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De Lacrima

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03.10.18 21:09
Fertiggestellt

„Weißt du, zu weinen – Weinen ist gar nicht mal so einfach. Zuerst einmal brauchst du Tränen, die muss dein Körper produzieren. Und die müssen dann noch in deine Tränensäcke, schließlich kannst du nur aus deinen Augen weinen. So viel zur Vorbereitung, jetzt aber brauchen wir noch einen Grund zum Weinen. Versuch mal, ohne einen Grund zu weinen, ich sag dir, das wird nicht klappen. Niemand kann ohne einen Grund weinen. Dann brauchst du etwas, was dich sehr traurig macht. Manche Menschen weinen auch, wenn sie sehr glücklich sind, habe ich mal gehört. Aber etwas, das so traurig ist, dass es dich zum Weinen bringt, das passiert nicht alle Tage.

Aber gehen wir jetzt mal davon aus, dass du wirklich weinst: Dann weinst du. Du presst eine Träne nach der anderen aus deinen Augenwinkeln. Alle fließen sie deine Wangen hinunter, passen sich dem Weg der ersten Träne an. Du krümmst dich zusammen, krümmst dich in die Sicherheit deiner eigenen Arme. Da ist es warm. Da kann dir niemand etwas anhaben. Und du brüllst, ja, viele Menschen brüllen beim Weinen, oder sie kreischen, oder schluchzen, seufzen. Du weißt, worauf ich hinaus will.

Also liegst du da, fest zu einer Kugel zusammengerollt, hältst deine Knie zwischen deinen Armen, dein Gesicht tief im Platz zwischen deinen Beinen und deinem Bauch vergraben. Und du brüllst, legst jeden Anstand, jede Würde, die du in deinem Leben hattest, für einen kurzen Moment ab. Du brüllst einfach. Schreist.

Doch das Wichtigste daran ist doch, dass du dabei nicht gehört wirst. Zu peinlich wäre es dir, wenn dich jemand dabei sehen würde, wie du wie ein misshandelter Affe auf deinem Boden rumrollst, wippend in deinem Selbstmitleid. Wenn derjenige sehen würde, wie sich kleine, funkelnde Tropfen Wasser langsam aber sicher ihren Weg deine Wange hinunter schaffen, dann vielleicht auf deinen Oberkörper, dann auf den Boden, wo sie eine kleine, funkelnde Pfütze aus den Sekreten aus deinen Augen bilden würden. Zu schlimm wäre es für dich, wenn dich jemand dabei sehen würde, dich dabei auslachen würde. Du kannst dir nicht vorstellen, dass er sich auch so fühlen könnte, dass sie sich so fühlen könnte, dass es sich so fühlen könnte. Dass die Person sich am liebsten direkt neben dich auf den Boden rollen würde.

Ist es nicht genau das, was du willst? Du willst nicht gehört werden, deine Schreie sollen auf immer in der nie endenden, von den Menschen erdachten schwarzen Leere verstummen. Deine Tränen sollen eins mit dem Meer werden, auf das sie niemand mehr erkennen würde in der großen Flut, welche selbst den stärksten Mann auf die Knie zwingt. Deine Bewegungen sollen dem menschlichen Auge nicht sichtbar sein, ‚mach sie blind, mach sie alle blind!‘ tönt es aus deinen Gedanken.

Nein, du willst nicht gehört werden. Das war nie dein Ziel, das ist nicht dein Ziel, und das wird auch niemals dein Ziel sein. Es wäre regelrecht dumm von dir, solch ein Ziel anzustreben. Töricht. Inakzeptabel.

Denn was du wirklich willst, ist etwas anderes:

Dich soll jemand hören.“

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Elenyafinwes Profilbild
Elenyafinwe
M
Am 03.10.2018 um 22:53 Uhr
Hallo,
ich liebe diesen Text einfach. Allein schon der Einstieg ist einfach super gelungen. Mir gefällt, wie du über die zumeist rein äußerliche Beschreibung des Vorgehens, beginnend bei der reinen Biologie des Weinens, das Innenleben darstellst. Auch die Art, den ganzen Text in " zu setzen, ist eine super Idee, weil das das Gefühl gibt, dass hier jemand zum Leser direkt in einen Dialog tritt.
Überhaupt, auch der Inhalt spricht mich einfach unheimlich an. Erkenne da vieles wieder, das vertraut vorkommt. Ich war mal so frei, ihn auf Twitter zu empfehlen :)
lg Auctrix
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Autor

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Sätze: 32
Wörter: 549
Zeichen: 3.001

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Diese Story wird neben Trauriges auch im Genre Nachdenkliches gelistet.

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