Die Veilchen blühten lange in diesem Jahr und sie besuchte sie jeden Tag. Natürlich wusste sie nicht, dass es Veilchen waren, sie war noch klein und Blumen waren Blumen und Blau war eine schöne Farbe. In zärtlicher Bewunderung strich sie über die weichen Blütenblätter, die immer so kühl waren und sich trotzdem lebendig anfühlten. Ihre kleinen Freundinnen hatten Kätzchen und Kaninchen und sie hatte eben einen Garten. Bald begann sie, mit den Pflanzen zu reden, wie andere es mit Haustieren machten. In ihrem kindlichen Vertrauen erzählte sie von simplen Geheimnissen, in einfachen Sätzen goss sie die Blumen mit ihrer Seele.
Your blood is red
Ihre Mutter beobachtete sie beunruhigt vom Fenster aus. Anfangs hatte sie sich noch darüber gefreut, dass ihre Tochter im Freien spielte, doch unheimliche Veränderungen waren nicht zu leugnen. Als das Mädchen dazu übergegangen war, gar nicht mehr mit ihren Spielsachen, den Puppen, Teddybären Plastikautos zu spielen, hatte sie entschlossen, dass es Zeit war, einzugreifen und versucht, die Tochter durch Hausarrest mal wieder drinnen zu behalten. Vergeblich – sie hatte geweint und ihre kleinen Fäuste gegen Wände geschlagen, bis sie bluteten. Schließlich hatte ihre Mutter sie rausgelassen, hinter ihrer genervten Miene die schleichende Angst verbergend. Der Garten tat irgendwas mit ihrer Tochter.
The Window was open
Sie lag in ihrem Bett und wartete. Der kühle Nachtwind, drang durch das Fenster und ließ sie frösteln, doch es stand außer Frage, es zu schließen. Heute musste es geöffnet sein, das wusste sie, wie sie vieles in letzter Zeit einfach wusste. Sie konnte das Atmen des Gartens hören. Ihr Herz schlug schnell in ihrer Brust, halb Angst, halb Vorfreude und ganz Besessenheit. Früher hatte sie nach Mama gerufen, wenn sie Angst hatte, doch das durfte sie nun nicht mehr. Sie würde nie mehr nach ihrer Mutter rufen, sie würde nie mehr rufen, sie würde ihre Mutter nie mehr sehen.
I'm under your bed
Dass das Atmen nicht mehr von draußen kam, sondern aus ihrem Zimmer, erkannte sie nicht sofort. Der Duft war es, der sie zunächst aufschrecken ließ. Ein Geruch nach nassem Moos, altem Holz, verfilztem Pelz. Nach Dunkelheit und Verfall und Veilchen. Die Finger in die vertraute Kuscheldecke grabend setzte sie sich auf und begann zu weinen, nicht wissend, dass die Natur sich ihre salzigen Tränen einverleiben würde. Ihr seid das Salz dieser Erde, so hieß es in der Bibel, doch dass sie auch das Blut, die Knochen und das Fleisch war, an denen die Erde sich labte, hatte ihr keiner gesagt.
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