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Destroyed... ll ...Illusion

350
09.11.19 18:56
18 Ab 18 Jahren
Fertiggestellt

》A broken heart is the worst.
It's like having broken ribs.
Nobody can see it but the pain is unbearable every time you breath.《¹

》You don't die from a broken heart… you only wish you did.《²

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An manchen Tagen hatte man bereits nach dem Aufstehen das Gefühl, man wäre lieber liegen geblieben und hätte weitergeschlafen. Es beschlich einen das Gefühl, dass etwas passieren würde, dass einem nicht gefiel. Etwas, dass das ganze Leben verändern könnte. Einem den Boden unter den Füßen wegriss und einen anschließend gebrochen und blutend dort zurückließ, ohne dass es einen Weg gab, um wieder aufzustehen, sodass man kraft- und hoffnungslos einfach liegen blieb und aufgab.

Genau dieses Empfinden saß auch in Crispins Bauch, seit er am Morgen von Cookie geweckt wurde, indem sie sich schnurrend an ihn kuschelte, als wollte sie ihm sagen, dass es Zeit war, langsam aufzustehen. Zum Teil missmutig aber auf der anderen Seite auch äußerst bereitwillig kam er ihrer Aufforderung nach und rutschte aus dem Bett. Gähnend fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht, um auch noch den letzten Rest Schlaf wegzuwischen, bevor er sich komplett erhob und langsam Richtung Tür lief. Dort angekommen ging sein Blick noch einmal zurück und blieb an der leeren Seite des Bettes hängen. Seine Finger krallten sich automatisch in das Holz der Tür und das Gefühl in ihm wurde stärker, dass etwas nicht stimmte. Bereits seit zwei Wochen war August nun schon unterwegs, um einen Dämon zu jagen. Eigentlich wollte er seiner Arbeit als Jäger nicht mehr nachgehen, da es seltsam war, diese Wesen zu jagen, wenn er am Abend zu ihm zurückkehrte. Eine gewisse Heuchelei lag darin und auch wenn es mit Sicherheit nicht viele Dämonen gab, die wie er waren, so konnte man doch nie sagen, ob es auf den, den man jagte, nicht ebenfalls zutraf. Die Jagd auf Dämonen war es im Grunde aber nicht, die ihn an der jetzigen Situation so unglaublich störte. Es war seine eigene Unfähigkeit, die ihn dazu verdammte, zurückzubleiben und tatenlos zu warten, bis sein Freund hoffentlich unbeschadet zurückkehrte. Diese Tatsache nagte schon bei seinem letzten Auftrag an ihm, der so kurz nach ihrer Versöhnung stattfand. Zu gerne hätte er ihn begleitet, doch er wäre nur eine Last gewesen und hätte vermutlich im Weg gestanden. Der kleine aber feine Unterschied zu jetzt war nur, dass er damals einen gewissen Zeitrahmen hatte, bei dem er wusste, dass August zurückkommen würde. Vier Tage. Diese waren die Hölle für ihn. Vor allem da es keine Möglichkeit gab, mit ihm in Kontakt zu treten.
Nun allerdings waren es bereits vierzehn Tage und er hatte keine Ahnung, wie lange er noch fort sein würde. Anfangs hatten sie abends noch telefoniert, doch nach einigen Tagen hatten sie mitbekommen, dass es die Sehnsucht nur noch vergrößerte, die Stimme des anderen zwar hören zu können, ihn aber nicht bei sich zu haben und so hatten sie die Telefonate eingestellt. Stattdessen wollte sich sein Freund voll und ganz auf den Auftrag konzentrieren, um ihn so schnell wie möglich beenden zu können. Auch das war bereits zehn Tage her und mit jedem weiteren, der verging, wurden die Sorge und die Sehnsucht größer. Er wollte einfach nur noch, dass er zurückkam...
Bei diesem Gedanken erhöhte er den Druck auf die Tür, bis das Holz anfing zu knarzen. Dieses Geräusch holte ihn jedoch auch ins Hier und Jetzt zurück und er ließ wieder locker.
“Es bringt nichts, darüber nachzudenken…”, murmelte er seufzend und ließ die Hand genauso sinken wie seinen Blick. August kam bestimmt bald zurück. Er musste einfach.

Einige Stunden später saß Crispin an seinem Laptop und versuchte, daran zu arbeiten. In der letzten Zeit hatte es ihn mehr abgelenkt und seinen Kopf besser beschäftigt, als das Klavier spielen. Doch heute wollte auch das einfach nicht klappen. Immer wieder gingen seine Gedanken zu August und der Frage, was er gerade machte und wie es ihm ging. Auf keine dieser Fragen würde er eine Antwort erhalten, denn Hope gab ihm keine Informationen darüber. Angeblich, um ihn im schlimmsten Fall nicht zu beunruhigen, aber ihm wäre es im Grunde um einiges lieber, zu wissen, was los war. Zudem verstärkte sich das ungute Gefühl in seinem Bauch mit jeder Stunde und gefühlt auch mit jeder Minute, die an diesem Tag verging. Ganz so, als wollte es ihm sagen, dass etwas Schreckliches geschehen war oder noch passieren würde.
Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen und biss sich auf die Unterlippe. Diese ganzen Gedanken machten ihn fertig, genauso wie seine Untätigkeit. Er hasste es, hier nur herumzusitzen und nichts anderes als das tun zu können. Das Vibrieren seines Handys in der Hosentasche ließ ihn die Augen wieder aufreißen und er angelte es sofort heraus. Es gab nicht viele Leute, die seine Nummer hatten und er hoffte tief in seinem Inneren, dass die Nachricht von August war, der ihm sagte, dass der Auftrag erledigt war und er bald zurück sein würde. Als er jedoch die Nummer auf dem Display sah, bildete sich ein Kloß in seinem Hals und das bedrückende Gefühl schlich sich von seinem Bauch langsam zu seinem Herzen. Mit zittrigen Fingern öffnete er die Nachricht und die Worte, die dort standen, machten es nicht besser.

Komm sofort in die Praxis. Ich muss mit dir reden.
Hope

Alleine diese zwei Sätze reichten aus, dass sich eine schlimme Vorahnung in ihm breit machte. Hope wollte ihm keine Informationen geben und plötzlich sollte er zu ihm kommen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Dennoch warf er den Laptop so wie er war aufs Bett, schob das Handy zurück in seine Hosentasche und lief hinunter, um sich seine Schuhe anzuziehen und sich anschließend auf den Weg zu machen.
In Rekordzeit war er an der Tierarztpraxis angekommen. Während er unterwegs war, hatten sich seine Gedanken überschlagen und sein Kopf hatte ihn mit allen möglichen Dingen gequält, die ihm der Engel nun sagen könnte, sodass er nervlich jetzt schon am Ende war. Die Tür war offen und er ging einfach hinein. Zum Glück war Sonntag und die Praxis somit geschlossen, sodass niemand bis auf den Tierarzt da war. Dieser war im Wartezimmer nicht zu sehen, doch die Tür zu einem der Behandlungszimmer stand sperrangelweit auf. Ohne zu zögern lief er darauf zu und entdeckte Hope an seinem Schreibtisch über eine Akte gebeugt.
“Worüber wolltest du mit mir reden? Ich dachte, du sagst mir nichts, was den Auftrag betrifft.”
Hopes Blick löste sich von den Aufzeichnungen und heftete sich mit einer Ruhe auf ihn, die ihn selbst noch viel unruhiger werden ließ. Wenn es ihn beruhigen sollte, so tat es das nicht, denn er war sich sicher, dass ihn der andere nicht hierher zitieren würde, wenn es etwas völlig Belangloses war, was man auch am Telefon hätte besprechen können.
“Ich denke, es ist besser, wenn du dich hinsetzt. Es-”
“Jetzt hör mit dieser ärztlichen Beruhigungsscheiße auf und erzähl mir endlich, was du mir sagen wolltest!”, fuhr er ihm rüde ins Wort. Seine Geduld war schon seit Tagen strapaziert und dieses Getue half absolut nicht dabei, etwas daran zu ändern. Vor allem nicht, wenn sein zweiter abgebrochender Satz genau das war, was er dachte.
“Nun gut. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht warnen wollen. Es geht um August… Er... hat den Auftrag nicht überlebt.”

Es brauchte einen schrecklich langen Augenblick, bis Crispin begriff, was ihm der andere da gerade gesagt hatte. Nur stückchenweise sickerte die Information in seinen Kopf und die Erkenntnis, was die Worte zu bedeuten hatten, dauerte noch sehr viel länger.
August… Nicht überlebt...
Ein eiskalter Griff legte sich um sein Herz und drohte es, zu zerquetschen. Das konnte nicht wahr sein... Das durfte nicht wahr sein!
Unfähig etwas zu sagen, starrte er den Tierarzt einfach nur an. Was sollte er dazu auch sagen? Er wollte es nicht wahrhaben. Wollte nicht akzeptieren, dass die Person, die er über alles liebte, nicht mehr leben sollte. Doch sein Unterbewusstsein schien es schneller zu begreifen und der Schmerz grub sich unnachgiebig und unaufhörlich immer tiefer in ihn, nahm ihm beinahe die Luft zum Atmen und die Kraft, aufrecht stehen zu bleiben, sodass er sich am Türrahmen abstützen musste.
“Crispin… Es tut mir leid…”
Es tut mir leid… Diese vier Worte reichten aus, um ihn aus seiner Starre zu holen und der Schmerz machte einem ganz anderen Gefühl Platz, dass sich nun seinen Weg an die Oberfläche bahnte: Wut. Grenzenlose Wut. Und er hieß sie willkommen. In diesem Moment war sie so viel besser als der alles lähmende Schmerz und sie verhinderte, dass er vor dem Engel zusammenbrach, denn sie hielt ihn auf den Beinen. Er ballte die Hände zu Fäusten, grub die Nägel in seine Haut und presste die Kiefer aufeinander, während sein Blick starr auf Hope gerichtet war.
Es tut dir leid... Ist das dein verdammter Ernst?! Es tut dir leid! Wer hat August denn auf diese Mission geschickt?! Und das obwohl du ganz genau wusstest, dass er keine Dämonen mehr jagen wollte! Und dann sagst ausgerechnet du, es täte dir leid?!”
Mitgefühl legte sich in die braunen Augen seines Gegenübers und dies zu sehen, tat ihm noch viel mehr weh. Woher nahm er sich das Recht, ihn so anzusehen, obwohl er dafür verantwortlich war, dass sein Freund überhaupt auf diesen Dämon angesetzt wurde?
“Ich habe ihn lediglich gefragt, ob er den Auftrag übernehmen würde. Es war seine Entscheidung, zu gehen.”
Seine Entscheidung…”, spuckte er ihm die Worte beinahe verächtlich vor die Füße. “Was hast du denn erwartet, was er tut, wenn du ihm erzählst, dass schon einige andere Engel gescheitert sind und viele unschuldige Leben auf dem Spiel stehen?! Hast du wirklich geglaubt, er geht dann einfach wieder nach Hause und tut nichts?! Wer von uns beiden kennt ihn länger?! Also versuch dich nicht damit herauszureden, er hätte eine Wahl gehabt! Und wieso überhaupt August? Wenn bereits andere vollwertige Engel bei dieser Aufgabe versagt haben - wie kamst du dann darauf, dass ausgerechnet ein gefallener Engel mit eingeschränkten Fähigkeiten dazu in der Lage wäre?! Und jetzt komm mir nicht damit, er wäre nun einmal einer der Besten! Das war er vielleicht mal, bevor ihn der hohe Rat für etwas aus dem Himmel geschmissen hat, für das er überhaupt nichts konnte! Wenn ihr bei den Aufträgen schon nicht komplett auf ihn verzichten könnt, obwohl ihr ihn habt fallen lassen, dann wäre es nur fair, ihm wenigstens seine Fähigkeiten wieder komplett zu überlassen! So war das von Anfang an eine Selbstmordmission! Wenn ihr also jemandem die Schuld an seinem Tod geben wollt, dann fangt nicht bei dem Dämon an, den er jagen sollte, sondern bei euch, denn ihr habt ihm auf dem Gewissen!”

Mit jedem Satz und jedem einzelnen Wort spürte Crispin, wie die Wut zu bröckeln begann und dem Schmerz wieder das Feld überließ. Tränen brannten ihm bereits in den Augen, doch er hielt sie standhaft zurück. Er durfte und wollte nicht weinen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht vor dem Engel, der dafür verantwortlich war, dass ihm das genommen wurde, was ihm am meisten bedeutete.
“Und so etwas nennt sich bester Freund…”, gab er etwas leiser von sich, bevor er sich abwandte und die Tierarztpraxis verließ.
So schnell wie er konnte, bahnte er sich einen Weg zurück nach Hause. Immer wieder wollten sich Tränen aus seinen Augen lösen und behinderten beinahe schon seine Sicht, doch er blinzelte sie trotzig zurück. Normal war er niemand, der einfach weinte. Ganz egal, wie viel er schon hatte ertragen müssen, er weinte nicht. Erst, wenn das Fass überlief und alles zu viel wurde, brach er zusammen und konnte sich gegen den Impuls nicht mehr wehren. Das letzte Mal war es, als er erfuhr, dass er daran schuld war, dass August und er solange in diesem Kriegszustand lebten und keinen vernünftigen Satz miteinander wechseln konnten, ohne dass sie sich gegenseitig Vorwürfe machten. Als er erfuhr, dass er damals manipuliert wurde und nur ein kleines Bauernopfer in einem viel größeren Plan war, riss es ihm den Boden unter den Füßen weg und er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch August war für ihn da, tröstete ihn und versprach ihm, bei ihm zu bleiben. Für immer…
Dass dieses für immer nicht einmal so lange anhielt, wie ihr Streit gedauert hatte, damit hätte er niemals gerechnet. Wie auch? Im Nachhinein betrachtet war es sogar eine positive Wendung, dass er kein Mensch mehr war, denn so hatten sie nicht nur diese kurze Lebensspanne miteinander und der Gedanke, dass er wie jeder Mensch irgendwann sterben würde, hing nicht zwischen ihnen. Sie hätten eine Ewigkeit gehabt und alleine dieser Gedanke hatte ihn damals unglaublich glücklich gemacht. Doch nun sah es ganz anders aus. Nun war das alles einfach mit einem Schlag komplett weg…

Zu Hause angekommen riss Crispin die Tür auf und schlug sie hinter sich wieder zu. Eigentlich wollte er noch weiter laufen. Hinauf ins Schlafzimmer und sich dort verkrümeln, doch seine Beine gaben bereits direkt hinter der Tür unter ihm nach und er ließ sich mit dem Rücken daran auf den Boden fallen. In der Sicherheit und Abgeschiedenheit seiner eigenen vier Wände hatte er keine Kraft mehr, sich dem Schmerz zu widersetzen, der sich wieder erbarmungslos in ihm zeigte und sein Herz umklammerte. Er zog die Beine an den Körper, vergrub seine Hände in den Haaren und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Ganz so als könnte er sich so vor dem Schmerz schützen, aber das konnte er nicht. Anders als bei seinen unzähligen Schlägereien kam er nicht von außen sondern von innen und er zeigte keine Gnade. Auch die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Sie liefen über, suchten sich ihren Weg seine Wangen hinab und tropften auf seinen Hoodie und seine Hose. Erst nur ein paar, doch dann wurden es immer mehr und er ergab sich ihnen einfach. Versuchte nicht mehr, sie aufzuhalten, denn auch dafür fehlte ihm schlicht die Kraft.
Sekunden wurden zu Minuten und zu Stunden. Crispin verlor vollkommen das Zeitgefühl, während er in dem kurzen Flur saß. Er wusste nicht, wie lange er bereits wieder hier war und es interessierte ihn auch nicht. Warum auch? Auch dass Cookie zwischendurch zu ihm kam, ihn begrüßte und sich eng neben ihn legte, als wollte sie ihn trösten, bekam er nicht mit. Der Schmerz lähmte ihn. Machte es ihm unmöglich, sich zu bewegen oder auch nur anständig zu atmen.
Erst eine gefühlte Ewigkeit später - die Sonne war bereits untergegangen und alles um ihn herum dunkel - versiegten die Tränen langsam, hinterließen nur noch eine brennende, eingetrocknete Spur auf seinen Wangen. Nur mühsam schaffte er es, seine Finger aus seinen Haaren zu lösen und den Kopf zu heben. Auch wenn er nicht wusste, wie lange er so da saß, musste es eine ganz Weile gewesen sein, denn seine Gelenke taten ihm weh und sein ganzer Körper schmerzte, als er versuchte, langsam aufzustehen. Dennoch rappelte er sich auf, wodurch sich Cookie ebenfalls erhob und ihn leise anmauzte. Doch er schenkte ihr keine Beachtung, lief stattdessen auf wackeligen Beinen hinauf in sein Schlafzimmer, wobei er sich immer wieder am Treppengeländer abstützen und teilweise hinaufziehen musste. Er fühlte sich schlapp und ausgelaugt, doch er schaffte es nach oben und in dem Zimmer angekommen fiel sein Blick genau wie am Morgen auf die Seite des Bettes, auf der August normalerweise schlief. Statt dem Engel lag jedoch nur dessen Kuscheldecke dort und erneut brannten Tränen in seinen Augen. Es war verwunderlich, dass er überhaupt noch welche hatte, so viele wie er an diesem Tag bereits vergossen hatte, doch sein Körper produzierte unaufhörlich neue, die sich erneut ihren Weg an die Oberfläche suchten.
Mit langsamen Schritten lief er auf das Bett zu und griff nach der Decke. Er knautschte sie mit beiden Händen zusammen und drückte sein Gesicht hinein. Der süßliche Vanilleduft, der immer von August ausging, haftete noch leicht an ihr und ließ den Schmerz noch um einiges stärker werden und die Tränen erneut laufen. Crispin ließ sich auf die Knie fallen und folgte dem Impuls, der sich in ihm zusätzlich aufbaute, indem er all seine Gefühle - den Schmerz, die Wut und noch so vieles mehr - hinausschrie. Der Stoff der Decke dämpfte den Schrei, doch das hielt ihn nicht davon ab, es immer und immer wieder zu tun, bis seine Stimmbänder ebenfalls weh taten und sich sein Hals komplett rau und kratzig anfühlte.

Was sollte er nur machen? Wie sollte er ohne August weiter machen? Er war alles für ihn. Alles, wofür er gekämpft und gelebt hatte, seit sie sich begegnet waren. Ganz egal, wie sehr er damals auch gedacht hatte, er könnte ihm ewig aus dem Weg gehen und ohne ihn leben, er konnte es nicht. Egal, wie sehr er dachte, er würde ihn hassen, weil er glaubte, er hätte ihn fallen lassen. Egal, wie sehr er dachte, er könnte ihn für alles, was er ihm angetan hatte und sich später als Irrtum herausstellte, töten. Er konnte es nicht...
Der Engel war sein Leben. Sein Zufluchtsort, zu dem er gehen konnte, wenn sein Kopf keine Ruhe gab. Die Person, die ihn besser als jeder andere kannte und wusste, wie er mit ihm umgehen musste. Die Person, die wusste, warum er sich so verhielt, wie er es anderen gegenüber tat, und der einzige, der auch die andere Seite von ihm kannte. Vor ihm musste er sich nicht verstecken, musste nicht ständig den Starken spielen, da der andere ganz genau wusste, dass es in ihm etwas gab, dass das komplette Gegenteil von stark war. August war sein Zuhause.
War er also dazu in der Lage, ohne ihn zu leben? Die Ewigkeit, die er eigentlich mit ihm verbringen wollte, nun ohne ihn zu erleben?
Nein…
Diese Antwort kam ihm so plötzlich in den Sinn und Crispin wusste, dass sie stimmte, ohne dass er lange darüber nachdenken musste. Er konnte es nicht… Eigentlich war er niemand, der einfach aufgab. Egal, wie schwer etwas war, er gab nicht auf. Ab und an musste man einen anderen Weg suchen, um an sein Ziel zu kommen, aber aufzugeben war nie eine Alternative, auch wenn es bereits schon einmal einen Moment gab, in dem er daran gedacht hatte. Damals, als alles auf der Kippe stand, als ein einzelnes Handy darüber entschied, was aus August und ihm werden würde. Schon damals hatte er kurzzeitig daran gedacht, alles hinzuschmeißen, wenn sich herausgestellt hätte, dass er falsch lag und Aspen den anderen nicht verraten hatte. Später erfuhr er, dass sein Freund den Kontakt komplett abgebrochen hätte, wenn dies der Fall gewesen wäre, da dieses ganze hin und her zwischen ihnen an ihrer beider Nerven und Kräfte zehrte. Sie kaputt machte. Die Vermutung hatte er allerdings schon, bevor sie wussten, was auf Aspens Handy war und somit hatte sich schon da der Gedanke in seinen Kopf geschlichen, dann einfach aufzugeben. Tief in seinem Inneren wusste er jedoch, dass er nicht dauerhaft aufgegeben hätte. Wie zwei Magnete zogen sie sich an und früher oder später hätte er wieder Augusts Nähe gesucht - ganz egal, ob dieser dagegen war oder nicht. So seltsam das auch klang, es hätte trotzdem die Hoffnung gegeben, dass sich ihre Situation noch zum Guten ändern könnte.
Diese Hoffnung gab es jetzt jedoch nicht… Es gab keinen anderen Weg, keine Möglichkeit, etwas an der Situation zu ändern. August war tot und er kam nicht zurück. Nie wieder…

Das Schluchzen, das Crispin über die Lippen kam, wurde beinahe vollständig von der Decke geschluckt, die er noch immer vor sein Gesicht hielt. Seine Tränen hatte sie an einigen Stellen bereits komplett durchgeweicht und der Stoff fühlte sich unangenehm feucht an. Wegnehmen wollte er sie allerdings nicht, auch wenn sie ihm das Atmen schwer machte. Erst das Vibrieren seines Handys brachte ihn dazu, seine auf dem Boden kauernde Haltung aufzugeben und sich etwas aufzurichten. An sich war es vollkommen egal, wer ihn gerade versuchte, zu erreichen, denn die Person, von der er einen Anruf erwartete, konnte es nicht mehr sein. Da ihn allerdings das Vibrieren nervte, holte er das kleine Mobilgerät aus seiner Tasche und ohne darauf zu schauen, wer es war, drückte er den Anruf einfach weg. Anschließend warf er es aufs Bett und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Diese taten bereits ebenfalls weh und waren geschwollen. Ein leichter Kopfschmerz machte sich hinter seiner Stirn bemerkbar, doch das alles war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der hinter seinen Rippen saß und ihn bei jedem Atemzug daran erinnerte, was er verloren hatte.
Einige Minuten lang hockte Crispin noch auf dem Boden, starrte mit ausdruckslosen Augen vor sich hin und fällte dann eine Entscheidung. Mühsam stand er auf, ignorierte seine schmerzenden Knie und lief beinahe wie ferngesteuert aus dem Raum und hinunter ins Wohnzimmer. Dort schnappte er sich die Transportbox, die Cookie als eine Art Höhle diente, stellte sie auf den Tisch und suchte anschließend nach der kleinen Fellnase. Diese saß in der Küche am Fenster und schien nicht zu ahnen, was er vorhatte. Was gut für ihn war, denn so war es einfacher für ihn. Er nahm sie auf die Arme, drückte seine Nase in ihr weiches Fell und murmelte ein leises Es tut mir leid, während er zurück ins Wohnzimmer lief und sie in die Box packte. Sie wehrte sich ein wenig, meckerte und versuchte sich mit den Pfoten auf dem Rand des oberen Teils der Box abzustützen. Crispin gab allerdings nicht nach und so saß sie wenig später immer noch mauzend in der geschlossenen Transportbox. Er konnte nicht leugnen, dass sie ihm leid tat, doch bei dem, was er vorhatte, war es besser so für sie. Schließlich wollte er nicht, dass sie vollkommen alleine war. Das war sie während ihrer Zeit als Straßenkatze schon zu lange.

Sein Weg führte ihn direkt zu Chelsea. Eine junge Hexe, die schon während des Urlaubs von August und ihm in Italien auf Cookie aufgepasst hatte. Zu Beginn war er skeptisch, wollte die Kleine niemand anderem überlassen, doch sie hatten keine andere Wahl, denn sie mitzunehmen, war nicht möglich. Zudem hatte Cookie ein gewisses Talent, in den unpassendsten Momenten zu stören und nach Aufmerksamkeit zu bitten. Die Erinnerung an ihren Urlaub, in dem sie endlich ungestört und weit weg von ihren Problemen Zeit verbringen konnten riss eine weitere tiefe Wunde in sein Herz und er biss sich fest auf die Unterlippe. Er versuchte es zurückzudrängen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Cookie zu Chelsea zu bringen, bei der sie gut aufgehoben sein würde. Zum Glück war sie scheinbar niemand, der sich ständig irgendwo herumtrieb, sodass sie zu Hause war, als er bei ihr ankam. Er drückte auf die Klingel und wartete ungeduldig darauf, dass sich die Tür öffnete. Bis auf den kurzen Augenblick, der durch die Erinnerung ausgelöst wurde, fühlte sich sein Inneres immer noch taub an, als hätte ihn sein Zusammenbruch zu schwach gemacht, um gerade irgendetwas zu empfinden. Nur der Schmerz war unterbewusst die ganze Zeit da, lähmte oder erdrückte ihn aber nicht. Andernfalls wäre er nicht im Stande, seinen spontanen Plan in die Tat umzusetzen.
Eine gefühlte Ewigkeit, die sich jedoch als nur ein oder zwei Minuten entpuppte, hörte er endlich Schritte und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. So wie Chelsea aussah, wollte sie gerade mit einem Lächeln auf den Lippen zu einer Begrüßung ansetzen, doch sein Anblick musste so erbärmlich sein, dass ihr dieses verging und stattdessen Besorgnis in ihren Augen lag.
“Cris? Was machst du denn hier? Ist etwas passiert?”
Die Frage war berechtigt, denn obwohl sie bereits Katzensitter für Cookie gespielt hatte, belief sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste und fand meist auch nur über August statt. Er war froh und ihr dankbar, dass sie sich so gut um seine kleine Mitbewohnerin gekümmert hatte, aber ansonsten hatte er nicht viel mit ihr zu tun, auch wenn ihre Gesellschaft angenehmer war, als die von vielen anderen. Statt ihr allerdings auf ihre Fragen - vor allem auf letztere - zu antworten, hielt er ihr die Transportbox vor die Nase und stellte sie dann einfach neben sie.
“Pass gut auf Cookie auf”, war alles, was er ihr entgegnete, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und die Stufen der Veranda wieder hinunterlief.
“Warte doch mal. Was soll das bedeuten?”
Crispin reagierte nicht auf sie, hatte weder die Lust noch die Zeit, mit ihr zu diskutieren. Laut August war sie gut darin, Dinge zu durchschauen und zu kombinieren und er wollte nicht, dass sie erfuhr, was passiert war. Früher oder später würde sie es vielleicht von selbst merken. Außerdem wollte er nicht, dass sie ihm gut zuredete. Ihm sagte, dass Augusts Tod nicht das Ende der Welt war und alles wieder gut werden würde, denn genau das war es für ihn. Das Ende seiner Welt. Das Ende von allem, was er sich erträumt hatte und nichts würde jemals wieder gut werden. Nicht für ihn.

Ohne groß darauf zu achten, wer ihm entgegenkam, ob er jemanden anrempelte und dadurch verärgerte Kommentare erntete, bahnte er sich seinen Weg zurück in die Stadt und durch deren Straßen zu einem ganz bestimmten Ort. An jedem anderen Tag, an dem er Probleme hatte, hätte er die Bemerkungen dazu genutzt, eine Auseinandersetzung anzufangen, aber heute würde ihm dies nicht helfen. Daher ignorierte er es, lief einfach weiter, bis er zu dem Gebäude kam, zu dem er wollte. Das alte verlassene Atelier. Viele Erinnerungen verband er damit. Positive sowie negative, aber sehr viele von ihnen hatten mit August zu tun. Daher wurden seine Schritte langsamer, vorsichtiger, als es in sein Blickfeld kam. Wieder regte sich der Schmerz in ihm, versuchte erneut stärker zu werden und ihn unter sich zu begraben. Doch Crispin hielt ihm gerade so stand. Hier mitten auf der Straße wollte er keinen erneuten Zusammenbruch erleben, der sich jedoch mit jeder verstrichenen Sekunde deutlicher ankündigte. Daher kämpfte er gegen den Schmerz an, der ebenfalls mit jedem Schritt, den er auf das Atelier zutat, präsenter wurde, und beschleunigte sein Tempo wieder.
Im Inneren des Gebäudes lief er die Treppen hinauf und in den großen Raum hinein, in dem er früher so viel Zeit verbracht hatte. Staub tanzte durch die Luft, legte sich auf den Boden und die vereinzelten Möbelstücke, die sich hier befanden. Das alte Klavier hatte seinen Glanz durch die graue Schicht verloren, doch sein Blick blieb dennoch daran hängen. Es war das Klavier, auf dem er August so oft vorgespielt und an dem sie auch das erste Mal zusammen gespielt hatten. Automatisch ballte er seine Hände zu Fäusten, grub seine Nägel erneut in die Handinnenflächen. Dieses Mal jedoch so tief, dass die Haut aufriss und sich ein leichter metallischer Blutgeruch in der Luft breit machte. Zusätzlich schloss er die Augen und versuchte gegen den Schmerz zu atmen, so wie es Schwangere während einer Geburt tun sollten.
Konzentrier dich, Cris!, mahnte er sich selbst und nach einigen endlosen Minuten hatte er das Gefühl, wieder in die Taubheit zurückzukehren, die es ihm ermöglicht hatte, Cookie bei Chelsea abzugeben und hierher zu kommen. Vorsichtig, immer damit rechnend, dass der Schmerz vielleicht doch wieder die Oberhand gewann, lockerte er seine angespannten Muskeln und hob die Lider. Anschließend lief er geradewegs auf den schmalen Schrank zu, in dem sich einige Dinge befanden, die sie hier gelagert hatten. Kopfkissen, Decken, Verbandszeug, Handtücher. Alles, was gebraucht wurde, wenn er hier als Mensch auf dem abgewetzten Sofa übernachtete oder sich mit August traf und dieser ihn mal wieder zusammenflicken musste. Doch das war nicht alles, was dort lag. Auch der Dolch, mit dem er damals, als er den Engel in der dunklen Gasse wiedergesehen hatte, von diesem niedergestochen wurde, lagerte hier. Der andere hatte sich geweigert, ihn weiterhin bei sich zu haben, nachdem sie sich ausgesprochen und wieder versöhnt hatten. Stattdessen nutzte er nun einen anderen, der für Dämonen aber ebenso gefährlich und tödlich war. Dass der Dolch hier lag, kam ihm allerdings äußerst gelegen, denn wäre es anders und sein Freund hätte alle Waffen mit auf die Mission genommen, wäre es schwer geworden, seinen Plan so kurzfristig umzusetzen. Einen Engel dafür zu finden, der dies erledigte, wäre immerhin auch nicht so einfach gewesen und er hatte auch nicht vor, jemand anderen darum zu bitten. So erbärmlich wollte er dann doch nicht sein.

Mit dem Mithrildolch in der Hand verließ Crispin das Atelier wieder, lief um das Gebäude herum und näherte sich der Tür, die dort lag und zu den Wohnungen führte, die sich in den oberen Stockwerken befanden. Sie alle waren schon lange unbewohnt und das Schloss war schon mehrere Male aufgebrochen wurden. Nicht nur er hatte in diesem Gebäude des Öfteren Unterschlupf gesucht, sondern auch der eine oder andere Obdachlose, der sich vor der Witterung schützen wollte und einen trockenen und halbwegs windgeschützten Schlafplatz suchte. Noch immer, als wäre er wie ferngesteuert, nahm er zwei Treppenstufen auf einmal und wurde auch nicht langsamer, je höher er kam. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt wurde er gefühlt schneller, als würde ihn etwas nach oben ziehen oder von hinten schieben. Zeitgleich machte sich ein beinahe befreiendes Gefühl in ihm breit, dämpfte den Schmerz in seinem Herzen, der sich nur noch als zwar immer noch permanent vorhandener aber leichter Stich bemerkbar machte. Als wollte ihm sein Unterbewusstsein dazu bringen, es wirklich zu tun, indem es ihm zeigte, dass es das Richtige war und er sich besser fühlen würde.
Im letzten Stockwerk angekommen riss er dort die Tür zum Dach auf, spürte sofort die kalte Nachtluft, die ihm entgegenschlug und unter seine Kleidung kroch. Doch er spürte sie nicht. Sie störte ihn nicht. Stattdessen begrüßte er sie, denn auch sie betäubte den Schmerz zusätzlich, genauso wie seine Gefühle und Sinne. Nur wenige Meter trennten ihn noch von der halbhohen Mauer, die das Dach begrenzte und auf die er nun langsam zulief. Die Geräusche der Stadt drangen gedämpft an seine Ohren, doch er schenkte ihnen keine große Beachtung. Direkt an der Mauer blieb er stehen, setzte sich darauf und schwang die Beine darüber, sodass sie über dem Abgrund baumelten. Der Blick nach unten war schwindelerregend, lagen doch nun fünf Stockwerke zwischen ihm und dem Erdboden. Aber auch das störte ihn nicht.
Crispin schaute hinauf in den Himmel, während er gedankenverloren mit dem Dolch in seinen Händen spielte. Weder der Mond noch der Ansatz von Sternen waren zu sehen, da sich dicke dunkle Wolken davor bewegten, getrieben vom Wind, der sowohl an seinen Haaren als auch an seinem Hoodie zerrte.

“August…”, murmelte er so leise, dass er es selbst kaum hörte, doch es reichte vollkommen aus, um die Taubheit zu vertreiben und dem Schmerz ein weiteres und letztes Mal den Weg zu ebnen, von ihm Besitz zu ergreifen. Von den plötzlichen Gefühlen überwältigt, beugte er sich nach vorne und machte sich klein, hielt aber das Gleichgewicht, sodass er nicht herunterfiel. Die Kälte kroch ihm in die Knochen und suchte sich ihren Weg bis zu seinem Herzen, wo sie ihn noch mehr quälte. Wieder spürte er die Tränen in seinen Augen und wehrte sich nicht gegen sie. Wieso sollte er auch? Er war hier allein. Niemand sah ihn. Niemand merkte, wie schwach er im Moment war. Wie hilflos und verloren er sich ohne August fühlte.
“Es tut mir leid… Sicherlich würdest du jetzt sagen, dass ich nicht aufgeben soll… Dass ich weitermachen soll… Irgendwie…”
Seine Stimme war nur ein Flüstern, kaum wahrnehmbar unter dem Wind, doch er sprach einfach weiter, um zumindest einmal in Worte zu fassen, was gerade in ihm vorging.
“Aber ich kann es nicht… Seit ich dich getroffen habe, drehte sich mein Leben vor allem um dich. Du warst wie der zweite Teil meiner Seele, der mir so lange gefehlt hat. Ohne dich weiter zu machen ergibt einfach keinen Sinn…”
Langsam löste er seine Haltung, auch wenn die Kälte und der Wind somit wieder eine größere Angriffsfläche hatten und ihm eine Gänsehaut bescherten. Sein Blick wanderte hinauf zum Himmel und den Wolken die sich an ihm vorbei schoben.
“Egal, wo du jetzt bist… Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann verzeihen… Ich liebe dich…”
Mit diesen Worten wischte er sich mit dem Ärmel seines Hoodies die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn es nicht sehr viel brachte, da immer wieder neue kamen, und stand anschließend vorsichtig auf. Crispin ließ den Blick über die Hochhäuser der Stadt wandern, während er tief durchatmete und die Zähne zusammenbiss. Im nächsten Moment schloss er die Lider, stellte sich Augusts Gesicht vor seinem inneren Auge vor und positionierte den Dolch mit beiden Händen vor seinem Oberkörper. Dann ließ er sich fallen...


》All I want to do right now is cry and scream and let it all out because it's killing me inside.《³

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¹o.V., Link, 09.07.2019
²o.V., Link, 09.07.2019
³o.V., Link, 09.07.2019

》There is an optical illusion about every person we meet.《¹

》Illusion is needed to disguise the emptiness within.《²

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Wie fühlte es sich eigentlich an, wirklich tot zu sein? Wenn die Seele weder in den Himmel noch in die Hölle kam oder als Geist weiter unruhig auf Erden wanderte? An welchen Ort kam man dann? Gab es überhaupt einen bestimmten Platz, an den man gelangte oder fand die Seele ihren Weg ins Nichts? Doch was wäre dieses Nichts? Und waren all diese Fragen nicht bedeutungslos, solange man vielleicht endlich seinen Frieden fand? Konnte man das aber als Dämon überhaupt? Ruhe und Frieden finden?

Normalerweise stellte man sich den Tod friedlich vor. Ein Dasein ohne Probleme und vor allem ohne Schmerzen. All das konnte Crispin gerade jedoch nicht bestätigen und dabei war er doch genau deswegen mit dem Dolch von dem Dach gesprungen. Sein Körper fühlte sich wie Blei an oder als wäre er von einer Dampfwalze überrollt worden, während sich von seiner linken Seite aus ein schmerzhaftes Brennen erst in seinem Oberkörper zeigte und sich allmählich in seinen Armen und Beinen ausbreitete. Zusätzlich fühlte sich sein Kopf an, als würde man ihn mit einem Presslufthammer bearbeiten. So hatte er sich den Tod ganz gewiss nicht vorgestellt. Das einzig Positive war, dass all die körperlichen Schmerzen die seelischen vorübergehend zum Schweigen gebracht hatten. Doch vielleicht waren diese auch die Strafe für sein Handeln. Die Konsequenz daraus, dass er sein dämonisches Leben einfach weggeworfen hatte, obwohl es in gewisser Weise seine zweite Chance darstellte, nachdem er sein menschliches Dasein ebenfalls vorzeitig beendet hatte - wenn auch nicht direkt durch einen Suizid. In gewisser Weise war sein erster Tod aber auch einer. Schließlich hatte er sich auf den Deal mit Rixon eingelassen, hatte gewusst, was auf ihn zukam, sobald er den entscheidenden Schritt getan hatte, um nach seinem Ableben in der Hölle zu landen. Dass er am Ende nicht selbst den letzten Schlag ausgeführt hatte, um zu sterben, spielte dabei auch keine große Rolle.
War er womöglich nun auch wieder an diesem Ort? In der Hölle? Um dafür zu büßen, was er getan hatte. Kamen die physischen Schmerzen daher? Er konnte es nicht beantworten, denn er hatte keine Ahnung, wie es in der Hölle war. An seinen ersten Aufenthalt dort, an die Zeit, als er als Dämon wiedergeboren wurde, konnte er sich nicht erinnern. Normal war dies nicht, aber er hatte sich nur darüber den Kopf zerbrochen, warum es bei ihm so war, da es ihn schlicht nicht interessiert hatte, wie das Ganze vonstatten ging und ablief. Nun musste er jedoch feststellen, dass es vielleicht gar nicht so schlecht gewesen wäre, einen Weg zu suchen, seine Erinnerungen wiederzubekommen, um diese Situation mit der damaligen vergleichen zu können.

Bereits im nächsten Augenblick war dieser Gedanke allerdings schon wieder aus seinem Kopf heraus, verscheucht von einer weiteren Welle des Schmerzes. Das Brennen in seiner Seite wurde noch einmal intensiver und ein schmerzverzerrter Laut kam ihm unweigerlich über die Lippen, den er versuchte zu dämpfen, in dem er sich auf die Unterlippe biss. Gleichzeitig versuchte er von der Quelle dieser Qual wegzukommen, denn es fühlte sich an, es würde man ihm glühendes Metall an die Haut halten. Ganz so, als wollte man ihm wie Vieh ein Brandzeichen geben. Weit kam er nicht. Noch immer war sein Körper wie gelähmt. Die Energie, um sich bewegen zu können, schien ihn vollkommen verlassen zu haben. Zusätzlich legte sich eine bleierne Schwere über ihn, machte ihn müde. Seine Sinne waren schon die ganze Zeit wie in Watte gepackt, sodass er weder etwas hören, riechen oder anderweitig wahrnehmen konnte. Die Augen zu öffnen war ebenfalls unmöglich. Wenn er es versuchte, fühlte es sich an, als wären seine Lider zusammengeklebt. Doch das alles war im nächsten Moment nicht mehr wichtig. Waren eben nur seine Sinne und seine Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, legte sich die Schwere nun auch auf seine Gedanken. Es wurde immer schwieriger für ihn, an etwas zu denken, während er langsam wegdriftete und schlussendlich das Bewusstsein verlor.
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“... -st, jetzt lass mich meine Arbeit mach- … -lenkt ab- … nervös herumläufst- …”
Satz- und Wortfetzen drangen leise an Crispins Ohren, doch ihre Bedeutung verstand er nicht richtig. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte man ihn in Watte gepackt, sodass die Geräusche um ihn herum nur gedämpft an ihn heran kamen. Gleichzeitig fühlte er sich immer noch komplett erschlagen und unfähig, sich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen. Der brennende Schmerz, den er vor nicht allzu langer Zeit bereits in seiner linken Seite gespürt hatte, war auch immer noch vorhanden und lähmte ihn zusätzlich. Allerdings hatte sich neben den Geräuschen, die er leise wahrnahm, noch etwas anderes verändert. Der Untergrund auf dem er lag, war nicht mehr so steinhart sondern bequem, auch wenn ihn etwas unangenehm in den Rücken piekste. Ganz leicht verzog er das Gesicht, wobei er überrascht darüber war, dass dies funktionierte. Probeweise konzentrierte er sich auf seine Finger, versuchte diese zu bewegen, doch seine Konzentration wurde komplett zunichte gemacht, als er etwas Kaltes und Feuchtes an seiner linken Seite fühlte - genau da, wo zuvor der Schmerz zu spüren war, der nun aber langsam abebbte. Der Duft von Menthol und Wacholder stieg ihm in die Nase. Angenehm, vertraut und voller Erinnerungen, die ihm das Herz schwer werden ließen und die Watte um ihn herum verschwinden ließ, die seine Sinne abgeschirmt und seinen Kopf schwer gemacht hatte. Ambrosia - die Heilsalbe der Engel.
Mehrere Minuten vergingen, in denen Crispin versuchte, sich nur auf das Gefühl zu konzentrieren, das die Salbe in ihm auslöste. Es war nicht das erste Mal, dass er sie als Dämon verabreicht bekam, auch wenn die Dosierung weit schwieriger war, als wenn er noch ein Mensch wäre. Langsam aber stetig betäubte sie die Schmerzen und verscheuchte auch den Nebel, der sich über seine Gedanken gelegt hatte und es ihm erschwerte, nachzudenken. Ganz langsam kam dies nun allerdings zurück, weshalb er sich fragte, welcher Engel sich eigentlich um seine Wunden kümmerte. Anders konnte er sich die Verwendung der Salbe nicht erklären. Ein Funken Hoffnung keimte in ihm, denn viele dieser Wesen gab es nicht, die sich um das Wohlergehen eines Dämons sorgten.

War das alles somit aber doch nur ein Traum? Auf Anhieb fielen ihm nur zwei Engel ein, die in Frage kämen, doch keiner von beiden konnte es sein. Einer von ihnen hatte ihm das Wichtigste in seinem Leben genommen und der zweite war genau dies. Allein der Gedanke an August löste eine Welle an Schmerz in seinem Inneren aus, durch die er sich unweigerlich auf die Seite drehte, dabei von der bequemen Unterlage fiel und auf dem viel härteren Boden landete. Crispin zischte leise und kniff die Augen mehr zusammen, da er ausgerechnet auf seine linke Seite fiel, die noch lange nicht geheilt war. Einige schmerzhafte Momente vergingen, bis die Wirkung der Salbe ihren Dienst tat und er sich rühren konnte, ohne dass die verletzte Stelle erneut anfing zu brennen. Langsam öffnete er die Augen, da er wissen wollte, wo er sich eigentlich befand. Einen Verdacht diesbezüglich hatte er schon, auch wenn sich dann die Frage stellte, ob es Absicht war, dass er ausgerechnet hier versorgt wurde, oder es einfach dem Zufall geschuldet war, weil sich das Atelier nun einmal in dem Gebäude befand, von dem er sich gestürzt hatte. Erkennen konnte er jedoch nicht viel. Nur Schemen waren wahrzunehmen und er blinzelte ein paar Mal, um die Unschärfe loszuwerden. Zu seinem Glück klappte dies auch, doch bevor er sich richtig umsehen konnte, hörte er mit einem Mal Schritte auf der Treppe, die vom Eingang hinauf ins Atelier führte. Dass seine Vermutung, was seinen Aufenthaltsort betraf, stimmte, hatte er zumindest sofort mitbekommen.
Neugierig schaute er zur Tür hinüber, um zu sehen, wer da kam. Er hatte überhaupt nicht gemerkt, dass die Person, die ihn versorgte, den Raum überhaupt verlassen hatte. Die Frage, ob er ihr dankbar sein sollte, stellte sich allerdings nicht, egal wer es war, denn immerhin war er nicht ohne Grund auf das Dach des Gebäudes gelaufen und hatte sich von dort in die Tiefe gestürzt. Und als er sah, wer da auftauchte, war sie sogar noch viel überflüssiger.
“Ah, wie ich sehe, bist du endlich wach”, begrüßte ihn Hope mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen, während er näher kam.

Crispin hingegen war alles andere als erfreut, ihn zu sehen, weshalb er die Zähne zusammenbiss. Mühsam versuchte er sich aufzurichten, was nicht ganz so einfach war, doch die Wut, die er sofort wieder in sich aufsteigen spürte, als er den Engel sah, half ihm sehr dabei. Er rollte sich auf den Bauch, stützte beide Hände auf dem staubigen Boden ab und drückte sich nach oben, bis er auf allen Vieren kniete. Sofort hörte er, wie sich die Schritte von Hope beschleunigten.
“Du solltest dich noch nicht so viel bewegen. Du hast einiges abbekommen und die Wunde braucht Zeit zum Heilen.”
Die Hand des Engels legte sich auf seine Schulter, als er neben ihm in die Hocke ging, doch Crispin hatte keine Lust, sich von ihm belehren oder gar berühren zu lassen, weshalb er ausholte und sie einfach wegschlug.
“Fass mich nicht an!”
Der Engel war keineswegs überrascht über seine Reaktion, versuchte aber nicht noch einmal, ihn anzufassen. Diese Chance ließ er sich nicht nehmen, stemmte sich in eine hockende Position und wandte sich anschließend mit seinem Oberkörper in die Richtung des anderen, um ihn mit den nun freien Händen am Kragen zu packen und sich auf ihn zu stürzen.
“Warum?! Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen?! Reicht es dir nicht aus, mir die Person zu nehmen, die mir alles bedeutete?! Musst du mich auch noch damit quälen, mich zu retten?!”

Statt einer Antwort, die ihn vermutlich absolut nicht zufrieden stellen würde, da es nichts gab, was die Situation besser machen würde, explodierte mit einem Mal der Schmerz in seiner linken Seite, als Hope mit einer Hand dorthin griff, sodass er einen kurzen Laut von sich gab und ihn abrupt los ließ, als hätte er sich am Stoff seiner Jacke verbrannt. Anschließend rutschte er von ihm weg, bis sein Rücken gegen das Sofa stieß und blieb dort sitzen. Mit den Fingern tastete er zu der Stelle und spürte dabei, dass sein Shirt leicht feucht wurde, da die Wunde scheinbar wieder aufgegangen war und die Arbeit des Ambrosia somit komplett zunichte machte.
“Du bist ein Sadist!”, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, was Hope nur tonlos seufzen ließ.
“Du solltest dich beruhigen. Stress ist genauso wenig hilfreich, wenn du wieder gesund werden willst.”
Crispin schnaubte, denn offensichtlich hatte ihm der andere gerade absolut nicht zugehört. Doch bevor er dazu kam, etwas dazu zu sagen, fuhr Hope bereits fort.
“Außerdem war ich nicht derjenige, mit dem du vorhin gesprochen hast.”
Ein weiterer abfälliger Laut entfuhr ihm. Wollte er ihn gerade für dumm verkaufen oder hielt ihn tatsächlich für so bescheuert?
“Erzähl mir keinen Scheiß! Ich weiß ganz genau, was ich gesehen und gehört hab!”
“Und was hast du gespürt?”
Diese Frage überrumpelte ihn gerade vollkommen. Zudem überforderte sie ihn, da er keine Ahnung hatte, was Hope von ihm wollte. Dieser schien es allerdings ernst zu meinen, denn auch nach einigen Augenblicken sah er ihn noch immer fest an, ohne dass seine Miene darauf schließen ließ, dass er ihn gerade auf den Arm nahm und das Ganze eine Fangfrage war. Irgendwann merkte er wohl, dass er ihm darauf nichts erwidern würde oder besser konnte, da er immer noch nicht schlau daraus wurde.
“Hast du gespürt, dass die Person ein Engel war?”

Mit einem Mal dämmerte Crispin, worauf der andere hinauswollte und er überlegte angestrengt. Die ganze Situation war alles andere als einfach. Sein Nervenkostüm war schon zu diesem Zeitpunkt so gut wie nicht mehr vorhanden, da dieses ungute Gefühl seit dem Aufstehen in seinem Magen saß und sich noch verschlimmert hatte, als er die Nachricht bekam, dass er in die Praxis kommen sollte. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er auf die Aura von Hope nicht geachtet, weshalb er sich auf die Unterlippe biss. Diese Reaktion schien dem Engel bereits zu reichen, um eine Antwort zu haben, die seinen Verdacht wohl auch bestätigte.
“Hab ich mir fast gedacht. Deswegen ist das alles so aus dem Ruder gelaufen.”
Crispin verstand nur Bahnhof, denn gerade sprach der andere einfach nur in Rätseln und so langsam aber sicher hatte er davon die Nase voll. Was genau wollte er ihm mit dem Ganzen eigentlich sagen?!
“Jetzt sprich endlich mal Klartext! Wer soll das sonst gewesen sein, wenn nicht du?!”
Mit einem entschuldigenden Lächeln setzte Hope daraufhin an, es ihm zu erklären…

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Einige Zeit zuvor...


Noch immer völlig überfragt und ein wenig überfordert mit der ganzen Situation saß Chelsea mit Cookie im Wohnzimmer. Inzwischen hatte sie die kleine Fellnase aus ihrer Transportbox gelassen und ihr Futter und etwas zu Trinken gegeben. Auf ersteres hatte sie sich sofort gestürzt, als wäre ihre letzte Mahlzeit bereits eine halbe Ewigkeit her. Warum Crispin seine Mitbewohnerin zu ihr gebracht hatte, war ihr ein Rätsel, aber ihr Gefühl in Kombination mit dem Anblick, den er ihr geboten hatte, war alles andere als gut. Zudem hatte sie, sofort nach dem er weg war, bei August zu Hause angerufen, doch dort war keiner ans Telefon gegangen und auch bei dessen Handy kam sie nur an die Mailbox. Sorge machte sich in ihr breit.
“Was ist nur passiert…”, murmelte sie leise vor sich hin, während sie die Samtpfote dabei beobachtete, wie diese sich putzte. Zu gerne wüsste sie, was los war. Der Ausdruck in den Augen des jungen Dämons war leer und gleichzeitig wirkte er vollkommen verloren. Genau das machte ihr Angst. Sie kannte ihn nicht besonders gut, denn sie hatte eher mit seinem Freund zu tun. Bisher hatte er auch nicht den Eindruck gemacht, dass er großartig darauf erpicht war, weitergehenden Kontakt mit ihr zu haben und sie war niemand, der sich aufdrängte. Das hieß allerdings nicht, dass sie sich nicht trotzdem ihre Gedanken machte und es machte sie unruhig, nur hier zu sitzen und nichts tun zu können. Sie half anderen gerne. Auch wenn sie nicht für alle Probleme eine Lösung kannte, half ein offenes Ohr mitunter schon Wunder, sodass man hinterher, wenn man sich alles von der Seele geredet hatte, vielleicht schon wieder etwas klarer sehen konnte. Doch selbst das würde Crispin bei ihr wohl nicht zulassen. August hatte ihr bereits einmal erzählt, dass sich sein Freund anderen gegenüber nicht öffnete, sondern sie eher mit seiner rüden Art auf Abstand hielt und sie akzeptierte das. Im Moment frustrierte es sie aber dennoch, dass es so war.

Nicht fähig weiterhin einfach nur auf dem Sofa zu sitzen und sich den Kopf zu zerbrechen, wollte Chelsea gerade aufstehen und in die Küche gehen, um sich etwas zu Trinken zu holen, als sie aus dem Augenwinkel plötzlich die schemenhaften Umrisse zweier Personen bemerkte. Sofort ruckte ihr Kopf in diese Richtung, da sie wissen wollte, ob ihr Unterbewusstsein ihr einen Streich spielen wollte, und sie fiel rückwärts in die Polster zurück. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihr klar wurde, dass ihre Augen sie doch nicht betrogen hatten und sich die Schemen im nächsten Augenblick als zwei ihr sehr bekannte Gestalten entpuppten. Hope und August standen mit einem Mal mitten in ihrem Wohnzimmer und sie musste tief durchatmen, um sich wieder zu beruhigen.
“Könntet ihr beim nächsten Mal bitte wie jeder andere die Klingel an der Tür benutzen?”, war das erste, was ihr einfiel. Dass nicht nur August ein Engel war, sondern auch der Tierarzt, zu dem sie Cookie gebracht hatte, während sie diese für längere Zeit bei sich hatte, wusste sie. Dass er sich einfach in ihr Wohnzimmer teleportieren konnte allerdings nicht.
“Dafür hatten wir keine Zeit. Weißt du, wo Crispin ist?”
Die Stimme des Musikstudenten klang gehetzt. Die Sorge war nur allzu deutlich herauszuhören und dadurch wurde auch Chelseas eigene Besorgnis noch um ein Vielfaches größer. Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf, bevor sie zu Cookie hinübersah.
“Er war vor etwa einer Stunde hier und hat sie mir gebracht. Da du vorher nicht Bescheid gesagt hattest und wir das eigentlich so ausgemacht hatten, wollte ich wissen, was los ist, aber er antwortete mir nicht und sagte nur, ich solle auf sie aufpassen. Danach hat er sich umgedreht und ist gegangen. Wohin weiß ich nicht.”
“Fuck!”, entfuhr es dem anderen und er fuhr sich in einer verzweifelten Geste mit beiden Händen erst über das Gesicht und dann durch die Haare. Dieses eine Wort genügte, damit Chelsea wieder zu den beiden Engeln sah und dass auch Hope keinen gewohnt positiven Eindruck machte, war alles andere als ein gutes Zeichen.
“Was ist denn nun eigentlich los?”
Fragend schaute sie von einem zum anderen, doch August schien nicht in der Lage zu sein, ihr zu antworten. Stattdessen lief er wie ein Tiger im Käfig im Zimmer auf und ab. Da sie sich somit denken konnte, dass sie von ihm wohl keine Antwort erhalten würde, sah sie hoffnungsvoll zu Hope, der seinen Blick ebenfalls auf seinen Freund geheftet hatte, nun aber zu ihr blickte und seufzte.
“Wir waren eine Weile weg, weil wir etwas Wichtiges zu erledigen hatten. Als wir zurück in meine Praxis kamen, um noch etwas deswegen zu besprechen, fanden wir dort eine Person vor, die genauso aussah, wie ich.”
Chelseas Augen weiteten sich bei diesen Worten, doch sie war unfähig, etwas darauf zu sagen und der große Engel fuhr in seiner Erzählung einfach fort.
“Es sah ganz so aus, als wollte er Spuren verwischen und als er uns bemerkte, versuchte er zu fliehen, doch wir hielten ihn auf. Nach einigen Minuten des Schweigens hat er uns seine wahre Gestalt gezeigt. So wie es aussah, war er ein Formwandler, der die Gestalt anderer Personen annehmen kann. Hämisch erzählte er uns, dass wir uns weniger Gedanken um ihn als um Crispin machen sollten, dem er erzählt hat, August wäre tot.”

Sofort huschte Chelseas Blick wieder zu dem kleineren der beiden, der nun noch viel verzweifelter wirkte, als noch vor der Erzählung. Nun konnte sie aber auch verstehen, warum der Dämon so völlig verloren aussah. Kein Wunder, wenn man erzählt bekam, dass die Person, die man liebte, nicht mehr am Leben sei. Ganz automatisch biss sie sich auf die Unterlippe und kaute darauf herum.
“Er sah ziemlich schlecht aus, als er hier war...”
“Und genau deswegen müssen wir ihn finden. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er hat mich weggedrückt und als wir gerade bei mir zu Hause waren, lag sein Handy auf dem Bett. Das ist unnormal, da er das Ding sonst immer bei sich hat und dass er Cookie zu dir gebracht hat, lässt absolut nichts Gutes erahnen”, sprang nun August selbst ein, um das Ganze weiter zu erklären. Jedes einzelne Wort machte die Situation jedoch nicht besser, sondern zeigte nur, wie ernst die Lage wirklich war.
“Ich würde euch gerne helfen, aber ich kann ihn leider nicht aufspüren. Gibt es denn keinen bestimmten Ort, wo er sein könnte? Vielleicht einer, der für euch beide etwas Besonderes ist.”
Als hätte sie damit genau das Richtige gesagt, hielt August mitten in der Bewegung abrupt inne. Chelsea konnte beinahe sehen, wie sein Kopf arbeitete und zu einer Antwort kam. Am liebsten hätte sie etwas dazu beigetragen, Crispin zu finden, aber sie war nicht dazu in der Lage, ihn zu orten und somit herauszufinden, wo er sich befand. Wieder einmal war sie als Hexe absolut nutzlos. Genau wie an dem Abend, an dem sie mit August gemeinsam in der Bibliothek festsaß. Auch an diesem Tag hatte sie als Hexe nichts machen können. Damals war es zwar ärgerlich und frustrierend, aber im Gegensatz zu jetzt, stand da nur eine Nacht in einem bequemen Bett auf dem Spiel.
“Ich denke, ich weiß, wo er ist. Lass uns gehen, Hope.”
Hoffnung stieg in Chelsea auf, als sie dies hörte und auch der größere der beiden wirkte zuversichtlicher, aber auch müde. Wie oft er August und sich schon teleportiert hatte, wusste sie nicht, aber so wie es aussah, kam er langsam ans Ende seiner Kräfte.
“Ich drücke die Daumen, dass ihr ihn findet und passt auf euch auf. Ich kümmere mich weiter um Cookie.”
Ihr Blick glitt vor allem zu Hope, der sofort wusste, was sie meinte und ihr zunickte. Anschließend legte er eine Hand auf die Schulter seines Freundes und nur wenige Augenblicke später lösten sie sich in Luft auf und hinterließen ein leeres Wohnzimmer, als wären sie nie da gewesen. Nur ein paar dunkle Schuhabdrücke auf dem hellen Teppichboden und ihre eigenen Gedanken wiesen darauf hin, dass sie eben hier waren. Innerlich hoffte Chelsea, dass sie Crispin rechtzeitig fanden, bevor etwas Schlimmeres passierte. Nun konnte sie jedoch auch nachvollziehen, was der Musikstudent damals in der Bibliothek meinte, als er sagte, sein Freund und er steckten in einer gefährlichen Situation, in die er sie nicht mit hineinziehen wollte. Bei so etwas konnte sie tatsächlich wenig bis gar nichts tun. Das einzige, was sie machen konnte, war ihnen kleinere Sorgen, wie das Aufpassen auf Cookie, abzunehmen, sodass sie sich voll und ganz auf die Lösung ihrer Probleme konzentrieren konnten.

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Cookie und Chelsea... Formwandler… August…
Für Crispin war es schwer, das Gehörte zu verarbeiten. Ganz so, als streike sein Gehirn alleine bei der Information, dass August noch am Leben war. Konnte das wirklich sein? Lebte er noch und ihm war überhaupt nichts passiert? Doch wenn es stimmte, was Hope ihm erzählte, so war dieser bis vorhin überhaupt nicht in der Stadt und kann es somit auch nicht gewesen sein, der ihm diese unheilvolle Nachricht überbracht hatte. Hoffnung stieg in ihm auf und ein Kloß bildete sich in seinem Hals, der es ihm unmöglich machte, etwas zu erwidern. Den Engel schien das aber auch nicht zu stören, denn so wie es aussah, war er mit seiner Erzählung auch noch gar nicht fertig.
“Nachdem ich August und mich von Chelsea weg teleportiert habe, landeten wir hier. Gerade noch im richtigen Moment, um zu sehen, wie du vom Dach springst”, fuhr er unbeirrt fort, wobei sich Crispin beinahe sicher war, einen anklagenden Unterton herauszuhören, den er sich allerdings nicht annahm, denn am Ende war es sein Leben und er konnte selbst entscheiden, was er damit machte. Selbst wenn das hieß, dass er es weg warf, auch wenn es in diesem Fall tatsächlich die dümmste Idee war, auf die er je gekommen war. Unter den gegebenen Umständen empfand er es aber dennoch nicht unbedingt als falsch.
“Da ich durch die Teleportationen bereits ziemlich viel Energie eingebüßt hatte, konnte ich dich unmöglich noch abfangen. Leider sind Augusts Flügel nicht mehr kräftig genug, um euch beide zu tragen, sodass ihr schon nach kurzer Zeit abgestürzt seid. Dabei bist du ziemlich ungünstig aufgekommen und hast dich damit verletzt.”
Mit dem letzten Satz griff Hope mit einer Hand nach hinten und holte den Dolch hervor, der ihm nur allzu bekannt war. Dass er sich damit verletzte hatte, erklärte auch die Schmerzen und dass es nur schwer heilte, sodass er das Ambrosia brauchte, um die Blutung überhaupt zu stillen.

Das alles war gerade aber vollkommen nebensächlich, denn mit jedem Mal, wenn Hope Augusts Namen erwähnte, wuchs die Hoffnung in ihm und mit dieser auch die Ungeduld.
“Wo ist er?”, fragte er deshalb, anstatt auf die Erklärung einzugehen, denn wenn er wirklich noch lebte, wollte er ihn so schnell wie möglich wieder sehen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass er unverletzt war und es ihm gut ging.
“Er ist unten und hört Musik, um sich abzulenken. Aber du solltest dich auf jeden Fall noch schonen. Ich hol ihn.”
Mit diesem Angebot gab sich Crispin allerdings nicht zufrieden, sobald er hörte, wo sich sein Freund befand, auch wenn der andere bereits dabei war, aufzustehen und ihm den Rücken zukehrte, um hinunterzulaufen.
“Ich gehe selbst”, meinte er, rappelte sich umständlich auf, wobei er eine Hand an seine linke Seite drückte, aus der inzwischen zum Glück kein Blut mehr quoll, und humpelte auf den Engel zu, der sofort stehen geblieben war und zu ihm blickte.
“Das ist keine gute Idee. Wenn du dich zu viel bewegst, könnte die Wunde wieder aufgehen.”
“Ist mir egal!”, schnaubte er, wohl wissend, dass er es Hope zu verdanken hatte, dass die Verletzung genau dies bereits schon einmal getan hatte. Daher hörte er auch nicht auf ihn und schob sich einfach an ihm vorbei und schüttelte die Hand ab, die nach ihm griff. Ohne noch weiter etwas zu sagen, bahnte er sich seinen Weg zur Tür und anschließend die Treppe hinunter, getrieben von unzähligen Emotionen, die sich in ihm ansammelten.

Hoffnung, Sehnsucht, Sorge… Diese Gefühle waren nur ein Teil von denen, die sich mit jedem Schritt weiter in ihm aufstauten und einen Weg hinaus suchten. Crispin biss sich auf die Unterlippe, während er die Stufen hinunter humpelte und sich dabei mit seiner freien Hand am Geländer festhielt. Es dauerte lange. Länger, als seine Geduld es beinahe aushielt, doch als er endlich unten angekommen war, sah er den blonden Schopf, den er sich seit Tagen herbeigesehnt hatte. Für einen kurzen Moment blieb er am Fuß der Treppe stehen und musterte die Person, die dort am Eingang auf dem Boden saß und ihn gar nicht zu bemerken schien. Er wollte sicher gehen, dass er sich nicht irrte, dass er nicht doch nur träumte und das alles wirklich die Realität war.
“August…”, murmelte er und als hätte er es laut ausgesprochen, drehte der Engel seinen Kopf in seine Richtung. Sekunden vergingen, die sich jedoch wie Minuten anfühlten, in denen sie sich einfach nur ansahen, bis August die Kopfhörer aus seinen Ohren zog, sowohl diese als auch das Handy neben sich legte und anschließend aufstand, um so schnell wie möglich zu ihm zu laufen. Er selbst konnte sich kaum rühren und ein weiteres Mal bildete sich in seinem Hals ein Kloß, sodass er nicht in der Lage war, noch etwas zu sagen. Doch das musste er auch gar nicht, denn auch sein Freund sagte keinen Ton. Stattdessen zog er ihn in eine Umarmung, sobald er bei ihm ankam, und auch Crispin schlang seine Arme um ihn, klammerte sich an ihn, als hätte er Angst, er könnte sich in Luft auflösen, wenn er es nicht tat. Der Geruch nach Vanille, den er so liebte, stieg ihm in die Nase und als er zusätzlich die vertraute Wärme durch die Kleidung spürte, wurde ihm vollends bewusst, dass dies alles kein Traum war. Die Last der Stunden, in denen er dachte, er hätte ihn verloren, fiel von ihm ab, machte tiefer Erleichterung Platz und er vergrub sein Gesicht an Augusts Halsbeuge, um die Tränen zu verstecken, die sich in seinen Augen sammelten und drohten, überzulaufen.
Doch dieses Mal waren es keine Tränen der Trauer und des Schmerzes, sondern der Freude.
 

》You are every reason, every hope and every dream I’ve ever had.《³

The end…
...or the beginning of eternity

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¹Ralph Waldo Emerson, Link, 23.07.2019
²Arthur Erickson, Link, 23.07.2019
³Nicholas Sparks, Link, 23.07.2019

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Autor

Yusukis Profilbild Yusuki

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Kapitel: 2
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Kurzbeschreibung

An manchen Tagen hatte man bereits nach dem Aufstehen das Gefühl, man wäre lieber liegen geblieben und hätte weitergeschlafen. Es beschlich einen das Gefühl, dass etwas passieren würde, dass einem nicht gefiel. Etwas, dass das ganze Leben verändern könnte. Einem den Boden unter den Füßen wegriss und einen anschließend gebrochen und blutend dort zurückließ, ohne dass es einen Weg gab, um wieder aufzustehen, sodass man kraft- und hoffnungslos einfach liegen blieb und aufgab. || Triggerwarnung: schwerer Verlust, Suizid

Kategorisierung

Diese Story wird neben Liebe auch in den Genres Fantasy, Drama und Angst gelistet.