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Sätze: | 108 | |
Wörter: | 1.406 | |
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Sie saß in der Küche und würgte ihr Mittagessen hinunter, denn Hunger hatte sie nicht. Es war eher so, als wenn ihr Magen zugeschnürt war. Jeder Bissen war eine Qual für sie. "Amy, nun stocher doch nicht so in deinem Essen herum. Es wird doch kalt" sagte ihre Mutter und zog ihre Stirn in Falten.
"Ich hab keinen Hunger. Bitte Mom, zwing mich nicht" bettelte Amy und schaute ihre Mutter mit flehendem Blick an. Die aber hatte schon keine Augen mehr für das 13jährige Mädchen, das dort alleine am Tisch saß. Während sie in den Flur ging, um ihren Mantel anzuziehen, stocherte Amy angeekelt weiter im Essen herum, wobei sie mit ihrer anderen Hand ihren Kopf stützte. "Ich werde heute bei John übernachten" rief ihre Mutter aus dem Flur. "Schon wieder?" entgegnete Amy, obwohl sie wusste, dass sie ihre Mutter nicht davon abbringen könnte. "Du bist groß genug. Du kommst schon klar. Und mach nicht wieder irgendwas kaputt, hörst du?" schallte es vom Flur. "Mom, bitte. Kannst du nicht hier bleiben? Ich wollte..." Weiter kam Amy nicht, denn ihre Mutter rief im scharfen Ton dazwischen:"Du! Immer nur du! Du machst mir schon Probleme genug mit deinem gestörtem Verhalten. Jetzt geht es auch mal um mich! Du hast die Nummer von John. Aber ich rate dir, nur anzurufen, wenn es wirklich wichtig ist."
Amy senkte ihren Blick und legte die Gabel neben ihrem Teller. Sie konnte Spagetti nicht ausstehen. Die Tür fiel klapsend ins Schloss. Sie hatte sich nicht mal verabschiedet. Warum war sie immer so?... In diesem Moment fühlte sie, wie sich ihr Magen drehte und es ihr hoch kam. Amy sprang vom Stuhl auf und lief ins Bad, wo sie sich über der Toilette ihre Seele aus dem Leib kotzte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit drückte sie den Spülknopf und sank dann zu Boden. Dort saß sie mit angewinkelten Beinen und dachte an ihre Mutter, die nun wahrscheinlich in den Armen von diesem John lag und... während sie hier allein in der Wohnung war. Sie wollte es nicht und wehrte sich innerlich, aber dann liefen ihr die Tränen an den Wangen herunter. Es tat ihr weh, dass sie ihrer Mutter offensichtlich so gleichgültig war. Aber anders kannte Amy es auch nicht; es war schon immer so. Ihren Vater hatte sie nie kennen gelernt. Ihre Mutter hatte ihr den Kontakt zu ihm verboten. Warum eigentlich? Sie war ihr doch sowieso egal und ein Klotz am Bein.
Dann stand sie auf und wusch sich ihr Gesicht am Waschbecken und spülte ihren Mund mit Wasser aus. Komisch, sie fühlte sich jedes mal nach dem Erbrechen irgendwie befreit. Sie ging kurz in die Küche, um ihr Handy zu holen, das noch auf dem Küchentisch lag. Anschließend ging Amy ins Schlafzimmer ihrer Mutter und blieb vor dem großen Standspiegel stehen und betrachtete sich darin. Sie hatte ein blasses schmales Gesicht und ihre braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Dann hob sie ihren Pullover und ihr Hemd darunter hoch und betrachtete ihren Oberkörper. Tiefe Furchen waren zwischen den einzelnen Rippen zu sehen. Amy zog alles wieder runter und ging zurück ins Bad.
Sie setzte sich auf die flauschige Badematte vor der Wanne und öffnete auf dem Handy die App, wo sie ein wenig Trost und Verständnis suchte. Es war eine Kummer App, in der alle möglichen Leute anonym über ihre Probleme, Ängste und Sorgen schrieben. Manchmal waren dort auch irgendwelche Idioten unterwegs, die alles weibliche anzubaggern versuchten. Aber die blieben nicht lang, da man solche Vollpfosten sperren lassen konnte, wenn sie sich daneben benahmen. Amy hatte dort eine Freundin gefunden, mit der sie jeden Abend schrieb. Es war eine wesentlich ältere Freundin...hätte vielleicht eher ihre Mom sein können.
Eigentlich war es noch zu früh, sie anzuschreiben, aber sie versuchte es einfach und hoffte auf Antwort. Doch es kam nichts. Also ging Amy zurück in die Küche und räumte ihren Essplatz auf. Sie verzog das Gesicht, als sie den Teller mit den Spagetti in die Hand nahm. Der Duft und der Anblick vom Essen löste wieder dieses eklige Gefühl aus. Sie schüttete das Essen in den Küchenmülleimer und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Endlich konnte sie aufatmen, ohne diesen widerwärtigen Essensgeruch einzusaugen...
Den Nachmittag über hatte sie versucht ein paar Hausaufgaben zu erledigen, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Irgendwie hatte sie immer noch den widerwärtigen Geruch vom Mittagessen in der Nase. Also ließ sie ihre Schularbeiten liegen und fing an die Küche zu putzen. Das machte sie gerne, denn so bekam Amy endlich den Kopf frei und musste nicht immerzu an ihre Mom denken. Außerdem roch es jetzt so schön nach Putzmittel und nicht mehr nach Essen. Die Schranktüren und der Fußboden waren blitzsauber und der Herd sah wie neu aus. Ihre Hände waren schon ganz schrumpelig vom Putzwasser. Sie schaute auf die Küchenuhr über der Tür: 20:55 Uhr. Ein wenig erschrak sie, dass es schon so spät geworden war. Kein Wunder, dass ihre Hände so aussahen.
Sie packte das Putzzeug weg und ging wieder ins Bad, um nochmal auf dem Handy zu schauen, ob ihre neue Freundin eine Nachricht geschickt hatte. Kaum, dass sie sich mit dem Handy in der Hand auf die flauschige Matte gesetzt hatte, hörte sie auch schon den SMS-Ton, der ihr verriet, dass sie eine neue Nachricht bekommen hatte. Sie schaute nach und - ja, sie war es. Sie hatte sich über die App gemeldet, so wie sie es versprochen hatte. Amy wurde es ein bisschen wohlig; fühlte sie sich doch nicht mehr so alleine.
Isyll schrieb, dass sie gerade von der Arbeit nach Hause gekommen sei und oft an sie gedacht hätte. Endlich eine Freundin, die auch ihre Versprechen hält, dachte Amy. Viele Freunde hatte sie nämlich nicht; nur ein paar, die ihre eigenen Probleme hatten. Besonders ihr Freund, der 3 Jahre älter als sie war und sich immer wieder Drogen rein zog. Sie hatte Isyll davon erzählt. Aber sie reagierte ganz anders, als andere Erwachsene. Sie hörte zu und schimpfte nie, wenn Amy ihr solche Sachen anvertraute, die für einen Teenager eigentlich nicht gut waren. Genauso hatte sie ihr auch von ihrem ersten Mal erzählt. Und auch da blieb Isyll ruhig und tröstete sie, weil es sehr schmerzhaft war, als Amys Freund zum ersten Mal in sie eindrang...Eigentlich wollte Amy es noch nicht, aber sie hatte Angst ihren Freund zu verlieren, wenn sie nicht mitmachen würde... und so tat sie es immer wieder. Auch am Abend zuvor.
Aber diesmal hatte sie sehr starke Unterleibsschmerzen. Die Schmerztabletten aus der Hausapotheke hatte sie den Tag über immer wieder genommen; aber sie wirkten irgendwie nicht richtig. Isyll machte sich große Sorgen und gab Amy ein paar Tipps, wie sie die Schmerzen noch lindern könnte. Doch wenn es am nächsten Tag nicht besser sein würde oder sogar schlimmer, sollte Amy bitte unbedingt endlich zum Doc gehen. Das musste sie Isyll versprechen - und das tat Amy auch. Sie wusste zwar, dass sie dann wieder Ärger mit ihrer Mom bekommen würde, aber diese Schmerzen waren wirklich unerträglich.
Etwa um 22.30 Uhr schrieb Amy ihr, dass sie jetzt wohl langsam schlafen gehen müsste. Isyll schrieb zurück, dass sie Amy in Gedanken zudecken würde und noch ein wenig bei ihr bliebe, bis Amy eingeschlafen sei. Das machte sie jeden Abend, und Amy fand es schön - ihre Mom hatte sie nie zugedeckt; nie richtig zugehört und nie verstanden... vielleicht auch nie geliebt... Dabei war ihr Herz so ausgehungert nach Liebe. Liebe, die jedem Kind zusteht. Doch ihre eigene Mom ließ sie scheinbar langsam verhungern...
Leider brach die Verbindung am nächsten Tag ab, da die App nicht mehr funktionierte. Alle Versuche von mir, die Verbindung wieder herzustellen, scheiterten. Zwar habe ich Amy meine Handy-Nummer gegeben, aber sie hat sich bis heute nicht gemeldet...
Es bleibt mir nur zu hoffen, dass Amy lebt und dass sie geliebt wird und ihr Herz nicht weiter hungern muss...
"Falls Du es lesen solltest Amy (Gast123):
Ich decke Dich in meinen Gedanken immer noch jeden Abend zu."
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BerndMoosecker • Am 31.07.2020 um 17:25 Uhr | |||
Hallo Silly, ich bin erschüttert. Du hast die Nöte einer pubertierenden schönen Sätzen beschrieben und Du hast passende Worte gefunden, die einen Weg aufzeigen, wie in dieser Situation geholfen werden kann. Deine Autorennotiz nimmt mir die Angst vor dem, was dort hätte geschehen können. Liebe Grüße Bernd |
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