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The Taste of Pomegranates

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08.11.20 21:49
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

2 Charaktere

Persephone/Kore

Als Tochter von Demeter wurde Kore immer behütet und möglichst von allen Gefahren, egal ob nun real oder nicht, ferngehalten. Doch die eigensinnige Göttin hat genug davon behütet zu werden und entdeckt auf ihrem Spaziergang in den Bergen einen Eingang in die Unterwelt.

Hades

Der Gott der Unterwelt ist von keinem gerne gesehen, umso mehr war er überrascht, als er sah wie sich die junge Persephone heimlich in die Unterwelt schlich und sich nicht dazu überreden liess, umzukehren. Hades konnte es noch so sehr versuchen.

Die Welt hat zwei Seiten, ähnlich die einer Münze. Der Olymp, das Haus der Götter, der Ort, an dem sie über das Schicksal der Lebenden richten, und die Unterwelt, das Heim des Hades, hier wird über das Schicksal der Verstorbenen gerichtet. Der Asphodeliengrund, Elysion oder Tartaros. Das Feld der Schatten, die Insel der Seligen oder der Ort der ewigen Verdammnis.

Doch unsere Geschichte beginnt auf keiner der beiden Seiten der Münze, sondern auf der Fläche dazwischen, im Reich der Sterblichen. Unsere Geschichte beginnt auf der Erde, im Garten der Demeter, dort wo die schönsten Blumen blühen und die saftigsten Früchte wachsen. In diesem Garten lebte Demeter und ihre Tochter das ganze Jahr über, denn Jahreszeiten gab es noch keine. Gemeinsam mit ihrer Tochter pflegte sie ihr Heim und brachte fruchtbaren Boden für die Erde und gute Ernte für das Volk. Kore, die Jungfrau, wurde die junge Göttin von ihrer Mutter und vielen Göttern genannt. Doch den Sterblichen würde sie bald unter einem anderen Namen bekannt.

Jeden Frühling und Sommer half sie Demeter im Garten, liess Blumen blühen und Früchte wachsen und brachte Sonne und Wärme für die Menschheit. So wie an diesem einen Tag, an dem sich jemand in den Garten schlich, der von niemanden gern gesehen wurde. Hades. Ein dunkler Schatten im hellen Licht. Seine Haut bleich vom Leben in der Dunkelheit. Der Gott stach heraus, zwischen all den bunten Blumen und grellfarbenen Früchten. Er sah sich um, ein Anflug von Unsicherheit auf seinen Zügen, welche seine herausstechenden Gesichtsmerkmale aber nicht zu überschatten vermochte. Ein schmales, elegantes Gesicht, hohe Wangenknochen. Ein dünner Mund, der oft zu einem Strich zusammengepresst war. Seine Augen waren aus einem dunklen schwarz, genauso seine Haare, die ihm bis zu den Schultern reichten und im Kontrast zu seiner bleichen Haut standen. Sein Umhang waberte Schwarz und schien alles Licht um sich zu verschlingen. Doch nur für einen Moment, denn als sich eine feingliedrige Hand unter dem Saum hervorschlich, verschwanden die Schatten und der Umhang bestand nur noch aus einfachem braunen Stoff. Die Hand krallte sich an den Saum den Mantels und zerknitterte ihn, als Hades los schritt. Seine Anwesenheit war nicht unbemerkt geblieben, so hatten ihn die Vögel in den Bäumen und Büschen doch längst erkannt, und auch Helios, der hoch oben am Himmel auf seinem Sonnenwagen ritt, hatte die dunkle Gestalt gesehen, die sich in den Garten geschlichen hatte. Überrascht und neugierig stoppte er auf seinem Weg und beobachtete das Geschehen. Er sah wie die Gestalt durch den Garten strich, wie sie hier und da anhielt, um eine Blume zu bewundern, aber immer wieder weiterging, mit einem Ziel vor Augen. Helios hatte schon lange erkannt, dass es Hades war, der das Grün mit seiner Dunkelheit befleckte, was ihn nur noch mehr dazu verführte an Ort und Stelle zu bleiben. Soll die Sonne eben mal ein wenig länger scheinen als üblich, dachte sich der Sonnengott und beobachtete weiter.

Der Gott der Unterwelt bekam jedoch nichts davon mit. Er strich weiter durch den Garten, auf leisen Sohlen, denn er wollte durchaus keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen von jemandem, der ihm um einiges bössinniger gesinnt ist als die Vögel oder, hoch oben im Himmel, Helios. Hades fürchtete sich vor wenig, doch die Wut der Demeter wollte er nicht über sich bringen. Er liebte ihren Garten, doch würde dieses Argument wohl nicht viel nützen, wenn sie ihn hier erwischte. Demeter schütze ihren Garten, oder besser gesagt, dass was sich darin aufhielt mit all ihrem Herzblut. Hades war ihrer Tochter einige Male begegnet, wobei begegnet übertrieben ist. Manchmal, an den wenigen olympischen Feste, an die er eingeladen, oder geduldet wird, hatte er sie gesehen. Und bei manchen seiner geheimen Spaziergänge. Sie hatten nie mit einander gesprochen. Kore winkte ihm lediglich zu, wenn sie ihn sah. Es scheint, als ob sie nicht wisse, wer er ist. Die meisten Götter wenden sich schnell von ihm ab oder schauen in nur widerwillig an. Sie winken ihm gewiss nicht zu, schon gar nicht mit dem kleinen freundlichen Lächeln, welches Kores Lippen scheinbar immer zierte. Hades toppte kurz auf seinem Weg. Diese kleinen Interaktionen waren ein weiterer Grund, warum er Demeter scheute. Die Göttin würde ihm wahrlich die schlimmsten Flüche auf den Hals hetzen, fände sie heraus, dass er nicht nur durch ihren Garten wandert, sondern auch noch mit ihrer Tochter zu tun hatte, auch wenn sich lediglich um ein gegenseitiges Zuwinken handelte. Demeter liebte ihre Tochter über alles und würde die ganze sterbliche und unsterbliche Welt in den Untergang stürzen, sollte ihr etwas geschehen. Mit diesem Wissen schritt der Gott voran, die Umgebung genau im Blick.

Wenig später fand er sich umgeben von rotblühenden Bäumen, von deren Äste glänzend rote Äpfel hingen. Lächelnd strich er durch die grünen Blätter und musterte die Bäume. Seine eigenen kamen diesen beinahe gleich an Blüte und Wachstum, doch erschien das rot der Granatäpfel greller und schöner hier im Sonnenlicht, wie in der Unterwelt. Mit einem Seufzen wandte er sich von dem gross gewachsenen Baum ab und wollte bereits weitergehen, als er jemanden erblickte. Auf einer Lichtung stand sie, die roten Granatapfelblüten in der Hand. Ihre dunkle Haut glänzte im warmen Sonnenlicht. Und umgeben vom Duft der Blumen wurde aus dem Gott ein Mann, aus seinem kalten Herz ein flatternder Vogel im Käfig. Erschrocken über seine Reaktion trat Hades einige Schritte zurück. Eine weisse, langgliedrige Hand legte sich über seine Brust und krallte sich in den dunklen Stoff seines Gewandes. Langsam beruhigte sich sein Herz, doch der Anblick der, im Sonnenlicht gebadeten Kore, verzauberte ihn weiter. Bestürzt wandte sich der Gott von ihr ab und schalt sich selbst. Er konnte es sich nicht leisten, solche Gefühle zu nähren, schon gar nicht der jungen Frühlingsgöttin gegenüber. Mit einem tiefen Atemzug wandte er sich wieder um. Kore hatte sich von ihrem Baum abgewandt und ihn erblickt. Überrascht sah sie ihn an, sie schien ein Teil seines Schreckens gesehen zu haben, bevor sie sanft lächelte und ihm zuwinkte. Hades hob ebenfalls die Hand zum Gruss, ehe er sich rasch wieder wegdrehte und seines Weges ging.

„Das wird noch Konsequenzen mit sich ziehen, Hades!", murmelte er zu sich selbst und mit einem Schwung seines dunklen Mantels war er verschwunden aus dem Garten voller Blumen.

 

Kore sah dem dunkelgekleideten Gott einen Moment nach. Sie hatte ihn schon öfters im Garten gesehen, wusste aber nicht wer er war. Ihr Mutter verbot ihr, mit fremden Göttern zu sprechen, ausser sie ist dabei. Erst recht an den Festen auf dem Olymp, liess Demeter ihre Tochter nie aus den Augen. Sie hatte Kore schon von mehreren Gesprächen weggezogen, ohne zu sagen warum. Also hielt Kore ihren Abstand zu dem mysteriösen Gott, der hin und wieder im Garten ihrer Mutter auftauchte und wieder verschwand. Kore hatte sich schon öfters überlegt, ihre Mutter nach ihm zu fragen, aber sie fürchtete, dass diese sie dann gar nicht mehr alleine in den Garten liess. Schon jetzt wurde sie oft von Nymphen begleitet, welche den Auftrag hatten ein Auge auf sie zu haben, doch meistens konnte sie den geschwätzigen Naturgeistern entwischen, welche sich nach einiger Zeit nicht mehr darum kümmerten, ob sie da war oder nicht, schliesslich waren sie keine Aufsichtspersonen. Also wanderte sie alleine durch den Garten, hegte und pflegte die Blumen, sprach mit den weissen, blauen und violetten Blüten und den vielen Tieren, die sich im Wald versteckten, fragte die Vögel aus, über die Welt, über die Sterblichen, von denen sie bisher nur wenige gesehen hatte. Ihre Mutter sagte es zieme sich nicht für eine junge Göttin unter die Sterblichen zu gehen. Sie seien zu barbarisch und schmutzig. Nicht das es Kore interessiert hätte. Der Frühlingsgöttin macht Schmutz nichts aus. Es war schon fast unmöglich sie ohne irgendwelche Flecken auf ihrem Gewand zu sehen, kniete sie doch zu gerne in den Dreck um Blumen wachsen zu lassen oder ihnen beim Wachsen zuzusehen. So sind die zwei Grasflecken, welche all ihre Gewänder auf Kniehöhe zierten, zu ihrem Erkennungszeichen geworden. Auch heute zierten die Flecken ihr helles Gewand, während sie dem Gott hinter her sah, bis dieser im Dickicht der Pflanzen verschwunden war. Mit einem zufriedenen Lächeln wandte sich Kore wieder den roten Blumen zu. Sanft nahm sie eine in die Hand und strich über die glatten Blütenblätter, bevor sie den Kopf mit ihren Nägeln vom Stängel abzwickte.

„Danke für deine Gabe", flüsterte sie dem Baum zu und wandte sich zum Gehen, blieb jedoch stehen. Sie wusste nicht so genau, wo sie als nächstes hinsollte. Sie kannte den Garten schon in- und auswendig. Also blickte sie in den Himmel, liess ihren Blick über die Bäume und Büsche streifen, bis ihre Augen an einer nahegelegenen Bergkette hängen blieben. Nachdenklich legte sie den Kopf schief und sah die Berge an. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals dorthin gegangen zu sein. Wahrscheinlich hatte ihre Mutter ihr es Mal verboten, was die Berge natürlich nur noch interessanter machte. Und wenn ihre Mutter sie erwischte und sie schalt, muss sie nicht einmal lügen, denn sie konnte sich wirklich nicht erinnern, dass Demeter ihr jemals verbot ins Gebirge zu gehen. Was solls, dachte sie sich, bei all dem, dass sie mir verbietet kann sich ja kaum jemand alles merken. Also schlenderte Kore los, hier und da an einer Blume riechend, in Richtung Gebirge.

Sie brauchte länger, als sie dachte, bis sie am Fuss des Gebirges angekommen war. Helios' Sonnenwagen versank schon bald hinter dem Horizont, als Kore das letzte Fleckchen Gras hinter sich liess und ihre nackten Füsse auf spitzigen Kiesel trafen. Kurz zuckte ihr Gesicht missbilligend zusammen, aber sie lief weiter. Schon bald spürte die Göttin nicht mehr, wie sich die Steine in ihre Fusssohlen bohrten. Fasziniert sah sie sich um, hob hier einen Stein, entdeckte da einen Salamander, der sich schnell in eine Erdspalte schlängelte, um ihrem Blick zu entkommen. Je weiter sie lief, um so grober und spitziger wurden die Steine. Kore lief barfuss weiter, bis einmal ein besonders spitziger Stein sich tief in ihren Fuss bohrte. Die Haut der Göttin platze auf und einzelne rote Tropfen vielen auf den felsigen Boden. Dort wo ihr Blut auf Erde traf, sprossen sofort kleine Blumen, deren Wurzeln sich mutig durch den harten Boden rankten. Mit einem Seufzen sah Kore den Blumen beim Wachsen zu, ehe sie eine der Blumen der Erde entwand und sich aus ihren feinen Wurzeln schützende Sandalen webte. Mit nun geschützten Füssen setzte die Göttin ihren Weg fort. Das Gelände wurde Steiler und die Schlucht verengte sich immer weiter, bis Kore irgendwann nur beide Arme auszustrecken hatte um die Felswände links und rechts von ihr zu berühren. Neugierig sah sie hoch in den Himmel, welcher sich langsam anfing rot, gelb und rosa zu färben, aber sie konnte nur einen kleinen Ausschnitt vom Farbenspiel sehen, so hoch reckten sich Berge um sie herum. Sanft strich sie über die Felswände, den Blick noch immer nach oben gerichtet, während sie langsam vorwärtsschritt. Dort wo ihre Finger den Felsen streichelten, bildeten sich Risse und kleine, dickblättrige Pflanzen wuchsen aus ihnen heraus. Kore tat noch wenige Schritte, bevor sie ihre Augen wieder zur Erde senkte, doch kaum war dies geschehen, griff ihre linke Hand ins Nichts. Mit einem Ausruf, schwankte sie zur Seite, konnte sich aber noch rechtzeitig fangen. Perplex starrte Kore in das schwarze Loch, welches inmitten der Felswand klaffte. Ein festgetrampelter Weg aus Erde führte hinein, hinab in ein schwarzes Nichts. Nachdenklich musterte sie die gezackten Kanten des Loches. Ihr Blick wanderte nach links, nach rechts, zurück zum Eingang. Grübelnd biss sie sich auf die Unterlippe. Sie war verführt den Durchgang zu betreten, wusste aber auch wie naiv es war, einfach so in eine dunkle Höhle zu gehen.

„Mutter würde es nicht gefallen...", murmelte Kore und fing sofort an zu lachen. „Oh, Mutter wird toben und schreien, wenn sie es erfährt", sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln und mit besonnen Schritten wanderte sie hinab in die Dunkelheit. Die dunkelgewandte Gestalt, welche die Schlucht hinunter kam, bemerkte sie nicht mehr. Hades jedoch, sah wie die junge Göttin durch den steinernen Eingang verschwand.

 

 

Der Abstieg durch die Dunkelheit dauerte länger, als Kore erwartet hatte. Sie dachte, sie würde in eine Höhle gehen, der Eingang wäre nur kurz eng, aber er blieb schmall. Er verlief in gleichbleibender Breite stetig bergab, tiefer in den Berg, in die Erde hinein. Der Weg unter ihren Füssen war fest getreten, so als ob er bereits viele tausende Male bewandert worden war. Die Wände waren kalt und eben, wie von tausenden Fingern glattgestrichen.

Kore fragte sich, wie viele vor ihr schon diesen Weg gegangen sind, als sie Schritte hinter sich vernahm. Abrupt blieb sie stehen und lauschte. Die Schritte kamen immer näher, bis sie jäh verstummten. Nach einem Moment setzten sie sich wieder langsam in Bewegung und eine warme Lichtquelle erhellte den engen Gang.

„Ich hatte gehofft mich versehen zu haben. Was tut Ihr hier, tief unter der Erde?", erklang eine ruhige und tiefe Stimme hinter Kore. Die Göttin fuhr erschrocken herum und taumelte überrascht einen Schritt zurück. Vor ihr stand der dunkel gekleidete Gott, denn sie immer wieder im Garten ihrer Mutter sah. In seiner Hand trug er eine lichtspendende Fackel.

„Ich kenne Euch!", entfuhr es ihr, „Ihr seid der Gott aus dem Garten!"

„Ja, aber Ihr habt meine Frage nicht beantwortet. Was tut Ihr hier? Dieser Ort ist nichts für eine junge Frühlingsgöttin wie Euch", sagte Hades. Kore sah ihn einen Moment stumm an, immer noch überrumpelt von der plötzlichen Begegnung. Doch sie fing sich wieder und sah den Gott vor sich prüfend an.

„Und wo ist hier?", fragte sie ihn, seine Frage immer noch ignorierend, und stemmte ihre Hände die Hüfte. Zumindest versuchte sie es, aber der Gang war so schmal, dass sie so eher wie ein verkümmerter Vogel aussah, als wie die Göttin, die sie eigentlich war. Weswegen sie die Arme schnell wieder hängen liess. Hades beobachtete das kleine Schauspiel mit einem amüsierten Schmunzeln, bevor er wieder ernst wurde.

„Das hier ist ein Eingang in die Unterwelt", sagte er ruhig. Kores Gesicht erhellte sich mit Überraschung und sie sah sich sofort oben, unten, links und rechts um.

„Ein Eingang in die Unterwelt? Aber...", sie unterbrach sich selber und musterte den Gang nochmals eindringlich, „Ich hatte ihn mir immer...grösser vorgestellt. Und mit Knochen."

„Und wer hat Euch dies erzählt? Eure Mutter? Kommt, ich bringe Euch zurück nach oben", erwiderte er belustigt und trat dicht an die Wand, um Kore den Vortritt zu lassen. Diese rührte sich aber kein Stück.

„Wer seid Ihr? Wenn das hier der Eingang in die Unterwelt ist, was tut Ihr dann hier?", fragte sie und wies anklagend mit dem Finger auf Hades. Dieser seufzte auf und schüttelte den Kopf.

„Es ist ein Eingang in die Unterwelt, nicht der. Und ich bin genau dort wo ich sein muss. Ich regiere schliesslich über das Totenreich", antwortete er. Es brauchte einen Moment bis seine Worte zu Kore durchgesickert waren, doch kaum war der Groschen gefallen, wich sie ein Stück zurück.

„Ihr seid Hades!", stiess sie aus und musterte ihn misstrauisch. Der Gott nickte lediglich. „Ich habe mir Euch anders vorgestellt", sagte Kore und kam wieder näher, „Bedrohlicher." Sie besah sich den Gott der Unterwelt genau. Gross, schlank, gräuliche Haut. Keine Schlangenhaare, oder geschlitzten Augen, keine Fangzähne – sofern sie es beurteilen konnte, sah Hades harmlos aus, aber ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass man sich vor solchen Leuten am meisten in Acht nehmen muss. Denn man konnte die Gefahr, welche von ihnen ausging, nicht auf den ersten Blick erkennen. Trotzdem, sie konnte den Gott vor sich, nicht mit dem Gott aus den Geschichten ihrer Mutter über einbringen.

„Nun, ich nehme an Ihr kennt nur die Geschichten Eurer Mutter über mich...wenn wir es genau nehmen erzählen alle Götter nur Schauergeschichten über mich. Nehmt sie nicht zu ernst", meinte Hades, „Sie mögen mich alle nicht besonders, was noch ein Grund, warum Ihr jetzt zurück in Euer Reich solltet." Mit diesen Worten wandte sich Hades um und wollte losgehen.

„Nein!"

„Wie bitte?", überrascht drehte er sich zurück zu Kore.

„Ich habe nein gesagt. Wenn alles nur Schauergeschichten sind, die man sich über Euch erzählt, dann möchte ich nun die Wahrheit sehen!", sagte die Göttin und kreuzte ihre Arme. Hades konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte und schüttelte skeptisch den Kopf.

„Auf keinen Fall. Eure Mutter hasst mich ohnehin schon, wenn Demeter nun erfahren sollte, dass ich Euch in mein Reich mitnahm, wird sie mir jeden Fluch an den Hals hetzen, den sie kennt", erwiderte er und sah Kore ernst an.

„Ihr habt mich ja nicht mitgenommen", sagte Kore keck und drehte sich um. „Ich bin selber in die Unterwelt gegangen", fügte sie hinzu während sie losging. Hades setzte ihr sofort nach.

„Kore! Bei den Göttern! Ich bitte Euch", entfuhr es ihm, er wagte es aber nicht, die Göttin anzufassen, um sie so zu stoppen.

„Ihr kennt meinen Namen." Es war mehr eine Feststellung als etwas anderes, aber Hades hörte den verwunderten Unterton.

„Eure Mutter spricht gerne über Euch. Nicht mit mir, aber wenn man für die olympischen Götter ohnehin unsichtbar ist, hört man vieles", erklärte er. „Und ich meinte es ernst. Eure Mutter wird mir die schlimmsten Flüche an den Hals hetzen, wenn wir nicht sofort umkehren. Es ist bereits Nacht. Sie wird sich..." Hades wurde durch das schlagartige Herumfahren von Kore unterbrochen und nur knapp konnte er noch stoppen, bevor er mit ihr zusammenprallte.

„Lasst meine Mutter Mutter sein! Sie hat mir schon zu viel verboten und mich schon zu sehr behütet. Nun da ich hier bin, möchte ich Euer Reich sehen", sagte sie und trat eine Schritt auf ihn zu. Kore wollte wissen, was alles von den Geschichten, welche sie von klein auf gehört hatte, nun stimmte und was nicht. Sie wollte wissen, warum die Götter immer nur verächtlich oder ängstlich über den Gott vor ihr sprachen. Hades erschien ihr nicht wie der grausame Gott aus den Erzählungen. Sie konnte es in seinem Blick sehen. Auch wenn seine dunklen Augen bedrohlich wirken konnten, sah sie viel mehr Fürsorge in ihnen. Vermischt mit Müdigkeit, welche vermutlich auch Jahrzehnte an Schlaf nicht vertreiben vermochte. Doch während sie den Blickkontakt mit dem Gott hielt, erschauderte sie jäh. Nicht aus Angst, viel mehr, weil ihr erst jetzt bewusst wurde, wie kalt es geworden war. Hades fiel ihr zittern auf und seufzte.

„Hier, nehmt meinen Mantel. Ich vergesse oft, wie kalt es werden kann." Er zog sich seinen Umhang von den Schultern und bot ihn der Göttin an. Diese zögerte, griff aber schliesslich nach dem Kleidungstück und kaum hatte sie es sich um die Schultern gelegt, wurde ihr wärmer.

„Spürt Ihr die Kälte nicht?"

„Tausende Jahr in diesem Reich, lassen sie verschwinden."

Kore warf Hades einen undeutbaren Blick zu, ehe sie sich umwandte und weiterging. Ihr Abstieg verlief weitestgehend ruhig, obwohl Kore ungeduldig war, endlich aus diesem Gang herauszukommen. Doch sie wartete noch damit, Hades mit Fragen zu löchern, und, ob es ihr bewusst war oder nicht, Hades war ihr dankbar, dass sie kein Gespräch erzwang. Also stiegen sie beide stumm in die Unterwelt hinab, die Fackel, welche Hades hielt, als einzige Lichtquelle. Zumindest war sie das, bis Kore einen hellen Durchgang vor sich sah und nur kurze Zeit später traten beide Götter aus dem Gang hinaus auf eine weite, von rotem Sand bedeckte, Ebene. In einiger Entfernung konnte Kore einen Flusslauf ausmachen.

„Wo in der Unterwelt sind wir?", fragte sie neugierig und machte einige Schritte nach vorne, um sich umzusehen.

„Nahe der Styx. Diese Ebene ist Teil des Strand der Toten", erklärte Hades, während er die Fackel in eine Halterung neben dem Durchgang steckte. „Dieser Eingang in die Totenwelt, wird aber nur noch selten genutzt, also werden wir hier kaum auf verstorbene Seelen treffen", sagte er, als er sah wie Kore grosse Augen machte und sich noch genauer umsah.

„Wie viele Eingänge gibt es denn in die Unterwelt?", fragte Kore und trat wieder näher zu Hades.

„Genug ", antwortete er knapp und schloss damit das Thema ab. Kore nickte und wandte sich wieder von dem Gott ab, dem Flusslauf zu.

„Ist das da die Styx?", erkundigte sie sich und wies auf ihn, „Ich wusste nicht, dass es in der Unterwelt Flüsse gibt."

„Ja. Es gibt mehrere Flüsse hier, die Styx ist einer davon. Auf ihr setzt Charon die Toten über. Kommt, ich bringe Euch näher ans Ufer", sagte Hades und breitete einladend einen Arm aus, Kore den Vortritt lassend. Die Göttin lächelte und ging los, Hades folgte ihr mit wenigen Schritten Abstand. So gingen die Götter eine Weile schweigend dahin. Kore musterte interessiert die Gegen und Hades überlegte, wie er die Göttin überzeugen konnte, wieder in ihr Reich zurückzukehren. Beide Götter nahmen das schwache Klagen der verstorbenen Seelen nur mit einem Ohr wahr, zumindest bis ein ohrenbetäubender Schrei über den Strand hinweg fegte. Wie erfroren blieb Kore stehen und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Hades wiederum legte ihr ruhig die Hand auf die Schultern. „Ein Toter, ignoriert ihn", sagte er leise und drückte sie leicht vorwärts. Zögerlich tat die Göttin einige Schritte, konnte ihren Blick aber nicht von der Richtung abwenden, aus der der Schrei kam.

„Warum hat er geschrien?", fragte sie, in ihrer Stimme schwang ein trauriger Ton mit.

„Hm, er könnte viele Gründe haben. Der häufigste? Keine richtige Bestattung. Er kann nicht zur Ruhe kommen", erklärte Hades. Der Schrei war zu einem entfernten Schluchzen verstummt.

„Geschieht so etwas oft?"

„In meinem Heim hört man sie nicht", antwortete Hades lediglich, weswegen Kore ihn zuerst nachdenklich musterte, ehe sie sich wieder von ihm abwandte. Hades trat neben sie und bot ihr stumm seinen Arm an, welcher Kore nach kurzem Zögern annahm. Erneut schritten die Götter schweigend nebeneinander über den roten Sand. Je näher sie dem Flusslauf kamen, umso dunkler wurde der Sand. Ihre Sandalen hinterliessen Spuren im nassen und sonst unangetasteten Sand. Die Styx grub sich ruhig durch den Boden und obwohl es aussah als wäre sie mit Wasser gefühlt, blieb das charakteristische Rauschen aus. Stumm glitt der Fluss dahin und trug Charons Fähre auf ihrem trüben Wasser an sein Ziel. Kore hüllte sich enger in den dunklen Mantel von Hades, als sie den Fährmann vorbeifahren sah. Schweigsam trieb er auf seiner Fähre über den Fluss, die Seelen auf ihr ängstlich zusammengerückt. Keine sah die beiden Götter an. Ihre Augen waren starr nach vorne gerichtet und auch wenn ihr schimmernder Körper von Furcht sprach, waren die Augen leer.

„Sie sieht so anders aus wie die Flüsse, die ich kenne", sagte Kore, als sie ihren Blick von Charons Fähre losreissen konnte. Ihre Stimme war ruhig, kaum lauter als ein Seufzen, fast so als hätte sie Angst jemand – oder etwas – aufzuschrecken.

„Die Flüsse der Unterwelt sind kaum mit ihren auf der Oberwelt zu vergleichen", erwiderte Hades ohne die Göttin anzuschauen. Sein Blick lag flussaufwärts. Keine der beiden Götter bemerkte die neblige Hand, welche sich aus dem trüben Wasser der Styx schob. Noch bemerkten sie die zweite und dritte. Auf die Hände folgten Arme, welche sich wie glanzlose Schlangen über den Sand schoben. Auf die Arme folgten Schultern und Köpfe. Immer näher krochen die toten Hände zu den Füssen der jungen Frühlingsgöttin, welche die Gefahr erst zu spät erkannte. Ein erstickter Schrei entwich ihrer Kehle als die kalten Hände nach ihren Fussgelenken griffen und sie mit eisiger Faust packten. Aus dem Wasser der Styx schossen schreiende und weinende Gesichter. Gesichter von Seelen, die versuchten die Göttin mit in ihre eigene Verdammnis zu ziehen. Doch der Schrei riss Hades' Aufmerksamkeit endlich von dem los, was flussaufwärts lag, und lenkte sie auf die Göttin vor sich. Sein Arm schlang sich um den Bauch der Göttin, und wirbelte sie herum. Ihre Knöchel entglitten dem kalten Griff der Seelen. Sie konnten nur noch verzweifelt nach dem dunklen Gewand des Hades greifen, welcher sich schützend zwischen sie und Kore gestellt hatte. Ein Blick jedoch genügte und die Seelen zogen sich zurück, ihre nebligen Körper verschwanden im trüben Strom der Styx, wimmernd und klagend in einer Sprache, die nur sie verstanden.

„Seid Ihr verletzt? Verzeiht mir, ich war unachtsam", entschuldigte sich Hades und löste seine Arme von ihr. Kore nickte stumm und sah geschockt auf die Styx. Sie spürte immer noch die kalten Finger auf ihrer Haut, den eisernen Griff der Toten.

„Waren das...?" - „Seelen?", beendete er ihre Frage, „Ja. Sie sind von Charons Fähre gefallen oder verwirrt in die Styx gewandelt. Sie sind verloren in ihrem Wasser."

Kore war einen Moment still, bis sie ihren Blick vom Fluss vor ihr losreissen konnte, erst zu Boden und dann zum Gott vor ihr sah. „Kann man ihnen nicht helfen?"

Hades seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich herrsche zwar über die Unterwelt, aber selbst ich kann der Göttin Styx nicht ihre entreissen." Und würden meine Brüder nicht immer von neuem Kriege und Naturkatastrophen anzetteln, würden weniger verwirrte Tote in die Styx wandern, dachte sich Hades, sprach es aber nicht laut aus. Selbst hier unten bestand die Gefahr, dass einer seiner Brüder ihn hören könnte, und sie hatten schon genug Differenzen untereinander. „Ich sollte Euch zurückbringen, es war töricht Euch in die Unterwelt zu begleiten", sagte Hades, doch die Frühlingsgöttin hatte anderes im Kopf.

„Nein! Ich verspreche ich werde vorsichtiger sein! Bitte, ich habe noch nie so etwas aufregendes und erschreckendes erlebt!", beharrte die Göttin und, Hades glaubte sich zu täuschen, ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Ich habe noch nie ein Abenteuer erlebt!", sagte sie und drehte sich neugierig im Kreis, „Und ausserdem, habt Ihr etwa schon vergessen, dass Ihr mir beweisen müsst, dass Ihr anders seid wie in den Geschichten?"

Damit überrumpelte sie den Gott der Unterwelt. „Ich...Was!?", stammelte er verwirrt, konnte aber keinen Satz mehr formen, denn schon wurde er von einem markerschütternden Knurren unterbrochen, dass über den roten Strand der Styx hallte. Kores Kopf schnellte in die Richtung aus der das Geräusch zukommen schien, wieder mit diesem Lächeln auf den Lippen, von welchem sich Hades immer noch einredete es sich nur einzubilden.

„In der Unterwelt wartet eine Überraschung nach der anderen auf einen", sagte sie und sah Hades auffordernd an. Dieser brauchte einen Moment bis er verstand was sie mit ihrem Blick sagen wollte.

„Nein, auf keinen Fall. Ihr hattet schon Glück nicht in die Styx gezogen zu werden. Ich werde Euch zurück in Euer Reich bringen. Ich habe schon genug zu erklären, warum Ihr überhaupt in meiner Begleitung seid, da will ich noch erklären müssen, warum Ihr verletzt seid", entgegnete er strikt und wies mit einem ausgestreckten Arm in die Richtung aus der sie gekommen waren. „Und ausserdem habe ich nie gesagt, dass ich Euch beweisen möchte, wie falsch mich die Geschichten der anderen Göttern darstellen", fügte er hinzu, als Kore ihn nur stumm und mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. Auf seinen letzten Satz reagierte sie allerdings auch wieder nur mit einem hochziehen der Augenbrauen. Hades seufzte auf und verschränkte seine Arme.

„Angenommen Ihr bringt mich zurück in den Garten meiner Mutter", sagte Kore schliesslich, „Was würde mich davon abhalten vor Euch zu fliehen und anschliessend meiner Mutter zu erzählen, dass Ihr mich entführt habt, um...naja, was auch immer zu machen?" Hades konnte nicht glauben was die junge Göttin gerade gesagt hatte und sah sie einen Moment nur stumm an.

„Ihr seid so hinterlistig, wie Ihr naiv seid, wisst Ihr das?", erwiderte er schliesslich. Ihm machten Drohungen nichts aus, aber Demeter würde ihrer Tochter jedes Wort abkaufen und er wollte auf keinen Fall Demeters Zorn über sich bringen. Wobei er sich eingestehen musste, dass dies wohl schon längst geschehen war. Also was genau bewegte den Gott der Unterwelt dazu, Kore den Arm anzubieten und sie nicht nach Hause sondern tiefer in die Unterwelt zuführen? Vielleicht war es dieses kleine Lächeln, welches immer wieder ihre Lippen zierte und von dem er sich vehement einredete, es wäre eine Einbildung.

Zufrieden mit Hades' Entscheidung, hakte sich Kore bei ihm ein. Zusammen gingen die zwei Götter flussabwärts. Hades, seit jeher der Schweigsame, sprach nicht und Kore, seit jeher die Neugierige, saugte die Umgebung massgeblich in sich auf, betrachtete jedes kleine Sandkorn und musterte die Landschaft mit solch einem gebieterischen Blick, dass man meinen konnte, sie würde über diese Lande herrschen. Doch je näher sie dem metallischen Knurren kamen, umso mehr lenkte Kore ihre Aufmerksamkeit auf das, was vor ihr lag. Eine Felswand türmte sich vor ihnen auf, so hoch, dass sich ihr Ende in einem hellen Nebel verlor. Durch sie zog sich ein gezackter Spalt, von oben bis unten, welcher unheilvoll die Wand durchbrach und nur Durchlass für den trüben Strom der Styx bot. Was die Göttin aber zum Stocken brachte war nicht die Wand oder der Spalt. Es war das dreiköpfige Ungetüm, welches bedrohlich über der Styx stand, zwei seiner Köpfe auf den Strom gerichtet, den dritten knurrend unter den Bauch gekehrt. Kore brauchte einen Moment, um zu erkennen, was die Bestie anknurrte. Im trägen Strom der Styx kauerten bleiche Gestalten, kaum mehr als ein Schatten ihrer früheren selbst. Verstorbene Seelen, die einen verzweifelten Versuch unternahmen ihrer Verdammnis zu entkommen. Auch Hades erblickte die Seelen. Ein wütendes Grollen entkam seiner Kehle. Erschrocken über den plötzlichen Umschwung in seiner Miene, wich Kore ein paar Schritte zurück.

„Bleibt dicht an meiner Seite!", befahl er der Göttin. Kore nickte und trat stumm wieder näher zu ihm, um mit ihm Schritt zu halten. Das dreiköpfige Ungetüm fixierte die zwei Unsterblichen mit einem rot glühenden Augenpaar an, als sie näher kamen. Erst jetzt konnte Kore die schwarzen, ölig glänzenden Schuppen auf dem Rücken des Monsters sehen, welche sich mit seinem Fell zusammen aufstellten. Der Schuppenpanzer verlief über den gesamten Rücken des Ungeheuers, bis er sich zu einem langen – sich zusammenrollenden und ausschlagenden – schuppigen Schwanz verengte. Fasziniert blieb Kore stehen, Hades jedoch Schritt weiter auf die Styx zu, so dass sich ihre Arme voneinander lösten, aber beide Götter waren zu fokussiert auf das vor ihnen, um es zu bemerken.

„Kinder des Anatol! Ihr habt meine Geduld bereits genug erprobt. Zurück mit euch oder ihr werdet den Magen des Kerberos euer neues Heim heissen!", erklang Hades' gebieterische Stimme über das metallene Knurren des Kerberos. Die kauernden Seelen fuhren aus dem styxschen Wasser auf, verharrten aber einen Moment an Ort und Stelle, als ob sie sich überlegten, sich gegen ihren Herrscher aufzulehnen. Doch sie schienen sich eines Besseren zu besinnen, so hasteten sie unter dem Bauch des Kerberos zurück durch den gezackten Spalt, zurück in die Totenwelt. Kerberos sendete ihnen ein kehliges Bellen hinterher, welches Wellen über die sonst ruhige Styx sandte. Dann drehte sich der dritte Kopf wieder nach vorne und heftete seinen Blick an seinen Herrn, die Lefzen zu einem grausigen Grinsen hochgezogen. Kore schloss langsam wieder zu ihrem Gastgeber auf, ohne den Wächter der Unterwelt aus den Augen zu lassen.

„Einen ungeheuerlichen Wächter habt Ihr für wahr, Hades", sagte sie, als sie sich wieder bei ihm einhakte, „Es ist also nicht alles gelogen in den Geschichten." Kore sah ihn mit einem neckenden Blick an, worauf er nur den Kopf schüttelte.

„Die Unterwelt ist ein erschreckendes Reich. Und ich habe nie behauptet, dass alles gelogen wäre, nur dass sie...an ein paar Stellen ein wenig übertreiben", erwiderte er schliesslich und entlockte Kore so ein amüsiertes Lachen. Sie wandte sich wieder dem Monster zu, welches jeder ihrer Bewegungen mit zwei rotglühenden Augenpaaren verfolgte. Langsam, beinahe schüchtern, senkte sich der mittlere Kopf auf Augenhöhe mit Kore. Rote Augen starrten in Haselnussbraune. Hades blieb stumm und beobachtete seinen Wächter mit einem wachsamen Blick. Kore indes sah dem Tier unverwandt in die Augen, nicht gewillt, klein beizugeben. Zumindest bis sie aus dem Augenwinkel blaue Blumen auf dem dunklen Boden spriessen sah. Abgelenkt unterbrach sie den Blickkontakt und musterte die Blumen. Neben ihnen fiel Speichel zu Boden, welcher zischend der Boden verätzte, und aus dem sich die langstieligen blauen Blumen wanden. Mit einem Schmunzeln bückte die Göttin sich und pflückte eine.

„ónito , blauer Eisenhut. Eine schöne Pflanze", murmelte sie und steckte sich die Blume an ihr Gewand, „Genau so gefährlich wie du, nicht wahr?" Kore hob ihre Hand und ehe Hades intervenieren konnte, streichelte sie über die breite Stirn von Kerberos, kraulte ihn hinter seinen grossen, spitz aufgestellten Ohren. Kerberos' mittlerer Kopf schloss kurz die Augen und schmiegte sich an Kores Hand, bevor er sich wieder zurückzog. Mit einem Gähnen schüttelte er seinen Kopf und wandte sich wieder der Styx zu, wieder ganz in seinem Element.

„Kerberos hätte Euch in einem Bissen verschlingen können!", entfuhr es Hades vorwurfsvoll, aber er konnte der Göttin nicht böse sein viel zu fasziniert war er von ihrer und Kerberos' Interaktion.

„Und Ihr wärt zu meiner Rettung geeilt, wie Ihr es bei der Styx getan habt", erwiderte Kore ruhig, lächelnd.

Kehren wir für einen Moment zurück an die Sonne, in den grünen Garten der Demeter, wo die Vögel zwitschern und es vor Leben nur so strotzt.

Demeter, die sorgende Mutter, war am Blumen pflücken, weit entfernt von ihrer Tochter, als diese den Eingang zur Unterwelt fand. Erst als Helios' Wagen im Westen langsam am Horizont verschwand, machte sie sich auf die Suche nach ihrer Tochter, damit diese ihr helfen würde die nächtlichen Pflanzen zu pflegen. Doch das einzige, was sie fand, war die Gruppe von Nymphen, welche ihre Tochter hatten begleiten sollen, schlafend, unter Bäumen und Büschen. Demeters erboster Schrei schreckte die Naturgeister allerdings aus ihrem Schlummer auf. Verängstigt über die wütende Göttin, fuhren sie auf und versteckten sich.

„Wie oft ist euch nun meine Tochter schon abhandengekommen?", knurrte Demeter wütend, „Sollte ihr irgendetwas geschehen sein, werdet ihr euch wünschen ihr wärt nur in einen Baum oder Busch verwandelt worden!" Die Nymphen kauerten ängstlich zusammen und flehten um Gnade, doch Demeter ignorierte ihr flehen und wandte sich stumm ab. Nach Kore rufend durchstreifte sie ihren Garten, suchte auf jedem Baum und unter jedem Busch, doch nirgends war eine Spur von der jungen Göttin zu finden. Verzweifelt suchte die Göttin die ganze Nacht hindurch, eine Fackel in der Hand, um ihr den Weg zu leuchten. Doch auch am nächsten Morgen hatte sie ihre Tochter noch nicht gefunden.

So irrte die Göttin neun Tage lang durch das Menschenreich, immer nach ihrer Tochter rufend, auf eine Antwort horchend, ohne diese je zu erhalten. Bis sie auf Hekate traf, die Göttin der Hexen und Giftmischerinnen, die mächtige Helferin. Hekate empfing die suchende Göttin mit offenen Armen und konnte sie soweit beruhigen, dass sie ein geordnetes Gespräch führen konnten.

„Demeter, Göttin des Frühlings und des Weizens, sagt mir, was versetzt Euch in eine solche Unruhe, dass Ihr durch Tage und Nächte schreit?", fragte sie und wies Demeter einen Stein, auf den sie sich setzten sollte. Ihre Fackel rammte sie in den Boden.

„Hekate, du bist eine mächtige Göttin, eine willige Helferin, sag mir, habt Ihr meine Tochter gesehen? Habt Ihr sie gehört?", flehte Demeter Hekate an, doch diese konnte ihr nicht helfen. Sie hatte Kore weder gesehen noch gehört. Doch die kluge Göttin wusste Rat.

„Ich habe nichts gesehen und nichts gehört, aber verzweifelt nicht, Demeter, es gibt jemanden, dem nichts entgeht. Kommt, wir gehen zum Titanen Helios, welcher jeden Tag seinen Wagen von Ost nach West über den Himmel lenkt. Er wird wissen, wie es um deine Tochter steht", sagte Hekate und griff ihr göttliches Gegenüber am Arm. Zusammen eilten sie gen Westen, wo Helios vom Himmel zur Erde sinkt um zu ruhen und sich für den nächsten Tag zu rüsten. Hocherhobenen Hauptes schritten Hekate und Demeter zu ihm.

„Helios, der du die Sonne von Ost nach West ziehst! Ich komme zu dir um Wort zu erhalten über meine Tochter! Sie wurde mir geraubt, hinterhältig und ohne Wort wurde sie aus meinem Garten gerissen und verschleppt! Hast du, auf deinem Gang über den Himmel, etwas gesehen?", sprach Demeter, ihre Stimme fest, jedes Anzeichen von Schwäche war verflogen.

„Demeter! Göttin des Landes. Hekate! Göttin der Hexen und willige Helferin. Grosse Not führt euch zu mir. Ich habe Eure Tochter gesehen, Demeter. Doch sie wurde nicht geraubt oder verschleppt. Sie fand ganz von selbst den Eingang in den naheliegenden Bergen", sagte Helios, einer der alten Titanen, und erhob sich von seiner Ruhestätte.

„Was für einen Eingang?", verlangte Demeter zu wissen.

„Einen Eingang in die Unterwelt..." Demeter riss erschrocken die Augen auf und setzte zu einem Ausruf an. "Haltet ein!", unterbrach Helios sie, als er sah wie sie das Wort ergreifen wollte, „Ich habe noch etwas zu berichten. Ich sah heute jemanden in Eurem Garten, einen skurrilen Flecken im hellen Grün und den leuchtenden Farben. Aidoneus wandelte in seinem dunklen Gewand durch Euer Heim und traf auf Kore, doch sie wechselten keine Worte."

Blinde Wut kochte in Demeter auf. „Hades!", stiess sie zornig aus. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich von Helios und Hekate ab und verschwand, bevor einer der beiden sie aufhalten konnte. Demeter stürmte aus dem Haus des Helios, hinaus in die kühle Nacht. In ihrem Zorn wollte sie in die Unterwelt stürzen, Hades den Hals umdrehen, ihn dafür bestrafen, dass er ihr ihre Tochter genommen hatte. Doch ihre Wut verschwand langsam mit jedem weiteren Schritt den sie tat. An ihre Stelle trat Verzweiflung, Trauer.

Die Göttin, fest im Glauben, dass der Herr der Unterwelt ihre Tochter verführt hatte, wanderte über die Erde. Getarnt als alte Frau zog sie durch die Menschenwelt, um Kore trauernd, bis sie eines Tages auf drei junge Schwestern traf, die am Brunnen Wasser holten. Deren Jugend erinnerte Demeter nur noch schmerzlicher an ihre Tochter. Mit neuaufkeimendem Trauer brachte Demeter ihren Zorn auf die Menschenwelt nieder. Sie liess die Ernte verkommen, die Blumen welken. Die Bäume verloren ihre Blätter und ihre Äste wurden brüchig. Verderben bringend wanderte die Göttin tagelang über die Erde, bis sie in einem ihrer Tempel rastete. Von dem hochgelegen Ort überblickte sie das Land der Menschen und verfiel ihrer Sehnsucht nach ihrer Tochter.

Zeus, der Göttervater, der hoch oben auf dem Olymp thronte, sah wie das Menschenreich verkam und in Leid versank. In der Hoffnung, Demeter zu beruhigen und zur Besinnung zu bringen, schickte er Iris los. Die Götterbotin eilte in goldenen Sandalen zur Göttin, brachte ihr Geschenke und sprach ihr gut zu, doch Demeter wollte nicht hören. Stumm tat sie jedes Wort der Iris ab, bis sich diese geschlagen gab und zum Olymp zurückkehrte. Zeus, enttäuscht vom Misserfolg der Götterbotin, schickte einen Gott nach dem anderem, um Demeters Gunst zu gewinnen. Alle kamen sie zu ihr mit prächtigen Geschenken, guten Worten, oder dem Befehl, die Ernte wieder wachsen zu lassen. Alle kehrten sie erfolglos zurück zum Olymp. Bis auf Hermes. Der Sohn des Zeus und Götterbote konnte Demeter zwar nicht dazu bringen, die Pflanzen wieder wachsen zu lassen, doch er konnte endlich das Schweigen der Göttin brechen. So kam er mit einer Botschaft zu seinem Vater zurück. Demeter würde erst dann das Leiden der Sterblichen beenden, wenn sie ihre Tochter wieder mit eigenen Augen sehen und sie wieder in den Arm nehmen konnte. Erst wenn Hades Kore aus seinen Fängen entliesse, würden die Blumen wieder blühen und die Ernte spriessen. Denn noch immer war sie überzeugt, dass der Gott der Unterwelt ihre Tochter verführt hatte. Diese Nachricht überbrachte Hermes dem mächtigen Zeus, welcher seinen Sohn sofort losschickte. In die Unterwelt sollte er gehen und Kore zurückbringen. 

Von den Tagen von Demeters Zorn spürt die Unterwelt nichts. Hades verschob seine Pflichten als Gott der Unterwelt, während er Kore mit Kore an seinem Arm durch sein Reich ging. Bevor Hermes zu Demeter geschickt wurde, kamen sie am Schloss, dem Haus des Hades, an. Kore bestaunte die pompöse Struktur von Hades' Heim und bemerkte beinahe nicht, dass sie zu einer Treppe kam. Hades hielt sie jedoch noch rechtzeitig auf, bevor sie über die erste Stufe gestolpert wäre.

„Dies ist also Euer Heim? Hier richtet Ihr über die verstobenen Seelen?", fragte sie und liess ihre Blick über das tiefschwarze Gemäuer gleiten.

„Ja...und nein. Es ist mein Heim, ja, aber ich richte hier nicht über die Verstobenen. Diese Aufgabe übernehmen meine drei Richter. Hier empfange ich lediglich die wenigen Gäste, die ich habe", erklärte Hades geduldig. Kore nickte verstehend und sah sich um.

„Es sieht so kahl aus", murmelte sie und kniete sich in die dunkle Erde. Dort wo ihre Hand den Boden berührte spross eine weisse Blume. Aber sie war klein und unförmig und zerfiel schon bald wieder zu einem kleinen Häufchen Erde. Kore blickte unglücklich auf die Überreste.

„In dieser Welt spriesst nur wenig Leben", sagte Hades, beinahe schon traurig, und kniete sich neben die Göttin, „doch vielleicht ist Euch dies ein Trost." Er legte seine Hand auf den Boden und vergrub die Fingerspitzen in der Erde. Hades schloss seine Faust um die Handvoll Erde und presste sie festzusammen, ehe er sie Kore hin reckte.

„Eine Faust voll Erde soll mir Trost spenden?", fragte sie skeptisch und entlockte Hades ein Schmunzeln. Wortlos öffnete er seine Faust und zum ersten Mal in ihrem Leben war Kore sprachlos. In seiner Hand lag eine rubinrote Granatapfelblüte, schöner als jegliche andere ihrer Art, die sie in den Gärten ihrer Mutter je gesehen hatte, aus hartem, kaltem geformt.

„Sie ist wunderschön", hauchte die Göttin und griff nach dem Edelstein.

„Ich dachte mir, dass Ihr Granatapfelblüten mögt, so wie Ihr sie im Garten ansaht", gestand Hades, beinahe schon verlegen. Kore schenkte ihm ein dankbares Lächeln und umschloss das Juwel mit ihren Finger. „Kommt, ich zeige Euch mein Heim", sagte Hades und half der Frühlingsgöttin auf die Füsse. Zusammen gingen sie die dunklen Treppenstufen hinauf, wo sie bereits von zwei knurrenden Schatten erwartete wurden. Bei genauerem Betrachten erkannte Kore, dass es sich um zwei breitschultrige Hunde handelte. Ihre Gestalt in einem Moment der von lebenden Hunden und im nächsten waren sie nichts als schwarzer Nebel. Ihr Knurren wurde leiser, als sie ihren Herren erblickten, doch sie behielten die ihnen unbekannte Göttin misstrauisch im Auge. Geduckt sahen sie zwischen Hades und Kore hin und her.

„Anakletos! ! Zurück! Sie ist mein Gast", befahl Hades seinen Hunden. Kurz schien es so, als ob sie ihm nicht folgen würden wollen, dann aber wichen sie zurück und setzten sich links und rechts neben dem Eingangstor hin. Ihr Blick haftete noch immer an Kore, aber diesmal weniger bedrohlich.

„Antheia? Ihr habt Euern Hund nach der Göttin Hera benannt?", fragte Kore erstaunt und ein stückweit amüsiert.

„Lasst sie das bloss nicht hören!", erwiderte Hades mit einem kleinen Schmunzeln und brachte Kore zum Kichern.

„Meine Lippen sind versiegelt", flüsterte sie schelmisch. Hades unterdrückte ein Lachen und stiess mit beiden Händen das Eingangstor auf.

„Willkommen in meinem Heim!"

Die Eingangshalle war gigantisch. Hohe schwarze Säulen stützten die Decke, die aus weiss gesprenkelten Marmor war. Wie der Sternenhimmel unter dem Kore so viele Nächte verbracht hatte, funkelten die Punkte. Zu beiden Seiten verliefen Treppen, mit dunkelrotem Teppich gepolstert, die auf Balkone führten, von wo aus, mehrere Gänge abgingen. Vor ihnen erhob sich ein Tor mit verschlungenen Schnitzereien aus schwarzem Ebenholz. Begeistert drehte sich die Göttin im Kreis und hastete links die Treppe hoch.

„Was ist in diesen Räumen?", fragte Kore interessiert und musterte die dunklen Holztüren.

„Zimmer. Ich empfange zwar nur selten Gäste, aber falls sich mal ein Sterblicher oder Unsterblicher hier her verirrt, kann ich dennoch ein guter Gastgeber sein", erklärte Hades. Kore nickte verstehend und ging weiter. Neugierig wanderte sie durch die Gänge, öffnete einige Türen und schielte in den Raum dahinter. Ihre dunklen Finger strichen über die dunklen Holztüren und das dunkle Gemäuer, so als würde sie ein Tier streicheln. Und als Hades einen Moment nicht hinsah, tauchte sie direkt vor ihm auf, ihre Sandalen in der Hand.

„Könnt Ihr die für mich tragen?", fragte sie schüchtern.

Etwas perplex nahm er die Sandalen und schon hüpfte die junge Göttin wieder glücklich voraus. Dort wo ihre nackten Füsse den Boden berührten rankten sich Wurzeln durch den Stein und kleine grüne Blätter sprossen. Einen Moment lang sah er die Ranken an, dann, mit einem zufriedenen Lächeln, folgte er Kore.

Zusammen wanderten die Götter durch das Schloss, betraten Räume und Zimmer, die schon seit Jahren unangetastet waren, betrachteten Fackelhalter und Kerzenständer und fuhren mit den Fingern den Schnitzereien in den Holztüren nach. Jede Berührung von Kore hinterliess kleine Pflanze. Ranken und Gräser sprossen aus den Wänden, kleine Blumen wanden sich aus ihren Knospen, nur um bald wieder zu Staub zu werden. Hades beobachtete das Schauspiel aus neuem Leben und raschem Tod traurig, gleichzeitig versuchte er aber auch seine Begleiterin nicht aus den Augen zu verlieren. Es dauerte eine Weile, aber schlussendlich hatten die beiden Götter einen Kreis geschlagen und kamen wieder in der Eingangshalle an. Kore sprang vor und lehnte an die Brüstung, ihr Blick zur Decke gerichtet.

„Es erinnert an den Sternenhimmel zu Hause", sagte sie, als Hades neben sie trat. Dieser wollte gerade das Wort ergreifen, als sich Kore zu ihm drehte. „Zeigt Ihr mir, was hinter diesen Toren liegt?", fragte sie. Hades sah sie kurz prüfend an, ehe er nickte.

„Es wäre mir ein Vergnügen, folgt mir", sagte er und ging voraus die Treppe hinunter zu den grossen Ebenholztoren. Sie waren noch wenige Meter davon entfernt, als die Türen von selbst mit einem lauten Knarzen aufschwangen und den Blick auf den Thronsaal freigaben. Am weiten Ende des Saales stand, hochaufragend, der schwarze Thron des Hades, gepolstert mit schwarzer und roter Seide. Zu seiner rechten Seite war ein leerer Platz, genug gross für einen weiteren Thron.

„Habt Ihr keine Königin?", fragte Kore, als sie den leeren Platz sah.

Hades schüttelte den Kopf. „Wie viele Götter oder Göttinnen kennt Ihr, die sich freiwillig für mehr als ein paar Herzschläge in der Unterwelt aufhalten?", fragte er zurück und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken.

„Diese Frage hat Eure Brüder nie aufgehalten", erwiderte Kore, plötzlich unsanft, was gegen ihre Art war. Hades erstarrte einen Moment und sah sie überrascht an. Er fing sich aber rasch wieder und seufzte.

„Bitte vergleicht mich nicht mit Zeus und Poseidon", meinte er nur und erwiderte Kores bohrender Blick. Diese schien einen Moment zu überlegen, ob sie sein Wort für bare Münze nehmen sollte und beschloss schlussendlich, dieses Thema ruhen zu lassen. Mit einem Zucken der Mundwinkel wandte sie sich von Hades ab und sah sich weiter im Thronsaal um.

„Ihr meintet, dass Ihr nicht über die Toten richtet...wer tut es dann?", fraget sie irgendwann und kam wieder vor ihm zum Stehen.

„Drei auserwählte Seelen. Die Königen Minos, Rhadamanthys und Aiakos. Alle drei sind gerechte ", sagte Hades, „Aber kommt, es gibt noch einen letzten Ort, denn ich Euch zeigen kann." Hades bot Kore seinen Arm an. Die Göttin hakte sich mit einem Lächeln ein. So führte sie Hades zu einer kleinen, unscheinbaren Tür, in der Nähe des schwarzen Thrones.

„Was befindet sich hinter dieser Tür?", fragte Kore, als Hades seine Hand auf den Griff legte.

„Der Garten", antwortete er und stiess die Tür auf.

Der Garten umfasste, wie es schien, die gesamte Rückseite des Schlosses. Die kieselbedeckten Wege waren gesäumt von blühenden Granatapfelbäume. Sie führten beinahe wie ein Labyrinth zwischen Blumenbeeten mit tausenden Blumen hindurch. Und zum zweiten Mal in ihrem Leben war Kore sprachlos.

„Gefällt es Euch?", fragte Hades. Er stand neben der Göttin und beobachtete ihre Reaktion genau.

„Er ist wunderschön...", hauchte Kore und ging wie verzaubert zu den Bäumen. „Ich dachte hier unten wächst nichts", sagte sie verwundert als sie die grünen Blätter berührte.

„Nur wenige Pflanzen überleben hier unten. Wie der Eisenhut...und Granatäpfel. Beide stehen in enger Verbindung zur Unterwelt", erklärte Hades. Kore hörte ihm aber nur mit halbem Ohr zu, denn die vielen farbigen Blumen zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Neugierig kniete sie sich vor einem Beet hin und musterte die Pflanzen. Vorsichtig berührte sie die Blumen und kaum hatte die erste Fingerspitze die Blüten berührt verzog sich ihr Gesicht erst zu Verwirrung, zu Überraschung und zuletzt zu Freude.

„Sie sind aus Kristall!", rief die Göttin plötzlich aus. Mit einem grossen Lächeln strich sie über die harten Blüten und Blätter, zupfte an den zarten Köpfen. Mit ruhigen Händen pflückte sie schliesslich eine gelbe Tulpe. Ein leises Klirren war zu hören, als Kore den kristallenen Stiel der Blume zerbrach und sie von der Erde trennte. Zufrieden erhob sie sich und kehrte zurück zu Hades. „Sie sind wunderschön", sagte sie leise und musterte die Blüte in ihrer Hand eine Weile, bevor sie ihn ansah. „Darf ich?", fragte sie und hob die Blume leicht an. Hades nickte und liess die Göttin die gelbe Blume an sein Gewand stecken. „Ich braucht ein wenig mehr Farbe, findet Ihr nicht auch?", sagte sie und strich die Falten in seinem Gewand glatt, „Schwarz wird irgendwann öde." Sie zupfte nochmals ein wenig an den Falten herum, bis der Stiel der Blume versteckt war und nur noch der gelbe Blütenkopf aus dem Gewand herausstach.

„Ich denke, man nimmt mich ernster, wenn ich so gekleidet bin, wie wenn ich hellrosa tragen würde", entgegnete Hades, mit einem Blick auf ihr Gewand und brachte Kore zum Lachen.

„Ihr würdet ganz entzückend aussehen in hellrosa", kicherte Kore. Hades stiess lediglich ein Brummen aus und sah auf die Göttin hinunter. Ihm wurde erst jetzt klar, wie nahe sie immer noch stand und er musste sich zusammenreissen, um sie nicht von sich wegzudrücken. Ihr schien die Nähe nichts auszumachen.

„Darf ich Euch etwas fragen?", erkundigte sich Hades nachdem er sie eine Weile stumm angesehen hatte. Kore trat ein paar Schritte zurück und musterte ihr Werk, ehe sie ihn ansah.

„Habt Ihr bereits", antwortet sie keck und brachte Hades zum Lachen. Amüsiert betrachtete er die Göttin und schüttelte den Kopf. Sie überraschte ihn immer wieder.

„Darf ich Euch zwei weitere stellen?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Frühlingsgöttin kicherte.

„Ja, dürft Ihr, wenn ich Euch auch etwas fragen darf!", sagte sie und verschränkte die Arme.

„Natürlich", willigte Hades ein, „Aber davor sagt mir, was wäre Eure Antwort, wenn ich Euch bitten würde zu bleiben?" Kores Augen weiteten sich mit Überraschung und sie starrte den Gott vor sich zuerst nur stumm an.

„Verzeiht mir, das war..."

„Was wäre, wenn ich nein sage?", unterbrach Kore ihn und sah ihn eindringlich an. Hades zuckte überrascht den Kopf.

„Wenn das Eure Antwort ist, dann bringe ich Euch zurück in Euer Heim, zu Euer Mutter", sagte er.

Überrascht hob Kore die Augenbrauen. „Ihr würdet mich zurückbringen? Einfach so?", Ein leises Lachen entkam ihrer Kehle, „Ihr seid wahrlich nicht wie Eure Brüder!" Hades verdrehte die Augen ab der erneuten Erwähnung seiner Geschwister.

„Einer muss doch vernünftig sein in dieser Familie", meinte er und brachte Kore zum Lachen.

„Bis wann muss ich mich entschieden haben?", fragte sie, die Reste ihres Lachen immer noch auf den Lippen.

„Nehmt Euch so viel Zeit wie Ihr benötigt", antwortete Hades und wies einladend auf den Garten. Die Göttin nickte dankbar und ging los. Doch sie stoppte nach wenigen Schritten wieder und drehte sich um.

„Begleitet Ihr mich nicht?", fragte sie verwundert als sie merkte, dass der Gott ihr nicht gefolgt war.

„Ihr habt in diesem Garten nichts zu befürchten. Keine Seelen oder feindlich gesinnte Kreaturen haben hier Zutritt. Geht nur, erkundet den Garten. Ich werde hier sein, wenn Ihr zurückkommt", sagte Hades. Kore schenkte ihm ein glückliches Lächeln und hüpfte über die kieselbestreuten Wege hinfort. Ihre nackten Füsse unbeeindruckt von den scharfen Kanten der Steine.

Nun alleine legte Hades die Sandalen, von denen er ganz vergessen hatte, dass er sie noch immer in den Händen hatte, der Göttin auf einem flachen Stein ab und sah nachdenklich zu Boden. Sie wird dein Angebot wohl kaum annehmen, dachte er sich.

„Und ich dachte immer Vater wäre der mit den spassigen Ideen. Ihr überrascht mich doch immer wieder, Onkel!", erklang eine, dem Hades nur zu bekannte Stimme aus dem Nichts und liess ihn unmerklich zusammenzucken.

„Hermes", sagte er tonlos und wandte sich zu dem Götterboten um, nicht überrascht von dessen Leichtfüssigkeit, welche es ihm erlaubte, sich an beinahe jeden anzuschleichen, sterblich oder unsterblich. Er war schliesslich nicht umsonst der Gott der Diebe. „Bist du nur hier, um wieder deine Meinung unerwünscht anzubringen?"

„Oh, und ich dachte immer, Ihr wüsstet meine Meinung zu schätzen", schmollte Hermes, bevor er wieder ernst wurde, „Aber nein, ich bin hier, um eine Nachricht zu überbringen. Vater Zeus schickt mich. Demeter lässt die Welt der Sterblichen verkommen, aus Angst und Trauer um ihre Tochter, welche, wie es der Zufall will, bei Euch ist." Hermes machte eine kurze Pause, um eine Reaktion des anderen Gottes abzuwarten, aber Hades sah ihn nur stumm an, also fuhr er fort. „Neun Tage lang hatte sie nach Kore gesucht, bis sie auf Hekate traf, welche sie zu Helios brachte. Von ihm erfuhr sie dann, dass die schöne Maid bei Euch ist und nun lässt sie nichts mehr wachsen bis sie ihre Tochter wieder mit eigenen Augen sieht. Vater befiehlt...rät Euch, Kore gehen zu lassen", überbrachte Hermes die Botschaft des Zeus, wie immer mit Witz und Charme. Hades schloss kurz die Augen und seufzte, als er die Nachricht hörte.

„Lasst meine Mutter Mutter sein", murrte Hades leise und stiess ein genervtes Schnauben aus. „Ich werde Kore holen", sagte er an Hermes gewandt, welcher verwirrt zu verstehen versuchte was der Herr der Unterwelt gemurmelt hatte. Hades achtete nicht auf seine Verwirrung und liess den Götterboten stehen. Die Göttin suchend machte er sich also auf den Weg durch den Garten.

Kore war währenddessen am Blumen pflücken und sie kam gerade an einem Beet voller weissen Narzissen vorbei, als sie bei einer grossen, runden Kiesfläche ankam. Bevor sie die Fläche aber betrat bückte sie sich und pflückte rasch eine der weissstrahlenden Narzissen. Glücklich mit ihrem neuen Fund erhob sie sich wieder und sah sich um. Wie auch schon bei den Wegen, säumten auch die Kiesfläche Granatapfelbäume, nur kurz wurden die lebenden Pflanzen von kleinen Büschen oder Blumen aus Kristall unterbrochen. In der Mitte der Fläche stand ein steinerne Tisch. Erschöpft vom vielen Gehen setzte sie sich auf eine der Bänke am Tisch und nahm die Umgebung in sich auf. Erst jetzt fiel ihr auf wie still es im Garten war. Keine Schreie, kein Knurren, aber auch kein Vogelzwitschern oder Rascheln in den Bäumen. Es war einfach nur still. Beinahe schon vollkommen, wäre ihr Atem nicht. Langsam schweifte die Göttin in Gedanken ab. Sie dachte an das Angebot von Hades. Hier zu bleiben, in der Unterwelt. Gedankenverloren spielte sie mit einem Kieselstein während sie darüber nachdachte. Zum ersten Mal gab ihr jemand die Macht etwas selbst zu entscheiden. Kore hätte nie gedacht, dass es so schwer sein würde etwas zu bestimmen. Doch irgendwann hatte sie einen Entschluss gefasst und erhob sich. Ruhig und entschlossen ging sie zu einem der Granatapfelbäume. Sie musste sich ein wenig recken, um nach einem der Äpfel greifen zu können, aber als sie ihn zufassen kriegte liess er sich ganz leicht von seinem Ast lösen.

Hades durchkämmte derweil den ganzen Garten, nichts ahnend von Kores Vorhaben. Er eilte vorbei an den Blumenbeeten, die er nach dem Vorbild Demeters erschaffen hatte, sah sie nur lang genug an, um festzustelle, dass sie nicht vor oder in ihnen kniete. So brauchte er nicht lange, bis er zu dem runden Kiesplatz mit dem Steintisch kam. Und so wie er Kore sah, blieb er vor Schock stehen. „Nicht!", war das einzige, das noch seinen Lippen entkommen konnte, bevor die süsse, rote Kerne die Lippen der Göttin überwand und in ihrem Mund verschwand. „Was habt Ihr getan?", keuchte der Gott entsetzt. Kore sah überrascht auf. Sie hatte Hades nicht erwartet, schon gar nicht so plötzlich, doch als sie ihre Überraschung überwunden hatte, lächelte sie.

„Ich nehme meine Rolle als Gast an, um den Bräuchen der Sterblichen zu folgen. Ich habe mich entschieden zu bleiben", sagte Kore ruhig und ass eine weitere Kerne. Hades stand wie erstarrt da. Er brauchte einen Moment, um zu verstehen, was gerade geschah.

„Oh", war schliesslich alles, das er herausbekam.

„Was ist? Ich dachte Ihr würdet Euch freuen", sagte Kore besorgt und trat auf den Gott zu.

„Was? Nein...ja...natürlich freue ich mich nur...", Hades unterbrach sich selber und räusperte sich. „Hermes ist mit einer Nachricht zu mir gekommen. Eure Mutter nimmt Euer Verschwinden nicht gut auf und lässt die Welt der Sterblichen verkommen. Sie wird erst wieder Pflanzen wachsen lassen, wenn sie Euch wiedersieht", erklärte Hades sachlich. Kores Augen weiteten sich verstehend. „Und ausserdem wird Demeter mir wohl kaum glauben, dass Ihr die Kerne aus freien Stücken asst", fügte er noch hinzu und brachte Kore zum Schmunzeln.

„Oh nein, meine Mutter wird Euch die Schuld geben und Euch den Tod wünschen. Aber sorgt Euch nicht, mir wird sie glauben", meinte sie und stoppte genau vor ihm. „Wisst Ihr, Hades, ich mag Euch", sagte sie ruhig, „„Ihr...seid anders als die Götter auf dem Olymp. Nicht überheblich. Ihr wisst die Existenz zu schätzen, womöglich weil Ihr so oft mit deren Ende konfrontiert seid. Ich ziehe Eure Gesellschaft der auf dem Olymp vor."

Hermes der Götterbote wartete geduldig auf die Rückkehr von Hades mit Kore. Doch er wartete nicht lange alleine, denn kurz bevor Hades mit der Göttin zurückkehrte betraten Demeter und der Göttervater Zeus höchstpersönlich den Garten. Hermes wich ehrfürchtig vor seinem Vater und der stolzen Frühlingsgöttin zurück, womit er auch sogleich den Blick auf Kore freigab, welche zusammen mit Hades zurückkehrte.

„Kore! Meine Tochter! Hat der Gott Euch etwas angetan?", entfuhr es Demeter sogleich und sie eilte an die Seite ihrer Tochter. „Wie könnt Ihr es wagen, Hades, Hand an mein Kind zu legen!", zischte sie den Gott neben Kore an und zog sie beschützend zu sich. Hades wollte das Wort ergreifen, doch Kore kam ihm zu vor.

„Mutter, Hades hat mir nichts getan, noch mich zu etwas gezwungen. Ich bin von selbst in die Unterwelt gegangen. Eigentlich hatte der Herr der Unterwelt mich sogar aufhalten wollen. Kaum hatte er mich im Gang zum Totenreich gefunden, wollte er mich zurückbringen. Aber ich blieb", rief Kore und griff nach der Hand ihrer Mutter, „Ich erinnerte mich an die Geschichten, die du mir erzählt hast, Mutter, keine ist wahr! Und wenn sie es sind, dann nur bruchstückhaft." Furchtlos hielt Kore dem zornigen Blick ihrer Mutter stand. Und gerade als diese sprechen wollte, erhob sie ihre Stimme erneut. „Wie lange hast du mich nun schon behütete? Mich vor der Welt beschützt, mit Lügen und Geschichten?", sagte sie, „Lass mich dieses eine Mal selbst entscheiden. Lass mich dieses eine Mal mein Leben selbst in die Hand nehmen, es dauert doch für immer!"

„Deine Entscheidung ist bereits gefallen, nicht wahr, Kore?", flüsterte Demeter, ihr Blick fiel auf die rotbefleckten Hände der Göttin. „Du...hast Speise von ihm angenommen. Seine verfluchten Granatäpfel!", sagte sie angespannt, die Augen weit aufgerissen. „Ich lasse das nicht zu! Ihr nehmt mir nicht meine Tochter, Hades!", schrie sie. Ihr Haltung war geduckt, als wollte sie zum Sprung ansetzen. Kore umschlang die Hände ihrer Mutter fester, um sie aufzuhalten sollte sie sich wirklich auf Hades stürzen wollen.

„Demeter, Eure Tochter ass ohne mein Wissen aus meinem Garten. Sie wusste von den Konsequenzen, genauso wie Ihr sie kennt", erklärte Hades ruhig, seine Haltung war geprägt von Vorsicht. Auch wenn er sich in seinem Reich befand, er wollte die Göttin nicht noch mehr erzürnen, als sie ohnehin schon war. Er wollte keinen Streit mit ihr, denn im Gegensatz zu anderen Unsterblichen wusste er besser, als die sicheltragende Göttin zu unterschätzen.

„Sag mir, Tochter, hast du die Kerne aus freien Stücken gegessen? Sprich die Wahrheit oder so wahr ich hier stehe...!", sprach Demeter erbost und fasste ihre Tochter an der Schulter. Kore legte ruhig ihre Hand auf den Arm ihrer Mutter und sagte: „Ich ass die Kerne freiwillig. Hades wusste von nichts." Als Kore fertig gesprochen hatte, wurde Demeter ruhig, zu ruhig. Ihr Griff um Kores Schulter verstärkte sich, so dass sich ihre Knöchel weissfärbten, und aus ihrem Gesicht verschwanden jegliche Regungen.

„Was habt Ihr mit meiner Tochter gemacht?", flüsterte Demeter. Ihr Blick heftete sich bedrohlich an Hades.

„Nichts, Demeter..." - „Ihr lügt!" Hades sah Demeter berechnend an. „Ich bin vieles, aber kein Lügner, das wisst Ihr. Ihr müsst Euch selbst fragen, wenn Ihr wissen wollt, warum Eure Tochter sich hierfür entschieden hat", sagte er und wies auf ihre Umgebung. Damit hatte er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Demeter schrie wütend auf, entriss sich dem sanften Griff ihrer Tochter und stürzte sich auf Hades. Dieser war geistesgegenwärtig genug und reagierte schnell. Er trat einen Schritt zurück und aus dem Boden schoss ein gezackter Geode, nur hüfthoch, doch es reichte, um die wütende Göttin zu stoppen. Schweratmend legte Demeter ihre Hände auf das unebene Gestein, die glitzernden Kristalle darin ignorierend, und starrte Hades an.

„Genug!", mischte sich Zeus und trat zu Demeter. „Demeter, Ihr habt das Wort meines Bruders und Eurer Tochter. Beide sagen, das gleiche. Es schmerzt mich ebenso wie dich, Kore hier in der Unterwelt lassen zu müssen, doch ihre Entscheidung ist gefallen. Ihre Handlungen haben Konsequenzen die zu tragen bereit ist", sprach er und legte eine Hand auf Demeters Schulter. Doch anstatt sich zu beruhigen, packte die Göttin ihre Sichel und presste sie dem Götterherrscher bedrohlich unter das Kinn.

„Auf wessen Seite steht Ihr, Zeus!", fauchte sie wütend, die Sichel drückte gefährlich ins unsterbliche Fleisch des Gottes.

„Leg deine Sichel nieder, Demeter!", verlangte Zeus ruhig. Doch seine Ruhe war Trug. In seinen Augen zuckten Blitze, zwischen seinen Finger knisterte es. Zitternd, ob aus Wut oder vor Furcht, senkte Demeter ihr Werkzeug.

„Warum ihn, Kore? Warum Hades?", fragte sie leise. Kore seufzte und sah zwischen den Göttern hin und her. Demeter und Zeus, die sie gezeugt hatten, Hermes, der charmante und witzige Botengott, der sie durch so manche Spässe amüsiert hatte, und Hades. Der Gott, dem sie gerade ihr Leben zugeschrieben hatte.

„Weil, Mutter, Hades nicht so arrogant ist wie ihr", antwortete sie schliesslich. Stille fiel über die Gruppe, Demeter starrte ihre Tochter mit Unglaube an.

„Kore...", stammelte sie überrascht und wollte ihre Tochter an der Schulter greifen, dich diese wich zurück.

„Nein! Schaut ihr euch überhaupt selbst zu, wenn ihr mal wieder Feste feiert und Sterbliche verführt?! Eure Existenz ist geprägt von Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit! Ihr denkt ihr seid besser als andere. Nur weil ihr einen Platz auf dem Olymp habt schaut ihr auf andere Götter hinab. Ich habe es satt immer das gleiche zu hören und zu sehen. Ich habe genug von deiner Fürsorge und deiner Bemutterung. Jeden Tag meines Lebens folgtest entweder du oder deine Nymphen jeden meiner Schritte. Du nahmst mir meine Entscheidungsfreiheit, also tat ich das einzige, das mich von dir lösen kann. Ich entschied mich diesem Gott zu vertrauen und sein Angebot anzunehmen!", rief Kore aus und sah ihre zornig an. Der Ausbruch der sonst so besonnenen Göttin verschlug nicht nur ihrer Mutter die Sprache. Zeus, sowieso Hermes und Hades starrten die Göttin erstaunt an. Zweiterer war der Erste, der seine Sprache wiederfand.

„Wie viele Kerne asst du , Kore?", fragte Hermes.

„Sechs. Hades brachte mich zurück bevor ich mehr essen konnte", antwortete die Göttin, ohne den Blickkontakt mit ihrer Mutter zu unterbrechen. Hermes hingegen sah zwischen Hades und Zeus hin und her, darauf wartend, dass einer von ihnen die Konsequenzen verkündete, die jedem hier schon bekannt waren.

„Regeln und Traditionen, auch wir Götter können uns nicht über sie hinwegsetzen. Sechs Kerne für sechs Monate!", verkündete Zeus schliesslich und nur knapp konnte er der Weizenähren ausweichen, welche zwischen seinen Füssen aus dem Boden schoss.

„Wenn meine Tochter sechs Monate hier verbringen muss, werde ich die Welt für diese Zeit in Schnee decken! Kein Feld wird mit Weizen spriessen und kein Baum wird Blätter tragen, bis ich meine Tochter wieder in meinem Garten willkommen heissen kann!", drohte Demeter und ganz gleich, was Zeus sagte, um sie zu beruhigen, nichts konnte das aufgebrachte Gemüt der Göttin beruhigen. Ein Streit entbrannte. Zuerst nur zwischen Demeter und Zeus, bis Hades sich einschaltete, in seiner ruhigen Manier wie immer. Kore hingegen stand zurück und lauschte dem Streit, mit einem wachsamen Auge auf Hades.

„Wenn du dich nicht umstimmen lässt, Mutter, dann werde ich mit dieser Bedienung leben. Bedecke die Erde mit Schnee, lass keine Ernte wachsen und keine Blüten blühen, aber wenn ich von der Unterwelt zurückkehre, hilf mir dabei den Frühling zu bringen, die Blumen blühen zu lassen und die Ernte zu segnen!", mischte sie sich schliesslich ein, als ihre Mutter, brodelnd vor Wut, wieder nach ihrer Sichel greifen sah. Demeter drehte sich überrascht zu ihrer Tochter um. Ihre Wut wandelte sich in Trauer. Ihre Hand sank weg von der Sichel an ihrer Hüfte.

„Ist dies wirklich was du möchtest, Kore?", fragte die Göttin, auf einmal ganz schwach und müde.

„Ja"

Demeter seufzte und hackte ihre Sichel wieder ein. „Wenn es dein Wille ist. Dann sollst du ab heute nicht mehr Kore, die Maid, sein, sondern Persephone, die Bringerin des Todes."

Und so kam es, dass die junge Frühlingsgöttin Kore zu Persephone, der Königin der Unterwelt, wurde. Jedes Jahr, wenn sie ihre Mutter verliess, um tief hinab in die Unterwelt zu steigen, bedeckte Demeter die Welt mit Schnee. Die Bäume liess ihre Blätter fallen und die Vögel zogen gen Süden, zu wärmeren Gefilden, bis Persephone wieder aus den Tiefen heraufstieg und die warme Sonne den Schnee schmolz und die Blumen blühen liess.

Jahr um Jahr, stieg Persephone hinab in die Unterwelt und besetzte den weissen Marmorthron, neben Hades' schwarzen. Jahr um Jahr regierte sie als Königin über die verstorbenen Seelen und bald schon war sie gefürchteter als Hades. Persephone wurde für ihre Ruchlosigkeit gefürchtet und für ihr Mitgefühl respektiert. So war sie gehörigen und gutwilligen Seelen gegenüber gnädig und verständig, doch unwilligen und sündhaften Seelen war sie feindlich gesinnt. Gerade da sie ihm Winter an der Seite des Hades herrschte, trug dazu bei, dass sie über Diebe, Mörder und schlimmeres Volk regierte. Doch so sehr sich frevelhafte Seelen sich vor der Göttin fürchteten, genau so sehr liebte Hades seine Königin, dennoch vergingen Jahre, bis es zur göttlichen Hochzeit kam und Persephone Hades zu ihrem Mann und Hades Persephone zu seiner Frau nahm. Nur wenige Götter kamen zum Fest, kaum einer der Unsterblichen mochte Fuss in die Unterwelt zusetzen, nicht einmal für eine solche Gegebenheit. Nicht einmal die der Unterwelt innewohnenden Götter kamen. Lediglich Demeter, Hekate, Hermes und Thanatos und seine Schwester Ker nahmen Teil an den Festlichkeiten. Nichtsdestotrotz – oder vielleicht genau deswegen – genossen Hades und Persephone ihren Hochzeitstag in vollen Zügen. Beide amüsiert über Demeters zerknirschten Ausdruck, als sie sich das Ja-Wort gaben. Als das Ende der Festlichkeiten nahte und sich die wenigen Gäste verabschiedeten, unterbreitete Persephone ihrem Gatten einen Vorschlag.

„Hades?"

„Ja?"

„Darf ich Euch an meinen Lieblingsort entführen?", fragte Persephone mit einem sanften Lächeln.

„Natürlich dürft Ihr. Unsere Hochzeitsnacht dürft Ihr nach Euren Wünschen gestalten", antwortete Hades. Sofort verschränkte Persephone ihre schlanken Finger in seine und zog den Gott mit. Sie führte ihn durch ihr gemeinsames Schloss, hinaus, unter den mächtigen Pranken des Kerberos hindurch, zu dem Tor, durch welches sie vor Jahren die Unterwelt das erste Mal betreten hatte. Sie führte den Gott der Unterwelt hinauf in die kalte von Schnee bedeckte Welt und noch ein Stückchen weiter, bis zu einem grossen, blattlosen und knorrigen Baum. Dort liess sie Blumen und grünes Gras spriessen. Der kahle Baum schoss Blätter und Blüten. So erschuf Persephone ein Fleckchen Frühling im kalten Winter, nur für sich und ihren Gatten, unter dem klaren Sternenhimmel, wo Selene mit ihrem silbrig glänzenden Wagen den Mond über das Firmament zieht. Dort lagen sie, im weichen grünen Gras, die ganze Nacht, bewunderten die Sterne, suchten Sternbilder und sprachen über die Welt. Auch über die Götter, aber nur ganz leise, nicht das Selene oder einer Wintervögel hörte. Dem Baum hatte Persephone bereits das Versprechen abgenommen, nichts zu erzählen, ganz gleich wer ihn fragte.

Je länger die Nacht dauerte, je mehr Persephone lachte und je mehr sie mit ihrer dunklen Hand in den Nachthimmel wies, umso verzauberter war Hades von ihr. Jahre hatte er mit ihr als Königin in der Unterwelt verbracht und doch hörte sie nicht auf ihn zu faszinieren. Umso mehr brach es ihm das Herz zu wissen, dass in ein paar Wochen der Frühling anbrach und seine Gattin ihn verlassen muss, bis sie in sechs Monaten wieder an seiner Seite sein würde.

Während der Gott so darüber nachdachte merkte er nicht wie sein Blick vom Sternenhimmel zu ihr fiel. Er merkte nicht wie sich seine Augen an ihre Gesicht hefteten, so als ob sie sich jedes einzelne Detail einprägen wollten. Erst als Persephone sich zu ihm wandte und seinen Blick erwiderte, fragend, wurde ihm klar, wie sehr er ihn ihren Anblick vertieft war.

„Habe ich etwa Schnee im Gesicht?", fragte Persephone amüsiert. Hades blinzelte kurz verwirrt, ehe er leise lachte.

„Nein, habt Ihr nicht. Ich war bloss in Gedanken", sagte Hades und griff nach der Hand von Persephone.

„Waren es gute?", fragte sie und sah ihm zu wie er mit ihren Finger spielte. Hades sah sie einen Moment ruhig an, bevor er nickte. „Verratet Ihr sie mir?"

„Hmm, nun zugegeben, es waren nicht nur gute. Aber lasst uns nicht darüber sprechen. Die Sonne geht bald auf. Eos wird bald ihre Finger über den Horizont strecken und den Himmel rosig färben. Lasst uns dieses Farbenspiel mit guten Gedanken geniessen", antwortete Hades und umschloss die Hand seiner Königin mit beiden Händen. Persephone befreite eine ihrer Hände aus seinem Griff und stützte sich auf den Ellenbogen ab. Nachdenklich sah sie ihren Gatten an. Dieser erwiderte ihr Blick fragend, weswegen sie ihm im einem sanften Lächeln über die Wange strich.

„Sprecht mit mir, Hades!", forderte sie ihn auf. Hades seufzte und richtete sich ebenfalls auf.

„Der Frühling beginnt in ein paar Wochen...und egal wie oft ich Euch schon gehen lassen musste...es wird nicht leichter. Die sechs Monate ohne Euch kommen mir immer länger vor", gestand der Gott mit gesenktem Kopf. Seine Stimme war mit Traurigkeit belegt. Persephone sah ihn mitfühlend an und schob ihre Hand unter sein Kinn. Sanft zog sie seinen Kopf hoch und zwang ihn sie anzuschauen.

„Mir geht es genauso. Auch wenn ich es liebe die Blumen spriessen und Bäume blühen zu lassen...ich sehne mich nach Eurer Nähe. Ich zähle die Tage, bis ich zu Euch zurückkehren kann, wenn schon nur der erste vergangen ist", sagte die junge Göttin und umfasste Hades' Wange. Sofort schmiegte sich dieser näher an sie, als er die ersten rosigen Strahlen der Morgensonne am Horizont erblickte.

„Seht! Eos erscheint mit ihrem rosigen Wagen!", sprach er und wies in den Himmel.

Gebannt beobachteten sie das besinnliche Farbenspiel. Wie rosa sich zu orange und gelb verwusch und schliesslich zu einem sanften rot, bis der Taghelle blaue Himmel erschien.

„Wisst Ihr, an wen mich diese Farben immer erinnern, wenn ich sie denn sehe?", fragte Hades leise.

„Nein", antwortete Persephone, ebenso leise, „An wen?"

„An Euch, den Frühling meines Herzen." Das Kichern der Persephone verlor sich im Kuss von Licht und Dunkelheit.

-Finis

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Statistik

Kapitel: 10
Sätze: 899
Wörter: 12.555
Zeichen: 72.841

Kurzbeschreibung

Jeder kennt die Geschichte von Hades und Persephone. Jeder weiss, wie der dunkle Gott der Unterwelt die junge Fruchtbarkeitsgöttin entführte, doch was wäre wenn Persephone ihren Weg in die Unterwelt selber gefunden hatte und sich nicht nur dem Willen ihrer Mutter, sondern auch dem des Hades widersetzte und ins Land der Toten ging? Was wäre wenn Persephone nicht durch Zwangsheirat, sondern aus freien Stücken Königin der Unterwelt wurde und an der Seite des Hades regierte?

Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch in den Genres Historik, Entwicklung und Mystery gelistet.

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