Storys > Kurzgeschichten > Nachdenkliches > Wunschzettelverwechslung

Wunschzettelverwechslung

206
1
09.12.18 14:58
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Sie zog den letzten Strich und legte den Buntstift ordentlich zurück ins Federmäppchen. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Es war wunderschön geworden. Jeder Punkt auf der Liste war in einem anderen Farbton geschrieben und dennoch wirkte es ideal aufeinander abgestimmt. Selbst die saftiggrünen Tannenzweige, die sie an den Rand gezeichnet hatte, störten das Gesamtbild nicht. Die Komposition aus Rosa, Grün und Gelb war perfekt.
Sie legte ihren Wunschzettel neben Stellas. Dieser sah so vollkommen anders aus als ihrer. Ihre Schwester hatte sich damit zufriedengegeben, mit einem schwarzen Kugelschreiber ein paar Wünsche auf ein kariertes Papier zu kritzeln.
»Mum und Dad schenken uns doch sowieso, was sie wollen«, hatte Stella dazu nur gesagt und war nach nicht einmal fünf Minuten fertig gewesen.
Natürlich wusste sie, dass ihre Eltern ihnen die Geschenke machten und nicht etwa das Christkind. Immerhin war sie zwölf und Stella bereits vierzehn. Keine von ihnen glaubte mehr an dieses Märchen.
Dennoch hatte sie Stunden damit zugebracht, den schönsten Wunschzettel aller Zeiten zu basteln. Hatte sie letztes Jahr noch geglaubt, dass sie sich nicht mehr steigern könnte, so hatte sie sich geirrt. Für sie war es das Schönste, sich auf einem weißen Blatt Papier vollkommen frei auszutoben. Drei Versuche hatte sie gebraucht, bis es endlich so war, wie sie sich es vorgestellt hatte. Doch die Zeit nahm sie sich gern. Auch ihre Eltern würden sich sicher darüber freuen.
Sie nahm die beiden Wunschzettel und ging damit zu Carina, die in der Küche stand und kochte. Sie wusste nicht, wie alt Carina war, doch da sie noch zur Schule ging, konnte sie noch gar nicht so alt sein. Dennoch vertrauten ihre Eltern ihr und ließen Stella und sie gern in Carinas Händen, wenn sie einen freien Abend ohne ihre Kinder verbringen wollten.
Auch sie mochte Carina. Wenn sie lieb fragte, durfte sie manchmal sogar beim Kochen helfen. Ihre Eltern hätten das niemals erlaubt. Das war ihr kleines gemeinsames Geheimnis.
»Wir sind fertig«, verkündete sie, als sie in die Küche kam und hielt Carina die Wunschzettel voller Stolz entgegen.
Carina sah auf, rührte noch einmal in der Soße und nahm dann die Blätter entgegen. »Wow, du hast dich ja wieder richtig ausgetobt! Da wird sich das Christkind aber freuen.«
Auch wenn sie die Sache mit dem Christkind albern fand, strahlte sie. Es war nicht selbstverständlich, dass Carina sie lobte. Diese zeichnete ebenfalls gern und sagte immer direkt, wenn etwas nicht gut aussah. Das Lob war also tatsächlich ernst gemeint. Dennoch konnte sie nicht anders, sie musste noch einmal nachfragen: »Bist du sicher? Bei der Glocke oben hab ich mich etwas vertan.«
»Ach Quatsch, das sieht man doch gar nicht.« Carina überflog auch kurz Stellas Wunschzettel, dann faltete sie sie einmal zusammen und steckte sie in ihren Rucksack, der auf einem der Stühle stand. »Ich geb die dann heute Abend beim Christkind ab.«
Sie verdrehte die Augen. Manchmal war Carina wirklich anstrengend, wenn sie sie wie kleine Kinder behandelte.
»Willst du in dein Zimmer spielen gehen oder magst du mir helfen? Jemand muss schauen, ob die Nudeln so weit sind und ob die Soße schmeckt.«
Natürlich war sie sofort dabei zu helfen! Sie schnappte sich einen Löffel aus der Schublade und probierte zuerst die Soße, dann die Nudeln.

~~~

Aufgeregt lief sie im Zimmer auf und ab. Bald war es so weit! Dann war endlich Bescherung!
Bis vor einer halben Stunde hatte sie sich noch durch lesen ablenken können, das Buch lag sogar noch aufgeschlagen auf ihrem Bett, doch so langsam wurde die Aufregung zu groß. Bekam sie endlich, was sie sich schon so lange gewünscht hatte?
Zumindest hatte sie gesehen, wie ihr Vater vor ein paar Wochen ein riesiges Paket in die Wohnung gebracht hatte, dessen Größe gut zu ihrem Wunsch passen konnte. Allein die Vorstellung machte sie hibbelig.
Als die Eltern das Glöckchen läuteten, das ihnen sagte, dass sie ins Wohnzimmer kommen konnten, riss sie noch einmal die Schranktür auf und überprüfte im dort angebrachten Spiegel, ob das Hemd und die Frisur saßen. Immerhin war heute Weihnachten! Da wollte sie so gut aussehen wie möglich.
Sie musste sich wirklich bemühen, nicht zu rennen, dann hätten ihre Eltern nur Stress gemacht. Dabei sollte Weihnachten doch ein schönes Fest sein. Doch die Aufregung beschleunigte ganz automatisch ihre Schritte.
»Ihr sollt doch nicht rennen!«, mahnte ihr Vater natürlich dennoch, als Stella und sie ins Wohnzimmer kamen.
Doch sie hörte es nicht wirklich. Unter dem Weihnachtsbaum stand tatsächlich das große Paket, verpackt in rotem Geschenkpapier. Das musste es sein! Ihre Augen leuchteten vor Vorfreude.
Wie jedes Jahr musste sie jedoch erst das Abendessen über sich ergehen lassen. Wie immer gab es Kartoffelsalat mit wahlweise Kassler oder Wienerwürstchen. Auch wenn sie gern so schnell wie möglich die Geschenke ausgepackt hätte, sie kam sowieso nicht um das Essen herum, also schaufelte sie sich ihren Teller voll. Ihre Mutter kochte zwar nicht so gut, wie ihre Oma das früher immer zu Heiligabend getan hatte, aber es war auch nicht ungenießbar.
Stella warf ihr einen bösen Blick zu. Vermutlich dachte sie, diese große Portion würde die Zeit bis zur Bescherung noch verlängern. Dabei wusste sie doch, dass der Zeitplan genau eingehalten werden würde, egal wie lange gegessen wurde. Die dafür eingerechnete Zeit war mehr als ausreichend.

So kam es dann auch. Erst als alle schon lange mit Essen fertig waren, gab der Vater das Signal zum nächsten Programmpunkt überzugehen, indem er begann die Teller einzusammeln.
Schnell war der Tisch abgeräumt und geputzt, im Radio dudelte nun auch Weihnachtsmusik vor sich her. Nur noch ein paar gemeinsam gesungene Lieder, dann gehörte das gigantische Geschenk ihr!
»... Hört das Lied, das nie verklingt in einer Welt voll Leid, das allen Herzen Liebe bringt, denn es ist Weihnachtszeit.« Mittlerweile konnte sie sich nicht mehr auf ihrem Platz halten. Als aller Hoffnung Ende war war traditionell das letzte Lied, welches bei ihnen gesungen wurde.
Während ihre Mutter das Radio leiser stellte, ging ihr Vater zum Christbaum. Er lächelte seine beiden Kinder an und deutete dann für jedes auf einen der Geschenkhaufen.
Obwohl Stella immer so erwachsen tat, sprang sie sofort auf, schnappte sich das große Paket und begann die Schleife herunterzureißen.
Sie blieb noch einen Moment sitzen. Das große Geschenk war nicht für sie? Dabei hatte Stella doch nichts auf ihrem Zettel zu stehen gehabt, was so groß war. Mit leichter Enttäuschung widmete sie sich nun auch ihren Geschenken. Da, das etwas größere der beiden Geschenke, das könnte einer ihrer kleineren Wünsche sein. Mit wieder neu aufflammender Hoffnung griff sie danach und entfernte langsam das Geschenkpapier.
Irgendein Gameboy? Oder wie hießen die Dinger? Sie hatte davon keine Ahnung, geschweige denn sich so etwas gewünscht. Hatte Stella doch recht, hatten sie wirklich nichts von ihren Wünschen erhalten? Sie öffnete auch das zweite Geschenk. Es enthielt zwei Spiele für das Gerät in ihrer Hand.
In ihren Augen prickelte es. Mühsam hielt sie die Tränen zurück. Was sollte sie denn damit?
Neben sich hörte sie etwas laut krachen und drehte sich herum. Stella sprang aufgebracht auf die Beine und schrie: »Was soll ich mit diesem Kinderkram? Das ist doch alles Dreck!«
Nun sah sie auch, worüber sich ihre Schwester so aufregte: An der Wand lag ein großes, rosafarbenes Haus, das umgeworfen wurde. Ihre Augen wurden groß. Das war doch genau das, was sie sich gewünscht hatte!
Sie ging hinüber und suchte das Haus sorgfältig nach Beschädigungen ab. Stella war ziemlich rabiat mit dem unerwünschten Geschenk umgegangen, doch es schienen nur ein paar Kleinteile abgebrochen. Nichts, was sie nicht mit etwas Sekundenkleber kleben konnte. Fast schon zärtlich strich sie über das Dach.
Erst jetzt vernahm sie die donnernde Stimme ihres Vaters. Offenbar stauchte er ihre Schwester gerade gewaltig zusammen. »... wünscht!«
»Ich hab mir diese Kinderkacke nicht gewünscht!«
»Du hast es doch auf deinen Wunschzettel geschrieben«, mischte sich nun auch ihre Mutter ein.
Ihre Lippen zitterten, als sie flüsterte: »Ich hab es mir gewünscht. Ich wollte das Barbiehaus.«
»Was?!« Sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater sie wirklich nicht verstanden hatte, daher wiederholte sie es. Diesmal etwas lauter.
Zack! Die Ohrfeige schallte durch die ganze Wohnung. Nun brachen die Tränen doch aus ihr heraus.
»Hör auf zu bläken!« Rumms, die nächste saß noch besser. »Jungs flennen nicht! Und schon gar nicht spielen sie mit Barbies. Werd endlich ein Mann!«
Sie riss sich zusammen, schniefte und rannte dann in ihr Zimmer. Nachdem die Tür abgeschlossen war, warf sie sich auf das große Bett in Form eines Rennwagens und ließ den Tränen freien Lauf. Sie war sich sicher, dass ihre Eltern ihr nicht folgen würden.
Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, griff sie hinter das Bett und zog eine kleine Puppe aus dem Versteck hervor. Irgendwann hatte sie diese aus Stellas Zimmer entführt, ihre Schwester vermisste sie nicht einmal.
Schniefend sah sie die blonde Schönheit mit dem blau glitzernden Kleid an. Verzweifelt erzählte sie ihr: »Ich kann kein Mann werden. Ich bin doch ein Mädchen!«
Das Spielzeug sah sie genauso verständnislos an wie ihre Eltern, wenn sie versuchte, ihnen zu erklären, dass sie kein Junge war.
Prompt landete es klappernd und mit verdrehten Gliedern an der Wand.

Sorry! Ich hab jetzt nach zwei Tagen erst festgestellt, dass ich das Kapitel zwar reinkopiert, aber nicht veröffentlicht habe >.<

»Wie Sie sehen konnten, bietet diese Strategie die ideale Grundlage, auf der wir weitere, auf Sie zugeschnittene Kampagnen aufbauen können.« Sie ließ ihren Blick noch einmal zu jedem ihrer Zuhörer schweifen. Sie wirkten halbwegs zufrieden. »Zur Vereinbarung weiterer Termine wenden Sie sich bitte an meinen Kollegen, Herr Baumeister.«
Erst als sich die ersten Anzugträger erhoben, erlaubte sie sich, ihre Haltung zu lockern und ein lautloses Seufzen auszustoßen. Das war gar nicht so schlecht gelaufen, wie sie befürchtet hatte. Trotzdem würde sie ein ernstes Wörtchen mit Jürgen wechseln müssen!
Was fiel ihm ein, ausgerechnet heute krank zu werden? Jeder andere Tag, aber doch nicht genau an dem Tag, an dem er das wichtigste Projekt des Jahres vorstellen sollte. Der kleinste Fehler hätte dazu führen können, dass sie den Auftrag verloren! Natürlich, sie hatten gemeinsam daran gearbeitet und sie kannte jedes Detail, dennoch war er derjenige, der den Kundenkontakt pflegte. Sie war nur der kreative Kopf ihres kleinen Teams.
Sie drehte sich herum, schaltete die Technik aus und packte ihre Notizen zusammen. Nun wollte sie nichts sehnlicher, als endlich nach Hause und dort ihren Hosenanzug gegen eine bequeme Jogginghose und ein weites Shirt tauschen. Sie hasste diese Dinger noch viel mehr als die obligatorischen hohen Schuhe. Aber vor so einem wichtigen Kunden wie Serpent Technologies blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an diese Konventionen anzupassen.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie sich beeilen musste, wenn sie pünktlich zum Abendessen zu Hause sein wollte. Eilig stopfte sie die letzten Zettel in ihre Tasche und schloss sie.
Als sie gerade den Raum verlassen wollte, fiel ihr eine Frau auf, die noch immer am Besprechungstisch saß, obwohl ihre Kollegen bereits alle gegangen waren.
Sie haderte kurz, entschloss sich dann aber doch, sie anzusprechen. »Haben Sie noch Fragen?«
»Ja ... Nein ... Ich ...«, stammelte die Dame und griff nach einer Strähne ihres blonden Haares. Nervös zwirbelte sie an den Spitzen herum, während ihre Augen unruhig über ihr Gegenüber schweiften. Es wirkte, als suche sie etwas.
Ungeduldig musterte sie die Fremde. Was war denn nun? Sie wollte nach Hause! »Ja?«
»Äh ... Nichts, schon gut ...«
Obwohl die Antwort nicht ehrlich klang, zuckte sie mit den Schultern und drehte sich herum. Das war nicht ihre Angelegenheit. »Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.«
»Wa... Warten Sie!«, kam es nun doch von der anderen. »Ich ... Kennen Sie zufällig Theo Schäfer?«
Erschrocken blieb sie stehen und drehte sich zurück zu der Blonden.
Diese wirkte nun noch aufgeregter als zuvor. Eilig haspelte sie herunter: »Sie haben sich vorhin als Frau Schäfer vorgestellt und ich dachte ... Keine Ahnung, vielleicht sind Sie ja Theos Frau oder ... Ich weiß nicht ... Tut mir leid, das hier ist vermutlich total verrückt für Sie.«
Jetzt, wo die andere sich verzweifelt die Haare raufte, erkannte sie sie. Sie hatte sie seit sicher zehn Jahren nicht gesehen. Damals, als sie ihr Elternhaus verlassen und sich geschworen hatte, niemals wieder zurückzukehren. Das konnte doch nicht sein! Dennoch waren die Ähnlichkeiten eindeutig. Stella hatte dieselben grau-blauen Augen wie sie selbst. Vermutlich das Einzige, was sie mit ihrer Schwester gemeinsam hatte. Außerdem sah sie bei genauerer Betrachtung ihrer Mutter sehr ähnlich.
Ihr Inneres stritt darum, ob sie den Raum verlassen oder zu ihrer Schwester gehen sollte. Einerseits gab es keinen Grund, zu bleiben. Sie hatte mit ihrer Familie abgeschlossen. Andererseits war es noch immer ihre Schwester und sie wirkte verzweifelt. Leise schloss sie die Tür.
Stella sah auf und versuchte, sich ein paar Tränen aus dem Gesicht zu wischen, ohne ihr Make-up vollständig zu ruinieren. »Es tut mir leid, ich sollte Sie damit nicht belästigen. Bei dem Gedanken, dass Sie Theo vielleicht kennen könnten, ist wohl etwas mit mir durchgegangen.«
Noch immer haderte sie. Es gefiel ihr nicht, dass sie sie ›Theo‹ nannte, aber gleichzeitig hatte sie sich nicht ein einziges Mal eines männlichen Pronomens bedient. Durfte sie hoffen, dass Stella einfach nur die Alternativen fehlten? Zumindest hatte Stella sie im Gegensatz zu ihren Eltern nie verachtet. Jedoch auch nicht verteidigt.
Sie zögerte noch, doch als Stella ihrerseits nach ihrer Tasche griff, entschied sie sich, zu hoffen. »Sie heißt Tessa.«
»Was?« Verwundert sah Stella auf.
»Tessa. Deine Schwester heißt Tessa«, antwortete sie mit Nachdruck.
Stella sah sie einen Moment mit großen Augen an. Dann ließ sie ihre Tasche fallen. »The... Tessa?! Bist du das wirklich? Tut ... tut mir leid, ich wusste nicht, wie du jetzt heißt.«
Sie nickte einfach nur, war sich unsicher, was sie von Stellas Reaktion halten sollte. Doch auch Stella wirkte verunsichert. Eine Weile sahen sie sich nur an.
Dann machte Stella den ersten Schritt. Sie stellte ihre Tasche auf den Tisch, kramte kurz darin herum und beförderte dann eine Visitenkarte zu Tage. Diese reichte sie ihr entgegen. »Vielleicht magst du mich mal anrufen und wir gehen zusammen Kaffee trinken? Oder Kakao, wenn du den noch immer lieber magst?«
»Kakao klingt gut«, antwortete sie und erwiderte das zaghafte Lächeln.

~~~

»Schatz, bleib ruhig. Es wird alles gut werden.« Marko legte seine Arme um sie und hauchte einen sanften Kuss auf ihren Nacken. »Es ist nur ein Weihnachtsessen.«
»Aber meine Eltern werden da sein!« Sie machte sich aus der Umarmung los und fuchtelte wild herum.
Er griff nach ihren Händen und hielt sie leicht fest. »Sie werden dir nichts tun. Stella hat dich wirklich lieb. Wenn sie eure Eltern einlädt, dann sicher nur, weil sie glaubt, dass sie ihre Meinung geändert haben.«
Unsicher zuckte sie mit den Schultern. Das konnte sie sich nicht vorstellen. Ihr Vater war schließlich sehr deutlich gewesen, was passieren würde, wenn er sie noch einmal in ›Mädchenkleidern‹ sah. Sofort hatte sie den Drang, etwas Dezenteres anzuziehen. Dabei liebte sie das lange, dunkelblaue Kleid.
»Und wenn doch jemand eine blöde Bemerkung macht, dann sind noch immer Stella, Anita und ich da.« Marko zog sie in seine Arme. Aufmunternd grinste er sie an. »Du kennst doch Anita, sie würde jeden zur Schnecke machen, der es wagt, unhöflich zu sein.«
Auch sie musste bei dem Gedanken daran, wie Anita ihre Schwiegereltern zurechtstutzte, schmunzeln. Wie ihre Eltern wohl reagiert hatten, als Stella ihnen Anita vorgestellt hatte? Sie musste sie bei Gelegenheit mal fragen, im letzten halben Jahr war sie gar nicht dazu gekommen. Es hatte einfach zu viele Neuigkeiten in ihrer beider Leben gegeben, die viel wichtiger waren.
Doch schnell waren ihre Gedanken wieder bei ihren Sorgen. »Ich will nicht, dass Lilly und Jonas da mit reingezogen werden.«
»Keine Sorge, die beiden wissen, dass ihre Mama eine ganz besondere Frau ist.« Marko küsste sie zärtlich auf die Stirn. »Lass uns wenigstens hinfahren und sehen, wie es läuft. Wenn du dich zu unwohl fühlst, dann fahren wir kurz nach Hause, ich backe einen schönen Schokokuchen und dann gehen wir auf dem See Schlittschuh laufen.«
Sie lächelte. Marko wusste einfach zu gut, wie man sie aufmuntern konnte. Auch wenn sie noch nicht ganz überzeugt war, nickte sie.
»Gut, dann zieh dich fertig an, ich schau mal, wie weit die Kinder sind.« Er küsste sie kurz, dann nahm er ihr das schwarze Tuch vom Hals. »Und das tauschst du ganz schnell gegen das schöne Hellblaue, das ich dir geschenkt hab. Trau dich ruhig, du musst dich nicht verstecken.«

Marko lächelte ihr noch einmal zu und drückte aufmunternd ihre Hand, bevor er die Türklingel betätigte.
Sekunden später riss die kleine Frau mit den roten Haaren die Tür auf. »Hallo! Wir haben euch schon erwartet.«
»Hallo Anita. Danke für die Einladung. Das Christkind hat ein paar Geschenk für euch bei uns abgegeben.« Sie überreichte die Tüte.
»Oh, das ist aber nett. Vermutlich hat es sich einfach nur vertan.« Sie beugte sich zu Jonas und Lilly hinunter. »Für euch beide sind nämlich auch ein paar Geschenke hier angekommen.«
Jubelnd wollten die beiden die Wohnung stürmen, wurden jedoch von ihrem Vater daran gehindert, der darauf bestand, erst einmal alle zu begrüßen und erst nach dem gemeinsamen Essen die Geschenke auszupacken. Mit leichtem Murren ergaben sie sich ihrem Schicksal.
In der Küche hörte sie bereits ihre Schwester und Eltern reden. Unbewusst blieb sie kurz stehen, wurde jedoch sanft von Marko weitergeschoben. Als sie eintrat, lagen sofort alle Blicke auf ihr.
»Tessa, da seid ihr ja!« Stella kam auf sie zu und umarmte sie freudig. »Wo habt ihr denn eure kleinen Monster gelassen?«
»Die wollten lieber im Wohnzimmer bleiben«, antwortete Marko sanft. Dann wandte er sich dem älteren Paar am Küchentisch zu. »Ich bin Marko. Sie müssen Tessas und Stellas Eltern sein.«
Das Paar nickte und nahm zögernd die Hand des Mannes entgegen, doch ihre Blicke blieben auf sie gerichtet. Dann stand die Frau auf und machte den ersten Schritt auf sie zu. Sie legte die Hände auf ihre Oberarme und betrachtete sie eingehend. »Gut siehst du aus, mein Mädchen.«

Autorennotiz

Auch diese Geschichte ist im Rahmen des Animexx-Fanfiction-Adventskalenders entstanden. Diesmal zum Stichpunkt "Wunschzettelverwechslung".

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

0
Informatikfees Profilbild
Informatikfee Am 15.12.2018 um 0:10 Uhr
Eigentlich eine schöne Geschichte, aber ich finde es doof, dass sie (Tessa) anscheinend glaubt, wegen ihrer Vorliebe für Puppen kein Junge sein zu können.
Außerdem finde ich es verwirrend, dass sie im ersten Kapitel nur "sie" genannt wird.
Wantcheeses Profilbild
Wantcheese Am 11.06.2019 um 17:01 Uhr
Ich denke, das hast du recht falsch verstanden. Im Text wird die Puppe nie als Grund dafür genannt, das sie sich wie ein Mädchen fühlt. Es ist eher ein Ausdruck dieses Gefühls. Das sie bereits im ersten Kapitel "sie" genannt wird finde ich nicht verwirrend. Im Gegenteil, es erzeugt einen überraschenden Twist. Die Haltung des Vaters wird dadurch (zu recht) als nicht korrekt präsentiert. Damit geht die Kurzgeschichte ziemlich gut mit dem Thema "Transsexualität" um.

Autor

Vampyrsouls Profilbild Vampyrsoul

Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 2
Sätze: 112
Wörter: 1.639
Zeichen: 9.498

Kurzbeschreibung

Wie jedes Kind freut auch sie sich wieder auf Weihnachten. Daher gibt sie sich auch besonders Mühe mit ihrem Wunschzettel. "Der Weihnachtsmann" soll doch immerhin wissen, was sie sich am sehnlichsten wünscht.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Nachdenkliches auch im Genre Familie gelistet.