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Regen

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23.08.24 17:04
12 Ab 12 Jahren
In Arbeit

Regen, Regen, dachte er, als er sich am Morgen erhob und aus dem Fenster schaute. Es regnete so stark, dass er die Häuser auf der anderen Straßenseite nur verschwommen wahrnahm. Gerne hätte er sich wieder unter seine Decke verkrochen, aber er hatte den Tag verplant. Sein Plan gefiel ihm und er wollte ihn auf gar keinen Fall verschieben oder gar aufgeben. So bereitete er sich sein Frühstück, trank danach noch eine weitere Tasse Kaffee und blätterte lustlos in der Tageszeitung. Er machte sich anschließend landfein, suchte noch etwas an seinem Koffer herum, den er dann verschloss und wandte sich wieder zum Fenster.

Immer noch prasselte der Regen heftig auf die Dächer der im Freien parkenden Autos; ihm schien es, als hätte der Regen noch einmal zugelegt. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Ein Blick in das Zimmer zeigte ihm, ein wenig aufräumen würde nicht schaden. So schloss er seinen Koffer, räumte die Wohnung etwas auf, dann hielt es ihn nicht mehr in der Wohnung. Er schnappte seinen Koffer und ging in die Tiefgarage. Sobald er die Ausfahrt aus der Garage passiert hatte, prasselte der starke Regen auf das Autodach und die Windschutzscheibe. Ihm erschienen die Geräusche des Regens so, als würde ständig auf das Auto geklopft. Die Scheibenwischer schafften es kaum, die Wassermassen von der Scheibe fernzuhalten.

Obwohl er sich unwohl fühlte, machte er sich auf den Weg in Richtung Autobahn. An der rot anzeigenden Ampel vor der Autobahnauffahrt musste er anhalten. Wieder kam Zweifel in ihm auf, ob er wirklich an seinem Plan festhalten soll. Er wischte die Bedenken bei Seite und fuhr los, als die Ampel auf Grün umsprang. Ein greller Blitz raste über den Himmel, als er auf der Beschleunigungsspur Gas gab, um sich in den fließenden Verkehr einzuordnen. Der Blitz hatte ihn geblendet, während der unmittelbar folgende Donner die Fahrgeräusche überlagerte, war er kurz etwas orientierungslos. Er fing sich aber sofort wieder und bemerkte erst jetzt, dass auf der Schnellstraße, für diese Tageszeit, ungewöhnlich wenig Verkehr herrschte. Zum wiederholten Male wurde ihm bewusst, dass die Durchführung seines Plans bei dieser Wetterlage an Wahnsinn grenzte.

Sobald er die Steigung erreichte, auf der die Straße hinauf in das Bergische Land führte, fühlte er sich sicherer. Wassermassen strömten auf der Straße abwärts, er fuhr vorsichtig und traute sich nicht, die erlaubten 120 Kilometer pro Stunde zu fahren. An Tagen mit normalen Wetter- und Verkehrsbedingungen rechnete er für die Fahrt zu seinem Reiseziel mit einer Fahrzeit von rund fünf Stunden. Bei der derzeitigen Wetterlage glaubte er, er würde eher acht Stunden bis zum Ziel benötigen. Immer weiter fuhr er durch die witterungsbedingt, unwirklich wirkende Landschaft. Inzwischen nahm der Verkehr zu und wurde zähflüssig, als er sich einer Baustelle näherte. In der Baustelle kam der Verkehr für einige Zeit zum Erliegen. Immer, wenn es einige Meter weiterging, schimpfte er über die vor ihm Fahrende. Kurz nachdem er die Baustelle passiert hatte, entschloss er sich, eine Pause einzulegen. Er verließ die Autobahn an einer Abfahrt, die auf eine Seitenstraße führte. Er wusste, einige Kilometer weiter würde er wieder auf die Autobahn gelangen und von früheren Aufenthalten in dieser Gegend kannte er einen Gasthof. Dort, da war er sich sicher, bekäme er für sein Geld besseren Kaffee und schmackhaftere Speisen als in einer der Autobahnraststätten.

Er erreichte die Kurve vor der Gaststätte. In der Kurve senkte sich die Straße zur Brücke über einen unbedeutenden Bachlauf – eher ein Rinnsal, wenn er sich richtig erinnerte. Obwohl er vorsichtig fuhr, sah er im dichten Regen nicht, dass die Straße überflutet war. Aufspritzendes Wasser traf auf die Windschutzscheibe. Der Wasserschwall auf der Scheibe nahm ihm die Sicht, er bremste abrupt, das Auto schlingerte ein wenig und kam dann im Hochwasser führenden Bach zum Stehen. Der Motor erstarb, aber die Elektrizität funktionierte noch. Das Display vor ihm zeigte eine Fehlermeldung, die ihm nichts sagte. Da das Wasser fast bis zur Motorhaube reichte, wusste er, es wäre unsinnig zu versuchen, den Motor zu starten – instinktiv öffnete er die Seitenscheiben. Er versuchte die Tür zu öffnen, was aber wegen des Drucks, den das Wasser von außen ausübte, war die Tür blockiert. Ihm wurde klar, er musste mit dem Öffnen warten, bis genug Wasser in den Innenraum eingedrungen war. In jüngeren Jahren hätte er sich durch das Fenster nach draußen gehangelt, aber das war eine längst vergangene Zeit. Er zog das Smartphone aus der Jackentasche und versuchte zu telefonieren, aber der Ruf wurde nicht weitergeleitet.

Das Wasser sickerte nur langsam durch die Türdichtungen und bei den Pedalen in den Innenraum, so stellte er sich auf eine längere Wartezeit ein. Er saß bereits zehn Minuten in dieser Falle, bis ihm das Wasser in die Schuhe lief. Er merkte, das Wasser war recht kühl, umso mehr hoffte er jetzt, dass das Wasser schnell in den Wagen eindrang, damit er eine Tür öffnen konnte. Zum Warten verurteilt, schaute er nach draußen. Dabei machte er sich Gedanken darüber, wie er schnellstmöglich zu einem neuen Auto kommen könnte. Scarlett O’Hara kam ihm in den Sinn – verschieben wir es auf morgen. Weiter füllte sich das Auto recht langsam mit Wasser, der Schreck fuhr ihm in die Glieder, als er bemerkte, dass das Wasser inzwischen die Motorhaube überflutete und bald auch durch die geöffneten Fenster ins Innere strömen würde. Bisher hatte er gedacht, sobald genug Wasser im Inneren stand und er die Tür öffnen könnte, könne er ein Stück auf der Straße zurückgehen, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Daraus wurde wohl nichts, das war ihm klar. Deshalb wartete er weiter und nach kurzer Zeit strömte das Wasser durch die Fenster. Er betätigte noch einmal den Türöffner und die Tür öffnete sich problemlos. Sich an der offenen Tür festhaltend, stellte er sich neben den Wagen, tastete nach dem Handy. Er fand es in der Brusttasche seiner Weste, wo es noch trocken war. Noch einmal wählte er den Notruf, aber er befand sich in einem Funkloch und seine Hoffnung auf Hilfe zerplatzte wie eine Seifenblase.

Höher und höher stieg das Wasser, unschlüssig schaute er sich um, nirgends sah er eine Möglichkeit zu entkommen. So kletterte es auf das Autodach, in der Hoffnung, dass das Steigen des Wassers enden würde, bevor das Wasser ihn dort erreichte. Es dauerte gut eine Stunde, dann erreichte das Wasser das Dach. Noch einmal versuchte er, einen Notruf abzusetzen, wieder ohne Erfolg. Er zog seine Schuhe aus, verharrte noch einen Moment auf dem Dach, dann zog er entschlossen seine Oberbekleidung aus und sprang ins Wasser.

Er war ein guter Schwimmer, trotzdem machte ihm die Strömung zu schaffen. Er hatte auch keine Vorstellung davon, in welcher Richtung er an das rettende Ufer kommen könnte. So schwamm er mit der Strömung und hoffte, eine Gruppe Bäume zu erreichen, deren Kronen aus dem Wasser ragten. Er merkte bald, die Strömung würde ihn daran hindern, diese Bäume zu erreichen. So fixierte er weiter entfernt aus dem Wasser ragende Bäume, um diese zu erreichen. Die Richtung der Strömung war günstig und seine kräftigen Schwimmstöße brachten ihn näher an die Bäume heran, aber der Weg dorthin war weiter, als er es vermutet hatte. So überließ er sich der Strömung und versuchte durch leichtes Paddeln die Richtung zu halten. Seine Taktik hatte Erfolg; erst als er schätzte, die Bäume seinen nur noch 20 Meter entfernt, holte er wieder mit Armen und Beinen zu kräftigen Schwimmstößen aus. Seine Hoffnung stieg, er würde sich auf einen kräftigen Ast einer der Bäume setzen und ausharren, bis das Wasser zurückging. Fast zum Greifen nah waren die ersten Äste, als ihn ein Krampf im rechten Bein außer Gefecht setzte. Er kannte das, deshalb brach er nicht in Panik aus. Er griff nach seinem Unterschenkel und zog das Bein an seinen Körper, um den Krampf zu lösen. Die Strömung ergriff ihn, er trieb an den Bäumen vorbei.

Alle Versuche, den Krampf zu lösen, blieben erfolglos. Einmal stöhnte er vor Schmerz auf. Er war bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben, trotzdem versuchte er weiter den Krampf zu lösen. Noch einmal stöhnte er, dann griff er nach einem vorbeitreibenden Baumstamm, um sich daran zu klammern. Er hörte eine Stimme. Desorientiert bekam er kaum mit, was gesagt wurde. Wieder hörte er die Stimme und die Worte formten sich in seinen Ohren zu Sätzen – was machst du, du tust mir weh, lass mich los.

Mühsam fand er in die Wirklichkeit zurück; mit festem Griff umklammerte er den Arm der Frau, die er liebte. Erschrocken öffnete er seine Hand, dann spürte er wieder den Krampf. Mühsam rollte er sich aus seinem Bett und stellte sich aufrecht. Der Krampf löste sich und er spürte lediglich ein leichtes Ziehen im Bein, als er sich wieder auf die Matratze legte. Die Frau kuschelte sich bei ihm an und fragte schläfrig, was denn los sei. Ich hatte einen Albtraum, erklärte er leise und zog ihren Kopf auf seine Brust. Als er seinen Arm um ihren Körper legte, schlief sie umgehend wieder ein. Er schloss die Augen und hörte auf den leicht röchelnden Atem der Frau in seinen Armen. Die gleichmäßigen Atemzüge machten ihn nach einiger Zeit schläfrig, so glitt er, die Frau in seinen Armen haltend, hinüber in den Schlaf.

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Klugscheisser Am 30.09.2024 um 21:54 Uhr
Gefällt mir gut. Was für ein Albtraum ! Ja, das kennt man, die nächtlichen Beinkrämpfe.
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BerndMoosecker (Autor)Am 30.09.2024 um 22:06 Uhr
Danke für den freundlichen Kommentar zu meiner kleinen Geschichte und die freundliche Bewertung.

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Sätze: 85
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Zeichen: 9.279

Kurzbeschreibung

Er macht sich auf den Weg, obwohl die Wetterbedingung widrig sind und gerät in eine bedrohliche Situation.

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