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Sätze: | 64 | |
Wörter: | 1.220 | |
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Seid ihr denn von eurem Lichte …
Eine prä-apokalyptische Büro-Romanze
Seid ihr denn von eurem Lichte
so geblendet dass ihr nichts seht?
Die Nacht, sie wird bald triumphieren
wenn der letzte Stern untergeht.
- ‚Der letzte Stern‘, Das Niveau
Wahrscheinlich war der Tag, an dem ich die beiden zum ersten Mal einen bedeutungsvollen Blickwechsel austauschen sah, für mich vor diesem Ereignis ein Tag wie jeder andere gewesen. Keine Vorzeichen, keine Ahnung in meinem Unterbewusstsein. Nichts.
Im Nachhinein jedoch erscheint es mir natürlich so, als hätte ich schon von jeher gewusst, dass an diesem Tag mein Leben eine Erschütterung erfahren würde. An jenem Tag, an dem aus dem einen Notizbuch in meiner oberen Schreibtischschublade zwei wurden.
Das schmerzend grellgelbe Neonlicht erhellte wie an jedem dieser düsteren Frühherbsttage schon vormittags das Großraumbüro. Nicht einmal den Segen separater Boxen genossen wir bei EverShine Inc. Jeder sollte jeden sehen, wir waren ja kollegial, und natürlich sollte jeder durch die bodentiefen und deckenhohen gläsernen Einlassungen vom Chef gesehen werden können. Ich saß an meinem Computer, versuchte, das Geschwätz der Kollegen auszublenden, und programmierte die Route des nächsten GravitySphere, der mit dem immer unwahrscheinlicher werdenden Ziel, den Sonnensturz zu verhindern, in den Weltraum geschickt werden würde. Natürlich ruhte, so sehr mich meine Arbeit auch beanspruchte, immer ein Teil meiner Aufmerksamkeit auf ihr. Deshalb sah ich auch, wie sie, als das Geräusch der sich öffnenden Schiebetüren ertönte, ihren Kopf dorthin wandte und der eintretenden Person ein Lächeln schenkte. In mir stieg Übelkeit auf und die Koordinaten auf meinem Bildschirm verschwammen vor meinen Augen. Ich, den sie noch nie angelächelt, geschweige denn wahrgenommen hatte, drehte mich nun ebenfalls zur Tür. Der Mann, der hereingekommen war, war mir zuvor hauptsächlich dadurch aufgefallen, dass er ständig zu spät kam und bei der Arbeit unverhältnismäßig oft in die Luft starrte oder mit Kolleginnen schäkerte. Das ärgerte mich. Natürlich, auch ich glaubte nicht mehr wirklich daran, dass das Ende der Welt noch weit hinauszuzögern war; dennoch sollte man seine Arbeit ernst nehmen.
Die folgenden paar Sekunden haben sich in meinem Kopf wie eine Szene aus einem Kinofilm eingespeichert. Mit raschen Schnitten und geschickten Zooms auf lächelnde Lippen und zwinkernde Augen. Er, der Zuspätkommende, trug zu dem seriösen Pflichtanzug leuchtend rote Socken. Das fiel auf. Auf ihr, das sah ich in ihren Augen. Ihr Lächeln wurde breiter, ein Daumen schoss anerkennend nach oben. Das gefiel ihm. Er zwinkerte neckisch, zog im Gehen lässig seine Hosenbeine ein paar Zentimeter nach oben.
Nur ein paar Sekunden währte dieser Moment, den andere als bedeutungslos abgetan hätten. Ich nicht. Stattdessen kaufte ich mir auf dem Nachhauseweg in einem Schreibwarengeschäft ein kleines schwarzes Notizbuch und schrieb seinen Namen auf das Etikett auf dem Deckblatt. Das Büchlein war selbstverständlich schlichter als das, was ich für sie verwendete, doch nicht weniger wichtig. Wer wichtig für sie war, war auch wichtig für mich.
In der darauf folgenden Zeit zeigte sich, dass ich Recht gehabt hatte. Aus roten Socken und geteiltem Amüsement, die Kleiderordnung nicht ernst genug zu nehmen, war mehr geworden.
Ich wusste es wahrscheinlich schon, bevor die beiden es wussten. Meinen Notizbüchern sei Dank. In den wenigen Wochen, in denen sich noch wenig Handfestes ereignete, notierte ich all die Blicke, all diese technisch gesehen Nicht-Ereignisse, die für die beiden die ersten Schritte darstellten. Wie sie sich immer mal wieder ‚zufällig‘ am Kopierer trafen. Wie er ihr nach der Mittagspause einen großen Kaffee vom nahe gelegenen überteuerten Coffee Shop mitbrachte. Wie auch sie immer mal wieder begann, zum traditionellen Hosenanzug rote Socken zu tragen. Oder gar, wenn sie ganz mutig war, blassrote Strumpfhosen zum grauen, weiblich wohlformenden Bleistiftrock. Ich schluckte, meine Körpermitte gebot mir, still am Schreibtisch zu verharren, obwohl ich eigentlich hatte zum Kaffeeautomaten laufen wollen.
Wie sie sich immer angrinsten. Mit diesem anerkennend-liebevollen Verschwörerblick. Als teilten sie irgendeinen geistreichen Insiderwitz, nicht bloß diese verdammten roten Socken. So ernst nahm man bei uns die Kleiderordnung sowieso nicht, ihre kleine Rebellion war eine Illusion. Wobei ich es, zugegebenermaßen, nie gewagt hätte, die gedeckten Farben die ich im Büro trug zu Gunsten knalligerer Töne aufzugeben.
Wenn ich nicht beobachtete oder Notizen machte vergrub ich mich in Arbeit. Ich konnte sehen, wie meine Hände auf der Tastatur vor unterdrückter Lust und Eifersucht zitterten. Dennoch rechnete ich, plante ich, gab‘ mich beschäftigt während wütende Liebe mich von innen zerfraß. Mittlerweile war es absolut unwahrscheinlich geworden, den Weltuntergang verhindern zu können. Niemand war überrascht, doch alle gaben sich resigniert. Viele versuchten noch verzweifelt, an eine Rettung zu glauben, doch die meisten arbeiteten nur noch aus Gewohnheit weiter. Das Projekt EverShine hatte versagt, zusammen mit der gesamten Menschheit. Nicht nur im Wetter war die Düsternis vorherrschend.
Nicht so bei meinen beiden Beobachtungsobjekten. Nachdem die erste Annäherungsphase vorüber war und sie sich der Zuneigung der jeweils anderen Person sicher sein konnten, umgab die beiden ständig dieser ekelhafte Schein der Liebe. Schein, ein doppelbödiges Wort: zum einen das Leuchten, das sie ständig zu umschweben schien, sich zu einem Strahlen steigerte, wenn sich ihre Hände im Vorübergehen scheinbar zufällig streiften. Zum anderen die Illusion, dass Liebe überhaupt möglich sei. Und dieser Schein, dieses Licht, dieser Anschein machte sie blind. Für das drohende Weltende und für mich, der ich alles sah. Wäre ich nicht so krank vor Hass und Begehren und Besitzenwollen, ich hätte sie verspottet. Stattdessen umschmeichelte ich ihren Körper mit meinen Blicken und wünschte mir, dass die Welt endlich enden möge.
Als es endlich soweit war, und auf sämtlichen Sendern nur noch darüber geredet wurde, dass es jetzt aus war, dass wir nun wirklich, wirklich nur noch wenige Tage hatten, lag ich die ganze Nacht wach. Die Hände unter der Bettdecke erfreute ich mich am Gedanken ihrer Verzweiflung. Um mich selbst hatte ich keinen Grund zu trauern, gab es in meinem Leben doch nichts Bedeutungsvolles außer einem blassgrünes Notizbuch, das von ersten, unauffälligen Beobachtungen bis zur jetztigen Qual alles enthielt. Langweilige Tage, an denen ich nur ihre Outfits beschreiben konnte, den genauen Wortlaut ihrer Meldungen in Meetings, doch sogar einige Highlights, als ich nahe genug bei ihr gestanden hatte, ihren Duft wahrzunehmen und in Worte zu fassen.
Am letzten Morgen machte ich mich auf. Ich wusste, wo die beiden sein würden. Ich wusste, wohin er ging, wenn er von Trauer übermannt wurde, und ich wusste, dass sie das wusste. Sie fand ihn am Morgen nach der Nacht, in der die Sterne erloschen. Und ich fand die beiden. Ich, der unbemerkte Beobachter, der unwichtige Kollege. Verbunden in Schmerz und Eifersucht, doch nichtsdestotrotz verbunden.
Immer noch – oder, nach der verzweifelten Nacht: schon wieder – umgab die beiden das Leuchten der Liebe. Umschlungen: Hände an Körpern, Lippen auf Haut, Wärme an Wärme. Vom eigenen Licht geblendet wurde vielleicht sogar die Apokalypse überstrahlt.
Was nichts daran änderte, dass auch sie bald tot sein würden, so wie ich, so wie alles andere. Ich stöhnte vor Genugtuung.
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