Lovecraft war ein kluger Mann, als er in seinen Kurzgeschichten immer wieder deutlich gemacht hat, wie glücklich der Mensch sich schätzen kann, dass er nicht in der Lage ist, alle Details, alles Wissen über diese Welt zusammenzutragen und zu kombinieren. So entgeht er dem Grauen, das da draußen auf uns wartet. Weiß nichts von den Monstrositäten, die hinter dem Schleier unserer Wahrnehmung nur darauf warten, sich auf uns zu stürzen. Kann ungestört von dem unheilbringenden Wissen sein Leben in Ruhe und Frieden leben, glücklich, unwissend, naiv.
Ich hätte seine Kurzgeschichten ernster nehmen sollen. Ich habe sie genossen, sicher, fühlte den Grusel angenehm meinen Rücken hinunter laufen, aber niemals habe ich ihnen die Aufmerksamkeit geschenkt, die ich einer zuverlässigen Quelle gegeben hätte. Mein Fehler. Ein Fehler, den ich jetzt mit meinem Leben bezahlen werde.
Ich war neugierig. Auf meiner neuen Lieblingsplattform zum Veröffentlichen von Texten war eine Challenge ausgerufen worden, eine Geschichte mit Frühlings-, Blumen-, oder Osterhasen-Thematik zu schreiben und als besondere Herausforderung sollte man einen Killer-Osterhasen einbauen. Ich hätte nicht so neugierig sein sollen.
Denn natürlich, was tut ein Schreiberling, der noch nie wirklich über Killer oder über Osterhasen nachgedacht hat? Er stürzt sich in die Recherche, fängt bei Wikipedia an, stößt dort auf echte Bücher als Quelle, von diesen Büchern wird er zu anderen geleitet, die immer älter werden. Irgendwann sitzt man in alten Archiven, umgeben von Pergament, und dann hat man eine Eingebung. Das Puzzle setzt sich vor den eigenen Augen zusammen.
So erging es mir vor wenigen Tagen. Ich hatte alles gelesen, was es zu lesen gibt. Ich bin jetzt ein absoluter Experte in Sachen Osterhasen. Welche Frage ihr auch hättet, ich könnte sie beantworten. Ironischerweise werde ich dieses Wissen mit ins Grab nehmen, denn SIE haben mich gefunden. Und ganz ohne Ironie sage ich euch: besser so! Es ist besser, dass ich für immer der einzige Mensch sein werde, der dieses Geheimnis gelüftet hat. Ich werde das Wissen mit in mein Grab nehmen und hinterlasse diese hastig hingekritzelten Zeilen als Warnung für jeden, der meinen Tod untersuchen will, und jeden, der selbst denkt, Osterhasen wären ein gutes Forschungsobjekt.
Schon im 17. Jahrhundert wusste man vom Osterhasen, und bereits die erste Quelle weist daraufhin, wie gefährlich der Glaube an den Osterhasen ist, auch wenn man damals noch aus christlichem Aberglauben diese Figur ablehnte, nicht ahnend welches Grauen sich dahinter verbirgt. Dies habe erst ich zu Tage gefördert und ich bereue es so sehr.
Der Osterhase ist der kleine Bruder des Ideenhasen (engl. Plotbunny). Gemeinsam bilden sie ein Zwillingsgespann von Hasen, die wahren Terror über die Welt loslassen können. Ohne ins Detail gehen zu wollen, schreibe ich dies nieder, um euch ebenfalls davor zu warnen, genauer über Plotbunnys nachzudenken. Durch meine lange Auseinandersetzung mit aggressiven Plotbunnys wusste ich schon früh über deren wahre Natur zusammen, doch erst, wenn man die Verbindung von Osterhase zu Ideenhase zieht, enthüllt sich das wahre Grauen.
Als ich das letzte Pergament bis zum Schluss gelesen habe, hatte ich eine Erleuchtung. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl zu wissen. Echtes Wissen. Augenblicklich verstand ich, warum Mönche verschiedener Religionen ihr Leben lang nach der Erleuchtung suchen, ewig in Meditation versunken ihre Tage verleben. Ich fühlte mich großartig. Ein Schleier war gesunken und ich sah schärfer. Der Schleier des Nichtwissens hatte sich – zumindest für diese eine Sache – von mir gehoben.
Beglückt ging ich an jenem Abend nach Hause. Das Wissen, das ich errungen hatte, zeugte von einer grauenhaften Wahrheit, doch ich war so voller Freude, überhaupt zu wissen, dass ich es einfach ignorierte. Doch es dauerte nicht lange, bis das Grauen mich einholte.
Es fing in jener Nacht an. Ein Kratzen an meinem Schlafzimmerfenster. Es riss mich aus dem Schlaf, doch wann immer ich zum Fenster ging, war nichts da. Sobald ich mich wieder hinlegte, kehrte es zurück. Ich konnte nicht schlafen, es hielt mich wach, dauerhaft wach. Mit offenen starrte ich an die Decke und immer neue Ideen für Bücher kamen mir in den Sinn. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als sie alle aufzuschreiben. Ein kleines Notizbuch für Notizen, das stets neben meinem Bett liegt, ermöglichte mir zumindest eine kurze Ruhepause von den vielen Ideen.
Der folgende Tag war noch schlimmer. Draußen blühten die Osterglocken, die Sonne lachte, es war ein Frühlingstag, wie er im Buche stand, doch ich fühlte nur endlose Erschöpfung. Und ich sah sie. Ich sah SIE. Den Osterhasen, der im Garten der Nachbarn Eier versteckte. Seinen Bruder, der unter meinem Fenster saß und mich anzugrinsen schien. Ich saß über mein Notizbuch gebeugt und arbeitete fanatisch an meinen Ideen.
Die Dämmerung zog herauf und ich wusste es. Wie zuvor, als ich die beglückende Erleuchtung hatte, so wusste ich nun auch. Dies war mein Ende. Elf Ideen habe ich in mein Notizbuch gekritzelt. Ideen für Romanzen, Ideen für Vampirgeschichten, Ideen für anspruchsvolle Literatur. Mein Gehirn fühlte sich wortwörtlich wund an. Und als die Dämmerung anbrach, wusste ich, warum.
Deswegen sitze ich jetzt hier, mitten in der Nacht, wieder absolut wach, und schreibe um mein Leben. Mitternacht ist nur wenige Minuten entfernt und mein Geist ist schwach. Mein Gehirn ist schwach. Ich werde diese Nacht nicht überleben. Das Grauen da draußen, die Gebrüder Plotbunny und Osterhase, sie wissen. Sie warten. Sie riechen das Blut, das aus meinem wunden Gehirn läuft.
Manche Autoren beten darum, einmal von einem Plotbunny besucht zu werden, doch ich weiß, wer sie tatsächlich sieht, der ist verloren. Das wahre Wissen ist mein Verderben. Der Plotbunny sucht dich heim und wird solange an dir nagen, bis du vor Erschöpfung aufgibst, und dann kommt der Osterhase. Doch nur jene, die wissen, wer diese beiden wirklich sind, wie sie aussehen, wie man sie erkennen kann, nur jene können ihm zum Opfer fallen.
Lasst euch gesagt sein: Unwissenheit ist ein Segen. Es warten Grauen da draußen in der Welt jenseits unserer Vorstellungskraft. Versucht nicht, sie zu ergründen.
Das Kratzen am Fenster wird lauter.
Ich fürchte, ich war nicht überzeugend genug. Doch ich kann euch den Hintergrund von Plotbunny und Osterhase nicht erzählen. Bitte verstehe mich, geschätzter Leser, verstehe meine Andeutungen, meine Heimlichtuerei. Ich versuche, dich zu schützen.
Das Kratzen hat aufgehört. Es ist nur noch eine Minute bis Mitternacht.
Ich bete, dass diese verzweifelten Zeilen, die ich niederschreibe, von irgendjemandem gefunden werden, damit sie irgendjemand liest. Lass dir gesagt sein, wer auch immer du bist, wo auch immer du diesen Text gefunden hast: Forsche nicht nach. Begib dich nicht in den Kaninchenbau, in den Wikipedia dich locken will.
Die Uhr im Wohnzimmer schlägt Mitternacht. Ich weiß, sie sitzen vor dem Fenster, doch ich wage nicht hinzuschauen. Und doch, Plotbunny ist zu mächtig. Ich weiß, jede Sekunde werde ich hinschauen.
Oh Gott, steh mir bei …
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