Zweifellos äußere ich keinen revolutionären Gedanken, wenn ich feststelle, dass das Leben eine einzige Qual darstellt. Beginnend mit den Schmerzen der Geburt setzt sich wahrhaftig ein Teufelskreis aus Leid ein, der nur kurzzeitig unterbrochen wird von der Unbeschwertheit der Jugend. Eben jene scheinbar glückliche Zeit des Daseins löst beim Menschen die Illusion aus, dass das Leben doch nicht so furchtbar ist, dass es Hoffnung auf Besserung gibt, dass alles noch in gewünschte Bahnen gelenkt werden kann. Somit errichtet sich der Mensch ein Geflecht aus Lügen, um diese völlig an der Realität vorbeigehende Illusion aufrechtzuerhalten. Doch selbst das stärkste Geflecht, selbst das scheinbar undurchdringlichste Netz stößt ab einem gewissen Zeitpunkt an die äußersten Grenzen seiner Belastbarkeit. Eine Erfahrung, die der Mensch schmerzhaft machen muss, notwendigerweise machen muss, denn keine Lüge hält ewig und die Wahrheit findet stets einen Weg sich seinen Weg zu bahnen. Lebt doch der Tor sein ganzes elendes Leben in dem Irrglauben, dass doch noch nicht alles verloren ist und dass er selbst imstande ist, einen Weg aus der Misere zu entdecken und jener eigenständig zu entkommen, so erkennt der Weise die Ausweglosigkeit aus diesem Labyrinth und akzeptiert die Sinnlosigkeit des Daseins. Ich selbst vermag nicht zu entscheiden, welcher Weg der bessere ist. Entweder einigermaßen, so weit es die Umstände des Lebens zulassen, glücklich zu sein, sich dabei jedoch was vorzulügen, um sich vor der Wahrheit zu drücken oder die Erkenntnis wahrhaftiger Weisheit und edlem Wissens zu erlangen, sich dabei jedoch logischerweise vollkommen unerfüllt zu fühlen. Ich weiß, wovon ich spreche, erlebte ich in meiner eigenen Existenz doch sowohl die Zeiten als Tor als auch als Weiser. Schmerz lässt sich unter Kontrolle halten, Leid kann vergessen werden. Doch nur für eine gewisse Dauer, denn irgendwann holt das Leben einen immer ein. Und der Moment, in dem die eigenen Augen geöffnet werden, in dem man sich der Ausmaße des eigenen Versagens bewusst wird, spürt man, wie das Leben einen verraten hatte und an einem vorbeizog, ohne dass man selber davon erfahren hat. Ein einziger Fehler und alles war vorbei. Unwiderruflich und endgültig. Vorbei! Der Wahnsinn ist die einzig logische Reaktion auf die Tragödien des Lebens. Somit erübrigt sich die Frage, warum in unserer Welt immer mehr Menschen den Verstand verlieren. Wie sei es schließlich möglich die Vernunft, die den Menschen ebenso wie dessen Triebe charakterisieren, walten zu lassen, wenn der Schmerz der unerfüllten Liebe, des Verlusts eines nahestehenden Menschen und die allgemeine Sinnlosigkeit des Seins einen plagen. Wie es immer so ist und schon immer war prasselt das Böse nur so auf einen ein. Nicht langsam und der Reihe nach, sondern auf einmal. Als sei der Mensch wie eine Zielscheibe an einem Baum gefesselt und der Schütze in Gestalt des Schicksals durchlöchere ihn mit seinen Pfeilen. Traurig aber wahr. Niemand hat je behauptet, das Leben sei gerecht, dass es eine Art höhere Moral gebe oder das Gute am Ende siege. Denn am Ende jeden Lebens lauert der Tod, dessen gewaltiger Schatten sich allgegenwärtig über alles Irdische legt. Spätestens dann muss auch der Tor einsehen, dass all sein Streben zu nichts geführt hatte, gab es doch im Leben kein Glück, abgesehen von dem flüchtigen und vergänglichen wie jedweder Form des Genusses und der Wollust. Ebenso ins Leere muss unweigerlich jede Form des Strebens führen. Sie vergiftet den Geist, belastet die Seele mit unwahren Erwartungen. Der größte Irrglaube ist zweifelsohne die Annahme, der Mensch sei seines Schicksals eigener Schmied. Da wir den Sinn unserer eigenen Existenz und somit auch der der gesamten Rasse nicht auszumachen vermögen, führt kein Weg an der sich daraus ergebenden Konklusion vorbei, dass wir einer höheren Macht, wie auch immer diese aussehen mag, ausgesetzt sind. Diese allein entscheidet über Gedeih und Verderb, ohne dass wir auch nur den geringsten Einfluss darauf hätten. Sollte etwas so sein war es ebenso vorherbestimmt wie wenn etwas nicht hatte sein sollen. Sich seinem Schicksal zu widersetzen ist somit nichts als unnötiger Kräfteverschleiß. Dennoch lässt sich derjenige, der dies dennoch tut, nicht verurteilen, hat er doch im Grunde keinen Einfluss auf sein eigenes Handeln, obwohl er doch in eben jenem verräterischen und krankhaften Glauben lebt. Der Rebell ist ebenso nicht für sein Tun zu verantworten wie der Genügsame, da dieses Verhalten doch jeweils so und nicht anders schon seit Anbeginn der Zeit vom Universum vorherbestimmt war und sich somit nicht ändern lässt. Demzufolge stellt das Widersetzen der eigenen Triebe, des eigenen Verstandes, des eigenen Handelns ein unmögliches Unterfangen dar. Denn sollte sich dieser Mensch in eine andere Richtung entwickeln, wäre dies so vorherbestimmt gewesen. Tritt dieser Fall folglich, wie so oft, nicht ein, so wird er es auch nie, ganz gleich wie sehr sich der Betroffene auch danach sehnt und es verzweifelt versucht. Im Übrigen ist auch jenes Sehnen und Wünschen im vorherbestimmten Charakter fest verankert. Jegliches Zuwiderhandeln bricht also die Gesetze der Natur und ist in der realen Welt nicht umsetzbar. Es ist das Schicksal, dem wir ergeben dienen, nach dessen Regeln wir spielen und nicht etwa unser uns innewohnendes Gutdünken. Um festzustellen, dass es dieses mysthische nicht personifizierbare Etwas nicht gut mit dem Menschen meint, bedarf es keiner umfassenden wissenschaftlichen Analysen. Es genügt ein Blick auf die Leiden in der Welt. Auf das Böse, das wir selbst jederzeit verkörpern können, ohne daran etwas ändern zu können. Möglicherweise stellt dieses Jammertal des Lebens eine Herausforderung dar, um den Menschen auf die Seligkeit des Lebens nach dem Tod vorzubereiten. Doch glaube ich nichts dergleichen. Da sich unser gesamtes Weltbild, unsere Empfindungen und die Wahrnehmung in unserem Kopf abspielen und dieser nicht mehr zu arbeiten in der Lage ist, wenn der düstere Tod ihn einholt, komme ich zu dem Schluss, dass der Tod das Ende bedeutet und danach nichts weiter geschieht. Doch wer will weiterleben, möglicherweise gar ein weiteres Mal in diese grauenhafte Welt zurückkehren? Ist dieses eine irdische Leben nicht schon so schlimm, dass es jeglichen Wunsch nach Fortbestand der Existenz bereits im Kern erstickt? Da ich selber in der absoluten Ausweglosigkeit geendet bin, möchte ich gerne berichten, was mich zu diesem überaus pessimistischen, wenngleich einzig wahrem Weltbild veranlasst hat. Meine Erfahrungen und traurigen Erlebnisse werde ich im Folgenden schildern. Doch möchte ich nicht bemitleidet werden, ist das Leben doch nun einmal so. So und nicht anders. Ungerecht, grausam und etwas, das besser nicht wäre und dennoch ist. Für mich und für jeden anderen, denn Mensch sein, bedeutet unglücklich sein.
Schwermütig und melancholisch wie ich schon immer war, suchte ich stets nach einem höheren Sinn in meinem Leben, etwas, das mir zur Orientierung verhalf, nach dem ich mich richten konnte. Ich glaubte nicht an einen Gott, dem ich mich unterwerfen konnte. Schließlich glaubte ich den Sinn meines Daseins in der Liebe ausgemacht zu haben, in der Leidenschaft. Zu dem Zeitpunkt war ich noch ein Tor, der noch nicht zur wahren Erkenntnis gelangt war. Jung und unschuldig wie ich war, glaubte ich also noch an etwas. Mein größter Lebenswunsch blieb mir in jungen Jahren noch verwehrt. Die Mädchen beachteten mich nicht, straften meine verzweifelten Annäherungsversuche mit Ignoranz, Unverständnis und zuweilen gar Respektlosigkeiten. Die Dummen und Unfähigen wurden mir vorgezogen, dabei war ich derjenige, der den Mädchen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen schien, sich um sie fürsorglich kümmerte und dem keine Anstrengung für ihr Wohlergehen zuwider war. In dieser schweren Zeit meines Lebens, die ich rückblickend als sehr lehrreich erachte, wurde ich zum ersten Mal jäh aus meinen Illusionen der Kindheit gerissen, denen ich mich so leidenschaftlich hingab. Die Liebe, die niemals erwidert wurde zeigte mir die Ungerechtigkeiten des Lebens auf. Doch noch hatte ich die Hoffnung bewahrt. In meinem jugendlichen Leichtsinn wollte ich schlichtweg nicht wahrhaben, dass es im Leben nicht das gab, was ich mir derart sehnsüchtig erhoffte. Ich versuchte es wieder und wieder, umwarb die schönsten und gutherzigsten Mädchen, die mir begegneten und verschrieb mich vollkommen der Liebe, ließ mich fallen und ging nahezu vollständig in dieser Leidenschaft auf. In dieser Art Wahn, den ich als krankhaft bezeichnen möchte, verlor ich mich selbst. Ich litt die Qualen der Liebe wie kein anderer. Es gelang mir nicht, loszulassen. Schließlich wollte ich dem aktuell angebeteten Mädchen doch unter Beweis stellen, dass ich es mit der Liebe ernst meinte und dass es sich bei mir keineswegs nur um einen Wollüstling handelte. Dieses scheinbar noble Verhalten ließ mich mehr leiden als es notwendig gewesen wäre. Stets versuchte ich diejenigen zu beeindrucken, die kein Gefallen an mir fanden.
Ich verfiel dem Alkohol. Dieser stellte fortan den einzigen Halt in meinem Leben dar, da ich keine Familie hatte. Meine Eltern waren früh gestorben, die Pflegeeltern hasste ich und verließ sie umgehend, nachdem ich zum Manne gereift. Ich trank niemals um des Trinken willens. Ich trank, um zu vergessen. Ich trank, um der Ausweglosigkeit meiner Situation zu entrinnen. Ich verlor mich im flüchtigen Glück, denn nur im stark alkoholisierten Zustand, vermochte ich die Last meines Lebens zu ertragen. Ich nahm an, nur in diesem Zustande inneren Frieden zu erlangen.
Mein augenscheinlich erfolgloses Werben, fand letztendlich wider Erwarten doch noch ein positives Ende. Im Alter von 28 Jahren kam ich mit einem Mädchen zusammen, das meine Liebe endlich erwiderte. Immer noch jung und sorglos wie ich war, gab ich mich erneut den geliebten Illusionen hin. Alles war gut, das Leben war doch nicht so schlimm und ähnliches. Im Glauben des sicheren Sieges, ließ ich mich gehen. Mit dem Mädchen, Luisa war ihr Name, entbrannte eine derart heftige Leidenschaft, wie ich sie selbst nie für möglich gehalten, wie ich sie mir schöner nicht hätte erträumen lassen. Und doch quälte mich etwas tief in meinem Innern. Ich ließ mir nichts anmerken. Ich war schließlich geübt darin, eine Maske zu tragen. Die Fassade machte einen glücklichen und stets gut gelaunten Eindruck. Vor dem Spiegel hatte ich jenes falsche Lächeln eingeübt, dessen ich mich immer wieder bediente, um auch Luisas Illusionen aufrechtzuerhalten.
Eigentlich hatte ich alles. Mein größter Lebenstraum ging mit der Heirat Luisas in Erfüllung. Zwar besaßen wir nicht viel an Materiellem und wir mussten uns unseren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsaushilfen verdienen, doch fühlte ich mich trotzdem wie ein reicher Mann. Und eben dies gab mir zu Denken und stimmte mich derart melancholisch. Denn nun, wo ich wahrlich für meine bescheidenen Ansprüche alles besaß, machte sich in meinem Herzen eine schauerhafte Furcht breit. Nämlich die meinen ganzen Besitz zu verlieren! Je mehr der Mensch besitzt, desto unglücklicher wird er, da das Streben den Geist vergiftet. Und in der Armut ist er ebenso unglücklich, da er nichts besitzt und ihm seine tiefsten Wünsche verwehrt werden. Aus diesem Grund ließ sich die Vorstellung vom Glück getrost in das Reich der Sagen und Märchen verbannen!
Ganz gleich wie sehr man auch etwas begehrte, bewunderte, wenn man es schließlich bekam und die anfängliche Welle der Euphorie überwunden hatte, wurde das Besondere zum Gewöhnlichen. So war es auch bei Luisa. Je mehr Zeit ins Land strich, desto weniger reizte mich ihre prächtige Weiblichkeit und ihr frommes Herz. Ich sah ihr ins Antlitz und spürte nichts dabei. Kein sinnliches Zucken, kein pochendes Herz, nicht einmal ein schwaches Lächeln konnte sie mir abgewinnen. Nach sechs Jahren der Ehe hatte meine Frau ihren ganzen Reiz einbüßen müssen. An dieser Stelle wäre es wahrscheinlich Zeit gewesen, die Ehe zu beenden. Wir taten es jedoch nicht. Wahrscheinlich weil ich merkte, dass Luisa nicht so empfand wie ich. Ich spürte, dass sie mich nach wie vor aufrichtig liebte. Zwar freute mich einerseits die Aufmerksamkeit, die mir nach all den Jahren des elenden Wartens so sehr gefehlt hatte, andererseits bedauerte ich das arme Mädchen jedoch auch, da ich nicht länger in der Lage war, ihr das zu bieten, was sie wünschte, was sie verdiente.
Das zuvor stets so glückliche Mädchen verfiel in eine tiefe Depression. Die räumliche Nähe zwischen uns beiden war zwar nach wie vor vorhanden, schließlich lebten wir noch gemeinsam im selben Haus und teilten uns das gleiche Bett, doch die emotionale Nähe war verflogen. Unsere Beziehung verkam zu einer Art Zweckgemeinschaft, worunter meine Frau sehr zu leiden hatte. Ich dagegen hinterfragte mein gesamtes Weltbild. War es nicht immer die Liebe, die ich als Sinn meines Lebens auserkoren? Wieso war ich dann immer noch so unglücklich? Konnte es gar sein, dass ein glückliches Leben für mich gar nicht vorherbestimmt war? Dass ich Zeit meines Lebens der Unerfüllte, der Rastlose war? Gab es so etwas wie Glück überhaupt? Jene Fragen, auf die ich mittlerweile eine Antwort gefunden habe, stellte ich mir damals.
Ich neigte dazu, mich der grausamen Realität zu entziehen. Um so wenig wie möglich von meiner inneren Leere und Unerfülltheit wahrzunehmen, steigerte ich mich in niemals für möglich gehaltene Trinkexzesse. Zwischen dem Alkohol und mir entwickelte sich eine Hassliebe. Ich konnte nicht mehr ohne ihn leben. So leerte ich noch vor dem ersten Mahl des Tages eine Flasche Schnaps. Über den Tag verteilt benötigte ich mehrere Flaschen Wein. Zudem suchte ich Zuflucht in der Kunst, der ich Zeit meines Lebens sehr zugewandt war. Ich verschlang eine Lektüre nach der anderen und ließ mich in der Kunst der Musik unterweisen. Luisa vernachlässigte ich dabei vollkommen. Sie sorgte sich sehr um mich, doch alle Versuche, sich mir zu nähern, unterband ich. Ich wollte einfach nur meine Ruhe. Ewige Ruhe war das einzige, wonach ich mich sehnte.
Wie ich zu meiner Schande gestehen muss, behandelte ich das Mädchen in dieser Zeit äußerst grob. Wenn ich mitten in der Nacht stark betrunken nach Hause kehrte, wo sie mich sehnsüchtig erwartete, öffnete ich in der Regel noch eine weitere Flasche Wein. Sie versuchte mich davon abzuhalten und in meinem Wahn kam es oft dazu, dass ich sie beinahe tot prügelte. Trotzdem tat dies ihrer unsterblichen Liebe keinen Abbruch. Ebensowenig die zahlreichen Affären mit anderen Frauen, in die ich mich wahrlos stürzte und wovon ich ihr im alkoholisierten Zustand stolz berichtete. Zweifelsohne war sie zutiefst verletzt, weinte oft und zog sich meist zurück, doch würde sie mich niemals verlassen. Dafür bewunderte ich sie zutiefst. Dass ich selber offenbar nicht zu einer solch innigen Liebe fähig war, obwohl dies doch meinen allergrößter Herzenswunsch darstellte, deprimierte mich nur noch mehr und stürzte mich immer tiefer in die Abhängigkeit.
Wir gerieten in finanzielle Nöte, da ich unser mühsam erspartes Geld für Alkohohl ausgab. Versunken in dieser Hoffnungslosigkeit, musste Luisa sich prostituieren, die letzte Möglichkeit, um an Geld zu gelangen. Sie willigte schließlich ein, jedoch nur äußerst widerwillig, was ich gut nachvollziehen kann. Ich dagegen versuchte mich als Straßenmusikant, da meine musikalischen Fähigkeiten mittlerweile ausreichten, um damit wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen, wie ich jedenfalls selber glaubte. Den Menschen schien meine Musik auch zu gefallen, bezahlten mich allerdings nicht, da sie mich spätestens beim Anblick der sich immer in meiner Nähe befindenden Schnapsflasche nicht mehr ernstnahmen. Somit waren all meine Unternehmungen nicht von Erfolg gekrönt. Daran war ich gewöhnt!
Nur wenige Wochen später erhielten wir eine schreckliche Nachricht. Luisa hatte sich von einem unbekannten Mann die Syphilis eingefangen und war somit dem Tod geweiht. Die Diagnose erfolgte durch einen angesehenen Arzt, der uns auch mitteilte, dass keinerlein Hoffnung auf Heilung bestand.
Luisa selbst schien diese Nachricht recht gelassen hinzunehmen. Ich spürte, dass ihr diese schlimme Krankheit gar gelegen kam, hatte sie doch jeglichen Lebenswillen aufgrund ihrer unerfüllbaren Liebe verloren. Sie schwelgte in Erinnerungen an vergangene Zeiten, als wir noch ein glückliches Paar waren, vor meiner Abhängigkeit, vor der meinerseits erloschenen Liebe zu ihr. In der Folgezeit bekam ich sie nur noch selten zu Gesicht. Sie befand sich praktisch den ganzen Tag in ihrem Schlafgemach. Der Schatten des Todes legte sich über unser Haus. Er erfüllte die Luft, die ich atmete mit einer Eiseskälte. Die Stille war derart unerträglich, dass ich kaum noch logisch zu denken vermochte, zumal meine Sinne durch meinen noch stärker gewordenen Alkoholkonsum ohnehin vernebelt waren.
So sehr ich auch Mitleid mit dem armen Geschöpf empfand, das dort in unserer Schlafkammer lag, so sehr ängstigte es mich auch. Selbst vollkommen betrunken grauste mir noch vor ihrem Anblick. Wenn ich des Nachts von meinen Trinkexzessen nach Hause kehrte, getraute ich mich kaum, unser gemeinsames Schlafgemach zu betreten, wo die kaum noch als meine ehemals geliebte Frau Luisa identifizierbare Gestalt mich erwartete. Wortlos legte ich mich neben sie. Ich drückte ihr noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, woraufhin sie ihre Augen weit aufriss. Dies ließ mich erschaudern, widerte mich an. Ihre Augen waren blass und wie von einer dünnen Haut überspannt. Ihrem Antlitz war jegliche Menschlichkeit gewichen. Sie glich wahrhaftig mehr einer Toten denn einer Lebenden.
Im Schlaf träumte ich immer von diesen Augen, diesen weit aufgerissenen Augen. Mir war durchaus bewusst, dass sich dieser grauenhafte Anblick derart in mein Unterbewusstsein gebrannt hatte, dass es mir nicht möglich war diesen jemals vergessen zu können.
Es geschah an einem 9. Oktober als Luisa die materielle Welt verließ um in eine höhere Dimension einzukehren. Wie immer betrat ich das Haus mitten in der finstersten Nacht. Finster wie der Tod. Als ich mich taumelnd in Richtung Treppe bewegte erstarrte ich plötzlich und stieß einen grauenhaften Schrei der Angst aus. Auf der obersten Stufe stand Luisa. Gekleidet in ein weißes Kleid, definitiv ein Totenkleid. Ihre Haut war weiß, völlig weiß. Jegliches Leben war aus ihr gewichen. Die schrecklichen Augen aufgerissen und starr auf mich gerissen. Ausdruckslos. Ihre Lippen waren blau und von unnatürlichen Furchen durchzogen. Das Haar, aus dem die Farbe gewichen war, hing in fettigen Strähnen von ihrem Haupt herab.
Ich suchte nach Halt, der Schock saß allerdings derart tief, dass ich zu Boden stürzte und voller Furcht hinauf sah. Ich fühlte mich ausgeliefert, was jedoch keinen Sinn ergab, schließlich hatte ich es mit einer nun schon mehr als halb toten Frau zu tun, mit der ich im Notfall problemlos fertig werden würde. Doch ohnehin würde sie mir niemals Leid zufügen. Dafür liebte sie mich einfach zu sehr. Ich verharrte also auf dem Boden und beobachtete die geisterhafte Erscheinung auf der Treppe, wobei ich mich fragte, ob ich in meinem Rausch nur halluzinierte.
Luisa erhob plötzlich einen hageren, langen Arm und streckte mir ihre tote Hand entgegen. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass sie ein Messer in der Hand hatte. Langsam stolperte sie die Treppe herunter. Eine Stufe nach der anderen. Kam näher, näher und näher. Und ich blieb regungslos liegen, unfähig zu sprechen oder mich zu bewegen. Der Angstschweiß bildete sich auf meiner Stirn und mein Herz pochte derart heftig, dass ich befürchtete, es würde mir den Brustkorb sprengen. Nun war ich mir bewusst, dass ich, sollte Luisa tatsächlich den Verstand verloren haben und planen, mich umzubringen, möglicherweise um sich bei mir für meine jahrelange Ignoranz zu rächen, ich ihr vollkommen wehrlos ausgeliefert war. Ich war schlichtweg zu schockiert, um Gegenwehr zu leisten. Im Prinzip wollte ich dies auch gar nicht. Sollte dies mein Ende sein, sollte es so vorherbestimmt sein, dann wäre es eben so. Mal abgesehen davon lag mir ohnehin nichts mehr an meinem Leben. Zu übermächtig war die innere Leere mittlerweile geworden. Ich war bereit zu sterben, bereit durch ihre Hand zu spüren, wie sich der Schatten des Todes über mich legt. Also blieb ich in meiner Paralyse auf dem Boden liegen und kauerte mich zusammen.
Auf einmal erklang Luisas Stimme, doch es war nicht sie die sprach. Ihre Stimme klang nicht wie die ihre, sondern kalt und mechanisch. Es war der Tod selbst, der sich ihrer bemächtigt hatte und nun kam, um mich zu holen.
"Ich werde diese Nacht nicht überstehen, Geliebter", sprach der Tod, dessen Schatten sich nun endgültig meiner bemächtigte. "Doch wir werden zusammen diese Welt verlassen. Ich liebe dich zu sehr als dass ich dich alleine zurücklassen könnte. Ich weiß, dass du totunglücklich bist. Also wirst du mit mir kommen! Ich werde diesem Spuk ein Ende setzen und uns beide von der Last dieses unerträglichen Lebens befreien."
Luisa hatte tatsächlich den Verstand verloren. Mit irren Augen und dem erhobenen Messer stürzte sie sich auf mich, sprang von der vorletzten Treppenstufe herab und stieß einen zutiefst erschütternden, unbeschreiblich schrecklichen Schrei aus, der wie eine Sirene erklang und mir beinahe das Trommelfell zerstörte.
Im letzten Augenblick rollte ich mich zur Seite weg. Ich ließ es nicht geschehen. Mein Überlebensinstinkt war auf einmal aktiviert, obwohl ich selber gar nicht mehr wusste, dass dieser überhaupt existierte. Luisas abgemagerter Körper knallte also mit voller Wucht auf den Boden, das Messer bohrte sich in den Boden aus Holz und nicht wie von ihr beabsichtigt in mein Herz. Beim Aufprall musste sie sich, dem lauten Knacken und ihrem schwachen Stöhnen zufolge einige Knochen gebrochen haben. Etwas verwirrt und mit Tränen in den Augen, die diese nur noch blasser und grauenhafter erscheinen ließen, blickte sie sich nach mir um. Ich rollte mich noch ein Stück weiter bis ich an der Wand angelangt war und verblieb dort, unfähig, mich zu erheben. Der Tod riss das Messer aus dem Boden, umklammerte es mit festem Griff und kroch langsam auf mich zu.
"Ich will dir nur helfen. Es ist nur zu deinem Wohl. Lass es geschehen, Geliebter. Lass es einfach geschehen", sprach Luisa. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken herunter. Das Blut in meinen Adern gefror. Ich vermochte nicht zu antworten und beobachtete stattdessen wie sie immer näher und näher und näher kam. Mein Wille war nun endgültig gebrochen, woran auch der Überlebensinstinkt nichts zu ändern vermochte. Ich war des Kämpfens müde und wollte sehnte mich nach dem Tod.
"Beende es", brachte ich schließlich mühsam und mit zittriger Stimme heraus. "Ich will ohnehin nicht mehr leben. Erlöse mich vom Schmerz. Erlöse uns beide! Es wird Zeit!"
Wie um dem Tod einen gebührenden Empfang zu bereiten, breitete ich die Arme aus und brach in irres Gelächter aus. Zum ersten Mal seit Jahren spürte ich wieder so etwas wie Freude und das ausgerechnet im Angesicht des sich mir bedrohlich nähernden Todes. Die Aussicht auf Erlösung ließ mein angespanntes Herz wieder ruhig schlagen. Wie von meinem Verhalten angesteckt, stieg Luisa in das Gelächter mit ein. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einer unbeschreiblich furchtbaren Grimasse, ihr Gelächter erfüllte das ganze Haus. Sie befand sich nun in Reichweite, sodass ein Angriff mit dem Messer möglich war. Sie erhob es, die Klinge schnellte durch die Luft, visierte mein Herz an. Doch dann geschah etwas höchst Unerwartetes. In ihrer hastigen Bewegung streifte sie versehentlich das Tischbein. Daraufhin begann der ganze Tisch zu wackeln. An der Tischkante befand sich eine noch ungeöffnete Flasche Wein, die aufgrund der Erschütterung umkippte und herunterfiel. Meine ohnehin getrübte Wahrnehmung versagte endgültig. Mehrere Dinge schienen gleichzeitig einzutreten, verschwammen in meiner Vorstellung miteinander und ergaben ein einziges Bild des Grauens. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem linken Oberarm, der mich wie wild aufgellen ließ. Mein eigener Schmerzensschrei verschwamm mit dem Luisas. Ich vernahm einen lauten Knall. Glas zerbarste und die kleinen Splitter flogen durch die Luft und versträuten sich auf dem Boden. Blut rann aus sämtlichen Poren. Dann wurde alles schwarz. Der Schatten des Todes. Ich fiel in Ohnmacht.
Es war mir ein Unmögliches eindeutig zu sagen, wie lange ich im Schlaf des Todes versunken war. Es konnten fünf Minuten gewesen sein. Oder aber auch fünf Tage. Jedenfalls wachte ich wieder auf. Ein schrecklicher Anblick bot sich mir. Direkt zu meinen Füßen lag die Leiche Luisas. Ihre Augen, obwohl schon längst in Totenstarre gefallen, waren nach wie vor weit geöffnet und auf mich gerichtet. Ihr Mund war ebenfalls weit aufgerissen und entblößte die gelben Zähne. Die Luft war satt vom widerlichen Gestank von Fäulnis und Tod. Luisa lag in einer Lache ihres eigenen Blutes, das so schwarz war wie der Tod selbst und keinerlei Menschlichkeit mehr aufwies. An ihrem Kopf konnte ich eine schwere Platzwunde ausmachen, aus der das Blut über ihr erstarrtes, leichenblasses Gesicht rann und zu Boden tropfte. Überall waren Glassplitter verteilt. Wein vermischte sich mit Blut. Ich sah an mir herab. Die Klinge hatte sich tief in meinen Arm gebohrt und auch an mir rann das Blut nur so herab. Behutsam und unter starken Schmerzen zog ich das Messer heraus und warf es beiseite. Es war vollkommen durchtränkt von meinem Blut. Ich übte mit der Hand großen Druck auf die klaffende Wunde aus und verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Just in diesem Augenblick wurde mir bewusst, was sich zugetragen. Beim Versuch, mich zu ermorden, stieß Luisa gegen den Tisch, auf dem sich eine Flasche Wein befand. Diese fiel herab und schlug mit voller Wucht auf ihren Hinterkopf und zerplatzte. Sie verfehlte deswegen mein Herz, rutschte ab und stieß mir die Klinge noch in den Arm, bevor sie tot zusammensackte.
Nachdem ich erbittert geweint und mich etwas beruhigt hatte, reifte in mir der Entschluss, dies alles hinter mir zu lassen. Jedoch war ich mir darüber im Klaren, dass es sich bei diesen Überlegungen in Wahrheit gar nicht um die meinen handelte, sondern sie ohnehin von einer höheren Macht vorherbestimmt waren. Die Leere und Sinnlosigkeit breitete sich erneut in mir aus. Dieses Ereignis hatte mir die Augen geöffnet und plötzlich erkannte ich, was ich getan hatte. Es war alles meine Schuld. Ich hatte das große Glück mit der besten Frau der Welt zusammen gewesen zu sein und hatte dies nicht angemessen zu würdigen gewusst. Voller Reue und Bedauern sah ich auf Luisas Leiche herab und die Liebe bemächtigte sich meiner. Jene Liebe, die ich vor so vielen Jahren gespürt und die scheinbar verloren gegangen war. Sie kehrte zurück und erfüllte mein Herz. Doch dann wurde mir schmerzhaft bewusst, dass es zu spät war. Luisa war tot und nichts würde sie wieder zurück ins Leben rufen. Ich hatte erneut versagt.
"Es tut mir so leid", flüsterte ich der Leiche ins Ohr. Die Leidenschaft erfüllte mich plötzlich und eine gigantische Welle der Lust fiel über mich her. Wie besessen riss ich der Leiche die Kleider vom Leib. Beim Anblick ihres nackten, geschundenen Körpers, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Diese Wunden stammten von mir. Ich hatte ihr mit meinen Prügelstrafen diese Schmerzen zugefügt. Entsetzlich weinend und ständig um Verzeihung flehend, liebkoste ich den toten Körper wie ich es zu ihren Lebzeiten unglücklicherweise nie getan.
Ich entschied, oder um genauer zu sein, das Schicksal entschied, dass ich das Haus niederbrennen musste. Ich wollte alle Erinnerungen an diesen Ort des Grauens auslöschen. Das tat ich. Noch in derselben verhängnisvollen Nacht stand mein Haus in Flammen, mitsamt der Leiche des bedauernswerten Mädchens, dessen Leben ich wie mein eigenes ruiniert und in den Abgrund geführt hatte. Die Flammen loderten und der Löschdienst hatte alle Hände voll zu tun. Ich beobachtete dies jedoch nicht mehr, sondern entfernte mich umgehend, um mir eine neue Bleibe zu suchen.
Ich verbrachte mehrere Tage auf der Straße. Meine Suche nach einer neuen Unterkunft war schließlich aber doch von Erfolg gekrönt. Die Wohnung ließ zwar sehr zu wünschen übrig, doch was besseres konnte ich mir einfach nicht leisten. Und ich war bei all dem was ich auf dem Gewissen hatte wahrlich der letzte Mann, der es sich erlauben konnte, hohe Ansprüche zu stellen. Ich gab mich also mit dem zufrieden, was ich hatte.
All meine Versuche, den Alkoholkonsum einzuschränken, scheiterten. Ich fiel in ein tiefes Loch aus dem ich nie wieder entkommen sollte. Denn der Schatten des Todes verfolgte mich, hüllte mich in seine Dunkelheit und ließ mich nachts nicht schlafen. Ich spürte nämlich, dass er mich beobachtete, dass ich nie alleine war, auch wenn ich es gerne gewesen wäre. Als meine Wahnvorstellungen mich schließlich übermannten, stand ich panisch auf, um nachzusehen, ob sich außer mir noch jemand im Haus befand. Vorsichtig blickte ich durch das Schlüsselloch und erschauderte heftig, denn ich sah etwas mir allzu Vertrautes.
Jemand spähte durch das Schlüsselloch und beobachtete mich die ganze Zeit über. Ich blickte in ein blasses, wie von einer dünnen Haut überspanntes, grauenhaftes Auge, das starr und leblos auf mich gerichtet war...
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