? Halleluja! Kann das sein, dass er deswegen weg ist? Weil jemand spitzbekommen hat, dass er so viel erbt?“ Das klingt fast wie ein schlechter Krimi.

„War klar, dass du wieder solche Schlüsse ziehst, Thomas. Aber irgendwie… ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, das da noch mehr dahintersteckt. Jedenfalls sieht es nicht so aus, als wäre er in den Urlaub gefahren. Dafür sieht es hier zu unordentlich aus, außerdem hat er noch Lebensmittel im Kühlschrank… Jemand der in den Urlaub fährt verbraucht alles, bevor er losfährt… Irgendwas… hat ihn dazu gebracht, das Haus eilig zu verlassen. Sogar so eilig, dass er uns nicht Bescheid gesagt hat.“

Nachdenklich hatte ich mich vom Schreibtisch entfernt und mich zu der Kommode hinter dem besagten Möbelstück gedreht. Auf dieser lag ein umgedrehter Bilderrahmen. Neugierig nahm ich ihn in die Hand und betrachtete das alte Bild.

„Junge, Daniel hat mir nie erzählt, dass er einen Zwillingsbruder hat! Schau mal, sie sehen komplett identisch aus!“ Thomas kam sofort zu mir und blickte ebenfalls auf das alte Foto.

„Hmm, der muss bestimmt sein Vater sein… Und er der Großvater… Aber wer sind die Zwei da?“, er deutete zuerst auf den Vater, dann den Opa und zuletzt auf die zwei Fremden.

„Ich weiß nicht, Bekannte vielleicht?“, beantwortete ich seine Frage, jedoch fragte er gleich weiter.

„Genau, die zwei sehen sich auch verdammt ähnlich, vielleicht sind sie Familie?“

„Hmm, wer weiß, jedenfalls ist das Foto sehr alt… Da muss Daniel noch echt jung gewesen sein, so um die 12 oder so…? Schau mal, wie klein er war!“ Thomas lachte kurz und stach mit den Ellenbogen in meine Rippen.

„Genau wie du, hahaha!“ Ich setzte ein falsches Lächeln auf und öffnete aus Neugier den Rahmen. Sofort flatterte das Foto hinaus und landete mit der „farbigen“ Seite auf den Boden.

„Da steht ja was auf der Rückseite. Ach du meine Güte, was für eine alte Schrift… Umm ich glaub da steht…. Sommer 1989 – Familie Ewans mit Freunden… Die anderen Buchstaben sind verblasst…“ Mein sommersprossiger Freund seufzte geschlagen.

„Also wissen wir immer noch nicht, wer die zwei sind. Na ganz toll. Sollten wir das ganze hier nicht den Bullen zeigen? Das würde den Fall wohl weiterbringen.“ Schnell schüttelte ich mit dem Kopf.

„Das wird seine Familie in Gefahr bringen, das will ich nicht! Außerdem wird uns niemand glauben. Welcher Erwachsene glaubt zwei 13- Jährigen?“ Da musste sich er sich wohl oder übel geschlagen geben, denn er schwieg.

Wir entscheiden uns, das Haus zu verlassen und nach Hause zu gehen. Mein 13-jähriges Ich konnte sich nicht vorstellen, dass genau diese Entscheidung zu vielen Problemen führen würde. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, wäre es das beste gewesen, der Polizei davon zu erzählen. Aber nein, mein Ego musste sich mal wieder durchsetzen.

Seit diesem Tag kamen immer mehr Anrufe, Drohbriefe und SMS. Aber die ignorierte ich schon, die Albträume mit dem Mann in Schwarz mit der Rabenmaske, namens Morpheus, waren das Schlimme. Nicht eine Nacht ohne dem Typen. Zuerst konnte ich es noch vor meinem Vater verbergen, jedoch wurde meine körperliche Konstitution immer schlechter, bis ich vor Schlafmangel umfiel und ins Krankenhaus musste. Man sah mich nicht mehr ohne Augenringe und geröteten Augen. Mein Vater war wirklich besorgt und ließ mich nur wenn nötig aus dem Haus und lockerte meine Schulbildung ein wenig.

Seufzend bahnte ich mir meinen Weg durch mein unordentliches Zimmer und tippte auf meinem Smartphone herum und las die SMS meiner Freunde. Im Hinterkopf hatte ich die letzte Nacht. Ich war beim Buchlesen eingenickt und, wer hätte es gedacht, Morpheus hatte mir einen Besuch abgestattet. Mal wieder hatte er versucht, mich zu foltern und/oder umzubringen. Bevor ihm das gelang, hatte Vater mich geweckt. Ich weiß nicht, wie ich die Träume anders beschreiben sollte als Folter. Sein genaues Ziel wusste ich immer noch nicht, auch nicht, was die Quelle meiner Träume ist.

„Er ist ein Irrer…“, murmelte ich leise vor mich hin und verschwand aus meinem Zimmer. Ach, falls ihr euch fragt, wie lange ich das schon aushalten muss… Nun ja… ich bin jetzt 16 Jahre alt. Ich glaube, das könnt ihr euch ganz einfach ausrechnen. Jedenfalls machte ich mich auf den Weg zum Zimmer meines Vaters, denn er wolle etwas besprechen…

Ich klopfte an die alte, hölzerne Tür und betrat das Zimmer ganz geschmeidig, um nicht den Eindruck zu machen, als ginge es mir wie ein Häufchen Elend. Mein Vater saß am Schreibtisch in einer Ecke seines Zimmers, doch er drehte sich zu mir, als ich das Zimmer betrat und nun vor ihm stand.

„Sieht so aus, als hättest du heute wieder schlecht geträumt. Das Übliche?“ Ich nickte und blickte zu Boden. „Hast du eine Nachricht von dem Typen bekommen?“ Erneut nickte ich und reichte ihm das kleine elektrische Gerät. Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich, als er die Zeilen las.

„Was… wolltest du eigentlich mit mir besprechen? Du hattest es so eilig heute Morgen?“ Er blickte vom Handy auf zu mir und legte seine schmale Lesebrille ab.

„Ich weiß, das wird dir nicht leichtfallen, aber hör es dir bitte bis zum Ende an. Nach langem Überlegen habe ich entschieden, dich an ein Internat zu schicken.“

Eh?

„W-Warum das? Hast du eine neue Arbeit gefunden?“ Er nickte und holte ein paar Papiere aus seiner Aktentasche.

„Hier, ein Schreiben der Schule.“ Ich nahm sie entgegen und las mir den Text durch. Anscheinend lag die Schule mit Wohnheim in einem kleinen Wäldchen. Die nächste Stadt war ein paar Stunden entfernt und man konnte die Schule nur mit dem Auto oder Bus erreichen.

„Muss das wirklich sein… Ich bin kein kleines Kind mehr… ich hätte doch auch einfach zu…“ Er schüttelte mit dem Kopf.

„Du brauchst eine anständige Schulbildung und jemand, der auf dich aufpasst. Den Job, den ich angenommen habe, ist in einem Krankenhaus in der nächsten Stadt, das heißt, ich werde tagsüber nicht da sein… Ach, und sieh es als Chance, aus „diesem Loch“ zu entkommen.“ Er zwinkerte mir zu. Ich wusste, dass er es eigentlich sarkastisch gemeint hatte. Jedenfalls wusste ich, dass sich mein ganzes Leben ändern würde, wenn ich nun in eine Schule gehen würde.

„Das wird hundertpro richtig anstrengend. Ich habe gehört, dass in Klassen viele Personen sind…“ Dad verdrehte seine Augen.

„Das ist eine Schule, die sich auf ungewöhnliche Fälle spezialisiert, weshalb in einer Klasse nicht mehr als 15 Personen sitzen. Außerdem kannst du dich in Kurse, je nach deinen Interessen, einschreiben. Dafür bekommst du extra Noten.“ Das klingt echt nicht schlecht.

„Und… wann soll ich da hin?“

„Noch diese Woche.“ Was?! Ich blickte meinen Vater entsetzt an. Ich hatte mit nächstem Jahr gerechnet, aber nicht noch diese Woche!

„Wieso das denn?! Das…“

„Das liegt daran, dass das Schuljahr diese Woche begonnen hat. Außerdem wäre es nicht besonders förderlich, dich mit 17 in die zehnte Klasse zu schicken.“

„Häh? Wieso zehnte Klasse?“ Vater nickte und zeigte mir ein Stapel Blätter. Ich nahm mir eins und stellte fest…: „Das sind doch die Aufgaben, die ich hier machen musste… Und das ist nicht deine Schrift… Wer hat das denn kontrolliert?“

„Dein neuer Klassenlehrer, Herr Müller. Er meinte, du seiest genau im Niveau der zehnten Klasse, die er leitet. Ich habe sie ihm geschickt, um zu wissen, wie gut du bist. Da kam er auf die Idee, dass du die Schule, an der er unterrichtet, besuchen könntest. Er und der Schulleiter sind alte Freunde von mir. Normalerweise kommt man da nur mit einer staatlichen Empfehlung rein, doch er macht eine Ausnahme bei dir.“ Oha, so viele Informationen auf einmal.

„Verstehe… Aber das kann nicht alles ein… Du schickst mich doch auch wegen Morpheus weg, nicht wahr?“ Seine Finger zuckten erwischt und er seufzte.

„Vor dir kann ich echt nichts mehr geheim halten. Ja, das stimmt. Deshalb möchte ich, dass du mir dein altes Handy abtretest.“ Das kann dich nicht sein Ernst sein!

„Wieso das denn?“

„Du bekommst ein neues… Hier.“ Er reichte mir eine kleine Box mit einem neuen Handy und eine neue Sim-Karte.

„Oh, verstehe, um Morpheus‘ Nachrichten loszubekommen.“ Dad tippte mit dem Finger auf seine Schläfen.

„Schön, dass du so gut mitdenkst. Jedenfalls solltest du deine Sachen alsbald packen. Um Geld brauchst du dir keine Gedanken machen, ich überweise dir genug auf dein Konto.“ K-Konto? was meint er damit? Ich habe doch keins?

„Aber…“ Er lächelte mich sanft an und reichte mir eine EC-Karte.

„Du bist alt genug, um damit umzugehen. Es ist schon ein wenig auf dem Konto, Geld, das ich von deiner Geburt an aufgespart habe. Es reicht zu sagen, wenn ich jeden Monat 20 Glocken überwiesen habe.“ Meine Augen weiteten sich.

„…“, ich war sprachlos.

„Eigentlich war das Geld dafür geplant, dir zu geben, wenn du ausziehst. Im Grunde genommen ziehst du ja aus.“ Er drehte sich weg und stützte seinen Kopf auf seine Hand und seufzte leise. „Glaub mir, das fällt mir auch nicht leicht.“

„Ja, ich weiß, Dad… Dann gehe ich mal meine Sachen packen.“ Gesagt getan. Nachdenklich lief ich zurück zu meinem Zimmer. Zuerst wollte ich über das Ganze hier nachdenken. Klar, es war großartig, dass ich aus diesem Loch herauskam und in eine Schule gehen konnte, aber andererseits musste ich dafür meine Freunde hier allein lassen. Und das gefiel mir ganz und gar nicht. Immerhin kannte ich Michi, Karo und besonders Thomas seit meiner Geburt… hatte ich überhaupt noch eine Chance mich bei ihnen zu verabschieden?

Ja, die hatte ich. Anscheinend hatte Dad es allen erzählt, denn, kurz bevor ich abreiste, standen die drei vor dem Schloss.

„…W-was macht ihr denn hier?“ Thomas trat an mich heran und wischte sich seine aufquellenden Tränen aus dem Gesicht.

„Dein Dad hat uns gesagt, dass du auf ein Internat gehst… Deshalb sind wir gekommen, um uns zu verabschieden… Du… schreibst uns gefälligst jeden Tag! Sonst sind wir nicht mehr deine Freunde!“

„Eeh?! Ich hätte das auch so getan… Dafür seid ihr mir zu wichtig. Tut mir leid, dass ich euch nichts erzählt habe…“ Karo und Michi kamen zu mir und drückten mich fest.

„I-Ihre… Brüste…“

Mein Kopf schoss tomatenrot an, denn die Zwei waren größer als ich, sodass mein Gesicht an ihre kissenweichen Rundungen gedrückt wurde. „Ich… bekomm keine Luft…“ Sofort ließen sie mich los.

„Schick uns eine SMS, wenn du da bist, in Ordnung?“ Nickend blickte ich zu Thomas, der mit gesenkten Blick vor mir stand. Es gab sonst keine weiteren Jungen in unserem Alter in der Stadt, klar fühlte er sich da schlecht und… einsam.

„Ich komm in den Ferien zurück, da hängen wir jeden Tag ab, ok?“

Er nickte und schluckte die Tränen hinunter.

„Bis… zu den Ferien…“ Ich klopfte ihm auf die Schultern, doch ein lautes Hupen riss mich aus meinen Gedanken. Vater wartete mit dem Auto auf mich. Schnell rannte ich zum Auto, ohne nach hinten zu schauen. Ich wollte es nicht, sonst würde ich wohl auch mit Weinen anfangen. Stumm saß ich auf dem Beifahrersitz und steckte mir meine Ohrstöpsel in die Ohren und schaltete meine Musik auf dem Handy an. Deshalb merkte ich nicht, wie ich einschlief, zum Leidwesen meines Vaters, der mit besorgter, gerunzelter Stirn zu mir blickte.

 

„Du versuchst also abzuhauen, kleiner Jack… Nun, heute lass ich dich mal in Ruhe… Aber mach dich bereit… denn ich verschwinde nicht einfach mal so, weil du von Zuhause weg bist…“ „Als ob ich das nicht wüsste…“

Und dann ging alles so schnell. Das nächste was ich merkte, war das mein Vater meine Schulter rüttelte und mich aufforderte, aufzuwachen.

„Ah… Sind wir schon da?“

„Ja. Du hast ganz schön tief geschlafen, hattest du dieses Mal keinen Albtraum?“ Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Er war der Meinung, mich heute mal in Ruhe zu lassen. Höchstwahrscheinlich wird das das letzte Mal sein, dass er so glimpflich mit mir umgegangen ist. Du weißt, wie sehr sich die Albträume verschlimmert haben, Dad.“ Zustimmend nickte er und drosselte das Gefährt und hielt vor einem altmodischen Gebäude, es glich schon fast unserem Schloss. Außerdem fiel mir auf, dass wir uns mitten in einem Wald befanden, abgeschnitten von der Außenwelt.

„Jack, hilfst du mit bitte mit dem Gepäck?“, rief mein Vater, als er den Kofferraum geöffnet hatte und eins nach dem andren hervorholte.

„Ich komm ja schon!“ Dad reichte mir ein paar Beutel und einen Koffer, und folgte ihm in das alte Gemäuer. Sofort, als er die große Tür öffnete, kam mir ein alter Geruch entgegen. Oh wow. Die Eingangshalle war voller Schüler jeden Alters. Einige von ihnen blickten zu uns, jedoch schienen sie sich nicht großartig für uns zu interessieren.

„Hier hat sich echt nicht viel verändert…“, murmelte mein Vater. Verwundert blickte ich ihn an.

„Uhmm, wie meinst du das?“ Dad lief vor mir zielstrebig durch den Gang.

„Ach, das hatte ich dir ja noch gar nicht erzählt… Als ich 18 Jahre alt war, habe ich hier meinen Abschluss gemacht.“ Echt, Dad war hier als Kind?

„Oh… dann macht es Sinn, wieso du mich hier angemeldet hast.“ Er gab ein kurzes Lachen von sich und hielt vor einer Tür an. An einem Schild neben der Tür stand mit Großbuchstaben geschrieben: „Sekretariat – J. Bosworth“ Daraus schloss ich, dass in diesem Raum der Schulleiter sitzen würde. Ich war ein wenig nervös. Hoffentlich ist er nicht streng…

„Jack? Träumst du schon wieder? Also ich gehe jetzt hinein.“ Das tat mein Vater auch nach seiner Ansage und klopfte an der Tür.

Eine männliche Stimme erklang: „Herein.“

Schnell atmete ich tief ein und folgte meinem Vater in das Büro. Als wir im Raum standen, kam mir ein bekannter Duft entgegen. Es roch nach alten Büchern, Zigarren und… Schokolade? Vor uns standen zwei Männer. Einer stand am Fenster, der andere stand an einer der Bücherregalen, die links und rechts den Raum füllten. Der Mann am Fenster drehte sich zu uns. Er schien in seinen Dreißigern zu sein, trug ein rotes Stirnband um den Kopf, um seine schwarzen, wilden Haare zu bändigen, die ihm bis über die Schultern gingen und kratzte sich gerade über seine Stoppeln am Kinn. Zuerst betrachtete er mich, dann schweifte sein Blick zu meinem Vater.

„Oh…. Kann das sein…? Richárd, altes Haus! Mann, ich habe dich lange nicht mehr gesehen!“ Er kam auf uns zu und schüttelte die Hand meines Vaters freundschaftlich.

„Und… wer bist du? … Ah, du bist Jack, nicht wahr?“

„Ja…“

„Ich habe dich bisher nur auf einem Kinderfoto gesehen… Mensch, bist du groß geworden.“ Er wusste also schon mal mehr über mich, als ich über ihn.

„Dad, kennst du ihn?“ Ein Nicken seinerseits.

„Er ist ein Kumpel aus meiner Schulzeit, wir haben wirklich viel Unsinn angestellt, aber… dass beiseite. Er heißt Jordan Bosworth und ist der Schulleiter. Und er da…“, Dad blickte zu dem Mann am Bücherregal,

„Ist Dan Müller, dein Klassenlehrer. Aber ich denke, er stellt sich dir auch noch vor.“ Der Mann lächelte und kam nun ebenfalls zu uns.

„Wie dein Vater schon gesagt hat, ich bin Dan Müller, dein Klassenlehrer. Ich unterrichte in den Fächern Mathematik und Sport.“ Eine Hand reichte nach meiner und schüttelte sie.

„H-hallo…“ Der blondhaarige Typ lächelte freundlich und ließ meine Hand nach einer gefühlten Ewigkeit los. Dann keilte sich Dad ein, als er mein Unwohlsein bemerkte.

„Er… ist noch ein wenig zurückhaltend, was andere Menschen angeht… Du weißt Bescheid wegen der Sache.“ Was?! Hatte Dad dem Typen darüber erzählt?!

„Herr Müller war übrigens der Lehrer, der deine Arbeiten kontrolliert hat, und als ich ihm ein wenig über dich erzählt habe, war er der Meinung, dass du hier gut aufgehoben wärst.“ Herr Müller nickte zustimmend und reichte mir einen Stoffbeutel in die Hand.

„In dem Beutel findest du alles Wichtige für deine Schulbildung, Bücher, Arbeitshefte, und so weiter.“

„D-Danke.“ Mein Vater unterhielt sich noch ein bisschen mit den zwei fremden Männern, während ich mich ein klitzekleines bisschen sammeln konnte. Diese Schule… Hier ist mein Vater bis zu seinem Abschluss hingegangen… Eine Schule für Problemkinder… Hah, das beschreibt mich ja perfekt… Ein 16-Jähriger, der keine Lust aufs Lernen hat und von einem mysteriösen Mann mit Rabenmaske bedroht wird. Na super, da wird man ja sofort als bescheuert abgestempelt! Wütend kreuzte ich meine Arme und blickte stichelnd zu den Männern. Mein Vater hatte dies sofort bemerkt und brach das Gespräch mit ihnen höflich ab. Er kam zu mir aufs Sofa und setzte sich neben mich.

„Ich kann mir schon vorstellen, was du jetzt denkst, Jack. Aber auch ich war mal hier auf der Schule… Wegen… naja, sagen wir mal, ernsteren Problemen. Glaub mir, hier wird dich niemand wegen deinen Problemen auslachen… Die meisten hier haben weitaus ernstere Probleme als du. Aber ich denke, das wirst du schnell merken.“

„… schon klar…“ Seufzend legte er einen Arm um meinen Oberkörper und drückte mich kurz.

„Das schaffst du, Jack. Oder willst du jetzt schon aufgeben, bevor du es ausprobiert hast?“ Grummelnd befreite ich mich aus seiner Umarmung und richtete mich auf.

„Nee, auf keinen Fall.“

„Das wollte ich hören! Dann kann es ja losgehen. Dan, wenn ich dich bitten dürfte…“ Blitzschnell drehte ich mich zu Herr Müller, der noch etwas in der Hand hatte. Zuerst sah es nur wie eine große weiße Tüte aus, doch als er sie mir reichte, klopfte mein Herz wie wild.

„Mach sie auf, Jack.“ Sie war prall gefüllt und weich. Ich riss sie eilig auf und darin befanden sich…

„Schuluniformen! Und eine Tasche! Klasse!“ Ich wollte schon immer mal eine Schuluniform haben!

„Unser Kleidungscodex ist nicht so streng wie der in einer Privatschule in London oder Cambridge, aber wir bitte alle Schüler und Schülerinnen, wenigstens die Hose und den Blazer zu tragen.“ Das verpasste dem Ganzen doch noch ein Sahnehäubchen.

„Darf… ich die gleich anziehen?!“ Her Müller und der Schulleiter grinsten.

„Natürlich, wir bitten dich darum, du bist doch jetzt ein offizieller Schüler unserer Schule.“ Nun doch aufgeregt, zog ich mir mein Pullover und Hose vom Laib, und schlüpfte in das weiße, langärmliche Hemd, den koboldblauen Blazer und die schwarze Hose.

„Komm, ich helfe die bei der Krawatte.“ Er zeigte mir, wie man eine Krawatte bindet und schon sah ich aus wie ein komplett anderer Mensch.

„Die Ärmel und Hosenbeine sind ein wenig lang, aber da wächst du sicherlich hinein.“ Lächelnd sah ich mich von oben bis unten im Spiegel an. Uwah!! das war klasse… Im Spiegel sah ich den weichen, stolzen Blick meines Vaters.

„Das erinnert mich an damals, als ich meine bekommen habe… Sie ist immer noch die gleiche wie früher, ihr habt das Design nicht verändert. Nun… jetzt wird es langsam Zeit für mich zu gehen…“ Ich drehte mich zu meinem Vater, der sich aus dem alten Ledersofa erhoben hatte und umarmte ihn fest. „Hey, wir sehen uns doch in den Sommerferien wieder… Humm, okay, verstehe schon…“ Wortlos klammerte ich mich an ihn und genoss noch einmal seine Körperwärme und die Ruhe, die mein Vater von Natur ausstrahlte.

„Bis… zu den Sommerferien, Dad.“ Lächelnd ließ er mich los und drehte sich langsam um. Und dann… war er weg. Ich schaute aus dem Fenster auf den Parkplatz, wo unser Auto stand. nach ein paar Minuten stieg Dad ein und fuhr langsam vom Grundstück des Internats.

„Also, führst du ihn ein wenig herum, Dan?“ Der blonde Mann blickte auf seine Armbanduhr, die er rechts trug. Er musste also Linkshänder sein.

„Hmm, meine Stunde beginnt gleich… Aber der Heimleiter von seinem Flügel könnte ihn ein bisschen herumführen, er hat gerade eine Freistunde. Ich nehme ihn mit zum Lehrerzimmer.“

„Danke. Nun dann, bis später, Jack.“ Ich nahm meine Koffer. Den Lernbeutel und die Schuluniformen nahm Herr Müller, den ich bis zum Lehrerzimmer begleitete. Mit einem Schlüssel schloss er die alte Holztür auf und der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee kam in meine Riecher.

„Ich hole ihn fix.“ Als er aus meinem Sichtbereich gelang, blendete ich das meiste aus. Im Hintergrund hörte ich viele Stimmen, Kratzen von Stühlen, Stiften und das Rascheln von Blättern. Ich schloss meine Augen und lauschte ein paar Gesprächen…

„Ich muss mir noch etwas für das Naturprojekt der Achten ausdenken…“

„Wie wäre es, wenn du mit ihnen in den Wald gehst und ein Zeltlager machst?“ Weiter hinten ging es um eine schwierige fünfte Klasse, und andere sprachen über Klausuren und Abiprüfungen. In einer Ecke knarzte ein Drucker und einer Lehrerin fiel ein Kugelschreiber zu Boden.

„Hallo? Wer da?“ Ich schreckte auf, als eine große Hand auf meiner Schulter landete. Ein großer, schlaksiger Mann in Kragenshirt, rotem Blazer und hochgekrempelten Jeans stand vor mir.

„Oh, Entschuldigung… ich war in Gedanken…“ Ich blickte zu ihm hoch. Er war wirklich sehr groß. Seine grünen Augen betrachteten mich mit einer bestimmten Art und Weise, die ich nicht richtig beschreiben konnte. Der Mann wusste, was er tat. Nervös schluckte ich und erwartete eine Standpauke. Doch dann grinste der Typ freundlich.

„Du musst Jack von Janitzki sein. Hi, ich bin Thomas Hoffmann, ich bin der Heimleiter für die Jungen der Klasse 7 bis 10.“ Schnell schüttelte er meine Hand und meine Nervosität war wie verflogen.

„H-hallo.“ Er nahm mir die Koffer ab und nahm ich mir durch das riesige Schulgebäude.

„Dort im Roten Gebäude ist der Grundschulbereich… Dort hast du kein Unterricht.“ Er deutete draußen auf ein modernes, bunt gestaltetes Gebäude, aus dem jüngere Schüler kamen. Sie beachteten wir nicht weiter. Weiter ging es die Treppe hinauf, zu einer großen Halle.

„Hier ist der Sammelbereich für die Klassen 7 bis 10. Da hinten beginnen die Klassenzimmer. Komm, ich zeig sie dir.“

„A-aber ist nicht gerade Stunde?“, sagte ich, mich an die Worte von Herr Müller erinnernd.

„Stimmt schon, aber an den Türen hängen Türschilder mit den Fächern, die dort stattfinden.“ Deshalb liefen wir den Gang entlang und ich konnte jedes Schild kurz lesen. Auf der ersten Etage gab es einen Raum für Deutsch, Englisch und Geschichte, einen Raum für Chemie und Biologie und einen für Physik. Auf der zweiten Etage waren da noch ein Computerkabinett, einen Raum für Ethik und einen Wirtschafts- und Erdkunderaum und eine Lehrküche. Im Keller, so sagte jedenfalls Herr Hoffmann, gab es noch eine Holzwerkstatt und einen Schulclub.

„Über uns sind die Räume für die Abiturienten. Dort kommst du noch von selbst hin. Rechts und links von uns gibt es noch Treppen, die alle Etagen und das Internat miteinander verbinden. So, jetzt bleibt ja nur noch das Internat übrig. Dafür müssen wir ins Erdgeschoss. Beide Treppen haben im Erdgeschoss und ganz oben einen Übergang, die zum Internat führen. Links zu den Räumen der Jungen, rechts zu denen der Mädchen.“

Uhh, streng getrennt in verschiedenen Gebäuden, wie von einem britischen Internat zu erwarten war. Aber macht schon Sinn, sie müssen sich ja absichern, das Gesetz will es so.

„Folge mir und präge dir den Weg ein, ab morgen musst du allein laufen.“ Nicht sein Ernst! Wohl oder übel musste ich das, wenn ich mich hier zurechtfinden will. Deshalb merkte ich mir bestimmte Wegpunkte, die ich später in meinem Kopf zusammenpuzzeln konnte, um den Weg zurück ins Schulgebäude zu finden. Als wir im Internatsteil ankamen, rannten uns zwei jüngere Buben entgegen, ich schätzte sie auf dreizehn oder vierzehn. Der Lehrer schnappte sich beide beim Kragen.

„Vincent, Tim, wie oft muss ich euch sagen, dass ihr im Flur nicht rennen sollt! Zur Strafe macht ihr heute den Küchendienst.“ Beide grummelten und schlurften den Flur dann langsam weiter. Ich hatte so den Eindruck, dass Herr Hoffmann nicht besonders beliebt bei den Jungen war. (Kein Wunder, so streng wie er ist.)

„Immer dieselben. Sorry, Jack. Wir können jetzt weiter.“ Schulterzuckend lief ich hinter ihm her und blickte mich um. Die Wände waren mit hellblauem Mosaik-Scherben verziert und sah sonst sehr modern aus.

„Ach, übrigens… Jeder Schüler teilt sich ein Zimmer mit einem oder zwei weiteren Mitschüler aus derselben Klassenstufe.“ Das hatte ich erwartet, weshalb ich mich im Voraus darauf mental vorbereitet hatte.

„Und mit wem teile ich ein Zimmer?“

Der Lehrer kniff seine Augen zusammen und blieb vor einer Tür stehen.

„Jeromé Marcen. Er geht in deine Klasse. Mach dich darauf gefasst, dass er… recht unordentlich ist. Ich hoffe, das bessert sich…“ Der Pauker klopfte an die Tür und wartete. Im Hintergrund hörte ich ein lautes Scheppern, ein Knarzen, danach nackte Füße auf dem Holzfußboden. Na das klang ja schon mal himmlisch… nicht. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit und ein bebrillter braunschopfiger Junge blickte hindurch. Als er Herrn Hoffmann sah, öffnete er die Tür. Und was da in meinem Blick geriet, überbietet mein altes Zimmer in allen Punkten. Überall lagen Anziehsachen, Plastikverpackungen und Zeichenmaterialien.

„Was ist den los, Hoffi…?“ Als sich der braunhaarige Junge vor uns gerade hinstellte, sah ich erst, wie riesig er war. Entsetzt blickte ich von dem Sauhaufen und dann zu Jeromé, der sich durch die wilden braunen Locken rieb.

„Für dich Herr Hoffmann. Hier sieht es wieder himmlisch aus. Kannst du nicht etwas Ordnung halten?“ Der Angesprochene schwieg. „Nun, wie auch immer. Du bekommst ab heute…“ Der Pauker wurde von Jeromé unterbrochen.

„Ach, der Neue… Ja schon klar… Hi.“ Er reichte mir seine riesige Pranke entgegen. Zögernd nahm ich sie entgegen. Sie war feucht vor Schweiß. Ugh! Schnell wischte ich sie mir am Shirt ab.

„So, ich lass euch jetzt allein, wenn etwas ist, ich bin im Zimmer am Ende des Flurs.“ Damit verschwand der Typ und nun stand ich wie ein hilfloses, verlaufenes Kind in der Türschwelle.

„Komm rein.“, forderte mich mein neuer Zimmergenosse auf. Erschrocken blickte ich ihn an. „Hey, du brauchst echt nicht so steif sein.“

„Sorry, ich habe mir das echt nicht ausgesucht… Also…“ Seufzend trat ich in den Saustall und schmiss mein Rucksack auf das freie Bett im hinteren Teil des Zimmers.

„Willkommen im Raum Anubis… Meinem Reich. Fühl dich wie Zuhause. Auch wenn es ein wenig… unordentlich ist.“ Ein wenig ist untertrieben… „Lass mich raten… Dein Vater hat dich hierhergeschickt?“  Stumm nickte ich, als ich ein paar wichtige Sachen aus meinem Rucksack räumte.

„Geht mir genauso. Was hast du angestellt?“ Fragend blickte ich ihn an.

„Nichts…“ Überrascht wurde ich von ihm herumgewirbelt.

„Das glaub ich nicht! Ein Schüler ohne Vorgeschichte? Das gabs seit mindestens 20 Jahren nicht mehr… Der Letzte ist heute Arzt…“ Sprach er vielleicht von meinem Vater? Naja, ganz stimmte das so nicht. ich hatte eine Vorgeschichte, nur nicht so eine wie viele andere hier.

„Hmm… Nun, jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern. Ach, ich heiße übrigens Jack. Jack von Janitzki.“

„Ein Adelstitel? Kommst wohl aus guten Verhältnissen?“ Schulterzuckend riss ich mich von ihm los.

„Ich mach mir nicht viel daraus. Was bringts mir auch Großes? Ich habe kein Bock darauf, als „Prinz“ bezeichnet zu werden.“ Jeromé seufzte und grinste dann breit.

„Du bist voll in Ordnung, ich mag dich.“ Puh, und ich dachte schon, er wird sofort auf die „Prinzen“-Tour gehen.

 

Am nächsten Tag hatte ich schon meine erste Stunde. Zum Glück nahm mich Jeromé überall mit, sodass ich nicht allein durch die langen, verworrenen Flure des alten Schulgebäudes gehen musste. In der ersten Stunde hatten wir Englischunterricht. Als ich die Tür zum Klassenzimmer öffnete, bot sich mir ein Bild, das ich bisher nur aus Büchern kannte: Frontalunterricht mit Sitzreihen. Fast alle Sitzplätze waren bereits besetzt, jedoch gab es noch zwei freie Plätze, einer am Fenster und der rechts daneben. Ich kniff meine Augen zusammen und konnte ein Namensschild auf dem Fensterplatz erkennen. Mein… Name? Oh, dann muss das mein Platz sein. Ich musste höllisch aufpassen, nicht über die Schultaschen der anderen zu stürzen, als ich durch die Gänge zwischen den Tischen lief. Seufzend setzte ich mich auf den Holzstuhl und blickte zu den anderen. Sie tuschelten leise untereinander, doch als Jeromé sich rechts neben mir auf den Stuhl setzte, wurde es ruhig. Und da schaltete ich schon aus. Ich bemerkte nicht, wie sich das Klassenzimmer langsam füllte. Auch den Lehrer bemerkte ich nicht, doch als plötzlich ein schrilles Klingeln ertönte, schreckte ich laut auf.

„W-was zur Hölle war das?!“ Meine neuen Mitschüler kicherten leise, doch der Lehrer beauftragte die Klasse leiser zu werden.

„Schön, dass du heute da bist. Komm doch zu mir nach vorne und stell dich vor.“ Schluckend ging ich denselben Weg zurück und stellte mich mit dem Rücken zur Tafel und starrte in die Runde.

„H-Hallo… ich bin Jack von Janitzki… I-ich komme aus Wales…“ Der Lehrer, der etwas älter zu sein schien, blickte mich überrascht an.

„Janitzki? Bist du vielleicht der Sprössling von Richárd von Janitzki?“ Jetzt war auch ich überrascht.

„Sie kennen mein Vater?!“

„Aber ja! Ich habe ihn damals auch unterrichtet. Ein toller Bub.“ Oh nein, das fängt ja schon gut an, jetzt hat er große Erwartungen an mich.

„Um… genau zu sein, bin ich bisher noch nie in einer Schule gewesen… ich bin also nicht so… gut wie er?“ Die anderen tuschelten leise, doch hörten dann auch wieder auf.

„Das wird schon, Jack. Wenn du möchtest, kannst du dich jetzt wieder hinsetzen.“ Ich war ihm dankbar, dass ich wieder aus dem Rampenlicht verschwinden konnte.

„Was du da eben gehört hast, das war das Stundensignal, auch Stundeklingeln genannt, es signalisiert den Anfang und das Ende einer Stunde.“

„Verstehe, Entschuldigung wegen vorhin, ich kenn das einfach nicht.“ Wieder erhielt ich ein Lächeln des Lehrers.

Die Stunde verlief recht ereignislos, sogar so sehr, dass ich mich wunderte wieso sich niemand über den langweiligen Schulstoff beschwerte. Sie nahmen es wohl einfach hin. Schon am Anfang der Stunde merkte ich, wie wenig ich im Vergleich zu den Anderen wusste. „Uff, hätte ich gewusst, dass Dad mich irgendwann in eine Schule schicken würde, hätte ich mir mehr Mühe gegeben, alles zu verstehen.“ Frustriert biss ich auf meinem Füller herum, bis mich Herr Wilson antippte. Er beugte sich zu mir hinunter und blickte auf meine Aufzeichnungen.

„Kommst du hinterher, Jack?“

„Uhmm… geht schon.“

Er seufzte, zog den Stuhl neben mir zu sich und nahm neben mir Platz.

„Ich sehe schon… zeig mir, womit du nicht klarkommst.“ Ich lief tomatenrot an, als sich ein paar Mitschüler nach hinten drehten. Doch sie wandten sich schnell ab, als sie sahen, dass Herr Wilson mir half.

„Also… Ich verstehe den Text nicht wirklich…“

„Das habe ich mir schon gedacht, der Text ist in alter Sprache geschrieben. Und als wir Übungen dazu gemacht haben, warst du noch nicht bei uns. Dafür kannst du demnach nichts. Du musst dich nicht für etwas schämen, das du nicht verstehst. Genau deswegen sind wir Lehrer da. Alle Lehrkräfte an dieser Schule haben eine spezielle Zusatzqualifikation dafür.“

 

„Zusatzqualifikation? Was ist das?“

„Einfach gesagt haben wir einen Kurs absolviert, in dem wir Methoden und Theorien für die Unterstützung von lernschwächeren Kindern und Jugendlichen erlernt haben. Wir sind also Experten darin, Leuten wie euch zu helfen.“ Ich senkte den Blick. War ich wirklich so schlecht?

„Nicht alle Schüler haben eine Lernschwäche. Aber der Begriff Lernschwäche ist breitgefächert. Lernschwäche kann bedeuten, dass man, wie der Begriff sagt, durch erbliche Komponenten nicht gut lernen kann. Lernschwäche kann aber auch die fehlende Bereitschaft zum Lernen bedeuten. Du musst dich also nicht abgestempelt fühlen, Jack.“ Leicht nickte ich.

„Wie wäre es, wenn wir uns nach dem Unterricht ein wenig unterhalten? Ich möchte gerne wissen was du alles schon kannst, damit ich mich darauf vorbereiten kann.“ Ich bejahte seine Frage und er setzte seinen Unterricht von meinem Platz (!) aus fort, bis die Schulklingel den Unterricht beendete.

„Hey, ich warte dann auf dem Schulhof auf dich. Bis später, Neuer.“ Jeromé packte seine Sachen und huschte aus dem Zimmer, wie alle anderen Schüler.

Herr Wilson wischte die Tafel ab, als er das Gespräch ganz lässig begann.

„Wie findest du es hier bisher? Konntest du dich einfinden?“ Ich zuckte mit den Schultern, doch als ich Dummkopf bemerkte, dass er es natürlich nicht sehen konnte, gab ich ein Wort von mir.

„Ich weiß noch nicht so recht, wie ich das alles so finden soll. Aber an sich ist echt… nicht übel.“ Der ältere Pauker lachte kurz.

„Dein Vater hat damals fast genau das Gleiche gesagt. Aber am Ende wollte er gar nicht mehr gehen.“

„Echt?! Wow, das hätte ich echt nicht von ihm erwartet.“ Als er fertig mit dem Tafelwischen war, kam er wieder zu mir nach hinten und setzte sich erneut neben mich, sodass wir beide auf Augenhöhe waren. Daniel hat das auch immer gemacht, als er noch da war…

„Genug zu deinem Vater. Erzähl mir mal, wieso ein Junge wie du hierhergekommen bist.“ Ich schluckte und kniff die Augen zusammen.

„Sie wissen doch schon bescheid, oder?“

„Nun, im Groben, ja. Aber ich hätte gern deine Sichtweise dazu.“ Mein Bauch drehte sich um, als ich das gedankliche Abbild von Morpheus in meinem Kopf bekam.

Ich holte tief Luft, bevor ich anfing zu sprechen:

„Also… Eigentlich hat es mit dem Verschwinden meines Privatlehrers, Daniel Ewans, begonnen. Wir wissen seit ein paar Jahren nicht, was mit ihm passiert ist. Die Polizei hat das erste Jahr nach ihm gesucht… Nun gilt er als tot. Als ich dreizehn war, bin ich verbotenerweise in sein Haus mit einem Freund eingestiegen, um auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.“

„Und, habt ihr etwas herausgefunden? Also, du musst es mir nicht erzählen, wenn du das nicht möchtest.“ Ich mied seinen Blick als er mich anlächelte.

„Also… wir haben ein verstecktes Büro hinter einer doppelten Wand gefunden, indem Daniel so einiges versteckt hatte. Wir wussten zwar, dass seine Familie wohlhabend war, aber dass seine Familie wohlhabender als meine ist, wusste ich bis dato nicht. Sein Vater war in dem Jahr gestorben, weshalb er das gesamte Erbe bekam. Und mit dreizehn malt man sich da die krassesten Geschichten aus.“

„Und die wären?“

Ich lachte kurz. „Thomas und ich waren davon überzeugt, dass er deswegen entführt wurde oder untertauchen musste, um sich zu schützen.“ Herr Wilson kicherte kurz und stützte seinen Kopf ab.

„Könnte es nicht einfach sein, dass er mit dem Geld ins Ausland verschwunden ist? Oder zur Beerdigung seines Vaters gegangen ist?“

„Wissen Sie, Daniel ist… nicht so eine Person, die einfach so ohne Mitteilung verschwindet. Mein Vater und er sind beste Freunde, die sich alles erzählen würden. Außerdem… kenne ich ihn, seit ich ein Baby bin. Das sind immerhin dreizehn Jahre.“ Wilson nickte und rieb sich das Kinn.

„Aber nicht immer kann man alles wissen. Manche Leute verbergen Geheimnisse jahrelang erfolgreich. Wer weiß, ob du den richtigen Daniel kennst, oder nur eine Fassade von ihm.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Naja, wir schweifen ab. Du warst noch nicht zu ende, nicht wahr?“ Ich musste zugeben, dass Herr Wilson sehr spitzfindig für so etwas war.

„Ja. In der Nacht, bevor wir Daniels Haus durchsucht haben, bekam ich einen Anruf von einer unterdrückten Nummer. Die Person am anderen Ende stellte sich als „Morpheus“ vor, der Gott der Träume. Er drohte mir, wenn das Leben meiner Familie am Herzen liegt, mich bereit zu machen und dass niemand Morpheus‘ Fängen entkommt. Danach hat er aufgelegt. ich nahm das alles als Scherz wahr und bin einfach schlafen gegangen. Das Kuriose kommt aber jetzt erst. Der Typ ist mir im Traum begegnet… komplett in Schwarz und mit einer Rabenmaske auf dem Gesicht, weshalb ich ihn nicht erkennen kann. An dem tag habe ich versucht, zu entkommen, aber er hat mich festgehalten. Und… ich weiß nicht, ob es Einbildung war, oder real, aber er hat wie… Blut gerochen. Nicht so, wie frisches Blut riecht, sondern… wie richtig altes Blut von einer Leiche, die mehrere Jahre alt ist. Fragen Sie mich nicht, wieso ich weiß wie das riecht.“

Der Mann zog eine Augenbraue nach oben, fragte mich aber echt nicht wieso. „Danach bin ich wieder aufgewacht. Ich habe diese Nacht einfach als abgeschlossen betrachtet, jedoch verfolgt der Typ mich immer noch jede Nacht in meinem Träumen und versucht mich zu töten.“ Herr Wilsons Augen weiteten sich mit Entsetzen.

„Immer noch?! Wird man davon nicht langsam wahnsinnig?!“ Als er meinen zerknirschten Blick sah, verstummte er.

„Das ich überhaupt noch bei Sinnen bin, verdanke ich meinen Freunden und meinem Vater. Jedoch hat er wieder eine Arbeit angenommen, weshalb er mich hierhin geschickt hat. Für… mein eigenes Wohl, denke ich.“

„Das kann ich verstehen. Gibt es etwas, womit ich dir helfen könnte?“ Ich drehte meinen Kopf zu ihm.

„Nein, ich glaube nicht. Aber… trotzdem danke, dass Sie sich meine Geschichte angehört haben.“ Der Pauker schüttelte mit dem Kopf und richtete sich auf.

„Nein, ich muss danken. Ich habe nun ein eindeutig besseres Bild von dir. Du kannst jetzt die restliche Pause genießen.“ Fragend blickte ich ihn an.

„Ich dachte, Sie wollten…“ Ich konnte meinen Satz nicht beenden, denn der ältere Mann unterbrach mich.

„Ich glaube, dass ist jetzt unangebracht. Erhol‘ dich ein bisschen, ihr habt nach der Pause Mathematik.“ Genervt ließ ich meinen Kopf nach unten auf die Tischplatte sacken.

„Och nöö!“ Lachend verließ der Mann den Raum, wartete jedoch auf mich, denn er musste ihn noch abschließen.

Eilig rannte ich durch den Flur, um zum Schulhof zu gelangen. Jeromé stand an einen Getränkeautomaten um die Ecke gelehnt und tippte auf seinem Smartphone herum. Als er mich hörte, hob er den Kopf und kam auf mich zugelaufen.

„Hast du Hunger? Bis zur Cafeteria können wir es noch schaffen, um die Uhrzeit sind eh dort alle schon weg.“

Nachdenklich rieb ich mir den Bauch. „Ein Sandwich könnte ich schon vertragen.“ Der schlaksige Junge grinste und zog mich am Ärmel durch die breiten, altmodischen Gänge des Schulgebäudes. Und er hatte recht, die Cafeteria war wie leergefegt.

„Wow.“

„Na ihr zwei Küken, seid ihr hungrig?“ Ich drehte mich zur Quelle der weiblichen Stimme und sah, wer hätte es gedacht, eine Frau. Sie war zu 100% die Verkäuferin.

„Ja. haben Sie Sandwiches?“

„Aber ja, Häschen, ich habe welche mit Ei, Mayonnaise, Salat, Wurst und Käse.“ Sie deutete auf eine Tafel an der Wand.

„Dann… nehme ich ein Sandwich mit Ei und Mayonnaise.“

„Kommt sofort.“

„Und was willst du, Jeromé?“ Er lehnte kopfschüttelnd ab. Nach ein paar Minuten kam die pummelige Frau zurück und reichte mir ein frisch belegtes Sandwich.

„Das wären dann 90 Pence.“ Ich reichte ihr die Münzen und biss herzhaft in das Brot. Das schmeckte herrlich!

Nach dem leckeren Sandwich machten wir uns auf den Weg zurück ins Schulgebäude, denn die Pause war so gut wie vorbei und keiner von uns beiden hatte Lust zu spät zu kommen. Nach Mathe hatten wir noch Biologie und Sport. Zu Sport kamen wir zu spät, denn die Glühbirne Jeromé hatte doch tatsächlich seine Sportsachen vergessen, weshalb wir den ganzen Weg zurück ins Internat laufen mussten und dann erst zur Turnhalle konnten. Was für ein Idiot! Das war schonmal kein guter Eindruck bei meinem Klassenlehrer. Der stand auch schon am Eingang der Turnhalle.

„Da seid ihr ja endlich! Wir warten nur auf euch! Ich drücke dieses Mal ein Auge zu, aber seid beim nächsten Mal bitte pünktlich.“ Hastig stürmten wir in die Umkleidekabinen und quetschten uns auf eine der Bänke, um dort unsere Sachen abzulegen und um uns umzuziehen.

„Oh Mann, die warten echt…“

„Das macht der Müller immer so, deshalb vermeide ich es, bei ihm zu spät zu kommen.“ Jeromé klang nicht gerade begeistert, was mir wenig Hoffnung bescherte. Als wir in T-Shirt und Shorts in den Hauptteil der Halle traten, tuschelten die Meisten untereinander. Als sie uns erblickten, blickten sie uns mitleidig an.

„Da sind ja unsere Zuspätkommer…“ Herr Müllers‘ Stimme erklang durch die Halle. Grinsend kam er zu uns und hielt uns jeweils ein Springseil entgegen. Fragend blickte ich Jeromé an, der tief seufzte.

„Müller bestraft jeden der zu seinem Unterricht zu spät kommt, meistens mit Laufen, Sit-Ups, Liegestütze oder Springseilspringen.“, flüsterte er mir zu.

„So ihr Zwei. Ihr habt… drei Minuten Zeit, um mir 200 Seilsprünge zu zeigen, sonst bekommt ihr 50 Punkte Abzug für das Jungeninternat. Jeromé, du weißt, was das heißt.“ Häh?! Sind wir hier in H**ry Po**er oder was?! Jeromé drückte mich von der Bank, weshalb ich wohl oder übel mit ihm vor die Klasse treten musste. Die Mädchen kicherten leise, als Herr Hoffmann uns Springseile in die Hand drückte. „

So, Jungs. macht euch bereit. In 5 Sekunden geht es los. Fünf, vier, drei, zwei, eins, los!“ Stöhnend hüpfte ich, so schnell es mir möglich war, los. Ich wusste, dass ich in etwa einer Minute 150 Sprünge schaffen konnte, aber ob ich es die drei Minuten aushalten werde, war eine andere Sache. Ächzend musste ich eine kurze Pause einlegen, als ich bei 145 Sprüngen war.

„Hey, jetzt nicht schlapp machen! Du hast noch ein paar!“ Sofort fing ich wieder an zu springen, aber es wollte mir nicht so recht gelingen. Meine Arme schmerzten und waren gleichzeitig so müde wie nie.

„Jack, schwing das Seil nur aus deinem Handgelenk!“

Aus dem Handgelenk? Genervt probierte ich Herr Hoffmanns Tipp aus – und brauchte tatsächlich etwas! Es war mir nun ein leichtes Spiel die restlichen 55 Sprünge darzubieten. Ich war sogar noch vor dem Zeitlimit fertig. Laut ächzend ließ ich mich auf den Hallenboden sinken.

„Nicht schlecht, Jack. Du kannst dich wieder hinsetzten. Jeromé, noch 13 Sprünge, dann hast du es geschafft!“, brüllte uns der Sportlehrer zu. Die nächsten Jahre würden echt lustig werden mit dem Typ. Nicht. Auch Jeromé hatte die 200 Sprünge mit ach und Krach gemeistert und schmiss sich schwer atmend auf den Boden. Kopfschüttelnd wendete er sich dem anderen Jungen zu.

„Ihr braucht echt mehr Ausdauer, Jungs. Aber das bekommen wir schon hin in den nächsten Jahren. Ihr dürft euch jetzt hinsetzen.“ Ich verdrehte die Augen und lies mich auf die Bank sinken und beobachtete das folgende Unterrichtsgeschehen.

Nach dem Sportunterricht rannten wir laut lachend in die Kabinen.

„Das war echt eine geile Aktion von Terry, als er sich beim Zweifelderball abgerollt hat! Oh man, echt einmalig!“ Jeromé konnte vor Lachen nicht antworten, weshalb ich den schweißverschmierten Riesen in die Garderobe schleppte.

„Was haben wir eigentlich nach der Pause?“ Die Meisten in der Klasse machten Kotzgeräusche.

„Gemeinschaftskunde, blergh!“ Auch ich verzog das Gesicht, denn ich erinnerte mich an all die langweiligen Stunden mit Daniel und meinem Vater.

„Sag‘ mal, bleibst du in den Ferien im Internat oder fährst du nach Hause, Jack?“ Wieso fragt er das jetzt? Das steht irgendwie gar nicht im Kontext unseres Gesprächs.

„Das weiß ich noch nicht so genau, aber in den Sommerferien fahre ich nach Hause. Meine Freunde werden sonst fuchsteufelswild.“ Er nickte und starrte auf seine Schultasche.

„Und du? Bleibst du im Internat?“ Wieder ein Nicken von dem schlaksigen Jungen. Auch war sein Blick nicht gerade fröhlich. Was der Blick in Zusammenhang mit seiner Frage bedeutete, würde ich erst später herausfinden. Noch kannte ich ihn nicht genug, um mich mit seinen Problemen auseinander zu setzen, außerdem hatte ich selbst mit einem Problem namens Morpheus zu kämpfen, weshalb ich keinen Gedanken an die Seinen verschwendete. Auch fehlte es mir an Empathie, sodass ich keine Ahnung hatte, was gerade in seinem Kopf und in seiner Gefühlswelt vor sich ging.

Apropos Morpheus. Der Typ mit der Rabenmaske war immer noch nicht verschwunden. Zwar bekam ich keine SMS mehr von ihm, aber er terrorisierte mich dennoch stets jede Nacht aufs Neue. Dabei war er am Anfang nicht sehr kreativ gewesen, aber mit der Zeit wurden seine Handlungen immer extremer und hasserfüllter. Auch nach den 3 Jahren hatte ich immer noch dieselbe Frage: "Warum?" Was ich wusste, dass er mich gut kannte, jeden Gedanken, jedes Gefühl schien er zu wissen, als ob er diese lesen könnte. Genau das machte mich verrückt - und ließ mich an mir selbst zweifeln. Hatte ich dem Menschen, der hinter der Maskerade steckte irgendwann Irgendetwas angetan, dass er mich töten will? Noch konnte ich es verstecken, aber wie wird es aussehen, wenn ich mal unter Stress stehe und Schlaf brauche? Zuhause war das nie ein Problem gewesen, Dad wusste ja darüber Bescheid. Klar, alle Lehrer wurden darüber informiert, aber ich bezweifle, dass jeder von ihnen daran interessiert ist. Jedenfalls dachte ich, dass alle Lehrer darüber wussten, bis zu einem ganz bestimmten Tag.

Am Abend meines ersten Schultages lag ich breit lächelnd im Bett und telefonierte mit meinem Vater.

„Und? Hast du schon Freunde gefunden?“ Ich sah den Tag vor meinem Augen vorbeifliegen. Nein, eigentlich hatte ich bisher keine Freunde gefunden, dafür aber ziemlich schräge Klassenkameraden.

„Naja, nicht wirklich… Es ist schwierig, sich auf neue Leute einzulassen, wenn man bisher in seinem Leben nur mit 3 Gleichaltrigen zutun hatte. Aber eins kann ich mit Sicherheit sagen: sie sind echt schräg drauf.“

Aus dem Lautsprecher drangen ein belustigter Laut und dann die blecherne Stimme meines Vaters: „Das ist in Ordnung. Es ist Schuljahresanfang, das schaffst du schon.“ Ich kniff fragend die Augen zusammen und runzelte die Stirn.

„Was meinst du damit?“

„Nun, am Anfang jeden Schuljahres müssen sich erst alle Schüler in der Klassenkonstellation zurechtfinden und ihre eigene Rolle und Gruppenzugehörigkeit finden – Da hast du es noch leicht, Freunde zu finden und nicht sofort in die Außenseiterrolle zu fallen.“ Ach so, klingt plausibel.

„Hmm... ah, weißt du was, ein Lehrer von damals ist immer noch hier, er hat mich am Namen erkannt. Er erinnert sich immer noch an dich. Du bist hier sehr aufgefallen, stimmts, Dad?“ Es war kurz still am anderen Ende der Leitung.

„Nun, ich glaube, das erzähle ich dir ein anderes Mal. Ich muss jetzt langsam mal auflegen. Gute Nacht, Großer.“

„Tschüss...“ Das Handy tutete kurz, als mein Vater aufgelegt hatte. Seufzend lies ich mich nach hinten auf die Matratze fallen und blickte auf den Lattenrost über mir. Jeromé war noch nicht da, denn er musste noch etwas erledigen. Was, hatte er mir nicht verraten, und ehrlich gesagt wollte ich es auch gar nicht wissen. Bevor ich meine Augen schloss, bereitete ich mich auf das Schlimmste vor, denn ich hatte so ein ungutes Gefühl im Magen.

Leicht seufzend blickte ich mich um, als ich in einem Raum aufwachte, den ich ziemlich gut kannte: Ich nannte ihn „Raum der Erinnerungen“. Egal wo ich hinschaute sah ich Bilder aus meiner Vergangenheit, von Dad, Daniel, Mutter und meinen Freunden. Auch mich selbst sah ich, meistens Bilder von meinem jüngeren Ich. Was das Kuriose daran war: ich sah Bilder, die ich nicht kannte, Erinnerungen, die für mich keinen Sinn machten und Menschen, die ich noch nie getroffen hatte.

Ein Räuspern lies mich zusammenschrecken und ich drehte mich zu der Quelle des Geräusches um. Ich erblickte Morpheus, der auf einem schwarzen Sessel saß, der mir irgendwie bekannt vorkam.

„Er ist sehr bequem, kleiner Jack. Hmm… Wer saß da nochmal darauf? Daniel?“ Sein breites Grinsen machte mich wütend. Ich bleckte die Zähne und mit festen Schritten kam ich auf ihn zu.

„Heute so… tapfer? Denkst du, nur weil du vom Nest weg bist, wird sich alles ändern?“

„Nicht alles, aber dennoch ein paar Dinge.“ Kurz war er erstaunt, doch schnell wandelte sich sein Blick wieder zu seiner üblichen Grimasse zurück. Morpheus sah mich mit seinen roten Augen fest an und stand auf. Der alte Sessel ächzte, als der große Mann sich erhob. Seine Schritte hallten laut. Das ungute Gefühl im Magen verstärkte sich und mein Herz pochte nervös. Was mache ich nun? Wieder wegrennen? Nein, das bringt nichts, er ist schneller als ich, das weißt du doch, Jack. Aber… was bleibt mir anderes übrig, als zu fliehen? Ein scharfer Schmerz riss mich aus meinen Gedanken. Morpheus hatte mir irgendetwas Spitzes über meinen Arm geritzt. Es war ein Skalpell, auf wessen Griff eine Schlange eingearbeitet war. Die Wunde brannte und Blut quoll aus ihr.

„Argh!“

Bevor ich zurückweichen konnte, umgriff er meinen Hals mit einer Hand und hielt mich auf der Stelle. Mit der anderen Hand griff er den blutigen Arm und führte ihn zu seinem Mund. Mit seiner Zunge fuhr er über die Wunde und schmeckte mein Blut. Es schauderte mich, als ich seine Zunge beobachtete.

„Lass‘ das!“ Mit aller Kraft versuchte ich mich gegen ihn zu wehren, aber es brachte nichts, der Mann mit der Rabenmaske war einfach zu stark für mich.

Sein Mund formte sich wieder zu einem Lächeln. Dann biss er zu, ganz urplötzlich und fest. Ich stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus und zog reflexartig an meinem Arm. Das machte es aber nicht besser, sondern resultierte nur darin, dass es noch mehr wehtat. Irgendwann lies er mich doch los und trat mich zu Boden. Ich landete mit dem Kopf hart auf den Boden. Mir war so, als würde ich das Bewusstsein verlieren und ein fiependes Geräusch drang durch meine Ohren. Ich atmete schwer und versuchte, mich nicht zu verlieren. Doch Morpheus hielt mich auf dem Boden, als er ein Knie auf meinen Oberkörper drückte.

„Urgh, los… lassen… Du Irrer!“, brachte ich ächzend hervor und umgriff sein Bein. So fest ich konnte, bohrte ich meine Fingernägel in sein Fleisch. Seine Finger zuckten kurz, formten sich zu einer Faust, die dann, wer hätte es gedacht, in meinem Gesicht landete, schmerzhaft. Doch das interessierte mich kaum, das Adrenalin in meinem Körper blockte den Schmerz. Ich zog mein Bein an und trat in seinen Schritt. Das hatte gesessen, denn er kniff die Augen zusammen und ich sah eine Chance und schubste ihn mit meiner gesamten Kraft zu Boden. Wankend kam ich wieder auf die Beine und betrachtete mein Werk. Jetzt formte ich meine Hand zur Faust und lies sie auf ihn zurasen.

Doch Morpheus fing sie lächerlich einfach mit der Hand auf und zwang mich mit Schwung auf die Knie. Er schwitzte und atmete ein wenig mehr als sonst. Befriedigt sah er mich von oben an.

„Du enttäuschst mich, kleiner Jack. Nun gut…“ Ich erntete einen Tritt gegen meinen Bauch. Mein Körper krümmte sich auf dem Boden, doch es folgte keine weitere Gewalttat seinerseits.

Mir wurde schwarz vor den Augen und ich wachte in meinem Bett auf, das klitschnass vor Schweiß war. Mein Magen drehte sich um und ich eilte aus dem Zimmer heraus. Dort übergab ich mich und sank zu Boden. Ich zitterte, nicht nur wegen dem Traum, sondern weil mir kalt wurde, als der Schweiß auf meiner Haut trocknete.

Eine Zimmertür am Ende des Gangs öffnete sich und Herr Hoffmann eilte zu mir.

„Jack, alles in Ordnung?!“ Er kniete sich zu mir und leuchtete mit der Taschenlampe auf den Boden.

„Hah... agh.“ Ein weiterer Schwall folgte und ich klammerte eine Hand in sein T-Shirt.

„S-Sorry…“ Er rieb mir über den Rücken.

„Alles gut, lass es raus.“ Der Mann wartete einige Minuten, bis ich mich nicht mehr erbrach und zog mich am Arm sanft aber bestimmend ins Bad.

„Warte hier kurz. Falls nochmal was kommt, ab zur Toilette.“ Ich nickte, wurde dafür aber sofort bestraft, denn mir wurde schwindelig und ich musste mich am Rand eines Waschbeckens festhalten. Ich hob meinen Kopf und blickte mich im Spiegel an. Mein Gesicht war blass, ich hatte tiefe Augenringe und mein Haar war klitschnass. Kurz gesagt, ich sah scheiße aus.

Herr Hoffmann war nach ein paar Minuten wieder im Türrahmen aufgetaucht und hatte eine eingepackte Zahnbürste, ein Handtuch und eine Decke in den Händen.

„Mach dich ein wenig frisch. Und putz ja die Zähne, sonst verätzen sie dir.“ Ich nickte und nahm die Dinge entgegen. So verrichtete ich die Nötigkeiten. Der Hausleiter blieb in der Tür stehen und beobachtete mich durchgehend. Es war unangenehm, aber es war wohl eine seiner Pflichten, Schüler bei Notfällen zu beobachten.

„Ich habe eine Reinigungskraft gerufen, sie wird sich um dein Erbrochenes kümmern. Ist etwas auf deine Sachen gekommen?“ Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Gut, leg‘ das Handtuch daneben, die Zahnbürste kannst du wegschmeißen. Danach kommst du bitte zu mir in mein Zimmer, in Ordnung?“ Wieder nickte ich nur stumm und befolgte das, was er mir aufgetragen hatte. Nervös stand ich dann vor dem Zimmer des Hausleiters, auf welcher neben der Tür ein weißes Schild mit seinem Namen stand. Ich klopfte und die Tür öffnete sich kurz danach. Das Zimmer war kleiner als das der Schüler, aber dafür war es hell und freundlich eingerichtet. Außerdem wohnte er allein hier drin.

„Setz‘ dich.“ Er deutete auf das hellbraune Sofa vor dem Fernseher rechts im Raum.

„Hier, trink erst einmal etwas.“ Der Mann reichte mir eine Tasse mit einer dampfenden gelben Flüssigkeit. Ich roch Kamille, nicht gerade mein Lieblingstee, aber Dad hatte mir den auch immer gemacht, wenn es mir wegen meinem Magen nicht gut ging. Der Geruch war nostalgisch, obwohl es gerade mal ein paar Monate her war, seitdem ich ihn zum letzten Mal getrunken hatte. Ich pustete ein wenig in die Tasse und nahm einen Schluck. Der Tee wärmte mich von innen. Seufzend blickte ich zu Hoffmann, der sich ebenfalls eine Tasse nahm, aber einen Instantkaffee trank. Er setzte sich neben mich und nahm einen großen Schluck des bitteren Getränks.

„Okay, Jack. Erzähl mir… was war los?“ Sanft blickte er mich an und hielt die Tasse mit beiden Händen fest. Ich entriss mich dem Augenkontakt und blickte zu Boden.

„Hab schlecht geträumt. Mehr möchte ich Ihnen nicht erzählen.“

„Okay. Wenn dem so ist. Ich zwinge dich nicht, mir etwas zu erzählen, aber wenn etwas ist, ich habe ein offenes Ohr.“ Ohne ihm zu antworten, trank ich den Tee aus, als er nur noch lauwarm war und verabschiedete mich, um wieder zurück in mein Zimmer zu begeben. Vor der Tür war nichts mehr von meinem Erbrochenem zu sehen, nur ein leichter saurer Geruch lag noch in der Luft. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schlich wieder ins Bett. Ich roch, dass die Bettlaken gewechselt wurden. Nun, sie waren ja auch klitschnass. Ich sandte einen Dank an die unbekannte Reinigungskraft, die mein Unfall ohne Murren beseitigt hatte. Mit dem Geschmack von Kamille und den Geruch von frischen, trockenen Laken schlief ich wieder ein – hoffend, dass Morpheus mich in Ruhe lies.

Mein Körper konnte bis zum Morgen ruhen, bis ich von einem nervigen Geräusch geweckt wurde. Tief seufzend schlug ich die Augen auf und sah meinen Wecker vor sich hin piepend und wütend vibrieren.

„Jaja… Bin doch schon wach…“ Mit einer Bewegung stoppte ich den Wecker und richtete mich auf. Über mir knarzte der Lattenrost von Jeromés Bett.

 „Alter, echt jetzt, wir haben doch noch eine halbe Stunde, bis wir offiziell aufstehen sollen? Warum?“

„Ich will nicht mit einer Meute nackter Kerle duschen gehen.“

„Aha… mach doch, was du willst, ich schlafe weiter.“

„Komm‘ ja nicht zu spät.“ Der Junge brummelte und drehte sich im Bett um. Ich sammelte mein Zeug fürs Duschen zusammen und verließ den Raum. Es war noch still, was mich aber nicht störte. Eilig verschwand ich in der Gemeinschaftsdusche und bereitete mich auf den Tag vor. Heute hatten wir nicht so lange Unterricht, was ich toll fand, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, was ich danach machen sollte.

Doch meine Ungewissheit wurde sofort beseitigt, als Jeromé mich nach der letzten Stunde mit in die Bibliothek schliff. Ich staunte nicht schlecht, als sich mir die riesigen Regale voll mit Büchern aufboten. Die Bibliothek war riesig, leise und es roch nach Staub, altem Holz und Papier. Auf einer großen Anhöhe waren noch mehr Regale und von dort oben drangen leise Stimmen von mehr als drei Personen zu uns herunter. Jeromé zog mich in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Um einen Tisch hatten sich mindestens 10 Personen zusammengerottet und musterten ein altes, großes Buch.

„Was denkt ihr, hat das etwas mit der Schule zu tun?“

„Weiß nicht, aber lass‘ uns doch Jeromé fragen, und seinen mysteriösen Begleiter da.“ Alle Köpfe drehten sich zu uns und ich wurde von oben bis unten gemustert. Ich schluckte. Es war mir höchst unangenehm, wenn andere, fremde Menschen das machten.

„H-Hallo…“ Einer der jüngeren Jungen grinste breit.

„Hi! Wer bist du denn?“

„Äh, also, ich bin Jack von Janitzki. Bin vor kurzem hierhergekommen.“

„Oh, du bist der ohne Vorgeschichte. Das gibt es echt selten hier. Ich bin übrigens Albert, und gehe in die 7. Klasse. Frau Bommel ist unsere Ersatzklassenlehrerin“

„Ersatz?“ Der silberhaarige Junge nickte.

„Unser Klassenlehrer kommt erst in drei Wochen. Keine Ahnung wieso. Aber das ist nicht so wichtig. Wieso bist du hier?“ Wieso fragt er? Jeromé hat mich mitgeschleppt…

„Ich habe ihn mitgebracht, er ist doch noch neu und braucht ein paar Bekanntschaften. Und er könnte der Gruppe beitreten.“

„Oho! Nett bist du, Jeromé.“ Der Angesprochene brummelte und schob mich vor die Gruppe. Alle stellten sich kurz vor. Am besten blieben mir Albert und Leila im Gedächtnis. Leila war nicht aus England, sie erzählte, sie käme aus Tunesien. Mit ihrem südländischen Aussehen stach sie aus der Gruppe heraus, so auch Albert, dessen Wurzeln in Deutschland lagen und durch sein silbriges Haar. War nicht Herr Müller auch aus Deutschland?

Egal. Jedenfalls wollten sie mir nun erklären, was das Ganze hier sollte.

„Also, um es deutlich klar zu stellen. Wir sind eine der frei wählbaren Gruppen, bei denen du extra Noten für ein Fach bekommen kannst. Wir sind die Gruppe rund ums Thema „Übernatürliches, Spirituelles und der Geheimnisse der Welt.“ Bei uns geht es eben… nur darum.“ Oh wow, das klang sehr… interessant?

„Aber, wie macht ihr das mit den Noten? Haben wir einen Kursleiter oder so etwas?“

„Jup, so in der Art.“, meldete sich Albert, der sich vor das Buch gesetzt hatte, das alle vor unserem Eintreffen in den Bann gezogen hatte.

„Normalerweise ist ein Lehrer oder ein Zwölftklässler für die Gruppen zuständig, aber bei uns wollte keiner der Älteren und der Lehrer, der unsere Gruppe organisiert, kommt erst in drei Wochen.“

„Ah, der, von dem du gesprochen hast?“ Albert nickte zustimmend. Was auch immer, noch war er nicht da und würde mich eh nicht interessieren.

„Und, willst du uns trotzdem beitreten? Ist echt chillig und wir sind halt nur 11 Leute, 12 mit dir gerechnet.“ Nun, ich hatte so und so keine Lust auf mehr Leute und es klang auch interessant, also, wieso nicht.

„In Ordnung.“ Die Gesichter erhellten sich und schon war ich in die Gruppe eingespannt. Die Dynamik der Gruppe erinnerte mich stark an die von Thomas, Michi, Karo und mir. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mich hier sehr gut zurechtfinden würde.

 

 

So waren die nächsten zwei Wochen gefüllt mit Unterricht, den Gruppentreffen danach und die albtraumerfüllten Nächte, die sich langsam aufbauten und mir zu schaffen machten. Nach einer sehr langen Nacht, an einem Montagmorgen, ging es mir besonders schlecht. Ich hörte nur im Hintergrund, dass Jeromé mir sagte, ich solle mein Geschichtszeug einpacken, denn der Lehrer sei wieder da. Seufzend packte ich die dicken Bücher in meinen Rucksack und schlurfte hinter Jeromé her. Meine Augen waren schwer und ring mit dem Schlaf, der mich ständig übermannen wollte.

„Ey, Jack, dort geht’s nicht lang. Komm!“ Mein Zimmernachbar schubste mich in die richtige Richtung, in das Geschichtszimmer. Als ich nach vorne zum Pult blickte, war dort noch niemand, also hatten wir noch Zeit bis zur Stunde. Zeit, um zu dösen… Ich schlief ein, und bekam deshalb nicht mit, wie der Unterricht begann. Vor die Klasse stellte sich ein braunhaariger Mann in seinen geschätzten Dreißigern und stellte sich vor. Natürlich bekam ich davon nichts mit. Auf der Tafel schrieb er groß. „Larten Veltin“ in Schreibschrift.

„Ich bin schonmal hier an der Schule gewesen, das ist aber schon ein paar Jahre her, vielleicht kennen mich die ein oder anderen von euch. Ich habe vorher im Grundschulteil unterrichtet. Nun, ich bin der Fachlehrer für Geschichte und Geografie, also werdet ihr mich häufiger zu Gesicht bekommen.“ Die Klasse lachte kurz.

„Mir wurde mitgeteilt, dass ihr im letzten Schuljahr mit dem zweiten Weltkrieg angefangen habt. Auf Seite 124, Thema drei, nicht wahr?“ Das wurde ihm von einem Mädchen in der ersten Reihe bestätigt und er setzte daran an.

„Gut, kann mir wer sagen, wann…“, ich unterbrach ihn mit meinem Wimmern im Schlaf:

„Nein… bitte nicht…“

„Ich weiß, Geschichte mag nicht das interessanteste Fach sein, aber das jemand nach 20 Sekunden einschläft,“ er schnalzte mit der Zunge und zeigte einen Daumen nach oben, „Das ist eine Hammerleistung.“

Ein paar der Mädchen kicherten leise hinter ihren Büchern. Der Lehrer lächelte und fragte in die Runde, wer der Schüler hieß, der auf der Bank schlief. Nebenbei lief er zu Jeromé und mir nach hinten, da wir in der letzten Reihe saßen.

„E-Er heißt Jack, Herr Keltin, V-Veltin!“, Jeromé verzog sein Gesicht, als er den Namen des neuen Lehrers verwechselte. Doch das schien ihn nicht sonderlich zu stören, denn er wandte sich von meinem Banknachbarn mir zu und stützte sich mit einem Arm auf meiner Bank ab. Dann rüttelte er sanft an meiner Schulter, um mich aus dem Traumland zu befördern. „

Nein! Nicht!“ Veltin schnellte mit Leichtigkeit zurück, als ich mich mit Schwung aufrichtete und um mich schlug.

„Doch. Doch, du darfst heute nach dem Unterricht noch kurz sitzen bleiben.“ Keuchend blickte ich mich um und schaute dem Lehrer verwirrt hinterher. Wer zur Hölle ist das?!

„Wer ist das, Jeromé?“, flüsterte ich zu meinem Banknachbar.

„Unser neuer Geschichts- und Geografielehrer. Er heißt Larten Veltin.“ Seufzend setzte ich mich augenrollend ordentlich auf meinen Stuhl. Der Mann war derweil wieder genüsslich zur Tafel gelaufen und holte einen leeren Zettel hervor. Er notierte sich etwas. Beschämt blickte ich zur Seite.

„Also, ich versuche meinen Unterricht etwas unterhaltsamer zu gestalten, vielleicht schaffen es dann alle, wach zu bleiben.“ Dabei schaute er zuerst in die gesamte Klasse, dann zu mir. Sein Blick blieb an mir kleben. Erwischt zog ich den Kopf ein. Sein leicht spöttischer Unterton war mir nicht entgangen. Der Pauker machte es mir echt nicht leicht, ihn zu mögen. Herr Veltin hatte seinen „ersten Eindruck“ bei mir gründlichst vermasselt. Unhörbar leise seufzte ich und versuchte nun, mich doch dem Unterricht zuzuwenden. Es ging um den zweiten Weltkrieg, über den ich schon viel wusste, denn Vater hatte mir viel davon erzählt, was sein Großvater im Krieg geleistet hatte. Genau deshalb verging die Stunde schnell – wie Einstein sagte: „Zeit ist relativ, es kommt darauf an, was man tun will und auf das, was man tun muss.“

Als die Schulklingel ertönte, beendete der Mann die Stunde und alle Schüler, ausgeschlossen mir, stürmten aus dem Klassenzimmer in die Freiheit. Schon bald war es still im Zimmer, denn nur der neue Pauker und ich waren noch da. Herr Veltin packte seine Utensilien in einen braunen Koffer, von dem ich annahm, dass er diesen schon seit Ewigkeiten besaß, und schloss ihn mit einem leisen Klacken der Verschlüsse. Kurz darauf lief er, ohne dabei ein Wort zu sagen, nach hinten, schloss die dunkle, hölzerne Tür und setzte sich vor mir auf einer der Bänke. Er sah mich fordernd an.

„Also, warum schläfst du in meinem Unterricht?“ Seine Stimme klang ziemlich monoton, vollkommen anders, als die im Unterricht. Unhörbar schluckte ich und blickte mich nervös um, und blieb an seinem lila-karierten Holzfällerhemd hängen. Die Wörter kamen einfach aus meinem Mund heraus, meine Standartantwort, die ich jedem gab, der mich über diese Sache ausfragen wollte.

„Einfach so.“

„Einfach so?“, er klang nicht besonders überzeugt von meiner Antwort. Sofort merkte ich, dass er anders war als die meisten Lehrer hier, die darauf nicht herumhackten, wenn man etwas nicht erzählen wollte. Ohne darüber nachzudenken, kam dieser Satz aus meiner Kehle:

„Ja, einfach so…,“ ich schluckte und setzte eine Sprechpause, „Hab schlecht geträumt… sch-schlecht geschlafen!“ Ich versuchte sofort, meinen Fehler auszubessern, doch der Pauker hatte sich nicht verhört.

„Hast du Albträume? Sind es immer die gleichen Träume, oder verschiedene mit den gleichen Personen?“ Entsetzt blickte ich zu ihm hoch, doch ich vermied noch immer den Augenkontakt. Es war mir einfach zu unangenehm. Ich versuchte, mich zu fassen und mich aus der ganzen Sache herauszureden.

„Hmm, was wissen Sie schon davon? Sie kennen mich ja nicht einmal!“ Der Typ nickte und rieb sich das glatte Kinn.

„Ja, ziemlich viel, um genau zu sein. Ich hatte das gleiche Problem wie du. Jahrelang habe ich unter schlimmsten Albträumen gelitten. Das war keine schöne, geschweige denn ruhige Zeit.“ Überrascht blickte ich den Lehrer nun doch an.

„Und… jetzt nicht mehr?“

„Ja, jetzt nicht mehr. Wegen etwas ganz Bestimmten.“ Ah, ich ahnte schon, was er meinte.

„Ah, jetzt kommen Sie mir bestimmt mit einem Amulett oder so, das ich mir nachts unter mein Kissen legen soll, Tss…“

Es schien ihn aber überhaupt nicht zu jucken und er stand auf, um zurück zum Pult zu gehen. Dann holte er etwas aus seinem Koffer und lief genüsslich zurück zu mir. Langsam legte er einen kleinen golden Würfel vor mir auf den Tisch.

„Wow, ein Kubus, genial!“ Das hatte ich nicht erwartet, aber es war echt stupide von ihm.

„So habe ich auch reagiert, als ich ihn bekommen habe. Aber glaube mir- er hat mir geholfen.“ Ich verdrehte müde die Augen.

„Versuch’s doch einfach mal, im Idealfall hilft er dir, wenn nicht, dann suche mich noch einmal auf. Aber natürlich nur, wenn du möchtest, Jack.“ Nun klang er irgendwie doch wie ein Lehrer dieser Schule. Als ich wieder zu ihm blickte, lächelte er sanft. Kurz starrte ich ihn an, dann den Kubus und schnappte ihn mir dann, bevor es sich der Pauker anders überlegen können. Dann stand ich abrupt auf, riss meine Tasche vom Stuhl und eilte aus dem Zimmer. Ach du scheiße! Was war das eben? Wieso… habe ich mich auf den Typen eingelassen? Und wieso ist er so auf mich erpicht? Und die Sache mit dem Würfel ist auch sehr eigenartig. Ich schüttelte die Gedanken rund um Veltin ab und rannte eilig zur nächsten Stunde.

Jeromé saß geduldig im Chemieraum vor ein paar Chemikalien, die wir wohl nun in der Stunde behandeln beziehungsweise benutzen würden. Als ich mich neben ihn gesetzt hatte und meine Bücher und Stifte ausgepackt hatte, tippte er mich an. Sofort drehte ich meinen Kopf zu ihm.

„Über was wollte der neue Pauker mit dir reden? Weil du im Unterricht gepennt hast?“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Wieso fragst du mich, wenn du es schon weißt?“ Der Junge schnalzte mit der Zunge und grinste danach breit.

„Um mit dir ein Gespräch zu beginnen, Glühbirne.“ Wow, das war echt smooth von ihm, ich hatte damit gerechnet, dass er mich anmeckern würde.

„Äh, ja.“

„Du hast ganz schön laut geschrien, als du aufgewacht bist… hattest du einen Albtraum?“ Erwischt hielt ich inne.

„N-nein, nicht wirklich, ich wollte nur nicht, dass er mich anfasst.“ Der großgewachsene Teenager zog skeptisch eine Augenbraue nach oben, auch er schien nicht besonders von meiner Antwort überzeugt zu sein.

„Red‘ kein Stuss, ich sehe es dir doch an. Und wir schlafen im selben Raum, hast du das etwa vergessen? Jede Nacht höre ich dich, wie du im Schlaf wimmerst und schreist. Außerdem ist dein Bett immer klitschnass. Und dazu kommen noch deine nicht zu übersehbaren Augenringe, deine Laune und Aufmerksamkeitsspanne.“ Ich zog den Kopf ein und runzelte die Stirn. Ihm konnte ich schlecht etwas verheimlichen, was wahrscheinlich daran lag, dass er sich für Übernatürliches und Spirituelles interessiert, er hatte über die Jahre ein gutes Auge dafür entwickelt… Oder er hatte einfach nur Schlüsse aus seinen Beobachtungen gezogen, was eher der Fall sein wird. Seufzend gab ich mich geschlagen.

„Ja, ich habe Albträume. Und darüber hat auch der neue Lehrer mit mir gesprochen. Er… hat mir das hier gegeben.“ Ich holte den goldenen Kubus aus meiner Tasche und hielt ihn vor Jeromés Nase.

„Klingt echt banal, oder? Und… irgendwie verdächtig. Ich mein, wer gibt schon einem fremden Jungen so was Wertvolles?“

„Kein Plan, aber Veltin meinte, er habe selbst Albträume gehabt und das ihm der Kubus geholfen hat, diese zu überwinden. Aber ich glaube nicht, dass er irgendwie Kräfte besitzt, das ist nicht möglich.“ Mein Zimmernachbar stütze sich auf der Arbeitsfläche ab und starrte auf den goldenen Würfel.

„Wahrscheinlich hat er eine symbolische Bedeutung, etwas, an dem man sich in schwierigen Zeiten klammern kann. Sowas… in der Art.“ Dann richtete er sich wieder auf und wedelte mit der Hand.

„Also verlass dich nicht zu sehr darauf. Aber… ausprobieren kannst du es immer noch. Oh, der Lehrer ist da.“

„Seit wann bis du ein Musterschüler, haha!“ Ich stieß ihm in die Seite und er grinste nur breit.

Nach dem Unterricht hatten wir dann noch eine Gruppenversammlung. Gut gelaunt schlenderten Jeromé und ich in die Bibliothek, wo auch schon alle anderen warteten. Doch als ich zu der kleinen Gruppe blickte, fiel mir eine Person sofort auf. Herr Veltin saß zwischen Albert und Leila und hatte ein Buch aufgeschlagen. Ehhh!? Wieso ist der jetzt hier?! Ich zog Jeromé schnell ein paar Meter weg hinter ein Bücherregal.

„Oh man, wieso ist der jetzt hier?“ Er blickte mich fragend an.

„Albert meinte doch, der Lehrer, der für unsere Gruppe zuständig ist, kommt erst in 3 Wochen, die sind jetzt rum und er ist da. Aber ist es nicht logisch, dass ein Geschichtslehrer so einen Kurs übernimmt? Ich hatte mich schon gefragt, warum du trotzdem so gut gelaunt warst.“ Ich lies meinen Kopf sinken und trottete mit Jeromé zurück zur Gruppe. Der neue Pauker lächelte freundlich, als er mich erblickte. Der Typ gab mir echt Rätsel auf… Kann er sich mal entscheiden? Entweder er mag mich oder nicht??

„Gut, jetzt sind ja alle da. Bevor ich euch sage, was ich mit euch geplant habe, würde ich gerne eine kleine Vorstellungsrunde vorschlagen, damit ich alle mit Namen ansprechen kann.“

„Dann fangen sie an, Herr Lehrer!“, meinte Albert freundlich.

Herr Veltin lächelte sanft zu Albert.

„In Ordnung. Mein Name ist Larten Veltin und ich bin Geschichts- und Geografielehrer. Ich bin sehr an Fakten aus der Geschichte interessiert.“ Mehr wollte er wohl nicht erzählen.

„Okay, wie wäre es, wenn du weitermachen würdest?“ Dabei blickte er Albert an, der neben ihm saß.

„Ich bin Albert Hohenstein und gehe in die siebte Klasse. Ich komme aus Deutschland und mag alles rund um japanische Mythologien.“

„Ach, du bist in meiner Klasse, nicht wahr? Wir haben morgen eine Klassenleiterstunde zusammen.“ Argh, ich schwöre, der Typ hat eine gespaltene Persönlichkeit, so ultranett wie der gerade ist… Gelangweilt blickte ich zu Jeromé, der als nächstes an der Reihe war.

„Ich bin Jeromé Marcen und mich interessiert eigentlich alles, was irgendwie seltsam ist.“ Das riss mich aus meiner Ruhe. Er mag alle, das was seltsam ist? Heißt das, er ist nur so freundlich zu mir, weil ich so seltsam bin? Ugh, das verrät echt viel. Aber was ist überhaupt die Definition von „seltsam“?

„Hey, Jack, du bist dran.“

„Oh, ja. Also… Ich bin Jack von Janitzki, ich komme aus einer Stadt, die keinem etwas sagt und… ich interessiere mich für ägyptisches Zeug.“ Veltins Augen weiteten sich kurz, doch es war nur für einen Moment, denn als ich wieder zu ihm blickte, war sein Gesicht wieder neutral-freundlich. Ich bekam eine Gänsehaut als er sich wieder Notizen machte, dieses Mal aber in einem leicht vergilbten Notizbuch. Ich suchte dann aus purer Neugier und Trotz seinen Blick. Ich starrte ihn durchdringend an. Auch sein Blick blieb an mir kleben. Sein Mund öffnete sich kurz und er riss mich mit dem einen Satz völlig aus dem Konzept:

„Was ist denn, Jack? Möchtest du mir etwas sagen?“ Verwirrt blickte ich ihn an.

„Ähm… Uhh, nee, alles gut.“ Auf meine Antwort gab er ein Schulterzucken und er wendete sich den anderen Schülern hin, die sich vorstellten. Ich blieb verwirrt zurück. Warum… war der Typ nur so, ich verstand ihn überhaupt nicht? In meinem Verstand versuchte ich mit den Informationen, die ich von dem Mann namens Larten Veltin hatte, eine Antwort zu puzzeln. Aber es fehlten noch viel zu viele Teile und die Puzzle-Ecken waren noch nicht da, weshalb es schwer war, alles miteinander zu verbinden. Ich müsste also noch etwas warten, bis ich mir ein Bild von ihm machen kann.

„Ich möchte, dass ihr euch über die Göttermythologie der Griechen und alten Römer informiert und mir einen guten Bericht anfertigt. Vorher schreibt ihr bitte, was ihr zum jetzigen Zeitpunkt wisst und gebt es mir bis zum Ende der nächsten Woche ab. Ob ihr es mit einem Schreibprogramm oder per Handschrift erledigt, ist mir egal. Ich teile euch dann nach euren Wissenstand ein und kann euch dementsprechend unterstützen.“ Ein paar tuschelten aufgeregt miteinander. Dann meldete sich Albert zu Wort:

„Darf ich den Bericht auch mit einer Schreibmaschine schreiben?“ Oh Mann! Albert war echt eine Knalltüte!

„Wenn du das bevorzugst, gern. Hauptsache ich kann es lesen, Albert.“ Der Junge hatte eigentlich versucht, dem Lehrer auf die Nüsse zu gehen, aber als er bemerkte, dass er das nicht erreicht hatte, grinste er nur noch bedrückt und schwieg den Rest des Treffens. Herr Veltin lies sich echt schwer beeinflussen, was ein paar Schüler schmerzlichst bemerkten, als sie in der nächsten Woche den Bericht nicht geschrieben hatten und er sich nicht darauf einlies, eine Woche lang zu verlängern und ordnete sie einfach in eine Gruppe zu. Damit machte er sich nicht sonderlich beliebt, aber irgendwie konnte er sich magisch aus der gesamten Situation mit seinem (blergh, natürlichen) Charme herausreden. Er war bei vielen beliebt, nur bei Jeromé, Albert, Leila und mir war das nicht der Fall. Wir waren fest zusammengeschweißt, besonders nachdem ich ihnen erzählt hatte, was mir mit Veltin wiederfahren war. Auch über meine Albträume sprachen wir oft. Es fühlte sich gut an, mit anderen darüber zu sprechen und mich nicht vor ihnen verstellen zu müssen. Dad freute sich, dass ich mich gut eingefunden hatte und war sich dem nun sicher, dass es eine gute Entscheidung war, mich an diese Schule zu schicken.

„Und dieser Lehrer, wie hieß er gleich nochmal?“

„Larten Veltin. Er ist irgendwie seltsam. Uwahh~ Bin ich müde. Ich denke, ich geh jetzt mal schlafen. Auch wenn es nicht gerade meine Lieblingsaktivität ist.“

„In Ordnung, Großer. Bis bald.“ Ich verabschiedete mich von ihm und beendete den Anruf. Dann legte ich mein Handy auf den Boden zu meinen Anziehsachen. Aus der Hosentasche lugte eine Ecke des goldenen Kubus hervor. Den hatte ich total vergessen. So beugte ich mich vom Bett herunter und schnappte ihn mir.

„Als ob der was bringen wird. Aber naja, kann ja nicht schaden, ihn auszuprobieren.“, murmelte ich leise und umgriff ihn fester, als ich die Augen schloss. Schnell driftete ich ab.

Wie immer wachte ich in meiner Traumwelt auf und blickte mich um. Dieses Mal war ich nicht im üblichen Raum, sondern in einem pechschwarzen, stillen Zimmer ohne ersichtlichem Ende und Anfang. Morpheus saß auf dem alten Sessel und summte ein Lied vor sich hin. Als er ein Auge öffnete, erblickte er mich und grinste zufrieden. Ohne nur darüber nachzudenken stürmte er auf mich zu und streckte eine Hand nach mir aus.

„…“ Er sagte kein Wort. Auch als er den Mund öffnete, verstand ich kein Wort. Als ich nicht auf ihn reagierte, formte sich seine übliche Grimasse zu einer hässlichen, wütenden Fratze und er wollte mir seine Faust in mein Gesicht schmettern. Ich hob meine Arme schützend über mich und bereitete mich auf Schmerzen vor, doch als nach ein paar Sekunden nichts passierte, traute ich mich aufzusehen. Seine Hand war durch mich hindurchgeflutscht, so, als wäre er oder ich ein Geist. Erstaunt blickte ich ihn an. Aber Morpheus schaute nicht mich an, sondern… das Ding in meiner Hand an. Es leuchtete hell und auf den Seiten konnte ich ägyptische Zeichen, Hieroglyphen erkennen. Dieser… Kubus, er... half tatsächlich! Veltin hatte mich nicht angelogen. Breit lächelnd drehte ich mich um und ignorierte Morpheus einfach, so, als wäre er gar nicht da. Ich schloss die Augen und stellte mir etwas Schönes vor. Eine lustige Stunde mit Daniel, als er mir einiges über ägyptische Geschichte erklärt hatte. Nun öffnete ich meine Augen wieder und sah meine Erinnerung vor mir. Ich wusste, dass Morpheus hinter mir stand und es sich mit ansah.

„Du… bist echt wie dein Vater, kleiner Jack.“ Langsam blickte ich nach hinten und sah Morpheus, der mich anstarrte. Wie… will er das wissen? Außerdem bin ich überhaupt nicht wie mein Vater, ich war zwar stur, aber ich hatte keinen Stock im Hintern wie er.

„Das stimmt nicht. Wir sind grundverschieden.“ Morpheus seufzte.

„Du weißt es also immer noch nicht. Nun, du wirst es schnell genug erfahren, wenn du nachforschst.“ Was meinte er damit? Nachforschen? Über wen? Über meinen Vater, Richárd von Janitzki? Was soll ich schon Großartiges über meinen alten Mann herausfinden?

„Hey, was…“ Doch er ignorierte mich und der Rabenmann setzte sich wieder auf den Sessel. Sein Blick lag nun in der Ferne. Es war mir ganz recht so, auch wenn ich trotzdem sehr gern erfahren hätte, was er verdammt nochmal damit meinte! Doch ich hatte keine Chance, zu ihm zu gehen, denn ein Ruck durchfuhr mich und dann blinzelte ich in ein aufgeregtes Gesicht von Jeromé.

„Alter, ich hab draußen auf dem Gang was gehört!“ Brummelnd setzte ich mich auf.

„Das war doch sicher nur ein Schüler…“ Doch er schüttelte heftig mit dem Kopf.

„Als ich nach draußen geschaut habe, war da niemand, das Licht war auch aus… Es klang so, als würde jemand an den Wänden kratzen…“ Mein Zimmernachbar hatte eine extreme Gänsehaut bekommen. Er hatte wohl ziemlich Schiss. Seufzend nahm ich meine Taschenlampe und folgte, nein, führte ihn aus dem Zimmer. Ich blickte mich in der Umgebung um, doch nichts war zu sehen.

„Mann, das hast du dir echt eingebildet.“

„Nein, ganz sicher nicht. Das haben wir doch besprochen… Eins der Schulgeheimnisse… Das kratzende Gespenst Wendelin… Es heißt, er war früher mal hier an der Schule… und hat sich hier wegen Mobbing umgebracht… Die Kehle aufgeschnitten und so.“ Ich rollte die Augen genervt und zog ihn zurück ins Zimmer.

„Geh‘ schlafen. Ach, er hilft, der Kubus.“

„O-okay… Leihst du ihn mir?“

„Was? Du brauchst ihn doch nicht wegen so einen kleinen bisschen Humbug.“ Grummelnd wankte er zu seinem Bett und kletterte die Leiter hoch und zog die Decke hoch bis zum Kinn.

„Gute Nacht.“, sagte ich und fiel sofort wieder in den Schlaf.

Kapitel 4 - Die Sommerferien

Nachdem Herr Veltin mir den Kubus geliehen hatte, konnte ich nun endlich wieder normal schlafen. Naja, relativ normal, denn Morpheus sah ich trotzdem noch, nur konnte er mir nichts mehr antun. Er starrte mich durchgehend an, mit einem Grinsen auf dem Gesicht, welches mir eiskalte Schauer über den Rücken liefen lies.

„Weißt du, was ich mich ständig frage, kleiner Jack?“ Ich verzog mein Gesicht zu einer Fratze.

„Nein, und ich wills auch gar nicht wissen.“ Sein Grinsen verschwand urplötzlich und er trat ein paar Schritte näher zu mir.

„An deiner Stelle würde ich jetzt aber genau zuhören, es könnte sehr wichtig sein…“ Okay, da hatte er recht. Durch seinen ernsten Tonfall und seiner Wortwahl konnte ich mich meiner Neugier nicht entziehen, egal wie sehr ich es vermeiden wollte. „…“ Morpheus grinste breit und öffnete die Arme theatralisch.

„Bald habe ich eine Überraschung für dich… Wenn du in den Sommerferien nach Hause zurückkehrst…“ Halt, was sollte das heißen? Eine Überraschung? Ugh, was auch immer es ist, es wird mir sicherlich keine große Freude bereiten, das stand fest.

„Hey, was soll das heißen?!“ Der rabenmaskierte Mann hob einen Zeigefinger und schüttelte ihn ermahnend.

„Aber, aber, wenn ich dir etwas sagen würde, wäre es doch keine Überraschung mehr. Aber in der Hinsicht bist du deinem Vater erstaunlich ähnlich, kleiner Jack. Auch er konnte sich nie gedulden.“ Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Woher kannte Morpheus meinen Vater? Fragend und gleichzeitig entsetzt starrte ich ihn an.

„Was meinst du damit? Woher kennst du meinen Vater?“ Seine Augen weiteten sich ein wenig, nur für ein paar Millisekunden, dann fasste er sich wieder und rückte seine Maske zurecht.

„Du weißt also nicht Bescheid… Nun ja, solltest du dein Gehirn mal ein wenig mehr einsetzen und nachforschen, wirst du früher oder später darauf kommen.“ Seine Worte ließen Funken von Wut durch mein Körper springen. Ich wollte ihm ein paar Schimpfwörter auf den Kopf werfen, doch nach reichlicher Überlegung lies ich dies und schluckte die Wut herunter. Irgendwo hatte er ja recht damit. In den Jahren, in denen ich noch Zuhause war, hatte ich mich nie bemüht irgendetwas über Daniel oder meinen Vater herauszufinden. „Na, hat das dir die Sprache verschlagen, Kleiner? Aber auch egal.“ Mit einem Ruck drehte er sich um und schon riss mich eine Welle aus dem Raum.

Ich kam zu mir und hörte meinen Wecker piepsen. „Ey, Jack… Wach‘ doch endlich auf…“ Mit einem Handgriff beendete ich das Gedudel und stand sofort auf.

„Letzter Schultag vor den Ferien, geil!“ Motiviert sprang ich aus dem Raum ins Bad. Endlich konnte ich mich wieder mit meinen Freunden Zuhause treffen. Doch die Erkenntnis über den Traum lies mich stoppen. Was auch immer Morpheus plante, ich musste auf alles gefasst sein. Ich zerbrach mir den ganzen Schultag lang den Kopf darüber, was die Überraschung sein würde. Im Gemeinschaftsunterricht skizzierte ich meinen Stammbaum und schrieb Informationen auf, welche ich über die jeweiligen Personen wusste. Als ich fertig war, überkam ich ein Gefühl der Leere. Ich wusste nicht viel über die Personen, die mir nahestanden. Ich wusste nicht einmal, wer meine Großeltern sind, weder väterlicher- noch mütterlicherseits. Die Vergangenheit meines Vaters war mir schleierhaft und an meine Mutter konnte ich mich kaum erinnern. Vater hatte mir zwar oft über sie erzählt, aber es kam mir so fern vor. Auch die Geschichten über Großvater, dessen Name er mir nie erzählt hatte, waren so… unreal. Es passte einfach nicht ins Bild. Ich passte nicht ins Bild.

„Hey, Jack? Was machst du denn da die ganze Zeit?“, flüsterte mir Jeromé zu. Ich schüttelte den Kopf und schob seine Hand zu Seite, als er nach dem Blatt griff.

„Sorry, Kumpel, aber das möchte ich dir nicht zeigen.“ Der große Junge verdrehte die Augen und widmete sich dem Unterricht zu. Das machte er selten, es sei denn es war Kunst oder Sport. Aber das war mir im Moment so ziemlich egal, denn ich war so vertieft in meinen Gedanken, dass der Tag an mir vorbeizog, ohne, dass ich davon etwas bemerkte. Am Abend packte ich meine Sachen in meinen Koffer.

„Man, hast du es gut.“ Ich war überrascht von dem Gemurmel über mir. Aber halt, sowas in der Art hatte Jeromé einmal erwähnt… Er geht wohl auch dieses Mal nicht nach Hause. „Sag mal, wie ist es bei dir Zuhause so?“ Ich öffnete kurz den Mund, doch es fiel mir nicht viel ein.

„Nicht besonders aufregend. Aber was erwartet man von einer Kleinstadt irgendwo in Wales. Wir haben nur einen Supermarkt in der ganzen Stadt und die einzige Schule, die wir haben, wird nicht benutzt. Man kommt dort nur schlecht hin, mit dem Auto geht es noch, aber mit Zügen kannst du schlecht rechnen. Es kommt gerade mal aller zwei Stunden einer. Außerdem ist es ziemlich bergig, unser Schloss steht auf einem verdammten Berg. Kannst dir ja vorstellen, wie bescheuert es ist, dort jedes Mal hochzulaufen. Und…“

„Hab schon kapiert. Du kommst aus irgendeinem Kaff aus dem Nirgendwo. Aber immer noch besser als… Ach, weißt du was? Vergiss, was ich dich gefragt habe. Ich gehe jetzt schlafen.“ Das Doppelstockbett knarzte kurz durch seine Drehung, doch dann war Ruhe. Auch, als ich ihn nochmal kurz ansprach kam nichts von ihm. Uff, was auch immer in seinem Kopf vorging, ich konnte es nicht erraten. Leise stopfte ich das letzte T-Shirt in meinem Koffer.

„Gute Nacht, Jeromé.“ Ich schloss meine Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.

In meinem Traum stand ich Zuhause in meinem Zimmer und spielte mit meiner Pyramide. Ich war in meinem alten Kinderzimmer, das, welches ich hatte, bevor ich zehn Jahre alt wurde. Plötzlich öffnete sich die Tür und mein Vater trat ein. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen und irgendwie war er komisch. Ich konnte nicht beschreiben, was es genau war, aber irgendwas wollte nicht so ganz stimmen. „Papa? Was ist?“ Er senkte seinen Blick und schaute mich kalt an. „Papa?“ Seine große Hand griff nach meiner Schulter und zog mich vom Bett.

„Wer hat dir erlaubt, mich so zu nennen? Ach, stimmt ja… Du weißt ja gar nicht, dass ich dich nur adoptiert habe…“

„A-aber…“ Ein Zug an meinem Arm lies mich vor Schmerz zusammenzucken.

„Mein richtiger Sohn würde mich niemals im Stich lassen… Aber du… du kannst ja nicht einmal deine Aufgaben lösen. Aus dir kann ja nichts werden.“ Entsetzt blickte ich meinen Vater an.

„D-das stimmt doch gar nicht, ich…“ Eine Ohrfeige stoppte mich mitten im Satz.

„Hör‘ auf mich anzulügen. Wer hatte denn gesagt, er „wolle aus diesem Loch heraus“, hm?! Ja, genau, du warst das.“ Schnell rückte ich weg von dem Mann vor mir. „Weißt du was? Ich bringe dich hier weg, so wie du es wolltest.“

„W-was? Wohin…“ Mit einem Ruck zog er mich durch das Zimmer in den Gang.

„Wohin? Ins Waisenheim natürlich. Da bist du am besten aufgehoben. Dort kommen nur Kinder hin, die keine Eltern mehr haben.“ Entsetzen traf mich mit voller Wucht in den Magen und ich zog an seinem Arm, so gut ich konnte.

„Nein! Bitte, nicht! Ich… Ich will nicht ins Waisenheim! Bitte, alles nur das nicht, ich werde auch immer das machen, was du sagst, aber bitte gib mich nicht weg!“ Doch es schien ihn nicht zu stören.

„Nein.“ Dieses Wort war wie ein Richterhammer, der mit voller Wucht auf mich zuraste. Tränen bildeten sich in meinen Augen und trübten meine Sicht. Das… ist nur ein Traum… Bitte, lass mich einfach aufwachen… Doch mein Kopf entscheid sich, mir mehr von diesen beängstigenden Bildern zu zeigen. Es ging so weit, dass er mich ins Auto zog, zum Waisenheim fuhr und dort abgeben wollte. Als wir vor dem Gebäude standen, begann mein Puls zu rasen und meine Atmung wurde unregelmäßig.

„Nun mach schon. Lauf!“ Er schubste mich von hinten und ich fiel vor Schreck auf die Knie. Das nächste, was ich vernahm, war eine Drehung und die Schulter meines Vaters, auf die er mich gehoben hatte. Er hielt mich fest und trug mich in das Haus. Es war dunkel und furchteinflößend und der Mann, der uns in den Empfang nahm, war ein Priester mit großer Brille.

„Ah, du musst Jack sein. Wir haben schon ein Zimmer für dich. Verabschiede dich noch und dann kommst du mit mir mit, ja?“ Ich drehte mich zu meinem Vater, der mir keine Beachtung schenkte und sich sofort umdrehte. Ich blickte auf seinen Rücken, der immer kleiner wurde. Tränen tropften auf den Boden und ich rannte hinter ihm her.

„Nein! Papa, lass mich nicht allein! Bitte…“ Ich konnte ihn nicht erreichen. Als er nur noch eine kleine Figur in der Ferne war, keimte neben der Trauer auch noch Wut in mir auf. Ich starrte auf meine kindlichen Füße und ballte die Fäuste. „Ich hasse dich, Papa!“

Mit diesen Worten im Kopf wachte ich auf. Es war früh am Morgen und die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch die Spalten der Vorhänge ins Zimmer. Meine Wangen waren nass und mein Bett war gleichermaßen feucht. Leise stand ich auf und schlich aus dem Zimmer. Der Gang war still, aber ich konnte Licht aus dem Wohnleiterzimmer erkennen und lief dort hin. Ich klopfte leise. Erst war nichts zu hören, doch dann knarzte es kurz. Die Tür ging kurz danach auf und ein in Schlafhemd und Boxershorts-bekleideter Veltin stand vor mir.

„H-Herr Veltin?“ Meine Stimme war zittrig.

„Jack? Alles gut? Du bist ja völlig durchgeweicht… Komm rein.“ Sanft drückte er mich in den Raum und schloss die Tür. Herr Veltin reichte mir eine Decke, die ich mir sofort um meinen kühlen, verschwitzten Körper wickelte. Er half mir, mich aufs Sofa zu setzen.

„Möchtest du etwas trinken? Kaffee, Wasser, Tee…?“

„Tee…“ Der Pauker lächelte mich sanft an, bevor er sich dem Teekessel widmete. Die Flüssigkeit blubberte in dem Kessel. Und schon bald füllte ein Tee-Aroma den Raum.

„Möchtest du Milch und Zucker?“

„Nur Milch bitte…“ Ich drückte mein Gesicht in den weichen Stoff der Decke. Ein Stupser auf meiner Schulter lies mich aufschauen. Veltin hatte ein Serviertablett mit zwei Tassen und dem Teekessel in der Hand, mit der anderen hatte er mich auf sich aufmerksam gemacht. Er stellte die Dinge auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa und setzte sich neben mich.

„Hier, dein Tee…“

Ich nahm einen Schluck. Die heiße Flüssigkeit brannte herrlich auf meiner Zunge und das Aroma breitete sich in meinem ganzen Mund und Rachen aus. „Hattest du einen Albtraum?“ Ich nickte stumm und blickte auf meine Zehen, die unter der Decke hervorschauten. „Wieder derselbe?“ Schnell schüttelte ich den Kopf.

„Diesmal war es was anderes. Aber…“ Ich stoppte mitten im Satz. Konnte ich den neuen Pauker das erzählen? Die ganze Story klang so kindisch. Naja, kein Wunder, in dem Traum war ich ein Kind gewesen, hilflos und allein. War das Heimweh, oder ein Resultat aus dem, was am Vortag passiert war? Wahrscheinlich ein Mix aus beidem. „Wenn du es mir nicht erzählen möchtest, ist das in Ordnung. Aber dann kann ich dir nicht viel helfen, verstehst du das, Jack?“ Ich nickte und nahm noch einmal einen Schluck von dem Ceylon-Tee.

„Ich habe davon geträumt, dass mein Vater mich als Kind in ein Waisenheim gibt.“ Der Mann neben mir nahm einen Schluck seines Tees und stellte die Tasse dann vor uns auf den Tisch.

„In ein Waisenhaus… Wieso das denn?“ Ich blickte ein wenig in seine Richtung.

„Naja… Mein Vater… ist ziemlich streng. Er will, dass ich später einmal das Schloss erbe und Arzt werde, so wie er. Aber… ich habe nie so wirklich auf ihn gehört als Kind und nur Unfug angestellt. Und ich will nicht ewig in dem Schloss bleiben.“ Vor meinem inneren Auge sah ich die Szenen erneut und fühlte mich zurück.

„Jack?“ Meine Sicht verschwamm durch meine Tränen.

„Er hat gesagt, dass ich nie etwas auf die Reihe bekomme und er froh sei, weil er mich ja nur adoptiert hat. Sein richtiger Sohn würde ihn nicht enttäuschen.“ Eine große Hand landete auf meine Schulter. Als ich aufschaute, blickte ich auf meinen Vater, der mich kalt anblickte und seinen Finger hob.

„Aber, aber… Du bist ein großer Junge, du sollst doch nicht weinen. Du hast das dir selbst zuzuschreiben. Hättest du auf mich gehört, dann müsste ich das nicht tun.“ Ein Wimmern bahnte sich durch meine Kehle.

„Es tut mir so leid, Papa…“ Doch er schüttelte nur mit dem Kopf und zog an meiner Hand.

„Und dieses Ding gibst du jetzt mir. Wenn du ins Waisenheim kommst, brauchst du das nicht mehr.“ Vater nahm mir die Pyramide weg und lies sie einfach nach unten fallen. Sie zersprang in tausend Stücke.

„Nein!“

„Jack! Alles okay?“ Herr Veltin hatte sich vor mich gestellt und rüttelte an meinen Schultern. Ich atmete tief ein und blickte ihn mit großen Augen an.

„Was… war? Häh?“ Ich blickte zu Boden und sah die Splitter der Tasse, die ich eben noch gehalten hatte. „Ah, t-tut mir leid, d-das wollte ich n-nicht…“

„Mach‘ dir keine Sorgen um die Tasse. Geht es dir gut? Du warst plötzlich weggetreten…“

Ich hielt mir den Kopf in Verwirrung. „Ich habe… an den Traum gedacht und dann… Er stand vor mir, mein Vater… und hat mit mir gesprochen. Und…“

„Langsam… Du musst dich nicht zwingen.“ Ich seufzte und atmete tief ein und aus.

„E-es ist so seltsam… Ich wusste nicht mehr, ob das echt war, oder nicht.“ Herr Veltin blickte mich besorgt an.

„Das kommt von deinem Schlafmangel. Und da dein Körper sichtlich mehr Ruhe bekommen hat, versucht er nun alles zu verarbeiten. Du hast viel geschwitzt und bist unterkühlt. Da kann es schon mal vorkommen, dass man Halluzinationen bekommt.“ Ich drückte meinen Kopf gegen seine Brust. „Hast du… irgendetwas Einschneidendes erlebt?“ Schnell schüttelte ich mit dem Kopf. Das wollte ich ihm nicht verraten, außerdem würde er den Kontext nicht verstehen. Alles wollte ich ihm nicht beichten. „Es war also irgendwas. Und das macht dir zu schaffen?“

„Ja…“ Nun blickte ich doch zu ihm hoch. „Tut mir leid… Sie damit noch extra zu belasten, so früh am Morgen.“ Er lachte kurz.

„Berufsrisiko. Nein Scherz, alles gut, dafür sind wir doch da. Wärm‘ dich erst einmal gut auf und entspanne dich, sonst wird dir nicht viel besser werden.“ Veltin wickelte die Decke mehr um mich und blickte mir in die Augen. „Noch da?“ Ich nickte und umklammerte meinen Körper.

„Aber warum hat der Kubus nicht geholfen?“ Zuerst bekam ich keine Antwort von dem braunhaarigen Mann, doch als er sich wieder neben mich setzte, erklärte er sich.

„Nun, ich hatte dich gewarnt, dass er dir nicht immer helfen kann. Ich weiß auch nicht so recht, warum das so ist.“

Betrübt und enttäuscht senkte ich den Blick. „Verstehe.“

„Wenn es dich so sehr beeinflusst, dann musst du dir Hilfe suchen, Jack.“

„Habe ich doch schon! Aber es hat nicht geholfen. Was soll ich denn sonst noch tun?! Es hat keine physische und psychische Ursache! Ich habe es allen gesagt… ER existiert wirklich… Aber niemand nimmt mich ernst.“ Nun wurde der Geschichtslehrer hellhörig.

ER existiert? Wer ist er?“ Ich zuckte zusammen. Da war es mir wohl herausgerutscht.

„D-Der Mann, der in meinen Träumen ist. Morpheus. Er versucht ständig, mich umzubringen. Ich meine, wie irre ist das bitte?! Er spricht mich direkt an, kennt meinen Namen, er weiß wo ich wohne und vor allem scheint er meinen Vater zu kennen… Das macht mir Angst!“

„Ja… Das sehe ich dir sehr gut an. Und auch ich hätte Angst, wenn mir das passieren würde.“

„Sie… denken also nicht, ich sein vollkommen durchgedreht?“ Leicht rutschte er zu mir und blickte mich direkt an.

„Nein, sonst würde ich dir nicht zuhören. Sag, wann hast du ihn zum ersten Mal gesehen?“ Genau diese Frage lockte mich sofort aus meiner Reserve. Ich konnte diesem Mann vertrauen. Bisher hatte mir niemand so seine volle Aufmerksamkeit geschenkt.

„Kurz nachdem ich in das Haus meines Privatlehrers eingedrungen bin, um etwas über sein Verschwinden herauszufinden.“

„Und warum denkst du, dass er real ist? Nur Träume sollten dich nicht so gestimmt haben?“

Zögerlich rieb ich an meiner Nase, doch als ich sein ernstes Gesicht sah, sprudelten die Wörter nur aus mir heraus: „Die SMS, Briefe und Verfolgungen. Aber ich weiß immer noch nicht, was er von mir will. Ich habe ihn immer wieder gefragt, aber er weicht der Frage aus. Oder er schweigt einfach nur oder grinst mich wie immer nur irre an.“ Bei Veltins Ausdruck auf dem Gesicht erkannte ich, dass der Mann wirklich daran interessiert war, was sich in meinem Kopf abspielte.

„Er scheint auf etwas zu warten.“ Mein Körper lief heiß an.

„Auf etwas warten?“ Es machte klick in meinem Kopf. Hatte Morpheus nicht gesagt, ich solle meinen Kopf mehr anstrengen, dann fände ich etwas heraus? „Ich glaube, ich weiß, was er will.“ Sanft befreite ich mich aus der Decke.

„Gut, ich freue mich, dass ich dir helfen konnte. Aber die Sache mit deinem Vater… Du fährst doch heute nach Hause? Sprich doch mit ihm darüber. Vielleicht hilft das.“

„I-ich kann es nur versuchen. Danke, Herr Veltin.“ Sein sanftes Lächeln war ein Segen.

„Gern geschehen. So, nun räumen wir das da noch weg, dann gibt es Frühstück. Nun, ab mit dir, Jack.“ Freundlich scheuchte er mich aus dem Raum.

 

Herr Veltin hatte magische Kräfte. So kam es mir jedenfalls vor, als ich den Raum erfrischt verlies. So gut wie es mir in dem Moment ging, sollte es mir in den nächsten Wochen, die folgten, nicht gehen. Nach dem Unterricht wartete ich draußen vor dem Internat auf meinen Vater. Gebannt starrte ich auf mein Smartphone, um eine Nachricht von Thomas abzuwarten. Aber sie wollte einfach nicht ankommen.

„Mistverbindung hier… Da ist das ja besser bei uns im Kaff.“ Ich verdrehte die Augen und blickte nach vorn auf die Straße. Genau in dem Moment zog das Auto meines Vaters um die Ecke auf den Parkplatz. Grinsend steckte ich das kleine elektronische Gerät in meine Jackentasche und lief auf das Auto zu, das nicht unweit von mir angehalten hatte.

„Hi, Sportsfreund. Wie geht es dir?“ Als ich meinen Vater erblickte, rauschte kurz das Gefühl von heute Morgen in meinen Bauch.

„G-ganz gut.“ Vater schaute mich halb belustigt, halb ungläubig an.

„Okay. Dann steig mal ein.“ Etwas zittrig öffnete ich die Tür und schmiss meinen Koffer auf die Rückbank. Dann schüttelte ich den Kopf und kniff mir in meine Hand. Komm schon, das von vorhin war nur ein Traum, reiß‘ dich zusammen, Jack!

Mit einen großen Schritt begab ich mich auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. „Wenn wir zurück sind kannst du dich gern mit deinen Freunden treffen.“

„Äh, ja.“ Dann war es still, als er den Motor startete und vom Internat fuhr. Seufzend entfilzte ich meine Kopfhörer. Ich wollte nicht mit meinem Vater darüber reden, auch wenn Herr Veltin meinte, ich sollte dies tun.

„Dein Lehrer, Veltin hieß er glaub ich, hat mich vorhin angerufen. Er meinte, dir ging es heute früh nicht besonders gut.“ Mein Körper erstarrte. Na klar hatte er dies getan, was sonst! Ich ballte meine Faust in meiner Jackentasche.

„A-also, naja… Ich hatte einen Albtraum.“ Ich hörte ein leises „Hmm.“

„Und, war es wieder über diesen Morpheus?“ Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, sog die Luft durch meine Nase und öffnete meinen Mund. Aber es kam nur kurz ein „Also…“

Im Rückspiegel konnte ich erkennen, dass Vater mich kurz anlinste, dann wieder auf die Straße schaute. „Nein, es ging um etwas anderes. Aber es war ein echt dämlicher Traum. Ich weiß nicht, wieso ich sowas Dämliches geträumt habe. Ganz kann ich mich nicht erinnern.“ Ein lauter Seufzer lies mich in meinem Sitz aufschrecken.

„Lass es, ich weiß, dass du lügst. Du wirst unhöflich, wenn du lügst.“ Ich konnte echt nichts vor meinem Vater verbergen. Trotzdem wollte ich es ihm nicht erzählen. Aus Angst, dass sich meine Befürchtungen bewahrheiteten und aus Stolz vor meinen exzentrischen Vater. Wieso sollte ich es ihm erzählen? Nur, dass er wieder auf mir herumhakt was ich für ein kleines Kind bin? Nein danke, das spare ich mir.

„Ich möchte es dir nicht erzählen. Weil ich weiß, wie du darauf reagierst. Du nimmst mich ja nicht ernst. Vor anderen tust du immer total verständnisvoll, bist es aber gar nicht. Für dich bin ich ein kleines Kind, sobald ich dir meine Probleme schildere.“ Sein Griff um das Lenkrad verstärkte sich. Mein Herz pochte wie wild. Hatte ich es zu weit getrieben? Aber er sagte nichts, er blickte nur wütend auf die Straße. So blieb es auch eine ganze Weile. Niemand von uns beiden traute sich, etwas zu sagen.

„Die Suche nach Daniel wurde eingestellt. Er wurde als tot erklärt. Tut mir leid, Jack.“ Schnell schüttelte ich den Kopf. So traurig, wie es klang, es machte mich nicht verrückt, denn ich wusste, dass der Augenblick für diese Entscheidung kommen würde.

„Ich wusste, dass es so kommen wird. Aber trotzdem gebe ich nicht auf. Ich glaube daran, dass Daniel irgendwo noch am Leben ist.“ Mein Vater schüttelte traurig mit dem Kopf. So hatte ich ihn selten erlebt. Es traf ihn wohl sehr stark, dass Daniel tot war.

„Er war mein bester Freund in der Schule. Daher kenne ich ihn gut.“

Das war mir neu. Ich wusste zwar, dass Dad und Daniel sich gut kannten, aber dass sie schon seit der Schule befreundet waren… Kein Wunder, dass diese Nachricht ihn so traf. „Tut mir leid, Dad.“ Der Mann neben mir lachte kurz heiser.

„Warum entschuldigst du dich? Du kannst doch dafür nichts.“

„Es fühlt sich aber für mich so an.“ Klar wusste ich, dass ich nicht für Daniels Verschwinden verantwortlich war, aber irgendwas in mir hatte eine ganz andere Meinung darüber. Leicht berührte ich meine Brust, genau dort, wo mein Herz lag. Genau dort kam das Gefühl her. Fest ballte ich meine Faust und sah auf die Straße. Ich werde nicht aufgeben, bis ich etwas darüber weiß, und wenn es mich einen Arm oder ein Bein kostete.

„Übrigens Vater, dieser Typ… Morpheus scheint dich zu kennen.“

„Was? Das ist mir aber neu. Was hat er denn zu dir gesagt, was dich so sicher macht?“

Bedrückt blickte ich auf meine Hände, die ich zusammengefaltet hatte. „Es ging um eine Überraschung seinerseits. Ich hatte ihn gefragt, was er damit meinte. Da kam er mir mit diesem Satz: „Aber in der Hinsicht bist du deinem Vater erstaunlich ähnlich, kleiner Jack. Auch er konnte sich nie gedulden.“ Komisch, oder? Du bist doch richtig geduldig?“ Er nickte und war in Gedanken versunken. Nach ein paar Sekunden veränderte sich sein Gesicht urplötzlich. Entsetzen schmückte seinen gesamten Körper. „Dad? Was ist los?“ Schnell schnappte er aus seiner Trance und blickte zu mir.

„Nichts, alles gut. Der Typ hat mal wieder Mist erzählt, um dich aus der Bahn zu werfen. Lass dich nicht von ihm beeinflussen, Jack.“

Nachdem mein Vater mir diesen Blick gezeigt hatte, nahm ich ihm diesen Satz nicht ab. Wäre ich ein paar Jahre jünger gewesen, hätte ich ihm vielleicht noch geglaubt, doch jetzt dachte ich viel mehr über die Gesichtszüge und Bedeutung der Worte Anderer nach. „Okay.“

Wenigstens lächelte mein Vater wieder. Und das war mir wichtig, auch wenn wir uns nicht mehr so gut verstanden wie früher. Nichts war für mich schlimmer, als in das Gesicht eines traurigen Menschen zu sehen.

 

Nach einer ewig langen Fahrt waren wir wieder in meiner Heimatstadt angekommen. Die Sonne ging langsam unter und die Stadt war in rotes Licht gehüllt. Ein Gefühl von Heimat und Gewissheit überkam mich. „Ich setz‘ dich am Sportplatz ab. Thomas wartet dort.“

„Nur Thomas? Was ist mit Michi und Karo? Sind die nicht da?“ Dad zuckte mit den Schultern.

„Nein, sie sind unterwegs. Bei ihren Großeltern.“ Laut seufzte ich und stieg aus dem Auto.

„Schön, dass mir das niemand sagt. Aber gut, wenigstens ist Thomas da.“ Mit Schwung schloss ich die Autotür und schulterte meinen Rucksack. Am Eingang des Sportplatzes erkannte ich meinen Freund, der sich zu mir umdrehte, als er meine Schritte hörte.

„Jack!“ Thomas eilte zu mir. Als er vor mir stand, staunte ich nicht schlecht. Er war um einige Zentimeter gewachsen und hatte sich seine Haare gefärbt, naja, jedenfalls einige seiner Strähnen.

„Hi… Alter, was hast du denn gemacht, Kumpel? Bist du durch eine Färbemaschine gelaufen?“ Dafür erntete ich ein kurzes Lachen.

„Nein, ich wollte einfach mal meine Haare färben. Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Schön, dass du da bist.“ Es hatte sich nicht nur sein Aussehen verändert. Seine Stimme war plötzlich so tief und er sprach anders, als ich es gewöhnt war.

„Ja, Dad war so nett. Und, was Interessantes passiert in der Zeit wo ich nicht da war?“

„Du nimmst mich doch auf den Arm! Hier passiert gar nichts. Außer, dass Daniel… Aber das weißt du bestimmt schon.“ Ich nickte nur stumm. „Sei doch nicht so. So, wie ich dich kenne, hast du längst noch nicht aufgegeben. Deshalb… Schau.“ Ein Schlüsselbund schwenkte vor meinen Augen. Die Schlüssel zu Daniels Haus.

„Wie auch immer du schon wieder an die gekommen bist, ich wills gar nicht wissen. Aber bring sie ja wieder zurück, wenn du sie nicht mehr brauchst.“

Der junge Mann verdrehte die Augen. „Wie immer, ein Mann der Gerechtigkeit. Das ist jetzt aber nicht wichtig! Letztes Mal haben wir nichts gefunden. Aber dieses Mal haben wir mehr Zeit. Außerdem schnüffeln keine Polizisten mehr herum. Lass uns nochmal in das Büro gehen. Ich habe so das Gefühl, dass wir irgendetwas übersehen haben.“ Grundsätzlich war ich ja dagegen, einfach so in Daniels Haus einzudringen, aber ich musste meinen Freund recht geben.

„Okay, aber das ist das letzte Mal. Dann gibst du die Schlüssel der Polizei oder meinem Vater.“

„Klar! Los, worauf warten wir noch?“ Der blondhaarige Junge zog mich vom Sportplatz zu Daniels Haus. Es sah so trostlos aus, nachdem dort nichts mehr gemacht wurde. Das Gras war hochgewachsen, die Ranken an dem Haus waren so zugewachsen, sodass man an ihn hochklettern könnte und die Wege waren voller Schmutz. Die Fenstergläser waren staubig und mit Fingerabdrücken von irgendwelchen Menschen übersäht. „Los, komm schon, bevor uns noch jemand sieht!“

Mit Schwung drückte er mich in das Haus. Die Luft war trocken und die Möbel staubig. Aber was konnte man von einem Haus erwarten, dass seit Jahren niemand mehr betreten hatte? Ich ging vor Thomas die Treppen nach oben, die leicht unter meinem Gewicht ächzten. Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit, als wir vor der Wand standen, die noch immer zu war. „Siehst du, die Bullen haben den Raum nie entdeckt.“ Kurzerhand drückte ich den geheimen Hebel und die kleine Tür sprang auf. Ich musste mich ducken, dass ich durch die Tür passte. Der Geruch von alten Büchern drang in meine Nase.

„Dieses Mal schauen wir gründlicher. Ich suche auf dem Schreibtisch und du die Bücherregale. Wer weiß, vielleicht hat er da ja was versteckt.“

Thomas grölte leise, aber er durchforstete die Bücherregale. Ohne mich weiter darüber zu kümmern, bückte ich mich vor den Schreibtisch und zog alle Schubläden auf. Im Ersten waren weiße Blätter, im Zweiten Füller, Bleistifte und ähnliches und im Dritten fand ich Unmengen an Süßigkeiten. Einzelne leere Bonbonpapiere lagen unter den Gummitieren, Schaumgummis und Lutschern.

„Daniel ist eine Naschkatze… Au, sind die hart!“ Thomas verzog angeekelt das Gesicht.

„Wieso wusste ich, dass du das tun wirst? Du und Daniel seid euch zu ähnlich. Manchmal dachte ich, er sei dein Vater. Haha…“ Genervt blickte ich zu ihm. Sofort wich mir mein bester Freund aus dem Sichtfeld. „Mach dich mal locker. Du bist so komisch, seitdem du zurück bist. So kenne ich dich gar nicht, Jack.“

„Du aber auch. Aber was solls… Hey, die letzte Schublade geht nicht auf. Sie… klemmt.“ Vergebens ruckelte und zog ich an dem Griff der Schublade, aber außer einiger kratzenden Geräuschen tat sich nichts. Da trat mir mein Freund zur Seite und schaute nachdenklich genauer darauf. Thomas griff kurzerhand unter den Tisch.

„Sie ist verschlossen. Da unten ist ein Schlüsselloch.“, meinte er stolz.

„Ja, und? Da kommen wir nicht weiter, wir haben den Schlüssel nicht?“ Vorwurfsvoll blickte ich ihm in sein Gesicht. Doch es schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken, sondern er stand wieder auf und sein Blick schweifte durch den Raum.

„Du kennst doch Daniel von uns beiden am besten. Irgendwo muss er den Schlüssel versteckt haben. Aber nur wo?“ Der junge Mann kratzte sich den Arm und wanderte durch den kleinen Raum. Natürlich gab ich ihm recht – von und beiden kannte ich Daniel am besten, schließlich hatte ich ihn so gut wie jeden Tag gesehen. Auch seinen Scherz – dass Daniel und ich irgendwie wie Sohn und Vater waren - war nicht von weit her gegriffen. Schließlich war er ja irgendwie meine Vaterfigur gewesen. Daniel war schon immer mehr auf mich fokussiert gewesen als mein Vater. Außerdem ist er einfach mein Vorbild. Er hatte mir damals einige alte Filme über Ausgrabungen in Ägypten gezeigt und die Hieroglyphen übersetzt. Aus dem Stehgreif. Früher hatte es mich einfach sofort in den Bann gezogen wie Daniel mit dem Thema umgegangen ist.

„Hey, alles gut mit dir?“ Thomas‘ Hand schüttelte mich durch.

„Ja, alles bestens. Such‘ am besten in einer der Hieroglyphenbücher. Am besten über die Zeit von Tutenchamun. Das hatte er mir damals gezeigt, als ich ihn kennengelernt habe. Das ist schon ewig her. Aber wer weiß was in seinem Kopf vor sich ging.“ Ich mochte es nicht, in der Vergangenheitsform über Daniel zu sprechen, denn ich glaubte trotz allem nicht daran, dass er tot sei.

„Meinst du das hier?“ Thomas hatte schnell ein Buch aus den unzähligen Regalen gezogen und hielt es mir vor die Nase. „Du hast damals nur davon gesprochen, deshalb erinnere ich mich an den Titel.“

„Ja, stimmt… Lass mich mal schauen… Hm?“ Ein kleines Klirren auf dem Boden lies mich aufhorchen. Es war doch tatsächlich ein kleiner Schlüssel. „…“ Ich hatte große Augen und beugte mich nach unten, um den Schlüssel aufzuheben.

„Jetzt müssen wir nur noch Glück haben, dass er passt!“ Sofort zog der blondhaarige Junge mich zu dem Schreibtisch zurück. Sanft schob er mich davor. „Hier, ich leuchte dir mal dahin, da siehst du besser.“ Liese bedanke ich mich bei ihm und schob den Schlüssel etwas ungeschickt in das passende Schlüsselloch. Es machte kurz ein knirschendes Geräusch, dann lies sich die Schublade öffnen. Grinsend blickte ich zu meinem Freund hinter mir.

„Mach schon auf! Ich will wissen, was da drin ist. Vielleicht Schmuddelhefte oder so. Haha!“ Nun konnte ich mir ein leises Prusten nicht verkneifen und zog sie komplett auf. Der Inhalt war aber ziemlich unspektakulär auf dem ersten Blick. Einige geöffnete und ungeöffnete Briefe sowie einzelne Blätter lagen fein säuberlich geordnet in dem Fach. Thomas seufzte enttäuscht und stand auf. „Viel Spaß beim Durchlesen. Ich mach das nicht.“ Somit entfernte er sich mit einem Schritt von mir und suchte ziellos durch den Raum. Wortlos beachtete ich ihn nicht weiter, sondern widmete mich den Briefen. Besonders diese, die noch gar nicht so alt waren. Der ganz oben hatte sofort meine Aufmerksamkeit. Das Datum…

„Hey… Der ist von vor einer Woche… Das ist gar nicht möglich! Wer zur Hölle war hier?“ Mich schauderte es am ganzen Körper. Irgendwas schrie hier ganz nach Morpheus. Ich hatte nach diesem Satz die volle Aufmerksamkeit meines Kindheitsfreunds geweckt.

„Nicht wahr? Aber komisch, da ist kein Absender oder Empfänger drauf. Irgendwer muss den hier reingelegt haben. Aber niemand außer ich kommt hier in dieses Haus. Ich hatte schließlich die Schlüssel seit einem Monat einstecken…“

„Wusste ich es doch… Das hier schreit förmlich nach Morpheus. Du weißt schon, der Typ aus meinen Träumen und der, der mir ständig diese Drohungen geschickt hatte…“ Thomas nickte nur und starrte gebannt auf meine Hände.

„Mach‘ ihn doch mal auf.“ Es juckte ihm in den Fingern, das konnte ich ihm am ganzen Körper ablesen.

Ungeschickt riss ich den Brief auf. Es lächelten mich sofort zwei Blätter an. Eines war ziemlich vergilbt und abgegriffen, das andere schneeweiß. Zuerst nahm ich mir das weiße Blatt vor. Es war in drei Teile gefaltet, damit es in den kleinen Umschlag passte. Nervös öffnete ich den Inhalt. Sofort nahm ich die schnörkelige, sehr ordentlich geschriebene Schrift in den Blick. Es stand geschrieben:

„Hallo kleiner Jack,

hier ist dein allseits geliebter Morpheus. Du hast also doch mal deinen Kopf angestrengt, sonst würdest du diesen Brief nicht finden. Wie versprochen habe ich eine kleine Überraschung für dich vorbereitet, die du in diesem Brief finden wirst. Ich bin gespannt auf deine Reaktion, haha!

Mein lieber Bruder wollte dir das immer vorbehalten, aber naja, dafür bin ich ja da…

Wir sehen uns,

Morpheus“

Ich schluckte und steckte den Brief weg. Mein herz pochte wie wild. Was auch immer auf diesem vergilbten Papier stand, es machte mich sehr nervös. Ein Teil von mir wollte dieses andere Briefstück gar nicht aufmachen, aber der andere Teil war wie wild darauf fokussiert. „Was ist los, Jack? hast du was interessantes gefunden?“

„Ja, aber ich glaube, ich will es gar nicht aufmachen. Es… fühlt sich an, als sollte ich das, was auf dem Papier steht, nie zu Augen bekommen. Verstehst du?“ Mein bester Freund legte den Kopf schief und blickte mich mit hochgezogener Augenbraue an.

„Seit wann bist du so ein Angsthase? Sonst bist du doch auch neugierig? Was hält dich ab? Komm schon, mach es auf!“ Thomas klopfte mir auf die Schulter. „Wer weiß, vielleicht hilft es uns, Daniel zu finden?“ Das traf meinen Nerv. Klar, er hatte völlig recht, ich war gerade echt nicht ich selbst. Und ich wollte auch liebend gern etwas über Daniel wissen.

„Ja, du hast recht. Aber mulmig ist mir dabei ganz schön, ich mein, es ist eine Überraschung von Morpheus. Das kann ja nur schief gehen.“

Thomas verdrehte die Augen. „Ich bin ja da. Wenn er dir was anhaben will, bin ich zur Stelle. Zuerst muss er nämlich an mir vorbei!“ Ich lächelte ihm sanft zu. Ja, so war Thomas. Er ist zwar genauso alt wie ich, aber er ist wie ein großer Bruder für mich.

„In Ordnung. Puh.“ Mit zittrigen Fingern öffnete ich das vergilbte Papier. Oben in der Kopfzeile stand der volle Name meines Lehrers und der… meines Vaters? „Wieso stehen da Daniels und Dad‘s Namen? Komisch…“ Ich las weiter.

Ich fror bei den nächsten Zeilen ein. Es ging um mich. Um meinen Vater und Daniel. Dieser Zettel bestätigte eine Adoption. Meine Adoption. Daniel… ist mein biologischer Vater und Richard hatte mich kurz nach meiner Geburt adoptiert.

„Das… ist eine Adoptionsbestätigung.“ Mein Freund blickte mich erstaunt an, als er meinen entsetzten Blick sah.

„Alles in Ordnung, Jack? Du bist echt bleich.“ Schnell schüttelte ich den Kopf und fuhr mir mit der Hand über mein Gesicht. Mir war übel und schwindelig. Ich wollte das alles nicht wahrhaben. Aber… es stand hier, schwarz auf weiß, sogar mit den Unterschriften von Daniel und Richárd.

„Daniel… er ist mein biologischer Vater…“ Thomas Augen weiteten sich. Seine Hand schnallte sofort gegen seine Stirn.

„Ich wusste zwar, dass ihr euch irgendwie ähnlich seid, aber das habe ich angenommen, weil er dich schon so lange kannte. Das es nun wirklich so ist… Uff, dass ich echt… Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Aber es erklärt einiges. So, wie eure Beziehung war…“

„Ja, und das erklärt die Reaktion von Richárd auf der Fahrt nach Hause. Und, dass ich ihm gar nicht ähnlich bin.“ Bedrückt senkte ich meinen Blick nach unten. Die Erinnerung an meinen Traum kamen mir wieder in den Sinn. Übelkeit drückte sich meinen Hals nach oben.

„Ich bin dafür, dass wir erstmal hier rausgehen.“ Mein Freund griff unter meinen Arm und wollte mich wegziehen, jedoch wehrte ich mich mit aller Kraft dagegen.

„Nein! Wir sind hier noch nicht fertig!“ Thomas zuckte bei meiner Lautstärke zusammen. „Ich gehe nicht, bevor wir nicht mehr über Daniels Aufenthalt wissen. Mir stinkt die Sache gewaltig! Ich habe keine Lust mehr, mich auf andere zu verlassen.“ Thomas grinste mich entschlossen an.

„Das höre ich gern. Da, das ist noch etwas in der Schublade.“ Ich schluckte die Übelkeit hinunter und griff nach den Blättern und Briefen in der Schublade. Es waren viele Karten und Grüße darin, aber ein paar der Briefe kitzelten meine Neugier. Sie waren von einer Person, die Daniel anscheinend sehr nahestand. Aber es war nirgendwo ein Name zu sehen. Nur eine Adresse. Die war irgendwo in Wales…

„Das steht immer kein Name auf den Briefen, aber sie wurden alle von derselben Person geschrieben. Selbe Handschrift, selbe Ausdrucksweise. Auch die Adresse ist immer gleich. Und auf einem Brief, der kurz vor Daniels Verschwinden geschrieben wurde, benennt er ihn als „Bruder“… Warte mal… hatte Morpheus nicht auch etwas über seinen „Bruder“ erzählt? Also… Nee, das kann doch nicht sein? Das wäre ein ziemlich eigenartiger Zufall. Die Person, also Morpheus… ist Daniels Bruder?! Das heißt, derjenige, der mich seit Jahren so foltert… ist mein Onkel?!“

Thomas rieb sich nachdenklich am Kinn. Er schien ziemlich zu grübeln. „Ist Daniel der ältere Zwilling? Wenn ja, bekommt er doch ziemlich viel Geld… Du weißt doch, sein Erbe. Vielleicht gab es Streit zwischen den Beiden. Vielleicht… wollte er ihn loshaben? Aber… das würde ihm auch nicht viel weiterhelfen.“ Ich blickte meinen Kindheitsfreund fragend an.

„Warum denkst du das?“ Thomas blickte mich nun direkt in die Augen.

„Weil er dann das Geld nicht bekommen würde, sondern du. Weil du der Sohn von Daniel bist. Deshalb erbst du das ganze Geld. Das könnte der Grund sein, wieso er dich in die Mangel nimmt.“ Das machte mich ziemlich baff. Thomas war ja schon immer ein Krimi/Thriller - Fan gewesen, aber was er da sagte, war ziemlich plausibel.

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LizTonks Am 14.04.2019 um 9:09 Uhr Mit 1. Kapitel verknüpft
Huhu
das 2. Kapitel hat mir auch gut gefallen. Was eine Hau-Ruck-Aktion mit dem Internat. Wenn ich Jack wäre, würde ich wahrscheinlich ausflippen, allein schon, weil ich mich schwer an neue Orte gewöhnen kann. Dass sein Vater ihn einfach so ohne weitere Vorwarnung 'wegschickt' finde ich krass. Dass Jack es so gut aufnimmt ist eigentlich ziemliches Glück. Auch wenn sein Vater es natürlich nur macht, um ihm zu helfen. Insofern merkt man schon, dass Jack seinem Vater nicht scheißegal ist.
Das Internat wirkt soweit ja ganz in Ordnung, auch wenn ich echt nicht gerne in dem Sportunterricht mitmachen würde. Ich mag Internatgeschichten echt gerne, bin also gespannt wie es sich noch alles entwickeln wird.
Die Dialoge haben mir wieder gut gefallen. Nur die Absätze könntest du der Lesbarkeit wegen noch anpassen :)
Ich hoffe, es geht bald weiter :)
LG
Liz
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LizTonks Am 10.03.2019 um 23:04 Uhr Mit 1. Kapitel verknüpft
Huhu,
mir hat der Anfang deiner Geschichte schon mal sehr gut gefallen. Das Thema gefällt mir und anders als so manch andere Geschichten sind in deiner die Szenarien und Dialoge auch sehr realistisch. Jack tut mir leid. Auch wenn sein Vater nicht wie ein Monster wirkt, wünschen würde ich ihn mir jetzt nicht.
Und die richtige Portion Spannung war auch dabei.
Eine Sache habe ich noch anzumerken: Absätze. Bei jedem neuen Sprecher sollte man der Leslichkeit halber einen Absatz machen.
Ansonsten habe ich nichts zu meckern. Du hast einen sehr angenehmen Schreibstil.
LG Liz
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NightmaresOfJack (Autor)Am 11.03.2019 um 17:23 Uhr
Danke Liz für deinen tollen Kommentar :3

Ich finde, wenn mann schon einen Mystery-Drama-Roman schreibt, sollte man realistisch bleiben, sonst kann sich der Leser/die Leserin nicht in die vorkommenden Personen, in diesem Fall Jack, hineinversetzen. Ich versuche bei meinen Lesern Empathie zur Hauptperson herauszukitzeln, damit die handlungen und Entscheidungen des Charakters möglichst nachvollziehbar sind.

Ja, Jacks Vater würde ich auch nicht gern haben...

Ich versuche am Anfang noch recht realistisch zu bleiben, denn die Geschichte spielt ja aus Jacks Sicht auf die Welt und sein Weltbild ist recht realistisch veranlagt (durch seinen Vater). Vielleicht ändert sich das im Verlauf noch, mal sehen.
Toll, dass dir mein Schreibstil gefällt!

Ich hoffe du bleibst drann, bin dabei das zweite Kapitel zu digitalisieren

LG, Jessica aka NightmaresOfJack
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Autor

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Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 4
Sätze: 2.307
Wörter: 24.605
Zeichen: 140.317

Kurzbeschreibung

Jack von Janitzki stammt aus gutem Hause und der Dreizehnjährige lebt einen ruhigen, unbeschwerlichen Alltag. Dieser wird jeh unterbrochen, als sein Privatlehrer Daniel urplötzlich verschwindet. Als er mit seinem Freund Nachforschungen anstellt, stellt sich heraus, dass sein Lehrer ein riesiges Vermögen geerbt hat. Hat das was mit Daniels Verschwinden zutun? Und warum wird er von einem Mann names "Morpheus" im Schlaf terrorisiert?

Kategorisierung

Diese Story wird neben Entwicklung auch in den Genres Abenteuer, Fantasy, Drama, Mystery gelistet.